Filmdosenfoto: Heribert Corn | via
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ALEXANDER HORWATH (27.03.2017): “ … Jegliche geistige, künstlerische (oder auch nur „Zeugnis gebende“) Arbeit hängt von der Wahl bestimmter Werkstoffe, Techniken, Sprachen, Ausdrucksmittel ab. Sie affizieren nicht nur das Resultat der Arbeit, sondern in ihnen manifestiert sich die Arbeit überhaupt erst als eine Aussage. Nur in dieser Form bezeugen die Aussagen der Menschen tatsächlich und längerfristig die kulturgeschichtliche Epoche, der sie entstammen. „The medium is the message“, so hat Marshall McLuhan es zugespitzt. Und selbst wenn wir dieser Zuspitzung nicht ganz trauen, spüren wir bei der Beschäftigung sowohl mit der Gegenwartskultur (und ihrem Social-Media-„Schreibzeug“) als auch mit frühen Epochen (sei es die Bronzezeit oder das Zeitalter des Buchdrucks), dass die Geschichte unserer Gattung im Werk- und Schreib- und Denkzeug unserer technisch-ästhetischen Systeme auffindbar ist – und in deren materiellen Ergebnissen aussagekräftig bleibt. Diese konkreten Praktiken und Artefakte sind das Einzige an der menschlichen Existenz, das nicht nur indirekt und abstrakt (durch Sprache, „Wissensvermittlung“ oder Faksimiles), sondern tatsächlich überliefert werden kann.
Es geht also um die Weitergabe eines ereignisförmigen Mediums, das rund 120 Jahre menschlicher Kultur- und Sozialgeschichte entscheidend geprägt hat. Seine diesbezügliche Mainstream-Rolle hat der Film mittlerweile abgegeben, so wie das auch für den Kathedralenbau, die Freskenmalerei, den Kupferstich, die Barockmusik oder für fotografische Prints gesagt werden kann. Einflussreiche, in der gesellschaftlichen Machtarchitektur und im Alltag vieler Menschen fest verwurzelte technisch-ästhetische Systeme erreichen stets den Punkt, an dem ihr hervorragender Platz an der Macht und im Alltag von neuen Werkzeugen und Ausdruckssystemen erobert wird. An diesem Punkt werden sie, wenn sie tatsächlich hervorragten, dem „Erbe“ zugeschlagen – ihre Reputation als Kunst- und Kulturstoff steigt an, während sie ihre Mainstream-Funktionen in der aktuellen Produktion einbüßen. … In Ländern wie Schweden und Österreich wurden beziehungsweise werden Filmkopierwerke unter öffentliche Obhut genommen, um die analoge Langzeitsicherung und Neukopierung von Filmen weiterhin zu ermöglichen und dem erstarkenden Analogfilm-Interesse seitens jüngerer Künstler zu entsprechen. Und Frankreich hat sein Filmgesetz novelliert: Aus öffentlich geförderten Filmrestaurierungen müssen nun jedenfalls analoge Sicherungspakete hervorgehen. … In Deutschland wird zum ersten Mal seit langem die Selbstverpflichtung zur kulturellen Überlieferung ausgesetzt. Gemeint ist die Pflicht, nicht nur für brauchbare mediale Transformationen des Bisherigen zu sorgen, sondern auch das Bisherige selbst zu bewahren – für den Gebrauch durch ein in seiner Bedeutung nie bezweifeltes Publikum von Menschen, nämlich jene, die Interesse an einer Kulturgeschichte ihrer Gattung haben. Die Kinematographie und der analoge Film als Aufführungsereignis segeln nicht mehr im Mainstream der Alltagskultur. Sie sind Bestandteil des kulturellen Erbes geworden. Wer beginnt in Deutschland damit, sie auch so zu behandeln? … “ | Aus: „Das Kino passt auf keine Festplatte“ | Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/diskussion-um-rettung-des-filmerbes-in-deutschland-14943602.html
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Dirk Alt (29.1.2019): “ … Hier digital, dort physisch: Bei der Archivierung ihres Filmerbes gehen Deutschland und Österreich unterschiedliche Wege. … Vor diesem Hintergrund wird die Filmerbestrategie [die Zukunft des Analogfilms] der deutschen Bundesregierung als das erkennbar, was sie ist, nämlich als Erfolg jener IT-Lobbyisten und Blender, die vor arglosem Publikum einen USB-Stick schwenken und verheißen, in Bälde die gesamten Bestände des Bundesfilmarchivs darauf speichern zu können. All dies wäre noch als irregeleitetes Prestigeprojekt der Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu verschmerzen, brächen nicht gleichzeitig die photochemischen Kapazitäten und Strukturen zusammen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten die konservatorische Sicherung von Film auf Film gewährleisteten. Bestes Beispiel hierfür ist die unmittelbar bevorstehende Schließung der bundeseigenen Kopieranstalt in Berlin-Hoppegarten, für deren Fortbestand sich Medienpolitiker der Linken, Grünen und der Alternative für Deutschland erfolglos eingesetzt haben. Ein einstweiliger Weiterbetrieb könnte, wenn die Bundesregierung doch noch handelte, mit einem Jahresbudget von 300.000 Euro ermöglicht werden. Zurzeit werden mit noch vorhandenem Rohfilm und Chemikalien die letzten Kopieraufträge abgearbeitet: Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ und „Die Todesmühlen“ (USA 1945), dokumentarisches Material aus deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Wenn Hoppegarten anschließend den Betrieb einstellt, verbleibt als letztes (kleines) Kopierwerk in Deutschland nur noch die Berliner Andec-Film. … Es geht hierbei um wesentlich mehr als nostalgische Filmbetrachtung über ratternde Projektoren; es geht um die Frage der Wissensspeicherung und darum, inwieweit wir unser Gedächtnis und die Fähigkeit zur kollektiven Selbstvergewisserung vom Digitalen abhängig machen wollen. …“ | https://derstandard.at/2000097199293/Das-digitale-Dilemma
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// Beitrag vom 19.08.2015 : „Die Digitalisierung wird jetzt also auch in Deutschland in Angriff genommen – aber zu welchem Preis? Wenn momentan zwei von 473 benötigten Millionen Euro zur Verfügung stehen, kann nur ein Bruchteil des Filmbestandes digitalisiert, damit konserviert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wir fragen uns: Wer trifft diese Auswahl? Was wird ausgewählt? Und ein weiteres Problem steht im Raum: [Ein …] Gutachten legt die Vernichtung eines Großteils der Originale nach ihrer Digitalisierung nahe, was nicht nur bei Filmemachern außerordentlich umstritten ist, birgt doch jede Umkopierung unter anderem einen Verlust an Farbe und Ton. Eine Umkopierung ist aber nicht eingepreist.“ Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/sendereihe-zur-digitalisierung-das-deutsche-filmerbe-in.1013.de.html?dram:article_id=328746
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// Dirk Alt | Ausgabe 36/2015: “ … Wer das Filmerbe bewahren will, muss analoge Kopien ziehen … “ https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/digital-ist-schlechter
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// Dirk Alt | Ausgabe 31/2015: “ … Die originalen Filmrollen, so glauben geschichtsinteressierte Laien meist, würden für die kommenden Generationen gewissenhaft aufbewahrt. Dass viele dieser Originale längst vernichtet wurden und auch die verbliebenen von der Vernichtung bedroht sind, ahnt dagegen kaum jemand. …“ | https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/kassieren-und-blamieren
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