[Zwischen Ceausescu und Transsilvanien … ]

Kurznotizen der Filmgruppe Chaos aus Rumänien.
Karsten Weber, 26.09.2024 (1. Teil)

Eigentlich ging es darum, Platz zu schaffen und das aus allen Nähten platzende Lager von Kameras, Projektoren und Betrachtern, die keine Verwendung mehr haben, in geeignete Hände zu legen. Das Muzeul Cineastului Amator in Resita hatte Interesse angemeldet. Wir machten uns auf die Reise in eines der Länder, vor dem sich Deutschland abschotten möchte. Hmmm. Die ersten Eindrücke von Land und Leuten bewegend. Klar, soziale Probleme sind nicht zu übersehen, aber der Umgang der Menschen miteinander erschien menschlicher als wir es aus dem moralinsauren und reicheren Deutschland kennen.

In dem Museum des Amateurfilms, das in den Räumlichkeiten der örtliche Uni untergebracht ist, haben wir Seelenverwandte gefunden.

Im Museum in Resita sieht es in einigen Ecken ähnlich aus, wie bei uns am Chaos-Platz in Kiel. Hier lagert auch Filmmusik in Vinyl.

Andrei berichtete von dem Konzept hinter dem Museum. Es dient nicht allein der Ausstellung von Equipment und Filmdevotionalien. Es soll die Geschichte des nicht-kommerziellen Films in Rumänien zugänglich gemacht werden. Die Cineasten, die dieses Projekt tragen, arbeiten ohne Bezahlung. Filmveranstaltungen, Museumsführungen und Workshops werden kostenlos angeboten. Sie glauben nicht an Kommerz, sie vertreten die Ansicht, dass Kultur für jeden zugänglich sein soll.

Geschichte auf traditionellem perforierten Filmmaterial – Die Blütezeit des rumänischen Amateurfilms war die des „real existierenden Sozialismus“ unter Ceausescu, denn dort hatte nahezu jede Fabrik einen Betriebsfilmclub. Dort lehrte man den Umgang mit der Kamera, mit Schnittgeräten und Projektor. Diese Betriebsfilmclubs standen unter der Kontrolle der Partei und entsprechend waren die Themen eines Großteils der Filme. Es ging um Produktionsabläufe, um Firmenjubiläen, um hohen Besuch von der Partei, aber auch um größere Unglücke im Betrieb. Arbeiter nutzten diese Möglichkeiten, um einen eigenen Ausdruck zu finden, es wurde manchmal künstlerisch und kritisch. Aber selbst die Filme, die sich streng den Erwartungen der Partei unterwarfen, sind ein Teil der rumänischen Geschichte, die Andrei Florin und Mitstreiter in dem Filmmuseum bewahren wollen.

Sie wollen den nachfolgenden Generationen beibringen, wie vor ihrer Zeit Filme gemacht wurden, vermitteln das Filmhandwerk und machen Archivmatierial öffentlich. Es gibt alte Negative auf Glasplatten, die die Workshopteilnehmer auf Fotopapier ausbelichten. Von der Fotografie geht’s zur Filmerei, analog und selbstentwickelt. Auch hier soll geschichtlich gearbeitet werden. Zu verschiedenen Themen wird aus dem Archiv Material zusammengestellt. Zum so einem Workshop gehört die Fertigung einer Broschüre. Wir erhielten ein Restexemplar zur Revolution, die den autoritär herrschenden Ceausescu zu Fall brachte. Die Industriestadt Retsita war ein zentraler Ausgangspunkt der Revolution.



Wir bekamen eine Stadtführung zur bewegten Geschichte der Stadt, auf den Spuren der jüdischen Geschichte und der der Roma, die einen großen Bevölkerungsanteil ausmachen und zur die Stadt prägenden Stahlindustrie, von der nur noch ein Bruchteil in Betrieb ist. Andrei, der geschichtsaffine Cineast schien gut vernetzt mit Hinz und Kunz und auch den Offiziellen der 60.000 Einwohnerstadt. Er hatte den Schlüssel zum Museum des stillgelegten Stahlwerks und war ein kundiger Führer durch die Industriegeschichte der Stadt.

Wir bekamen einen schwarzweiß Doppelacht Formapanfilm und eine Blabla-8 Kamera mit Federlaufwerk in die Hand gedrückt, um so unsere Bilder von dem Retsitabesuch zu machen. Bei dieser Aufziehkamera hakte es hier und da. Der Film ist lichtdicht eingepackt und soll in Kiel entwickelt werden, doch ob etwas Vorzeigbares dabei herauskommt, steht noch in den Sternen.

[Zwischen Ceausescu und Transsilvanien (2)]

Kurznotizen der Filmgruppe Chaos aus Rumänien.
Karsten Weber, 07.10.2024 (2.Teil)

Resita hatte Charme. Ein Museum für Dampflokomotiven, einen coolen Markt und einen archtecktonisch wilden Mix aus sozialistischen Baustilen, verschiedenen Bauten der Roma und Zeugnisse deutscher und Jüdischer Architektur.

Wir wollten nicht nur dem Fundus des Museums an Kameras, Betrachtern und Projektoren bereichern, wir wollten Resita eine Zeitgemäße Performance mit oldschool Technik um die Ohren hauen.

Wir haben eineinhalb Tage herumgeprobt, zu merkwürdigen Bildern aus Deutschland noch merkwürdigere Geräusche zu erzeugen. Das Programm begann mit einem amateurfilm, der schon länger am Straßenrand lag, bis er entdeckt, gesäubert und uns zugeschickt wurde. Er war auf 1971 datiert und Magnetbauchstaben waren zusammengelegt zu „Mein erster Film“. Ein talentierter Filme dokumentierte seine Familie zu besonderen Anlässen, Geschenke auspacken, Verwandtenbesuch, oftmals mit Alkohol aufgelockert und Weihnachten. Die Lagerung des Films draußen bei Wind und Wetter und die anschließende Reinigung haben dem Film einen besonderen Touch gegeben, denn Teile der Emulsion haben sich abgelöst und der kieler Familie einen experimentellen Look verpaßt.



Die Lehrfilme aus unserem unerschöpflichen Super8 Fundus wurden bisher als nicht zeigbar abgetan. Diese Filme aus Biologie, Physik und Chemie hatten keinen Ton und auch optisch wenig zu bieten. Dachten wir jedenfalls. Doch die minimalistischen Bildinhalte entwickelten in einer Mehrfachprojektion einen eigenen Charme und versprühten einen dadaistischen Geist.

Und die letzte Projektion war eine dänischer Zeichentrickfilm mit den Figuren deutscher Märchen, die sich skurilen pornografischen Handlungen hingaben. Ein vor die Projektorlinse gehaltene 5-fach-Prisma brach das Bild auf und mit einer langsamen Drehung waberten über die Wand mit dem Ceaucescu Portrait.

[Zwischen Ceausescu und Transsilvanien (3)]

Kurznotizen der Filmgruppe Chaos aus Rumänien.
Karsten Weber, 13.10.2024 (3.Teil)

Rätselhaftes Rumänien



Und weiter gings nach Timisoara [‚Temeswar‘ -> https://de.wikipedia.org/wiki/Timi%C8%99oara]. Ein um ein mehrfaches größerer Ort als Resita. Eine deutlich wohlhabendere Stadt, die mit hohen sich ähnelnden Wohnblöcken und Bürokomplexen dazu einlud, sich zu verfahren. Doch wir landeten schließlich im Kulturpalast der Jugend, der mit seiner sozialistischen Architektur glänzte. Einst gehörte er der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei, doch mit dem Einzug der Marktwirtschaft wurde jeder einzelne Raum des Gebäudes vermietet.


Wir konnten nicht herausfinden, wie es gelungen ist, den neoliberalen Ansatz aus dem Gebäude zu vertreiben. Heute wird er wieder von Jugendgruppen und ihren internationalen Gästen kulturell genutzt. Hier soll das „analog mania festival“ stattfinden. Zum 12. Mal. Fotographie, bewegte Bilder und Sound. Ein Festival, das nicht nur eine Plattform für analoge Kultur schafft, sondern sich mit ihr auseinandersetzt und sie vorantreibt.



Emil Kindlein, der Gründer des Festivals, sagte, solche Festivals wurden gleichzeitig in verschiedenen Ländern gegründet, um gegen das Verschwinden der analogen Kultur anzuarbeiten. Doch die Situation hat sich grundlegend geändert, die analoge Kultur fristet kein Nischendasein in einer hippen Vintage-Ecke, „analog ist Avantgarde“. Er geht nicht nur von einer Gleichwertigkeit von digital und analog in Kunst und Kultur aus, sondern er sieht bereits den nächsten Schritt in der kulturellen Entwicklung: Mischformen haben sich in beide Richtungen entwickelt. Analoges wird nicht nur auf digitalen Datenträgern aufbewahrt und von ihnen abgespielt, es geht auch in die entgegengesetzte Richtung, in der digital produzierte Bilder und Töne in analogen Werken aufgenommen werden.


Analog mania | Timisoara | Romania (13.09.2020) – Foto. Film. Klang. Objekt. Das Analog Mania International Festival kehrt mit seiner zwölften Ausgabe nach Timi?oara zurück. Es zelebriert die Kunst, Geschichte und Techniken des Analogen in einem Gesamterlebnis. Vom 12. Oktober bis 9. November. // –> https://www.youtube.com/@analogmania1129


Nichts war so, wie wir uns Rumänien vorstellten. Man erinnert sich dort auch der Geschichte mit ihren politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen.

Nach der Revolution existierte kein Copyright mehr. Da wurden massenhaft Musikkassetten raubkopiert und für kleines Geld vertrieben.

Wir wussten einen Scheiß über dieses Land, das eben nicht nur LKW-Fahrer und Erntehelfer für Westeuropa hervorbringt. Open-Air Konzerte bei freiem Eintritt waren nicht gerade das, was wir erwartet haben.

Kulturelles Interesse und Auseinandersetzungen im Kulturbereich fielen uns auf. Vielleicht lag es daran, dass wir an sehr speziellen Orten waren. Es gibt jedoch einen lebendigen Underground, was Musik und Film angeht. Die ökonomisch schwierige Situation wird durch Experimentierfreude und gegenseitige Hilfe wieder wettgemacht.

Man hat Rumänien eigentlich als Filmland nicht auf dem Zettel. Dabei war Der Tod des Herrn Lazarescu [https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tod_des_Herrn_Lazarescu] 2005 Gewinner des Prix Un Certain Regard in Cannes – und 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage [https://de.wikipedia.org/wiki/4_Monate,_3_Wochen_und_2_Tage] erhielt 2007 in Cannes die Goldenen Palme und wurde mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

Bis heute verlängerte sich die Liste der Filme, die in Cannes und auf der Berlinale ausgezeichnet worden sind. Es gibt für die Filme in ihrem kühlem realistischen bis naturalistischen Stil die Bezeichnung „neue Welle“ oder „rumänische Nouvelle Vague“. Man lernt nie aus.

Wir haben noch nichts von Rumänien gesehen, wenn man ehrlich ist. Wir haben nur ein paar Eindrücke gesammelt. Selbst in dem eher schicken Timisoara haben wir quirlige Ecken jenseits des wohlgeordneten Lebens in den Hochhaussiedlungen gefunden.

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