Schlagwort: No Wave

[West-Berliner Subkultur 1978-1984 (II)… ]

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[…] „Die 80er begannen in Berlin schon 1978 (und endeten dafür bereits Mitte
der Restwelt-80er), als der Künstler Martin Kippenberger den Punk-Club S.O. 36 übernahm. Das S.O. 36 war ein wichtiger Austragungsort für Begegnungen und Aggressionen und sein Einfluss auf die Punk- und Experimentalfilmszenen unermesslich. … Super-8 war ein typisches Medium kleinbürgerlicher Selbstvergewisserung: Die daheim gebliebene Verwandt- oder Nachbarschaft sollte die
PauschaltouristInnen beneiden, deswegen mussten Urlaubsorte, Sehenswürdigkeiten, Strandgefühle und Tellergerichte akribisch dokumentiert werden. Gegen Ende der 70er war der Neidfaktor jedoch nicht zuletzt wegen der enormen Verbreitung von Kameras und Projektoren erheblich abgerieben.

Die Super-8-Projektoren hatten (gemeinsam mit den Diaprojektoren) bald
schon das Image kleinerer Folterinstrumente. So verschwand das
Super-8-Equipement – wie so vieles vor ihm – in Kellern und Dachböden.
Insofern irgendwie logisch, dass die junge Avantgardebewegung, die im noch
nicht genauer definierten Feld zwischen Punk, New Wave und Kunst
aufpoppte, die Einkaufssünden der eigenen Eltern dort wieder rauskramte
und zu einem Mittel für Kunstproduktion machte … “
Aus dem [monochrom] Mailarchive: „Alle Macht der Super 8! – Die deutsche Post-Punk-Super-8-Film-Szene Anfang der 80er“ Von Frank Schneider (06.03.2009)
Quelle: http://www.mail-archive.com/bagasch@lists.monochrom.at/msg03261.html

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[…] “ … Die Übernahme des Punk-Clubs „S.O. 36“ durch den Künstler Martin Kippenberger 1978 markiert den verfrühten Beginn der 80er-Jahre in Berlin. Hier versuchte Kippenberger Punk- und Kunstdiskurse zu verschmelzen, indem er im Programm des Clubs beide Welten zusammenbrachte. So wurden im S.O. 36 auch schon früh Filme aus dem New Yorker „No Wave“-Underground gezeigt, die bereits viele Elemente der Westberliner Super-8-Szene vorwegnahmen und vielleicht auch einen Teil der Inspiration zu ihrer Entstehung lieferten. No Wave wird zwar hauptsächlich als musikalisches Phänomen wahrgenommen, ist aber mit dem Film verwurzelt.
Hier wurden Bands eigens gegründet, um die Musik für Filme zu liefern, die später zum „Cinema of Transgression“ werden sollten. Bei ihrer Würdigung auf Platte waren viele dieser Bands schon nicht mehr existent. Teilweise waren die ProtagonistInnen des No Wave KunststudentInnen, die nach New York gekommen waren, um sich dort nach der Enttäuschung ihrer Erwartungen an die Stadt, destruktiv-kreativ gegen den tristen Alltag zur Wehr setzten. Sie wurden auch mit die Ersten, die Musikvideos produzierten, zu einer Zeit als hinter dem Musikvideo noch keine Institution wie MTV stand.
Das alles waren die Voraussetzungen, die schließlich dazu führten, dass sich auf dieser Subventionsinsel, die mit den Urlaubsinseln der filmenden PauschaltouristInnen wenig gemein hatte, ein neuer Typus von Super-8-FilmproduzentInnen entstand: Die „genialen Dilletanten“ [sic]. Neben dem Film arbeiteten sie auf verschiedenen Ebenen, wie Musik, Performance, Malerei und Plastik. Der Name stammte von einem Anstecker des „Einstürzende Neubauten“-Sängers Blixa Bargeld, auf dem stand: „Ich bin ein genialer Dilletant“. Später wurde er dann als Label für die noch kategorielosen ProtagonistInnen in deren Umfeld benutzt. Die DilletantInnen bedienten sich der billigen Werkzeuge der AmateurInnen, traten aber mit der Dreistigkeit der Profis auf, zu behaupten, dass das was sie taten jetzt richtig und wahr ist.

Dieser Griff zu günstigen und verfügbaren Produktionsmittel rührte vom gegenkulturellen „Do It Yourself“-Gedanken des Punk her: Kulturelle Ausdrucksmittel wie Körper, Kleidung, Musik oder Literatur sollten selbst hergestellt werden können, um sich so eine gewisses Maß an Unabhängigkeit zu sichern. So erscheint es auch nur logisch, dass Super 8 das Medium für die Filmproduktion darstellte. Genauso wie der Kassettenrecorder vom Spielzeug zum Heimtonstudio wurde und die Xerox-Kopierer von Hilfsmitteln der Bürokratie zu Druckereien für Fanzines wurden, fand auch hier mit der Aneignung der Technik eine Umdeutung statt: die Super-8-Kamera wurde ein Produktionsmittel für Gegenwartskunst statt Medium zum Aufzeichnen und Archivieren von Urlaubserinnerungen. Auch solche Umdeutungen wiederholen sich in der Geschichte immer wieder: Der Plattenspieler wurde vom Abspielgerät durch „Scratching“ zum Tonproduzenten, heute führt die Hackerszene die Umdeutung und -nutzung von Fertigprodukten der Soft- und Hardware weiter.
Ebenfalls vom frühen Punk geerbt, war die Begeisterung für das Unfertige, Unperfekte und Kaputte, die dem Experiment die Tür öffnete und den Zufall als Gestaltungselement herein ließ. Die Spielregeln und Normen der Profis waren für die DilletantInnen, wenn überhaupt, nur in sofern von Bedeutung, dass man sie gezielter brechen konnte, wenn man sie kannte. …“
Aus: „Der Angriff auf die Sehgewohnheiten: Die Westberliner Super-8-Szene der frühen 80er Jahre“ (Marginal-Pop – Wichtige Nebensächlichkeiten) By Bene Posted on 6. Juli, 2009
=> http://marginalpop.wordpress.com/2009/07/06/der-angriff-auf-die-sehgewohnheiten-die-westberliner-super-8-szene-der-fruhen-80er-jahre/

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[…] Viele Ideen und Konzepte sind in Vergessenheit geraten oder werden heute ohne Bewußtsein für die Ursprünge ausgewertet. Im Zentrum der kulturellen Peripherie in den 80ern standen Die Tödliche Doris, die mit ihren Super 8-Filmen, Trashkultur, aber auch Medienkunst und Massenmedien maßgeblich beeinflußt haben. […] [D]as filmische Werk auf Super 8 ist bizarr, radikal und zugleich ironisch und wurde nun erstmalig in Gänze auf DVD veröffentlicht. Wand 5 zeigt in drei Programmen alle Filme der Gruppe um Müller, dem verstorbenen Nikolaus Utermöhlen, Käthe Kruse, Chris Dreier und Dagmar Dimitroff. So vielfältig die Medien waren, die Doris einsetzte, so vielfältig ist auch das Filmprogramm: es reicht von abgefilmten Tapeten – eine subversive Antwort auf den blutleeren strukturellen Experimentalfilm der 70er Jahre – bis hin zu trashigen Punkmovies. Die Doris verfilmte z.B. kurz nach dem Heroin-Tod von Sid Vicious von den Sex Pistols dessen Leben mit dem 3-jährigen Oskar, Sohn der Schlagzeugerin Dagmar Dimitroff, und der 7-jährigen Angie als Nancy. Viele Filme handeln von Banalitäten und Alltäglichkeiten. Einige Filme dauerten nur wenige Sekunden. „Die Gesamtheit allen Lebens und alles Darüberhinausgehene“ ist nur eine Sekunde lang und besteht aus 24 gemalten Bildern. Filmische Professionalität waren der Doris zuwider und sie propagierten das Prinzip „Do It Yourself“. …“
Aus: „Filme der tödlichen Doris, Teil 2 (Punk/Trash der 80er, FILMABEND am 27. 4. um 19.00 Uhr ) Vorgestellt von Martin Schmitz (Berlin, 2004)
=> http://www.oberwelt.de/projects/2004/doris.htm

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[…] „… Der Berliner Hauptstadtkulturfonds ermöglichte im Jahr 2003 die Restaurierung und Archivierung sämtlicher Super-8-Filme, die die Gruppe zwischen 1980 und 1987 gedreht hat, insgesamt über 7 Stunden Material. Seitdem sind die Filme in digitaler Form wieder öffentlich zugänglich, wenn auch nur in indirekter Form, da die Auflage auf sieben Exemplare begrenzt ist. Als erste öffentliche Sammlung erwarb im Jahr 2004 die Stiftung Moritzburg/Halle die DVD für das Landesmuseum von Sachsen-Anhalt, im Jahr 2005 der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin, wo die S-8 Filme seit September 2007 täglich zu sehen sind.

Auch die Super-8-Originale befinden sich zum Teil in Museen. Der Film „Tapete“ (27 Min.) befindet sich als 16mm-Kopie in der Sammlung der Design-Universität von Kobe, Japan, „Das Leben des Sid Vicious“ (12 Min.) als Videokopie in der Videosammlung der Hamburger Kunsthalle. Das San Francisco Museum of Modern Art präsentierte erstmals die Filme in einer Ausstellung im September 2007 und das Los Angeles County Museum of Art im Januar 2009. …“
Aus: „Die Tödliche Doris“ (12. März 2010)
=> http://de.wikipedia.org/wiki/Die_T%C3%B6dliche_Doris

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Berlin Super 80: Music & Film Underground West Berlin 1978-1984 (DVD)
=> http://xn--krthenhayn-fcb.com/?cat=products&subcat=147&id=118&lang=de

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[West-Berliner Subkultur 1978-1981 (I)… ] (2008)
Alle Macht der Super8!
=> http://www.subfrequenz.net/8mmlog/?p=792

[Guerrillere Talks… ]

Pictures from: Guerrillere Talks by Vivienne Dick (1978)
28 mins Colour Sound Super 8mm
Online Movie => luxvideo.org/exhibition/guerillere_talks.html

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[…] „Guérillère Talks was the first film I made. It consists of six cartridges of Super-8 strung together, each running for three and a half minutes. The women in each could say and do as they wished. It must have been influenced by Warhol’s work I’d seen. I certainly didn’t direct them. I remember feeling so thrilled just filming looking at them.“ …
From: „Interview with Vivienne Dick“
Bev Zalcock interviews Vivienne Dick about her work (1998)
Source: luxonline.org.uk/articles/interview_with_vivienne_dick(1).html

=> http://en.wikipedia.org/wiki/Vivienne_Dick

[…] „No Wave was a short-lived but influential art music, film, performance art, video and contemporary art scene that had its beginnings during the mid-1970s in New York City and continued through the 1980s and into the early 1990s alongside punk subculture. The term No Wave is in part satiric wordplay rejecting the commercial elements of the then-popular New Wave genre […] No Wave Cinema was an underground film movement coming out of Tribeca and the East Village at the time. No Wave filmmakers included: Amos Poe, Eric Mitchell, James Nares, Vivienne Dick, Scott B and Beth B, and Seth Tillett (among others) and led to the Cinema of Transgression and work by Nick Zedd and Richard Kern. … “
Source: http://en.wikipedia.org/wiki/No_Wave

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Update 06/2010:

No Wave – Underground und Nihilismus
Freche Darstellerinnen, raue Töne (Petra Erdmann, 05.06.2010)
Filmreihe „No Wave. New York 1976-84“, 4. bis 14. Juni 2010, Filmmuseum
=> http://oe1.orf.at/artikel/246141