[Zum Wahn der Liebe #97 … ]

Thomas Mann mit seinem Schwiegervater Alfred Pringsheim

“ … Seinem Bruder Thomas hatte Heinrich Mann schon um die Jahrhundertwende brieflich gestanden: „Mein Hauptinteresse war die Frau.“ Willi Jaspers Buch beschreibt Heinrich Mann als einen ausgemachten Erotomanen, der Schriftsteller ging bereits als Gymnasiast ins Bordell, und suchte auch als schon berühmter Romancier stets die Nähe zu Frauen aus der Halbwelt. … Von der ersten Passion zur jüngeren Schwester Carla, die später Selbstmord verübte, bis zur letzten leidenschaftlichen Liebe mit der Berliner Animierdame Nelly Kröger, die Heinrich Mann im französischen Exil heiratete und gegen alle Attacken des Mann-Clans verteidigte. Nelly war sinnlich, laut, derb und leider Alkoholikerin, von Thomas Mann als „schreckliche Trulle“ bezeichnet, auch sie ging freiwillig in den Tod, was Heinrich Mann nie verwand. …“ | Aus: „Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ (13.04.2007) | https://www.deutschlandfunkkultur.de/von-kopf-bis-fuss-auf-liebe-eingestellt-100.html



Adam Zagajewski, 1945 im heute ukrainischen Lemberg geboren (‚Bruderliebe, Bruderzwist‘, 27.03.2015): “ … Menschen, Schriftsteller und Intellektuelle, die ganz unterschiedlichen geistigen Prinzipien folgen, haben oft kein großes Bedürfnis, mit ihren Gegnern zu diskutieren. Je weiter die Standpunkte auseinanderliegen, desto seltener kommt es zu Debatten. Doch Heinrich und Thomas, gefangen im Netz der Bruderschaft, mussten gleichsam miteinander ringen. Sie waren einander in Bruderliebe zugetan, und sie kannten Momente des Bruderhasses. Sie mussten streiten, weil sie Brüder waren. Hier überlagerten sich, was nur selten vorkommt, die Sphären der Ideen und der Familie. Es kam zu Spannungen, beinahe zum Brudermord. … Es ging keineswegs nur um konkrete politische Positionen, um Heinrich Manns linksliberale Haltung im Gegensatz zu Thomas Manns – zumal bis Anfang der 20er Jahre – metaphysischem, beseeltem Nationalismus. Keineswegs nur um Heinrichs Pazifismus und Thomas‘ (freilich auf den Schreibtisch beschränkte) ritterlich-kriegerische Einstellung in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Im Streit und in der Spannung zwischen den beiden damals noch jungen Brüdern offenbarte sich die tiefe Gespaltenheit der europäischen Kultur, der Widerstreit zwischen zwei gegensätzlichen Traditionen, die mal liebevoll, mal hasserfüllt miteinander rangen und eigentlich bis heute miteinander ringen … [es] … bleibt die Spannung zwischen dem Erbe der Aufklärung und der romantischen Sehnsucht, die manchmal eine religiöse Färbung annimmt. Die beiden Seiten verstehen sich bisweilen nicht. Es kommt vor, dass sie einander verspotten oder schmähen. Es kommt aber auch vor, dass diese Spannung in der Brust eines einzigen Menschen wohnt. So war es auch im Fall unserer beiden Brüder. … Mir geht es bloß um eine melancholische Feststellung: Die engagierte, kämpfende Literatur steht bisweilen hilflos vor der komplexen Wirklichkeit. Man wünschte sich fast auch für die Literatur ein Äquivalent zu dem berühmten Unvollständigkeitssatz des Mathematikers Kurt Gödel, dem zufolge jedes logische System entweder widersprüchlich oder unvollständig ist (weshalb zu seiner Bewertung immer ein anderes System benötigt wird). …“ | https://www.tagesspiegel.de/kultur/heinrich-mann-preis-bruderliebe-bruderzwist/11567948.html

Heinrich Mann – Die große Liebe, Drama (Buchausgabe)


“ … In der Tat verbirgt sich hinter dem Liebesglück die Unruhe seines Daseins….“ | Aus: „Erotik und Poetik – Thomas Manns Goethe-Rezeption“ (Inaugural-Dissertation in der Philosophischen Fakultät II (Sprach- und Literaturwissenschaften) der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) E-Jeong HONG (214 Seiten, 2006) | Quelle: https://opus4.kobv.de/opus4-fau/files/594/E_JeongHongDissertation.pdf

“ … Liebe ist laut Mann der ethischen Sphäre der Teilnahme zugehörig, Interesse dagegen gehört einer rein ästhetischen Haltung an. Im Kampf zwischen Interesse und Liebe gibt es bei Thomas Mann nur tödliche Opfer. Denn wird das Interesse von der intellektuellen auf die sinnliche Sphäre gewendet, so wird entweder der Künstler durch die Übergewalt der sinnlichen Erfahrung in seiner Existenz vernichtet, indem das Interesse im Zweikampf mit dem Eros unterliegt, oder es siegt das Interesse über den Eros, … dann bezahlen die, die den Künstler lieben, ihre Niederlage mit dem Leben. Aschenbach, zur ersteren Kategorie zählend, hat folglich verloren, als er am Ende des vierten Kapitels, von Tadzios Lächeln ergriffen, stammelt: »Ich liebe Dich!« … “ | Aus: „Auf schwankendem Grund – Dekadenz und Tod im Venedig der Moderne Sabine Meine, Günter Blamberger, Björn Moll, Klau Sber Gdolt (H r SG.) | Quelle: https://kups.ub.uni-koeln.de/11204/1/Morphomata15_USB.pdf

“ … Als bestimmend erweist sich ein grundlegendes Dilemma: Wer dem Sog der Liebe verfällt, wird vernichtet und geht unter … wer die Liebe aber ängstlich meidet, verfehlt das Leben und beraubt sich der künstlerischen Kreativität. …“ | Über: „Der beschädigte Eros – Liebe, Erotik und Sexualität in den frühen Erzählungen Thomas Manns“ Karl Heinz Götze (2017) – Thomas Mann au tournant du siècle | Quelle: https://journals.openedition.org/germanica/3738?lang=de

Madeleine Chapsal et Georges Bataille, Bibliothèque municipale d’Orléans, février 1961.
| via https://www.pileface.com/sollers/spip.php?article2001



“ … Die Figur unseres modernen Selbst, so wie sie Bataille zeichnet, ist armselig. Es ist eine dienende, nützliche, der Arbeit und Produktion untergeordnete Figur, die sich als getrennt von allem anderen, Mensch und Natur, erfährt. Nun ist dies, für sich genommen, noch nicht originell, bildet es doch den Tenor bekannter Modernitätskritik von Nietzsche über Weber bis zu Baudrillard, Lyotard oder Taylor. Was Bataille auszeichnet, ist seine Konzeption einer Sphäre des Heterogenen, die unsere Isolation in Kontinuität auflöst und in der Kommunikation stattfindet — eine Sphäre jedoch, die als unaufhebbare Grenze zu denken ist und die nur um den Preis des Selbstverlustes, des Opfers, zugänglich ist. Das Sich-Einlassen auf die Erfahrung dieser Grenze — nicht, indem die Vernunft eingeschläfert, sondern indem sie bis ans Ende getrieben wird — ist Voraussetzung für die Erfahrung dessen, was Bataille „Souveränität“ nennt. …“ | Zu: Neuenhaus-Luciano P. (1999) „Individuum und Transgression bei Georges Bataille“ In: Individualisierung und Transgression. Schnittpunkt * Zivilisationsprozeß. Centaurus Verlag & Media, Herbolzheim | Quelle: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-86226-415-5_7


Uwe (15. November 2021): “ … ca. 98% der deutschen Liebhaber erotischer Literatur rate ich davon [Georges Bataille – Das obszöne Werk] ab. …“

StevenStone (14. Juli 2016)“ … Dabei werden durchaus Tiefenschichten des menschlichen Sexualtriebes berührt und ihren Geheimnissen Ausdruck gegeben. Das Chtonische, Dionysische der einmal geweckten Lust und ihre Nähe zur Mord- und Vernichtungslust. Soweit so gut oder ungut. Dann streift es bei soviel Wiederhohlungs- und Steigerungszwang und behaupteter Dauererregung auch das Komische. Das Geschmacklose wird nicht gestreift, sondern geschlürft, ausgesoffen, gefressen, gekotzt. Vieles ist … gut französisch … philosophisch veredelt und in intellektuelle Höhen gehoben, die der steifste Schwanz und die saftigste Möse eigentlich nicht hergeben. Ein bemerkenswertes literarisches Zeugnis. … “ [Zu: von Georges Bataille – Das obszöne Werk: Die Geschichte des Auges / Madame Edwarda / Meine Mutter / Der Kleine / Der Tote Taschenbuch … “ 1. Oktober 1988]



“ … Die beiden Triebkräfte der Erotik: die eine die des Einklangs mit der Natur und die andere die ihrer Infragestellung – wir können keine von beiden aufheben. Der Schrecken und der Anreiz sind vermischt. Die Unschuld und das Schicksal dienen dem Spiel. Im günstigen Augenblick kennt noch die Dümmste die Dialektik … Das irre Gelächter oder die Ekstase versetzen uns an den Rand des gleichen Abgrunds, in die >Infragestellung< alles möglichen. …“ | Aus: „Die Freundschaft: IV – Der Wille“ Georges Bataille [Die Freundschaft. Das Halleluja (Die atheologische Summe II / Gallimard, Paris 1944/1961.‘] |

// “ … Syphilis wurde als Folge eines sündigen Lebenswandels aufgefasst. 1826 wird der Gebrauch von Kondomen von Papst Leo XII. verboten: „…der Sünder solle an dem Körperteil bestraft werden, mit dem er sündige.“ Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichten die Forschungsergebnisse des Pariser Mediziners Alfred Fournier (1832-1914) eine sachlichere Diskussion um Geschlechtskrankheiten. … Bataille wurde lebenslang von Erinnerungen an den erschreckenden körperlichen Zustand seines Vaters und dessen Leiden gequält. Sein Leben begann mit dem Tod, schrieb sein Biograph Michel Surya. Dazu gesellten sich Erinnerungen an Kindheitserlebnisse in Verbindung mit heterogenen, d. h. gesellschaftlich verfemten Auffassungen von Sexualität, die er in Das obszöne Werk thematisiert, ohne zu sagen, so war es. Ich bin ein Kind des Schreckens. kommentierte er seine Erinnerungen und ich hatte vor allem Sexuellen Angst. … Bataille wollte anregen, über traditionelle Einstellungen zur Lust nachzudenken. Ihm gehe es um eine völlige Umkehr unserer Vorstellungen und er empfahl seine obszönen Texte anderen: Wer Angst hat, sich fürchtet, allein ist und friert, der sollte Madame Edwarda lesen. … Die Frage, ob seine obszönen Schriften als „surrealistische Experimente“ oder als „pornographische Literatur“ gelten können, sei unentscheidbar. … Schon Jean-Paul Sartre … dessen Existentialismus Bataille als „überholte Philosophie“ ablehnte … bezeichnete Bataille als Mystiker. In seinen Texten, so Sartre, finden sich „glitschige Sätze“ von denen wir plötzlich ins Unaussprechliche stürzen.“ … “ | Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Bataille (September 2021)

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