Christian Ebbertz zu Rolf Dieter Brinkmann: „Selbstbildnis im Supermarkt“ (1968)
(Gedichte-Karaoke 17) [23.02.2018]
–> https://youtu.be/g17B5uVwDuA
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Julia Encke (18.12.2005): “ … Rolf Dieter Brinkmann war nicht nur voller Haß gegen die Realität, die ihn bedrängte. Er kannte auch diese andere, zarte Tonlage, die seine Stimme plötzlich leise werden ließ; changierte zwischen diesen beiden Registern, zu denen er keine Mitte fand. Das macht ihn so groß: „Hier, kleine zärtliche Zimmer“, heißt es einmal. Unablässig flüstert er „Zärtlich ist die Nacht“ ins Dunkel. Oder er denkt zurück an ein Konzert von „Soft Machine“ nahe der Portobello Road in London: „Ich erinnere mich“, sagt er da, „an die Tomatensuppe zu dieser Musik.“ …“ | https://www.spiegel.de/kultur/literatur/rock-n-roll-das-einfach-schoene-ist-ein-traum-a-391113.html
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“ … Fast immer sind es Alltagssituationen, die das auslösende Moment für Brinkmanns Schreiben bilden. Scheinbar nebensächliche Dinge, etwas, das ihn stört oder sonst wie seine Aufmerksamkeit hervorruft. Diese Wahrnehmungen werden in ihrer oft brutalen Unmittelbarkeit umstandslos benannt. Sie sind es, die Irritationen auslösen und den Autor zur Reflexion über sich und die Welt veranlassen. Dabei entwickelt Brinkmann eine erstaunliche, fast schon pathologisch anmutende Sensibilität: alltägliche, scheinbar vertraute Alltagssituationen, an die man sich längst gewöhnt zu haben scheint, werden durch Brinkmann ihrer Selbstverständlichkeit beraubt. …
Ich weiß, dass das gegenwärtige System, ich meine damit eigentlich alle die kleinen alltäglichen Lebenssachen so sehr zwanghaft mit Bedeutungen festgelegt sind, dass man sie selber gar nicht mehr richtig gebrauchen kann, ohne eine Menge Verkrustungen und Erstarrungen und Panzer bei Seite zu schaffen, was sehr mühsam ist.
… die Aufgabe des Schriftstellers, die Verkrustungen und Erstarrungen der Alltagssprache aufzubrechen und ihnen eine neue, authentische Bedeutung zu verschaffen. Nicht die bloße Mitteilung, sondern die verdichtete Verarbeitung des Erlebten ist entscheidend. Die Dinge müssen zurecht gerückt und der Erfahrung zugänglich gemacht werden. Oft sind es ganz flüchtige, unscheinbare Erlebnisse, die den Autor inspirieren. Dinge, die in der unmittelbaren Umgebung, auf der Straße, passieren. Dinge, die eigentlich jedem zugänglich sind. Durch die Thematisierung erhalten sie ihren besonderen Stellenwert. Das Verfahren Brinkmanns könnte man als Versuch beschreiben, sich die alltäglichen Erfahrungen in ihrer unverstellten Bedeutung zurück zu erobern. ….“ | Aus: „Rolf Dieter Brinkmann: Schreiben als fiktionaler Aufstand“ von Joke Frerichs (6. Juni 2020) | https://www.blog-der-republik.de/rolf-dieter-brinkmann-schreiben-als-fiktionaler-aufstand/
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Steffen Lüdke (28.12.2015): “ … Wie gut sind die Punchlines deutscher Dichter? Wie steht es um Dichtkunst deutscher Rapper? …“ | https://www.spiegel.de/kultur/musik/rap-und-gedicht-im-vergleich-sido-oder-gottfried-benn-wer-hats-gesagt-a-00000000-0003-0001-0000-000000228019
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Yosina Koster (Datum ????): “ … Anschluss hat er [Jürg Halter (* 23. Juni 1980 in Bern) Schweizer Dichter, Musiker und Performance-Poet – bis Anfang 2015 war Halter unter dem Pseudonym „Kutti MC“ auch als Rapper aktiv] vor allem zu Menschen gefunden, die wie er auch nirgends richtig dazugehörten. «Das Ende von Kutti MC» mag schon einige Jahre her sein, doch diese Haltung prägt Jürg Halter auch heute noch in seinem Schaffen – ein Ohr auf der Strasse, ein Fuss im Literaturkreis. … Es hat mich fasziniert, dass man die Sprache so direkt transportieren kann. Also habe ich einerseits Rap-Texte geschrieben, aber auch Gedichte. Die Rap-Texte waren immer auf Mundart, die Gedichte auf Hochdeutsch. Meine Texte sind immer intuitiv entweder in Hochdeutsch oder in Mundart entstanden, das waren keine bewussten Entscheide. Manche Ideen brauchten Musik, manche kamen ohne sie aus. …“ | Aus: „Was haben Gedichte mit Rap zu tun? Ein Ohr auf der Strasse, ein Fuss im Literaturkreis“ | https://www.lyricsmagazin.ch/artikel/was-haben-gedichte-mit-rap-zu-tun
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“ … Rapmusik blickt in Deutschland auf eine fast 40-jährige Geschichte zurück und gehört aktuell zu den beliebtesten und kommerziell erfolgreichsten Musikgenres Deutschlands. Neben anderen sog. ‚Elementen‘, wie zum Beispiel Graffiti oder Breakdance, wird Rap oftmals unter dem Dach der HipHop-Kultur verhandelt, als deren Entstehungshintergrund die New Yorker South Bronx der 1970er gilt (‚Ursprungsmythos‘). Der Legende nach bildete sich die Genre-Figur des Rappers analog zu jener des DJs heraus, dessen Fähigkeiten durch unterhaltsame und belustigende Sprüche kommentiert und so dem Publikum ‚schmackhaft‘ gemacht wurden. Durch die großen Erfolge der „Sugarhill Gang“ (1980), „N.W.A.“ (1988) und anderer Rapper und Rap-Gruppen, entwickelte sich Rapmusik schon bald zur dominanten kulturellen Praxis des HipHop. … Analog zur US-amerikanischen HipHop-Forschung, die die hypermaskuline Pose auch als kompensatorischen und gleichsam empowernden Schutzmechanismus im Kontext von Rassismus dechiffriert (vgl. z. B. Majors/Mancini Billson 1992), gilt es auch deutschsprachige Gangsta-Männlichkeiten verstärkt ressourcenorientiert, d. h. auf der Folie von Bewältigung zu diskutierten. Nicht wenige Beiträge an der Schnittstelle von Migrations- und Männlichkeitsforschung geben Anlass, die Hinwendung zu überhöhter Maskulinität ungleichheitstheoretisch zu rahmen und als „Bewältigungsprinzip der Abspaltung und Projektion von Hilflosigkeit“ im Kontext sozialer Benachteiligung und rassistisch motivierter Abwertung zu deuten (Böhnisch 2013, S. 148). … Eine Reduktion auf den hypermaskulinen Ghetto-Gangsta wird der Komplexität und Vielgestaltigkeit von Männlichkeiten im deutschsprachigen Rap nicht gerecht. Im Gegenteil sind solidarische Subjektivierungsformen seit Anbeginn Teil des hiphop-kulturellen (Subjekt-)Kanons, dessen Entstehung und Akzentuierungen eng mit der Sorge um die Gemeinschaft sowie eine gerechtere Gesellschaft verwoben sind. Obwohl sich der Gangsta-Rapper als hegemoniale Männlichkeit im Rap darstellt, Härte und Coolness die hegemonial-männliche Habituslogik bilden, gilt es Männlichkeiten im Rap verstärkt unter der Prämisse von Wandel zu denken. Alternative Männlichkeitsentwürfe, Liberalisierungstendenzen hinsichtlich homosexueller oder queerer Sprecherinnen und Sprecher, aber auch der steigende Anteil von Frauen im Rap, bringen die männliche Hegemonie derzeit ins Wanken. Vor diesem Hintergrund werden auch nichthegemoniale Dimensionen von Männlichkeit, wie zum Beispiel fürsorgliche Vaterschaft sukzessive erzählbar …“ | Aus: „Vaterschaft, Selbstzweifel, Angeln – Die Care-Seite des deutschsprachigen Rap“ von Heidi Süß (2021) [HipHop/Rap Studies, Cultural Studies, Geschlechter- und Männlichkeitstheorien, Soziale Ungleichheit/Intersektionalität, Migration und Rassismus, Sprach- und Diskurstheorien ] | https://www.heidisuess.de/wp-content/uploads/2021/01/Vaterschaft-Selbstzweifel-Angeln.-Die-Care-Seite-des-dt.-Rap_Suess.pdf
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