[Emotainment, Wortmüll & Meinungssimulanten… ]

„… Um protestieren zu können, so Luhmann, muß man die Verhältnisse „plattschlagen“, dazu dienen die Schemata und vor allem die Skripts, die sich in der öffentlichen Meinung mit Hilfe der Massenmedien durchsetzen lassen.

Schematisierungen und Skripts haben die ebenso banale wie folgenreiche Funktion, auf Probleme hinzuweisen, die dann mit weiteren Schematismen behandelt werden können.

[…] [Doch] war es früher möglich, daß das Fernsehen seinem Publikum ein „Potential gemeinsamen Erlebens“ (Manfred Rühl) bieten konnte, so ist heute der Fernsehkonsument mehr und mehr zum ‘Erfinder‘ seiner eigenen Information geworden. Unter dem Diktat der Einschaltquoten befindet sich das Fernsehen heute in einer paradoxen Situation zwischen Bedeutungsverlust und Machtausweitung.

Zum Bedeutungsverlust: Von Quoten gejagt besteht der Wettbewerb der Sendeanstalten darin, alles der Verborgenheit zu entreißen und ins Studiolicht zu zerren. Mit einem perfektionierten System inszenierten ‘Emotainments‘ produziert das Fernsehen in aufdringlicher Ereignisbeschwörung Erlebnis-, Gefühls- und Beruhigungsprogramme, mit denen die Emotionen der Zuschauer systematisch durchgepflügt werden. Ungezügelter Show-Darwinismus und bedeutungsschwangeres Getue versammeln sich zu einem nichtssagenden Gesellschaftsspiel, das sich auf dem Bildschirm ausgebreitet hat.

In der Beobachtung jener medialen Inszenierungen erinnert vieles an Nietzsche, der in bezug auf die „modernen Ideen“ einst festgestellt hat: „(…) nichts wirkt an ihnen so ekelerregend, als ihr Mangel an Scham, ihre bequeme Frechheit des Auges und der Hand, mit der von ihnen an alles gerührt, geleckt, getastet wird.“ Bei den politischen Talk-Shows zeigt sich das gleiche Bild. Hier werden Meinungen im „six-pack“ angeboten. Wir geben Reinhard Mohr recht, wenn er feststellt, im politischen Infotainment der Neunziger Jahre habe sich eine „revolutionäre Liturgie aus Betroffenheit, Provokation und Endlosdebatte“ etabliert, in der die Meinung als Ware serviert wird, schön verpackt und leicht zu nehmen, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, es gehe um irgendeine Sache, um Wahrheit, Originalität oder die Lösung eines Problems. Durch die Inszenierung „gedichteten Pseudostreits“ und die zänkische Pose eines „glamourösen Politzirkus“, so Mohr, ist es den „Meinungssimulanten professionell gelungen, den wirklichen Diskurs abzuschaffen, den wirklichen Streit unter dem kosmetisch bearbeiteten Wortmüll zu begraben.“

[…] [es] ist darauf hinzuweisen, daß die spezifische Rationalität journalistischer Arbeit stets darin liegt, die Erwartungen der Rezipienten (Leser/ Hörer/ Zuschauer) zu antizipieren, um die Inhalte nach diesen ermittelten ‘Profilen‘ auszurichten. Die Eigenlogik medialer Inszenierungen besteht letztlich darin, daß die Programmstrukturen bzw. die Kommunikationsabsichten gegen Erwartungsstrukturen der Konsumenten ausgetauscht werden: Jedes neue Thema der Medien schafft neue Erwartungen, ein gesehenes Programm animiert zur Rezeption weiterer Programme (z.B. bei Fernsehserien), eine Information weckt Interesse nach weiteren Informationen zum Thema, gänzlich neue Themen schaffen neue Spezialpublika, deren Erwartungen erfüllt werden muß. Zwischen Sender und Empfänger, so Frank Marcinkowski in seiner Untersuchung zur Publizistik, besteht eine zirkuläre Beziehungsstruktur, die letztlich darauf basiert, „wechselseitig ‚Erwartungen zu erwarten‘.“ Publizistik, so Marcinkowski weiter, „ist selbstreferentiell, weil sich ihre Operationen und Prozesse auf sich selbst beziehen, also redaktionelle Entscheidungsprämissen des Journalismus auf Erwartungsstrukturen des Publikums und diese wiederum rekursiv auf erwartbare publizistische Outputs bezogen sind.“

Betrachten wir diesen (jetzt erweiterten) Wirkungszusammenhang von Fernsehangeboten und Konsumentennachfrage, so entdecken wir, daß hier ein selbstreferentielles, ein ebenso frei ‘schwebendes‘ wie geschlossenes Geschmackssystem entstanden ist, und zwar im permanenten Wechsel zwischen Medien und Wirklichkeit.

[…] Der Konformismus, so Botho Strauss, […] ist heute „intelligent, facettenreich, heimtückischer und gefräßiger geworden als ehedem. Das Regime der telekratischen Öffentlichkeit ist die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus der Geschichte. Es kennt keine Untertanen und keine Feinde. Es kennt nur Mitwirkende, Systemkonforme. Folglich merkt niemand mehr, daß die Macht des Einverständnisses ihn mißbraucht.“ Die konstruktiven Mechanismen medialer Inszenierungen offenbaren in ihren kommerzialisierten Verhärtungen die ‘Bodenlosigkeit‘ jeder einzelnen Meldung. Die heutigen Beobachtungen verweisen Adornos und Horkheimers Befund der Standardisierung und Homogenisierung des Massenpublikums in seine ‘x-te Dimension‘. …“

[Aus: Universalität der ‘Bodenlosigkeit‘ – Zur Parallelität der ‘Entwurzelung‘ von Gesellschaft, Subjektivität und Denken – Ein systemtheoretischer Erklärungsversuch (genehmigte Dissertation von Stefan Felte; Referent: Prof. Dr. Helga Gripp-Hagelstange; 1999) / Quelle: bodenlosigkeit.pdf]

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