[Bei aller Lebenslust und Euphorie… ]

Im Telefonverkehr […] setzte sich das von Erfinder Alexander Graham Bell vorgeschlagene ahoy nicht gegen Thomas Alva Edisons hello durch. … [ * ]

Ahoi!
Durchdachte Sätze und ausgefeilte Analysen verwehen bei der Windstärke. Meist sind wir durchschnitten von verschlungenen Widersprüchen und segeln durch die Zeit. Die Dinge die uns passieren hinterlassen Schürfungen und Brüche. Bei manchen ist es offensichtlich. Bei manchen kaum zu erahnen. Dort braucht es selbst bei liebendem Interesse Jahre der Entschlüsselung. Manchmal gelingt es nie. Manchmal dauert es auch nur 15 Sekunden: „Meine Mutter ist verrückt“ sagt der junge Mann mit der Bratkelle in der Hand. Seine lustige Freundin fragt dazwischen: „Sind die Kartoffelpuffer schon fertig?“

Ein anderer junger Mann steht am Grab seines Vaters und flucht. Eine Tochter hat ihren Vater nie kennenlernen dürfen. Dazwischen die Angelegenheiten des Herzens. Die moralische Integrität ist leicht verspielt. Vielleicht sogar als erstes bei denjenigen Menschen, die der eigenen Moral noch trauen.
Lust, Verbot, Gier, Selbstvergessenheit und Überschwang sind die Katz. Die Wahrheit eine Maus.
Ist die Maus verspeist hilft es nicht, wenn sie als Zeuge in den Gerichtssaal gerufen wird. Und wer die Wunde hat, hat die Tränen, wer die Tränen hat – hat Recht – und wie schnell wird aus einem Lamm zu einer anderen Stunde ein Wolf.

Bei aller Lebenslust und Euphorie in meinem inneren Parlament, beobachtet das Kontrollgremium seit Jahren den psychischen Apparat mit nachdenklicher Miene. Dort ist ein Schauplatz, ein Echo-Ort für brenzlige Situation, für jeglich denkbares. Dort entlädt sich die Verarbeitung von Fehlleistungen und von untrinkbaren Interpretationen. Schon kommt ein herbei phantasiertes Messer, eine stumpfe Eisenstange, ein Dolch oder eine Bohrmaschine mit einem 12mm Bohrer und rast ganz unverschuldet – durch meine imaginative Bauchdecke. Es scheint mir als sei dies ein notwendiger Vorgang der eigenen Vorstellungswelt, um das gerade zu bearbeitende Elend zu bebildern und zurück zu spiegeln. Das gerade erdachte Elend ist je nach betrachtetem Moment auswechselbar. Es liegt dieser autoaggressiven Phantasterei ein verspieltes Lächeln bei. Die Funktion dieses Lächelns ist ein Beruhigungsmechanismus und inner-neuronale Selbstverteidigung. Ein Automatismus auch. Ich imaginiere nicht. Eine Vorstellung kommt eher über mich. Ohne Rücksicht auf das, was gerade um mich herum passiert. Es ist eine Parallelität von Erlebnis – während der Imaginationsautomat in den Schleudergang schaltet und man gleichzeitig durch eine herbstlich verträumte Einkaufstraße läuft.

Dauernd treffen wir Menschen. Es geht ja nicht ohne Zusammentreffen. Ich wäre ja kaum ein Menschen, würden ich nicht dauernd mit jemanden zusammentreffen. Ohne Zusammentreffen hätten wir keine Sprache, vielleicht nicht einmal einen Faustkeil. Mir ist in letzter Zeit bei manchen Zusammentreffen – auch wenn sie nur Sekunden dauern – so als ob sie für ein ganzes Buch reichen würden. Gerade dadurch, das sich noch so vieles erraten und ausmalen lässt, da man sich nicht wortreich gezeigt hat.

Und ist es möglich, das es einen Mechanismus gibt, der uns Menschen, gerade wenn uns etwas aus dem Leben überrumpelt – also von hinten überfährt – das gerade dann ja vor lauter Verwunderung und Schrecken, Freude oder Überraschung die Worte (die es doch so dringend bedurft hätte) fehlen. Warum wird die Strategie sich selbst um Kopf und Kragen zu reden nicht als erstrebenswert erachtet?

Durch den Herren XYZ wurde ich aufgeklärt, das in den Mittagspausen in den Aborten nahe den Montagehallen lauthals gestöhnt und gemeinsam ausufernd gefurzt wird. In Diesem Stöhnen entfährt dann die ganze Verficktheit der köperlichen Entkräftung, der zwischenmenschlichen Entbehrung – und die nur noch dumpf bewußte Wut ob der Situation in der man steckt. Kein Ort für Zartgefühl, Empfindsamkeit und Sentimentalität wenn der Körper und die Seele zwischen der Zeitübertaktung, den Arbeitsgeräten und dem Akkord zerschunden werden.
Morgens um 5:13 auf der Anfahrt holt ein Kollege A den Kollegen B ab – um dann in einem Fiat Punto den geistverätzenden Kindertechno noch lauter zu drehen. Jede noch nicht zertretene Gedankenkraft wird anschließend vom Werkshallenstaub überrieselt. Für XYZ ist das nun schon längst vorbei. Nun werden Botschaften von Haustür zu Haustür überbracht. Treppen hinauf – Treppen hinunter. Bei Regen, Sonne und Wind.

Es war vor Jahren, da springt eine Junge Frau aus Verzweiflung aus dem Fenster. Der Fuß ist verletzt nach dem Sprung. Eine Freundin besucht die Freundin in der Klinik. Sie war auch echt seltsam sagte jemand. Aber was war seltsam? (Echo: seltsam, seltsam, seltsam… )

Eine Mutter lebt – damit, das sich 2 ihrer Kinder selbst das Leben beendeten. Ich dachte sofort: niemand maße sich an auch nur irgendetwas schlaues darüber zu denken (ein Widerspruch in sich, denn ich hatte durch eben diesen Gedanken spontan etwas dazu gedacht). Hilflos fühle ich mich zur Dummheit verdonnert. Und zurück zucken und schreien wird der Körper wenn jemand hilflos und nett versuchen sollte zu trösten. Keiner kann da trösten.

Die andere Frau erzählt von ihren Vergewaltigungen. Am Telefon – und wie sie sich derer schämte – letztendlich schämte sie sich ihrer selbst wegen (!) – anstatt vor Wut auf die Männer juristisch zurück zu schlagen. All das ist schon lange her. In der Psychiatrie sind kaum noch Betten frei.

Wir leben zusammen in einem Irrenhaus voller komischer, voller kosmischer Zufälle, abgrundtiefen Verletzungen und ausufernd enthobenen Entzücken. Jeder hat einen ganz anderen Startpunkt im Leben. Begleitumstände. Das alles passt oft nicht zusammen.

Affekte bleiben. Die Abgründe bleiben. Das hilflose Lächeln wird müde. Aber ich könnte meinen simulierten seelischen Doppelgängerkörper vor dem virtuellen Dolch verschonen – ihn dieses mal zur Abwechslung in die Hand nehmen und gegen eine beliebige Betonmauer der Innenstadt schmeißen. Ihn wachrütteln. Mich wachrütteln. Mal sehen ob es hilft. Und dann innehalten – über mich selbst lachen.

Oder wir lauschen dem Flüsterton des So-ist-die-Welt-Geplapper. Aus den Werbeplakaten kommt der Schwachsinn herausgeschnottert: im Sommer wird gegrillt und es gibt Bier zum Fußball. Es brüllt aus den Fenstern in den Hinterhof wenn jemand ein Tor schießt. Ein alter Mann geht mit seiner Gehilfe auf dem Bürgersteig. Schweigen wir uns zusammen die Normalität herbei. Und wurde etwas gestern gesagt, so kann ich schon heute auf diesen Worten ausrutschen. Ein jeder Satz lädt mit einer Kadaver-Interpretation zum Schmaus.

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