Joseph Joubert „Es steckt oft mehr Geist und Scharfsinn in einem Irrtum als in einer Entdeckung.“ – Gedanken, Versuche und Maximen // Roman Bucheli (5.7.2018): “ … Erst 1838, vierzehn Jahre nach Jouberts Tod, erlaubte dessen Witwe Chateaubriand, eine Auswahl der Fragmente für einen kleinen Kreis von Freunden herauszubringen. Weitere hundert Jahre dauerte es, bis 1938 erstmals Jouberts sämtliche Journale in einer Ausgabe erschienen, welche die Hinterlassenschaft authentisch abbildete und nicht nur eine thematisch sortierte Blütenlese präsentierte. Nun erst entdeckte man die Ausmasse dieser über Jahrzehnte geführten intimen Chronik. Rund 1300 eng bedruckte Seiten dokumentieren den Tumult des Denkens. … Das Journal ist ihm nicht Rückzugsort, es bietet ihm den Resonanzraum, den er braucht für sein Abenteuer des Denkens: «Diese Gedanken, die uns plötzlich kommen und die noch nicht uns gehören.» … Natürlich kann die Ausgabe diesem überwältigend disparaten Werk in keiner Weise gerecht werden. Und natürlich erscheint Joubert hier als Aphoristiker, der er nicht war. Trotzdem vermittelt die Auswahl eine Vorstellung von der unerschöpflichen, unerschrockenen Sprunghaftigkeit dieses Denkens, dem nichts fremd und nichts zu trivial ist, das sich an allem ausprobiert, was sich ihm entgegenstellt. Joubert glättet das Durcheinander nicht, weil das unordentliche Denken doch stets die Regel und die Ordnung nicht die Ausnahme, vielmehr meist nur schöner Schein ist. Die eine oder andere Sottise [Unsinn, Dummheit, Quatsch, Albernheit, Affront, Grobheit] blitzt dann auch in diesem somnambulen Chaos auf: «Voltaire hat Schlittschuhe. Er gleitet elegant über die Oberflächen. – Er sieht den Grund, stösst aber nicht zu ihm durch.» ….“ Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/die-grosse-kunst-kein-buch-zu-schreiben-aus-joseph-jouberts-notizen-ld.1400533
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Gerald Heidegger (12.11.2015): “ … Alles fällt bei Barthes schließlich in Lacans Konzept vom Imaginären zusammen – also jenem System, in dem Selbstbild, Selbstidentifikation, aber auch Verkennung und Täuschung liegen sowie Phantasma und Begehren. Die Art, wie Barthes seine Zeichentheorie immer in Bereichen von halluzinatorischer Subjektivität stranden lässt, wird ihn nie ganz im wissenschaftlichen Feld heimisch machen … Barthes richtet den Blick auf Begehren und Phantasma auf der einen Seite und auf Bedeutungszusammenhänge von Alltäglichkeit auf der anderen. „Barthes“, so schreibt seine Biografin Tiphaine Samoyault, […] kombiniere das „Phantasma mit einer ethnografischen Absicht: Auch bei ihm überschwemmt die Beschreibung des Alltäglichen das formale Projekt. Sie entspringt einer Vorliebe für das Nahe, für das banale Ereignis (…) und wird verstärkt durch sein Interesse (…), wie Menschen ihre Umgebung erobern, indem sie ihr Sinn geben.“ Barthes schaut etwa auf Details der Kleidung und liest diese als spezielles Zeichensystem: Alltäglichkeit unterminiere das Verhältnis zwischen bedeutend und unbedeutend … In seinen Analysen zur Sprache der Mode oder der Werbung erscheint Barthes zeitweilig wie ein europäischer Weggefährte eines Herbert Marshall McLuhan und seinen Aufschlüsselungen zu den Ordnungen des elektrischen Zeitalters, wie es etwa in der „Mechanischen Braut“ unternommen wird. … Barthes, der beharrliche Arbeiter und kultivierte Müßiggänger, hatte es nach dem Essen mit Jack Lang und Mitterand an dem späten März-Mittag eilige. Für seine nächste Lehrveranstaltung über Proust und die Fotografie wollte er einen Projektor organisieren. Möglicherweise ließ sich Barthes von seinen Ideen und Sätzen wegtragen, als er beim Überqueren der Rue des Ecoles von einem Lieferwagen niedergefahren wurde. Ein Monat nach dem Unfall starb Barthes an den Folgen innerer Verletzungen, die er bei diesem Unfall erlitten hatte. …“ | https://orf.at/stories/2308564/2308590/
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Ulrich Rüdenauer (13.04.2005): “ … Brinkmann … „Keiner weiß mehr“ erscheint 1968 und gewährt einen geradezu obszön offenen Blick aufs eigene Ich, eine akribische, besessene Bestandsaufnahme eines falschen Lebens im falschen. … Am 23. April 1975, gerade 35 Jahre alt, wird er beim Überqueren einer Straße in London von einem Auto überfahren. Er stirbt noch an der Unfallstelle. … „…die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, die Fahrstühle machen weiter, die Häuserwände machen weiter, die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter.“ …“ | https://www.deutschlandfunk.de/der-grosse-aussenseiter.700.de.html?dram:article_id=82244
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