Wie schwindelerregend kurzzeitig ist der Orgasmus und die konkrete Liebe gegen den langen unterschwelligen Rausch, den die verdeckte Begierde unter den Teppich kehren kann. Genau dort kann all dies Material jahrelang herumliegen und übersehen werden. Die Essenz ist geistig kaum zu greifen, ist flüchtig, ist virtuell, liegt aber wie unbehauener Marmor im Abklingbecken des Gefühls. Wo kommt das Material her? – Es sammelt sich über die Zeit von überall und nirgends. Es sind zufällige wie auch kurze Begegnungen, drei vier Worte und ein paar Blicke. Meist hat fast alles nichts zu bedeuten und deutet auf fast nichts hin.
Und ich will morgens (bin gerade erst halb wach) unter der Dusche nicht an die Steine eines versunkenen Geröllhaufens denken. Ich will gar nicht wissen, welche Form diese Brocken haben und wie groß sie sind. Aber unter der Dusche denkt der Kopf manchmal ohne den Besitzer zu fragen einfach drauf los. Jeder Gedanke ein kleines Phantasma, eine schlichte Verwirrung oder eine winzige Halluzination. Gerne erzähle ich mir kleine Lügen um etwas zum grübeln zu haben. Und wie klein kann der Anlass sein. Wie kurz der Moment auf den sich Vorstellungen beziehen. Da war ein Blick nur mit freundlicher Anspruchslosigkeit getränkt. Doch dann wird er offener. Da steht für eine halbe Sekunde die Geste der Auslieferung wie eine Öffnung im Raum. Ist das ein Aufblitzen von wirklicher Nähe? Die Zeit dehnt sich. So eine Situation kann nicht nur die Zeit verlangsamen sondern auch den Kopf kosten. Eben noch fremd mit einem Menschen, schon können wir die Luftpost der Seele lesen.
Hinter einer Situation von sachlichen Schlichtheit lauert manchmal eine Art Auslieferung, Hingabe, Selbstaufgabe, Abtretung, Auflösung, Verschlagenheit und Lust. Ich hege keine Skepsis dem Genuss gegenüber. Mag jeder lutschen, küssen, lieben, empfinden und stöhnen wie, wo und so oft er mag. Aber für einen bestimmten Grad von Abstufung der Entsagung spricht der Fakt, dass letztendlich jeder wirkliche Nähe zu einer echten Verschmelzung führt. Hierauf folgt die unwiderrufliche Veränderung der Bedeutungen (man kann, bei der Entscheidung ob man den anderen wirklich treffen will – egal ob man ein Mann oder Frau ist – eben nicht ein bisschen schwanger sein!). Und danach: die Rückwege werden auch von der Logik der Gefühle grimmig bewacht.
So bleibt die Entscheidung bei uns, wie weit wir den Ausdruck des Blicks zu beschränken bereit sind. Wir entscheiden, wie weit wir uns bei mehrdeutigen Gefühlen reduzieren. So entgehen wir leichter der Ergreifung auf den Allgemeinplätzen durch die Sicherheitskräfte der Vernunft. So droht keinem die Inhaftierung des Gefühls. Keinem packt die kalte Selbstablösung. Keiner stolpert über seine Widersprüchlichkeit in den Scherbenhaufen den man in Zukunft hinterlassen würde. Keiner bedroht die Contenance der Gefühle der beteiligten. Es braucht dann kein atemloses aufeinander prallen, keine horizontalen Übereilungen. Es gibt nichts zu bereuen. Und später dann – wenn langsam das klare Denken die Oberhand gewinnt, wenn wir nicht mit dem Kopf gegen die Wand schlagen mussten, dann sind wir vielleicht für einen kleine Augenblick über irgendeinen Punkt in unserem Inneren nur noch leicht amüsiert und verwundert. Dort gibt es also einen Ort den ich selbst nicht kenne und nicht kennen kann. Ein Ort, wo wir im Schummerlicht kaum unsere Gesichter sehen können, wo wir haltlos in der Bestimmung von Gefühlen sind, weil die Gefühle erst noch Zeit brauchen und später kommen werden, weil da Bodennebel in unserem Psychischen Apparat zugegen ist, da der Tag noch gar nicht angebrochen ist.
Als Konsequenz aus den Duschbrausen-Halluzination, kann ich immerhin mit den Fingern schmunzelnd die Abstufungen der Enthaltsamkeit auf den beschlagenen Kacheln vermessen.
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