): “ … Die Wahrheit liegt in dem, was wir verschweigen. … “
Quelle: https://muetzenfalterin.wordpress.com/2021/08/26/43-3/
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Tanja Angela Kunz („Die Windmühle des inneren Käfigs„): “ … Als der deutsche Pathologe Dr. Rudolf Virchow Ende des 19. Jahrhunderts betonte, er habe bei all seinen Sektionen nie eine Seele gefunden, war die stofflose Ichvorstellung längst durch Hume, Locke, Kant und Schopenhauer sukzessive in Zweifel gezogen worden. Die Skepsis gegenüber dem Vorhandensein eines Seelenstoffs hat sich seitdem in Medizin und Philosophie immer weiter fortproduziert. Das die abendländische Geistesgeschichte seit Platon und Aristoteles begleitende Leib-Seele-Problem wird somit auf maximal pragmatische Weise zugunsten des Leibes zu lösen versucht. … Peter Strassers Sachbuch [Diktatur des Gehirns. Für eine Philosophie des Geistes. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014] [scheit] das Zeugnis eines inneren Kampfes zu sein, eines Kampfes zwischen der Akzeptanz einer säkularisierten und entmystifizierten Welt und einer Sehnsucht nach Bedeutung verleihender und sinnstiftender Transzendenz. Dieser Kampf, der sich im Schwanken zwischen der Absage an einen göttlichen Geist und der Mutmaßung des möglichen Vorhandenseins eines Gottes zeigt, steht sicherlich vielen heutigen Lesern näher als jeder Naturalismus. Wer möchte einerseits als ungebildet gelten, weil der noch im Urknall ein göttliches Walten vermutet? Und wer ist andererseits bereit, sich selbst als seelenlose physikalische Gegebenheit zu akzeptieren? Dass letztlich kaum etwas so ist, wie es scheint, dass die Illusion unser engster Begleiter und die Unverfügbarkeit unser innerstes Gesetz ist, mag kaum jemand zu bestreiten wagen. Doch die Übermacht der Hirnphysik, so viel sie auch an Wissen bereit zu halten scheint, erweitert sich letztlich in einen Abgrund der Ohnmacht. Dies zumindest dann, wenn man zu glauben beginnt, dass die Aufschlüsselung des zerebralen Systems das Geheimnis des Lebens entzaubern könnte. Doch „draußen“ setzt sich der Solipsismus beharrlich fort. Peter Strasser setzt dagegen den aus naturwissenschaftlicher Perspektive heroisch-tragischen Versuch, das Unmaterialisierte, Unnachweisliche als ein „Mysterium der geisterfüllten Anschauungsrealität“ zu beschreiben. Eine zum Scheitern verurteilte Unternehmung, bei der dem Verfasser letztlich eine ganze Armee von Literaten aller Zeiten den Rücken stärkt; denn sie stellen sich seit je dem Versuch, das Unsagbare sagbar zu machen. Vielleicht liegt der einzige Unterschied darin, dass man es von jenen erwartet oder duldet. Dieser hingegen fällt leicht dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit anheim, wobei anzumerken bleibt, dass ein solcher Vorwurf höchstens als einer der ‚Trans-Naturwissenschaftlichkeit‘ Gültigkeit beanspruchen kann. Und spricht nicht gerade die Tatsache, dass die Neurowissenschaften bislang kein ‚Ich-Areal‘ im Gehirn lokalisieren konnten und damit auch nichts, was in seine physikalisch-chemischen Elemente zerlegbar wäre, für einen weiter bestehenden Transzendierungsbedarf durch Kunst und Philosophie? Es ist ein Verdienst des Verfassers, in seinem Buch die schwerwiegende, nicht zuletzt auch aus ethischer Perspektive gefährliche Reduktion herausgearbeitet zu haben, die in einer zirkelhaften Anthropologie der Hirnforschung begründet liegt. Und gerade deshalb ist Peter Strassers Stimme aus philosophischer Perspektive bedeutsam im Kampf gegen die Windmühle des inneren Käfigs. …“ | https://literaturkritik.de/id/20124
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