Schlagwort: Psychoanalyse … als Erbe der Romantik

[Aufklärung und Wirklichkeitsbezug #4 ]

“ … Nicht nur die öffentlichen Diskurse, sondern auch die Seelen der Menschen sind eine Kampfstädte … Allerdings gab es für den einzelnen durchaus noch Orte, wo [ ] verworfene Sprechakte zugelassen wurden: Die Artikulationsstätte des verbotenen bösen Wortes war die Beichte, der Wahnsinn fand seine delirösen Freiräume in den Irrenanstalten, die dunklen Augenblicke des >>Unwahren<< gehören zu der abendlichen Praxis, da sich Menschen Märchen, Sagen, Legenden erzählen.
Diese alte Ordnung ist im 18. und 19. Jahrhundert durch eine andere Instanz und durch neue Diskurstypen gesprengt worden: Die Instanz war der Autor, der sich an den Platz Gottes und an die Stelle der Kommentatoren seiner Offenbarung, der Priester und Pfarrer, begeben hat. Der Autor ist der Bezugspunkt der Veränderung: Das Tagebuch, die Autobiographie verdrängen die Beichte, und die poetische Erfindung, der Roman, hat die alten Ausschließungen des Bösen, des Wahnhaften und des unwahren wirkungslos werden lassen. Die Psychoanalyse, die in mancher Hinsicht das Erbe der Romantik angetreten hat, lässt nun tendenziell jeden Menschen unter dem Zeichen des Leidens zum Autor werden. …“ | Buchstück aus: „Mythos und Moderne“ (S. 212): Manfred Schneider: Über den Grund des Vergnügens an neurotischen Gegenständen – Freud, C.G. Jung und die Mythologie des Unbewussten | [Herausgeber: Karl Heinz Bohrer, geboren 1932 in Köln, Suhrkamp 1. Edition (1983)] // –> https://d-nb.info/947091548/04 // Manfred Schneider: https://www.ruhr-uni-bochum.de/neugermanistik2/SchneiderBiblio.html