Schlagwort: Hannah Arendt

[Arbeit am Mythos #2 … ]

Aus: Das Netz der Kultur: der Systembegriff in der Kulturphilosophie Ernst Cassirers
von Michael Bösch (2004)

Katrin Hillgruber (05.06.2020): “ … 1914 veröffentlichte der glühende Monarchist Thomas Mann seinen ersten Essay „Gedanken im Kriege“ [1914 war Thomas Mann noch überzeugter Monarchist]. Sein älterer Bruder Heinrich dagegen trat entschieden für die Republik und die Verständigung mit Frankreich ein. Dieser Streit entzweite die Brüder. …“ | https://www.tagesspiegel.de/kultur/die-politische-genese-eines-autors-wie-thomas-mann-zum-demokraten-wurde/25888014.html

Mark Siemons (31.08.2020): “ … Ob es nun um Corona, Flüchtlinge, Identitätspolitik oder in Amerika um Trump geht: In vielen Konflikten bewegen sich die entgegengesetzten Lager in so verschiedenen Kommunikationswelten, dass sie einander wechselseitig nur noch als Ergebnis von Verschwörungen deuten können, und mithin als für Argumente und Fakten nicht mehr erreichbar. Nicht nur der gemeinsame Boden dessen, was als wirklich gelten kann, bricht da weg, sondern offenbar auch der Boden einer von allen geteilten Rationalität, innerhalb derer ein Streit unterschiedlicher Auffassungen überhaupt möglich wäre. Die Berufung auf eine universelle Vernunft wird da vielfach schon als besonders infamer Trick der Gegenseite diskreditiert. Statt dessen dienen Begriffe und Ideen nur als Duftmarken, mit denen die einzelnen Lager sich und ihr Gegenüber identifizieren, als Medium nicht der Diskussion, sondern der wechselseitigen Abschottung. …“ | https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/neue-wege-der-diskurs-guerilla-jetzt-hilft-nur-noch-verwirrung-16928541.html

(15.08.2020): “ … „Die Mehrheit der weißen Evangelikalen erwartet die Rückkehr Christi innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre“, sagt der Religionssoziologe [Philip Gorski]. Sie würden in der Zeitgeschichte nach Zeichen für bevorstehende Ereignisse deuten und die bevorstehende „Endzeit“ wortwörtlich als Kampf zwischen Engeln und Dämonen und auf Erden zwischen Gut und Böse verstehen. In der Covid-19-Pandemie sehen viele die Rache Gottes für die Sünden der USA, allerdings nicht für Sünden gläubiger Christen, sondern jene der [Progressiven], der Humanisten, Atheisten, Säkularisten. …“ | https://www.deutschlandfunkkultur.de/religionssoziologe-ueber-evangelikale-christen-manche.1270.de.html?dram:article_id=482428

„… alles Denken wie alles sinnliche Anschauen und Wahrnehmen ruht auf einem ursprünglichen Gefühlsgrund …“ | Aus: „Die symbolische Existenz des Göttlichen: Mythos und Religion bei Ernst Cassirer“ Oswald Schwemmer, Humboldt-Universität zu Berlin (2011)

“ … So wichtig das Fühlen ist und so eindeutig die Abspaltung des Gefühls im Rationalismus zu verurteilen ist, so gefährlich ist eine rein gefühlsmäßige Beurteilung politischer Zusammenhänge. … „Mythos“ bedeutet eine Art schicksalsgegebene, idealistische Vorstellung von Einheit, Energie, Bedeutung einer bestimmten Sache. Beispielsweise kann die Vorstellung von „Volk“ mythisch sein, nämlich eine schicksalhafte oder gottgegebene, durch Blutsverwandtschaft und geografische Herkunft („Blut und Boden“) begründete Gemeinschaft, die durch Affekte und sentimentale Vorstellungen getragen wird. Hier zeigt sich auch die unheilvolle Nähe von Mythos und Gefühl. … “ | Aus: „Revolution, Diktatur und Verschwörung – die spirituelle Szene auf politischen (Ab-)Wegen“ von Ronald Engert (29. August 2020) | Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Revolution-Diktatur-und-Verschwoerung-die-spirituelle-Szene-auf-politischen-Ab-Wegen-4877128.html?seite=all

(24.08.2020):“ … Auf Facebook veröffentlichte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl ein Posting mit den Worten, dass der ehemalige FPÖ-Chef eine „Marionette des rot-schwarz-grünen Systems“ sei. Die Reaktionen darauf fielen für Kickl nicht allzu positiv aus. … Auf Nachfrage sagte Strache, dass die Emotionen mit ihm durchgegangen seien und er den Tweet mittlerweile gelöscht habe. „Ich glaube, das ist allen schon mal passiert“, erklärte er. …“ [tarantoga 1 24.08.2020: “ … und das waren vor 15 monaten der vize-kanzler und der innenminister! …“ …] | https://www.derstandard.at/story/2000119556825/strache-und-kickl-liefern-sich-schlammschlacht-in-sozialen-netzwerken


Manuela Honsig-Erlenburg (24.8.2020): “ … Die ausgebildete Juristin und Meinungsforscherin Kellyanne [[ihr] verdankt die Welt [die] Wortschöpfung, … der „alternativen Fakten“, mit der Conway kleine und große Unwahrheiten umschrieb, derer Trump regelmäßig überführt wird] kämpfte […] für den US-Präsidenten in vorderster Reihe, während sich George zum erklärten und medial aktiven Trump-Feind entwickelte. Trump revanchierte sich mit dem Sager, seine Beraterin habe einen „Ehemann aus der Hölle“. …“ | https://www.derstandard.at/story/2000119557655/kellyanne-conway-erfinderin-der-alternativen-fakten-geht
[ Prolaps 2 (25.08.2020): Ist das alles was Sie sagen können?! – Die Dame hat mehrere Kinder großgezogen und – nebenbei gegen den mainstream angekämpft, dessen Opfer Sie werden mussten ]
[Ahab Abraham (25.08.2020): “ … Die Dame war Chefin einer Propaganda-Maschenerie, die Lügen verbreitete, um die politische Führung von Superreichen zu rechtfertigen. Der „Mainstream“ hat ihren Chef, einen narzistischen Egomanen mit der menschlichen Reife eines pubertierenden Einzelkindes zum mächtigsten Mann der Welt gewählt. Aber interessant zu sehen, wie sich sogar österreichische Standard-Poster der Trumpschen Polemik und Opferumkehr bedienen.]
[ 24.08.2020: “ … Am Sonntag schrieb Claudia Conway in einer Reihe von Tweets, dass sie sich von ihren Eltern rechtlich emanzipieren wolle. Der Grund: „Der Job meiner Mutter hat mein Leben zerstört. Es bricht mir das Herz, dass sie weiter diesen Weg geht, nachdem sie ihre Kinder jahrelang hat leiden sehen. Selbstsüchtig. Es geht nur um Geld und Ruhm.“ Der Tweet verbreitete sich daraufhin rasend im Netz. Auf Tiktok formulierte die 15-Jährige ihr Vorhaben noch einmal dramatischer: „Ich habe gerade herausgefunden, dass meine Mutter beim Republican National Committe spricht. Das war’s. Ich bin raus. Die Weglauf-Phase eins startet morgen.“ …“| https://www.jetzt.de/politik/trump-beraterin-kellyanne-conway-verlaesst-donald-trumps-team]

“ … Zeitgenössische Mythen … Eng verwandt mit Mythen sind moderne Sagen (Urban Legends), Hoax sowie auch Verschwörungstheorien. Sie werden meist zu einem bestimmten politischen, psychischen oder sozialen Zweck konzipiert und tradiert. Während Legenden ursprünglich den (im Lauf der Erzähltradition modifizierten) Lebenslauf eines/einer Heiligen zum Kern haben, ist eine Sage „eine volksläufige, zunächst auf mündlicher Überlieferung beruhende kurze Erzählung objektiv unwahrer, oft ins Übersinnlich-Wunderbare greifender, phantastischer Ereignisse, die jedoch als Wahrheitsbericht gemeint sind und den Glauben der Zuhörer ernsthaft voraussetzen.“ (Gero von Wilpert) …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Mythos#Zeitgen%C3%B6ssische_Mythen (24.08.2020)

Anna Sauerbrey (21.08.2020): “ … Der mythologische Modus bedeutet das Ende von Politik – die Desintegration des politischen Universums. …“ | https://www.tagesspiegel.de/politik/gefaehrliche-rhetorik-beim-parteitag-us-demokraten-folgen-donald-trump-in-den-mythos-modus/26116188.html

Klaus Ungerer (19.08.2020)“ … Was [ ] passiert, wenn jemand den Mythos Mythos sein lässt, um sozusagen der Menschwerdung zu frönen? Da kann man dann erstaunliche Dinge erleben. Zuletzt bewies das ein Interview mit Jared Huffman, dem „Humanist of the Year“ in den Vereinigten Staaten. Der Politiker entschied sich vor einiger Zeit, entgegen den intensiven, mahnenden Flüsterstimmen aller seiner Freunde und Berater, einen wirkmächtigen Mythos zu ignorieren: In den USA könne niemand erfolgreich Politiker sein, der sich als nicht-religiös bekenne. Wie mächtig dieser Mythos ist, beweist ein Blick auf den US-Kongress. Alle Abgeordneten dort bekennen sich zu irgendeiner Religion, zu irgendeinem göttlichen Wesen, das sie leite. Manche Abgeordnete drucksen auch rum und nuscheln ein bisschen halbgares Zeug, weil sie, wie es für verantwortlich handelnde Erwachsene normal sein sollte, eben nicht an unsichtbare Dinge glauben, sich das aber nicht zu sagen trauen. Anders also Huffman. Da ein innerer Drang ihn einerseits zur Vernunft und andererseits zur Ehrlichkeit anhielt, hatte er 2017 sein Coming-out und bekannte öffentlich, dass er an all die unsichtbaren Dinge, an die viele zu glauben vorgeben, eben nicht glaube. Und dann? Was passierte dann? Dann passierte eher gar nichts. Kein Blitz vom Himmel traf Jared Huffman, kein Heuschreckenschwarm verspeiste sein Haus, ja, nicht einmal die Wähler schienen abrücken zu wollen von ihm. … Oft sind die Menschen nämlich viel weniger dumm, als der Mythos sie machen will. …“ | https://hpd.de/artikel/mythen-und-menschen-18382

“ … Der Mythos schafft Wissen durch Erzählung im Gegensatz zur wissenschaftlichen Erklärung. Diese von Aristoteles zur Einteilung der Wissenschaften gebrauchte Unterscheidung wird im 19. Jahrhundert von der Romantik als Reaktion auf den Vormarsch der Naturwissenschaften zu einer Rechtfertigung des Erzählens gegenüber dem Erklären, oft verbunden mit einem romantischen Glauben an die Existenz und Relevanz von Volksmärchen oder Volksliedern. Die mündliche Überlieferung von Mythen wurde daher oft als Beleg für gemeinsame Autorschaft und uraltes Einvernehmen eines „Volks“ gesehen. … Mit dem Begriff Mythos wird seit dem 19. Jahrhundert oft die Vorstellung einer wiederholten Bestätigung im Erleben und Erzählen verbunden, die sich einem linearen Zeitbegriff und einem Fortschrittsdenken entgegenstellt. … Nietzsche prägte das Wort von der „ewigen Wiederkunft“ (1888). Thomas Mann definierte das Wesen des Mythos als „zeitlose Immer-Gegenwart“ (1928). Er sei „vorbewusst“, „denn Mythos ist Lebensgründung: er ist das zeitlose Schema, die fromme Formel, in die das Leben eingeht, indem es aus dem Unbewussten seine Züge reproduziert“ … “ | https://de.wikipedia.org/wiki/Mythos#Romantik_und_19._Jahrhundert (August 2020)

Lukas Hammerstein (13.07.2020): “ … Das Schlachtfeld dieser Tage liegt draußen im Flachland der Kultur. In den USA kämpft Black Lives Matter gegen weiße Rassisten, Europa ringt mit dem bösen Erbe der Kolonialzeit. Identität – Zugehörigkeit ist jetzt das große Thema. … Nicht dass es „denen da oben“ wirklich um Kultur ginge, wenn sie um die Hoheit über die Köpfe und Herzen ihrer Wähler kämpfen. Sie tun natürlich nur so – hetzen auf, schweißen zusammen, erzeugen ein heißes Wir-Gefühl. Und wir? Streiten und ereifern uns mit. … Natürlich, es gab den historischen Kulturkampf im 19. Jahrhundert. Doch davon reden jene Politiker nicht, die uns weismachen wollen, alles sei eine Frage von Zugehörigkeit und Kultur – Identität. Als könne man rechts von links und böse von gut trennen. Als sagte es irgendetwas über den Wert von Menschen aus, woher sie kommen. …“ | https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/jazz-und-politik/kulturkaempfe-normative-kraft-des-anderen-100.html

Frank Herrmann (25.8.2020): “ … Die „Grand Old Party“ hat sich gewandelt. Das betrifft das Spitzenpersonal, die Themen und auch die Wählerschaft, die selbst eine unpopuläre Politik zu stützen bereit ist, wenn sie damit Donald Trump stützt … Wie es dem Milliardär gelingt, den Champion der weißen Arbeiterklasse zu geben – die Politikwissenschafter Jacob Hacker und Paul Pierson haben dem Phänomen ein Buch gewidmet, das sich mit Blick auf die Wahl im November als Pflichtlektüre empfiehlt. In „Let Them Eat Tweets“ versuchen beide einem Widerspruch auf den Grund zu gehen. Denn im Praktischen betreibt Trump eine Politik, die den Interessen der Arbeiterschaft konträr zuwiderläuft. Von Steuersenkungen, die er im Bunde mit seinen Republikanern, auch denen der alten, nichtpopulistischen Schule, durchs Parlament brachte, profitierten in erster Linie die reichsten Amerikaner. Zu vier Fünfteln kam die staatliche Großzügigkeit dem obersten Prozent der Wohlstandspyramide zugute. Nach Umfragen zu urteilen fand und findet sich dafür in den Ortsvereinen der Konservativen keine Mehrheit.
Doch trotz einer offensichtlich unpopulären Politik, schreiben die beiden Autoren, stimmen viele Millionen mit allenfalls bescheidenem Wohlstand nicht nur an der Wahlurne für diese Partei. Sie legen ihr gegenüber eine Treue an den Tag, die an die Loyalität innerhalb eines Stammesverbands denken lasse.
Was sie für den Hauptgrund halten, fassen Hacker und Pierson in zwei Sätzen zusammen. „Sachthemen, ob ökonomische oder soziale, haben weniger Wirkungsmacht als Identitäten. Es ist die Identität, die Annahme, zusammenzustehen im Angesicht einer Bedrohung, die wirklich mobilisiert.“ … Diese Identität verbinde sich dann mit anderen, die seine Partei ebenfalls betone: „christlich-konservativ, Waffenbesitzer, wohnt auf dem Land oder in einer Kleinstadt, glaubt an traditionelle Geschlechterrollen“. … “ | https://www.derstandard.at/story/2000119565894/us-republikaner-mit-trump-zurueck-am-protektionistischen-ausgangspunkt

Alexander Jürgen Grau (26.11.2019): “ … War bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Kritik an den Eliten im Grunde nichts anderes als Kritik an deren ökonomischen und sozialen Privilegien, so hat die aktuelle Elitenkritik Züge eines Kulturkampfes. Hier geht es nicht um ökonomische Ausbeutung, um Chancengleichheit oder auch nur Gerechtigkeit, hier geht es um kulturelle Deutungshoheit. … Da in diesem Kulturkampf der Spätmoderne nicht einfach nur Werte aufeinanderprallen, sondern unvereinbare Konzepte von Werteressourcen, ist eine Verständigung zwischen den Lagern nur schwer möglich. Oberflächlich betrachtet, sprechen beide noch dieselbe Sprache, faktisch benutzen beide Milieus aber ein eigenes Idiom, das sich in das Idiom der Gegenseite nicht mehr übersetzen lässt. Assoziiert zum Beispiel der eine mit der traditionellen, intakten Kleinfamilie Geborgenheit, Wärme, Liebe und Zuwendung, so verbindet der andere damit Enge, Heuchelei, Abhängigkeit und Diskriminierung. Beide Sprachwelten sind schlicht unvereinbar. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sich die Risse, die sich in den westlichen Gesellschaften zeigen, tatsächlich kitten lassen, eben weil es im Kern um sich ausschließende Lebensentwürfe und Kulturkonzepte geht. …“ | https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/elitenkritik-so-weltoffen-so-borniert/25261602-all.html

“ … Symbole im Verständnis Cassirers sind [ ] auch „Funktionen“, mittels derer „je eine eigentümliche Gestaltung des Seins und je eine besondere Teilung und Scheidung desselben sich vollzieht“. Sie sind „aus dem Strom des Bewusstseins „sich heraushebende bestimmte gleichbleibende Grundgestalten teils begrifflicher, teils rein anschaulicher Natur“, kraft derer an „die Stelle des verfließenden Inhalts“ die „in sich geschlossene und in sich beharrende Einheit der Form“ tritt. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise die Kunst, der Mythos oder die Religion „in eigentümlichen Bildwelten (leben), in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie vielmehr nach einem selbstständigen Prinzip hervorbringen“. Jede symbolische Form ist demnach ein „Weltbild“ und als solches „nur möglich durch eigenartige Akte der Objektivierung, der Umprägung der bloßen ,Eindrücke‘ zu in sich bestimmten und gestalteten, Vorstellungen“ …“ | Aus: „Die Wirkungsmacht des Symbolischen – Von Cassirers Philosophie der symbolischen Formen zu Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen“ | Zeitschrift für Soziologie, Jg. 34, Heft 2, April 2005, S. 112-127 | http://darhiv.ffzg.unizg.hr/id/eprint/5957/1/1184-1273-1-PB.pdf

Oswald Schwemmer (2011): “ … Für Cassirer gewinnt [ ] das menschliche Ausdrucksleben seine ursprüngliche Formung im Mythos. Das mythische Ausdrucksleben liefert den „gemeinsamen Mutterboden“, von dem sich alle symbolischen Formen allmählich loslösen. Der Mythos ist für Cassirer „sozusagen die Urschicht des Bewußtseins und der tragende Grund für alle seine Leistungen“.
Im Unterschied zu den meisten anderen symbolischen Formen – wie der Sprache, der (wissenschaftlichen) Erkenntnis und der Technik – und am nächsten übrigens noch der Kunst bleibt die Religion in besonderer Weise dem Mythos verhaftet, weil sie Formen der emotionalen Weltorientierung zum Ausdruck bringt. Wie der Mythos – und wiederum die Kunst – rührt sie damit an die Tiefenstruktur der menschlichen Existenz. Denn „alles Denken wie alles sinnliche Anschauen und Wahrnehmen ruht auf einem ursprünglichen Gefühlsgrund. … “ […] Zugleich [wird] mit der Differenz zwischen Selbst und Welt[,] wird durch die Kunst auch die Differenz zwischen „Bild“ und „Sache“ erzeugt und damit das Identitätsdenken des mythischen Bewußtseins endgültig aufgelöst. Denn die vermenschlichende Darstellung des Göttlichen und dadurch die Vergöttlichung des Menschen sind nur möglich im Bewußtsein von Darstellung, von der Repräsentation des Einen durch das Andere. Der Tänzer ist nicht mehr Gott, er stellt ihn dar. Gott ist nicht als oder im Tänzer anwesend. Durch den Tänzer oder den Priester werden wir auf Gott verwiesen. Der Tänzer existiert nicht mehr als Gott, er repräsentiert ihn. Die Situation, die im Mythos artikuliert wird, ist das Eingebundensein in eine Welt lebendiger Ausdrucksereignisse. Einige dieser Ereignisse sind für den mythischen Menschen überwältigend und werden als Erscheinung des Göttlichen erfaßt. Von diesen Ereignissen aus werden die Gliederungen der Welt und des Lebens in ihr entwickelt und ergibt sich die „Akzentuierung des Daseins“, die dem mythischen Menschen zu seinen grundlegenden Orientierungen verhilft. In der religiösen Artikulation wird die mythische Unmittelbarkeit aufgehoben. Insbesondere durch die Individualisierung und Vermenschlichung in der Kunst wird aus dem völligen Ergriffen- und Besessenwerden eine Begegnung mit Gott, in der der Mensch durchaus ein eigenständiges Selbst besitzt. …“ | Aus: „Die symbolische Existenz des Göttlichen: Mythos und Religion bei Ernst Cassirer“ Oswald Schwemmer, Humboldt-Universität zu Berlin (2011) | https://www.philosophie.hu-berlin.de/de/forschung/drittmittelprojekte/ernst-cassirer-nachlassedition/lehre/index_html | // | https://www.philosophie.hu-berlin.de/de/forschung/drittmittelprojekte/ernst-cassirer-nachlassedition/lehre/index_html/myt1

(westfalen-blatt.de, 24.08.2020): “ … Stefan Zweig, als Jude vor den Nazis nach Brasilien geflohen, nahm sich 1942 in Rio de Janeiro das Leben, verzweifelt über den Verlust seiner „geistigen Heimat Europa“. … [Zweig beschreibt die Kultur, die Mode, das Leben der Jugendlichen, das Erziehungssystem, die Sexualmoral und das Wertesystem der Gesellschaft.] …“ | https://www.westfalen-blatt.de/OWL/Kreis-Paderborn/Lichtenau/4257016-Wenn-es-revolutionaer-wird-im-Dalheimer-Sommer-Sternstunden-der-Menschheit | https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Welt_von_Gestern

Christine Watty & Johannes Nichelmann (14.05.2020): “ … Kuratorin Monika Boll spricht davon, dass Hannah Arendt wie eine Art Gegengift für die heutigen Empörungsdiskurse wirke. …“ | https://www.deutschlandfunkkultur.de/lakonisch-elegant-83-rauchen-und-denken-wie-wurde-hannah.3717.de.html?dram:article_id=476657

Leonard Fischl (22.06.2020): “ … Die Texte der Philosophin Hannah Arendt erleben aktuell eine Renaissance. Ein Beleg dafür ist der Wiedereinzug von Hannah Arendts Standardwerk „The Origins of Totalitarianism“, deutsch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, in die Bestsellerlisten der USA, als Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Auch andere Verschiebungen und Erosionen in der westlichen Welt erinnern an Ereignisse, die Hannah Arendt selbst miterlebt und in ihrem Schaffen untersucht und kommentiert hat. Schließlich hat die Philosophin den Verfall der Weimarer Republik beobachtet und musste nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Herkunft in die USA fliehen. Ihre Werke beleuchten die Gründe für Faschismus und totalitäre Gewalt, die Konsequenzen der Fluchterfahrung, den Verfall zivilisatorischer Werte und die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge in der Politik. …“ | https://www.tagesspiegel.de/themen/freie-universitaet-berlin/hannah-arendt-neu-entdecken-denken-ohne-gelaender/25925920.html

“ … Der Zigarettenrauch kräuselt sich in Kringeln von der Zigarette. Hannah Arendt schaut nach oben. Zwischen ihren Lippen entweicht ein feiner Rauchstrahl. […] Im Gespräch mit Günter Gaus aus der ZDF-Reihe Zur Person vom 28. Oktober 1964 rauchen beide mehrere Zigaretten auf durchaus unterschiedliche Weise. Als Titelmusik für die Reihe diente beziehungsreich Ludwig van Beethovens Musik zu einem Ritterballett. Im Nachhinein sprach Günter Gaus davon, dass es „das beste Gespräch“ gewesen sei, dass er je geführt habe. … Das Zigarettenrauchen während des Interviews lässt sich in der Retrospektive als eine Art Signatur des 20. Jahrhunderts lesen. […] Und jeder, der selbst einmal geraucht hat, weiß tatsächlich allzu gut, dass Bilder, Musik oder Gefühle sich während des kontemplativen Rauchens, vielleicht die konzentrierteste Form der inneren Einkehr, stärker ins Gedächtnis einbrennen können als unter bloßer Frischluftzufuhr.“ … Sind Gefühle Denken? Wir wissen nicht, was Hannah Arendt fühlt und denkt, als sie im Kontext der Eichmann-Fragen zu einer weiteren Zigarette greift. In dem, was sie im Fernsehstudio mit Scheinwerfern von der Decke und Fernsehkameras sagt, bleibt sie kontrolliert, schlagfertig und politisch eigensinnig. …“ | Aus: „Hannah Arendts Zigarettenrauchen als Haltung“ Torsten (17. Juli 2020) | https://nightoutatberlin.de/hannah-arendts-zigarettenrauchen-als-haltung/

[Barbarei als alltägliche Schizophrenie … ]

Salmen Gradowski versteckte seine Notizen in einer Feldflasche, die 1945 auf dem Territorium des Vernichtungslagers Birkenau ausgegraben wurde |[ Die Zertrennung. Aufzeichnungen eines Mitglieds des Sonderkommandos. Herausgegeben von Aurélia Kalisky. Aus dem Jiddischen übersetzt von Almut Seiffert und Miriam Trinh ] (Quelle)

Hannah Arendt (im Gespräch mit Günter Gaus, 28.10.1964): “ … Nehmen wir an, man hätte ein sehr gutes Gedächtnis, so daß man wirklich alles behält, was man denkt: Ich zweifle sehr daran, da ich meine Faulheit kenne, daß ich irgend etwas notiert hätte. Worauf es mir ankommt, ist der Denkprozeß selber. Wenn ich das habe, bin ich persönlich ganz zufrieden. Wenn es mir dann gelingt, es im Schreiben adäquat auszudrücken, bin ich auch wieder zufrieden. … ich will verstehen. Und wenn andere Menschen verstehen, im selben Sinne, wie ich verstanden habe – dann gibt mir das eine Befriedigung, wie ein Heimatgefühl. … Wissen Sie, das Entscheidende ist ja nicht das Jahr 33; jedenfalls für mich nicht. Das Entscheidende ist der Tag gewesen, an dem wir von Auschwitz erfuhren. … Das war 1943. Und erst haben wir es nicht geglaubt. … “ | https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html

Nora Thorvald #18 (28.01.2020): “ … Ich war noch zu DDR-Zeiten einmal mit der Schulklasse während einer Klassenfahrt in Auschwitz. … Schon dieses triste Dekor aus notdürftigen Baracken, die ebensogut Ställe sein könnten, ringsherum ödes Land unter grauem, gleichgültigem Herbsthimmel, ein paar Raben drauf. So stellte sich das damals dar. Dann drinnen in den Gebäuden Fotografien von Bergen an ausgemergelten Leichen. Hinter Glas Überreste ausgelöschter Existenzen, Brillen, Haare, Goldzähne. Das Unfassbare kaum begreifend, folgten wir der polnischen Begleiterin zu all den von Totenklage umwehten Orten: Duschräume, Erschießungsmauern, Hinrichtungshöfe. Ich kann mich noch genau an einen dieser Verbrennungsöfen erinnern, an seinen backsteinumrahmten schwarzen Schlund und die Schienen, die unweigerlich darauf zulaufen. Man steht schwindelig, verstört, innerlich kaum damit fertig werdend vor dieser industrialisierten Form des Tötens und kann keine Haltung dazu finden. Es stellt sich unweigerlich die Frage nach der Natur des Menschen. Was waren das für Leute, die solche Anlagen kaltschnäuzig vom Reißbrett planten, organisierten und errichteten, als wäre es nur irgendein in Auftrag gegebener Stadionbau? … Ich war nie wieder in Auschwitz, schaue auch nur selten Dokumentationen im Fernsehen, weil ich mich nicht an diese Bilder gewöhnen möchte. …“ | https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020-01/auschwitz-konzentrationslager-holocaust-shoah-fs?cid=51315699#cid-51315699

JZL240I-U 26.01.2020 15:53: “ … Es ist immer gut, sich von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis zu rufen, was geschehen ist … Und welcher menschlichen Umstände und Befindlichkeiten es dazu bedurfte — und bedarf. … “ | Zu: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Missing-Link-Auschwitz-die-Befreiung-4645824.html?seite=all

iAPX960 26.01.2020 18:20: “ … Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Treblinka … Auschwitz steht symbolisch für Morden und Vernichten. Und das hat schon direkt nach der Machtergreifung angefangen. Es fing mit Gewerkschaftlern, SPD und KPD Politikern und Mitgliedern, … und jedem der dem Regime nicht genehm war, an. Aus Mord durch Zwangsarbeit, Hunger und Misshandlung und einfaches Wegsehen wurde industrieller Mord. Auschwitz ist ein Symbol nicht nachvollziehbaren oder verstehbaren Ausmaßes, aber nur ein Bruchteil des Schreckens …“ |Zu: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Missing-Link-Auschwitz-die-Befreiung-4645824.html?seite=all

Christoph David Piorkowski (28.01.2020): “ … Ein paar Männer sitzen bei Bier und Wein um einen runden Terrassentisch. Im Hintergrund stehen weitere Personen vor einem weißen Häuschen mit geöffneten Fensterläden und scheinen in der Sonne zu plaudern. Was das Foto mit der idyllisch anmutenden Szene dem uninformierten Betrachter vorenthält, ist der Kontext seiner Entstehung. Die Aufnahme zeigt nämlich das sichtlich entspannte Mordpersonal des NS-Vernichtungslagers Sobibor bei seiner Freizeitgestaltung – in nächster Nähe zu den Gaskammern. … Der Fund kam dadurch zustande, dass der Regionalhistoriker Hermann Adams vom Enkel des stellvertretenden Lagerkommandanten von Sobibor, Johann Niemann, 2015 zahlreiche Fotos erhielt, die Niemann und andere SS-Verbrecher bei ihrem Alltag in Sobibor zeigen, erklärt Cüppers. Adams übergab die Fotos dem Bildungswerk StanisÅ‚aw Hantz, das Bildungsreisen zu den einstigen Tötungsstätten der „Aktion Reinhard“ organisiert, und vermittelte dem Werk den Kontakt zu Niemanns Enkel. … “ | https://www.tagesspiegel.de/wissen/bilder-aus-sobibor-feierndes-mordpersonal-im-holocaust/25476434.html

der_vom_storch 28.01.2020, 17:24 Uhr: “ … Ich weiß nicht was mich mehr erschrecken soll, die Normalität in den Jahren zwischen 1933 und 1945 auch in den Lagern auf der deutschen Seite oder die offensichtliche Naivität einiger Leute die heute so total erschrocken auf Zeitdokumente von damals reagieren. …“

Offenbach-am-Meer 28.01.2020, 16:48 Uhr: “ … Dass die Schlächter nur sich selbst in der Freizeit fotografiert haben, ist für mich ein Zeichen dafür, wie sehr sich die gelebte Barbarei als alltägliche Schizophrenie festsetzen konnte: Morden als Broterwerb, als Arbeitsalltag, der es nicht lohnt, in Bildern festgehalten zu werden. Da wird nun mal lieber auf Terrasse und Ausflügen in die Kamera gelacht wie im Urlaub. …“


[Ordnung, Herrschaft und Interessen #18… ]

“ … Gegenüber „bestehenden Mächten und Interessen“ sei die Wahrheit im Konfliktfall immer benachteiligt. „Überredungskünste oder auch Gewalt können Wahrheit vernichten“, schreibt Hannah Arendt. Allerdings könne die Politik die Wahrheit durch nichts anderes ersetzen, und hierin besitze die Wahrheit „eine Kraft eigener Art“. … “ | http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit_und_Politik (23. Februar 2011)

Sabine (28. August 2013): “ … Hannah Arendts Thema sind die Flüchtlinge. Sie sind Staatenlose. Ihr Leben verdanken sie nicht ihren Menschenrechten, sondern der Mildtätigkeit derer, in deren Land sie geflohen sind. Ob sie leben oder sterben, ist reiner Zufall. Wer etwas über Menschenrechte lernen will, schaut am besten auf die Lage von Flüchtlingen. … Hannah Arendt hat beschrieben, was es heißt, nur noch Mensch sein zu dürfen. Wer nur noch Mensch sein darf, ist ganz frei. Frei von Rechten und Gesetzen. Das Ergebnis ist Entfremdung. Keine Entfremdung von dem Selbst, sondern vielmehr eine Entfremdung von der Welt. Arendt beobachtet, dass die Etablierung von Nationalstaaten und ihre globale Hegemonie nur noch wenige Räume übrig gelassen haben. Räume, die nicht territorial in Nationalstaaten eingegrenzt sind. „Zuerst und vor allem findet der Raub der Menschenrechte dadurch statt, daß einem Menschen der Standort in der Welt entzogen wird, durch den allein seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen Wirksamkeit.“ (Arendt 1949). Sie beschreibt ihre Erfahrungen als Staatenlose, Geflohene und als deutsche Jüdin im Dritten Reich vor dem Hintergrund der Shoa. Es sind andere Erfahrungswerte, sie zeigen jedoch einen Mechanismus auf, welcher nicht einzigartig ist. Den Prozess wie wir ausgezogen werden, Rechte verlieren, unkenntlich gemacht werden. Nämlich wie Menschen zu einem Abstraktum werden. Ihre Unsichtbarkeit, ihr Verschwinden aus dem öffentlichen Leben findet leise statt. Flüchtlingsheime werden an die Ränder der Städte verlagert, in die Industriegebiete. Der Tod der Ausgeschlossenen wird verschleiert etwa durch Neologismen wie „Dönermorde“, so dass wir nicht an unseren Bruder oder Schwester denken müssen. … Sie versinken, ertrinken im Mittelmeer. Laut UNHCR waren es 2011 allein über 1.500 tote Flüchtlinge, die Dunkelziffer liegt weit höher. Das Mittelmeer ist der Massenfriedhof der Menschenrechte wie Heribert Prantl es einst treffend bezeichnet. Und in den letzten Tagen wurde binnen kurzer Zeit an den Bahnhöfen von Fulda, Kassel und Frankfurt über 60 Flüchtlinge aus Eritrea festgenommen. Sie waren ohne Papiere. …“ | „Schöne neue Welt – „Hellcome to Germany“ – Ein Essay über die Menschenrechte“ | http://maedchenmannschaft.net/schoene-neue-welt-hellcome-to-germany/

“ … Nach Pressemitteilungen starben seit 1988 entlang der europäischen Grenzen 15.566 Immigranten, davon sind 6.513 Leichen immer noch im Mittelmeer verschollen. …“ | http://de.wikipedia.org/wiki/Sans-Papiers (8. Juli 2013)