Schlagwort: Guy Debord

[Aufklärung und Wirklichkeitsbezug #3 ]


Marcel (Dezember 2010): “ … Fast 50 Jahre nach der Gründung der [Situationistische Internationale (SI)] hat sich die Ausgangssituation maßgeblich verändert. Während in den 50/60er Jahren der 2. Weltkrieg für die meisten Menschen aktive Erinnerung war und eine neue Zeit der Warenwelt angebrochen schien, ist heute der flexible Kapitalismus zum Normalzustand geworden. Was der SI damals so neu und fremd erschien, hat sich heute noch viel stärker im Alltag manifestiert. Die Wirtschaft hat längst die Kraft der Bilderwelten erkannt und setzt sie bewusst ein. Marken sind nichts anderes als ‚appetitanregende Gedankenbilder/-filme‘, die den Konsumenten verführen sollen. Sie wirken als lustvolles Versprechen für die individuelle Zukunft der Konsumenten. …“ | https://www.nachhaltigkeits-guerilla.de/theorie-2-situationistische-internationale/ | — | https://de.wikipedia.org/wiki/Situationistische_Internationale | … | https://de.wikipedia.org/wiki/Guy_Debord

“ … die Methode des „dérive“ („Umherschweifen“ …) … : Dies war ein räumliches und konzeptionelles Erforschen der Stadt — oft der Vorstädte -, indem man/frau sie, manchmal auch im Morgengrauen nach durchzechter Nacht, durchstreift. Durch das „dérive“ entwickelten die Situationisten … „ein kritisches Bewußtsein des spielerischen Potentials urbaner Räume und ihrer Möglichkeiten, neue Wünsche zu erwecken“ … . Für Guy Debord war „dérive“ auch die Entwicklung einer neuen, „anderen“ und erweiterten Wissenschaft, der „Psychogeographie“ [Erforschung der genauen unmittelbaren Wirkungen, seien sie bewußt gestaltet oder nicht, des geographischen Milieus auf das emotionale Verhalten der Individuen.] …“ | Aus: „Dieter Schrage: Widerstand im Spektakel“ (Zeitschriften » Context XXI » Print » Jahrgang 2000 » Heft 3-4/2000) | http://forvm.contextxxi.org/widerstand-im-spektakel.html | … | https://de.wikipedia.org/wiki/Psychogeographie

“ … Der Zuschauer habe die ihm vorgesetzte Scheinrealität längst als Realität verinnerlicht. … Das gesamte Spektakel hat das Ziel, die Bevölkerung zu integrieren. Es tritt sowohl als Städteeinrichtung als auch als permanentes  Informationsnetz in Erscheinung und bildet einen festen Rahmen für die Sicherung der bestehenden Lebensbedingungen. Unsere erste Arbeit ist es, dass wir den Leuten erlauben, die Identifikation mit der Umgebung und dem Modellverhalten zu beenden. … [Das situationistische] Programm, …, [war] mit hoher Wahrscheinlichkeit von Anfang an zum Scheitern an der … verbreiteten Akzeptanz gesellschaftlicher Verkrustungen verurteilt. … Statt im herkömmlichen Sinne Kunst zu schaffen, modellierte sich Debord zum verfemten Darsteller eines epochalen Romans, den die Umstände schrieben …“ | Aus: „Die dialektische Lebenskunst von Guy Debord, Verworfener & Kulturschatz“ Mark Reichmann (Dissertation – Im Fach: Kunst-und Bildgeschichte (IKB), Humboldt-Universität zu Berlin, 546 Seiten, 6. Juni 2020) | https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/23246/dissertation_reichmann_mark.pdf

[Zwischen Lust und Melancholie #2… ]

…gerade weil sich kaum jemand mehr vorstellen mag, wie ein Leben, ein Alltag jenseits des Spektakels aussehen könnte.

La Société du spectacle (1973) – Guy Debord
https://www.youtube.com/watch?v=IaHMgToJIjA

Das lateinische Palindrom „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“ liefert den Titel für Guy Debords sechsten und letzten Film, der als kommentierte Abfolge von Standbildern und Filmausschnitten Debords Medien- und Gesellschaftskritik zusammenfasst. (via)|https://de.wikipedia.org/wiki/Guy_Debord

“ … In his Theory of the Subject (1982), Badiou suggests that Debord and the situationists could only offer a Promethean politics of „active nihilism“ … | https://fadingtheaesthetic.files.wordpress.com/2013/08/guy-debords-time-image-in-girum-imus-nocte-et-consumimur-igni-1978.pdf (BENJAMIN NOYS: „Guy Debord’s Time-Image:In girum imus nocte et consumimur igni (1978), Grey Room 52, Summer2013, pp.94-107., …)

“ … Die Realität werde unsichtbar hinter einer Scheinwelt aus Werbung, Klischees, Propaganda, die aber wiederum ganz reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Real Erlebtes oder Ersehntes wird zunehmend durch seine Repräsentation, durch sein Surrogat ersetzt – Debord nimmt hier auch Ideen der Postmoderne vorweg (das Zeichen bezeichnet nichts mehr, verweist nicht mehr auf etwas Wirkliches, sondern steht für sich selbst, wird so selbst zum Ersatz: Hyperrealität). …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Gesellschaft_des_Spektakels (Stand: 05/2014)

“ … Ebenso wie ästhetische Phänomene nicht in „Ästhetisierung“ aufgehen müssen, ist umgekehrt über die Kenntnis sozialstruktureller Unterschiede im ästhetischen Feld die Brechung sozialer Inhalte im Medium der Distinktion und die Kennzeichnung der ästhetischen Form als »Verleugnung des wahren Charakters von Gesellschaft und sozialen Beziehungen« nicht geringzuschätzen. … Die ästhetische Sphäre scheint der Autonomie des Subjekts im Vergleich zu Politik und Moral mehr Stoff und Bewegungsspielraum zu geben, äußere Bedingungen, die sich als Beschränkung erweisen, in vom Individuum Assimilierbares zu überführen. Wo die Lust des Scheins den Schmerz des Seins brechen soll, entwirklicht sich das Individuum in der Steigerung der Erlebtheit von Geschehnissen über alles wirklich Erlebbare hinaus. Das Erdichtete gerät intensiver als das Reale und die Realität zu einer lachhaften Kopie unserer großen Romane (Arno Schmidt). …“ | Aus: „Ästhetisierung und Ideologie“ (Meinhard Creydt, Datum ????) | http://www.meinhard-creydt.de/archives/48

Dennis Vetter „Guy Debord: Mit dem Geist des Experiments zurück ins Tageslicht“ (29. Jänner 2016): “ … Das Zusehen verurteilte er in seinem Gesellschaftsbild als einzig verbliebene Handlungsoption. Denn alle, die nur noch hinsehen, vergessen das Handeln, verleugnen das Potenzial eines Miteinanders von freier Individualität und Gesellschaft. … Debords Filme waren mehr als zwanzig Jahre lang praktisch nicht zu sehen: Er selbst zog sie 1984 aus dem Verkehr, und erst nach dem Freitod des Künstlers kehrten sie allmählich wieder ans Tageslicht zurück …“ | http://derstandard.at/2000029954422/Guy-Debord-Mit-dem-Geist-des-Experiments-zurueck-ins-Tageslicht

“ … Die Unbedingtheit, die aus Guy Debords Kino-Trailer für seinen Film La Société du spectacle spricht, mutet fast wie ein Witz an – und ist auch einer, nicht erst heute (in der noch viel extremeren Gesellschaft des Spektakels Jahrgang 2015), sondern schon damals, 1973. Dieser Witz ergibt seinen schneidenden Sinn aber erst dann, wenn man ihn – so wie das gesamte schneidende Schaffen von Guy Debord (1931-1994) – nicht wie üblich als Muskel-Entspannung nach der Pose der Unbedingtheit begreift, sondern als deren ernsteste Zuspitzung. Es ist der härteste Galgenhumor, der in der Kunst, im Kino und in der Gesellschaftstheorie des 20. Jahrhunderts zu finden ist. Zugleich steckt in Debords luzider Härte der Vorschein eines anderen Lebens, und sei es nur durch das emphatische Wachhalten jener (biografischen) Erfahrungen von Freiheit und Revolte, die er in den Filmen immer wieder beschwört. Er hat dieses andere Leben beschützt, indem er sich weigerte, „das Spiel zu spielen“. Er stellte lieber neue Spielregeln auf. Er wurde nicht zu einem der üblichen öffentlichen Intellektuellen (Hofnarren), die das Spektakel als „kritische Geister“ beleben, sondern machte sich nahezu unsichtbar. Schon 1959 heißt es in seinem zweiten Film: „Ein Film über diese Generation kann nur ein Film über das Fehlen ihrer Werke sein.“ Debord war damals keine 30, und „diese Generation“ ist die internationale Gruppe der Situationisten, in deren Mitte er sich bewegte. … Sechs essayistische, sprachgewaltige, zwischen Fotografie, Bewegtbild und Stimme, zwischen Wut und Melancholie changierende Kinomonumente „gegen das Kino“. Werke, die den politisch-kulturellen Konsens der Medien- und Konsumgesellschaft frontal angreifen und dafür das Massenmedium ihrer Ära wählen – allerdings in Schwarzweiß. Filme, die zugleich „strategisch“ und „maßlos“ sind: strategisch nicht nur, wenn sie Clausewitz, Johnny Guitar, Karl Marx, Die Kinder des Olymp und Baltasar Gracián zitieren, maßlos nicht nur in ihrem Abzielen aufs große Ganze. Und Filme, die diesen ganzheitlichen Angriff durchwegs auf der Grundlage einer singulären, persönlichen Erfahrung führen. Das macht sie teilbar, mitteilbar, benutzbar – gerade weil sich kaum jemand mehr vorstellen mag, wie ein Leben, ein Alltag jenseits des Spektakels aussehen könnte. …“ | http://www.filmmuseum.at/jart/prj3/filmmuseum/main.jart?rel=de&content-id=1216720898687&schienen_id=1448635933522&reserve-mode=active (filmmuseum.at „Guy Debord„, 29. Jänner bis 11. Februar 2016)