Ijoma Mangold (29. Dezember 2020): “ … Man könnte [ ] sagen: Er ist 200 Jahre zu früh geboren, dieser Charles Baudelaire, Wegbereiter der Moderne, Dichter der Großstadt, Wüstling und Dekadent, Opiumraucher und Bürgerschreck, der sich in der Unmoral suhlte wie ein Schwein im Dreck, weil ihm jede andere Haltung als Heuchelei erschienen wäre, und der mit seinem Gedichtband Die Blumen des Bösen das Laster, den Schmutz, die Grausamkeit, den Rausch und den Ekel verherrlichte, weshalb die Staatsanwaltschaft den Gedichtband nach seinem Erscheinen 1857 sogleich verbot … Baudelaire ging ein neues Bündnis mit dem Leser ein – was sie verband, war nicht das hehre Streben, sondern die gemeinsame Verworfenheit: „Du heuchlerischer Leser, du mein Bruder, mir so gleichend!“ Man müsste ein Heuchler sein, um sich von diesem Appell nicht angesprochen zu fühlen. …“ | https://www.zeit.de/2021/01/charles-baudelaire-literatur-poesie-philosophie-paris-kunst-moral // –> https://de.wikipedia.org/wiki/Les_Fleurs_du_Mal // –> https://de.wikisource.org/wiki/Die_Blumen_des_B%C3%B6sen
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Rolf Spinnler [zu „Christoph Menke: Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie„] (28.12.2008): “ … Herder behauptet [ ], es gebe einen Gegensatz zwischen rationaler, verallgemeinerungsfähiger Erkenntnis und dunkler, irrationaler individueller Lebenskraft, die ihren Ausdruck in der ästhetischen Einbildungskraft und Fantasie finde. Damit postuliert er einen Widerstreit im modernen Subjekt, der sich nicht harmonisch auflösen lässt. Genau damit aber, so lautet Menkes Diagnose, trifft er die Signatur der Moderne, deren Kennzeichen eben diese Entzweiung zwischen Philosophie einerseits und ästhetischer Erfahrung andererseits ist. … Indem die Ästhetik entdeckt, dass es einen Bereich im Menschen gibt, der nicht rationalisierbar und nicht verallgemeinerungsfähig ist und doch unaufgebbar zu seiner Menschlichkeit gehört, bestreitet sie den Allmachtsanspruch der Philosophie. … Den Endpunkt der von Herder angestoßenen Entwicklung sieht Menke bei Nietzsche erreicht. Denn während die Philosophie den Einzelnen zur Verwirklichung des allgemeinen Guten anhalten will, fordert uns Nietzsche auf, wir sollten „die Dichter unseres Lebens sein“, weil das Dasein nur ästhetisch (und nicht moralisch ) gerechtfertigt werden kann. … Der Widerstreit zwischen Ethik und Ästhetik, zwischen dem allgemeinen und dem individuellen Guten lässt sich für Menke in der Moderne nicht auf lösen. Man kann ihn nur aushalten. …“ | https://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/das-dunkle-in-mir-6547030.html
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Peter Neumann (18. Dezember 2022): “ … „Wenn ich fasziniert bin, dann ist es eine bloß passive Antwort auf eine Intervention einer anderen Seite, die mich zu greifen versucht.“ So eine Faszination, sagt [Christoph] Menke, sei immer beides. Ein dialektisches Wechselspiel aus Anziehung und Abstoßung. „Sie enthält einen Moment der Angst wie der Lust, einen Moment der Hingezogenheit und der Abgestoßenheit.“ … “ | https://www.zeit.de/2022/52/christoph-menke-theorie-der-befreiung-philosophie/komplettansicht
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Fabian Bernhardt im Gespräch mit Stephanie Rohde (18.07.2021): “ … „Die Affekte und Gefühle, die auf Rache drängen, sind uns nicht fremd geworden – aber sie werden in unserer Gesellschaft nicht mehr als Handlungsmotivationen anerkannt. Und wenn man aus Rache heraus handelt, auch in alltäglichen Formen, die vielleicht wenig dramatisch sind, dann wird man das in der Regel nicht zugeben.“ … Film und Literatur, das „kulturelle Imaginäre“, das ist Bernhardt zufolge auch der Bereich – neben dem Kopfkino persönlicher Vergeltungsphantasien – , in dem die Rache in modernen Gesellschaften ihren Platz behält, nachdem sie offiziell aus ihnen verbannt wurde: „Man könnte sagen, das Imaginäre ist das Affektreservat, in das diejenigen dunklen, vermeintlich destruktiven Regungen, die auf Rache aus sind, umgesiedelt werden.“ … „Ich bin ein großer Fan der Rechtsstaatlichkeit, das ist sehr viel wert, aber ich halte es für problematisch, wenn man daraus eine lineare Entwicklung macht: Wenn man sich anguckt, wie viel Gewalt die Moderne auch hervorgebracht hat, dann halte ich es für schwierig, an so einer linearen Fortschrittserzählung festzuhalten.“ …“ | https://www.deutschlandfunkkultur.de/philosophie-der-rache-die-verdraengte-seite-der-moderne-100.html
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Nikolaus Halmer (09.04.2021):“ … Die Beschreibung des „Herumwirbeln der Menschheit in einem Teufelskreis“ steht in krassem Gegensatz zur traditionellen Lyrik, die sich den Manifestationen des Schönen, der Tugend, des Idealen oder des Transzendenten widmet, die mit der modernen urbanen Lebenswirklichkeit nicht mehr korrespondieren. … In ihrer Studie schildert Westerwelle die unterschiedlichen Ausformungen des Hässlichen und des Bösen als Inferno von Neurosen, Verzweiflung, fiebriger Glut, konvulsivischer Anstrengung und Perversität, die dem zeitgenössischen Moralstandard nicht entsprachen. In dem Gedicht „An den Leser“, das „Die Blumen des Bösen“ einleitet, werden die Phänomene des Bösen als Tiere präsentiert: Schakale, Panther, Affen, Skorpione, Geier und Schlangen verkörpern „die infame Menagerie unserer Laster“; im menschlichen Gehirn haust „ein Volk von Dämonen“. Wegen Verhöhnung der öffentlichen Moral und Verletzung des Schamgefühls kam es zu einem Gerichtsprozess. Der Vorwurf lautete, dass „die verderbliche Wirkung der Bilder in den beanstandeten Stücken und der krasse, das Schamgefühl verletzende Realismus notwendig zur Aufreizung der Sinne führe“. Baudelaire wurde verurteilt und er erhielt eine Geldstrafe; die sechs als anstößig bezeichneten Gedichte mussten entfernt werden. … Als Gegenmodell zu dem saturierten Spießer, der sein wohltemperiertes, an der materiellen Prosperität orientiertes Leben als höchste Entwicklungsstufe des Zivilisationsprozesses betrachtete, betonte Baudelaire „die geistige Würde“, wie sie vom Dandy vertreten wurde. Der Dandy war für ihn nicht nur der elegante, gestylte Lebemann, der sich durch seinen extravaganten Habitus deutlich vom Erscheinungsbild des konformistischen Bourgeois abhob, sondern ein philosophischer Lebenskünstler. Der Dandy verkörperte für Baudelaire „einen höheren Menschen“, der als „ein Heiliger um seiner selbst willen“ lebte. Er löste sich aus der Prägung durch gesellschaftliche oder religiöse Institutionen und kreierte seine autonome Existenz. … Baudelaires Dandytum ist somit als ein ethisch-ästhetisch motiviertes Selbsterziehungsprogramm zu verstehen, in dem die Spielregeln allein vom Akteur festgelegt werden. Dieses hochgesteckte Ziel scheiterte. Immer wieder tauchte Baudelaire in die Niederungen der menschlichen Existenz und versank im Rausch des Sinnlichen, was ein Gefühl eines elementaren Versagens auslöste. Der Dichter, der wie Ikarus versuchte, sich den Sphären des Absoluten anzunähern, die engen Grenzen des Realen zu überschreiten und dabei abstürzte, verfiel allmählich einer tiefgreifenden Melancholie, die mit sozialer Isolation verbunden war. Völlig verarmt, an den Spätfolgen der Syphilis leidend, verstarb der vermeintliche „Prinz auf der Wolken Thron“ am 31. August 1867….“ | https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/geschichten/2099638-Charles-Baudelaire-Der-Dichter-des-modernen-Lebens.html
Schlagwort: Charles Baudelaire
[Zum Wahn der Liebe #81 … ]
“ … Und das durchbohrte Herz, das Schmerz verlockend blendet,
Segnet noch jenen Pfeil, an dem es Tag für Tag verendet. …“
// Charles Baudelaire:
// An Sainte-Beuve
// Aus: ‚Der Spleen von Paris‘, 1869
// (Übersetzt von Simon Werle, 2019)
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