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[Pop Diskurs / Kulturtheorie (Diedrich Diederichsen, etc.)...]

Started by lemonhorse, December 17, 2012, 09:04:52 PM

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"Das Auge singt mit – Für eine Genealogie der Popkultur" Volkmar Mühleis (Brüssel, 26.07.2022)
... Von Kindesbeinen an wird man popkulturell angesteckt, durch die Medien, im Eltern- und Freundeskreis, und diese Ansteckung wirkt stimulierend, mitreißend, begeisternd, geht in die Kindesbeine, lädt ein zum Hüpfen und Tanzen, und diese Energie schwingt immer mit, wenn in der Pubertät Kritik die Oberhand gewinnt, Krisen im Erwachsensein überwunden werden wollen. Pop als Unterhaltung war schon lange da, bevor Differenz und Coolness einsetzten, Distinktion und Hierarchie. ...
https://www.praefaktisch.de/postfaktisch/das-auge-singt-mit-fuer-eine-genealogie-der-popkultur/

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Quote[...] Böse Menschen haben keine Lieder, sagt der Volksmund. Ein Irrtum — auch im Dritten Reich drehte sich viel um die Musik, von den nationalsozialistischen Kampfliedern über Hitlers Wagner-Verehrung bis hin zu Schlagern wie "Lili Marleen". Bislang war die populäre Musik in der Zeit des deutschen Faschismus allerdings noch wenig erforscht.

Das soll sich nun ändern: In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten internationalen Projekt untersuchen derzeit Musikwissenschafterinnen und -wissenschafter die in der NS-Diktatur produzierte populäre Musik: Schlager, Kabarettchansons, Operetten und Filmmusik.

Neben dem Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft der Universität Greifswald sind auf österreichischer Seite das Institut für Theorie und Geschichte der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz und die Abteilung für Musik- und Tanzwissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg beteiligt. Die wichtigste Forschungsgrundlage bilden die Archive der damaligen Musikverlage.

Diese waren bisher schwer zugänglich, vieles blieb unter Verschluss. Erfreulicherweise ändere sich das jetzt, berichtet die Leiterin des Linzer Teams, Carolin Stahrenberg: "In den letzten Jahren haben sich einige neue Quellen eröffnet. Einerseits sind Bestände in die öffentliche Hand übergegangen, andererseits haben wir direkten Zugang in den Verlagen bekommen."

Weitere Quellen sind etwa das Notenarchiv der Verwertungsgesellschaft AKM oder Nachlässe populärer Komponisten wie Nico Dostal oder Fred Raymond, Schöpfer des 20er-Jahre-Gassenhauers "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren". Dabei interessieren sich die Forschenden vor allem für das komplexe Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft: "Wir wollen sehen, wie groß die Einflussnahme der Diktatur auf die Produktion populärer Musik war oder ob diese Prozesse eher vom Markt reguliert wurden."

Populärmusik ist Stahrenberg zufolge schnell dem Vorwurf ausgesetzt, sich besonders gut für eine politische Vereinnahmung und den Transport ideologischer Inhalte zu eignen. "Dabei ist das bei populärer Kultur eigentlich genau andersherum: Es gibt eben keine Subventionierung von oben, wo entschieden wird, sondern der Markt ist das Regulativ. Das heißt: Entscheidend ist, was gekauft wird."

Stahrenbergs Salzburger Kollegen Nils Grosch zufolge liegt hier das Spannungsfeld: "Wie funktioniert in einem Staat, der auch in kultureller Hinsicht alles auf eine bestimmte Linie einschwören möchte, die Kontrolle in einem Bereich, der primär kommerziellen Gesetzen gehorcht?" Für Musikproduzierende ging es — wie auch heute — darum, inhaltliche Entscheidungen danach zu richten, was sich gut verkauft. Und das war in der damaligen Zeit auch im deutschsprachigen Bereich vieles, was international angesagt war.

"Die Musikverlage haben wichtige Entscheidungen getroffen und waren die kommunikativen Mittler zwischen den Komponisten und dem Publikum. Dabei geht es immer darum, welche Genres auf dem Markt gebraucht und vom Publikum nachgefragt werden — und welche eben nicht", erklärt Grosch. Die Musikproduktion jener Zeit sei dadurch deutlich vielfältiger gewesen, als man es bei diesem Unterdrückungsstaat vermuten würde: Ein Verbot von Jazz oder Swing habe es — wie häufig angenommen — zum Beispiel so nicht gegeben.

"Da gibt es sehr viele Vorurteile, dass auch auf stilistischer Ebene bestimmte Dinge nicht erlaubt waren. Der Begriff ,entartete Musik' hat sich sehr ins öffentliche Bewusstsein gedrängt als Indikator dafür, dass es im Dritten Reich eine umfassende, auch stilistisch interessierte Kulturpolitik gab." Das sei inzwischen in vielerlei Hinsicht zu Recht infrage gestellt worden.

Nach 1933 herrschte im deutschen Kulturbetrieb zunächst noch große Unklarheit, welche Musik man produzieren und aufführen durfte. Die Frage war vor allem, wie man mit Werken von Komponisten umgehen sollte, von denen jeder wusste, dass sie Juden waren. Der einschneidende kulturpolitische Schritt im Dritten Reich betraf schließlich weniger die Kunst als die Kunstschaffenden. Denn auch hier galt wie überall die rassistische Vorgabe, jüdische und andere "nicht-arische" Menschen keinesfalls mehr am sozialen Leben teilhaben zu lassen und sie mit Zwang, Gewalt und Mord aus der Gesellschaft zu entfernen.

Dieser Wahnsinn machte dann selbst vor Werken nicht halt, die inhaltlich unpolitisch und formal eher konventionell waren. Die Operette "Im weißen Rössl" etwa wurde 1935 verboten, weil sie großteils von einem jüdischen Komponistenkollektiv stammte. Die um einen großen Hit gebrachten Musikproduzenten reagierten pragmatisch mit einer Kopie: Das vom Stoff und der Musik her sehr dem österreichischen Original ähnelnde Singspiel "Saison in Salzburg" wurde 1938 in Kiel uraufgeführt und anschließend im ganzen Reich ein großer Erfolg.

In der Populärmusik ist in den ersten Jahren nach der Machtübernahme der Nazis vom folgenschweren politischen Wandel also noch wenig zu hören. Das ändert sich aber nach dem Überfall auf Polen 1939: Stetig werden mehr Ressourcen dem Militär zugeordnet und somit weniger Lieder produziert. Viele Männer kämpfen und komponieren nicht mehr. Die populäre Musik erhält eine neue Rolle.

"Der Zugriff des NS-Staates auf die Musik wird erst nach Kriegsbeginn intensiviert. Je stärker der Krieg nicht mehr nur nach außen geht, sondern auch als Bedrohung nach innen empfunden wird, desto mehr bekommt die populäre Musik eine neue Funktion."

Das Regime setzt nun vor allem auf "Durchhalteschlager". Das bekannteste Beispiel stammt aus dem Jahr 1942 – gesungen von Zarah Leander: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n". Das besungene Wunder blieb der zu diesem Zeitpunkt bereits dem Untergang geweihten NS-Diktatur zum Glück verwehrt. (Johannes Lau, 4.9.2022)


Aus: "Popmusik unter dem Hakenkreuz" Johannes Lau (4. September 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000138663915/popmusik-unter-dem-hakenkreuz

QuoteCanosso

Teilweise nicht richtig,
"Fred Raymond, Schöpfer des 20er-Jahre-Gassenhauers "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren".
Der Text stammt von Fritz Löhner-Beda und Ernst Neubach, https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberg_in_der_Dichtung#Fred_Raymond,_Fritz_L%C3%B6hner-Beda,_Ernst_Neubach
Fritz Löhner-Beda wurde im KZ ermordet [https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_L%C3%B6hner-Beda].


Quotestrejdaúr Gustav

Die Lieder von Lale Andersen sind sicher keine "Durchhalteschlager";
"Lili Marlen" nicht, und "Es geht alles vorüber" noch weniger, das grenzt schon ans Defätistische.


Quotehurchzua

Das besungene Wunder in "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" war sicher nicht der "Endsieg".

Der Autor Bruno Balz hat das 1941 geschrieben; unmittelbar nachdem er aufgrund seiner Homosexualität von der Gestapo verhaftet und gefoltert worden war. Wenn ein konkretes "Wunder" gemeint war, dann wohl seine Rettung.

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n ist ein von Bruno Balz und Michael Jary geschriebener Schlager aus dem Jahr 1942. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Ich_wei%C3%9F,_es_wird_einmal_ein_Wunder_gescheh%E2%80%99n

In 1941 - dem Jahr der Produktion - schien es auch noch, als wäre für den Sieg dieser Verbrecherregimes kein "Wunder" nötig.


QuoteGrügo

Stimmt, Popmusik gab es zu Zeiten der Reichsmusikkammer sicher noch nicht, nur entweder "deutsche" oder "entartete" Musik. Da gibt's schon weitergehende Informationen, z. B.
Als die Jazzmusik während der Weimarer Republik auch Deutschland eroberte und zum Symbol der ,,Goldenen Zwanziger" avancierte, regte sich bereits erbitterter Protest aus vaterländisch-konservativen und rechtsextremen Kreisen. Nach Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 verschärfte sich der Konflikt: Diese sogenannte ,,fremdländische" Musik sollte ,,ausgemerzt" werden. Nach ersten diesbezüglichen Verboten und der Einrichtung der ,,Reichsmusikkammer", welche in den folgenden Jahren die Ausgrenzung jüdischer Musiker bedeutete und den künstlerischen Austausch mit ausländischen Jazzmusikern erschwerte, folgte wegen den 1936 in Berlin abgehaltenen Olympischen Spiele eine liberale Phase. Doch mit dem Siegeszug des neuen Jazzstils Swing und dem Erstarken der ,,Swing-Jugend" kam es ab 1937/38 zu weiteren Repressalien. Gauleiter, Polizeidirektoren oder Gaststätteninhaber verhängten nun mehrere Swing , Jazz- und Swingtanzverbote für einzelne Regionen, Städte oder Lokale. Trotz dieser Einschränkungen blieb der Jazz weiterhin präsent, weil unkundige Kontrolleure leicht zu überlisten waren und einzelne NS-Funktionsträger selbst Sympathien für den gefälligen Swingstil hegten. ...
https://holocaustmusic.ort.org/de/politics-and-propaganda/third-reich/jazz-under-the-nazis/


QuoteEasy Rawlins

Interessant ist ja auch dass viele der Schlagerstars der NS-Zeit mitnichten deutsch waren: Zarah Leander, Marikka Rökk, Lale Andersen, Rosita Serrano, Johannes Heesters, etc.


...

Prof Raimund Lang: Vortrag über Fritz Löhner-Beda (ARBEITSKREIS DER STUDENTENHISTORIKER, 2022)
01.01.2022  Professor Raimund Lang ist einer der besten Kenner der Studentengeschichte in Österreich-Ungarn, sein Spezialgebiete sind das studentische Liedgut und die Universität Czernowitz, wo bekanntermaßen die jüdischen Korporationen besonders stark vertreten waren. So liegt es nahe, dass Professor Lang auf der gemeinsamen Tagung von AKSt und HfJS Heidelberg über einen Texter, Librettisten und Schriftsteller referierte, dessen Werke heute noch hochgeschätzten, musikalischen Allgemeingut gehören, der aber nach seiner grausamen Ermordung im KZ Auschwitz völlig in Vergessenheit geriet: Fritz Löhner-Beda. Aus dessen Feder stammten neben den Libretti der Operetten von Franz Lehár, die damals wie heute Kassenschlager sind, der Text zum Schlager ,,Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren", der heute noch dazu beiträgt, dass Millionen von Besuchern in das Elysium der Studentenromantik am Neckarstrande pilgern.
https://youtu.be/s-OWkMvEaPI


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"Identitätspolitik" Paula-Irene Villa Braslavsky (7.6.2022)
Repräsentationsverhandlungen in der Popkultur
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 16, Frühling 2020, S. 70-76]
Armut, ›Race‹, Alter, Liebe, Party, Polizeiwillkür – das sind die explosiven Zutaten in Spike Lees Filmklassiker »Do the Right Thing« aus dem Jahr 1989. Als Bugginʼ Out, einer der Freunde von Mookie, der Hauptfigur, und wie dieser ein Afroamerikaner ohne viel Geld, in der Pizzeria Sal's etwas bestellt, fällt sein Blick auf die Fotos an der Wand. Alles erfolgreiche Sportler, Sängerinnen und Schauspielerinnen, Entertainer, Geschäftsleute. Alle Italoamerikaner: Robert de Niro, Liza Minnelli, Luciano Pavarotti, Al Pacino. Die ›wall of fame‹ ist weiß, europäisch. Bugginʼ Out beschwert sich lautstark, er verlangt, Sal solle in seiner Pizzeria schwarze ›Celebrities‹ ausstellen. Sal kontert: ›Besorg Dir Deinen eigenen Laden, da kannst Du machen, was Du willst, deine ganze Sippschaft an die Wand hängen. Aber das hier ist mein Laden, italian-americans only on the wall‹. Bugginʼ Out erwidert: Da die Pizzeria überhaupt nur vom Geld der Schwarzen in der Nachbarschaft lebe, hätten sie, die zahlenden Schwarzen aus Bedford-Stuyvesant, doch das Recht auf »fame«, auf Sichtbarkeit und Anerkennung. Kapitalismus ›in a nutshell‹: »So, since we spend much money here, we do have some sayinʼ. Boom!« Die Situation verschärft sich, Bugginʼ Out fordert einen Boykott, aber auch diese Eskalation wird wie so oft von Mookie vorläufig befriedet. Der Konflikt jedoch schwelt, wie alle Konflikte im Film, weiter.
An diesem Film ist bereits vieles diskutiert worden, und es gibt an ihm viel zu lernen über die 1980er Jahre in den USA, aber auch über die urbane Gegenwart über die Region hinaus. Die Szene bei Sal's mit der Auseinandersetzung um die ›wall of fame‹ zeigt emblematisch die Verklammerung dessen, was heute gegeneinander auszuspielen Konjunktur hat: Repräsentation und Reichtum, Sichtbarkeit und soziale Verhältnisse, Kapitalismus und Kultur. Tatsächlich bilden diese einen unauflösbaren gesellschaftlichen Zusammenhang. ...
https://pop-zeitschrift.de/2022/06/07/identitaetspolitikautorvon-paula-irene-villa-braslavsky-autordatum7-6-2022/

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"Gabi Delgado ist tot: Sänger von DAF im Alter von 61 Jahren gestorben" Nadine Lange (24.03.2020)
Der Sänger des Industrial-Duos ,,Deutsch Amerikanische Freundschaft" ist im Alter von 61 Jahren gestorben. Der größte Hit der Gruppe war ,,Tanz den Mussolini". ...
https://www.tagesspiegel.de/kultur/sanger-von-daf-im-alter-von-61-jahren-gestorben-4155172.html

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"Buch über Pop und Politik: Deutschland, Deutschland, alles war vorbei" Christian Schröder (28.03.2023)
In seinem Buch ,,Wir sind die Türken von morgen" erzählt Ulrich Gutmair davon, wie die Neue Deutsche Welle den Pop revolutionierte. Großen Anteil daran hatten Einwanderer. ... Im deutschen Schlager gibt es singende Italienerinnen, Tschechen, Griechinnen und einen falschen Russen. Aber keine Türken. Dabei verkauft Yüksel Özkasap, die ,,Nachtigall von Köln", Millionen Schallplatten in Deutschland. Sie singt auf Türkisch, ihre Zielgruppe sind Gastarbeiter. Ihr Ehemann Yilmaz Asöcal veröffentlicht auf seinem Plattenlabel Türküola mehr als tausend Singles und Alben.
Sie werden von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert, in den deutschen Charts nicht gelistet. Mehr Interesse zeigt die Neue Deutsche Welle in Form von Ideal, die in ihrer Hymne ,,Berlin" den Geruch von ,,Oliven und Majoran" auf Koran reimen und später einen türkischsprachigen Song herausbringen: ,,Aşk Mark ve Ölüm" (Liebe, D-Mark und Tod). Die Punkband Rotzkotz zählt ein Lied auf Türkisch an: ,,Bir, iki, üc, dört".  Punk ist laut Gutmair eine ,,antiidentitäre Bewegung", die das Anderssein nicht als Mangel, sondern als Auszeichnung versteht. Die Neue Deutsche Welle ist für ihn Ausdruck einer Emanzipation.  ...
https://www.tagesspiegel.de/kultur/buch-uber-pop-und-politik-deutschland-deutschland-alles-war-vorbei-9576152.html




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Quote[...] 45 Jahre lang war der Starschnitt Herzstück der Jugendzeitschrift Bravo. Die Fragmentierung der Körper gehörte zum Konzept – den Anfang machten 1959 die Füße von Brigitte Bardot, in Netzstrumpfhose und Lackheels. Eine geniale Kundenbindung: Wer beispielsweise den Starschnitt der Beatles besitzen wollte, musste 39 Wochen lang jedes einzelne Heft kaufen. Und das entsprechend kostspielige Porträt dabei sorgfältig selbst ausschneiden sowie Stück für Stück zusammenkleben, was dem Jagen und Sammeln noch eine haptische Komponente verlieh.

Der Bravo-Starschnitt, der als Markenname auch gut 20 Jahre nach seinem Ende immer noch selbstverständlich über die Lippen geht, war derart larger than life, dass er sogar falsche Erinnerungen hervorruft. Man meint, sich dunkel an einen solchen von Michael Jackson oder der Kelly Family zu erinnern. Den hat es aber nie gegeben. Wer es wirklich in die Star-Auswahl von 1959 bis 2004 schaffte, lässt sich jetzt in den Opelvillen Rüsselsheim nachprüfen.

... AusstellungsbesucherInnen zeigen, wie das seinerzeit ausschaute: eine herrlich groteske Selbstverständlichkeit, mit der die berühmten Objekte der Begierde an der Schrägdecke im Partyzimmer abhingen oder hinterm Kinderbett hervorlugten.

Die Porträts wurden zu Begegnungsportalen, in die man sich träumen konnte. Mindestens aber zur Fototapete mit coolen Leuten drauf, deren Gesellschaft zum Angeben taugte. In jedem Fall sind die Angebeteten als Außenstehende noch erkennbar. Die libidinös besetzten Star-Abbilder erschienen nicht rein internalisiert wie heute jegliches Gegenüber auf den privaten Displaymedien, sie konnten den Raum der Vorstellung zwischenzeitlich verlassen.

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Die Ausstellung

,,Bravo-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden": Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, bis 1. Oktober 2023




Aus: "Ausstellung zu ,,Bravo"-Starschnitten: Madonna zusammenkleben" Katharina J. Cichosch (30. 6. 2023)
Quelle: https://taz.de/Ausstellung-zu-Bravo-Starschnitten/!5941598/

QuoteJochen Laun
30. Jun, 19:54

Toll war das. Ich hatte Little Joe aus Bonanza im Kinderzimmer hängen. Den Vogel hat aber nicht 'Bravo', sondern 'MAD' abgeschossen - die haben mal einen Starschnitt von der Erde im Maßstab 1:1 angekündigt. Zu meiner Überraschung ist aber nie was draus geworden.


QuoteVidocq
30. Jun, 18:57

Flashback: ich war acht, und es mussten Winnetou und Old Shatterhand an meine Zimmerwand, warum danach Uschi Glas und Roy Black? Ich verdächtige meine Mutter. ...


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"40 Jahre Gothic-Bewegung: Als Dunkelheit zum Trend wurde"  Oliver Tepel (23.7.2022)
In den Hinterhöfen des guten Geschmacks entstand Anfang der 80er aus einem Clubtrend die Gothic-Bewegung. Sie hat sich als sehr langlebig erwiesen. ... Die Bands trugen verheißungsvolle Namen wie Sex Gang Children, Southern Death Cult, Alien Sex Fiend, Sad Lovers and Giants und Sisters of Mercy, sie spielten lange Stücke mit kreischenden Nebelgitarren, wabernden Bässen und tribalistischen Drums oder elektrischen High-Energy-Rhythmen. Ihre Sänger liebten die dramatische Selbstinszenierung. ...
https://taz.de/40-Jahre-Gothic-Bewegung/!5868798/

QuoteSixT8
24.07.2022, 12:18

Leider hat der Autor mit keinem Wort die große Darkszene in der DDR erwähnt.
Selbst genähte Klamotten, immer auf der Jagd nach seltenem Haarspray und den passenden Soundtracks.
Es ist auch kein Zufall, daß das international größte Dark-Festival in Leipzig statt findet.


QuoteSchängel
24.07.2022, 11:02

Mir sind die Aussagen in diesem Artikel zu pauschal. Ich habe festgestellt das die Szene in Deutschland regional sehr unterschiedlich aufgestellt ist.

Trotzdem danke für die Kurze Reise in die Vergangenheit.


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Heidi Süß
Kritische Rap & Männlichkeitsforschung // Berliner Institut für Popkultur- und Rap-Forschung
https://www.heidisuess.de/

https://www.heidisuess.de/publikationen/

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"Diedrich Diederichsens 21. Jahrhundert - Speisereste von Astronautennahrung" Julian Weber (29.3.2024)
Diedrich Diederichsens neues Buch verspricht bewusst größenwahnsinnig ,,Das 21. Jahrhundert". Es bündelt 173 Texte des Autors aus 23 Jahren. ... Schrecken, Idiotien, aber auch Glücksbotschaften und Epiphanien, zu finden in der 1.100-seitigen Essaysammlung ,,Das 21. Jahrhundert" von Diedrich Diederichsen, wenngleich ihre Veröffentlichung ohne mediales Getöse vonstatten geht. Bei der familiären Buchpräsentation im Roten Salon der Berliner Volksbühne sind viele vertraute Gesichter. Allen voran Rainald Goetz, der in der ersten Reihe sitzt und dabei oft den Kopf querlegt. ...
https://taz.de/Diedrich-Diederichsens-21-Jahrhundert/!6000948/

https://www.perlentaucher.de/buch/diedrich-diederichsen/das-21-jahrhundert.html



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Pop: "Ein bisschen Frieden? – Eine uneigentliche Philosophie des Schlagers" (19. April 2022)
von Florian Arnold (Florian Arnold ist Akademischer Mitarbeiter für Philosophie und Ästhetik in der Fachgruppe Design an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und vertritt derzeit die Professur für Designtheorie an der HfG Offenbach.)
... Zunächst aber sorgen wir noch für eine bessere Orientierung, indem wir kurz die Entstehungsgeschichte des Schlagers rekapitulieren, die an ihn gerichtete Hauptanklage in Erinnerung rufen und uns um eine weitere Klärung seines Verhältnisses zur Pop-Musik und Popkultur bemühen. Wie wir sehen werden, kommt dabei dem deutschen Schlager eine besondere Funktion zu, die man im Unterschied zur anglo-amerikanischen "popular culture" und ihren Ablegern auch als die eines Soundtrack des nachkriegsdeutschen Wohlfahrtstaates bezeichnen könnte. ...
https://praefaktisch.de/pop/ein-bisschen-frieden-eine-uneigentliche-philosophie-des-schlagers/

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Quote[...] Obwohl Dankemeyer auch im Pop gelegentliche Emanzipationsstrebungen nicht von der Hand weist, ist dessen Grundmodell zum künstlerischen grundverschieden: »Kunst verspricht und sublimiert. Pop vertröstet und sexualisiert.« Eine Sexualisierung wohlgemerkt, der gerade der Eros, die Leidenschaft abhandenkommt. Dafür steht die populäre New Yorker Musikjugend: »Die Lust wird gemindert durch das Fehlen von Vorlust und Spannung, des Abenteuers der Verführung und des Risikos der Zurückweisung. Die Lust wird durch unkomplizierte Sachlichkeit verhütet.« Zwar verdankt Adorno dem amerikanischen Exil, zunächst in New York, dann in Los Angeles, nicht nur sein Überleben, sondern auch entscheidende geistige Erfahrungen, eine Urbanität und Weltoffenheit seines Denkens. Und doch sind es vor allem die prägenden Erinnerungen seiner Wiener Jahre, die er noch als Vortragender bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik ab den 50er Jahren einer jungen Generation an Musikern vermitteln will.

Doch wozu eigentlich dieses Beharren auf Fragen der Ästhetik? Zu Recht konstatiert Dankemeyer bereits in ihrem »Vorspiel«, dass Adorno vor allem ein materialistischer Gesellschaftstheoretiker sei, dessen Denken »sachgemäß in eine ›innermarxistische Diskussion‹ gehört«, wobei »der ›Streit um Theorie und Praxis‹ nicht aufhören darf, bis er eben aufhören kann«. Auch das Versprechen der Kunst kann in dieser unfreien Gesellschaft nicht eingelöst werden, eine Veränderung der Welt zum Besseren bleibt Aufgabe politischer Praxis. Aber genau hier kommt - wie Dankemeyer im letzten Abschnitt des Buches zeigt - die Erotik der Ohren abermals ins Spiel, denn die akustischen Leidenschaften halten das Bewusstsein wach und offen für das, was in solcher Praxis unter keinen Umständen vergessen werden darf: »Uneingeschränkte Humanität kann nicht nur aufgeklärte Rechtspersonen und zivilisierte Vernunftwesen erfassen, sondern dürfte auch deren leibhaftige Verletzbarkeit nicht vergessen und müsste auch den enthusiastischen Phantasten ihre Stelle im menschlichen Geist freihalten. Im ›zivilisiert Natürlichen‹, im sprachlichen Vorstellungsvermögen, würden die Triebe weder gegängelt noch entfesselt, sondern aus Freiheit geformt.«

In der Lebensrealität der verwalteten Welt, der die Hoffnung auf eine in diesem Sinne bessere, schönere Gesellschaft zunehmend abhandenkommt, wird ein Denken, das solchen Wünschen die Treue hält, zur »Geheimwissenschaft«. Das adäquate Wahrnehmungsorgan für die verdrängten Begierden und Wünsche ist aber vielleicht weniger das Auge, das durch den Zivilisationsprozess hindurch zunehmend zum registrierenden, kategorisierenden, musternden Sinn wurde. Vom Hören erwartet man solch aktive Selbstbeherrschung nicht, ihm verzeiht man die nachsinnende, versunkene Passivität. Darum setzt die Geheimwissenschaft von der befreiten Gesellschaft auf die Sphäre der Akustik. In dieser Sphäre können sich Regungen einen Ausdruck verschaffen, die das fantasielose Alltagsbewusstsein allzu oft vergisst, denn »wie die Musik geben auch Bücher das Versprechen erfüllter Zeit - wer sich ihnen zuwendet, kann einsam, lautlos und unbewegt dasitzen und sich doch heimlich in bester Gesellschaft befinden und tief bewegt sein, ohne dass von der inneren Aufgewühltheit mehr als ein erstauntes Stöhnen oder ein zustimmendes Seufzen nach außen dringt. Hören und Lesen versammeln in sich verwandte paraerotische Verhaltensweisen; Neugier als Lust auf bisher Unbekanntes, die freie Verfügung und Verschwendung der eigenen Lebenszeit an fremde Worte, Gesten, Gebärden.«

Treffende Worte - auch und gerade für unschöne Zustände - sind im Denken die schönen Stellen, sie haben etwas Musikalisches. Dass nicht nur Adornos Texte diese musikalische Seite haben, sondern jedes kritische Denken sie haben sollte, daran erinnert auf beeindruckende Weise Iris Dankemeyers »Erotik des Ohrs«.

Zu: Iris Dankemeyer: Die Erotik des Ohrs. Musikalische Erfahrung und Emanzipation nach Adorno. Edition Tiamat, 408 S.


Aus: "Hörlust des Denkens" Martin Mettin (12.01.2021)
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1146878.die-erotik-des-ohrs-hoerlust-des-denkens.html

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Quote[...] Techno begann als Revolte gegen die Unterhaltungskultur. Die neue Musik wollte nicht mehr als akustische Hintergrundkulisse zur Vermeidung von Einsamkeitsgefühlen vor sich hindudeln oder in Diskotheken als Animiermelodik die Lügen der love songs verbreiten. Sie erschuf dagegen mit konsequent geilem Bumsbeat eine eigene Clubkultur und ein neues Gemeinschaftsgefühl. Waren die Ohren zuvor von bekömmlichen Tönen verweichlicht worden, forderte Techno zwingend und kompromisslos Gehorsam. In Berlin wurde aus einer anfangs noch in Tresoren und Bunkern abgeschotteten Subkultur binnen weniger Wendejahre eine Massenkundgebung mit verzehntausendfachter Mitläuferzahl. Bis heute ist die Partykultur ein Standortfaktor der Kreativindustrie. Die Instrumentalisierung von Techno zur Generalhymne der ,,arm, aber sexy"- Ideologie hat geholfen, die prototypische Existenzweise des Prekariats gegen dessen eigene politische Interessen durchzusetzen. Wer die Arbeitslosigkeit mit dem Ende der Arbeit verwechselt, braucht eben keine Freizeit und keinen Feierabend zur Kompensation der Arbeitsstunden mehr, sondern ein Nachtleben, das zur neuen Vollzeitbeschäftigung wird. Der Vortrag erinnert an das, was Techno einmal ausdrückte: das Lebensgefühl der untergegangenen Industriestadt Detroit. Hier entstanden die dystopischen Zukunftsklänge zum einen als musikalische Emanzipation von den Standards der ,,race music", zum anderen als verzweifelte Reaktion auf die Erfahrung von Verwahrlosung, Armut und Gewalt. Wie konnte aus der Not der amerikanischen ,,Techno City" Detroit eine Tugend der selbsternannten ,,Hauptstadt der Clubkultur" Berlin werden? Und warum eignete sich ausgerechnet die musikalische Negation der Popkultur als Exportschlager und Massenkulturware fürs gesamtdeutsche Gemeinschaftsgefühl? Ist es die Gewalt der Musik, die noch heute Individuen in mythischen Tanztempeln zusammenführt, wo sie sich als körperliche Kreaturen durch eine gemeinsame Sache glücklich verbunden fühlen und nicht als Konkurrenten durch ein abstraktes Gesetz getrennt? Oder ist Techno die Musik der Gewalt, die Hörige in einen konformistischen Kollektivritus zwingt und ihnen das Gesetz der Gesellschaft mit bis zu 150 Schlägen pro Minute einprügelt?

Zum Vortrag: Die Gewalt der Musik - Zur Genese gesellschaftlichen Gehorsams in der transatlantischen Technobewegung
23.09.22 19:30
Im Irgendwo
Amelie-Beese-Straße 8
28199 Bremen

Dr. Iris Dankemeyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Philosophie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle. Sie studierte Soziologie und Sozialpsychologie in Hannover und Philosophie und Neuere deutsche Literatur in Berlin. 2020 erschien ihr Buch ,,Die Erotik des Ohrs. Musikalische Erfahrung und Emanzipation nach Adorno" in der Edition Tiamat. Ihre Interessengebiete umfassen vor allem psychoanalytische Kulturtheorie und materialistische Ästhetik. In ihrer freien Zeit versucht sie, das altmodische Handwerk der Zauberei zu erlernen.


Aus: "Die Gewalt der Musik: Zur Genese gesellschaftlichen Gehorsams in der transatlantischen Technobewegung" (2022)
Quelle: https://kritischebildung.de/veranstaltungen/die-gewalt-der-musik

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Christoph Türcke (* 4. Oktober 1948 in Hameln) ist ein deutscher Philosoph. Er lehrte von 1995 bis 2014 als Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. ... Christoph Türcke ist durch sein Theologiestudium zum Religionskritiker geworden und in die Nähe zur kritischen Theorie Horkheimers und Adornos sowie zur Psychoanalyse Freuds gerückt. Was er beiden Konzeptionen hinzugefügt hat, ist eine Theorie vom traumatischen Wiederholungszwang als Kulturstifter. Auf die Logik zwanghafter Wiederholung führt er ebenso die Mentalisierung des Homo sapiens zurück wie die Kulturtechniken der Schrift und der Zahlung. In seinen Gegenwartsdiagnosen spielt die Wiederkehr steinzeitlicher Archaik unter High-Tech-Bedingungen eine zentrale Rolle. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_T%C3%BCrcke

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Quote[...] Viele Bücher über Musik sind deshalb so unbefriedigend, weil sie es dem Leser einfach machen wollen. Weil jeder verstehen oder mitempfinden soll, was den Autor so begeistert. Aber Musik ist nicht einfach. Sie ist nicht einfach zu verstehen und sie ist nicht einfach da. Sie ist, das zeigt der Philosoph Christoph Türcke in einem der besten Bücher, die über Musik geschrieben wurden, neben der Sprache das komplexe Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Sicherlich, auch Tiere geben Laute von sich, sogar Melodien, die sich manchmal kaum von den akustischen Ergebnissen menschengemachter Musik unterscheiden. Aber tierische Klänge sind eben nicht gemacht, nicht bewusst gestaltet, sondern funktionale Reflexe oder reflexhafte Überschusshandlungen: Aktionen, die über den ursprünglichen Nutzen der Paarungsoffensive oder Gebietsmarkierung hinausgehen. Klingt wie Musik, ist aber keine, stellt der Philosoph Christoph Türcke nüchtern fest. Wenn aber Musik, wie er später darstellt, kein Transportmittel für Gefühle ist, sondern ein kulturelles Konstrukt, das dennoch mit Gefühlen verbunden ist, dann wird es schon schwieriger mit der Unterscheidung von Mensch- und Tiermusik.

Denn die Art des Konstruktes, die Struktur, ist offen und nicht objektiv bewertbar. Für Türcke ist ein Bezug zur natürlichen Obertonreihe aber wesentlich, eine Überwindung der Tonalität, wie sie etwa der Komponist Arnold Schönberg propagierte, eigentlich nicht möglich. Schönberg habe das System von Konsonanz und Dissonanz auflösen wollen in eine mystische Konsonanz mit dem Universum. Die allermeisten Menschen hören aber tonal und erfahren Musik über das Spannungsverhältnis von Konsonanz und Dissonanz. Und trotz imposanter Theoriearbeit durch Schönberg selbst und später vor allem durch den Philosophen Theodor W. Adorno hat Schönbergs Zwölftonsystem das abendländische Tonsystem nicht verdrängen können.

Vielleicht hat er aber wenigstens erreicht, was auch Türcke umtreibt: den vermuteten Gefühlsgehalt von Musik zu hinterfragen. Denn auch als leidenschaftlicher Musikhörer muss man doch zugeben, dass Musik ein akustisches Phänomen ist, an das der Mensch seine Gefühle koppelt, wie es ihm passt. Der Glaube, diese Gefühle seien durch die Musik hervorgerufen worden, ist nicht falsch, aber auch nicht richtig. Denn die Musik enthält keine Gefühle. Nicht einmal biografische Abdrücke, wie Türcke feststellt. Nichts davon. Es ist völlig egal, wie gut oder schlecht Beethoven gelaunt war, als er seine Fünfte Symphonie schrieb, ob er mit seiner Taubheit haderte und an Gott und der Welt verzweifelte. Auch dies ist schwierig zu vermitteln, denn der Wunsch, dass Musik eine wenn auch begrifflose sprachähnliche Bedeutung habe, hält sich tapfer und füllt viele Bücher mit konkreten Werkdeutungen.

Schwierig heißt für Türcke aber nicht unmöglich. Er zeichnet zunächst die lange Entwicklung vom Schreckensschrei beim archaischen Menschenopfer vor vielen Tausend Jahren bis zu Stockhausens ,,Gesang der Jünglinge", bereichert seinen historischen Abriss mit philosophischen Standpunkten von Platon bis zu Adornos Jazzkritik. Der Vorteil dieser sehr umfangreichen und doch immer spannend geschriebenen Darstellung ist zweifellos die philosophische Versiertheit des Autors und sein größtenteils erfolgreiches Bemühen, sich auch in Details der Musikgeschichte einzuarbeiten. Es scheint ein Vorteil zu sein, diese einmal von außen scharf denkend zu betrachten und ihr nicht mit der Selbstsicherheit des ausübenden Musikers oder Musikwissenschaftlers zu begegnen. Christoph Türcke war zwar einst ein begabter Violinist, spricht hier aber nicht aus der Sicht des Praktikers, der wie auch fast alle Theoretiker davon ausgeht, dass Musik in irgendeiner Form immer da war.

Anders als die oft unergiebigen Forschungsergebnisse fachfremder Wissenschaftler – viele haben einen Hang zur Musik und untersuchen meistens die Wirkungen von Mozart und Bach auf irgendetwas – beschränkt sich Türcke auf seine ihm vertrauten Bereiche der Philosophie, Theologie und Psychologie. Letztere hilft ihm, den Ursprung der Musik aus dem Ur-Ritus abzuleiten, dem kultivierten Menschenopfer. Am Anfang war die Angst, der Mensch war den unvorhersehbaren Bedrohungen durch Naturereignisse und Raubtiere schutzlos ausgeliefert. Ziemlich lange. Die Entwicklung seines Gehirns erlaubte ihm irgendwann eine Gegenreaktion, bei der es um Reizabfuhr geht, um Notwehrimpulse und Nachbereitungsimpulse. Angst soll nun vor dem Schrecken schützen und wird bewusst getriggert durch Wiederholung des Schreckensszenarios.

Aus dem Wiederholungszwang entsteht der Ritus, bei dem das schlimmste Erlebnis in Szene gesetzt wird: die Tötung eines Mitmenschen. Entscheidend dabei, sagt Türcke, ist ,,nicht, Naturgestalten nachzuahmen, sondern Gestaltlosem eine Gestalt zu geben". Das Ganze geschieht in einem Schutzraum, der ,,skene", und die treibenden psychischen Kräfte sind Verschiebung und Verdichtung, die Sigmund Freud die ,,Werkmeister des Traums" nennt. Diese Kräfte bilden den ,,psychischen Primärvorgang", dessen Initialzündung der Wiederholungszwang ist, wie Türcke beschreibt.

Wesentlich im Hinblick auf die Entwicklung des Ritus und am Ende der Musik ist die Umkehr der Triebrichtung. Der rituelle Ablauf geht – sehr verkürzt dargestellt – so, und das ist durch archäologische Forschung begründet: Die Gemeinschaft wirft das Los, wer geopfert werden soll, es folgt die Zurichtung des Opfers durch Steinigung. Hierbei entsteht Mitleid und Solidarität. Letztere äußert sich in der Selbstverletzung der Beteiligten durch sogenannte Kainszeichen – sie sind die Vorstufe der Schrift. Sie gehören ebenso zur Schreckensbewältigung wie Bestattungsrituale, die begleitet sind von Scham, Trauer, Mitleid und Rührung. In ihnen entwickelt sich allmählich, über Hunderte Jahre, der traumatische Wiederholungszwang vom Abfuhrreflex unerträglicher Reizüberschüsse, also des ursprünglichen Schreckens, ,,zum Ferment spezifisch menschlicher Gefühle".

Gleichzeitig entwickelt sich ein virtueller Raum ,,entstofflichter Schreckensbilder", also albtraumartiger Visionen, die irgendwann das reale Menschenopfer durch abstraktere Rituale ersetzen. Doch Musik und gleichzeitig Sprache entwickeln sich noch im konkreten Opferritual, nämlich aus dem Schrei der Menge im Moment der Tötung. Der Schrei, zunächst Reflex, entwickelt demonstrativen Charakter, er deutet auf ein Geschehen, wird schließlich zum Begriff, zur Benennung, zum Namen. Hier sind Sprache und Musik noch eins, die Geste des Nennens ist gleichwertig dem noch unbekannten Inhalt des Benennens. Es folgen fast spannende hundert Seiten, die in die jüdische Sprachphilosophie führen, zu Adorno und dessen Vorbild und Ideengeber Walter Benjamin und dessen missglückte Habilitationsschrift ,,Der Ursprung des deutschen Trauerspiels".

Benjamin sagt ganz kantianisch, unsere Begriffsapparatur deute sich die Welt nach unserer Vorstellung, erfasse aber nicht die Wahrheit. Allerdings listet er dann allerhand Merkmale von Wahrheit auf, die in einer ,,weitgehend beweislosen Wahrheitstheorie" mündet. Das kostete ihm die akademische Karriere. Adorno führt Benjamins Gedanken weiter und spricht in Bezug auf Musik als entmythologisiertem Gebet, ,,befreit von der Magie des Einwirkens". Hier widerspricht Türcke und landet schließlich beim bekannten Beispiel in Platons ,,Symposion", bei dem eigentlich der Sexualtrieb des Menschen erklärt werden soll. Der Urmensch war demnach ein Doppelmensch, wahlweise Mann-Mann, Mann-Frau oder Frau-Frau. Der eifersüchtige Zeus durchtrennte diese vollkommenen Menschen, und die Wundmale schmerzen bis heute. Deshalb sucht der Mensch stetig sein Gegenstück. Und genau so kann man sich das Verhältnis von Sprache und Musik vorstellen und das Ohr dafür schärfen, wie diese Grundkonstellation durch die Jahrhunderte, von der Gregorianik über das Melodram des 19. Jahrhunderts bis zu Rap und Hip-Hop eine kulturelle Konstante ist. Eins verweist aufs andere, und auch wenn die Sprache schließlich die Oberhand gewonnen hat in der Bedeutung für den Menschen, so bleibt der Wert des anderen Teils, der Musik, doch nicht unerheblich. Musik, so kann man es kurzfassen, ist zugleich weniger und mehr als Sprache.

Sie ist nicht, wie Adorno sagt, ein entmythologisiertes, sondern, so Türcke, ein präverbales Gebet, das auch weltlich weiterwirkt, etwa bei Stefan George in seinem Entrückungsgedicht ,,Ich löse mich in Tönen". Türcke wühlt da immer weiter, es geht um die jüdische Mystik der Grasengel und um Sadomasochismus und so vieles, das zur Erklärung beiträgt und von den reinen Phänomenologen und Zeichentheoretikern nur unzureichend beschrieben werden kann: Was Musik ist.

Wie sehr man irren kann, wenn man sich auf rein musikwissenschaftlichem Boden bewegt oder der gängigen Vorstellung von Musiktheorie, zeigt Türcke wiederum am Beispiel des viel rezipierten Musikdeuters Adorno. Der konnte zum Beispiel im Jazz nichts wirklich Neues entdecken. Stattdessen attackiert er die Behauptung des Revolutionären im Jazz, bescheinigte diesem ,,Gestus der Rebellion die Bereitschaft zu blindem Parieren", ,,wie es die analytische Psychologie vom sadomasochistischen Typus lehrt, der gegen die Vaterfigur aufmuckt und dennoch insgeheim sie bewundert, ihr es gleichtun möchte".

Adorno schrieb dies 1935, als der Jazz aus heutiger Sicht noch sehr aufgeräumt klang. Türcke nimmt Adornos Kritik dennoch ernst, zeigt dessen Fehlschluss auf, redet aber nicht verknöcherten Konservativisten das Wort. Es sei keineswegs ein simpler Kategorienfehler, schreibt Türcke, den Jazz von der kompositorischen Höhe aus wahrzunehmen, die die klassische Musik im Zeitalter der zerbrechenden Tonalität erreicht hatte. Von Debussy aus betrachtet, den Adorno unter anderem anführt, sei der Jazz sicherlich dilettantisch, aber dieser Dilettantismus habe sein eigenes Recht, ,,sobald es ihm gelingt, was so mancher hochkarätigen Kompositionsanstrengung versagt bleibt: auf spontane, befreiende Weise ein Glücksversprechen mit enormer Echowirkung zu artikulieren".

Dies ist sicherlich die entscheidende Sichtweise, die wohl für alle Musik gilt, von der Gregorianik bis zum Bebop, von Palestrina bis zur Popmusik. Zu jeder Zeit gibt es mehr oder weniger komplex gestaltete Musik, aber das Entscheidende ist nicht der vordergründig intellektuelle Aufwand, sondern das wirkende Ergebnis beim Hörer. Womit wir vielleicht doch wieder bei den Tieren wären, bei der drögen Drossel und dem herrlichen Lerchengesang. Türcke würde das nicht so sehen, er forciert einen kulturellen Entwicklungsbegriff, bei dem es um Gestaltung geht, der nicht Detailphänomene ins Zentrum rückt, sondern den Blick fürs Ganze bewahrt. Und da zeigen sich dann doch etwas weitergehende akustische Wunder als der Gesangskarneval der Tiere.

Zu: Christoph Türcke, Philosophie der Musik. Verlag C.H.Beck, München 2025. 510 Seiten


Aus: "Am Anfang war die Angst" Helmut Mauró (11. April 2025)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/christoph-tuercke-philosophie-der-musik-li.3233861

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Quote[...] Das Verdikt von Anthony Fantano fällt eindeutig aus: ,,Music discourse is dead." Mausetot sei die Debatte über Pop, urteilt der US-Autor. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Fantano als ,,Internet's busiest music-nerd" bekannt. Vor zwei Wochen veröffentlicht er ein zwölfminütiges Video bei Youtube.

"Music Discourse Is Dead" Fantano (08.04.2025)
Talking about the declining quality of music discussion in recent years and if it even was actually better back in the day. --> https://youtu.be/jqqafzK6e8Y

Dabei handelt es sich um einen Abgesang. Fantano hält eine Trauerrede auf eine seiner Meinung nach verlorengegangene Kulturform: das intelligente, informierte, enthusiastische und beherzte Gespräch über die schönste Nebensache der Welt – Musik. Auffällig ist, dass Anthony Fantano, der mit den Konten ,,theneedledrop" (3 Millionen Follower) und ,,fantano" (1,9 Millionen) eine weltweite Fangemeinde versammelt, bislang nicht als pessimistischer Nörgler in Erscheinung getreten war.

Er galt geradezu als personifizierte Ehrenrettung von Musikjournalismus. Doch nun ist es um ihn geschehen. Selbst er, der Charakterkopf mit Schnauzbart und Windsor-Brille, sieht die Musikkritik am Boden.

Wer die Resilienz des Pop- und Musikdiskurses immer noch behauptet – oder wie das Kölner Online-Magazin ,,kaput" in Form einer großangelegten Fragebogen-Serie untersucht und dadurch implizit verteidigt –, darf sich schon lange das Label des idealistischen Träumers anheften lassen. Merkmal einer nicht mehr enden wollenden Saure-Gurken-Zeit.

Mit dem Hype um Blogs als alternative Distributionswege, der Mitte der Nuller einsetzte, wurde Musikjournalismus ein jähes Ende prophezeit. Das hat sich nicht bewahrheitet. Trotzdem konnte der seit 20 Jahren anhaltende Krisenmosus nur sporadisch überwunden werden.

Unterdessen wurden allein in Deutschland im letzten Jahrzehnt mit Intro, Spex, Groove und De:Bug vier der wichtigsten überregionalen Musik-Printmagazine eingestellt. Auch etliche Nischenprodukte zu Genres wie Metal, Punk und Schwarze Szene haben entweder schon das Zeitliche gesegnet oder ächzen laut.

Den US-Youtuber Fantano interessiert der deutsche Blätterwald wohl kaum. Eher interessiert ihn etwa das Siechtum von Pitchfork, dem einstigen US-Branchenprimus der Onlinemagazine, das ab 1996 zur wichtigen englischsprachigen Plattform für Musikjournalismus wurde. 2024 wurde Pitchfork mit dem Männermagazin GQ fusioniert, woraufhin langjährige Mitarbeiter*innen entlassen wurden und die Stammleser*innenschaft geflüchtet ist [https://taz.de/Ende-der-Musikplattform-Pitchfork/!5987825/].

Auch das renommierte Guitar Player Magazine wurde nach 56 Jahren eingestellt. Liegt entsprechend das Wohl des Musikdiskurs in Onlineforen, Blogs und Youtube-Kanälen? Fantano sieht auch deren Entwicklung kritisch. Zwar habe es vor etwa 15 Jahren eine Umwälzung gegeben, als junge Musikinteressierte aus Leidenschaft ihre Karrieren im Netz schusterten. Viele stellten ihren Betrieb auf Dauer wieder ein. Zu viel Arbeit, zu wenig Erlös, mehr und mehr Advertorial-Anfragen.

So verkam die Kritik allmählich zur (Hof-)Berichterstattung ohne Verve, Interviews waren nur noch möglich, wenn man bereits im Vorhinein journalistische Pflichten zur Transparenz über Bord warf. Sonst sagt das Managment Nein und verweist auf die 50 anderen Blogs, die auch ein Interview mit Künstler:in XYZ machen.

Die allmähliche Aushöhlung ist Leser*innen nicht entgangen. Musikblogs gab es hüben wie drüben, wobei die deutsche Landschaft stets überschaubar blieb – internationale Vermarktbarkeit kann man auf Deutsch vergessen. So manches ambitionierte Hobby-Projekt, wie der beliebte HEY-Blog. ist Geschichte. Andere, groß angelegte Seiten wie Diffus des Musikmanagers Beat Gottwald produzieren sicher viel Content, aber: Unzählige Artikel zu Kleinstbands und Heerscharen an Newcomern sind noch lange kein Beweis eines gesunden Diskurses. Ganz im Gegenteil.

Deutschsprachige Feuilletons galten hingegen lange, aus uralter bürgerlicher Tradition als die Gralshüter des Diskurses. Vielen Autor*innen liegt inzwischen die eigene Kritikalität mehr am Herzen als der Auftrag, die Leser*innen schlauer in die Welt zu entlassen, als sie vorher waren. Oft geschieht dies auch noch, ohne überhaupt eine Haltung zu vertreten.

Die großen identitätspolitischen Fragen unserer Zeit (von Coronapandemie über Ukrainekrieg und Nahostkofnlikt zur Intersektionalität) wurden zugleich zu bestimmenden Kategorien der Musikkritik. Hintenüber fiel dagegen ihr eigentlicher Zweck: Einordnung der Musik; auf Expertise basierende Bewertung; Verteidigung des Nachhaltigen – und im besten Falle Erzeugen von Ekstase und Euphorie.

Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Fakt ist jedoch: Nicht jedes Sprechen bedeutet Erkenntnisgewinn. Gesprochen und geschrieben wird nämlich weiterhin viel, primär in den sozialen Medien von Instagram bis Tiktok. Dort wird aber nicht der Diskurs zelebriert, sondern ein Kulturkampf, der draußen herrscht, online fortgeführt. Die berechtigte Kritik an den antisemitischen Ausfällen des einstigen US-Starrappers Kanye West wird von Heerscharen seiner Fans verweigert, Kritiker*innen werden bedroht.

Dasselbe gilt für die Troll-,,Armeen" von Superstars wie Taylor Swift und Drake, die Kritik shitstormen. Aber auch im kleineren Rahmen wird nur noch behauptet, nicht mehr diskutiert. Stattdessen wird gespamt, downgevotet, die Beleidigung ad hominem gehört zum ,,guten Ton". Warum das so ist, bleibt schwierig zu beantworten. Die ständig bei X und seinen korrekten Varianten wie Bluesky zelebrierte Polarisierung in ,,die Guten" und ,,die Schlechten" mag daran ihren Anteil haben.

Ein weiterer Diskurskiller ist die schiere Masse an Content. Auf Spotify werden täglich mehr als 100.000 Musikstücke (Stand 2023) hochgeladen, das ist mehr, als früher in einem ganzen Jahr veröffentlicht wurde [https://taz.de/Probleme-beim-Musikstreaming-Boom/!6072418/]. Wie soll dieser Output noch überblickt werden? Musikjournalist*innen tun ein Übriges: Instagram und Tiktok werden mit Selbstverständlichkeit bespielt, Videos über Samples veröffentlicht, pausenlos Gossip verbreitet und vor allen Dingen nach Skandälchen gesucht.

Ob das auf Dauer die Kritik voranbringt? Personenkult gehört zum Pop, keine Frage, aber die neuen Formate durchwaten primär die flachen Gewässer der Celebritykultur. Das gleiche gilt für die große Welle an Podcasts – Personality steht hier vor Diskurs. Und auch der ganz neue Hype um Newsletter, die von verschiedenen Autor*innen – international und in Deutschland – an den Start gebracht werden, ist bloß ein Sturm im Wasserglas.

Fantano wiegelt in seinem Video ab: Es gebe sie noch, die guten Ecken. Die Seite ,,Rate Your Music" etwa, die seit Jahren eine Oase in der Diskurswüste darstelle, gehört genauso dazu wie Fantanos eigene Youtube- und Twitch-Kanäle. Im deutschsprachigen Raum stechen im Hörfunk das freie Netzradio byte.fm, sein Kölner Pendant 674.FM und der Sender ,,Cosmo" trotz einiger Idiosynkrasien heraus.

Kleinode gibt es auch im Digitalen: Florian Aigners ,,Inventur", ein Blog auf der Internetseite des Plattenhändlers HHV, publiziert seit Langem die beste deutschsprachige Sammlung an Kurzkritiken. Gemein ist ihnen, nicht ganz zufällig: Sie berichten aus den (globalen) Peripherien, nicht aus den Hauptstädten und den Charts, sondern kommentieren von außen nach innen. Sie sind damit alle (noch) ein willkommener Anlass im privaten wie öffentlichen Raum zu diskutieren.

Und ja, eins sollte klar sein: Der Musikdiskurs, das sind wir alle. Wir müssen ihn nur wieder feiern und praktizieren.



Aus: "Debatte über Musikdiskurs im Netz: Content kills the radio star" Lars Fleischmann (25.4.2025)
Quelle: https://taz.de/Debatte-ueber-Musikdiskurs-im-Netz/!6083692/

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Quote@39bailey

Bro, all discourse is dead


Quote@wilnich592

I feel like your explanation could honestly describe discourse of anything, anywhere.

Every major social platform on the internet now is explicitly designed to upset you. Algorithms are programmed to find the most inflammatory, ignorant statement about any topic and throw it in your face. They want to engineer arguments, because that's the easiest way to get engagement. They want to manufacture hits and popularity by tweaking The Machine to give you whatever slop they want to blow up.

Every day is a constant psychological battle to not be manipulated by corporations. It's dystopic.


Quote@1503010

It's also our postmodern reality where our common experience is killed and everyone is atomized in their own algorithmically fed version of the truth


Quote@dayransilva

I don't think it is design primerily to upset, it's designed to sell you advertisements, where most of the money comes from, and the "rage bait" part it's just a tool to achieve you being in the website for as long as possible, engaging and being shown ads, thats why there is more and more ads everywhere online each year, thats how most of these companies make a looot of their money.


Quote@Rebazar

On the surface it seems to be about polarization and platforms, but the underlying issue is a fundamental inability to communicate. The internet has functionally annihilated the average person's ability to envision and articulate what they think, and it's only getting worse.

[Oberflächlich betrachtet scheint es um Polarisierung und Plattformen zu gehen, doch das zugrunde liegende Problem ist eine grundlegende Unfähigkeit zur Kommunikation. Das Internet hat die Fähigkeit des Durchschnittsbürgers, seine Gedanken zu formulieren und auszudrücken, praktisch zerstört, und es wird immer schlimmer.]


Quote@ElPalomo

I'm a designer and I've noticed this too in my field.  we used to engage in in-depth conversations about design, art, typography and what not. There were specialized magazines and blogs, art books, it was all kind of niche but the people engaged with it were super invested. fast forward to today design has a wider appeal and became accesible to more people but  everything became bite size content, or clickbait content that is very superficial. a lot of short lived trends, top 10s, how to's and "yuo're doing it wrong's" type of videos often made by amateurish influencers who are more concerned about how they look on camera than the actual content of the video.

[Ich bin Designer und habe das auch in meiner Branche bemerkt. Früher haben wir uns intensiv über Design, Kunst, Typografie und vieles mehr unterhalten. Es gab Fachzeitschriften, Blogs und Kunstbücher – alles war eine Nische, aber die Leute, die sich damit beschäftigten, waren sehr engagiert. Heute ist Design zwar attraktiver und für mehr Menschen zugänglich, aber alles wurde zu oberflächlichen Häppchen oder Clickbait-Inhalten. Es gibt viele kurzlebige Trends, Top-10-Videos, How-tos und Videos vom Typ ,,Du machst es falsch", oft von amateurhaften Influencern, die sich mehr um ihr Aussehen vor der Kamera als um den eigentlichen Inhalt des Videos kümmern.]


Quote@ADI-i3d3y

Music is facing and I think from much much earlier on , what film is perceived nowadays ...a passive way to pass time .Both of the Mediums suffer in today's climate especially where people are indulged into this "hyperinfanitalized " irony based take on the events , It's hard to be sincere and vulnerable about anything when the other person takes you and your feelings for a joke 🤷

[Musik ist – und ich glaube, schon viel früher – mit dem konfrontiert, was Film heute als passiver Zeitvertreib wahrgenommen wird. Beide Medien leiden unter dem heutigen Klima, insbesondere unter der Tatsache, dass die Menschen sich dieser ,,hyperinfanitisierten", ironischen Sichtweise der Ereignisse hingeben. Es ist schwer, aufrichtig und verletzlich zu sein, wenn der andere einen und seine Gefühle für lächerlich hält. 🤷]


Quote@biggoosewoman

was thinking about this very recently. It seems that the culture of artistic discussion has shifted past a careful and healthily debated consideration of the messaging and stylistic influences an album or track or any music related project may have within society and music itself, present and future. Rather, the culture has opted for a baseless metric of ranking albums (peak, mid, ass, whatever). We live in an attention and 'rage-bait' seeking, terminally online world at the moment and it is so much easier to voice a disingenuous opinion on art and garner clicks than to put thought into our interpretation of the albums at hand at the cost of likes and 'fitting into the algorithm'. When you walk into an art gallery, or you walk into a cinema, you intend to place your full attention towards the artistic project your viewing and wonder how this affects you and the society around you, and you should hold that standard in the sphere of musical discourse. Don't try to earn a trophy for most albums listened to, because there's no such thing. Art is expression, and expressions are never limited to mid, peak, or ass.

[Ich habe erst kürzlich darüber nachgedacht. Es scheint, als ob sich die Kultur der künstlerischen Diskussion von einer sorgfältigen und gesunden Auseinandersetzung mit den Botschaften und stilistischen Einflüssen, die ein Album, ein Track oder ein anderes musikbezogenes Projekt auf die Gesellschaft und die Musik selbst – Gegenwart und Zukunft – haben kann, entfernt hat. Stattdessen hat sich die Kultur für eine haltlose Bewertungsmetrik von Alben entschieden (Spitze, Mitte, Tiefpunkt, was auch immer). Wir leben in einer Welt, die nach Aufmerksamkeit und ,,Rage Bait" strebt und unaufhörlich online ist. Es ist so viel einfacher, eine unaufrichtige Meinung über Kunst zu äußern und Klicks zu ernten, als über unsere Interpretation der Alben nachzudenken, auf Kosten von Likes und ,,in den Algorithmus passen". Wenn man eine Kunstgalerie oder ein Kino betritt, möchte man seine volle Aufmerksamkeit dem künstlerischen Projekt widmen, das man betrachtet, und sich fragen, wie es einen selbst und die Gesellschaft um einen herum beeinflusst. Diesen Maßstab sollte man auch im musikalischen Diskurs hochhalten. Versucht nicht, eine Trophäe für die meisten gehörten Alben zu gewinnen, denn so etwas gibt es nicht. Kunst ist Ausdruck, und Ausdruck ist nie auf die Mitte, den Gipfel oder den Hintern beschränkt.]


Quote@BiruKarurin

I think what people forget is that the internet is a melting pot of all different age groups. There's a reason kids are kept separate from adults in real world spaces where actual discourse is meant to be conducted, but the internet provides no such filter. The loudest voices are those of children and teenagers throwing temper tantrums over nonsense, and the grown adults who have realized they can profit from them are stoking the flames. When kids fight in the real world, an adult breaks up the fight, when kids fight online, the adults gather around to cheer and grift. The long term effect of this is a negative feedback loop where the worst impulses are rewarded. We are collectively engineering a culture that amplifies the worst aspects of the human race and puts them up front and center for others to learn from. That's just the rage baiting. The erosion of meaningful discourse is a conscious and deliberate attempt by tech companies to maximize profit and engagement above thinking and reflecting. It's about lowering the bar of standards, effectively training a new class of consumer that will choose the laziest, quickest action, thought and product because it's easier to appeal to base desires than it is to appeal to complex, nuanced ones (thus, easier to manufacture engagement and revenue.) As generations grow up in this environment, not only are they trained to give in to their worst impulses, but their ability to even reflect on why this is wrong is being gradually trained out of them, too.

[Ich glaube, die Leute vergessen, dass das Internet ein Schmelztiegel für alle Altersgruppen ist. Es gibt einen Grund, warum Kinder in der realen Welt, wo eigentlich echte Gespräche stattfinden sollten, von Erwachsenen getrennt werden. Doch das Internet bietet keinen solchen Filter. Am lautesten sind die Stimmen von Kindern und Jugendlichen, die wegen Unsinn Wutanfällen kriegen, und die Erwachsenen, die erkannt haben, dass sie davon profitieren können, schüren das Feuer. Wenn Kinder in der realen Welt streiten, schlichtet ein Erwachsener den Streit. Wenn Kinder online streiten, versammeln sich die Erwachsenen um sie herum, um zu jubeln und zu betrügen. Der langfristige Effekt davon ist eine negative Rückkopplungsschleife, in der die schlimmsten Impulse belohnt werden. Wir erschaffen gemeinsam eine Kultur, die die schlimmsten Aspekte der Menschheit verstärkt und sie in den Mittelpunkt stellt, damit andere davon lernen können. Das ist bloß Wutmacherei. Die Erosion sinnvoller Diskurse ist ein bewusster und gezielter Versuch von Technologieunternehmen, Profit und Engagement über Denken und Reflexion zu stellen. Es geht darum, die Messlatte zu senken und effektiv eine neue Klasse von Verbrauchern heranzubilden, die sich für die bequemste und schnellste Handlung, Überlegung und das bequemste Produkt entscheiden, weil es einfacher ist, an niedere Wünsche zu appellieren als an komplexe, differenzierte (und daher auch leichter, Engagement und Umsatz zu erzeugen). Wenn Generationen in diesem Umfeld aufwachsen, werden sie nicht nur dazu erzogen, ihren schlimmsten Impulsen nachzugeben, sondern ihnen wird auch allmählich die Fähigkeit abtrainiert, darüber nachzudenken, warum dies falsch ist.]


Quote@MappingtheArchetypes

It's because culturally we all realized we don't share a common telos... so of course you can't have community arbitrarily based on the broad topic of "music." It's like a bunch of roommates who got a house together because "vibe" and then realized they actually don't share anything truly substantial in common. I long for the community feeling I had in the 10s too, but I think now that the Pandora's box is open, to go back to real community, we need real shared telos.

[Das liegt daran, dass wir kulturell alle erkannt haben, dass wir kein gemeinsames Telos [https://de.wikipedia.org/wiki/Teleologie] haben ... daher kann man natürlich keine Gemeinschaft willkürlich basierend auf dem breiten Thema ,,Musik" bilden. Es ist wie bei ein paar Mitbewohnern, die sich wegen der ,,Stimmung" zusammengefunden haben und dann feststellen, dass sie eigentlich nichts wirklich Wesentliches gemeinsam haben. Ich sehne mich auch nach dem Gemeinschaftsgefühl, das ich in den 10er-Jahren hatte, aber ich denke, jetzt, wo die Büchse der Pandora geöffnet ist, brauchen wir ein echtes gemeinsames Telos, um zu echter Gemeinschaft zurückzukehren.]


Quote@discozombi

I'm going to play armchair psychologist here and say that I believe a large reason why discourse has seen such a nosedive in depth & substance is because so few people these days are brave enough to be openly genuine in how they perceived a musical project. Whether or not someone liked a project, and the specifics of what contributed to their opinion are guarded under several thousands of layers of irony that makes trying to discuss it feels like pulling teeth. Whether it's insecurity about one's own opinions or just plain insincerity towards a project, it's detracted from discourse far worse than one would expect. It seems nobody wants to, or maybe just can't be open to in-depth discussion. "Uninviting" is the crux of it all, and it's a wave that has hit not just music, but social media as a whole.

If we widen the scope a bit, perhaps it's the digitization of music to blame? As great as it's been accessing music so easily & so freely, it's just as easy for someone to listen to snippets of an artist's featured works & form an opinion based off the 15-30 seconds of music they hear. The days of buying full albums based off cover art, artist, and/or genre have passed us a long time ago. While that physical media still exists & is usually available for purchase, there's still barriers of entry that prevent many from exploring music at that level (cost, availability, equipment, etc.). I can't entirely fault people in that regard however. It's unfortunate—the digitization of media has acted as a double edged sword for music discourse, allowing for people to freely engage and disengage with music as they like, but at the cost of how thoroughly we listen to and comprehend music. Moreover, music isn't being perceived as an art form anymore, but as a tool for social status. The concept of gatekeeping in particular has been so harmful because it's forced many to be so strangely protective, sometimes even competitive about the artists they enjoy. Gatekeeping stifles growth for both for the listener and the artist via the lack of discourse and lack of recognition, respectively. But more importantly, it brings us back full circle on how people have become so guarded & disingenuous when it comes to music.

We can talk about why that is for literal days, but I want to get to the bottom line—relax a bit, and start talking about music more. It's okay to be opinionated, and it's okay to have one, two, or even a billion hot takes on a certain artist or project. As long as your genuine opinion is out there, it's better for music & music discourse in the long run. It's scary putting yourself out there like that, I get it, but we all have to take that big leap if things are to improve at all in music discourse.

[Ich spiele mal den Hobbypsychologen und glaube, dass ein wesentlicher Grund für den starken Rückgang der Diskussionstiefe und -substanz darin liegt, dass heutzutage so wenige Menschen den Mut haben, offen und ehrlich ihre Meinung zu einem Musikprojekt zu äußern. Ob jemand ein Projekt mochte oder nicht und was genau zu seiner Meinung beigetragen hat, wird unter tausenden Schichten Ironie verborgen, sodass sich jeder Versuch, darüber zu diskutieren, wie ein Zahn ziehen anfühlt. Ob Unsicherheit über die eigene Meinung oder schlichte Unaufrichtigkeit gegenüber einem Projekt – all das lenkt den Diskurs weitaus stärker ab, als man erwarten würde. Es scheint, als ob niemand Lust oder vielleicht auch einfach keine Lust auf eine tiefergehende Diskussion hat. ,,Uneinladend" ist der Kern des Ganzen, und diese Welle hat nicht nur die Musik, sondern die sozialen Medien insgesamt erfasst.

Wenn wir den Blickwinkel etwas erweitern, ist vielleicht die Digitalisierung der Musik schuld? So toll es ist, so einfach und frei auf Musik zugreifen zu können, genauso einfach ist es auch, sich Ausschnitte der vorgestellten Werke eines Künstlers anzuhören und sich anhand der 15–30 Sekunden Musik eine Meinung zu bilden. Die Zeiten, in denen man ganze Alben aufgrund von Cover, Künstler und/oder Genre kaufte, sind lange vorbei. Zwar gibt es diese physischen Medien noch und sie sind in der Regel käuflich zu erwerben, aber es gibt immer noch Eintrittsbarrieren, die viele davon abhalten, Musik auf dieser Ebene zu erkunden (Kosten, Verfügbarkeit, Ausrüstung usw.). Ich kann den Leuten das jedoch nicht unbedingt verübeln. Es ist bedauerlich – die Digitalisierung der Medien hat sich als zweischneidiges Schwert für den Musikdiskurs erwiesen: Sie ermöglicht es den Menschen, sich frei mit Musik zu beschäftigen und sich von ihr zu lösen, aber auf Kosten der Intensität unseres Musikhörens und -verstehens. Außerdem wird Musik nicht mehr als Kunstform wahrgenommen, sondern als Instrument für sozialen Status. Insbesondere das Konzept des Gatekeepings hat sich als so schädlich erwiesen, weil es viele zu einem seltsamen Schutzverhalten, manchmal sogar Konkurrenzdenken gegenüber den Künstlern, die sie mögen, gezwungen hat. Gatekeeping hemmt die Entwicklung sowohl des Hörers als auch des Künstlers durch den Mangel an Diskurs bzw. Anerkennung. Aber noch wichtiger ist, dass es uns wieder zu der Frage zurückführt, wie die Menschen in Bezug auf Musik so zurückhaltend und unaufrichtig geworden sind.

Wir können tagelang darüber reden, warum das so ist, aber ich möchte auf das Wesentliche kommen: Entspannt euch ein wenig und fangt an, mehr über Musik zu reden. Es ist okay, eine Meinung zu haben, und es ist okay, ein, zwei oder sogar eine Milliarde heißer Meinungen zu einem bestimmten Künstler oder Projekt zu haben. Solange eure ehrliche Meinung öffentlich ist, ist das langfristig besser für die Musik und den Musikdiskurs. Es ist beängstigend, sich so zu präsentieren, das verstehe ich, aber wir alle müssen diesen großen Schritt wagen, wenn sich die Dinge im Musikdiskurs überhaupt verbessern sollen.]


Kommentare zu: https://youtu.be/jqqafzK6e8Y

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