• Welcome to COMMUNICATIONS LASER #17. Please log in.

[Seelische Verwundungen... (Psychotrauma)]

Started by Textaris(txt*bot), May 23, 2007, 12:34:49 PM

Previous topic - Next topic

0 Members and 1 Guest are viewing this topic.

Textaris(txt*bot)

... Ein Trauma ist eine Verletzung, in unserem Fall vor allem der Seele, des seelischen Gleichgewichts – meistens verbunden mit einer großen Erschütterung des Vertrauens in die Welt, in sich selbst und manchmal auch in Gott.  ... (Klaus Ottomeyer)

-

Quote[...] Ein Psychotrauma ist eine seelische Wunde, die auf einzelne oder mehrere Ereignisse zurückgeht, bei denen im Zustand von extremer Angst und Hilflosigkeit die Verarbeitungsmöglichkeiten des Individuums überfordert waren. Fischer und Riedesser definieren in ihrem Lehrbuch der Psychotraumatologie" (München, 1998) den Begriff ,,Psychotrauma" wie folgt: "... ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt" (S. 79). Solch ein traumatisierendes Ereignis führt bei etwa 20% der Betroffenen zu offensichtlichen posttraumatischen Belastungsstörungen. Posttraumatische Belastungsstörungen sind ein lange bekanntes und gut beschriebenes Krankheitsbild. Diagnostiziert wird die posttraumatische Belastungsstörung jedoch erst seit 1980, mit ihrer Aufnahme in die 3. Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM - IV). Die drei diagnostischen Kriterien sind Einbrüche von Trauma-Material in den Alltag (Intrusionen), Vermeidung (Avoidance) und Übererregung (Hyperarousal). Bei den wesentlich häufigeren komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen kommen formal noch Dissoziative Störungen hinzu, die allerdings mit den genannten drei Kriterien in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Unter Intrusionen fallen auch die sogenannten "Flashbacks". Dabei kommt es u. U. noch Jahrzehnte nach dem Ereignis zu sich aufdrängenden extrem unangenehmen Wiedererinnerungen an das Ereignis, so als laufe es wie in einem Film noch mal ab. Auch in Träumen kann sich die intrusive Symptomatik widerspiegeln. Die Vermeidung ist gekennzeichnet dadurch, dass die Person Dinge, Situationen, Themen und sogar Gefühle, die an das Trauma erinnern bewusst und unbewusst vermeidet. Die psychovegetative Übererregung wie starke Angst, Beklemmung und Schreckhaftigkeit zusammen mit körperlichen Symptomen gehören zum Symptomenkomplex Hyperarousal.


Aus: "Psychotraumatologie" (05/2007)
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Psychotraumatologie

-

Quote[...] Barbara Bišický-Ehrlich stammt aus einer ungewöhnlichen Familie von Holocaust-überlebenden. Denn obgleich alle ihre vor 1945 geborenen Angehörigen von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt worden waren, lebten während ihrer Kindheit und Jugend in Frankfurt noch ein Opa, zwei Omas und sogar zwei Uromas. Nur wenigen Kindern aus Überlebendenfamilien ist so etwas vergönnt gewesen.

Sie sei in einem fröhlichen und scheinbar unbeschwerten Haus aufgewachsen, sagt Bišický-Ehrlich. Doch unter der Oberfläche habe es Schmerz, Trauer und Tränen gegeben. Denn die tschechischen Großeltern mütterlich- und väterlicherseits, die alle Auschwitz und andere Lager überlebt hatten, waren mehr oder weniger schwer traumatisiert. ...


Aus: "Vom familiären Trauma des Holocaust befreit" Hans Riebsamen (09.11.2022)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/vom-familiaeren-trauma-des-holocaust-befreit-18446414.html

-

QuoteMarieOn

Kundenrezension, 23. Juni 2023

Jedes gewaltsame Ereignis, das einen Menschen in seinen Grundfesten erschüttert, ist ein Trauma. Dazu gehören Erlebnisse während eines Krieges ebenso, wie Vergewaltigung, Missbrauchserfahrungen, Gewalt in der Familie und der gewaltsame Verlust eines geliebten Menschen. All diesen traumatischen Erfahrungen ist gemein, dass Selbstkontrolle und Selbstregulation verloren gehen. ...


Quote[...] M.Lehmann-Pape: Kundenrezension, 17. April 2023

Ein Trauma zu erleiden, dazu bedarf es keiner Teilnahme am Krieg oder Opfer eines Kidnapping zu sein. Vielfältig sind die alltäglichen Trauma, denen Menschen, oft ohne es genau fassen zu können und gar ohne es zu wissen, ausgesetzt sind. Verletzungen, die tief in der Person liegen, die von dort dennoch das Verhalten, das Denken, die Emotionen stark du nachhaltig beeinflussen.

Sexuelle negative Erfahrungen in der Kindheit, tief verdrängt. Gewalterfahrungen in der Kindheit, nicht selten von den eigenen Eltern initiiert. Seelisch ,,unten gehalten worden" aus mannigfaltigen Motiven heraus und dies zwar im körperlichen und emotionalen Verhalten durchaus ja ausdrückend, aber sich selbst dabei nicht bewusst zu sein als später erwachsener Mensch. Ebenso wie das Miterleben von körperlicher Gewalt an geliebten Personen oder das Aufwachsen im Dunstkreis von Drögen und Alkohol. Um nur die gewichtigsten Auslöser von Trauma aufzuführen, denen von der Kolk in seiner beruflichen Laufbahn nachspürte und die er behandelte.

,,Traumatische Erlebnisse hinterlassen Spuren, unabhängig davon, ob sie in größeren Zusammenhängen (wie in unserer Geschichte und in ganzen Kulturen) oder in unserm unmittelbaren Umfeld oder in unseren Familien stattfinden".

Dabei wirken sich Traumata nicht nur auf die direkt betroffenen Menschen aus, sondern auch auf deren nahstehendem Umfeld. So ziehen die Spuren von Traumata ihre Kreise über Jahre und Jahrzehnte hinweg, übertragen sich gar auf die nachfolgenden Generationen. ...


Quote[...] »Das Trauma in dir« erschließt ein faszinierendes neuartiges Verständnis der Ursachen und Folgen von Traumata und schenkt jedem, der die zerstörerische Wirkung eines solchen Erlebnisses kennengelernt hat, Hoffnung und Klarheit. Traumata sind eines der großen gesundheitlichen Probleme unserer Zeit, nicht nur weil sie bei Unfall- und Verbrechensopfern eine so große Rolle spielen, sondern auch wegen der weniger offensichtlichen, aber gleichermaßen katastrophalen Auswirkungen sexueller und familiärer Gewalt und der verheerenden Wirkung von Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung und Substanzabhängigkeiten. ...

Zu: "Das Trauma in dir" Bessel van der Kolk M.D. (Autor), Theo Kierdorf (Übersetzer), Hildegard Höhr (Übersetzer) , 657 Seiten
Herausgeber: ‎ Ullstein

Textaris(txt*bot)

[...] zumal starker seelischer Schmerz durchaus geeignet sei...

[...] und denke jedesmal wenn ich solche Aussagen höre ob ihr überhaupt Ahnung habt was wirklicher seelischer Schmerz...

[...] Seelischer Schmerz wird im Ton sichtbar...

[...] Weniger Schmerz ist "in", ist leichter als produzieren und Eigenverantwortung zeigen...

[...] jemandem vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen zugefügt...

[...] Soma - Psyche - Arbeitszimmer. Diese Menschen, die seit Monaten...

[...] Trauma, Schmerz und aktueller Krieg – Genozid und seelischer Schmerz...

[...] Raphael ist unglücklich und hat Kummer (seelischer Schmerz). Er nimmt "Valium"...

[...] Jetzt ist mien Seelischer schmerz körperlich und erträglich! - Kontaktlinsen preisgünstig...

[...] Ständiger seelischer Schmerz schlägt sicher irgendwann auf dem Körper durch...

[...] Auch die Erfahrung, dass Streicheln und Berührungen Schmerzen verursachen können...

[...] ein seelischer Schmerz und eine tiefe, in der Regel unbewusste Angst...

[...] Schmerz wegzudrücken ist keine Lösung...

[...] Er heißt dann seelischer Schmerz. Der Schmerz gilt als selbstpräsentierende Eigenschaft...

[...] Seelischer Schmerz ist der Weg der Erleuchtung - der Weg aus der Dunkelheit zum Licht...

[...] nicht körperlicher, sondern seelischer Schmerz, trotzdem er bis zu einem gewissen Grade auch auf den Körper gewirkt hat; süßeste Liebkosung...

[...] seelischer Schmerz und Schock - Innere Anwendung von Rose Antiseptisch...

[...] Die Psyche ist beteiligt, aber nicht die Ursache (929 Zeichen)...

Textaris(txt*bot)

#2
Quote[...] Was heißt Traumatisierung im psychischen Sinne?
Nicht jede Belastung rechtfertigt die Bezeichnung Traumatisierung und nicht jede körperliche
Traumatisierung (z.B. die traumatische Amputation einer Gliedmaße) ist auch als psychisches
Trauma zu verstehen. Ein historischer Diskurs soll zur Begriffsbildung beitragen:
Die ersten Arbeiten zu kognitiven und (psycho-) somatischen Folgen von Unfällen gehen
zurück auf das Jahr 1866 und den Bau der Eisenbahnlinie Liverpool-Manchester (,,railwayspine")
(9). Der deutsche Neurologe Herrmann Oppenheim prägte den Begriff der
traumatischen Neurose (24). Jean-Martin Charcot, ein bekannter Anatom und Neuropathologe
und Lehrstuhlinhaber für Nervenheilkunde an der Pariser Salpetrière untersuchte als erster
systematisch den Zusammenhang von Trauma und psychiatrischer Erkrankung (17). Im
weiteren beschäftigten sich insbesondere Freud und Janet, zwei Charcot Schüler mit diesem
Thema. 1896 veröffentlichte Freud seine Vorstellungen zur ,,Trauma-Ätiologie" der Hysterie.
Mit weiteren Veröffentlichungen (1897) nahm er dann jedoch eine Akzentverschiebung in
Richtung Entwicklung seines Trieb-Abwehr-Konzeptes vor (11). U.a. die Diskussion um die
sog. ,,Kriegszitterer" im ersten Weltkrieg (27,13), die schrecklichen Leiden sowohl der
Soldaten als auch der Zivilbevölkerung und insbesondere die Holocaust-Opfer im zweiten
Weltkrieg (8,19), der Vietnamkrieg und schließlich die Frauenbewegung in den 70'er Jahren
belebten die Diskussion um das Thema Traumatisierung und psychische Folgeerkrankungen
(26,33,31).

DIAGNOSTISCHE KRITERIEN DER PTSD
Mit dem Erscheinen der dritten Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Manuals
Psychischer Störungen (DSM-III) der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (28)
wurde die Diagnose PTSD eingeführt und unter den Angststörungen subsumiert. Nach dem
DSM ist das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses in der Vergangenheit für die Diagnose
einer PTSD zwingend erforderlich. Die vierte Ausgabe des DSM (28) definiert Trauma wie
folgt:

A1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen
konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine
Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen
beinhalteten.

A2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
(Beachte: Bei Kindern kann sich dies auch durch aufgelöstes oder agitiertes Verhalten
äußern). Ein wesentlicher Punkt ist hierbei die subjektive Bewertung der Situation durch die
Betroffenen.

Im Gegensatz zum DSM (27) wird die PTSD unter den Anpassungsstörungen im ICD-10 (35)
geführt:

F43.1:. Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes
Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung
oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen
würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische
Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle
für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die
letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der
Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich
aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen,
die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler
Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen,
Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von
Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt
ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen
Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den
genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der
Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der
Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden.
In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht
dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Nicht berücksichtigt wurde u.a. die Bedeutung multipler, kurz- oder langdauernder Traumata.
Auch gibt es klinisch relevante Bilder, die als subsyndromale PTSD oder partielle PTSD
bezeichnet werden, im DSM-IV (28) oder ICD-10 (35) aber keinen Niederschlag finden.


Aus: "DIE POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG: MODEERSCHEINUNG ODER FÜR DEN ALLTAG HILFREICHE DIAGNOSE?" (Andrea Möllering, Stephan Herpertz Rheinische Kliniken Essen - Kliniken/Institut der Universität Duisburg-Essen - Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie), (Datum: ?)
Quelle: http://www.uni-essen.de/psychosomatik/assets/applets/PTSD.pdf

-.-

Quote[...] Traumaerfahrungen, die im National Comorbidity Survey (NCS) 1990-1992 zur Erfassung
der PTSD herangezogen wurden (nach Kessler et al. 1995)

• Vergewaltigung
• sexuelle Belästigung
• körperlicher Angriff
• Beteiligung an einem Kampfgeschehen
• Schock, Zeuge eines der erwähnten Traumata zu sein
• Bedrohung mit einer Waffe
• Verwicklung in einen lebensbedrohlichen Unfall
• Vernachlässigung in der Kindheit
• körperlicher Missbrauch in der Kindheit
• andere Traumata


Aus: "Prof. Dr. Wolfgang Hiller - Stichworte aus den gezeigten Folien zur Vorlesung Klinische Psychologie
Thema: Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)" ([Stand: WS 2006/07])
Quelle: http://www.klinische-psychologie-mainz.de/abteilung/downloads/materialien/PTSD.pdf

-.-

Quote[...] Wichtig dabei, dass PatientIn die FUNKTION und WIRKPRINZIP von
Vermeidungsverhalten und Sicherheitsverhalten versteht!!!

Er/sie muss erkennen, dass genau dieses Verhalten, was vermeintlich (subjektiv) erst einmal Angst reduziert und schützt, das
bzw. ein Problem ist!


Aus: "PTSD" (Autor ?, Datum ?)
Quelle: http://www.klinische-psychologie-mainz.de/abteilung/downloads/materialien/Skript_PTSD.pdf


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Vernachlässigung und Missbrauch in der frühen Kindheit können die Hirnchemie der Opfer zeitlebens verändern. Auf welchem Wege die traumatischen Eindrücke ihre Spuren in den Neuronen hinterlassen, ist eines der großen Rätsel der Hirnforschung.



Aus: "Kindesmisshandlung - Ins Hirn gebrannt" Von Hanno Charisius (08.05.2008)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/188/173672/

Textaris(txt*bot)

#4
Quote[...] Die Studie sorgt unter Experten für Aufsehen, die Ergebnisse sind glasklar formuliert: Psychische Folter hat bei Gefangenen ähnliche Langzeitfolgen wie eine körperliche Misshandlung. 279 Opfer von Folter und Gewalt aus den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien hatte der Psychologe Metin Basoglu von der University of London befragt; die Auswertung der Interviews spricht für sich. Waren die Befragten gezielter Manipulation, Erniedrigungen oder extremem psychischen Stress ausgesetzt, litten sie noch Jahre später unter ähnlich starken Langzeitfolgen, wie sie von Opfern körperlicher Folter bekannt sind.

Das Fazit: Selbst vermeintlich harmlose Formen des Drucks, etwa Isolationshaft, müssten ähnlich beurteilt werden wie körperliche Folter, schreiben Basoglu und seine Kollegen im Fachblatt "Archives of General Psychiatry" (Bd. 64, S. 277). "Eine Unterscheidung zwischen Folter und erniedrigender Behandlung ist nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich", kommentierte der Psychologieprofessor Steven Miles von der Universität Minnesota in dem Magazin.

Auch bei psychischen Langzeitfolgen fanden die Wissenschaftler keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen rein körperlicher und psychischer Folter. Vor allem die Beeinträchtigung des Wohlbefindens, wie Isolation oder Drohungen, hatten ähnliche Folgen wie körperliche Misshandlungen. Die Betroffenen leiden jahrelang unter sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen: Alpträume, Flashbacks und Schlafstörungen gehören zu ihrem Alltag. Selbst körperlicher Schmerz, Panik oder plötzliche Bewusstlosigkeit können auftreten.


Die neuen Erkenntnisse dürften jene in Erklärungsnot bringen, die etwa im Kampf gegen den Terrorismus die psychische Folter als vergleichsweise harmlose Verhörmethode eingesetzt sehen wollen. Zudem stellt sich die Frage, ob neben Erwachsenen in Kriegsgebieten auch Kinder in friedlichen Ländern von dieser Art der Folter betroffen sind. Zwar weist Basoglu darauf hin, dass sein Team keine Kinder befragt hat, doch ließen sich die Ergebnisse womöglich übertragen. "Jene psychischen Mechanismen, die bei Erwachsenen zu nachhaltigen traumatischen Erlebnissen führen, könnten bei Kindern ähnlich ablaufen", erklärt Basoglu im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Dass der Entzug der Nestwärme, im Fachjargon als Deprivation bezeichnet, eine Form von Kindesmisshandlung darstellt, sehen viele Fachleute als Tatsache an. Die Ergebnisse von Basoglus Studie "lassen sich absolut auf Kinder übertragen", sagt Ernst Pfeiffer von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Berliner Charité. "Es gibt dazu ausreichende Belege auch anderer Forscherguppen." Diese Formen der Belastung "führen bei 30 bis 50 Prozent der Kinder zu kognitiven und psychiatrischen Langzeitschäden".

Wie sehr Deprivation die Entwicklung der Kinder beeinflusst, wollten auch Wissenschaftler an der New York University wissen. Gemeinsam mit britischen Kollegen verfolgten sie die Entwicklung von Kindern, die unter der Herrschaft des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu unter elenden Bedingungen in staatlichen Kinderheimen aufgewachsen waren.

Obwohl diese Kinder von westlichen Familien adoptiert wurden, zeigten sie mehr als sieben Jahre nach der Eingliederung in ein harmonischeres Umfeld erhebliche Mängel in der geistigen Entwicklung. Im Vergleich zu normal aufgewachsenen Altersgenossen fiel der Intelligenzquotient der Heimkinder rund 15 Punkte niedriger aus. Die im Fachblatt "Child Development" (Bd. 77, Ausgabe 3) bereits im Mai vergangenen Jahres publizierten Ergebnisse passen Pfeiffer zufolge ins Bild - weil sie die Schwere der Folgen bei Deprivation belegen. Dieser Effekt offenbarte sich bei all jenen, die im Alter zwischen 6 und 42 Monaten dem Stress der Diktator-Heime ausgesetzt waren.

Aus Sicht von Kinderpsychologen und Sozialwissenschaftlern ist das Gebiet der emotionalen und psychologischen Folter nahezu unerforscht, wie Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) betont: "Bei psychischen Misshandlung liegen mit Abstand die wenigsten Informationen über Folgen für betroffene Kinder vor, zumindest wenn Fälle betrachtet werden, in denen psychische Misshandlung als einzige Form auftritt oder stark im Vordergrund steht."

Wie schnell Eltern, oftmals ohne es zu ahnen, ihren Nachwuchs psychisch und emotional misshandeln, verdeutlicht der Blick auf die wissenschaftliche Definition des Begriffs. Schon die Wiederholung von Drohungen und Einschüchterungen, permanente Kritik oder Ablehnung gegenüber ihren Sprösslingen fallen in diese Kategorie. Auch die Bevorzugung von Geschwistern "gefährdet eine gesunde geistige und seelische Entwicklung", heißt es auf der Internetseite des DJI.

...



Aus: "STUDIE: Psychische Gewalt so verheerend wie körperliche Folter" Von Vlad Georgescu (06.03.2007)
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,470220,00.html


-.-

Quote[...] Kindesmisshandlung kann bei den Opfern noch Jahre später die Signalübertragung im Gehirn beeinflussen: Ein Protein, das auf Stresssignale reagiert, ist bei Opfern nur in deutlich geringeren Mengen vorhanden als bei Menschen, die als Kind nicht misshandelt wurden. Das haben Forscher jetzt mit einer ungewöhnlichen Methode festgestellt: Sie untersuchten Gehirnzellen in den Leichen von Selbstmördern.

Wenn der Mensch unter Stress steht, aktiviert der sogenannte Glucocorticoidrezeptor NR3C1 bestimmte Systeme im Gehirn, die auf den Stress reagieren. Die Forscher suchten nun in Zellen der Gehirnregion Hippocampus von Suizidopfern nach Kopien des genetischen Bauplans für das entsprechende Rezeptor-Protein, mRNAs genannt. Sie sind unverzichtbar für den Aufbau des Proteins. Das Ergebnis: Bei den Menschen, die als Kind Misshandlungen erlitten hatten, fanden sich deutlich weniger Rezeptor-mRNA-Kopien als bei denjenigen Suizidopfern, die nicht misshandelt worden waren. Die Forscher schließen daraus, dass im Gehirn der Misshandlungsopfer auch wesentlich weniger Rezeptoren gebildet wurden.

...


Patrick McGowan (McGill-Universität, Montreal) et al.:
Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn.2270

ddp/wissenschaft.de – Martin Rötzschke


Aus: "Hirnforschung - Die Spuren des Traumas" (23.02.2009)
Quelle: http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/300756.html

-.-

Quote[...] London - Es geschieht meist im Verborgenen. Wenn Eltern oder Erzieher Kinder misshandeln, dauert es oft lang, bis die Umgebung etwas davon mitbekommt - wenn überhaupt. Doch die psychischen Wunden sitzen tief, manchmal zerstören sie das ganze Leben der Betroffenen - und treiben sie sogar in den Selbstmord.

Um zu untersuchen, wie sich die Signalübertragung im Gehirn von Misshandlungsopfern verändert, haben kanadische Forscher jetzt Gehirnzellen von Suizidopfern untersucht. Dabei analysierten sie Gewebeproben von 24 Leichen: Zwölf waren als Kind Opfer von Gewalt geworden, zwölf hatten eine psychiatrische Erkrankung. Als Kontrollgruppe dienten den Wissenschaftlern zwölf Tote, die sich nicht umgebracht hatten, sondern ohne Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankungen plötzlich gestorben waren.

Ihren Untersuchungen zufolge kann Kindesmisshandlung bei den Opfern auch Jahre später noch die Signalübertragung im Gehirn beeinflussen. Das berichten Patrick McGowan von der McGill-Universität in Montreal und seine Kollegen im Fachmagazin "Nature Neuroscience". Ein Protein, das auf Stresssignale reagiert, ist bei Gewaltopfern demnach nur in deutlich geringeren Mengen vorhanden als bei Menschen, die als Kind nicht misshandelt wurden.

Die Forscher analysierten die Zellen des sogenannten Hippocampus, einer der evolutionär ältesten Strukturen im Gehirn, in dem kurzzeitige Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Wenn der Mensch unter Stress steht, aktiviert der sogenannte Glukokortikoid-Rezeptor NR3C1 bestimmte Signalketten im Gehirn, die auf die Anspannung reagieren.

Im Hippocampus suchten die Wissenschaftler nach Kopien des genetischen Bauplans für NR3C1, den sogenannten messenager-RNAs (mRNAs). Sie sind unverzichtbar für die Herstellung des Proteins. Das Ergebnis: Bei den Menschen, die als Kind misshandelt worden waren, fanden sich deutlich weniger Kopien der Rezeptor-mRNA als bei jenen Suizidopfern, die keine Gewalt erfahren hatten. Die Forscher schließen daraus, dass im Gehirn der Misshandlungsopfer auch wesentlich weniger Rezeptoren gebildet wurden.

Bei Ratten beeinflussen Störungen des Mutter-Kind-Verhältnisses die Übersetzung des Rezeptor-Gens zum Protein in ähnlicher Weise, wie bereits frühere Studien gezeigt hatten. Die Forscher übertragen diese Ergebnisse nun auf den Menschen. Sie vermuten, dass Misshandlungsopfer aufgrund der verminderten Rezeptoranzahl schlechter auf Stress reagieren können und daher anfälliger für Depressionen sind. Die Wissenschaftler verfügen allerdings nicht über Vergleichsdaten von Misshandlungsopfern, die sich nicht umgebracht haben. Daher können sie keinen Zusammenhang mit der Selbstmordgefährdung nachweisen.

hei/ddp




Aus: "GEWALTOPFER - Kindesmisshandlung verändert die Stressgene" (23.02.2009)
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,609215,00.html


-.-

Artikel im Fachmagazin "Nature Neuroscience" zu Nervenzellveränderungen nach Kindesmisshandlung
http://www.nature.com/neuro/journal/vaop/ncurrent/pdf/nn.2270.pdf



Textaris(txt*bot)

Quote[...] Werden Kinder und Jugendliche in der Öffentlichkeit zum Thema, so geschieht dies oft anhand von Debatten über Jugendgewalt oder neuerdings auch über Massenbesäufnisse im öffentlichen Raum. Im Klima der Diskussion über solche Extrem-Phänomene konnten die am Dienstag publizierten Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 52 zum Thema Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen als Beitrag zur Versachlichung der Diskussion erwartet werden. Während der Anfang August veröffentlichte erste Synthesebericht des NFP 52 den Generationenbeziehungen gewidmet war, fasst nun die jüngste Publikation unter dem Titel «Kindheit und Jugend in der Schweiz» Resultate von insgesamt 29, zwischen 2003 und 2007 realisierten Forschungsprojekten zusammen.

Kernstück des Berichts der Berner Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello, des St. Galler Soziologieprofessors Franz Schultheis und des ebenfalls in St. Gallen lehrenden Soziologen Stephan Egger bildet eine repräsentative Umfrage, die bei insgesamt 3000 Jugendlichen im Alter von 15 und 21 Jahren und erstmals auch bei Kindern im Alter von 6 Jahren durchgeführt wurde. Grundsätzlich halten die Forscher fest, dass es dem Schweizer Nachwuchs im Vergleich mit 21 industrialisierten Ländern materiell, sozial und psychisch gut gehe. Als entscheidenden Faktor für die Entwicklung der Kinder nennen die Forscher wenig überraschend den familialen Hintergrund, der zu unterschiedlichen Startbedingungen im Leben führe. Auf den ersten Blick fällt dabei allerdings die hohe Homogenität auf: So wachsen 80 Prozent der gut 1,4 Millionen Kinder und Jugendlichen in der Schweiz in einer traditionellen Familie auf, das heisst in einem Haushalt, der von einem verheirateten Paar geführt wird.

Unterschiede für den Schul- und Lebenserfolg der Kinder orten die Forscher im Erziehungsstil der Eltern. Wie Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello vor den Medien in Bern darlegte, stellten die Forscher einen engen Zusammenhang zwischen einem autoritären Erziehungsstil, der sich durch relative Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind und durch Verbote und Sanktionen auszeichnet, und dem späteren Risikoverhalten sowie der psychischen und physischen Gesundheit der Jugendlichen fest. So hegten autoritär erzogene Kinder später im Leben mehr Suizidgedanken oder konsumierten häufiger Cannabis und Tabak. 44 Prozent der 6-Jährigen und immer noch 20 Prozent der 15-Jährigen werden laut der Studie autoritär erzogen. Vorteilhafter für die Entwicklung der Kinder sei demgegenüber ein partizipativer Erziehungsstil, bei dem die Kinder eine enge emotionale Bindung zu den Eltern aufwiesen und unter der Führung der Eltern Entscheide mitgestalten könnten, betonte Perrig-Chiello weiter. Partizipativ erzogene Kinder zeigten in den Hauptfächern bessere Leistungen, seien sozial kompetenter und zudem aufmerksamer und weniger aggressiv.


Abgesehen von diesen – auch angesichts der Forderungen nach einer Rückkehr zu pädagogischer Zucht und Ordnung – bemerkenswerten Resultaten liefern die etwas unübersichtlich aufbereiteten Ergebnisse des 12 Millionen Franken teuren NFP 52 wenig bahnbrechende Erkenntnisse. Viel Beachtung schenken die Forscher den sozialen Ursachen für die ungleiche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.

Je nach Armutsdefinition leben in der Schweiz laut den Forschern 4, 10 oder gar 25 Prozent der Kinder in Armut oder zumindest in ökonomisch prekären Verhältnissen. Soziologisches Lieblingsthema und aus diversen Studien aus dem In- und Ausland bereits bekannt ist der Befund, dass Kinder aus bildungsfernen, einkommensschwachen und fremdsprachigen Haushalten in der Regel schlechtere schulische Leistungen zeigen und nach der Schule vielfach einer schlecht bezahlten Tätigkeit nachgehen. Bekannt und teilweise in der Umsetzung begriffen sind auch die Rezepte, welche die Forscher für die Durchbrechung dieser «Vererbung der sozialen Verhältnisse» vorschlagen. So verlangen die Soziologen von der Politik eine Senkung der Kosten für die externe Kinderbetreuung, eine spätere Selektion und eine verbesserte Durchlässigkeit im Schulsystem sowie eine Abfederung des Übergangs von der Schule ins Berufsleben.

Schliesslich verlangen die Forscher neue Mittel für sich selber. Mag die Forderung, der Bund solle bei der Erhebung von Daten die formalen Bedürfnisse der Sozialwissenschaften stärker berücksichtigen, noch verständlich sein, so schwingt im Ruf nach einem institutionalisierten Jugendbericht, der mindestens alle fünf Jahre erscheinen soll, das Eigeninteresse ziemlich unverblümt mit.

QuotePeter Meier (27. August 2008, 06:34)
autoritären Erziehungsstil ?
Klare Verbote und Grenzen sind nebst Liebe für ein Kind lebenswichtig! Die Forscher haben offenbar nichts dazugelenrt.Es kommen wieder die alten überholten Denkmuster aus den 60-Jahren
Ich kann als Vater und Pädogoge vor einem anti-autoritären Erziehungsstil nur warnen. Wenn es einem Lehrer in einer Klasse nicht gelingt für Ordnung zu sorgen kann er einpacken.


QuoteAurelius Robert Baier (27. August 2008, 08:32)
Widerspruch I
So viel ich gelernt habe, schliessen sich der von der Studie vorgeschlagene Erziehungsstil und klare Grenzen und Verbote nicht aus. Wichtig ist doch, ob die Grenzen und Verbote verständlich gemacht werden können oder ob es einfach heisst: "Es ist so, basta". Denn im zweiten Fall, lernt das Kind bloss, dass es Verbote gibt und dass Erwachsenwerden heisst, man kann über andere bestimmen (Kinder, allg. Schwächere...). Dies wiederum führt zu allg. aggressiverem Verhalten (bestimmen über schwächere "Freunde", sich auch mit Gewalt durchsetzen wollen).


QuoteAurelius Robert Baier (27. August 2008, 08:32)
Widerspruch II
Kann das Kind hingegen die Gründe hinter Verboten verstehen (auch wenn es z.T. erst im Nachhinein geschieht), so lernt das Kind früh, dass Regeln und Verbote nicht einfach von den Erwachsenen "erfunden" werden, sondern dass sie gute Gründe haben.
Niemand sagt, der Erzeihungsstil sei einfach, es ist der schwerste, den es gibt. Aber er führt einfach am ehesten zu einem mündigen, verantwortungsbewussten und fairen Menschen, der sich selber auch schützen kann (vor anderen Menschen, die nicht dieselben Werte haben).
Indoktrination von Werten hat nie wirklich geholfen, führt dies doch weg von der Mündigkeit des Menschen und macht es Ereignisse wie das 3. Reich erst möglich.


QuoteSebastian Wenz (27. August 2008, 23:44)
Anmerkungen zu den Kommentaren (Teil II)
3. P. Meier lese bitte ebenfalls Punkt 2 (oder lese -- er ist ja Pädagoge! -- nochmal in den Büchern in seinem Schrank unter "Erziehungsstil" nach).



QuoteSebastian Wenz (27. August 2008, 21:12)
Anmerkungen zu den Kommentaren
1. A. R. Baier beschreibt in seinen Kommentaren "Widerspruch I" und "Widerspruch II" den sog, induktiven Erziehungsstil -- er hat sich bei der Vermittlung von Werten bzw. sozialen Normen in der Tat als günstig erwiesen.
2. M. Spreng scheint den von ihm kommentierten Artikel entweder nicht gelesen, oder aber nicht verstanden zu haben -- ich zitiere aus dem selben: "Vorteilhafter für die Entwicklung der Kinder sei demgegenüber ein partizipativer Erziehungsstil, bei dem die Kinder eine enge emotionale Bindung zu den Eltern aufwiesen und unter der Führung der Eltern Entscheide mitgestalten könnten" -- das klingt mir sehr nach dem gewünschten Mittelweg. Man nennt das auch den "autoritativen (nicht: autoritären) Erziehungsstil". Er zeichnet sich durch ein überdurchschnittliches Maß an Unterstützung/Partizipation UND Kontrolle/Anspruchsetzung aus.






Aus: "Nationalfondsstudie zur Lage der Kinder und Jugendlichen - Negative Spätfolgen autoritärer Erziehung"
Neue Zürcher Zeitung,  (27. August 2008)
Quelle: http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/negative_spaetfolgen_autoritaerer_erziehung_1.816658.html


Textaris(txt*bot)

Quote... Psychische Störungen sind weit verbreitet. Nach einer Studie der WHO leidet weltweit jeder vierte Arztbesucher daran. Deutsche Studien sprechen von ca. 8 Millionen Deutschen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen. Die meisten würden jedoch nach einiger Zeit abklingen. Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Beratungsanlässen in allgemeinmedizinischen Praxen ...

... Gerade für die Beurteilung psychischer Störungen sind die [ ] Begriffe ,,Norm", ,,Objektivität" und ,,Subjektivität" besonders problematisch. ...


Aus: "Psychische Störung" (22. Februar 2009)
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychische_St%C3%B6rung


-.-

Quote[...] Arbeitnehmer fehlen immer öfter wegen psychischer Erkrankungen. Nach Muskel-Skelett-Erkrankungen sind sie inzwischen der zweitwichtigste Grund für krankheitsbedingte Fehltage, teilt die Barmer Krankenkasse in ihrem Gesundheitsreport 2009 mit. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Anteil an den Fehlzeiten in der Diagnosegruppe Psychische Störungen und Verhaltensstörungen bei den eigenen Krankenkassen-Mitgliedern von 11,1% im Jahr 2003 auf 16,8% im Jahr 2008 erhöht. Der Barmer zufolge erleiden mehr als ein Drittel der Frauen (37%) und ein Viertel der Männer (25%) innerhalb eines Jahres eine psychische Störung.

[...] Psychische Erkrankungen treffen bereits junge Leute und nehmen mit steigendem Alter zu: Die 20- bis 24-Jährigen sind deswegen durchschnittlich 23,7 Tage arbeitsunfähig, die 25- bis 29-Jährigen schon 29,7 Tage. In der Altersgruppe 55 bis 59 Jahre liegt der Wert bei 48,2 Tagen und bei den 60- bis 64-Jährigen sogar bei 53,7 Tagen.

Als Ursache für die Zunahme psychischer Erkrankungen bei Berufstätigen nennt der Autor des Reports, Prof. Reiner Wieland von der Bergischen Universität Wuppertal, Termindruck, Arbeitstempo und die gestiegene Komplexität der Arbeitsprozesse. Auch die wirtschaftliche Situation, in der viele Unternehmen um ihr Überleben kämpfen, gefährdet seiner Ansicht nach die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Ausgewertet wurden 2,83 Millionen Fälle von Arbeitsunfähigkeit bei 1,4 Millionen erwerbstätigen Barmer-Mitgliedern im Jahr 2008.


Aus: "Immer mehr Arbeitnehmer erkranken psychisch" (09.03.2009)
Quelle: http://de.news.yahoo.com/29/20090309/thl-immer-mehr-arbeitnehmer-erkranken-ps-1b6a6cc.html


Textaris(txt*bot)

Nur noch eine zerschundene Seele hinter einer kaputtgeschönten Oberfläche...


Ich möchte nur anmerken, dass es einfach unglaublich ist, wie sehr eine so zerschundene Seele dem Menschen immer noch vertraut ...


Es gab dann auch mal irgenwann Tränen und Einsicht auf ihrer Seite und das war Balsam für meine zerschundene Seele damals. ...

Postludium: Alimente für die zerschundene Seele? (Bonus: Poesie für die geistige Unterschicht)

Eine so zerschundene Seele ist Hauptakteur dieser groteskkomischen Tragödie, wobei nie klar werden darf, ob es nicht doch wohl eher eine ...


... und einer zerschundenen Seele nach Hause, zu seiner Familie, deren Fotos ihm geholfen hatten, zu überleben. Er hatte sich Trost erhofft. ...

schrilles lachen aus meiner kehle wenn ich könnte würd lieber weinen schrei meiner zerschundenen seele ...

...zumindest bis heute, war er doch gerade dabei, seine zerschundene seele wieder zusammenzukitten, die polyphrenen teile seiner...

Ein Gefühl von Triumph ergreift sie, durchflutet ihren Körper und heilt ihre zerschundene Seele. Sie will Mats ins Gesicht sehen und ...


...Schütte mir nur Salz in meine zerschundene Seele, Marc Also ich kann nur sagen...

Ja, der Spott des gesamtes Tals ruhte auf meiner armen, zerschundenen Seele samt Körper aber von vorne... Was war passiert? ...

... dass sie plötzlich nach beispielsweise 40 Jahren "erwachen", ihre zerschundene Seele nicht mehr im Griff halten können und feststellen ...

Eine zerschundene Seele, die nichts mehr vom Leben erwartet und auch nicht mehr von sich selbst, trifft an einem Abend den Menschen, der...

... Zerschundene Haut - wunde Seele. Jede Narbe in Sarahs Unterarmen steht für einen Moment der Verzweiflung. Die Betroffenen...

... Gefühle und der Geschlechter, von allem also, was man in der Schwebe halten zu können glaubt, bis die Seele heillos zerschunden ist. ...

Die wahren Veränderungen in Europa vollziehen sich in der Seele der Menschen. ... grausamer Kriege an sich, in denen er zerschunden und entkräftet wurde. ...

ist uns're Seele zerschunden und völlig entsetzt. Penibel, wir sind so penibel, wir sind so sensibel, solang's um uns selber geht. ...

Doch Satire ist nur ein Mosaikstein, Liebe, einfühlsame Schilderung und tiefe Einblicke in die Seele einer zerschundenen Gesellschaft sind die anderen ...


Ich kann und will meinem Ex-Mann nicht vergeben, daß er uns völlig an Leib und Seele zerschunden zurückließ. Ich glaube, es ist Haß! ...


Und jeder ist halt selbst für seine Seele zuständig. ... engen, beschwerlichen Gänge ihrer Seele zu kriechen, teilweise auf allen Vieren, mit zerschundenen ...

Die Schulung letzte Woche ist anscheinend für meine ohnehin schon zerschundene Seele eine ziemlich starke psychische Belastung gewesen. ...

... mit Schmutz und Unrat, verspotteten ihn und gingen sogar so weit, daß er bisweilen blutend zerschunden und in seiner Seele tief gekränkt nach Hause kam. ...

Der zerrissene und zerschundene Mensch in Strichen, Formen und Gestalten zur letzten ...

... Es geht um die "moralische Seele" ... Eine zerschundene Nicaraguanerin, ein gefolterter Salvadorianer, ...

... Ihre Füße zerschunden, die Beine zerkratzt, ihre Haut nass und kalt, ..... Man sagt, die Seele eines Menschen würde nach seinem Tod in den Himmel aufsteigen ...

... Darauf erbittet sie von ihrem Vater, als zum Heil ihrer Seele, die Gefangenen baden und kleiden zu dürfen. Des Lichtes ungewohnt, zerschunden und ...

... Die menschliche Seele ist unsterblich.


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Im Zeitraffer läuft ein Film vor ihren Augen ab, von dem sie wünschte, sie hätte ihn nur geträumt.

Meike öffnet die Haustür, ruft in die Stille, schmeißt den Schulranzen neben ihre Turnschuhe im Flur. Sie schenkt sich in der Küche ein Glas Apfelsaft ein, trinkt, dann knallt es. Sie erschrickt, stürmt die Treppe hoch, auf den Fliesen im Badezimmer liegt die Mutter, überall Blut. Meikes Mutter hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Dann endet der Film in Meikes Kopf. Ihre Mutter hat überlebt.

Der Suizidversuch liegt vier Jahre zurück. "Diese Angst, dass ich sie noch einmal so finde, aber dann ist es zu spät, die kriege ich nicht in den Griff", sagt Meike. Sie ist 13 Jahre alt, ein großes, zerbrechliches Mädchen mit grünen Augen, blonden Haaren und Sommersprossen. Sie lebt mit ihren Eltern in einem Rotklinkerhaus in Dithmarschen, einer Region in Schleswig-Holstein.

... Meikes Mutter leidet an Depressionen. Zwischen drei und vier Millionen Kinder in Deutschland haben laut dem "Deutschen Ärzteblatt" (2010) psychisch erkrankte Eltern. Nach Angaben einer Forschungsgruppe der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2008 gibt es 740.000 Kinder, deren Eltern alkohol- oder drogenabhängig sind; 270.000 Mädchen und Jungen haben ein Elternteil, das an Schizophrenie erkrankt ist; 1,23 Millionen haben Mutter oder Vater mit sogenannten affektiven Störungen und bei 1,55 Millionen leidet ein Elternteil an Angststörungen.

Es ist ein anstrengendes Leben, in das Meike geboren wurde. Die Mutter war bereits vor ihrer Geburt ein schwermütiger, pessimistischer Mensch. Sie hoffte, die Gründung einer Familie würde sie aus ihrem trüben Gemütszustand zerren. Das Gegenteil war der Fall. Ärzte bestätigten: Meikes Mutter leidet an Depressionen, seit mehr als zehn Jahren ist sie nun in Behandlung.

... Kinder von psychisch kranken Eltern haben ein stark erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens selbst eine psychische Störung zu entwickeln, berichtet das "Deutsche Ärzteblatt".

...


Aus: "Wenn Kinder zu Eltern werden" Von Julia Jüttner (03.07.2012)
Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/wie-kinder-psychisch-kranker-eltern-leiden-a-841687.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] An Bord waren sechs Besatzungsmitglieder und 144 Passagiere, darunter Urlauber, Geschäftsreisende, zwei Babys sowie 16 Zehntklässler und zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See. Die Passagiere aus Haltern waren auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch mit dem Institut Giola in Llinars del Vallès, Spanien. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Germanwings-Flug_9525

Quote[...] Dass der Copilot die Maschiene mit Absicht abstürzen lies, könnte für die Angehörigen besonders schwer werden. "Das stößt die Angehörigen in ein unglaubliches Gefühlsgewitter", sagte die Traumaexpertin Isabella Heuser von der Berliner Charite.

"Das ist nochmal schlimmer als ein Unglück, das durch menschliches oder technisches Versagen verursacht wurde", erklärte Heuser, die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit der Airbus am Dienstag auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen abstürzte, stehen den Angehörigen Notfallseelsorger und Notfallpsychologen zur Seite.

Allerdings sei es für die Angehörigen der Opfer immer erleichternd zu wissen, was passiert ist, meint Heuser. "Es ist immer noch besser, einen schrecklichen Grund zu haben als gar keinen Grund." Für die Betroffenen könne es gut sein, wenn der erste Schock nach dem Absturz nun in Wut umschlage. "Wut richtet sich nach außen und nicht nach innen." ...


Aus: "Staatsanwaltschaft: Copilot brachte Flugzeug absichtlich zum Absturz" (26. März 2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000013467613/Staatsanwaltschaft-Nur-Copilot-war-bei-Absturz-im-Cockpit-und-leitete


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über traumatisierte Flüchtlinge, kulturspezifische Bewältigungsstrategien, Versorgungsneid und berechtigte Ängste, aber auch neurotische Fantasien, die auf die Fremden projiziert werden

STANDARD: In diesen Tagen ist oft die Rede davon, dass viele Flüchtlinge "traumatisiert" sind. Was ist unter "Trauma" zu verstehen?

Ottomeyer: Ein Trauma ist eine Verletzung, in unserem Fall vor allem der Seele, des seelischen Gleichgewichts – meistens verbunden mit einer großen Erschütterung des Vertrauens in die Welt, in sich selbst und manchmal auch in Gott. Das erleben Kinder so wie Erwachsene. Die Bewältigungsstrategien, die wir haben, funktionieren dann auf breiter Front nicht mehr, und es breitet sich eine ziemlich grundlegende Hilflosigkeit und Verzweiflung aus.

STANDARD: Gibt es Zahlen, wie viele Flüchtlinge traumatisiert sind?

Ottomeyer: Bei Flüchtlingen aus Tschetschenien liegt das sicherlich zwischen 40 und 60 Prozent. Aber das tritt nicht immer auf als ordentliche "posttraumatische Belastungstörung". Es können auch andere psychische Belastungen die Folge sein, schwere Depression, Suizidfantasien, Drogenabhängigkeit oder Alkoholismus. Und man muss auch sagen: Es gibt auch Menschen, die verfolgt wurden und so widerstandsfähig sind, dass sie kaum Symptome entwickeln – oder erst später. Darum wäre es schlimm, wenn man die sozusagen zur Strafe dafür, dass sie im Grunde überlebende Helden sind, auch noch bestrafen würde, indem man sagt: "Du hast keine posttraumatische Belastungsstörung, du kannst zurück."

STANDARD: Gibt es kulturspezifisch unterschiedliche Arten des Umgangs mit Traumatisierungen?

Ottomeyer: Wir haben festgestellt, dass unsere westliche Definition von Trauma nur teilweise die Störungsbilder und Leidenszustände von Menschen aus anderen Weltgegenden erfasst. Unser Traumakonzept hat ja zwei historische Ursprünge: die Störungen der Vietnamsoldaten und Gewalt gegen Kinder und Frauen in Familien.

STANDARD: Was zeichnet die westlichen Symptomgruppen aus?

Ottomeyer: Zuerst ein Erlebnis, wo die körperliche Integrität und das Leben von Menschen zerstört oder beeinträchtigt wurden – auch als Zeugenschaft. Es reicht, wenn jemand sieht, dass einem anderen die Gliedmaßen abgehackt wurden. Als Folge gibt es intrusive Symptome, das sind Albträume, schlimme Erinnerungen, die einen tagsüber überfallen, die berühmten Flashbacks, wo der Betroffene auf einmal so reagiert, als wäre er wieder in der alten Situation. Dazu kommen Vermeidungssymptome. Das geht so weit, dass manche gar nicht mehr fernsehen, weil immer Bilder von Gewalt und Krieg gesendet werden. Die dritte Symptomgruppe ist die Übererregung. Der Körper ist in einem dauernden Alarmzustand, so als würde man im Auto gleichzeitig auf Gaspedal und Bremse treten. Die Menschen sind übermäßig wachsam, können nicht einschlafen und werden auch leicht körperlich krank.

STANDARD: Welche Symptome kommen in anderen Kulturen dazu?

Ottomeyer: Man hat zum Beispiel lange etwas abfällig über das "Balkansyndrom" gesprochen, also dass sich Menschen dort sehr stark über die Körpersprache äußern. Da hat jemand vielleicht Herzschmerzen, der Internist findet nichts, ihm ist gewissermaßen das Herz gebrochen, deshalb spürt er, wie es unregelmäßig arbeitet. Oder dass Menschen an einer bestimmten Stelle ohnmächtig umfallen. Das passiert bei westlichen Patienten sehr selten. Manche Leute aus Westafrika fühlen sich verhext. Man muss das bei jeder Person neu ergründen. Dann sieht man oft einen szenischen Zusammenhang zwischen Symptomen und dem, was erlebt wurde.

STANDARD: Können Sie dafür ein konkretes Beispiel schildern?

Ottomeyer: Ein zehnjähriges Mädchen aus Afghanistan hatte Augenschmerzen, die Augen tränten auch, der Augenarzt untersucht, dann fragt man nach, wann hat das angefangen? Als der Hund der Unterkunftsbetreiberin das Kind – vermutlich spielerisch – angesprungen hat, ist es umgefallen und hatte wahnsinnige Angst. Auf die Nachfrage, was war auf der Flucht, zeigte sich in dem Fall, dass die Schlepper die Leute unterwegs in einem Lager eingesperrt haben, und um den Zaun lief ein großer, gefährlicher Hund herum, vor dem alle Angst hatten. Das Kind hat das irgendwie tapfer durchgestanden, und dann passiert so etwas, das diese traumatische Situation wieder lostritt.

STANDARD: Was ist das Wichtigste, das traumatisierte Flüchtlingskinder brauchen, um gut im neuen Leben, das ja trotzdem mit Unsicherheit verbunden ist, anzukommen?

Ottomeyer: Das Wichtigste ist, dass sie keine Trennungsangst erleben. Das hat schon Anna Freud herausgefunden. Die Kinder, die im Zweiten Weltkrieg in England bei den Bombardements durch die Deutschen bei ihren Müttern bleiben konnten, haben das viel besser durchgestanden als Kinder, die man sozusagen zu ihrer Schonung aufs Land verschickt hat. Wenn die Mütter zusammenbrechen oder ausfallen, wird es für die Kinder schlimm. Also niemals die Kinder von den Müttern trennen bzw. die Mütter so freundlich und gut behandeln, dass sie trotz allem eine gewisse Ruhe und Gelassenheit, ein entspanntes soziales Feld um das Kind herum pflegen. Und die Kinder brauchen sehr schnell einen strukturierten Alltag, also wenn möglich Schule oder auch Kindergarten.

STANDARD: Kann man auch zu viel machen? Die Kinder also zu offensiv mit ihrem Trauma ansprechen?

Ottomeyer: Ja, man kann das Kind durch eine Traumadiagnose herausstanzen oder herausetikettieren aus seiner Umgebung und wie ein exotisches Wesen behandeln. Das ist eher schädlich, weil man das Kind isoliert. Das führt vor allem dazu, dass die anderen Kinder eifersüchtig werden. Da sind sie wie die Erwachsenen. Die schimpfen: "Frau Lehrerin, du hast die ja viel lieber als uns." Dann wird der Betreffende dafür traktiert.

STANDARD: Was sind Trauma-Hauptsymptome bei Kindern?

Ottomeyer: Kinder zeigen oft repetitives Spielverhalten. Sie spielen immer wieder dasselbe in Anlehnung an die traumatische Szene in der unbewussten Hoffnung, dass eine Lösung gefunden wird. Buben malen dann möglicherweise immer wieder Panzer und zerfetzte Leiber. Das ist Teil der Selbstheilung. Manche Kinder spielen auch gar nicht mehr vor lauter Verzweiflung oder Lähmung. Oft tritt ein Verlust der Unbefangenheit und Lebensfreude ein. Oder Kinder werden parentifiziert, müssen für die Eltern übersetzen, fühlen sich zuständig für deren Seelenzustand. Das kann sie überfordern. Sie sind dann manchmal so kleine Familientherapeuten.

STANDARD: Apropos Ängste: Die gibt es auch dergestalt, dass viele Menschen jetzt sagen: "Ich habe Angst – so viele fremde Menschen, fremde Kulturen, fremde Religion" etc. Und sie haben das Gefühl, ihre Angst würde diskreditiert und von der Politik nicht ernstgenommen. Haben Sie Verständnis für diese Menschen bzw. diese Ängste?

Ottomeyer: Ja, wir haben manchmal auch Inländer in Psychotherapie, die vielleicht arbeitslos sind und selbst unter dem Verdacht stehen, sie seien Drückeberger und Sozialschmarotzer. Da platzt es manchmal heraus: "Die kriegen alles, und wir kriegen nichts. Die kriegen alles sofort, und wir müssen hart dafür arbeiten." Dieses Gefühl der Benachteiligung kann ich teilweise verstehen bei Leuten, denen es selbst nicht so gut geht. Da kommt Versorgungsneid auf. Neid ist da ein ganz wichtiges Thema. Neid gibt es übrigens auch zwischen Flüchtlingsgruppen. Die sind ja auch keine besseren Menschen als wir. Manche Ängste sind ja berechtigt. Es gibt eine Besorgnis, die man verstehen muss ...

STANDARD: Ich höre da schon ein "aber ..." folgen.

Ottomeyer: Ja, es gibt auch Ängste, die geschürt werden, wenn etwa Gerüchte über Vergewaltigungen oder Plünderungen unter die Menschen gebracht werden, die in Wirklichkeit nie passiert sind. Das ist etwas sehr Gefährliches, weil damit Angstfantasien gefördert werden, die in eine neurotische Angst führen, die Angst vor einem Phantasma. Das sind eigentlich innere Konflikte, die auf Flüchtlinge projiziert werden.

STANDARD: Ein Beispiel für so eine Angst scheint jene vor dem "testosterongesteuerten" muslimisch-arabischen Mann zu sein, der als Angstfigur jetzt nicht nur in diversen Online-Foren herumgeistert. Nun sind ja auch die österreichischen Männer nicht ganz frei von Testosteron ... Woher kommen solche Bilder?

Ottomeyer: Das ist ja wie aus dem psychoanalytischen Lehrbuch für den Maturajahrgang. Es schürt eine ödipale Unterlegenheitsangst gegenüber dem sexuellen Rivalen. Man hat die Fantasie: Diese jungen Männer nehmen mir nicht nur die Wohnung, den Arbeitsplatz weg, sondern auch noch die Frauen. Dieser sexuelle Neid verbindet sich dann mit der Fertilitätsfantasie, dass die ja viel fruchtbarer sind als wir, und wir sterben dann aus. Und dann gibt es noch den analsadistischen Komplex, indem man die Flüchtlinge mit dem in vielen Menschen offenbar unbewältigten Problem des Schmutzes und der Sauberkeit in Verbindung bringt. Sie werden als schmutzig fantasiert, auch dass sie Seuchen einschleppen usw. Dann geht's nur noch um Hygienemaßnahmen, das Hinausreinigen oder Hinausräuchern dieses Schmutzes. Eine gefährliche Rhetorik. (INTERVIEW: Lisa Nimmervoll, 31.10.2015)

Klaus Ottomeyer (66) leitete bis 2013 die Abteilung für Sozialpsychologie, Ethnopsychoanalyse und Psychotraumatologie an der Uni Klagenfurt. Seine Schwerpunkte sind Arbeit mit ausländischen und inländischen Opfern von Gewalt sowie Psychologie des Rechtsextremismus. Er ist Vorstand des Vereins Aspis, eines Forschungs- und Beratungszentrums für Opfer von Gewalt in Klagenfurt.

...


Aus: "Wir und die Flüchtlinge: "Neid ist ein ganz wichtiges Thema"" Interview Lisa Nimmervoll (31. Oktober 2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000024816297/Wir-und-die-Fluechtlinge-Neid-ist-ein-ganz-wichtiges-Thema


Textaris(txt*bot)

Quote... wie leben Opfer sexueller Übergriffe mit den Folgen? Unsere Autorin, selbst betroffen, hat mehr als ein Jahr lang Tagebuch geführt. Sie möchte anonym bleiben. ...

Quote
stiip #20  —  vor 2 Stunden

Liebe unbekannte Autorin, danke, dass Sie den Mut fanden, über diesen traumatischen Übergriff zu schreiben. Ich glaube zwar nicht, dass es irgendetwas am Verhalten der Täter ändern wird. Aber es könnten den Blick der anderen schärfen. Da ich selbst als Jugendlicher von einer Gruppe überfallen und krankenhausreif geprügelt und getreten wurde, weiß ich, wie schrecklich es sich anfühlt, hilflos und Opfer zu sein, und wie lange es dauert, bis man darüber reden und sich wieder unbefangen bewegen kann. Dabei konnte ich mir wenigstens sagen: Immerhin waren sie nicht in meinem Körper. Selbst dieser schwache Trost bleibt Frauen (und missbrauchten Kindern) versagt.

Eins noch: Sie sind nicht dazu verurteilt, sich auf ewig als Opfer zu fühlen. Glauben Sie mir. Es gibt etwas in uns, das kein Gewalttäter anrühren oder verletzen kann, und dieses Etwas kämpft sich auch wieder durch. Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft und Stärke.


...


Aus einem Kommentar zu: "Angefasst" (23. Januar 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/2016/04/sexuelle-gewalt-opfer-missbrauch-bewaeltigung?cid=5950427#cid-5950427


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Seelenlage der Deutschen hat er immer wieder beleuchtet. Ein Gespräch über das Schweigen nach dem Krieg, den Umgang mit Traumata und die Irrtümer der Achtundsechziger. --- Wolfgang Schmidbauer, 82, ist Psychoanalytiker. Der Münchner arbeitet seit 1973 als Therapeut mit eigener Praxis. Als Autor bekannt wurde er mit Büchern wie ,,Hilflose Helfer", in dem er den Begriff des Helfer-Syndroms geprägt hat, der heute Teil der Alltagssprache ist.

...

Christa Sigg: Herr Schmidbauer, die Heimkehr aus dem Krieg, Gefangenschaft und Flucht sind in den letzten Jahren nicht nur in der Literatur wieder vermehrt aufgegriffen worden. Weshalb gerade jetzt?

Wolfgang Schmidbauer: Manchmal denke ich, dass die Zerfallserscheinungen des Friedens in Europa eine Rolle spielen: der Brexit, die Bewegungen gegen die EU, der Ukraine-Krieg. Aber Erinnerungen können wir oft besser ausspinnen, wenn uns die Lebenden nicht mehr stören. Unmittelbar nach dem Krieg war die Verdrängung ausgeprägt. Man hat nur nach vorn geschaut, und letztlich war die Traumatisierung so universell, dass sie gar nicht aufgefallen ist. Das war ja alles ,,normal", und bis in die 1970er-Jahre hinein gab es einen breiten Konsens, die Sache ruhen zu lassen.

Christa Sigg: Auch in Ihrer Familie?

Wolfgang Schmidbauer: Wenn ich meine Mutter nach der Nazizeit gefragt habe, sagte sie: ,,Das kann sich niemand vorstellen, der nicht dabei war." Sie hat uns als Kindern von griechischen Mythen und Homer erzählt – da habe ich gedacht: Du hast mir doch immer vom Trojanischen Krieg erzählt, warst du da dabei?

Christa Sigg: Kam erschwerend hinzu, dass Ihr Vater 1944 gefallen ist?

Wolfgang Schmidbauer: Auch. Mich hat das wieder sehr beschäftigt, als der Krieg in der Ukraine begann. Mein Vater ist dort gefallen, ein russischer Scharfschütze hat auf ihn gezielt. Sich vorzustellen, was da jetzt passiert, was zum Teil dem hoch traumatisierenden Stellungskrieg von 1914 bis 1918 gleicht, macht mir Sorgen für den seelischen Zustand beider Nationen. Und durchaus auch in den nächsten Generationen.

Christa Sigg: Hatten Sie Kriegsheimkehrer in der Therapie?

Wolfgang Schmidbauer: Nein, erst deren Kinder. Aber ich habe einen Kriegsheimkehrer in der Familie erlebt. Mir ist erst in meiner Zeit als Therapeut klar geworden, dass mein Großvater im Ersten Weltkrieg eine absolute Persönlichkeitsveränderung durchgemacht hatte, die sich auf die Generation meiner Mutter auswirkte und vor allem ihre erstgeborene Schwester traumatisierte. Die Begeisterung für den Nationalsozialismus hing mit diesen Traumatisierungen zusammen: Sie werden durch Selbstüberschätzung manisch abgewehrt.

Christa Sigg: Bei den Nazis haben die Teilnehmer am Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle gespielt.

Wolfgang Schmidbauer: Und gerade unter den Nazis waren viele traumatisierte Leute. Die Gnadenlosigkeit, die Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen, zu morden, um die Vision eines ,,reinen germanischen Vaterlands" umzusetzen, hängt damit zusammen. Die Faschisten wurden in Italien ,,trincerocratia" genannt, das waren diejenigen, die aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs die Macht übernommen haben.

Christa Sigg: Diese Gnadenlosigkeit war 1945 ja nicht einfach weg.

Wolfgang Schmidbauer: Die Kinder litten unter der Unberechenbarkeit und aggressiven Willkür ihrer Väter. Ein Patient erzählte mir zum Beispiel, dass er in den 60er-Jahren als Jugendlicher mit einem neuen Mantel nach Hause kam. Der Vater riss ihm den Pelzkragen weg und steckte ihn in den Ofen. Wir haben dann gemeinsam versucht, die Ursache zu rekonstruieren: Der Vater war in Sibirien und hat mit den Pelzkrägen der russischen Soldaten negative Erinnerungen verbunden.

Christa Sigg: Und dann freut sich der eigene Sohn einfach über einen neuen Mantel.

Wolfgang Schmidbauer: Das Unbeschwerte, das Glücklichsein gerade von Kindern ist etwas, das Traumatisierten schwerfällt auszuhalten. Zumal der Krieg diesen Menschen die Jugend und jede Leichtigkeit genommen hat. Man sorgt sich um Kinder, die naiv und fröhlich sind, und sieht zu, dass sie ernster werden und bedenken, was alles schiefgehen kann. Meine Großmutter sagte immer: ,,Die Vögel, die in der Früh am hellsten singen, frisst am Abend die Katze." Als Kind dachte ich mir, die Erwachsenen haben einfach keine Ahnung, was Spaß macht. Und wenn man sich an etwas freut, muss man das heimlich tun.

Christa Sigg: Viele aus der Kriegsgeneration haben nie gelernt, über sich und ihre Erlebnisse zu sprechen.

Wolfgang Schmidbauer: Sie wollten ihre Kinder aus den gescheiterten Illusionen und ihren seelischen Verletzungen heraushalten und als Eltern funktionieren. Das hat natürlich zu großer Distanz und wenig Geborgenheit geführt. Andere haben aber zu viel gesprochen und die Kinder dadurch belastet, dass sie ständig Aufmerksamkeit für ihr schweres Schicksal forderten.

Christa Sigg: War das Wirtschaftswunder letztlich eine Form der Kompensation?

Wolfgang Schmidbauer: Das wurde von den Leuten getragen, die traumatisiert waren, ja. Doch es konnte die folgende Generation nicht überzeugen. Die 68er-Bewegung meinte, man muss die Welt verbessern und eine neue Gesellschaft kreieren, indem man das Politische und das Persönliche verbindet. Das wurde schließlich für deren Kinder zum Problem.

Christa Sigg: Wie hat sich das geäußert?

Wolfgang Schmidbauer: Ideologie ist kein Ersatz für Empathie. Diese Gefahr besteht bei einer ideologischen Erziehung immer. Auch das Antiautoritäre hat dazu geführt, dass Eltern die Grenzen der Belastbarkeit ihrer Kinder überschritten und sie zu wenig in ihren Bedürfnissen respektiert haben. Das Erziehungsmuster der autoritären Generation war überschaubar, während die 68er-Eltern für ihre Kinder oft ganz unberechenbar wurden. Und die Kinder sollten so sein, wie es sich die Eltern vorgestellt haben: die richtigen Ideen verfolgen, den richtigen Umgang mit Aggression. Sie sollten ihre Eltern gut finden und als Vorbilder akzeptieren. Die so proklamierte Freiheit ging nur in eine Richtung.

Christa Sigg: Mittlerweile haben die Achtundsechziger Enkel, die sie kaum noch einordnen können und die hin- und hergerissen sind zwischen iPhone und Konsumverzicht.

Wolfgang Schmidbauer: Zu dieser internetgeprägten Kultur gehört die Gleichzeitigkeit von allem. Alles ist da, es gibt keine klaren Prägungen mehr. Die Achtundsechziger sind die letzte Generation, die von einer grundlegenden Sache wie dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst wurde. Mittlerweile gibt es viele Generationen, X, Y, Z ... Wir haben es mit einer hochgradigen Unübersichtlichkeit zu tun.

Christa Sigg: War die Wende die Zäsur?

Wolfgang Schmidbauer: 1989 ist es zunächst in Deutschland unübersichtlich geworden, die Blöcke sind verschwunden. Die primäre Reaktion auf Unübersichtlichkeit ist Angst. Deshalb versucht man zu vereinfachen. Mir fällt auf, dass inzwischen sehr schnell und extrem moralisiert wird. Natürlich ist es schwerer geworden abzuwägen und zu differenzieren. Insofern gibt das Markendenken auch Halt.

Christa Sigg: Selbst große Aufreger haben eine verblüffend geringe Halbwertszeit.

Wolfgang Schmidbauer: Die Eventkultur hat das Verfolgen langfristiger Projekte abgelöst. Es gibt einen Event, der alle bewegt, einen Hype, und das ist dann auch wieder vorbei. Mir scheint, die 68er-Bewegung war die letzte, welche die ganze Gesellschaft in den Blick nahm und sich mit der Frage Adornos plagte, ob es das richtige Leben im falschen gibt. Heute geht es eher darum, die Umweltkrise wahrzunehmen oder sie populistisch zu leugnen. Im Grunde geht es um Überlebensfragen, nicht mehr um die Frage nach einer gerechten Gesellschaft.

Christa Sigg: In den Nachbarländern mokiert man sich gerne über die überernsten Deutschen mit ihrem eher verdrucksten Selbstwertgefühl.

Wolfgang Schmidbauer: Durch Auschwitz und den verlorenen Krieg ist das Selbstwertgefühl der Deutschen sicher bleibend belastet. Es ist für jede Nation kränkend, einen Krieg zu verlieren; in Deutschland müssen wir mit dem Gedanken leben, dass es gut und gerecht war, verloren zu haben. Das enthält eine Chance für ein gelassenes, reifes Nationalgefühl, das Schattenseiten nicht verleugnet, sondern erinnert und erträgt. Ich war in den 90er-Jahren überrascht, als ein triumphales Nationalgefühl wieder selbstverständlich wurde. Das fing im Sport an und hat sich ausgebreitet. Denken Sie an den Tod von Franz Beckenbauer. Noch kurz davor wurde vor allem über die Korruptionsaffäre gesprochen und vom Absturz der Lichtgestalt – und plötzlich war sie wieder makellos. Im Erzählen solcher Geschichten unterscheiden sich die Deutschen nicht mehr von ihren Nachbarn.

Christa Sigg: Ist ein generationenübergreifendes Trauma überhaupt zu bewältigen?

Wolfgang Schmidbauer: Bewältigen ist das falsche Wort – wir sind nicht stärker als unsere Traumata, wir können sie nicht ungeschehen machen, aber wir können sie akzeptieren, wir können Ängste und Einschränkungen überwinden, die sie ausgelöst haben. Wer lebt, muss sich mit dem Trauma von Leid und Tod auseinandersetzen, es gibt kein Leben ohne Trauma, aber es gibt menschliche Wärme und Empathie, die unsere Gegenwart prägen dürfen, auch wenn sie in der Vergangenheit gefehlt haben.



Aus: "Psychologe Wolfgang Schmidbauer: "Die Kinder litten unter der Willkür ihrer Väter"" Christa Sigg (24.03.2024)
Quelle: https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/interview-psychologe-wolfgang-schmidbauer-die-kinder-litten-unter-der-willkuer-ihrer-vaeter-id70216816.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie gewissen Mustern in Ihrem Leben einfach nicht entkommen können? Dass Beziehungen – egal ob freundschaftlicher, romantischer oder beruflicher Natur – immer auf ähnliche Art ablaufen? Das hat zum Teil natürlich mit Ihnen selbst zu tun und mit den Erfahrungen, die Sie gemacht haben. Aber nicht nur.

Vielleicht liegt es weniger an Ihnen, sondern an Ihren Vorfahren – sagt Mariel Buqué. Die New Yorker Therapeutin hat sich auf Generationentraumata spezialisiert, das ist jene Art von Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Wenn Eltern ihre psychischen Belastungen nicht verarbeitet haben, bekommen das ihre Kinder zu spüren – es liegt dann an den nachkommenden Generationen, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

"Das kann emotional ziemlich aufwühlend sein", weiß Buqué. Und oft ist dafür professionelle Unterstützung nötig. Sie hat deshalb das "Break the Cycle"-Traumazentrum in New York und New Jersey gegründet, auf ihren Social-Media-Kanälen klärt sie zum Thema auf. Jetzt gibt es ihre Erkenntnisse und praktischen Übungen auch in Buchform. In Break the Cycle liefert sie praktische Übungen und eine umfassende Anleitung für ein Leben frei von toxischen Mustern, die nicht die eigenen sind.

Magdalena Pötsch: Bei Genetik denken die allermeisten wohl an körperliche Merkmale. Aber auch Traumata können vererbt werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Mariel Buqué: Das passiert an zwei Schnittstellen. Zum einen geht es um die biologische Ebene. Wir wissen, dass traumatische Erlebnisse unserer Eltern oder Großeltern unsere genetische Kodierung verändern. Das hat in weiterer Folge Einfluss auf die Art und Weise, wie unser Körper Stresshormone produziert. Wir sind dadurch also biologisch bereits anfälliger für Stress und Trauma.
Und dann haben wir noch die psychologische Ebene. Wenn jemand in ein Elternhaus mit viel Dysfunktion, Chaos und Konflikt geboren wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese biologischen Schwachstellen durch diverse Trigger tatsächlich zu Traumareaktionen führen. Diese Personen sind meist schnell gereizt, chronisch traurig, sie können ihre Gefühle schlechter regulieren, tun sich schwer, gesunde Beziehungen zu führen.

Magdalena Pötsch: Die Familiendynamik spielt also eine entscheidende Rolle bei der Vererbung von Traumata, sagen Sie. Ist es aber auch möglich, dass vorherige Generationen psychisch stark belastet waren, die Nachkommen aber trotzdem kein Trauma vererbt bekommen?

Mariel Buqué: Absolut. Mit einer entsprechenden Erziehung können Traumareaktionen verhindert werden, selbst wenn eine biologische Anfälligkeit da ist. Wenn Eltern ihren Kindern von klein auf einen gesunden Umgang mit Stress beibringen, sie lernen, wie man Resilienz aufbauen kann, und die Eltern gesunde Dynamiken vorleben, statt ihren Stress auf das Kind zu übertragen, fördert das eine gesunde Entwicklung. Und zwar so sehr, dass das Kind trotz biologischer Prädisposition keine Traumasymptome entwickelt, weil es so viel Unterstützung und Fürsorge erfährt.

Magdalena Pötsch: Dabei seien nachkommende Generationen eh schon zu verwöhnt, empfindlich und sensibel, heißt es oft. Können Sie mit dem Vorurteil was anfangen?

Mariel Buqué: Ja, der Vorwurf, dass die junge Generation viel zu sensibel sei, ist weitverbreitet. Aber aus dem Blickwinkel von Generationentraumata frage ich mich, wie es anders sein sollte, wenn sie von ihren Eltern deren Traumata umgehängt bekommen haben. Warum erleben wir eine Generation an Kindern und Jugendlichen mit einer derartigen emotionalen Anfälligkeit, die sich in einer globalen Krise der psychischen Gesundheit manifestiert? Klar, da tragen mehrere Faktoren dazu bei, darunter auch die sozialen Medien. Aber es geht auch zentral darum, dass ihre Nervensysteme durch familiäres Chaos und vorherige Generationen auf chronischen Stress programmiert wurden. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass ein Teil der emotionalen Verfassung, die wir bei der jungen Generation beobachten, mit den vererbten Belastungen zusammenhängt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und noch immer nicht ausreichend gelöst sind.

Magdalena Pötsch: Liegt es dann an den Kindern, diese zu lösen?

Mariel Buqué: Leider ja. Diese emotionale Arbeit fühlt sich oft wahnsinnig schwer an. Meine Klientinnen und Klienten haben auch manchmal das Gefühl, als würde sich diese Aufarbeitung gar nicht lohnen, weil das Generationentrauma zu groß sei. Gerade am Anfang fühlen sich viele überwältigt davon, wie viel Schmerz und Trauma in ihrer Familiengeschichte stecken. Aber es gibt Wege, um das Schritt für Schritt zu überwinden.

Magdalena Pötsch: Welche?

Mariel Buqué: Der erste Schritt ist einfach einmal, das Ganze anzuerkennen. Anerkennen, dass es hier ein Thema gibt, das Zuwendung braucht. Und auch anerkennen, dass es unfair ist, dass man sich mit Problemen befassen muss, für die man gar nichts kann. Der zweite Schritt ist, dass man eine Entscheidung trifft und sagt: Dieser Kreislauf des Traumas endet bei mir. Und dann kann die Arbeit beginnen, am besten mit professioneller Unterstützung. Denn das kann durchaus schmerzhaft sein.

Magdalena Pötsch: Inwiefern?

Mariel Buqué: Diejenigen, die den Kreislauf durchbrechen, sind häufig das schwarze Schaf oder der Sündenbock in der Familie. Sie brechen aus der Familiendynamik aus und werden oft nicht verstanden, das bringt eine Menge Kummer mit sich.

Magdalena Pötsch: Sie werden also doppelt belastet? Einerseits mit dem Generationentrauma und dann mit der Abgrenzung, weil sie genau das heilen wollen?

Mariel Buqué: Ja. Gleichzeitig gibt es hier ein gewisses Generationsprivileg. Unsere Eltern und Großeltern haben noch nicht so offen über Themen wie Trauma gesprochen, wie wir das tun. Sie hatten auch kaum Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, um eine schwierige Zeit zu überstehen. Wir hingegen können zum Smartphone greifen und dort auf Knopfdruck wertvolle Informationen bekommen und Fachleute kontaktieren, die uns bei der Bewältigung von Traumata helfen. Wir heilen also nicht nur für uns selbst, sondern auch für alle vor uns, die es nicht konnten, weil sie keine Ressourcen hatten oder der Schmerz schlicht zu groß war.

Magdalena Pötsch: Auf sozialen Medien findet man immer mehr Informationen und Aufklärung rund um mentale Gesundheit. Eine gute Entwicklung, finden Sie?

Mariel Buqué: Jein. Ich freue mich, dass wir psychische Gesundheit vermehrt zum Thema machen. Ich glaube, dazu hat auch die Pandemie viel beigetragen. Weil wir alle kollektiv eine Krise durchgestanden haben, konnten wir viel offener darüber sprechen. Aber ich glaube auch, dass wir unterscheiden müssen, was wirklich als Trauma eingestuft werden kann und was vielleicht nur emotionales Unbehagen ist.

Magdalena Pötsch: Werden Begriffe wie Trauma oder Trigger auf sozialen Medien zu leichtfertig verwendet?

Mariel Buqué: Ja, ich wünschte, es gäbe auf Instagram mehr Inhalte von ausgebildeten Fachleuten. Es gibt schließlich auch keine Kardiologie-Coaches, warum gibt es dann so viele Coaches für mentale Gesundheit? Wir müssen gerade bei so einem wichtigen Thema differenzieren und auf unsere Sprache achten, statt mit Begriffen aus der klinischen Praxis um uns zu werfen. Es gibt einen Unterschied zwischen einer Meinungsverschiedenheit und Gaslighting, zwischen ein paar Tagen Niedergeschlagenheit und einer diagnostizierbaren Depression. Gleichzeitig hat sich der Diskurs über mentale Gesundheit auf gewisse Weise aber auch stark verbessert.

Magdalena Pötsch: Auf welche Weise?

Mariel Buqué: Ich beobachte, dass wir uns aktuell in der Wie-Ära der psychischen Gesundheit befinden. Davor waren wir lange in einer Was-Ära, da ging es um Fragen wie: Was ist eine Depression? Was ist ein Trauma? Was ist eine Angststörung? Jetzt hat sich der gesellschaftliche Diskurs weiterentwickelt zu den Wie-Fragen: Wie heile ich? Wie kann ich meine Beziehungen stärken? Wie finde ich zu mir?

Magdalena Pötsch: Welche Auswirkungen hat die Heilung von Traumata auf nachkommende Generationen?

Mariel Buqué: Das ist ein Riesengeschenk, das wir künftigen Generationen machen können. Wir leben in einer zerrissenen Welt, die von kollektivem Trauma und Feindseligkeit geprägt ist. Aber wenn wir in der Lage sind, die überlieferten Wunden zu heilen, wir uns dadurch ausgeglichener fühlen, emotional intelligenter werden und bessere Verbindungen und Beziehungen aufbauen können, ist das das Beste, das wir für unsere Nachkommen tun können.

Magdalena Pötsch: Sind Sie zuversichtlich, dass das gelingt?

Mariel Buqué: Absolut. Schließlich bietet jeder Tag eine Gelegenheit, den familiären Kreislauf zu durchbrechen. Oft sehen Leute die Heilung von Generationentraumata als diese riesengroße Sache, die man über Jahre hinweg perfekt aufarbeiten muss. Und natürlich ist es eine große Sache, aber es geht auch um die vielen kleinen Interaktionen im Alltag, die uns die Möglichkeit geben, nicht so zu handeln, wie wir das in der Vergangenheit getan haben oder wie es Familienmitglieder getan hätten. Das Durchbrechen dieses familiären Traumakreislaufs geschieht in den vielen kleinen Momenten, in denen wir uns entscheiden, es anders zu machen. Und das summiert sich am Ende zu einem großen Ganzen.


Aus: "Therapeutin: "Junge Leute gelten als zu sensibel, dabei leben sie die Traumata ihrer Eltern""
Interview Magdalena Pötsch (19. November 2024)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000242604/junge-leute-gelten-als-zu-sensibel-dabei-leben-sie-die-traumata-ihrer-eltern

QuoteGoogle wie wähle ich pseudonym?

"Wir wissen, dass traumatische Erlebnisse unserer Eltern oder Großeltern unsere genetische Kodierung verändern."

Wie genau "wissen" wir das?

Im Unterschied zu manchen psychologischen Studien (die nicht mehr replizierbar sind und eigentlich aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr verwendet werden sollten - aber man hat halt nichts Besseres und die Ergebnisse klingen zu gut) müsste man Veränderungen in der genetischen Kodierung doch präzise(r) erforschen können.

Kennt sich da jemand aus?


QuoteSirPostALot

"Can the legacy of trauma be passed down the generations?" Martha Henriques (26 March 2019)
Our children and grandchildren are shaped by the genes they inherit from us, but new research is revealing that experiences of hardship or violence can leave their mark too. ... The consequences of passing down the effects of trauma are huge, even if they are subtly altered between generations. It would change the way we view how our lives in the context of our parents' experience, influencing our physiology and even our mental health. ... researchers are convinced that they have found the hallmarks of epigenetic inheritance for several traits – in humans as well as animals. What's more, they think they've found a mechanism for how it works. This time it could be molecules similar to DNA – known as RNA – that are altering how genes function. A recent paper has revealed strong evidence that RNA may play a role in how the effects of trauma can be inherited. Researchers examined how trauma early in life could be passed on by taking mouse pups away from their mothers right after birth. "Our model is quite unique," says Isabelle Mansuy of the University of Zürich and ETH Zürich, who led the research. "It's to mimic dislocated families, or the abuse, neglect and emotional damage that you sometimes see in people." The symptoms these pups showed as they grew up also mimicked the symptoms seen in children who have experienced early trauma. ... At least in some cases, Dias says, healing the effects of trauma in our lifetimes can put a stop to it echoing further down the generations. ...
https://www.bbc.com/future/article/20190326-what-is-epigenetics


Quotehaspe

Epigenetik

Da gab es einerseits schon Studien an Mäusen mit Schmerzreizen, andererseits Auswertungen von menschlichen Daten. Die zeigen ziemlich beeindruckend und eindeutig, dass schlimme Erfahrungen die Epigenetik verändern können, einfach gesagt die Steuerung der Gene ändern. Habe ich im Studium jetzt schon mehrfach gelernt, ist also keine Pseudowissenschaft.


Quotepatricefuchs

Das ist ein großes Problem, dass das in Studien (wahrscheinlich Psychologie oder ähnliches Fach) gelehrt wird, weil es dafür keinerlei Belege gibt. Pseudowissen wird unter akademischer Fahne weitergegeben. Frag mal einEn EpigenetikerIn, wie sie/er zu den Auslegungen dieser Fachrichtung mancher PsychotherapeutInnen steht.


QuoteAch, ich bin, ich weiß nicht, wer

Mäuse, die einen Stromstoß bekommen, während sie Kirschduft riechen, entwickeln Angst vor dem süßen Geruch – und geben diese Angst an ihren Nachwuchs weiter. Auch dieser reagiert mit Furcht auf Kirschen, obwohl er den Stromstößen nie ausgesetzt war.


QuoteA world to win

"Persistent epigenetic differences associated with prenatal exposure to famine in humans"
Keywords: developmental origins, DNA methylation, insulin-like growth factor II, nutrition, periconception
Extensive epidemiologic studies have suggested that adult disease risk is associated with adverse environmental conditions early in development. Although the mechanisms behind these relationships are unclear, an involvement of epigenetic dysregulation has been hypothesized. Here we show that individuals who were prenatally exposed to famine during the Dutch Hunger Winter in 1944–45 had, 6 decades later, less DNA methylation of the imprinted IGF2 gene compared with their unexposed, same-sex siblings. The association was specific for periconceptional exposure, reinforcing that very early mammalian development is a crucial period for establishing and maintaining epigenetic marks. These data are the first to contribute empirical support for the hypothesis that early-life environmental conditions can cause epigenetic changes in humans that persist throughout life.
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC2579375/


QuoteAya mit den schwarzen Haaren

Beide Eltern waren sehr bemüht uns eine schöne Kindheit zu bieten, uns nie zu schlagen usw.
Und ich bin ihnen sehr dankbar dafür. Weil es für sie einen bewussten Akt gefordert hat diesen Schritt zu gehen.
Trotzdem hat ihre Geschichte auch auf uns Kinder gewirkt. Wenn die Mutter Opfer von schwerstem sexuellen Missbrauch in der Kindheit war (natürlich ohne Therapie damals) und der Vater samt Geschwistern vom Vater fast totgeschlagen wurde dann zeichnet das diese Menschen.

Da ist diese Schwere vielen Themen gegenüber, ein großer Teil einer Unbeschwertheit die ich als junger Mensch bei anderen gar nicht verstand hat komplett gefehlt. Man hat sehr oft das Gefühl gehabt auf die Eltern seelisch aufpassen zu müssen.



QuoteBengoni

Was mir aufgefallen ist, dass viele Väter meiner Generation (JG 85) unfähig sind über Gefühle zu sprechen, was ich sehr schade finde.


QuoteAmicus Brief

Millionen von Therapeuten machen ein Geschäftsmodell daraus, Eltern als Sündenböcke aufzubauen.
Wenn die Kinder die Traumata der Eltern leben, wer lebte deren Traumata? Und so hat man immer einen Vorfahren, der schuld ist.


QuoteAltFreak

"Wer lebte deren Traumata"? Ich bin noch die (späte) Generation "Kriegseltern". Vater heimatvertriebener Sudetendeutscher und SS-Mitglied und nie darüber geredet, dessen Vater als Soldat den 1. WK mitgemacht. Da braucht man nicht lange zu suchen....


QuoteTurmsi

Ja, deswegen nennt sich die Gewaltspirale auch Spirale.
Eine Spirale nämlich besteht aus unendlich vielen Windungen um einen festen Punkt herum.
Ein Buchtitel aus dem Werk der Alice Miller ist gleichzeitig auch Erklärung:
"Am Anfang war Erziehung."


QuoteUlrichW

"liegt es an den Kindern, diese zu lösen?"' "LEIDER JA"

Tolle Einstellung - Was wäre die Alternative? Dass man davon abhängig ist, dass die Eltern ihre Traumata lösen? So kann man wenigsten selber was tun, selber für die eigene Psychohygiene tätig werden.
Nur, wenn man selber auch etwas tun kann, geht was weiter. Verlassen wir uns auf andere, dann wird das nix. Das gilt natürlich auch hier.



QuoteMaxito Grantbär

Die jungen Leute gelten als schwach und sensibel?

Das haber die Boomer über uns auch gesagt. Und die Kriegsgenartion zu den Boomer. Usw...
Jeder Generation hat ihr "Binkerl" zu tragen, und gibt es zu Teilen auch weiter.
Meiner Meinung nach sollte viel mehr Generations übergreifend gesprochen und diskutiert werden um die andere Seite zu verstehen.

Junge Menschen lernen kaum noch wie sie Hindernisse, Probleme, Konflikte selbst lösen können, da zwar ihre Eltern alles für sie getan haben was möglich war, aber für "Hilfe zur Selbsthilfe" keine Zeit war.
Da wird man dann ausserhalb der Konfortzone schnell überfordert.


QuoteFoxox

... Nur so viel: unsere eltern/großelterngeneration war natürlich mental angeschlagen. Haben sie es trotzdem vielfach gut gemeistert? Ja! War es schön? Nein! Haben viele ihre angeschlagenheit weitergegeben? Ja!


Quotediesenftube

"Diejenigen, die den Kreislauf durchbrechen, sind häufig das schwarze Schaf oder der Sündenbock in der Familie. Sie brechen aus der Familiendynamik aus und werden oft nicht verstanden, das bringt eine Menge Kummer mit sich."

Das war immer meine große Sorge und im Nachhinein verfluche ich mich immer noch dafür, dass ich es nicht früher geschafft habe den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen. Die Aufarbeitung allein war ein großer Schritt, aber leider nur die halbe Miete. Ich habe viele Jahre gebraucht um zu realisieren, dass manche Beziehungen einfach nicht zu Retten sind und dass in gewissen Dynamiken immer einer den kürzeren zieht. Wenn es um eine Mutter-Kind Dynamik geht, kann das besonders schmerzhaft sein. Vor allem wenn Kinder das Gefühl haben, ihren Eltern ewig etwas schuldig zu sein.


Quoteder schalldämpfer

... wer versteht, warum mana/papa/omi/opa/usw manchmal so seltsam waren... und warum wir (die wir menschen ja primär durch vorbilder/nachahmung lernen) viele dieser verhaltensweisen ungeprüft übernommen haben... seit ich verstehe, hab ich noch mehr mitgefühl und liebe für meine ahnen.


QuoteVald

Traumata welche nicht aufgearbeitet werden schlagen sich in verschiedenen Verhaltenweisen nieder. Allein deshalb wird vieles (selbst ungewollt) weitergegeben.



QuoteFaulitier

Was viele hier falsch verstehen

Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen. Das ist auch ein riesiges Problem, wenn man beginnt, so etwas aufzuarbeiten. Weil man (wenn man grundsätzlich ein gutes Verhältnis hat) erstmal den reflex hat, die eigenen Eltern zu verteidigen. Weil sie ja nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Aber es kann nunmal keiner alles perfekt machen.

Meine Oma war der "Hütehund" der Familie, hat alle zusammen gehalten und war teilweise ein bisschen zu fordernd, was körperliche und emotionale Nähe anging. Meine Mutter war davon ihr Leben lang genervt und wollt auf keinen fall ihre Kinder mit emotionaler Erpressung zu irgendwas zwingen. Sie hat mich also machen lassen - und mir hat die Nähe wieder ein bissi gefehlt, weil zu viel Freiheit.


QuoteInVeloVeritas

Kinder sind wie ein Spiegel - die Verhaltensweisen die ich an mir nicht leiden kann erkenne ich tatsächlich bereits an meinen Kindern (1,5 Jahr & 4,5 Jahre) Ich möchte es meinen Kindern Vorleben, es besser machen und das Vorbild sein, dass ich gerne gehabt hätte, aber sch.... es fällt mir sicher nicht leicht. Wie schön wäre es, wenn ich einfach so wäre und nicht ständig hart an mir arbeiten müsste. Aber dafür bin ich an Guten Tagen auch stolz auf mich ;-)


QuoteDer Krokodackel und sein Donaupferd

Meine Mutter ist eine schwere Alkoholikerin die einem das Leben oft nicht leicht gemacht hat bzw. macht.

In der Früh vor 8 Uhr an der Vodkaflasche anzaht als wäre es Wasser gewesen...

Ich habe mir eine zweite Familie gesucht in der Jugendzeit...meine Freunde.
Diese Freundschaften existieren heute noch (bin bald 40).

Trotz gewisser Umstände bin ich zum Glück ein halbwegs glücklicher Mensch.

Wenn ich aber meine Freunde nicht gehabt hätte bzw. heute meine Partnerin, dann wüsste ich nicht was whs alles hätte schief gehen können.

Mein Tipp an Eltern: Saufts ned vor den Kindern und lassts eure eigenen Probleme nicht an den Kindern aus.
Das ist erbärmlich!
Am besten gar nicht saufen!


QuoteE_mobile_user

Vergangenheit gegenwart zukunft

Es wiederholt sich. In der Ukraine und im Nahen Osten werden jetzt in diesem moment sehr viele menschen traumatisiert.
Ich würde gerne möglichst viele von ihrem Leid befreien, aber bin dabei relativ machtlos.
Der Mensch ist zu sehr vielem fähig - gut wie böse.


QuoteDr. Strangelove, MD

Das richtige Traumata (zB Kriegserlebnisse, Hunger, Vergewaltigung bis zu Todesangst und Verletzungen) "vererbt" werden, halte ich für Humbug, das ist halt eine Idee, opportun für den Narrativ, jede Befindlichkeitsstörung wg eines lieblos marinierten Salats bis hin tw zur Lebensuntüchtigkeit durch schlichte Überforderung hätte ebenso wie reale psychiatrische - genetisch oder auch hirnorganisch bdingte - Diagnosen ihre Ursache in diversen "Traumata" und müsse über diese Schiene "geheilt" werden.
Dass sich durch Traumata begründete Verhaltensweisen in Familien fortsetzen und Leid bedingen, dass "gelöst" werden kann, ist klar. Hier geht ja auch zum Glück einiges weiter - ich teile lediglich den "epigenetischen" Ansatz nicht.


QuoteRedridinghood

Aber es gibt Belege. Sogar bei Mäusen:
"Extremer Stress kann vererbt werden" - Ein Attentat, eine Vergewaltigung, Folter, Krieg, Vertreibung: Traumatische Erlebnisse können nicht nur durch ein verändertes Verhalten weitergegeben werden, sondern auch durch Vererbung. Darauf deuten Versuche mit Mäusen hin. Martina Janning (02.05.2022)
https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/krankheiten/stress/stress-vererbung-100.html


Quotewilcofan

Das erinnert mich an ein ebenfalls ziemlich aufschlussreiches Buch für den deutschsprachigen Raum: "Kriegserbe in der Seele" von Udo Baer und Gabriele Frick-Baer. Darin wird beschrieben, wie sich die Kriegserlebnisse der Großeltern unbewusst auf Kinder und Enkel auswirken können. ZB in Verhaltensweisen wie, bloß kein Essen wegwerfen, aus einer Zeit herrührend, als Essen knapp war. Wenn dann die Enkel unerklärlicherweise kein Essen entsorgen können, obwohl genügend davon da ist, kann ein Zusammenhang bestehen. Oder wenn die ältere Generation Unmengen an Konserven herstellt, die sie niemals aufessen können, ohne dass eine Hungersnot bevorstünde. U.v.m. Spannend!

Kriegserlebnisse und die durch sie verursachten Traumata hinterlassen oft über Generationen Spuren in Familien, ohne dass diese konkret benannt werden können. Dieses Buch zeigt, woran Kriegskinder und Kriegsenkel die Folgen der von den Eltern oder Großeltern »vererbten« Traumata bei sich selbst erkennen. Es bietet konkrete Hilfe an, etwa bei scheinbar unbegründeten Ängsten, nicht zu greifenden Einsamkeitsgefühlen, dem quälenden Gefühl der Liebesunfähigkeit oder übermäßigem Leistungsdruck. Eine Fülle von Übungen helfen, den »Schritt beiseite« aus der Weitergabe von Kriegstraumata zu wagen. »Wir knüpfen dort an, wo die anderen Kriegskinder- und Kriegsenkel-Bücher aufhören: bei dem, was hilft. Denn die Kette der Traumaweitergabe muss unterbrochen werden, damit nicht auch noch unsere Kindeskinder unter den Kriegsfolgen leiden müssen.« Udo Baer und Gabriele Frick-Baer
https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783407857408/Baer-Udo/Kriegserbe-in-der-Seele


QuoteSupercalifragilistiexpialidocious

Zur Epigenetik - Es gibt wahnsinnig spannende Kohortenstudien in Island, zB was das Risiko einer Alkoholabhängigkeit bei Kindern und Enkeln von Alkoholkranken angeht.


QuoteSwissiana

Vererbungslehre light ...

"Wir wissen, dass traumatische Erlebnisse unserer Eltern oder Großeltern unsere genetische Kodierung verändern. ... Wir sind dadurch also biologisch bereits anfälliger für Stress und Trauma."

Nein, das wissen nicht nicht, dass die Tradierung von (traumatischem) Wissen über den genetischen Code vonstatten geht. Richtig ist: Über (traumatisierende) früh- oder spätkinderlichen Sozialisationen. Dabei sind die gesellschaftlichen Strukturen zu vernachlässigen, die den äußeren Raum für traumatisierend sozialisierende Eltern und Familien hervorbringen.

Eine biologistisch argumentierende Psychologie ist - so ganz nebenbei - politisch reaktionär, da sie individualisierend angelegt ist und die gesellschaftllichen Bedingungen ausblendet.


QuoteSupercalifragilistiexpialidocious

... Meine persönliche Erfahrung als älteste Tochter einer ältesten Tochter aus ärmlichsten Bergbauernverhältnissen: sobald man selbst ein Kind großzieht, fällt einem erst auf, wie sehr bestimmte Verhaltensmuster und Reaktionsmuster verinnerlicht sind, ohne dass man weiß, woher sie kommen. Aber seit ich genauer drauf achte, was bestimmte Kommentare oder Anekdoten meiner Mutter in mir auslösen, hab ich schon einiges herausfiltern können. Ich bin ihr nie böse, sie wusste es einfach nicht besser. Dieses Aufarbeiten ist zwar für mich oft schmerzhaft, aber das ists mir wert für mein Kind.


Quoteparadigm change

Eingehende differenzierte Bearbeitung der Kriegsenkel-Situation:

"Wie Kriegsenkel heute ihr biografisches Erbe erkennen und nutzen"
Aufgewachsen mit traumatisierten Eltern, die als Kinder Krieg und Flucht erlebt haben, ist die Generation der Kriegsenkel in den letzten Jahren verstärkt in den Blick geraten. Doch ist das ganz besondere Erbe, das sie tragen, nur belastend? Durch ihre Familiengeschichte und besondere Sozialisation haben viele von ihnen eine mentale Ausstattung entwickelt, die es ermöglicht, mit heutigen Herausforderungen besser umzugehen. Die systemische Therapeutin Ingrid Meyer-Legrand richtet den Fokus auf die Ressourcen der Kriegsenkel. ... Viele von ihnen wagen es nicht, beruflich oder privat wirklich anzukommen. Doch dieses »Immer-wieder-neu-Anfangen«, diese Ruhe- und Rastlosigkeit lasst sich auch als Kompetenz betrachten, eine besondere Fähigkeit, flexibel mit Veränderungen umzugehen. Mit der von der Autorin speziell entwickelten Biografiearbeit wird es möglich, den roten Faden im eigenen Leben zu erkennen. Die innere Erfahrung, immer noch auf der Flucht zu sein, die bei vielen Kriegsenkeln vorherrscht, kann sich auflösen. ...
https://www.meyer-legrand.eu/die-kraft-der-kriegsenkel/


Quotegrashopper

Die meisten sind ziemlich verpeilt... Das erklärt wohl auch den Zustand der Gesellschaft... Wahlergebnisse, falsche Erwartungen...


Quoteabeze

Toxische Verhaltensweisen und Traumata werden oft von Generation zu Generation weitergegeben werden. Von Uroma zur Oma, von Oma zur Mutter und von der Mutter zum Kind. Was mir aber auch auffällt: Keine Generation ist perfekt, jede Generation macht ihre Fehler, während sie gleichzeitig die Fehler der Eltern nicht mehr machen will (und tw. auch nicht mehr macht).

In ein paar Jahren sind die Kinder der heute 25-40 jährigen erwachsen und dann werden genauso Vorwürfe kommen, was die heutige junge Elterngeneration alles verbockt hat.

Wahrscheinlich auch zurecht, wir alle sind Menschen, gleichzeitig tendieren wir dazu unsere Eltern auf ein Podest zu stellen und sprechen ihnen die Menschlichkeit ein wenig ab.


QuoteF.K.V.I.

Archive und Akten

Wir dürfen einigen Menschen dankbar sein, die diese grausamen Taten verfolgt, dokumentiert und archiviert haben.

Vielleicht helfen dem einen oder der anderen folgende Links.

Hier kann man mit Namen und Geburtsdatum anfragen:

1. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
http://www.doew.at

2. Österreichisches Staatsarchiv, Bestand Gauakten (adrpost@oesta.gv.at)

3. Bundesarchiv Berlin, Bestand NSDAP-Zentralkartei (berlin@bundesarchiv.de)

4. Zuständiges Landesarchiv, Bestände NS-Registrierung und Akten des Volksgerichts (Gericht gegen Täter nach 1945 in Wien, Linz, Graz, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt); im Wiener Stadt- und Landesarchiv liegen ebenso Gauakten


QuoteOawaschln

Kann das Wort Traumata schon nimmer hören.


QuoteForen-Moderation

Ist Ihr gutes Recht, den Artikel dann nicht zu lesen. Niemand zwingt Sie dazu!


Quotecampano

Das finde ich auch bedenklich: dass jeder x-beliebige mentalcoach (die ausbildungen dazu werden einem - bei nötigem kleingeld - ja fast nachgeschmissen) in den sozialen medien seine weisheiten verbreitet.


QuoteDon Ravioli Calzone

Es darf auch jeder beliebige Keyboard Warrior hier im Standard Forum seine Meinungen und Weisheiten verbreiten ;-)


QuoteKaHawara

... Jetzt machen wir schon unsere Vorfahren für unsere Unzulänglichkeiten verantwortlich^^
Bin mit Ende 20 noch bei der jüngeren Partie dabei, aber dieses dauernde Gerede von Traumata und Therapie ist echt schon mühsam. Wennst nicht saufst, deine Frau/Kinder nicht schlägst usw. ist man unterm Strich eh gesellschaftlich verwendungsfähig. Und das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten glücklicherweise stetig gebessert.


QuoteDon Ravioli Calzone

Es geht aber nicht um die "gesellschaftliche Verwendungsfähigkeit", sondern um deine ganz persönliche seelische Gesundheit. Es steht jedem frei, sich aktiv darum zu kümmern. So wie es jedem frei steht, regelmäßig Sport zu betreiben um seinen Körper fit zu halten ...


QuoteFaulitier

Nur weil man gesellschaftlich verwendungsfähig ist, gehts einem noch lang nicht gut. Ich hab während 5 Jahren Depression und Angststörung trotzdem weiter gearbeitet. Es hat mich so ziemlich alle Energie gekostet, die ich damals hatte. Und gut gings mir definitiv nicht.


Quotemijohe

Wissenschaft, adieu! Scharlatanerie, hurra! Ein gutes Geschäft...


QuoteRechts so legitim wie links

Dass Traumata den genetischen Code verändern ist nicht bewiesen, auch wenn es in diesem Artikel als Tatsache hingestellt wird.


QuoteGato con Botas

Da liegen Sie falsch. Der Zweig der Biologie, der sich damit beschäftigt nennt sich Epigenetik und es konnte z.B. nachgewiesen werden, dass sich Hungersnöte auf das Erbgut auswirken und dieses verändern.


QuoteLogspace

"How trauma's effects can pass from generation to generation" Dom Byrne (26 April 2023)
Neuroepigenetics researcher Isabelle Mansuy investigates how life life experiences and environmental factors can shape not only us, but also our descendants. ... Isabelle Mansuy's neuroepigenetics lab researches the impact of life experiences and environmental factors on mental health, exploring if these impacts can be passed on to descendants. Epigenetic inheritance, she says, is not confined to diets and exposure of factors such as like endocrine disruptors or environmental pollutants. All of these can modify our body and have effects in our offspring. But Mansuy, who is based at the University of Zurich and Swiss Federal Institute of Technology in Zurich, Switzerland, also asks if trauma modifies not only our brains, but also our reproductive systems. ...
https://www.nature.com/articles/d41586-023-01433-y


Article: Open access, Published: 01 November 2024
Severe traumatic injury is associated with profound changes in DNA methylation
https://www.nature.com/articles/s41525-024-00438-4


QuoteZenZen1

Schwieriges Thema

Was für mich zu kurz kommt, ist das Auseinanderhalten von transgenerationalem und individuell erlittenem Trauma. Auch wenn es oft ineinanderzufließen vermag. In dem Zusammenhang auch die unscharfe Verwendung des Traumabegriffs: Traumareaktionen sind nicht gleich Traumata. "Wir sind eh alle traumatisiert" lässt keine Worte übrig für jemanden, der es tatsächlich ist.


Quotekilling joke

Meine Großväter haben gelernt wie man gewissenlos plündert und mordet, auf Widerspruch mit Gewalt zu reagieren und seine Gefühle in Alkohol [zu ertränken]. Eine Generation in der man die Ehrlichen zur Lüge gezwungen hat und die Aufrichtigen umgebracht hat, gab uns so einiges mit.


QuoteNonogramm

Nach jahrelanger intensiver Arbeit an/mit mir kann ich endlich den transgenerationalen Schmerz als Begleiter akzeptieren. Es tut in mir nie weniger weh, aber allein das Bewusstsein zu haben, woher dieser tiefsitzende Schmerz kommt, hilft. Drei bis vier Generationen zurückzuforschen ist harte Arbeit, bringt auch Konflikte mit den noch Lebenden mit sich, aber lohnt sich doch, um Ruhe und Kraft zu finden.


Quoteholc

Natürlich können Ängste / Traumata über Generationen weitergegeben werden. Wie sehr das passiert und zu wissen, wie relevant dieser Umstand im Vergleich zu neu erworbenen Traumata / Belastungen wirklich ist,

ist die eigentlich relevante Frage (betrachtet man die Gesellschaft oder eine einzelne Person). Für jeden guten Therapeut:in ist es aber völlig normal die Kindheit (von Geburt an), die Eltern / GroßEltern (deren Erziehungsstile und mögliche Belastungen) mitzudenken und mitzubearbeiten. Das ist jetzt nix Neues. Selbst Freud sprach schon von "Gefühlserbschaft". Und der stand am Beginn. Also bitte ..

Nicht falsch verstehen: Ich finde die Beschäftigung mit dem Thema super interessant und wichtig. Aber überstrapazieren sollte man das Thema auch nicht. Im Interview klingt es, als ob alle Belastungen von der Generation davor kommen - und das heißt das Kind mit dem Bade auszuschütten ....

Aber klar, klingt knackiger beim Buchverkauf ...


Quoteparadigm change

Die Traumapsychologie - die ja erst in den USA nach dem Vietnamkrieg, in Europa jahrzehnte später in Gang kam - bringt insofern grundlegend neues, als sie sowohl die individuelle, wie auch systemische Perspektive überschreitet, und Arbeit an der

Kultur, an der Politik, am menschlichen Selbstverständnis darstellt und einerseits das Leiden vollständig zu kontextualisieren versucht - und damit enorm entlastend wirken kann - sondern vor allem auch das verkürzte und verkürzende Ursache-Wirkung-Denken überschreitet, denn was zählt, ist nicht das traumatisierende Ereignis, sondern die je individuelle einzigartige Reaktion darauf und DEREN Verständnis. Das definiert gewissermaßen auch das Subjekt neu, stellt ein neues Menschen- und Welt-Verständnis her - allerdings liegt das, zugegeben, weit jenerseits der populären Diskurse.


Quoteholc

Sorry, aber das ist so nicht richtig. Traumapsychologie gibt es nicht erst seit Vietnam. Bereits nach dem 1. Weltkrieg war das Thema - gerade in Europa - groß und Behandlungsmethoden wurden entwickelt und angewandt! Freud hat sich dem Thema schon davor gewidmet und Bion beispielsweise hat lange vor Vietnam schon in Gruppen am Thema gearbeitet.


QuoteGutGut

Das kann ja alles relevant sein ich halte es aber auch vor allem für fallspezifisch. Medial klingt es immer als sei das bei jedem ein problem und jeder steckt in einem negativen kreislauf.


QuoteSteingrab

Jeder nicht, aber schon sehr viele. Was glauben Sie, warum die meisten Patienten erst ab 50 beim Psychologen sitzen, weil sie ihr Leben überrollt? Richtig, weil man bis dahin seine Dysfunktionalitäten fälschlicherweise als liebevolle Charaktereigenschaften betrachtet hat.


QuoteOrangeHair

Es gibt hierzu einen hervorragenden Podcast, den ich gerne empfehle:
Sven Rohde - Gefühlserben

Und ein paar Bücher:
Kriegsenkel - Sabine Bode
Die geprügelte Generation - Ingrid Müller-Münch


QuotePPT74

"Harte Zeiten schaffen starke Menschen. Starke Menschen schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Menschen"

Das bewahrheitet sich immer mehr, davon abgesehen das es auch ein lukrativer Wirtschaftszweig geworden ist vermeintliche Probleme zu analysieren.


QuoteDiego_Armando

Voll der erste Weltkrieg hat erst den weg ins Paradies geebnet.


Quoteaber geh ;-)

In harten Zeiten, bleibt einem nichts als zu funktionieren.

In guten Zeiten kann man mal durchschnaufen und kann analysieren, was die harten Zeiten angerichtet haben.
Kann ich von meinen 2 vorherigen Generationen definitiv so berichten. Und bin überzeugt, dass ich damit nicht alleine bin. Aber klar. Reißt euch zusammen, hat immer schon gut funktioniert!


QuoteGute Nacht sagt der Fuchs

Transgenerationale Traumatisierung ist kein Hype, sondern ein Forschungszweig zu dem schon seit Jahrzehnten geforscht wird und es auch jede Menge Literatur gibt. Da geht es von der unterschwelligen Übertragung von Stimmungen und Einstellungen der Eltern auf Kinder, über Cortisollevel im Mutterbauch bis hin zur Epigenetik.
Sehr spannendes Thema... Nach zwei Weltkriegen sind wir als Österreicher da insgesamt schon ziemlich betroffen und das hallt bis heute nach.


QuoteGuelim

"Wenn wir unseren Kindern alle Steine aus dem Weg räumen, verlernen sie später, die Hindernisse selbst zu überwinden."
Helmut Glaßl (*1950)

Insofern, JA, wir Eltern haben diesbezüglich Mist gebaut.


QuoteFrihet før Østerrike

Diese Aussage halte ich für eine Themenverfehlung

QuoteWARUM_87

Es gibt dazu immer mehr Forschung und Literatur, sehr gut. Danke, darüber auch hier im Standard zu lesen.

Auch wenn es viele Poster hier im Forum negieren und es besser wissen - oder einfach nicht wahrhaben wollen? Interessant und erschreckend, wie einfach sie sich die Welt zurecht legen und es wieder mal wegschieben. So zeigt sich darin aber genau jenes Muster weswegen viele Themen unaufgelöst an die nächste Generation weiter gegeben wird. Verstehen Wollen, wäre mal ein positiver Anfang von Veränderung.


QuoteFan_Tom

,,Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben".

Karl Kraus


Quotelove me or hate me

"Junge Leute gelten als zu sensibel, dabei leben sie die Traumata ihrer Eltern"

Gute zeiten erschaffen schwache menschen.
Schwache menschen erschaffen schwere zeiten.

Wir waren noch nie so wohlhabend und konnten so entspannt im überfluss durchs leben gehen wie die letzten 50 jahre.


QuoteSimya

Sie nennen es schwach. Ich nenne es bereit, die eigenen Probleme anzuerkennen. Und diese Menschen sind oft auch eher bereit, auf die Probleme anderer Menschen Rücksicht zu nehmen. Härte löst keine Probleme. Sie staut sie nur auf und entlädt sie irgendwann. Oft mit Kollateralschäden.


QuoteFrihet før Østerrike

Einfach nur eine fürchterliche Platitüde. Nicht jeder ist wohlhabend. Der Reichtum ist nicht so gerecht verteilt.


QuoteEumelinchen

Wenn man sich mal anschaut, wie viele "Traumata" frühere Generationen von ihren Eltern mitbekommen haben - Kriege, Massenmord im Nationalsozialismus, Armut, Hunger etc., dann wird die Frage nicht beantwortet, warum ausgerechnet jetzt die jüngeren Generationen so "sensibel" sind. ...


Quotewilcofan

Die jüngeren Generationen sind so "sensibel", weil die älteren ihren eigenen Schmerz unbewusst 1 : 1 an sie weitergegeben haben.


Quoteueberdentellerrand

also es gab früher sehr sehr viele Menschen die schwer traumatisiert waren. Die haben sich auch dementsprechend verhalten und waren auffällig. Es hat halt nur niemand gewusst warum bzw. auch gar nicht hinterfragt.


QuoteFrihet før Østerrike

Schon die 68er-Bewegung war eine Reaktion auf die Kriegstraumata.
Nur die waren richtig empört, dass die Eltern mit ihrer Vergangenheit so umgehen.


Quotedubitans

"Junge Leute gelten als zu sensibel, dabei leben sie die Traumata ihrer Eltern"

Waren etwa die jungen Boomer so sensibel? Deren Eltern hatten die WK2-Traumata erlitten; viele litten an PTSD, wofür es diesen Begriff noch nicht gab.


QuoteWARUM_87

Es geht wie man mittlerweile weiß über Generationen! Lesen Sie zu diesem Thema, es gibt genug Literatur. Dann verstehen Sie. Vielleicht.


Quotelotus04

genau diese Traumata und die von Ihnen angenommene Boomer-Robustheit/Unsensibilität führt eben zur Weitergabe an folgende Generationen. Diese haben jetzt die Ressourcen, sich daum zu kümmern. Das ist harte Arbeit.

So schade, dass Sensibilität als negativ gesehen wird.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Aufgewachsen mit einem berühmten, oft abwesenden Vater und einer exzentrischen wie "krankhaft rücksichtslosen" Mutter ... Über Frank Zappas kreatives Schaffen erfährt man hier wenig. Es geht schließlich ums Private: Ob es auf die Entwicklung eines Kindes positive Auswirkungen hat, wenn der Vater oft in fernen Ländern tourt, Wet-T-Shirt-Wettbewerbe liebt, zu Hause keine Unterwäsche trägt und seine Affären mit nach Hause nimmt, davon kann man sich mit der Lektüre selbst ein Bild machen. ...

Berührend sind die Kapitel über das langsame Sterben des krebskranken Vaters. Auch hier zeichnet Moon Unit ein durchwegs eigenwilliges Bild der Mutter, die vermutet, dass "Funkwellen" Frank krank gemacht haben, und die eine Frau engagiert, die den Teufel aus den Körperzellen des Künstlers entfernen soll. Nach dem Tod des Musikgenies entbrennt ein wilder Rechtsstreit um den Nachlass und das Erbe. Damit nicht genug, geht Moon Unit durch eine Scheidung und muss um das Überleben ihres Kindes bangen.

Mit "Earth To Moon" hat die 56-Jährige ihr traumatisierendes Leben aufgearbeitet. "Doch sie erzählt auch von sich selbst als junger Frau, die es schafft aus dem Schatten und dieser Vergangenheit herauszutreten und davon zu zehren, statt davon verzehrt zu werden", wirbt der Verlag. Das kann man so stehen lassen.

...



Aus: "Das traumatische Leben der Moon Unit Zappa in Buchform" Wolfgang Hauptmann (22.08.2024)
Quelle: https://k.at/news/das-traumatische-leben-der-moon-unit-zappa-in-buchform/402938869

-

Quote[...] Während Frank Zappa die Rockszene aufmischte, brach seine Familie auseinander. Die älteste Tochter Moon hat diesen Zerfall in ihren Memoiren beschrieben: aufrichtig, genau, traurig.

Einmal schob sie einen Brief unter seine Studiotür. «Daddy, hi! Ich bin 13 Jahre alt. Mein Name ist Moon. Bis jetzt habe ich versucht, dir bei deinen Aufnahmen nicht im Weg zu sein. Jetzt aber bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich gerne auf deinem neuen Album mitsingen würde.» Anders kam Moon Unit Zappa nicht an ihren Vater heran. Obwohl sie ihn über alles liebte – für seinen Humor, sein Talent und seine Intelligenz. Obwohl sie ihm in vielem glich, was die Hartnäckigkeit betraf oder das Bedürfnis nach Autonomie.

Eigentlich arbeitete der Vater ganz in ihrer Nähe, im Keller des Privathauses im von zahlreichen Musikern bevölkerten Laurel Canyon bei Los Angeles. Trotzdem traf Moon kaum auf Frank. Also setzte sie ihren Brief auf. Wenig später, es war in einer Nacht im Sommer 1982 mitten in der Schulzeit, weckte der Vater sie auf und sagte: «Ich möchte einen Song mit dir machen.»

Über den Song und den Brief schreibt Moon Unit Zappa in ihren Memoiren, die gerade veröffentlicht wurden. Sie beschreiben den Niedergang einer dysfunktionalen Familie mit einem abwesenden Vater und einer unglücklichen Mutter – und drei jüngeren Geschwistern, denen der Vater ebenso skurrile Namen gegeben hatte wie bereits Moon Unit: Der Gitarrist Dweezil brachte später das väterliche Repertoire als «Zappa Plays Zappa» auf die Bühne – mit Können zwar, aber ohne jedes Charisma. Ahmet arbeitet als Filmproduzent und Diva als Schriftstellerin.

Nur Moon selber scheint nichts gelungen zu sein, wie sie selber schreibt. Sie las esoterische Literatur, versuchte sich erfolglos als Schauspielerin, schloss sich einer Sekte an, verliebte sich, bekam ein Kind, wurde verlassen, lebte als alleinerziehende Mutter, arbeitete unter vielem anderem als Fernsehmoderatorin. Heute, mit 56 Jahren, gibt sie Yogastunden.

«Earth to Moon» heisst das Buch nach der Art, wie die Mutter Gail Zappa ihre Tochter anzusprechen pflegte. Die Memoiren geben in den USA zu reden. Schon weil die Autorin mit Eleganz und Intelligenz schreibt und ihre Urteile gleichermassen kritisch und selbstkritisch fällt. Eindrücklich beschreibt sie ihre Sehnsucht nach einem herkömmlichen Familienleben, wo die Kinder zusammen mit ihren Eltern leben, ohne diesen beim lauten Sex zuhören zu müssen. Es störte die Tochter, dass ihre Familie ihr Haus stets mit halbnackten Unbekannten teilen musste, die jeden Tag ohne Einladung zu Besuch kamen.

Das Buch liest sich umso eindringlicher, als es die Chronik einer Familie formuliert, die zunächst auf Liebe und geteilten, nonkonformistischen Überzeugungen gründete. Später aber kamen sich die Familienmitglieder dermassen abhanden, dass sie ihre bitteren Differenzen zuletzt über Anwälte regelten. Der Vater Frank ist seit 1993 tot, die Mutter starb 2015 an Lungenkrebs. Die vier Kinder aber haben bis heute nicht wieder zueinandergefunden.

Sein offizielles Image machte Frank Zappa zum humorvollen, kämpferischen und vielbeschäftigten Vater, der mit seiner Frau eine offene Ehe führte, die Kinder in antiautoritärer Toleranz aufwachsen liess und sich Tag und Nacht mit seiner Musik beschäftigte, um diese von Helsinki bis Wetzikon aufzuführen.

«Absolutely Free» hatte Frank Zappa sein zweites Album genannt. Es erschien 1968 und enthielt die Lebenslüge schon im Titel. Denn frei fühlte sich nur der Patriarch selbst. Die Familie konnte Frank selten für sich in Anspruch nehmen. Gail musste ihn mit zahllosen Groupies teilen, auf die sich Frank während der Tourneen einliess. Und den drei jüngeren Geschwistern erging es wie Moon: Sie wuchsen weitgehend ohne Vater auf.

Frank Zappa mochte seine Kinder lieben, er sah sie aber kaum. Von seiner Frau wollte er sich zweimal scheiden lassen, er blieb aber aus Bequemlichkeit bei ihr und profitierte von ihrer hoffnungslosen Hingabe. Er hatte nie Autofahren gelernt, deshalb liess er sich von Gail auch herumchauffieren. Ausserdem kümmerte sie sich um das Management. Meistens durchlitt sie seine Affären mit der Ergebenheit einer Hilflosen. Dann wieder tobte sie gegen ihre Rivalinnen an. Keines von beidem nützte, beides war ihm egal. «I like to get laid», sagte er in einem Interview, er werde gerne flachgelegt.

Für das Leid, das ihr der Ehemann bereitete, rächte sich Gail Zappa mit boshafter Kälte an ihren Kindern. An der ältesten Tochter zuallererst, wohl weil sie ihrem Vater am stärksten glich. Gail sei eine «tief verunsicherte, sehr unglückliche Frau» gewiesen, so beschrieb sie ein Freund der Familie. Und weil ihr Selbstwertgefühl so gering war und ihre Liebe zu ihrem Mann so aussichtslos, strafte sie Moon mit Liebesentzug, was diese noch tiefer verletzte als die Abwesenheiten des Vaters.

Frank Zappa war ein Zyniker, das gab er selber zu. «Ich habe eine Familie, aber keine Freunde», sagte er auch. Das bekamen seine unzähligen Mitmusiker zu spüren, alles brillante Instrumentalisten. Er behandelte sie als Angestellte, denen er selbst auf Tournee qualvoll lange Übungsstunden und ein Konzertrepertoire von bis zu 80 hochkomplexen Stücken abverlangte. Zugleich verhöhnte er sie als «spielende Affen». Am liebsten arbeitete er alleine in seinem Keller am Synclavier, einer frühen Form des Musikcomputers. Dass die darauf komponierte Musik oft leblos klang und mechanisch, scheint er nicht realisiert zu haben.

Zappas Biograf Barry Miles erklärt sich die Gefühlskälte dieses doch so charmant wirkenden, humorvollen Mannes mit dem Trauma seiner Kindheit. Zappas Vater hatte als Chemiker für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet und musste mit seiner Familie dauernd umziehen. So wuchs sein ältester Sohn Frank in permanenter Einsamkeit auf. Die sizilianisch-griechisch-arabische Herkunft des Vaters, auch er ein Patriarch, mochte den Machismo seines Sohnes verstärkt haben.

Aus dieser Einsamkeit heraus fand Frank zur Musik als einziger Freundin, die immer zu ihm halten würde. Der autodidaktische Perfektionist hatte sich das Lesen und Schreiben von Noten bis hin zu Orchesterpartituren, aber auch Harmonielehre und Kontrapunkt ohne Hilfe in der öffentlichen Bibliothek beigebracht. Auch seine gitarristische Brillanz erarbeitete er sich selbst. Klassische Musik zu schreiben und Rock'n'Roll zu spielen, seien wie Auto fahren und ein Sandwich essen, sagte er einmal: zwei verschiedene Dinge, die man gleichzeitig tun könne.

Der Kettenraucher und Koffeinsüchtige verachtete alle illegalen Drogen und verbot sie seinen Musikern unter Entlassungsdrohung. Seine Lieblingsdroge war Sex. Er war ein Erotomane, der die Sexualität als Lebenselixier genoss, feierte und in seinem Gesamtwerk inszenierte. Wie kein anderer besang er den sexuellen Akt in all seinen Phantasien, Kostümierungen, Handlungen, Ritualen und Lächerlichkeiten. «Er zwang den Moralisten ihre Verdrängungen auf», schreibt der britische Kulturtheoretiker Ben Watson in seiner Werkbiografie und nennt Zappa einen «unaufhörlichen Vertreter des Unbewussten». Wozu natürlich passt, dass Zappa von der Psychoanalyse nicht das Geringste hielt.

Nach Frank Zappas Tod führte Gail die Geschäfte weiter. Kurz vor ihrem eigenen Tod musste sie den Kindern ein Defizit von sechs Millionen Dollar bekanntgeben. Sie verlangte von ihnen, auf das von Frank vorgesehene Erbe zu verzichten. Zudem wollte sie Zappas immenses, auf über 120 Alben berechnetes Gesamtwerk der Plattenfirma Universal verkaufen. Moon und Dweezil weigerten sich, Gails Forderung zu unterschreiben. Nach dem Tod der Mutter erfuhren sie, dass diese ihnen aus später Rache und gegen den Willen ihres Mannes deutlich weniger Erbe vermacht hatte als den anderen Kindern.

Nun leben Enthüllungen über berühmte Menschen vom Voyeurismus jener, die alles über Picasso, den Frauenverbraucher, über Miles Davis, den gewaltbereiten Choleriker, und über Nicole Kidmans Schönheitsoperationen wissen möchten. Ganz so, als müssten sie ihre Verehrung des Künstlers mit der Enttäuschung über den Menschen korrigieren. Aber genau diesen Gefallen gestattet Moon Zappa der Leserschaft nicht. «Earth to Moon» beschreibt psychologisch beklemmend und stilistisch gekonnt, welche Wunden Familienmitglieder einander schlagen, obwohl sie einander zu lieben glauben.

Auf ihre Weise hat Moon Zappa den Respekt ihres Vaters doch noch bekommen. Als er sie in jener Nacht weckte und ins Kellerstudio holte, bat er sie, den Slang ihrer Mitschülerinnen zu parodieren, mit dem sie ihn so zum Lachen gebracht hatte. Der Song mit ihren Improvisationen erschien 1982 unter dem Namen «Valley Girl» als Single. Zur Überraschung aller wurde er erst von den lokalen und dann von den landesweiten Radiosendern gespielt und löste sogar einen Trend aus. Vor allem aber wurde «Valley Girl» mit Moon Zappa zu Zappas einzigem Hit in Amerika.


Aus: "Seine Lieblingsdroge war Sex, und er hatte ständig halbnackte Gäste im Haus: Frank Zappas Tochter schreibt über den abwesenden Vater und ihre chaotische Familie" (Jean-Martin Büttner 17.09.2024)
Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/moon-zappa-frank-zappas-dysfunktionale-familie-ld.1848583