[...] Münster Rechtsextreme Demonstranten in Dortmund dürfen einem Gerichtsurteil aus Münster zufolge „Nie, nie, nie wieder Israel“ skandieren. Die Polizei hatte die Parole als antisemitisch bewertet.
Diese Parole erfülle nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung, entschied das Oberverwaltungsgericht in Münster am Montagabend. Damit scheiterte die Dortmunder Polizei mit ihrem Versuch, den Rechtsextremisten diese Äußerung für ihre montäglichen Demonstrationen zu verbieten (AZ: 15 B 1406/19).
Anhänger der Partei „Die Rechte“ ziehen seit einigen Wochen montags durch die Dortmunder Nordstadt. In dieser Woche verlief die Demonstration nach Polizeiangaben weitestgehend störungsfrei. Die Polizei bewertet die Parole „Nie wieder Israel“ als antisemitisch. Doch der Rechtsweg sei nun ausgeschöpft, das müsse akzeptiert werden, erklärte die Dortmunder Polizei.
Die Richter am Oberverwaltungsgericht erklärten in ihrem Beschluss, das Versammlungsgesetz stütze kein Verbot des Skandierens der Parole. Für einen Straftatbestand müsse ein in besonderer Weise qualifizierter Angriff gegen Teile der Bevölkerung vorausgesetzt werden. Die betreffende Parole fordere jedoch nicht zu Gewalt oder Willkür auf und greife auch nicht die Menschenwürde an, erklärten die Richter. Vielmehr könne die Äußerung als „überspitzte und polemische Kritik“ an der Politik des Staates Israels verstanden werden.
Die Richter erklärten weiter, dass die Parole nicht eindeutig einen verbotenen Bezug zur NS-Ideologie herstelle. Aus der Beschwerdevorbringung der Polizei ergebe sich nicht, „dass die Formulierung eine unverkennbare Anspielung auf ähnliche, in der NS-Zeit propagierte Hassparolen gegen die jüdische Bevölkerung beinhaltet“, heißt es in dem Beschluss.
Hintergrund der rechtsextremen Demonstrationen ist eine Aktion von Stadt, Polizei und Bürgern: Anfang September wurden Graffiti-Künstler beauftragt, extremistische Schmierereien in Dortmund-Dorstfeld zu übersprühen. Die Gegend gilt als Neonazi-Hochburg.
(hsr/epd)
Aus: "Parole bei rechtsextremer Demo in Dortmund ist laut Gericht nicht strafbar" (22. Oktober 2019)
Quelle:
https://rp-online.de/nrw/panorama/muenster-gericht-bewertet-anti-israel-parole-als-nicht-strafbar_aid-46666838-
[...] Ein Lachen ist zu hören, höhnisch. Seine Hände in dicken grünen Handschuhen sind sichtbar. Er montiert das Gewehr. Kommt nicht gleich damit zurecht. „Gott, wie krieg ich das drauf?“ Im Hintergrund läuft offenbar amerikanische Rap-Musik. Er fährt durch die Stadt. „Nobody expects the internet SS“, sagt er an einer roten Ampel. Keiner rechnet mit der Internet-SS.
Er fährt an einer Mauer entlang. „Hey, klappt das? Nee, nee. Fuck, fuck.“ Er hält, steigt aus, geht mit einem Gewehr zu einer Tür in der Mauer. Man sieht das Messingschild der Synagoge an der Humboldtstraße. Er kriegt die Tür nicht auf. „Fuck!“ Er läuft hin und her, versucht es wieder. Ein Schuss fällt. Offenbar galt er der Tür. Die steht einen Spalt offen, er drückt gegen sie und sagt: „Das sprengen wir.“
Er öffnet eine Autotür, eine Kiste ist zu sehen, darin Flaschen und ein Eimer, darin etwas wie Handgranaten. Noch mehr Ausrüstung wird sichtbar. Er nimmt einen silbrigen Gegenstand heraus, offenbar einen Sprengsatz, und schiebt ihn in den Türspalt. Kurz darauf ist eine Explosion zu hören.
Eine stämmige Frau in Outdoorjacke und rotem Pullover, mit Brille und Rucksack kommt die Straße entlang, sieht sein Auto, das den Bürgersteig blockiert, sagt ärgerlich: „Muss das sein, wenn ich hier langgehe? Mann, ey!“ Als sie auf der Straße am Auto vorbeigeht, schießt er ihr in den Rücken, vier Schüsse in schneller Folge. Sie stürzt und bleibt leblos neben dem Auto liegen.
Nach dem Mord geht er wieder auf die Tür los. „Fuck. Verkackt. Scheiß druff. Ich komm‘ hier nicht rein.“ Er geht zum Auto zurück, feuert eine neue Salve auf die Tote und beschimpft sie unflätig. Mittlerweile keucht er. „Ich hab mir ’nen Reifen zerschossen.“ An der Mauer lehnt sein zweites Gewehr mit Magazin.
Er versucht erneut vergeblich, zur Synagoge vorzudringen und kehrt zum Auto zurück, wo die Tote liegt. Auf der Straße hält ein weißer Minitransporter, der Fahrer ist ausgestiegen. Stephan B. ruft herausfordernd: „Ja, bitte?“ Er zielt auf den Mann, der steigt schnell und anscheinend angstvoll in seinen Wagen und fährt weg.
Dann schießt Stephan B. dreimal auf die Tür. Tritt dreimal gegen sie. Sie hält stand. Er flucht: „Scheiße!“ Er schießt in die Luft, läuft hin und her. „Verkackt!“ Sagt etwas von „Kanaken“. Und zur Toten hin wieder Unflätiges.
Er fährt ein paar Meter, steigt wieder aus. „Eigenen Platten geschossen.“ Die Scheibenwischer sind an, obwohl es nicht regnet. Alles macht den Eindruck von Nervosität und Konfusion. Seufzer sind zu hören, Selbstbeschimpfungen. „I killed some, I tried to kill some. Ach. Then I die. Like the loser I am. Fuck.” Ich habe ein paar getötet, ich habe es versucht. Dann sterbe ich. Als der Versager, der ich bin.
Nun sucht er eine Granate. „Ist die noch drin oder hab ich die verloren? Nee, hab ich verloren. Scheißdreck.“ Steigt aus, geht mit dem Gewehr über die Ludwig-Wucherer-Straße.
Schießt vor einem Döner-Laden zweimal. Eine Person verschwindet darin. Er folgt ihr hinein. Zwei Männer flüchten in den Hinterraum. Patronenhülsen fallen zu Boden, Stephan B. hantiert mit der Waffe.
Hinterm Kühlschrank taucht ein dritter Mann auf. Er zielt auf ihn, der Mann fleht um sein Leben. Stephan B. erschießt ihn.
Er geht raus und schießt auf einen jüngeren Passanten. Hat wieder Probleme mit seiner Waffe. Versucht, sie im Auto zusammenzusetzen. „Wo ist der Griff, wo ist der Griff?“
Steigt wieder aus. Zwei Frauen rennen weg. Ein Schuss fällt, die Frauen suchen Deckung hinter parkenden Autos.
Keuchend läuft er in den Laden zurück, sieht den Toten, schießt nochmals auf ihn. Schießt abermals. Schießt ein drittes, ein viertes Mal. Verlässt den Laden. Steigt ins Auto. Sagt: „Tja. Ich habe auf jeden Fall bewiesen, wie absurd improvisierte Waffen sind.“
Dann: „Jetzt Polizei.“ Er feuert auf einen quer stehenden Wagen, der ihm den Weg stadtauswärts versperrt. Feuert noch dreimal, fährt los in die Gegenrichtung, offenbar auf einer Felge, es rumpelt metallisch. „Alle Waffen haben versagt.“
Ein Klingelton ist im Auto zu hören, vermutlich ein Anruf. Im Autoradio läuft eine Sendung über illegalen Waffenhandel. Stephan B. spricht offenbar mit dem Anrufer: „Ja, hier is … Ich muss aber sagen, ich blute, bin angeschossen, und zwar am Hals, und ich weiß nicht, ob ich sterbe.“ Er redet ansatzlos von seiner Lage, als sei dem Anrufer klar, was er tut.
Jetzt ist wieder sein Gesicht zu sehen, sein blutiger Hals. Er hält sich etwas Weißes gegen die Wunde. Schmerzverzerrter Mund. Schmerzensschreie. „So, guys, das war’s erst mal mit action.“ Dann wird das Bild schwarz. Man hört die Geräusche vieler vorbeifahrender Autos. Die Kamera scheint allein im Auto zurückgeblieben zu sein.
... 22.30 Uhr, Dokument im Internet: Ein zehnseitiger Plan, der dem Täter zugeschrieben wird, macht im Internet die Runde. Darin werden zunächst Waffen gezeigt und beschrieben. Später macht sich der Verfasser dann Gedanken über die bauliche Eigenschaft der Synagoge und wie man sie am besten angreifen könne. Dort steht auch der Satz: „Der beste Tag zum Zuschlagen sollte Jom Kippur sein, da an diesem Datum selbst ,nicht-religiöse‘ Juden oft die Synagoge besuchen.“
...
Aus: "Während der Wahnsinnstat bekam Stephan B. einen Anruf"
Manuel Bewarder, Wolfgang Büscher, Christina Brause, Alexej Hock, Martin Lutz, Ibrahim Naber, Annelie Naumann, Uwe Müller (10.10.2019)
Quelle:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article201675040/Terror-in-Halle-Waehrend-der-Wahnsinnstat-bekam-Stephan-B-einen-Anruf.htmlVera A.
Man möge doch insbesondere auch und gerade den Opfern gedenken und auch insbesondere an die Hinterbliebenen der Opfer denken!
Rainer L.
Gleiches Muster wie Christchurch. Für psychisch Kranke ist das alles wahrscheinlich nur ein "Ballerspiel"!
Welche Gesellschaft produziert solche Kreaturen?
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[...] Es gehört zur Boshaftigkeit des Terrorismus, dass nicht alle Aufmerksamkeit seinen Opfern gewidmet sein kann. Dass es nicht nur um die geht, die gestorben sind, weil sie im falschen Moment erbärmlichen Menschen voller Hass begegneten. Oder um die Überlebenden, deren psychische Wunden vielleicht nie vernarben werden. Sondern dass sich ein Teil des öffentlichen Interesses auch auf die Täter richtet, jemanden also wie Stephan B., der vermutlich genau das bezweckte, als er gestern in Halle zwei Menschen tötete, und wohl aus Zufall nicht mehr Menschen umbrachte. Obwohl der Täter es verdient hätte, in seiner Zelle bis ans Ende der Zeit vergessen zu werden, müssen wir uns auch mit ihm befassen. Oder besser: mit dem, was ihn trieb.
Kurz bevor der Mörder sich gestern aufmachte, seine widerwärtigen Fantasien in die Tat umzusetzen, wandte er sich in einem Video an eine globale Blase von Neonazis, Rechtsextremisten und Antisemiten und sagte etwas, das so dumm und hasserfüllt wie bedeutend ist. Er leugnete in dem kurzen Video erst den Holocaust, dann sprach er vom Feminismus, der der Grund für niedrige Geburtenraten im Westen sei, was wiederum zu Massenimmigration führte. Und erklärte, dass "der Jude" der Grund für all das sei.
Zu wem genau sprach er da? Das Video zeigt, dass B., der zum Teil auf Englisch spricht, offenbar einerseits einer weltweiten, in Foren organisierten Community von Rechtsextremen imponieren wollte. Leuten, die sich in einem Kampf gegen den Islam und die Juden sehen und deren Helden rassistische Mörder wie Breivik und die Täter von Charlottesville und Christchurch sind. Beunruhigend genug.
Doch da ist noch mehr. B. versuchte in dem Video nicht nur, Neonazis zu gefallen. Es ist das direkte Nebeneinander seines Antisemitismus mit Thesen, die heute auch innerhalb der AfD-Anhängerschaft weit verbreitet sind. Thesen, die in abgeschwächter Form auch manche, die sich konservativ nennen, in Talkshows vortragen. Der Judenhass des Täters, in einen Zusammenhang gebracht mit den Narrativen von Genderwahn und Bevölkerungsaustausch: Doch, das geht.
Auch wenn jeder Rechte bei Verstand sich nun so weit möglich distanziert von dem Täter, so meinte dieser doch offenbar, auch im Sinne jener zu handeln, die daran glauben, dass Angela Merkel und die linken Eliten einen groß angelegten und perfiden Plan verfolgen, die deutsche Bevölkerung auszutauschen. Natürlich kann man als Rechtspopulist behaupten, man habe damit nichts zu tun. Aber der Mörder von Halle benutzt ihre Argumente, er benutzt ihre Worte und ihre Erzählungen.
Nun sind die Neuen Rechten nicht mehr die Neonazis von früher. Sie haben in Deutschland den Durchbruch geschafft, als sie sich konzeptionell vom Nationalsozialismus trennten. Isolierten sich Rechtsradikale früher durch ihre Hitlerei regelmäßig selbst, so lassen sie heute kaum eine Gelegenheit verstreichen, sich von NS und Antisemitismus zu distanzieren. Wenngleich sie hin und wieder mit Ein- oder Zweideutigkeiten dem faschistischen Teil ihrer Wählerinnen und Wähler zuzwinkern, versuchen sie mit wachsendem Erfolg, sich sogar als die wahren Verteidiger der Juden aufzuspielen. Die Figur, die es dafür brauchte, war der pathologisch antisemitische Muslim. Mit ihm ließ sich die Verächtlichmachung des Islam prächtig hinter dem "Nie wieder!" der Bundesrepublik verstecken. Wie stark diese Reinwaschung wirkt, kann man daran erkennen, dass die Behauptung, der wahre Antisemitismus sei inzwischen ein zugewanderter, auch in bürgerlichen Milieus wirkt.
Nein, man kann an diesem Tag nicht verschweigen, dass in Berlin erst vor fünf Tagen ein 23-jähriger Syrer mit einem Messer in der Hand auf die Wachmänner vor einer Synagoge zulief. Der Judenhass aber wirkt längst wieder in allen Teilen der Gesellschaft. Der Versuch, ihn zu ethnisieren und ihn damit weit weg von der weißen deutschen Bevölkerung zu halten, hilft niemandem außer der AfD selbst. Antisemitismus hat keine Hautfarbe und keine Religion, es gibt ihn unter Linken und unter Rechten, unter Arbeitslosen und unter Superreichen. Er ist die Geißel der menschlichen Zivilisation, seit Jahrtausenden.
Doch es hat schon seinen Grund, warum der Zentralrat der Juden immer wieder besonders vor der AfD warnt, vor einem neu aufkeimenden Rassismus, der sich insbesondere gegen Muslime, aber auch gegen Juden richtet. Es ist derselbe Grund, warum auch die sicher nicht linke israelische Regierung jeden Kontakt zu den deutschen Rechtspopulisten verweigert.
Ein Wesenszug des klassischen Antisemitismus liegt in der Bereitschaft, die Juden als eine kollektiv nach einem düsteren Plan handelnde Gruppe zu markieren. Sie als Fremdkörper zu betrachten, der innerhalb einer Gesellschaft seine eigenen Ziele verfolgt, der irgendwann unweigerlich den Niedergang seiner "Wirtsgesellschaft" auslöse. Ein anderer ist die Beschreibung von Juden als wurzellose, wohlhabende Kosmopoliten, denen die Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft fremd seien.
Beide antisemitischen Erzählfiguren kommen zusammen, wenn die AfD und ihre Anhänger von der demografischen Katastrophe sprechen, die der linke Feminismus ausgelöst habe und die nun handstreichartig durch arabische Massenzuwanderung gelöst werde, unterstützt von linken Bildungsbürgern, die nichts von den Normen und Werten des Normalbürgers wüssten. Nicht viel anderes sagte ja auch der Täter von Halle, bevor er den Juden daran die Schuld gab. So unelegant gehen heutige Rechtspopulisten natürlich nicht vor. Sie überlassen es meist den Zuhörerinnen und Zuhörern, ihre Schlüsse zu ziehen. Der Antisemitismus der AfD braucht keine Juden mehr. Er braucht nur noch die antisemitischen Stereotype.
In Halle hat der Judenhass gestern ein neues Fanal gesetzt. Doch es ist nicht nur diese Tat, es sind auch kleinere Zeichen, die einen sorgen müssen. Die wachsende Zahl von Leuten zum Beispiel, die meinen, Deutschland müsse einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit ziehen. Die von einem Drittel der Deutschen geteilte Behauptung, die Juden würden den Holocaust zu ihrem Vorteil nutzen. Die völlig unproportionale Anzahl von Deutschen, die behaupten, ihre Vorfahren seien im Widerstand gewesen. All das sind Zeichen dafür, dass viele Deutsche aufgehört haben, sich aktiv mit dem antisemitischen Erbe zu befassen, das in die Katastrophe des Völkermordes an den Juden führte. Wenn sie es je getan haben. Stattdessen wird ein lächerlicher Begriff wie "Aufarbeitungsweltmeister" zum Symbol dieser versteinernden Erinnerungskultur. Als sei die Bewältigung unserer Vergangenheit längst mit Bestnote abgeschlossen und jetzt etwas zum Angeben wie der Tiguan im Carport.
Was wird von diesem schrecklichen Tag bleiben, in einer Woche, in einem Monat? Im besten Fall könnte ein paar Leuten einfallen, dass der Kampf gegen Antisemitismus mehr ist, als eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben. Dass die AfD längst wieder dabei ist, mit antisemitischen Denkfiguren Zustimmung zu gewinnen, und zwar nicht nur unter Rechtsextremen. Sondern bis ganz weit in das, was man die Mitte nennt.
Der Antisemitismus steckt, wie auch der Rassismus, in vielen. Es geht nicht darum, das zu verschweigen, sondern sich zu fragen, wo sein Gift in uns selbst wirkt. Wo wir still verstehen, wenn vom Einfluss der "israelischen Lobby" die Rede ist. Wie oft wir ganz allgemein bereit sind, Menschengruppen kollektive, schädliche Interessen zu unterstellen, wenn es nur genügend andere Leute sagen.
Aber vielleicht läuft es auch schlecht, und bald wird wieder ein beliebtes Wort seine sedierende Wirkung entfalten. Es lautet: Einzeltäter. Soviel aber ist sicher: Stephan B. ist nicht allein.
Aus: "Anschlag in Halle: Er ist nicht allein" Ein Kommentar von Christian Bangel (10. Oktober 2019)
Quelle:
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/anschlag-halle-synagoge-antisemitsmus-rechtspopulismus/komplettansicht The_User #6
Vielen Dank für diesen differenzierten Kommentar! Vor allem für die Einleitung mit dem Hinweis, nach so einer Tat eben “leider“ auch einen Blick auf den Täter werfen zu müssen. Und auch die kritische Betrachtung des Begriffs “Einzeltäter“: wie wahr! ...
sperrstund #61
"wohl aus Zufall nicht mehr Menschen umbrachte"
Der glückliche "Zufall" hieß Gebäudesicherung, und die wird zum Glück bei fast allen europäischen Synagogen angewendet. Ich möchte gerne in einer Welt leben, wo Synagogen genauso offen wären wie die Kirchen der Christen.
Schwäbisch-Alemannisch #4
Was mich wundert ist, dass solche Täter nicht von Anfang an von der Presse und von den Politikern als das bezeichnet werden, was sie sind: Psychopathen.
Allein das, permanent auf alle Attentäter angewendet, dürfte dazu führen, dass dies Nachahmer abschreckt.
Die wollen schließlich als „Helden“ berühmt werden und nicht als psychisch kranker Psychopath.
marzipan_für_alle #4.2
Seh ich nicht so. Denn dann lehnen sich die ganzen geistigen Brandstifter (AfD und andere) zurück und waschen ihre Hände in Unschuld, weil der Mann ja "psychisch krank" war.
Die Rechtspopulisten und Rechtsextremen nähren nach solchen Taten eh schon das Narrativ vom "geistig verwirrten Vollpfosten/Idioten", der mit nix was zu tun hat und natürlich nur ein "verwirrter Einzeltäter" ist.
Chipio #4.4
Nun, Psychopathie ist eine klinische Diagnose. Weder Presse noch Politiker können diese Diagnose stellen. Zudem wäre das eine Rationalisierung der Tat, die möglicherweise Verantwortung von ihm nähme und auf die Krankheit schöbe.
Aus demselben Grund sollten auch die Täter des historischen Nationalsozialismus nicht pathologisiert werden. Die meisten von ihnen waren rational handelnde, klar denkende Menschen, denen das gesamte menschliche Gefühlsspektrum zugänglich war. Nur dass sie das nicht daran gehindert hat, andere Menschen zu ermorden und sich an der Ermordung zu beteiligen.
Die wollen schließlich als „Helden“ berühmt werden und nicht als psychisch kranker Psychopath.
Was "die" wollen, kann von Menschen mit einem intakten demokratischen Wertesystem kaum nachvollzogen werden. Als "Helden" werden sie in ihren Milieus ohnehin gefeiert; eine herabsetzende Berichterstattung in den "Mainstream-Medien" würde die Milieus wahrscheinlich eher noch stärker radikalisieren, wenn diese überhaupt noch ungefilterten Zugang dazu bekommen.
"Die" öffnen ja nicht ihren Browser und geben in die Browserzeile "zeit.de" ein. Die öffnen ihr Forum oder ihr soziales Netzwerk, lesen, wie sich einer über die Verblendung der Medien echauffiert, klicken auf einen Link zu einer rechten Nachrichtenseite, wo ein einschlägiger Autor irgendwelche Theorien zusammenspinnt, den "Mainstream-Medien" verfälschende Berichterstattung vorwirft und diese These dann mit Links zu eben jenen Medien "belegt".
Tordenskjold #4.5
Nein, wenn wir solche Attentäter als Psychopathen bezeichnen, dann entlasten wir die geistigen Brandstifter.
Wer Politiker per Kopfschuß regelrecht hinrichtet, wer gezielt Synagogen angreift, der wurde inspiriert, dem wurde ein Feindbild präsentiert.
Wer so einen Täter als Psychopathen bezeichnet, der entlässt jene aus der Verantwortung, die den Hass jahrelang öffentlich gepredigt haben.
Der Psychopath handelt aufgrund einer Psychose.
Der Attentäter hat ein politisches Motiv und für das tragen andere sehr wohl eine Mitverantwortung.
Diese Mitverantwortung gilt es nun zu benennen und die Höckes dürfen sich nicht damit rausreden, dass der Täter „nur“ psychisch krank sei. ...
Catweazel zwei #4.10
... Inwieweit sich radikalisierte Extremtäter (jeglicher Coleur!) Lediglich schon von einer abwertenden Titulierung in der medialen Berichterstattung abhalten lassen würden, möchte ich sehr bezweifeln!
Vielmehr scheinen mir derartige Personen in ihrem Hass und ihrer Verblendung, nahezu 100% immunisiert bzw. in eigenen Filterblasen unterwegs, als dass sie sich in ihrem Handeln durch Täterkategorisierungen in den (meist eh schon extrem verhassten) bürgerlichen Medien, wvon ihren terroristischen Vorhaben, abhalten ließen.
Anerkennung und meinetwegen "Heldenstatus" im eigenen Milieu scheinen mir trotz der von Ihnen vorgeschlagenen Benennung nicht wirklich gefährdet!
Vielmehr könnte eine derartige Titulierung eventuell sogar noch befeuernd wirken, es "Denen mal zu zeigen"!
Terror ist als Terror zu benennen!
Terror an sich ist keine psychische Krankheit!
Vielmehr entsteht er (meist) aus der Entwicklung einer extrem verengten und verblendeten Wahrnehmung/Weltsicht, die schlimmstenfalls dazu führt, auf dem Hintergrund der eigenen ideologischen Konstrukte, den Tod anderer (andersdenkender) Menschen eiskalt in Kauf zu nehmen bzw. anzustreben.
Till_Eulenspiegel #1.12
Fred Meier #1.6: Wir im Westen hatten diesen Judenhass überwunden.
Wir haben diesen Antisemitismus im Westen nicht überwunden. Er ist nur in die Wohnzimmer und Keller zurück gedrängt worden.
Jetzt kommt er da wieder raus. Man muss sich nur die Wahlergebnisse der AfD-Wahlergebnisse und die Vorkommnisse im Landtag von Baden-Württemberg anschauen, um festzustellen, dass dies kein importiertes Ost-Problem ist.
Meiner Erfahrung nach sind vor allem alleinstehende Männer, die vom Leben enttäuscht sind (Partnerschaft, Beruf), anfällig für solche Verschwörungstheorien. Man sieht sich in erster Linie als Opfer des Systems und sucht dann nach konkret Schuldigen, die man in "den Juden" und "den Eliten" gefunden zu haben glaubt.
ohdochnein #11
Guter Kommentar der mich aber in einem Punkt ratlos lässt. Mir ist schleierhaft wie der Zusammenhang 'niedrige Geburtenrate durch Feminismus'/ ' massenweise Zuwanderung aus arabischen Ländern gleich die 'Juden sind schuld' hergestellt wird. Ja, der Rechtsterrorist von Halle hat diese Kausalität hergestellt, aber selbst bei Spon wird dieser Zusammenhang als wirr bezeichnet. Wie erklären sich Rechtsextreme dies? Das ist doch völlig irre.
Hanayagi #11.2
Wirklich? Erwarten Sie von einem rechtsextremen Doppelmörder irgendwie kohärente Gedanken? Ihre Frage selbst ist komplett fehlgeleitet.
PG13 #11.4
Im Endeffekt ein klassisch rassistisches Motiv: es geht um die Dezimierung der weißen/europäischen Bevölkerung durch einerseits niedrige Geburtenrate und deren Ersetzung durch nichteuropäisch/weiße Einwanderer. Und hinter beidem stehen in NS-Tradition als Mastermind die Juden.
Büro für Handstreiche #11.5
Rechtsextreme Ideologien sind immer wirr und widerspruechlich, um nicht zu sagen idiotisch.
Googeln Sie mal nach Umberto Ecos Urfaschismus, da wird das ganze gedankliche Elend kurz und bündig seziert.
Ἀντιγόνη #11.6
Grob gesagt ist das ein sehr altes Motiv im Sinne von "die Juden sind an allem schuld, was falsch mit unserer Gesellschaft ist", Logik braucht es dafür keine, wenn nur entsprechende Verschwörungstheorien vorhanden sind. Wird halt alles, was einem nicht passt, in einen Topf geworfen und einem Sündenbock zugeschoben.
Feminismus, Genderwahn, Willkommenskultur sind alles politisch links konnotierte Themen, die aus Sicht dieses Psychopathen und seiner Umgebung - in neurechten Kreisen sind das sehr gängige Ansichten - eben alle entweder direkt " dem Juden" zu verdanken sind oder die wenigstens angeblich von "ihm" genutzt werden, um seinen "Wirt", in diesem Falle wohl Deutschland und allgemein die restliche Welt, parasitär zu untergraben.
Ja, das ist völlig irre, aber wenn man nur tief genug in diesem ganzen Weltbild steckt, dann macht eben vieles auf einmal ganz viel Sinn, das praktischerweise auch das eigene Versagen im Leben erklärt und die Schuld anderen zuschieben lässt.
Ich erwische mich selbst oft dabei, die Gefahr, die von diesen Leuten ausgeht, nicht ganz ernst nehmen zu können, weil diese Theorien einfach so skurril sind (vor einiger Zeit erst mit meinem Freund Witze drüber gemacht, wie dankbar ich ihm doch sein müsste, dass er als Jude für den Feminismus verantwortlich sei). Aber wir müssen in diesen Zeiten wohl einfach die Hirnlosigkeit einiger Menschen als Fakt annehmen und dementsprechend handeln lernen.
regilot #11.8
"Niedrige Geburtenrate durch Feminismus" erklären sich die rechten Spinner wohl dadurch, dass man als weißer Mann sich seine Frau nicht einfach mehr so "nehmen" darf. Eine Frau hat zu gehorchen - so in etwa. Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand... da hat vor noch nicht allzu langer Zeit sogar die CDU mit gehadert...
FestFesterLose #11.10
Es sei noch ergänzt, dass das idiotische Narrativ lautet, hinter allen angefeindeten Erscheinungen wie Klimawandelmahnung, Feminismus, Genderforschung, etc. steht grundsätzlich eine herbeifantasierte jüdische Weltverschwörung. Hinter den "Finanzeliten" sowieso, nur der Bolchewismus hat wohl mittlerweile ausgedient.
Insofern erschreckend wenig Weiterentwicklung des Topos seit den Nationalsozialisten. Nur der krude Versuch modernere gesellschaftliche Entwicklungen mit dieser Legende zu vereinen und neue Dinge in den Katalog der den Juden zugeschriebenen Dinge aufzunehmen.
Widerwärtig, aber in solchen geschlossenen Weltbildern bewegen sich die Rechten bishin zu AfD-Funktionären.
MistaChronos #11.12
Dahinter steckt der Grundgedanke, dass der Zionismus seine Hände in allen großen Vorgängen in der Welt im Spiel hat.
Quasi "Nichts passiert ohne dass es vom Zionismus (=den Juden) nicht genau so geplant ist".
Psychologisch steckt dahinter, einer Situation, der man sich hilflos ausgeliefert sieht, einen ursächlichen Feind (den man "bekämpfen" kann) zu geben.
ottonis #15
Es gab gestern auf Bild online einen (ausnahmsweise) sehr klugen Kommentar von deren Chefreporter Julian Reichelt mit der Kernaussage, dass unser Rechtsstaat und unsere Gesellschaft viel zu permissiv mit rechtsextremen und antisemitischen Tendenzen und Tätern umgehen und auf diese Weise Anschläge, wie den gestrigen in Halle, indirekt ermutigen.
Da hat er recht!
Der Attentäter hat vielleicht allein gehandelt, aber seine Gesinnung konnte auf einem Boden keimen und Reifen, der gegenüber Rassismus und Antisemitismus immer gleichgültig wird und in dem rechtsextreme "Blasen" recht gut gedeihen können.
Maurice Fiège #15.1
"Der Attentäter hat vielleicht allein gehandelt, aber seine Gesinnung konnte auf einem Boden keimen und Reifen, der gegenüber Rassismus und Antisemitismus immer gleichgültig wird und in dem rechtsextreme "Blasen" recht gut gedeihen können."
. . . ein Boden, den die Bild-Zeitung mit ihrer Art der "Berichterstattung" seit Jahrzehnten mit nährt. Hat er leider nicht erwähnt . . .
mirinord #15.3
Jedenfalls passt zur Berichterstattung der Bildzeitung, dass der Täter als "Alternative" zur Synagoge mal eben in einen Dönerladen gegangen ist und dort einen Menschen ermordet hat.
Du Kati #20
Dass das Gift des Nationalsozialismus, des Rassismus, der Holocaust-Leugnung wirkt, sollte wirklich jeder Redliche zugeben und begriffen haben. ...
J-J-Rousseau #24
Ja er ist sicherlich nicht allein. Der Hass ist weit verbreitet. Nicht nur gegen die jüdische Religionsgemeinschaft, auch gegen Türken, Frauen, Ausländer, Klassenfeinde, Banker, etc. etc. Der Hass ist überall der gleiche, nur das Objekt des Hasses ist jeweils verschieden. Man muss endlich aufhören, solche Taten und die ZUFÄLLIGEN Ideologien dahinter nur moralisch anzugehen, mit frommen Reden und (scheinheiligem) erhobenen Zeigefinger. Der Hass ist mitten unter uns. ...
St.Expeditus #56
Der Antisemitismus hat in Deutschland (und Europa) eine jahrhunderte alte Tradition und ist bis in die Mitte der Gesellschaft virulent.
Auch nach der Niederlage Nazideutschlands war dieser Antisemitismus nicht tot, er waberte weiter unter der Oberfläche - im Westen wie im Osten. Mit Pegida, der AfD und „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ kam nicht nur die Fremdenfeindlichkeit an die Oberfläche, sondern auch der Antisemitismus.
Daher sollten wir uns ehrlich machen, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind keine Randerscheinungen in unserer Gesellschaft, sie reichen weit bis in die Mitte!
Alles_Für_Alle_Und_Zwar_Umsonst #24.3
"Der Hass ist überall der gleiche, nur das Objekt des Hasses ist jeweils verschieden."
Das ist leider nicht wirklich richtig. Es ist nicht nur "Hass".
Der Antisemitismus ist eine ziemlich perfide Ideologie für sich, die Kapitalismuskritische Elemente, einen eher untypischen rassismus (anstatt abwertung der Gruppe findet praktisch eine Aufwertung zu den Beherrschern der Welt statt) sowie einige andere nicht unbedingt rassismustypische Elmente miteinander vermengt.
Der Kapitalismuskritische Teil ist übrigens sehr wichtig. Er erklärt nämlich, warum es besonders nach Wirtschafts/Finanz/Bankenkrisen zu einem Anstieg im Antisemitischen denken und entsprechenden Verbrechen kommt.(der massive Anstieg von Antisemitismus begann 2008 in der Finanzkrise).
Aber sie haben Recht, wir müssen uns dringend mit unserer Gesellschaftsform auseinandersetzen. Leider findet sich da im moment nur sehr wenig Hoffnung spendendes. Viel mehr hat man den Eindruck, dass die verschiedensten Extremisten gerade unter sich ausfechten, welche form von Diktatur uns das nächste Zeitalter bescheren soll.
Leider würde eine solche Innenschau Selbstkritik auf allen Ebenen erfordern. Und die ist noch spärlicher zu finden als das eintreten für Demokratie.
regilot #73
Die Mitverantwortlichen zu entlarven (AfD) ist das eine.
Das andere ist doch auch, dass in Sachsen fast ein Drittel und in Brandenburg ein Viertel der Bevölkerung diese Partei wählt.
Und in Brandenburg haben sie sogar einen echten Nazi (Kalbitz) gewählt.
Da fragt man sich doch, was in den Köpfen der Leute vor ich geht!?
Soll es am Ende wieder heißen "sie wurden verführt"? Verführt von was?