• Welcome to LINK ACCUMULATOR. Please log in.

[Forschender Blick nach rechts... ]

Started by Link, February 28, 2019, 10:02:08 AM

Link

Quote[...] Klaus Ottomeyer, Sozialpsychologe und Psychotherapeut, war bis 2013 ordentlicher Professor an der Universität Klagenfurt.

Heinz-Christian Strache will also den Kampf gegen den "Bevölkerungsaustausch" weiterführen. Es handle sich schließlich um einen "realen Begriff", so der Vizekanzler. Darf man sich nun langsam an den Begriff gewöhnen, nachdem der Massenmord in Christchurch schon bald zwei Monate vorbei ist? Das Programm gegen den Austausch und für die Reinhaltung des eigenen Volkes ist nicht praktikabel und muss zu Ende gedacht in Gewalt enden: in Attentaten, am Stacheldraht von Zäunen, in der Deportation, in kontrollierter Ghettobildung oder in Heiratsverboten. Aber warum ist dieses Programm für die rechten Bewegungen so unverzichtbar und für viele Anhänger und Sympathisanten bis in die politische Mitte hinein so attraktiv? Den Demagogen gelingt es offenbar, sehr tiefsitzende Ängste der Menschen vor dem Ausgetauschtwerden anzusprechen, sie zu bündeln und die damit verbundene Wutreaktion auf Sündenböcke in Gestalt von Einwanderern und Flüchtlingen umzulenken. Es gibt hier mehrere Angstquellen.

Es liegt auf der Hand, dass der Kapitalismus, besonders in seiner neoliberalen Ausprägung, bei allen arbeitenden Menschen und Bewerbern eine große Angst vor dem Ausgetauschwerden produziert. Es ist interessant, dass Renaud Camus, der französische Philosoph, der mit seinem Buch über den "Großen Austausch" den Begriff erfunden hat, den Einfluss des globalisierten Marktes durchaus erwähnt, um dann aber doch der Verschwörungstheorie Tür und Tor zu öffnen. Das wichtigste Subjekt, welches Menschen austauscht, ist das deregulierte Kapital, welches man schwerlich aus dem Land jagen kann. Vor allem dann, wenn es keine starken Arbeitnehmervertretungen mehr gibt, verlieren Arbeiter und Angestellte immer wieder ihre Arbeit, wenn sie zu alt, zu schwach, zu langsam, zu wenig lernfähig oder zu unangepasst sind, um dann durch preisgünstigere, frischere, angepasste Individuen ersetzt zu werden. Dabei ist es den meisten kapitalistischen Unternehmern ziemlich egal, welcher Hautfarbe oder Herkunft die neuen Mitarbeiter sind. Es regiert vor allem der Rechenstift.

Seit etwa 20 Jahren haben wir bei uns das Programm der Marke Ich, welches bedeutet, dass sich der Einzelne als unverwechselbares, einzigartiges, von sich selbst begeistertes Wesen stilisieren soll, damit er in der Konkurrenz der vielen Bewerber nicht als austauschbar erscheint: Die Angst führt zum Leben als Dauercasting. In den USA ist ein Mann Präsident, der schon früher in seiner TV-Casting-Show auf die von Schadenfreude begleitete Entlassung arbeitssuchender Kandidaten spezialisiert war. "You're fired" ist die Formel. Vor allem die Digitalisierung vergrößert heute überall die Angst, ausgetauscht zu werden. Wer Angst hat, früher oder später ausgetauscht und in ein Nichts hinein abgeschoben zu werden, den kann man leicht dazu einladen, beim Abschieben von Gruppen mitzuwirken, welche angeblich ins Land kommen, um unsere Arbeitsplätze zu übernehmen und Sozialleistungen zu kassieren.

Es gibt aber auch einen biografischen und familialen Komplex, der bei der Austauschangst mitwirkt. Die Flüchtlinge werden als verwöhnte, anspruchsvolle Personen hingestellt, die uns sehr viel wegnehmen: nicht nur materielle Versorgung und unsere "Identität", sondern vor allem auch die Aufmerksamkeit, die eigentlich uns zusteht. Im Jahr 2015 hatten sie nach einer heute verbreiteten Auffassung eindeutig zu viel davon. Kann man auf eine Gruppe von Menschen, von denen viele schwere Verluste und Traumata erlitten haben, neidisch sein und sie sich wegwünschen? – Ja! Menschen sind so. Manche Kinder, die zum Beispiel ein schwerkrankes Geschwister haben, sprechen es noch aus: Mama, ich möchte auch einmal Krebs haben, dann kümmern sich alle um mich. Oder denken Sie an Natascha Kampusch, die nach anfänglicher Publikumsneugier Objekt von unsäglichen Neid- und Hassattacken wurde, weil sie so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. Rechte Politiker schüren den Neid auf Flüchtlinge wie auf nach uns gekommene kleinere Kinder, die noch nicht richtig sprechen können, noch nichts geleistet haben, aber von Vater Staat und Mutter Gesellschaft mit Nahrung, Geschenken und Aufmerksamkeit versorgt werden. Sie sollen endlich verschwinden und uns Platz machen.

Nur so ist die unsägliche Wut zu erklären, die "Mama Merkel" traf, als sie sich auf Selfies mit Kriegsflüchtlingen fotografieren ließ. Der FPÖ-Politiker Udo Landbauer versuchte im Landtagswahlkampf damit zu punkten, dass er seine Konkurrentin auf einem Plakat als "Moslemmama Mikl-Leitner" bezeichnete. Und noch ein Punkt zur Austauschangst: Eine der schlimmsten Vorstellungen ist für uns alle, dass wir als Sexualpartner wegen bestimmter Mängel oder weil wir ganz einfach langweilig sind, vom Partner ausgetauscht werden könnten. Früher traf das vor allem Frauen, heute gilt das immer mehr auch für Männer. Immerhin jede zweite Ehe ist davon betroffen. Was ist, wenn die Frauen und Männer aus der Gruppe der Fremden mit der etwas anderen Farbe und Erscheinung für viele Menschen körperlich attraktiver sind als die ihnen bekannten Mitglieder der In-Group? Die Natur scheint es so eingerichtet zu haben, dass dies sehr häufig der Fall ist. Die Gegner des Austauschs und der Vermischung verlieren an dieser Front ihren Kampf täglich, nicht nur im Falle von Meghan Markle und Prinz Harry. Das erklärt einen Teil der Wut in ihrem Abwehrkampf. Und dann nähert sich noch der große Sensenmann, der uns alle zugunsten einer nachkommenden Bevölkerung abservieren wird. (Klaus Ottomeyer, 8.5.2019)



Aus: "Die große Austauschangst: Kommentar der anderen" Klaus Ottomeyer (8. Mai 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000102690310/Die-grosse-Austauschangst

Quote
Freigeist78

... Nein, es sind keine "diffusen Ängste", die tiefenpsychologisch wegargumentiert werden können. Es sind ganz konkrete Probleme und reale messbare Fakten, die negativ zu bewerten sind. Die Kosten, die durch die Migrationswellen verursacht werden sind real und messbar und es ist eine völlig legitime Position zu sagen, dass man diese Kosten politisch ablehnt und lieber in effektiven Grenzschutz steckt. Dass wir zweite und dritten Generationen haben, aus denen sich viele einer faschistoiden Ideologie verbunden fühlen und dutzende sogar in Kriegsgebiete reisen und bereit sind dafür zu töten ist real.


Quote
it's my life

Angst fressen Seele auf ... noch nie so gültig, wie heute.


Quote
Hieronymus Carl Friedrich

,,Wer halb Kalkutta aufnimmt, rettet nicht Kalkutta, sondern der wird selbst Kalkutta."


Quote
Ottobrini

Das Leugnen bzw. Kleinreden und Verharmlosen des dramatischen demographischen Wandels (vulgo "Bevölkerungsaustausch") und dessen negativen Auswirkungen auf das Leben unserer Nachkommen ist ein Abwehrmechanismus von Leuten, die befürchten, als Sexualpartner ausgetauscht zu werden, aber nicht über genügend Ichstärke verfügen, sich der Gefahr entgegenzustellen und die sich deshalb in Realitätsleugnung flüchten.


Quote
germane1

Angst? Nein. Problem? Ja.
Gegen den Zuzug von bildungsfernen Ausländern zu sein, ist eine vollkommen zulässige Einstelllung. Das hat nichts mit Angst zu tun. Ungefragt und ungesteuert hat Wien einen Zuzug von mehrheitlich islamischen Migranten erlebt, der die lokalen Lebensumstände vieler Menschen negativ verändert hat. Man fühlt sich fremd im eigenen Bezirk, wenn die Mehrheit einen andere Sprache spricht und eine andere Kultur hat.

Kein Wunder, dass die FPÖ und Kurz solchen Zulauf haben, denn die versprechen wenigstens, etwas dagegen zu tun.


Quote
immanuel42

Der Herr Professor sollte sich über die weltweiten demografischen Prognosen informieren. Zum Beispiel Afrika:
1930 150 Mio Einwohner
1960 300 Mio
1989 600 Mio
2010 1 000 Mio
2050 2 000 Mio
Davon sind 30% auswanderungswillig. Damit verdoppelt sich die Bevölkerung Europas in 40 Jahren um 500 bis 600 Mio Afrikaner mit allen Konsequenzen auf den Arbeitsmärkten, das Sozialsystem usw. Die Austauschangst ist nur eine Fiktion???


Quote
die gute Ente von Sezuan

Hauptsache, das Hauptproblem wird nicht benannt - die Einwanderung einer faschistoiden, menschenrechtsfeindlchen Ideologie.


Quote
goldene Zeiten

Früher wurde die Zuwanderung schlicht geleugnet. Heute will man uns einreden, dass es irrational ist, sich darüber aufzuregen, oder dass wir eine Phobie haben. Auf alle Fälle soll der Bevölkerung vermittelt werden, dass es nicht legitim ist, die Zuwanderung auch nur ansatzweise negativ zu bewerten. Erfreulich aber, dass das immer mehr durchschauen.


Quote
Ökonomierat August Anzpichler

Im ersten Absatz schon "Christchurch" angebracht, so ein flachwurzeliges Pamphlet lese ich erst gar nicht.


Quote
Franz Wolf

Es gibt nur ein Volk


Quote
Auslandsoberösterreicher

Er hat Volk gesagt, ned Spezies.


Quote
Gregg Popovich

Der Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf

Rassismus und Fremdenhass sind, wie großteils in der Geschichte, die Triebabfuhr für zu Kurz gekommene, weil sie sich gegen ihre wahren Peiniger - die Unternehmen, die sie nach Belieben austauschen können - nicht wehren können oder glauben, sich nicht wehren zu können. Diese Menschen wünschen sich jemanden, denen es noch schlechter geht als ihnen.

Oder auf gut Österreichisch: Nach oben buckeln, nach unten treten.


Quote
Ausgeflippter Lodenfreak

Die Konzentration auf den Begriff Angst führt in die Irre. Warum wird bei Zuwanderung immer so getan, als wäre "Angst" die einzige Emotion, die alle empfinden können, die für eine restriktive Zuwanderung sind? Die Menschen empfinden ganz konkret z.B. Fremdheit und der Satz "Ich fühle mich mittlerweile in meiner/m eigenen Stadt/Gemeinde/Bezirk/Bau als Fremder" ist kein Ausdruck von Angst. Auch fühlen sich die Menschen alleingelassen und ohnmächtig, wenn ihr konkretes Lebensumfeld geändert wird und sie dabei nicht mitreden dürfen. Die Menschen spüren den Verlust von Dingen die ihnen wichtig sind. Ungesteuerte und unselektive Zuwanderung hat auf ganz viele Menschen negative Auswirkungen, deshalb sind sie dagegen, nicht nur aus Angst.


Quote
M^2

Was Sie beschreiben ist Angst. ...


...



Link

Quote[...] Wer vom »Volk« redet, darf dessen Abgründe nicht verschweigen. Stets wird darum gekämpft, wer dazugehören darf und wer ausgeschlossen werden soll. Nicht nur Sprache und Geschichte, auch Abstammung und ethnische Zuschreibungen bestimmen über Inklusion und Exklusion. Im Nationalsozialismus nahm das Volk seine antisemitische und rassistische Gestalt an, Gewalt und Selbstermächtigung bildeten die zentralen Elemente. Der Begriff der Volksgemeinschaft ist daher ein Schlüsselbegriff für eine politische Theorie und Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, deren Bausteine Michael Wildt in diesem Buch zusammenfügt.

Zu: Michael Wildt: Die Ambivalenz des Volkes - Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte

Gepl. Erscheinen: 12.08.2019
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2280, Taschenbuch, 350 Seiten
ISBN: 978-3-518-29880-0



Aus: "Die Ambivalenz des Volkes - Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte" (2019)
Quelle: https://www.suhrkamp.de/buecher/die_ambivalenz_des_volkes-michael_wildt_29880.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Ambivalenz

Link

#22
... Er war ab 2008 Oppositionsführer im Parlament, ehe er im Dezember 2017 Vizekanzler und am 8. Jänner 2018 Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport der Bundesregierung Kurz wurde.  ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz-Christian_Strache

Quote[ Strache bedient klassische Themen des Rechtspopulismus. Er betont Patriotismus (,,Österreich zuerst"), positioniert sich gegen die EU und warnt vor ,,Überfremdung" und ,,Islamisierung". ... Nach Anton Maegerle (2009) sei Strache ,,seit Jahrzehnten tief im extrem rechten Milieu verankert". Unter seiner Parteiobmannschaft drifte die FPÖ ,,extrem nach rechts". ...] ... Am 17. Mai 2019 veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung und das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel gemeinsame Recherchen zu einem ihnen zugespielten, heimlich aufgenommenen Video, das Heinz-Christian Strache gemeinsam mit Johann Gudenus im Juli 2017 in einer Villa auf der spanischen Insel Ibiza zeigt. Sie trafen sich mit mehreren Personen unbekannter Identität, von denen eine vorgab, eine Nichte eines russischen Oligarchen zu sein. Bei dem Gespräch ging es unter anderem um verdeckte Wahlkampfunterstützung für die FPÖ, die Übernahme der österreichischen Kronen Zeitung und darauf folgend deren Einsatz zur Unterstützung der FPÖ im Wahlkampf zur Nationalratswahl in Österreich 2017, eine Umgestaltung des österreichischen Mediensystems nach dem Vorbild des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, eine möglicherweise illegale Form der Parteifinanzierung unter Umgehung der Meldungspflicht beim Rechnungshof sowie allfällige Gegengeschäfte in Form von staatlichen Aufträgen für die Russin im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung nach der Nationalratswahl.[141][142]
... Strache und Gudenus bestätigten den beiden recherchierenden deutschen Medien gegenüber zwar, dass es im Juli 2017 zu dem Treffen auf Ibiza gekommen sei, bezeichneten es aber als eines in ,,feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre" und betonten, sie hätten mehrfach während der Unterhaltung ,,auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung" hingewiesen.[141][142]  ...  Strache gab am 18. Mai 2019 seinen Rücktritt als Vizekanzler und FPÖ-Parteiobmann bekannt. Er bezeichnete das Treffen, bei dem er unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden habe, als Fehler. Er entschuldigte sich dabei bei seiner Frau und beim Bundeskanzler. Gleichzeitig sprach er von einer Schmutzkampagne, nannte das Video ein ,,gezieltes politisches Attentat" und kündigte strafrechtliche Ermittlungen an.[3] ... Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigte daraufhin noch am selben Tag eine Beendigung der Regierungskoalition und Neuwahlen an.[145]  ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz-Christian_Strache#Ibiza-Aff%C3%A4re (Stand: 18. Mai 2019)

Quote[...] Strache und Gudenus offenbaren bei dem Treffen [ ] ein womöglich illegales System der Parteifinanzierung. "Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen", sagt Strache in dem Video. Das Geld fließe demnach aber nicht an die FPÖ, sondern an einen Verein. "Der Verein ist gemeinnützig, der hat auch nichts mit der Partei zu tun. Dadurch hast du keine Meldungen an den Rechnungshof."

Strache und Gudenus nennen laut "Spiegel" auf dem Video mehrere Namen angeblicher Großspender, die bereits bezahlt oder zumindest eine Zusage gegeben hätten. Diese dementierten auf Anfrage von SZ und Spiegel, direkt oder indirekt an die FPÖ gespendet zu haben.

... Auf Anfrage von SZ und Spiegel räumten die FPÖ-Politiker das Treffen in der Villa ein, bezeichneten es allerdings als "rein privates" in "lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre". ,,Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen." Das gelte auch für ,,allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten". ,,Im Übrigen", teilte Strache zunächst schriftlich mit,, ,,gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere".

... In dem Video beschimpft Strache auch Journalisten. Er wird mit den Worten zitiert: "Journalisten sind sowieso die größten Huren auf dem Planeten." Strache schlägt vor, kritische "Krone"-Journalisten zu entfernen und durch von ihm bevorzugte Journalisten zu ersetzen. Gudenus wird mit den folgenden Worten zitiert: "Die Kronen Zeitung wär für uns alle gut, für sie geschäftlich, für uns politisch." Zudem soll Strache in dem Video geäußert haben, er wünsche sich eine "Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán". Victor Orbán ist seit 2010 Ministerpräsident in Ungarn und beschränkt seither massiv die Pressefreiheit. ...


Aus: "Was die Aufnahmen über den FPÖ-Politiker aussagen" Madlen Haarbach (18.05.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/ist-strache-kaeuflich-was-die-aufnahmen-ueber-den-fpoe-politiker-aussagen/24356454.html

QuoteBernfried 10:37 Uhr
... Die Umstände unter denen diese Aufnahmen jetzt nach fast zwei Jahren "geleakt" wurden, sind zwar ziemlich dubios. Aber all das tritt gegenüber einem Ausmaß an Dummheit, Vulgarität und illegalenGedankenspielen zurück, die eine x-beliebige Bananenrepublik im Vergleich dazu wie eine Musterdemokratie aussehen lassen:

Da haben wir unter anderem:

- Parteispenden am Fiskus über Scheinfirmen vorbei schleusen.
- Medienmanipulation und Kaltstellen missliebiger Journalisten
- Orbán als offen genanntes Vorbild für eine Semidiktatur
- Vergabe öffentlicher Aufträge an Spender an an Spender und/oder
Parteifreunde
- Korruption, d.h. künstliche Aufblähung dieser erblichen Aufträge,
damit es sich auch richtig lohnt.
- Verkauf des österreichischen Trinkwassers an Oligarchen
- Vulgärste Diffamierungen politischer Gegner

All das erläutern dieser Herrschaften angeheitert und in größter Selbstverständlichkeit und all das würde ich den Granden unseres
lieben Rechtspopulistenvereins ebenso zutrauen: Mit den Parteispenden haben wir ja schon die erste Parallele. ...


Quoteberlin.er 09:27 Uhr
Wenn ich den Zeitpunkt berücksichtige, wann das Video öffentlich wurde, und der Böhmermann evtl. darüber schon länger Bescheid wusste, dann könnte ich mir vorstellen, dass man vor der Europawahl darauf aufmerksam machen wollte, wie volksverbunden populistische Volksparteien sind. Das dürfte dann jedenfalls gelungen sein, europaweit.


Quotemogberlin 09:11 Uhr
Besonders amüsant an der ganzen Angelegenheit ist mal wieder die totale Schweigsamkeit des rechten Spektrums, die immer zu beobachten ist, wenn etwas vorkommt, bei dem erst einmal eine Sprachregelung bzw. ein Narrativ ge-/erfunden werden muss. Da sitzen dann die Kubitscheks (o. a.) im stillen Kämmerlein und grübeln, welchen Opfermythos sie sich einfallen lassen können und bis das Ergebnis präsentiert ist, herrscht Stille ...


QuoteDaW 17.05.2019, 21:38 Uhr

Tja: "Unser Geld für uns're Leut!"

Man muss verdammt naiv sein, um nicht zu sehen, was die FPÖ damit meinte...


QuotePat7 11:04 Uhr
Antwort auf den Beitrag von ford_perfect 17.05.2019, 19:36 Uhr

    Und für Kanzler Kurz gilt: "Wer sich mit Schweinen in die Suhle legt, darf sich nicht wundern wenn er nach Jauche stinkt".

Das ist noch besser  als "Wer sich mit Hunden schlafen legt, wacht mit Flöhen  wieder auf".....


...


Daniel Drepper
‏Verifizierter Account @danieldrepper
Journalisten dürfen Geschäftsgeheimnisse verletzen und illegal entwendetes Material veröffentlichen, wenn das öffentliche Interesse groß genug ist. Schön, dass das OLG Köln diese Selbstverständlichkeit nochmal klargestellt hat. Danke dafür, @correctiv_org.
https://twitter.com/danieldrepper/status/1129636653851709440

Mathieu von Rohr
‏Verifizierter Account @mathieuvonrohr 18. Mai
Sittengemälde
https://twitter.com/mathieuvonrohr/status/1129657016115519488

Stephan Kleber @stphnklbr 18. Mai
Antwort an @mathieuvonrohr
Die konservative Revolution

Markus Grill @m_grill
Bundeskanzler Kurz: Die Art, wie es zum #Strachevideo kam, ist verachtenswert.
Bundespräsident Van der Bellen: Die Journalisten sind ihrer Verantwortung und ihrer Kontrollfunktion vollkommen gerecht geworden. #Oesterreich
https://twitter.com/m_grill/status/1129821526386257922


"Österreich: Meuthen hält zu FPÖ, breite Kritik anderer Parteien" (18. Mai 2019)
Meuthen sagte, die FPÖ sei ein enger Partner, und er werde der Partei nun nicht aufgrund einer singulären Angelegenheit in den Rücken fallen. Zugleich betonte Meuthen, der Rücktritt von Vizekanzler Strache sei in dieser Situation vermutlich angezeigt gewesen.
https://www.deutschlandfunk.de/oesterreich-meuthen-haelt-zu-fpoe-breite-kritik-anderer.1939.de.html?drn:news_id=1008440

Link

Quote[...] Stephan Löwenstein - Politischer Korrespondent für Österreich und angrenzende Länder mit Sitz in Wien.


Was Heinz-Christian Strache, bis Samstag Vizekanzler Österreichs und Parteichef der rechten Partei FPÖ, von sich gegeben hat in einer Finca auf Ibiza, nicht ahnend, dass er gefilmt wurde, das richtet sich selbst. Man vermag kaum zu sagen, was schwerer wiegt: Die Bereitschaft zur Korruption, die da zutage tritt, die undemokratische Auffassung von Pressefreiheit, der Größenwahn? Oder die Torheit, mit der er zusammen mit seinem politischen Ziehsohn Johann Gudenus in die Falle getappt ist? Jeder einzelne dieser Punkte disqualifiziert ihn für jedes öffentliche Amt.

Das gilt unabhängig davon, wer ihm die Falle gestellt hat. Sicherlich ist das eine interessante Frage – je länger sie unbeantwortet bleibt, desto dringender wird sie erscheinen und Stoff für allerlei Theorien bieten. In der Tat ist das ein Teil der Geschichte: wer hinter dem Video steckt, mit welcher Absicht es gedreht wurde und warum es so lange zurückgehalten und gerade jetzt lanciert wurde. Die deutschen Journalisten, die nun die Sache ans Licht brachten, werden ihre Quellen schützen. Das ist eine notwendige und legitime Bedingung für Journalismus. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn hier kein Raum für Erklärungsmuster bliebe, die jene gebrauchen, denen an unabhängiger und kritischer Presse gerade nicht gelegen ist.

Aber das darf nicht vom Kern der Sache ablenken. Niemand hat Strache Worte in den Mund gelegt. Die Planspiele, Medien handstreichartig zu seinen Parteimedien machen zu lassen, Parteispenden am Rechnungshof vorbeizuschleusen, als Belohnung dafür Staatsaufträge zu vergeben, das kam alles von ihm selbst – und wurde fröhlich ,,bamm, bamm, bamm" von seinem Adlatus repetiert. Wie der Schelm denkt, so spricht er, besagt ein Sprichwort. Es trifft auf Strache auch dann zu, wenn man ihm glauben möchte, dass das eine ,,b'soffene Gschichte" gewesen sei. Die Konsequenz, die beide, Strache und Gudenus, am Samstagmittag gezogen haben, war zwingend: von all ihren Ämtern zurückzutreten.

Nicht ungeschickt haben die Macher des Videos mit ihrer Inszenierung daran angeknüpft, dass die FPÖ eine stabile Russland-Connection hat. Diese Beziehung war einerseits der Schlüssel zum Vertrauen von Gudenus und dann Strache. Andererseits ruft das Video diese weitere Schwachstelle in der Vertrauenswürdigkeit der FPÖ eindrücklich in Erinnerung.

Strache ist keine isolierte Figur. Die FPÖ ist nach ihrer Spaltung vor 17 Jahren auf einem Parteitag im steirischen Knittelfeld um ihn herum aufgebaut worden. Er verkörpert in vielem die Partei – auch deren Hinwendung oder besser Rückwendung zu deutschnationalen Burschenschaften, von denen Jörg Haider, der vielgeschmähte Populist, damals die FPÖ allmählich emanzipiert hatte.

Strache hatte sich als Jugendlicher und junger Erwachsener selbst in einem Umfeld von Rechtsextremen, ja, Neonazis getummelt. Der berüchtigte Gottfried Küssel, der gerade eine siebenjährige Haftstrafe wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung – in Österreich eine eigene Straftat – abgesessen hat, soll dieser Tage in einer Neonazi-Postille daran erinnert haben, dass er über ,,einige lustige Auftritte" Straches erzählen könne, aber derzeit noch nicht wolle; vielleicht könne man das Material ja noch einmal brauchen. Schon dass ein Vizekanzler durch einen notorischen Neonazi erpressbar sein könnte, war Anlass für Rücktrittsforderungen.

Strache hat deutlich den Eindruck vermittelt, sich davon gelöst zu haben, und er hat mehrfach klare Worte der Distanzierung von Antisemiten und zuletzt auch von der ,,identitären" Bewegung gefunden. Gerade das ist es ja, was ihm den Hass dieser Rechtsextremisten zugezogen hat. Kurzum: Strache stand für das Problematische bei der FPÖ, aber er stand auch für ein Bemühen um Regierungsfähigkeit in einer Demokratie. Dieses Streben hat der rechten Partei den Weg in die Koalition mit der ÖVP frei gemacht.

Wie schwierig das gleichwohl ist, zeigten die immer wieder aufquellenden Blasen aus dem sumpfigen rechten Rand der FPÖ. Ein ums andere Mal musste die Parteispitze sich von Teilen der Basis distanzieren. Und tat es auch. Das kann man durchaus als einen Erfolg der Mitte-rechts-Koalition von Sebastian Kurz ansehen: dass die Regierungsbeteiligung eine Partei, die immerhin ein Viertel der Wähler repräsentiert, aus der Ecke holte und zu Bekenntnissen zu dem zwang, was in einer Demokratie unumstößlich ist.

Doch ist die Koalition insgesamt durch die Ibiza-Krise diskreditiert. Kurz versuchte offensichtlich noch, seine Koalition zu retten, indem er der FPÖ abverlangte, zusätzlich zum König auch die Dame zu opfern, ihren schlagkräftigsten Politiker und Chefstrategen Herbert Kickl. Dazu war die Partei dann doch nicht bereit. Für Kurz ist das eine Niederlage, selbst wenn er aus der vorzeitigen Wahl gestärkt hervorgehen sollte. Er hat nun eine Option weniger.


Aus: "Video-Affäre um Strache : Österreichische Abgründe"  Ein Kommentar von Stephan Löwenstein (18.05.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/video-affaere-um-strache-oesterreichische-abgruende-16194636.html

Link

Quote[...] Die Alternative für Deutschland (AfD) steht der europäischen Idee skeptisch bis ablehnend gegenüber. In einer Talkshow erklärte der AfD-Politiker Guido Reil (Platz 2 der Wahlliste), dass das EU-Parlament so überflüssig sei wie ein Pickel am Allerwertesten. Andererseits freute sich AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen, dass mit der EU-Wahl ein neues Kraftzentrum im EU-Parlament entstehen werde: Der als "Salvini-Liste" gehandelte Zusammenschluss der europäischen Rechtsaußen dürfte nach den Prognosen auf ca. 20 Prozent kommen. Das wären um die 170 Sitze im EU-Parlament für die geplante "Europäische Allianz der Völker und Nationen" und könnte reichen, um die zweitstärkste Fraktion zu bilden.

Entsprechend der nationalen Ausrichtung der Partei beginnt das 86 Seiten starke Europawahlprogramm der AfD mit einer Absage an die europäische Idee. Zwar könne es angehen, wenn benachbarte Staaten kooperierten. Der Versuch, 28 Staaten unter einem europäischen Dach zusammenzubringen, sei jedoch zum Scheitern verurteilt. Weder gebe es ein Staatsvolk noch das Mindestmaß an "kultureller Identität", das solch ein Gebilde tragen könne. Besonders deutlich sei dies in der Abwehr der Migration geworden.

Die AfD spricht sich daher im Programm gegen jede Form europäischer Zentralisierungen aus. Besonders deutlich wird dies im Finanzteil mit der Ablehnung des Euros. Als Alternative zum EU-Parlament möchte die Partei künftig alle europäischen Grundfragen durch nationale Volksabstimmungen klären lassen.

Die Digitalisierung dürfe nicht zur Überbürokratisierung und zentralistischen Steuerung führen. Mehrfach nennt das Wahlprogramm der AfD die DSGVO als abschreckendes Beispiel einer gesamteuropäischen Regulierung und fordert die komplette Abschaffung der Regelung und die Rückkehr zu einem nationalen Datenschutz. "Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht exemplarisch für die völlige Fehlentwicklung von Regularien."

Auf europäischer Ebene soll die Digitalisierung aber gemeinsam von allen Ländern in neuen Forschungsfeldern genutzt werden, um technisch führende vertrauenswürdige europäische Hard- und Softwarelösungen zu entwickeln. Europa dürfe hier nicht vom Ausland abhängig sein. "Ziel muss die Entwicklung von neuen, wettbewerbsfähigen und vertrauenswürdigen Hard- und Softwarelösungen auf Basis offener Quelltexte und Spezifikationen mit dem Anspruch weltweiter Technologieführerschaft sein." Netzpolitische Forderungen sind im Europaprogramm der AFD nicht enthalten.

Zum Schutz vor einreisender Kriminalität und des Anstiegs der Straftaten von Zuwanderern fordert die AfD eine Änderung des Schengener Abkommens, damit die Nationalstaaten wieder über ihre Sicherheit an den eigenen Grenzen entscheiden können, "wie dies von Ungarn beispielhaft vorgelebt wird". Die europäische Grenzagentur Frontex soll verpflichtet werden, aufgegriffene Bootsflüchtlinge nur in die jeweiligen Ausgangshäfen zurückzuführen und nicht etwa nach Europa zu bringen.

Eine Abschaffung des Bargelds wird strikt abgelehnt, weil so die Vollüberwachung aller Bürger durch Banken und die EU möglich wäre. Weitere Aussagen etwa zur staatlichen Überwachung stehen nicht im Wahlprogramm, allerdings gibt es einen Passus, der den Bürger schützen soll und als Beitrag zur IT-Sicherheit verstanden werden kann: "Die Nutzung von IT und Internet kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn digitale Netze und Angebote vertrauenswürdig sind und die Privatsphäre der Benutzer gewahrt ist. Wir unterstützen Maßnahmen zur Stärkung der informationellen Selbstbestimmung und den Einsatz leistungsfähiger Verschlüsselungstechniken (Kryptographie)."

Weiterhin soll die IT-Sicherheit durch einen Rechtsanspruch auf Sicherheitsupdates sowie durch eine längere gesetzliche Gewährleistungspflicht für "langlebige internetfähige Geräte" verbessert werden. Verbraucher und kleine und mittelständische Unternehmen sollen besser in Fragen der IT-Sicherheit informiert werden.

Die DSGVO habe zu einer "Entdigitalisierung" geführt, heißt es im Europaprogramm, das diese Form des Datenschutzes abschaffen und grundlegend neu fassen will. Zu den Datensammlungen von Facebook und Co. gibt es keine Aussagen, dafür aber positioniert sich die AfD als entschiedener Streiter für die Meinungsfreiheit: "Wir lehnen die geplante Einführung von Upload-Filtern daher ebenso kategorisch ab wie Überlegungen, eine Zensur sozialer Medien im staatlichen Auftrag nach dem Muster des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) auf EU-Ebene einzuführen."

Jede Form von EU-Steuern oder Bestrebungen auf europäischer Ebene, Steuerhinterziehungen oder -Verschiebungen zu bekämpfen, wird von der AfD abgelehnt, da die EU kein Staat sei. Steuerhinterziehungen müssten nach Meinung der Partei durch Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland eingedämmt werden, während die OECD für die Verfolgung von Steuerstraftaten zuständig sein sollte. Ansonsten dürfe die nationale Steuerhoheit der EU-Länder nicht angetastet werden. Hier gibt sich das Europa-Wahlprogramm universalistisch: Eine Besteuerung von Finanztransaktionen werde die AfD nur zustimmen, wenn sie weltweit auch außerhalb der EU an "allen Handelsplätzen" eingeführt wird.

Die AfD leugnet, dass der Klimawandel menschengemacht ist und schreibt deshalb in ihrem Wahlprogramm: "Wir bezweifeln aus guten Gründen, dass der Mensch den jüngsten Klimawandel, insbesondere die gegenwärtige Erwärmung, maßgeblich beeinflusst hat oder gar steuern könnte. Klimaschutzpolitik ist daher ein Irrweg." Alle Anstrengungen, eine Energiewende herbeizuführen, werden im Programm als "Wende hin zu einem ökologistischen Planungs- und Zwangsstaat mit gewollter Mangelwirtschaft" dargestellt.

Dementsprechend lehnt die AfD auch den Einsatz von Smart Metern innerhalb von Smart Grids ab, denn beide Teile der künftigen Stromversorgung werden als Ausdruck staatlicher Zwangswirtschaft gesehen. Mit dem Wahl-Slogan "Diesel retten" werden alle EU-Pläne zur E-Mobilität abgelehnt. E-Fahrzeuge seien in Bezug auf die individuelle Mobilität alltagsuntauglich und würden zudem die Wertschöpfungskette der Automobilindustrie nach Asien verlagern, wo Batterien hergestellt werden.

Das Urheber- und Medienrecht wird auf der EU-Ebene von der AfD in einem Atemzug mit der angeblich verkorksten DSGVO genannt, wenn es gegen weitere Ansätze zu einer europaweiten Regulierung heißt: "Weitere in Arbeit befindliche Verordnungen wie die Reform des Urheberrechts und die Maßnahmen zur Umsetzung (Upload-Filter, Leistungsschutzrecht) oder die Pläne zur 'Beweissicherung in der Cloud' und Zugriff (Cloud-Act) durch die USA sind nicht im Interesse der europäischen Bürger." Weitere Aussagen zum Medienrecht, etwa zu den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien, von der AfD so titulierten "Zwangsmedien" gibt es im Europaprogramm nicht.

Auch in Bezug auf die Forschung betont das Wahlprogramm die europakritische Haltung der AfD, wenn es etwa zur Bildung heißt: "Die von der EU vorgestellten Konzepte zur Förderung der Digitalisierung dürfen nicht in die Bildungssouveränität der Mitgliedsstaaten eingreifen." Abseits der Bereitstellung von digitalen Medien für das Lernen in Schulen und Universitäten zieht das Programm eine klare Trennlinie: "Abzulehnen sind alle Bestrebungen, den Unterricht selbst zu digitalisieren, die Erarbeitung von Wissen aus dem analogen Lernprozess herauszulösen, um die Lehrerpersönlichkeit durch das Medium zu ersetzen."

Bei der Forschung und Entwicklung will die Partei den europäischen Wohlstand fördern, der durch die Politik behindert werde. "Aus diesem Grund stehen wir für einen entpolitisierten und ideologiefreien Forschungsbetrieb und fordern dessen strikte politische und weltanschauliche Neutralität." Dafür ist man durchaus bereit, in der Forschung gemeinsame Wege zu gehen, wie bei der Entwicklung von Hard- und Software im Namen einer europäischen Souveränität. "In bestimmten Fällen halten wir es für sinnvoll, gemeinsame Forschungsstrategien für wichtige Schlüsseltechnologien (z. B. Hardware und Software) zu entwickeln und diese als Gemeinschaftsaufgabe zu fördern."

Auch die AfD möchte die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz mit Fördergeldern gestalten, setzt sich hier aber von der europäischen Zusammenarbeit ab, weil diese nicht flexibel genug organisiert werden könne. "Beispielhaft seien hier Raumfahrtprogramme und Programme zur Entwicklung von künstlicher Intelligenz genannt. Die systemimmanente Schwerfälligkeit der länderübergreifenden Zusammenarbeit darf nicht dazu führen, dass wir gegenüber flexibleren Akteuren ins Hintertreffen geraten."


Aus: "Programme und Positionen zur Europawahl 2019: AfD" Detlef Borchers (17.05.2019)
Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Programme-und-Positionen-zur-Europawahl-2019-AfD-4424285.html?seite=all

QuoteKommando Abdul Rahman, Alexander Vogt, 17.05.2019 10:04

Was die AFD aus der EU-Wahl 2014 machte

Sieben Abgeordnete konnte die AFD damals ins EU-Parlament schicken, was daraus wurde:

Hans-Olaf Henkel -> Parteiaustritt
Bernd Kölmel -> Parteiaustritt
Bernd Lucke -> Parteiaustritt
Trixie Storch -> ersetzt durch Meuthen, weil sie doch lieber in den Bundestag wollte
Marcus Pretzell -> Parteiaustritt
Joachim Starbatty -> Parteiaustritt
Ulrike Trebesius -> Parteiaustritt

Dass das Chaos in der AFD ungebremst anhält, kann man in den täglichen Nachrichten aus diversen Verbänden lesen. Gerade jetzt geht es in der AFD Bayern wieder rund mit Amtsniederlegungen und Entlassungen.


Quoterlrl, 17.05.2019 10:50

Die Amerikanisierung deutscher Politik

Hat eigentlich noch jemand den Eindruck, dass wir uns politisch zunehmend amerikanisieren? Seit die AfD auf die politische Bühne getreten ist, merkt man, wie die Leute entweder weiter nach links oder weiter nach rechts wandern und die alten, doch eher gemäßigten Volksparteien "der Mitte" zunehmend Stimmen verlieren, allen voran natürlich die SPD. Es wird meines Erachtens nach immer lauter, schriller und polarisierender. Die Grautöne scheinen zunehmend von Schwarz und Weiß verdrängt zu werden.

Damit einher gehen auch zunehmend Denkverbote. Das finde ich äußerst kritisch. Spricht man von Klimawandel, ist man gleich der linksgrün versiffte Gutmensch. Äußert man sich kritisch über Aspekte der Immigration, ist man gleich der Nazi.

Es nervt eigentlich nur noch. Ich komme mir manchmal vor wie bei RTL 2 im Abendprogramm.


Quotepehar, 17.05.2019 12:01

Re: Die Amerikanisierung deutscher Politik

Du hast Ursache und Wirkung verwechselt. Erst gab es Schröders "neue Mitte" und Agenda-Politik, sprich: die SPD ist Richtung Mitte gewandert. In dem entstandenen Linksvakuum hat sich dann die Linke gebildet.

Auf der anderen Seite hat die CDU erfolgreich der SPD die Themen geklaut, ist also ebenfalls Richtung Mitte gewandert. Rechts hat dann die AfD die programmatische Lücke gefüllt.

Die extremen Ränder sind unverändert: KPD, NPD, wie sie alle heißen unter "ferner liefen".

Eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, gibt es nur in den Medien, weil die jeden Konflikt auf genau zwei Positionen reduzieren und jedes Thema emotionalisieren, bis nur noch "gut gegen böse" übrigbleibt: Infantilisierung der Berichterstattung.


...

Link

Quote[...] Dass Menschen, die Führungspositionen in der Gesellschaft einnehmen, sich verfehlen, ist leider nichts Neues. Es kommt in allen gesellschaftlichen Bereichen vor: Wirtschaft, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, Verbände. Niemand ist davor gefeit. Denn es gehört zum menschlichen Wesen, dass er den Erwartungen nicht gerecht wird, die in ihn gesetzt werden und dass er sich nicht an Grundrechte und Grundwerte hält, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. Darum sind Transparenz, Öffentlichkeit, demokratische Strukturen, politische Bildung und streitiger Diskurs in allen Bereichen und auf allen Ebenen so wichtig.

Ebenso entscheidend ist, dass Menschen, die Führungspositionen bekleiden, daraufhin geprüft werden (und sich prüfen lassen), ob sie über die erforderlichen menschlichen Qualitäten verfügen.

Nun ist es immer verdächtig, wenn Gruppen und Einzelpersonen in der Demokratie, bei uns unter den Bedingungen des Grundgesetzes, mit dem Anspruch auftreten, ,,aufräumen" zu wollen, Köpfe rollen zu lassen, ein verkommenes System zu beseitigen. Genau das ist bei den Rechtsnationalisten nicht nur von Pegida/AfD der Fall. Gleichzeitig wollen sie ein System installieren, das Kontrollen ausschaltet: die Presse, kulturelle Vielfalt, Parlamente wie das EU-Parlament, schließlich Wahlen – und an die Stelle demokratischer Institutionen setzen sie ,,das Volk". ->https://www.l-iz.de/politik/sachsen/2019/02/Medien-und-die-AfD-Schwarze-Liste-fuer-Journalisten-257717

Hinter dem Kampfbegriff ,,Volk" verbirgt sich aber nichts anderes als die willkürliche Multiplikation der vom Autokraten oder einer autokratisch-nationalistischen Partei vorgegebenen politischen Linie. Darum die Bewunderung der Orbáns, Kaczynskis, Trumps, Putins, Salvinis, Straches durch die Rechtsnationalisten von Pegida/AfD. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, alles ausschalten zu können, was ihre Macht kontrollieren und gefährden könnte. Deswegen locken sie besonders zwielichtige Gestalten an, die entweder erfahren haben, dass ihre Unzulänglichkeit von anderen durchschaut worden ist oder die schon mit der Justiz entsprechende Erfahrungen gemacht haben. -> https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2019/04/Gastkommentar-von-Christian-Wolff-Verlorene-Mitte-Nein-Haltung-ist-gefragt-272635

Der neuerliche Heinz-Christian Strache/FPÖ-Skandal in Österreich deckt auf, was zum Wesen der Rechtsnationalisten gehört: Wo immer sie die Möglichkeit dazu haben, umgehen und/oder zerstören sie rechtsstaatliche, demokratische Strukturen – Originalton Strache: ,,... zack, zack, zack ... drei, vier Leute müssen abserviert werden." Strache ist kein bedauerlicher Einzelfall. Sein Verhalten ist symptomatisch für die Niedertracht, Inkompetenz und Durchtriebenheit der Rechtsnationalisten. Im Extrem macht es Donald Trump jeden Tag vor – und folgt damit dem Strickmuster faschistischer Politik: Er hat die Lüge zum Instrument seiner Politik gemacht.

Er höhlt die Institutionen der amerikanischen Demokratie aus. Er forciert die Hochrüstung und plant zielstrebig Kriege. Wie recht hat doch der Historiker Fritz Stern (1926-2016), der über Trump schrieb, bevor dieser Präsident der Vereinigten Staaten wurde: ,,Trump ist kein Konservativer. Trump ist ein rechtsradikaler, der zerstören will. Wobei Trump gleichzeitig die Macht des Geldes und die Ohnmacht des Geistes darstellt. Ein entsetzlicher Mensch, der vor Dummheit und Geld nur so strotzt."

Für uns bedeutet dies: Niemals dürfen wir zulassen, dass – wie in anderen europäischen Ländern – die Straches und Trumps zur bestimmenden Kraft und damit die verheerende Liaison zwischen Rechtsextremismus und Inkompetenz zum Alltag werden. Wie weit der Einfluss der Rechtsnationalisten schon fortgeschritten ist, erleben wir in Sachsen täglich. Nur zwei Beispiele aus der vergangenen Woche:

    Im sächsischen Verfassungsschutzbericht 2018 wird der Ruf ,,Nazis raus" als Kriterium dafür genommen, das große Rockkonzert gegen Rechts ,,Wir sind mehr" in Chemnitz im September 2018 als ,,linksextremistisch" einzustufen.
    In Freiberg untersagten die Gesellschafter des dortigen Theaters, darunter der Freiberger Oberbürgermeister, auf Druck der Rechtsnationalisten von Pegida/AfD eine Diskussionsveranstaltung zwischen Liane Bednarz, Autorin des Buches ,,Die Angstprediger", und dem Freiberger Pfarrer Michael Stahl über das Thema ,,Wenn Christen Populisten werden" in den Räumlichkeiten des Theaters, sodass die Veranstaltung verlegt werden musste.

Es wird höchste Zeit, dass alle Bürgerinnen und Bürger, denen etwas an unserer freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Verfassung liegt, aufwachen und bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Ansichten den Rechtsnationalisten weder eine Stimme geben noch auch nur einen Millimeter vor ihnen zurückweichen.

Jeder kann nicht zuletzt an den Vorgängen in Österreich erkennen, was uns bevorsteht, wenn die Rechtsnationalisten das Sagen haben. Aber eigentlich reicht ja ein Blick in die Geschichte Mitteleuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts [...]



Aus: "FPÖ-Skandal in Österreich - Gastkommentar von Christian Wolff: Wen wundert's noch" Pfarrer (i.R.) Christian Wolff (18. Mai 2019)
Quelle: https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2019/05/Gastkommentar-von-Christian-Wolff-Wen-wunderts-noch-275982


Link

#26
Quote[...] Wieder hat die AfD bei einer Wahl in Ostdeutschland abgeräumt. Nichts hat die Radikalisierung von Cottbus bis Chemnitz aufgehalten. Ist der Osten noch zu retten?  ...

Es gibt progressive Menschen im Osten, an manchen Orten sind sie auch tonangebend, doch überall ist auch das, was der Rechtsextremismus-Experte David Begrich eine "regressiv-autoritäre gesellschaftliche Unterströmung" nennt, die in allen Milieus anzutreffen sei. Zugleich sähen sich viele "einer Art kulturellen Fremdherrschaft unterworfen, in der sie mit ihren Erfahrungen nicht vorkommen". Das Ergebnis ist bei vielen die Ablehnung dessen, was sie als westdeutschen Mainstream erleben: Pluralismus, Minderheitenschutz, eine kompromissorientierte politische Praxis.

Vielleicht befreit sich der Osten von dieser Grundströmung. Kann sein, dass sich mehr Städte so erfreulich wie Jena, Leipzig, Rostock, Frankfurt (Oder) oder Halle entwickeln. Doch angesichts der sozialen Konstellationen des Ostens besteht auch das Risiko einer viel düstereren Zukunft. Björn Höcke träumt schon lange von Wehrdörfern im Osten, von denen aus eines Tages die "Rückeroberung" der Bundesrepublik durch die Rechtsextremen ihren Ausgang nehmen soll.

Auch wenn vielen genau nach dem Gegenteil zumute ist: Wenn man diesen fatalen Zusammenhalt der Ablehnungsmilieus aufbrechen will, muss man zuhören und verstehen wollen, und zwar doppelt so viel.

Es führt noch immer kein Weg daran vorbei, ernsthaft und tiefgründig aufzuarbeiten, was in den vergangenen 30 Jahren im Osten geschehen ist. Mag sein, dass die Treuhand, dass die Alimentierung des Ostens gut und patriotisch gemeint waren. Doch es wird Zeit, auf das nüchterne Ergebnis zu schauen: Der Osten ist, abgesehen von einigen Aufschwungregionen im Süden, weitgehend deindustrialisiert, er hat infolgedessen eine Massenabwanderung und Überalterung erlebt, die vielen Regionen dort heute jede Perspektive rauben. Die Löhne sind unterirdisch, die wenigsten werden ihren Kindern etwas hinterlassen. Selbst nach dem historischen gesamtdeutschen Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts empfehlen Experten, manche Gebiete besser der Natur zu überlassen.

Vielleicht gibt es auf all das keine schnelle ökonomische und politische Antwort, doch soll das verstärkte Ansiedeln von Behörden im Osten tatsächlich die letzte Idee sein, die einer der bedeutendsten Industriestaaten der Welt dazu hat?

Es ist diese Wurstigkeit, mit der in der Politik jede neue Hiobsbotschaft aus dem Osten behandelt wird. Es gab in den 30 Jahren seit der friedlichen Revolution nicht einen einzigen bedeutenden westdeutschen Politiker, der den Osten zu seinem großen Anliegen gemacht hätte – außer einigen Senioren, die dort ihre zweite Karriere machten. In der gesamtdeutschen politischen Öffentlichkeit gibt es nur wenige, die mit Ostthemen wirklich durchdringen. Die hin und wieder mal warnen, welche Abgründe sich in einer Region auftun können, in der nicht so wenige Bewohner zu der Überzeugung gelangt sind, sie seien feindlich besetzt worden.

Deswegen ist es leider nichts Neues, was man seit der Europawahl wieder auf Twitter lesen kann. "Baut die Mauer wieder auf", "Leipzig abspalten" und Ähnliches schreiben Leute. Sie wollen nichts mehr hören davon, dass es auch einen anderen Osten gibt, dass einfache bis überwältigende Mehrheiten auch im Osten die AfD ablehnen. Sie sehen es nicht ein, darüber nachzudenken, ob irgendetwas an der ostdeutschen Wut auch gerechtfertigt sein könnte. Sie wollen jetzt einfach mal schreiben, dass der ganze Osten naziverseucht ist. Aber wie viele von denen, die jetzt schreiben, sie wollten das Gelaber der demokratischen 75 Prozent nicht mehr hören, haben das Gelaber der demokratischen 87 Prozent nach der Bundestagswahl mitgemacht?

Dabei bräuchte es nur ein wenig mehr Differenzierung, um nicht alle Ossis zu Mitläufern einer rechten Revolution zu machen. Es gibt ihn ja, den schulterzuckenden oder sogar beifallklatschenden Rassismus mancher, die längst nicht mehr unterscheiden wollen zwischen Unbekannten und Böswilligen. Es gibt dieses Autoritäre, diese Knüppel-auf'n-Kopp-Welt derer, die Orbán und Putin so lieben. Diese Verachtung mancher gegenüber der Vorstellung, dass es Schwächere außer einem selbst gibt, die beschützt werden müssen.

Westdeutschland hin oder her. Es sind diese Herrenmenschen, die den Osten kaputt machen. An keinem der Orte, an denen sie seit Jahrzehnten immer wieder "Fuck you" wählen, ist irgendetwas dadurch besser geworden. Im Gegenteil, diese Regionen entleeren und verarmen noch mehr und noch schneller als die anderen. Wie auch anders. Wirklich niemand, der Menschen nach Religion oder Hautfarbe oder Wert sortiert, hat eine Ahnung davon, wie man eine Gegend für Menschen attraktiv macht. Nichts wird besser werden im Osten, wenn dort eines Tages Leute regieren, die nur ihresgleichen dulden.

Es ist so viel schiefgelaufen im Nachwendeosten, es gab so viele Ungerechtigkeiten. Aber das ist kein Grund, das war es nie, Rechtsextreme zu wählen und damit das Land von der Außenwelt abzuschotten. Niemand wird von der Geschichte gezwungen, ein Rassist zu sein. Niemand hat das Recht, andere zu misshandeln, weil ihm selbst übel mitgespielt wurde. Und auch sonst nicht.

Wo immer im Osten das nicht klar ist, wird es Zeit für mehr, nicht weniger Streit. Denn so sind nicht alle, bei Weitem nicht. Es gibt so viele, die das Grundgesetz jeden Tag in ihrem Tun und Reden respektieren. Sie sind an den meisten Orten in der Mehrheit, und es wird Zeit, dass sie sich durchsetzen.

Diese Menschen brauchen Unterstützung, manche brauchen konkret Geld. Was sie jedenfalls nicht brauchen, sind wohlfeile Kommentare aus Hannover-Linden. Die Lage im Osten ist zu ernst, um nicht zu differenzieren.


Aus: "Ernstfall Ost" Ein Kommentar von Christian Bangel (27. Mai 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/wahlergebnis-ostdeutschland-europawahl-afd-rechtsextremismus/komplettansicht

QuoteBells of Freedom #8

"Ist der Osten noch zu retten?"

Solche arroganten Kommentare aus den Redaktionsstuben linksliberaler Medien sind sicherlich auch ein Beitrag für die wachsende Polarisierung.


QuoteNomeeNaomi #8.2

Ach Unsinn. Die Menschen wählen doch nicht AfD, weil ihnen die Zeit-Kommentare nicht gefallen. ...


Quotederi punkt partei #11 

Ablehnung von Pluralismus, Minderheitenschutz und kompromissorientierter politischer Praxis.
Warum sollte man dem zuhören?


Quotefolgt #11.1

Pluralismus, Minderheitenschutz und kompromissorientierter politischer Praxis.
Worthülsen - was wollen sie sagen?


QuoteNomeeNaomi #12

Alles eine Frage der Perspektive. Ist der Westen noch zu retten?


QuoteRahus #12.8

>>Ist der Westen noch zu retten?<<

Am ostdeutschen AfD-Unwesen wird und kann der Westen nicht genesen.

Der Osten wird weiterhin mit zig Milliarden Transfergeldern aus dem dekadenten, inter- und multikulturell gescheiterten Westen subventioniert werden.

Dass der Osten angesichts dieses Wahlergebnisses trotzdem noch zu retten ist, ist für alle Bewohner unseres lebenswerten Landes - mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft, mit und ohne Ressentiments gegen Einwanderer, Ossis oder Wesis, in Ost und West - sehr zu hoffen.

Die in Ostdeutschland lebenden Leser dieser Zeilen mögen das bitte nicht auf sich als Gruppe beziehen, ich bin ein großer Fan der deutschen Wiedervereinigung und habe viele - antifaschistische und tolerante - Freunde in Sachsen und Brandenburg. Aber einem unbelehrbaren AfDler wie NomeeNaomi muss man doch mal den Ossi-Wessi-Spiegel vorhalten.


Quoteastor131 #12.9

Die Grünen kann man wählen oder nicht, der Osten bleibt.


QuoteRahus #12.10

>>Die Grünen kann man wählen oder nicht, der Osten bleibt.<<

Der Osten bleibt, aber viele Menschen - insbesondere die jungen - werden nicht in den Regionen bleiben, die heute AfD-Hochburgen sind.
Sie werden nach Leipzig, Halle, Erfurt, Jena, Berlin oder in den Westen abwandern.
Finde ich bedauerlich, kann ich aber nachvollziehen.


QuoteTychus F1ndlay #13

In einer pluralistischen Demokratie muss man auch akzeptieren, dass jemand Dinge ablehnt. Migration mit der verbundenen Integrationsaufgabe kann man auch ablehnen.
Nicht aus rassistischen Motiven, sondern auch aus Egoismus. ...


Quote
Balschoiw #13.1

Ihr Motiv ist also Neid. Irgendwie erbärmlich.


QuoteBurning Daylight #13.2

"Wenn ihr schon für uns keine Jobs schafft, warum sollen wir dann noch mit Fremden teilen?".

Nennt sich Solidarität, eines der Grundprinzipien unseres Landes. War in großen Teilen sehr schön zu sehen nach der Wiedervereinigung...


QuoteSchnucki3 #13.3

Ich: 84er Ossijahrgang aus dem Grenzgebiet, wo heute Höcke wohnt, finde Sie haben recht. Viele wählen (meistens) aus egoistischen Motiven ihre Partei.
Wenn ich an Omi und Opi denke, an DDR-Hort und Schicht im Schacht, an Badeofen und Kohleeimer, sage ich Ihnen, dass ich die wir-kriegen-den-Hals-nicht-voll-Mentalität an den Ossis und ihrer blauen Geiz-ist-geil Partei zutiefst verachte. Sie scheint größer zu sein als die, die man den superkapitalistischen Haudegen hinter der Mauer je unterstellt hätte.
Meine Meinung: Die Ossis, die AFD wählen haben keinen Stolz und ganz ehrlich: es blamiert mich mit. Selbstachtung darüber beziehen, indem man sich mit nationalistischen Surrogaten (Scheinlösungen) für umme das Ego subventionieren lässt? ...


QuoteBakfiets22 #13.7

... Wenn man sich den Ossis gegenüber unsolidarisch verhält (= keine Jobs und keine gleichwertigen Lebensverhältnisse für sie schafft), dann kann man nicht erwarten, dass sie auf diesen unsolidarischen Angang mit einer Solidaritätsadresse reagieren. Die sprechen dann die Wahrheit aus, indem sie sagen: wenn wir keine Solidarität erfahren, geben wir auch keine, denn die Gelackmeierten sind in diesem Lande seit dreißig Jahren wir.
Wenn Sie jetzt auf den Soli anspielen, dann kann man sagen: ja, die Straßen in Ostdeutschland sind jetzt blitzblank, aber es können sich viel nicht das Auto leisten, um sie auch zu benutzen. In den schön renovierten Altbauten können die Ureinwohner in der Regel auch nicht leben (zu teuer, egal ob Miete oder Kauf), und die Führungsetagen in Wirtschaft, Politik und Kultur sind westdeutsch besetzt. Diese Menschen sind es, die an den Wochenenden sehr bequem auf den renovierten Straßen in ihre alte Heimat sausen und somit etwas vom Soli haben.


QuoteBurning Daylight #13.10

"Wenn man sich den Ossis gegenüber unsolidarisch verhält"

Der Westen hat sich dem Osten gegenüber unsolidarisch gezeigt? Das ist Ihr Ernst?

Weil wir da aktuell nicht genug Jobs schaffen? Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, inzwischen gibt es dort grob 10% Arbeitslosigkeit. Wenn ich wieder meine Freunde und Familie dort besuche höre ich aber niemanden jammern, das diese Hohe Arbeitslosigkeit eine Folge mangelnder Solidarität ist

"denn die Gelackmeierten sind in diesem Lande seit dreißig Jahren wir."

In der DDR war alles besser, oder wie?.


QuoteOssilant #14

Die Überschrift ist missverständlich gewählt "Ist der Osten noch zu retten?".

Hier möchte keiner wieder "gerettet" werden, wer gerettet wird ist nicht auf Augenhöhe mit dem Rettenden.
Das ist genau der Punkt, der viele meiner Landsleute zu dieser unsäglichen Partei bringt.
Als sie das letzte Mal "gerettet" wurden, gab es gefühlte 90% Arbeitslosigkeit danach - in einem ehemaligen Arbeiterstaat, in der der Arbeitsplatz wie das Zähne putzen zum Leben gehörte.
Was "wir" brauchen ist eine Partizipation in -zumindest unsere- Ämter, Behörden, Gerichte. "Wir" wollen in der Politik auch stattfinden. Nicht als Jammerossis, als Soli-Zuschlagskassierer oder als Nazipack.
Doch genau dazu macht man uns.
Man redet über uns, seltener mit uns. Wir werden 30 Jahre nach der Wende immer noch nach "Osttarif" bezahlt.
Uns wird tagtäglich damit klar gemacht, dass wir weniger wert sind.

Unsere DDR-Ganztagsbetreuung wird "Finnisches Modell" genannt, weil man sich nicht traut, das wenig Gute an der DDR zu benennen. Natürlich wissen alle, dass das Ganztagsbetreuungsmodell von der DDR abgeguckt ist.
Da unsere DDR aber in der Wahrnehmung nur aus FKK, Broiler und Stasi bestand wird das unter den Tisch gekehrt.
Ich verstehe den Missmut meiner Landsleute. Ich habe selbst Protest gewählt - die PARTEI. Das war im übrigen die einzige Partei die sich in der Provinz mit ihrem Oberindianer hier hat blicken lassen. Mark Benecke war auch dabei.
Soviel Wertschätzung haben die etabl. Parteien vermissen lassen.

... Was meinen Landsleuten hier fehlt sind die positiven Wahrnehmungen, auch hinsichtlich Europa.


QuoteKrawallbürste #14.4 

> Soviel Wertschätzung haben die etabl. Parteien vermissen lassen.

Das fand ich auch krass, wenn ich mit dem Motorrad aus der sächsischen Großstadt raus auf die Dörfer gefahren bin - dort hängen nur AfD Plakate. Es war kaum eine andere Partei zu sehen. Die AfD dafür aber auch im letzen 40 Seelen-Nest. Das zieht dann halt leider.


Quotespringer1 #17.1

Würde ich im Osten leben, würde ich auch aus Protest dem Westen gegenüber die AFD wählen.


Quoteastor131 #17.3

"Würde ich im Osten leben, würde ich auch aus Protest dem Westen gegenüber die AFD wählen."

Und das bringt dann was? Wem haben Sie es damit gegeben?


QuoteBurning Daylight #17.5 

"Würde ich im Osten leben, würde ich auch aus Protest dem Westen gegenüber die AFD wählen."

Protestverhalten wie ein Kleinkind aber wie ein verantwortungsbewusster Erwachsener behandelt werden wollen. Sorry, aber so funktioniert das nicht.


QuoteÜbergangsweise #17.8

Genau! Warum nicht ,,aus Protest" sich selbst ins Knie schießen?


Quotefolgt #20

"Ist der Osten noch zu retten?"
Ich sehe das genau umgekehrt, ich denke der Westen ist nicht mehr zu retten.
Leider zieht der dann auch den Osten mit in den Abgrund.


QuoteDraußen nur Kännchen #20.6
 
Was ist denn das 2. Thema neben "Ausländer raus"?


QuoteBCO #21

Von den 11 gewählten AfD-Kandidaten kommen 10 aus dem Westen.

Danke, liebe Ossis!


Quote
gEd8 #21.1

Migranten.


Quotehunter100 #33

Der Artikel liefert die besten Begründungen dafür, warum die Menschen im Osten "rechts" wählen (was ist schon rechts, wo die gesamte ehemalige konvervative Mitte links abgebogen ist?): Sie haben einfach genug davon, als Bürger zweiter Klasse ausgrenzt und nicht für voll genommen zu werden und was Gesinnungsjournalismus angeht - ja, davon wissen sie sie nun wahrlich ein Liedchen zu singen.


QuoteMilch0815 #36
 
Die Deutsche Einheit als Illusion: gespalten Ost und West, in Schwarz und Rot, in Jung und Alt. Alle Parteien polarisieren und heucheln von Einheit - und tun kaum was dafür. Die Mauer ist wieder da; in den Köpfen. ...


Quoteddfrog #42

Ich denke, Herr bangel hat es aus seiner westdeutschen Journalistensicht ganz gut hinbekommen - ich finde den Artikel als Ossi nicht schlecht. Aber was nun? Es graust mich etwas vo der Landtagswahl in Sachsen im September. Herr Kretschmer sagt, er will nicht mit der AfD koalieren, aber siehe James Bond: Sag niemals nie. Übrigens haben in Chemnitz 22% AfD gewählt. Ist das schon Radiaklisierung? Was in der Tat auffällt, ist der zunehmende Gradient Stadt-Land. Gut zu sehen bei der Kommunalwahl in Dresden: Innenstadt, Grüne vorn, Außenstadt - AfD.



QuotePutschdämon #44

"Ist der Osten noch zu retten?"

Das Gleiche fragen sich dort viele über den Westen. Es gibt nun mal unterschiedliche Meinungen. Bitte gewöhnen Sie sich daran, dass nicht ganz Deutschland wie das hanseatische Bildungsbürgertum tickt. Die anderen müssen ja auch hinnehmen, dass nicht alle wie sie denken. Vielfalt statt Einfalt. ...


Quote
SubversionUndNegation #49

Ich bin viel zu Adorno-Verseucht um mir einreden zu lassen, dass im Westen irgendwas nicht autoritär ist.


Quote
Nazijäger seit 45 #53

"Wenn man diesen fatalen Zusammenhalt der Ablehnungsmilieus aufbrechen will, muss man zuhören und verstehen wollen, und zwar doppelt so viel."

An 'Ausländer raus' gibt es nichts, das es nicht zu verstehen gibt und genau das dringt durch die Zeilen der Rechtsextremen und der Rechtspopulisten mit, egal ob die Zeilen verpackt sind in irgendwelchen pseudowissenschaftlichen Behauptungen oder quasi auf "sachlich" getrimmt sind. Letztendlich geht es darum, einen Sündenbock zu finden, für die eigene Frustration, für die eigene Ambitionslosigkeit.


Quotebemüht #54

Vielleicht ist einfach die Vorstellung des westlichen Durchschnittjournalisten falsch, dass es den Menschen in der DDR vor allem um Freiheit ging und nicht um Wohlstand.


QuoteEpicurus #58

Man lese Falter: Hitlers Wähler.

Auch in Weimar wurde in diesen Gebieten zuerst rechts gewählt.
Das hat eine lange historische Tradition.


QuotePalmeras #71

Wenn man den Einheitsprozess nicht aus Archiven, Essays und Büchern kennt oder sich von Wolf Biermann vorsingen lässt, sondern ihn hautnah und leibhaftig in der ersten Reihe erlebte, was uns Westberlinern durch den territorialen Umstand in den Schoss fiel, muss man sich über die Wahlergebnisse im Osten bis heute nicht wundern. Es wurden von unserer West-Seite nicht nur Fehler begangen, wie es heute verniedlichend dargestellt wird. Politik, zentral die meisten Medien und vor allem die Wirtschaft sind mit eine Herablassung und Inquisitionshaltung auf den Osten los, haben dort tiefe Wunden hinterlassen, die selbst bei den Kindern der Geschädigten und Gedemütigten noch neue Narben wachsen lassen. Man versprach Demokratie und Freiheit, kam aber mit den Werkzeugen des Neoliberalismus und einem latenten Überlegenheitsgedusel in die neuen Bundesländer. Nun bestaunen wir, was wir selber gesät.


QuoteMaximus Decimus Meridius #78

Tja, die AfD feiert Erntedankfest.
Und besonders bedankt sie sich bei den Medien, die praktisch über gesamte Regierungszeit Merkel jubelpersernd der Regierung Beistand leisteten, anstatt durch kritische Distanz mit ihrem professionellen Einblick den Verantwortlichen eine Politik fürs Volk mit Weitsicht und Erklärungspflicht abzuverlangen.  ...


QuoteKrausinho1967 #82

Natürlich gibt es nicht den Grund für die relative Stärke der AfD im Osten. Ein gewichtiger könnte aber in der habituellen Differenz liegen. Zunächst durch die PDS aufgefangen, wurde diese im Zuge der gesamtdeutschen Entwicklung der Partei ,, die Linke" heimatlos. Die AfD profitiert zweifellos davon.


QuoteDieMenschheitIstGut #84

"Ist der Osten noch zu retten? " Geht es noch platter? Das klingt nach der - sorry - etwas dümmlichen Annahme, dass der Osten nicht wisse, was er tut und dass müsse man ihm Politik einfach nur besser erklären müsse. Dazu sage ich, als Wessie, dass die Ostdeutschen meist viel besser wissen über Politik und wie sie funktioniert als der notorisch verwöhnte Westen. Und Ossies scheinen besser zu wissen, was sie wollen, denn sie wurden jahrzehntelange politisch drangsaliert. Und vielleicht können deswegen Ossies auch politisch substanzlose Besserwisser klarer identifizieren?...


QuoteDeine Freiheit ist auch die der Anderen #85

Es ist erbärmlich und für mich als Ostdeutscher beschämend, dass nur wegen eigener Befindlichkeiten ( nicht berücksichtigt gefühlt, abgehängt gefühlt etc ) rechte Hetzer und Faschistenverehrer gewählt werden. Nichts rechtfertigt das! ...


QuoteRL59 #100

Alle reden immer davon, dass die EU gespalten ist. Es scheint Deutschland ist ein leuchtendes Beispiel für die Trennung einer Gemeinschaft.


QuoteBarbaer #104

Auch im Osten haben ~80 Prozent der Wähler nicht die AfD gewählt, selbst in den genannten rechtsextremen Hochburgen sind sie weit davon entfernt eine Mehrheit zu erreichen. Statt sich ständig auf ein paar braublaue Dörfer zu versteifen (Bautzen: 40.000 Einwohner), wäre doch mal ein freundlicher Aufmacher, dass in der größten Stadt die Grünen stärkste Kraft sind (in Berlin, ebenfalls im Osten, ja ohnehin). Offenbar können sich die Ostdeutschen auch selber "retten"...


QuoteInni-Lisa #107

Wie wär's mal mit der Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit?


QuoteSebastian G. #124

Tja, als Chemnitzer weiß ich auch nicht so recht, wo das hinführen soll. Es ist ja nicht nur die AfD sondern auch das noch rechtsradikalere Pro Chemnitz, was hier Erfolge feiert. Deren Wahlkampfbroschüre hatte ich im Briefkasten und seitdem ist mir klar, dass die Aussage, dass nur dumme und ungebildete Menschen solche Parteien wählen, keine Beleidigung oder Pauschalisierung darstellt. Wer das liest und dann tatsächlich noch dort sein Kreuz macht (egal ob aus Zustimmung oder aus Protest), dem ist nicht mehr zu helfen - schon gar nicht mit Sachargumenten.
Dazu kommt ja auch noch das Agieren der Rechtspopulisten im europäischen Ausland. Wo hat sich denn was gebessert? England, Polen, Ungarn, Italien - wo genau haben die Rechten was gerissen? NIRGENDS! Nimmt man dann noch die USA hinzu, zeigt sich, dass rechte Aufrührer eben nur schreien können, aber kläglich versagen, wenn es um Ergebnisse geht. Bei der AfD ist es nichts anderes. Was haben die denn bitte schön geleistet, seit sie Politik mit gestalten können? Null. Im Chemnitzer Stadtrat sitzt einer von denen in einem Ausschuss und der sagt zu allem Ja und Amen. Das ist die. Alternative? Lächerlich. Im Herbst wird Sachsen wohl AfD-Land werden. Toll. Man schämt sich schon bei dem Gedanken. Aber wahrscheinlich müssen die Rechten erst in der Praxis versagen, bevor ihre Wähler merken, dass sie nix taugen. Schade um 5 vertane Jahre...


QuoteGertrud. die Leiter #125

Das Problem ist ja kein rein deutsches. Es ist weltweit das gleiche und heißt nur überall anders: in den USA Trump, in Großbritannien Brexit, und bei uns eben AfD. Seit mehr als drei Jahrzehnten machen die sogenannten Volksparteien, großen Koalitionen und Parteien der "Mitte" eine scheinbar alternativlose neoliberale Einheitspolitik, die wenige große Gewinner erzeugt, viele Verlierer und noch viel mehr, die Angst haben, irgendwann zu den Verlieren zu gehören. Und von den letzten beiden Gruppen derer, die sich zurückgelassen, überrollt oder schlicht ver*rscht fühlen, rennen eben viele denen hinterher, die die einfachsten Antworten geben. Und die allereinfachste Antwort auf alles ist es, einen Sündenbock zu benennen, auf die Wut und Ärger projiziert werden können.

Alles schon mal da gewesen. Und nicht nur einmal.


QuoteJulier #133

"Aber das ist kein Grund, das war es nie, Rechtsextreme zu wählen..."
Das ist die entlarvende Passage. Die Menschen in Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren nun Jahrzehntelang Steigbügelhalter für Emporkömmlinge aus dem Westen. Deren Parteien sind abgefrühstückt, haben Aufschwung und Aufmerksamkeit versprochen, aber es kam nichts. Also wird Rechts gewählt.


QuotejustAmoonwalker #127

Ich für meinen Teil, welcher nun schon seit 3 Jahren in Dresden wohnt, habe es langsam aufgeben mit Afd Wählern zu diskutieren. Die Argumentationsstruktur ähnelt auffällig kleinen Kindern welche sich weigern vorm Bett gehen die Zähne zu putzen. Da kann man noch so viele Erfahrungen und Studien zitieren dass Karies langfristig die Zähne ruiniert. Die Wähler/Kinder behaupten dann einfach, sie hätten schon am Tag vorher keine Zähne geputzt und vom Karies sei nichts zu sehen. Also haben sie recht & ich Unrecht. Punkt.

Als Vater mag man da noch Gedult haben bzw. die Möglichkeit ein Machtwortes zu sprechen ist gegeben. Mit Erwachsenen mündigen Bürgern geht das leider nicht mehr so gut. Aber vielleicht wollen die Leute auch einfach so jemanden der für sie Entscheidungen trifft. Ein Papa a la Putin der seine Schützlinge behütet.


Quotethomaseisenhuth #139

Der Artikel beschreibt ein brisantes Thema und doch wird der Kern des Problems nicht getroffen. Leider! Ich bin ein Kind der DDR. Positive Kindheitserlebnisse gegenüber Freunden aus dem Westen zu erzählen ist all die 30 Jahre immer ein Problem gewesen. Egal, was ich aus meiner Kindheit erzählen wollte: Wenn ich nicht noch die Geschichte mit dem Satz beendete "und es war doch ein Unrechtsregime" wurde und werde ich stets misstrauisch angeschaut wie ein Ewiggestriger und sicher mit Gedanken meiner westlichen Freunde wie "War er bei der Stasi?" oder "Wählt er die AfD?". Es ist immer die selbe Leier. Man ist stets verdächtig. Ein Freund aus dem Westen erzählte mir vor Jahren ganz stolz wie er nach dem Mauerfall alte Westaustos den unwissenden Ossis zu vollkommen überhöhten Preisen verkauft hat. Seit einiger Zeit diskutieren wir immer wieder über den angeblich ach so rechten Osten. Kommentar von ihm: 'Warum sind den bloss die Menschen im Osten so undankbar? Sie können jetzt alles kaufen und haben schöne Autobahnen.' Leider denken so viel zu viele Menschen im Westen, die gern - auch als Journalist oberlehrerhaft über den Osten dozieren und urteilen über eine Situation, die sie selbst nicht verstehen und auch nicht verstehen wollen. Wenn Menschen und ein Land nicht vereinigt werden, sondern angeschlossen und der Westen seinen Plan, nach Vereinigung das Grundgesetz durch eine Verfassung zu ersetzen aufgibt, weil der Westen alles besser weiss, wundern mich die Wahlen nicht!


Quotekuhnoix #141

Eine westlich-abgrenzende Bevormundung muss wieder her

Der Arbeiter-und-Bauernstaat, von 1961 bis 1989, hat - dauerhaft -seine Spuren hinterlassen, bis heute.


Quote
Shenia #148

Es war auch Naivität des Westens zu glauben, dass die westliche Demokratie sofort von dem Osten übernommen wird. Es war auch für Westen ein langer Weg dorthin ...


QuoteAdam Kowalski #155

In einem hat der Autor zumindest recht: Über die Treuhand und anschließende Förderungspolitik muss diskutiert werden. Es ist doch beachtlich, dass genau in den Gebieten, in die Milliarden an EU-Fördergelder flossen, das System am meisten abgelehnt wird.


QuoteAlter Hartzer #156

Ich kann dem Autor nur empfehlen mal über seinen Tellerrand Deutschland hinaus zu sehen: es gibt da noch ganz viele andere Länder in Europa.

Und viele Menschen in diesen Ländern haben (leider) auch die Neuen Rechten gewählt. Sind Frankreich, Belgien, Italien, Polen, Ungarn oder England auch nicht mehr zu retten? Gilt da auch der Ernstfall? In diesen Ländern haben die Neuen Rechten nämlich ungefähr die selben Prozentanteile erhalten wie in der ehemaligen DDR - und teilweise deutlich mehr.

Wenn Sie ganz Europa berücksichtigen ist nicht Ostdeutschland der Sonderfall, ganz im Gegenteil; der Sonderfall ist Westdeutschland, mit den vielen Grünwählern in den prosperienden Großstädten.


QuoteSt.Expeditus #158

Vermutlich liegt das unterschiedliche Wahlverhalten zwischen West und Ost auch an der Altersstruktur. Denn im Osten machen die über 60-Jährigen mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus.
Gerade auf dem flachen Land ist der Anteil der über 60-Jährigen noch höher. Diese Menschen haben also zwischen 20 und 40 den Umbruch der Wende erlebt und waren davon am Meisten betroffen. Vielleicht erklärt das, dass die AfD dort so stark ist.


QuoteSuperkommentator #166

Der "Osten" ist natürlich sehr pauschal, und niemand kann für alle Menschen im Osten in ein paar Sätzen alles gerecht kommentieren. Wenn der Osten aber mehrheitlich rechts wählt, dann ist der Osten mehrheitlich rechts. Wenn Universitätsstädte im Westen grün wählen, dann sind diese Stäste mehrheitlich grün. Im Osten wie im Westen gibt es arm und reich, soziale Härten und üblen Finanzkapitalismus. Jung und alt unterscheidet sich auch stark. Es gibt also keine Pauschalurteile und keine Pauschallösungen. Eins bleibt für alle aber gleich. Wer friedlich leben will, Reisen will, Infrastruktur (vom Bürgersteig bis zur Internet-Firma) haben will, der muss auch mit allen anderen zusammenleben können, nicht mal eben nur in Chemnitz, Ost-Deutschland oder Europa, sondern mit allen auf der Welt. Zur Welt gehört die Türkei, der Islam, afrikanische Migranten und sogar die AfD-Wähler. Die Jüngeren verstehen das meistens besser. Für diese ist primär auch die Zukunftspolitik wichtig. Oft heißt es im Osten, man wolle eben unter sich bleiben. Hier muss man doch denen mal klar sagen: Das könnt ihr total vergessen ...


QuoteSören Callsen #170

All diese Artikel verkennen, was mich schon über 30 Jahren erschreckt hat:
Die Mentalität war schon zu DDR-Zeiten genau so. Man hat es nur nicht so mitbekommen.


Quotem.schmidt67 #176

40 Jahre ein eingesperrtes Volk prägt eben.
Mit fremden Kulturen können die kaum was anfangen.
Dann kommt die AFD mit ihrer Polemik gerade recht, der man einfach folgen kann.


QuoteLillly #176.1 

70 Jahre Demokratie und immer noch Schwierigkeiten, Wahlergebnisse zu akzeptieren.


Quotesecret77 #179

Wie hat ein ca 50jähriger Sachse, der bei Audi einen guten Job hat, zu mir mal auf einer Fahrt gesagt:

"Die Ossis haben einfach ein paar Jahrzehnte zu wenig Kontakt zur Außenwelt gehabt, die haben immer irgendwo in ihrer eigenen Welt gelebt."

Dazu kommt - meiner Meinung nach! - noch atheistisch-materialistische, völlig unspirituelle Sozialisation. Die viele Menschen im Westen durch den Atheismus Hype und Konsum Wahn ja nun auch einholt, mit den bekannten unguten Veränderungen der Menschen.

Ich war schon seit nach dem Mauerfall entsetzt über den Ausverkauf des Ostens und auch Lohnungleichheit geht gar nicht (gleiches Recht für alle!) -
aber Rechtsextremismus ist durch NICHTS zu entschuldigen, und die brennenden Asylunterkünfte seinerzeit hatten auch eher mit "Fidschi"-Gewohnheiten als mit Lohnungleichheiten zu tun.

Wie sehr die "Ossis" unter sich bleiben wollten, das habe ich in 20 Jahren Berlin oft gespürt. Mir ist klar, dass sie nicht mega begeistert waren, als die "Wessi-Invasion" nach Ost-Berlin begann, aber wie gesagt: gleiches Recht für alle. Wie viele sind in den Westen?

Ich will sicher nicht alle über einen Kamm scheren, ich habe täglich auch normales und positives erlebt, aber eben auch abstruses, weltfremdes oder egoistisches.


QuoteTorrente #183

Wer glaubt Rechtsextremisten und ihre Fans durch "Zuhören" zum konstruktiven Miteinander bewegen zu können, hat offenbar noch nie ein Geschichtsbuch in der Hand gehabt.


...

Link

Quote[...] Als Hannes Androsch 1981, auf dem Höhepunkt des Consultatio-Skandals, ein Praterlokal betrat, gaben ihm die Gäste, größtenteils Arbeiter, stehende Ovationen. Seine Unschuld war damals noch nicht bewiesen, andernfalls sie wohl nicht applaudiert hätten. Plebejer, die sich keine andere Welt als die verkehrte vorstellen können, mögen den Gauner oder Lottogewinner lieber als den Idealisten, der den Kuchen gerecht verteilen will. Erstere könnte man ja selber sein, und wie sie würde man nichts abgeben davon.

Wer meint, Ibiza-Gate diskreditiere Strache und Spießgesellen, hat bereits bei den EU-Wahlen letzten Sonntag den Beginn einer Kette blauer Wunder erleben können. Wer so denkt, liegt einem größeren Selbstbetrug auf als die FPÖ-Wähler, die nach linker Lesart noch immer verirrte Schäfchen seien, welche in der Verzweiflung darüber, von der Sozialdemokratie rechts liegengelassen worden zu sein, den Rechten in die Arme gelaufen seien.

Alsbald würden sie einsehen, dass die FPÖler keine Sozialisten für unsere Leut' sind, sondern Steigbügelhalter westlichen und östlichen Kapitals. So sieht ein linker Selbstbetrug aus, der liberale aber im Glauben, die rechtsstaatlichen Institutionen seien heilige Tempel, vor denen das Volk erschaudert.

Dem politisch verwaisten FPÖ-Fan haben sich auf Ibiza Ocean Eleven-hafte, coole Jungs dargeboten, die wild und gefährlich leben, auf Augenhöhe mit verhängnisvoll schönen russischen Oligarchinnen pokern und sich stellvertretend für ihn den Anteil am Kuchen, von dem man ihn fernhält, nehmen.

Und zwar mit den Methoden des Gangsterfilms, mit dem man sozialisiert wurde und der weitaus spannender ist als das Streberspiel namens parlamentarische Demokratie. Zum Leidwesen poststrukturalistischer Politologen hat das Ibiza-Video zudem enthüllt, wie primitiv und simpel die Spiele der Macht ablaufen, bei denen es dann doch zugeht wie bei Bertolt Brecht oder im Mobster-Movie: Zack, zack, zack, wer zahlt, schafft an, Glock, Glock, Glock, Kohle her, Redaktionen stürmen, Staat übernehmen, liberaler Konkurrenzunternehmer, missliebiger Journalist – ihr seid so was von tot.

Der Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim hat die Funktionabilität von Soldaten in der institutionellen Verlängerung ihrer Adoleszenz erkannt, im Stoppen ihres Reifungsprozesses, ihrer Individuation.

Dieser Corpsgeist der ihren Offizieren oder "Leibfüchsen" ergebenen großen Jungs überträgt sich – mit allen homoerotischen Implikationen – auf die rechte Bewegung, als Sammelbecken für Männer, die nicht mehr erwachsen werden können.

Rechtes Ressentiment war zunächst der Reaktionsmodus des unteren Mittelstands, der sich schon von politischer Reflexion abgehängt hatte, bevor er sich einbildete, auch sozial abgehängt zu werden. Es übertrug sich wie ein schleichendes Gift auf das Gros der werktätigen Massen.

Diese Menschen, denen man mit einem mannigfaltigen Unterhaltungs- und Freizeitangebot die Fähigkeit ausgetrieben hatte, ihre politischen Rechte wahrzunehmen, zu erkämpfen oder zu verteidigen, nahmen die politische Welt nur noch so wahr wie ihre Vorabendserien, Talkshows und Computerspiele: individualisierend, psychologisierend und durch die Emotionen, welche die sogenannten Kandidaten bei ihnen auslösten.

Diese wiederum designten das politische Spiel den Konsumentenwünschen entgegen. Und inszenierten den rebellischen Bruch mit einer völlig richtig als falsch empfundenen, aber falsch gedeuteten Welt.

Wenn die Rechtswähler etwas verstehen, dann, dass sie von der alten liberalen Ordnung nichts mehr zu erwarten haben – sie spüren den postdemokratischen Schein der riesigen Umverteilungsmaschinerie, richten ihre Aggression aber nicht auf die Lüge der Vernünftigkeit dieser Ordnung, sondern auf die Vernunft selbst: die richtige Grammatik, die Menschenrechte, den Rechtsstaat, die Humanität.

Rechte Agitation ist der ständig in den Startlöchern scharrende Zivilisationsbruch, der die kollektive Enthemmung, kollektiven Sadismus mit der Erzählung von Law and Order und alten emotionalen und territorialen Rechten legitimieren soll.

Die Rechtschreibfehler auf FPÖ-Plakaten, eine beliebte Lachnummer fürs Bildungsbürgertum, waren dessen bewusst gesetzte Provokation, sie sagten nichts als: Diese Sprache gehört uns, und wir werden mit ihr machen, was wir wollen, und so wie der Orthografie wird es euch und euren ausländischen Freunden auch ergehen.

Rechte Bewegungen waren stets nicht nur Magnete und Sammelbecken für Kriminelle, Kriminalität ist ihr Bodensatz und Teil ihres Wesens. Sie sind für alle, die sich halb fühlen in der Welt, das Angebot, über die Halbwelt gesellschaftliche Ohnmacht in Macht weißzuwaschen. Wenn das falsche Ganze schon nicht begriffen wird, muss es in Trümmer geschlagen werden, damit die Halbwelt dessen Platz einnehmen kann.

Der Polizist mit einem Bein im Dealer- und Rotlichtmilieu, Schieber, Psychopathen, Fremdenlegionäre, Provinzspekulanten, Heimatschützer ... die rechte Bewegung ist die Bewegungszone, wo schwere Jungs sich in angesehene Bürger und langweilige bürgerliche Leichtgewichte sich in schwere Jungs verwandeln dürfen.

Die Dreieinigkeit von Warlord, Plünderer und Raubtierunternehmer, der als nationalpopulistischer Commandante oder Cavaliere ins Parlament einzieht, um dieses zu unterwandern, ist das permanente Ideal der vaterlosen Buberlpartien. Daher die Begeisterung für den serbischen Nationalismus.

All das vereint die Ikonografie auf dem Cover von Straches Propagandabiografie mit dem bezeichnenden Titel Vom Rebell zum Staatsmann, worauf er posiert als – Staatsmann, Rapper und Soldat, der eindeutig Assoziationen mit der Fremdenlegion und Fallschirmeinsätzen wecken will.

Dieser Wandel will sich als Bruch verkaufen, vom faschistischen Rabauken zum würdigen Patrioten. Doch Volksnähe und Nation, Ehre und Anstand sind bloß die Etiketten, an denen das Rudel untereinander sich als tiefverwurzelte Dazugehörige erkennt, wenn es in der permanenten Bartholomäusnacht darum gehen wird, Flachwurzler und fremdes Kraut zu jäten.

"Wien darf nicht Chicago werden", dekretierte einst jene Partei, die wie keine andere dafür steht, das zivilisatorische Niveau jenes demokratisch abgesicherten, subtileren Gangstertums, das die Enteignung der Massen zugunsten von Konzernen und Banken managt, auf das von Chicago 1927 und vielmehr Moskau 1993 zu senken.

Wie östliche Oligarchen nach ihren Gangsterkriegen um die postsowjetische Verschubmasse als Feudalherren, Nationalfaschisten und richtige Kerle und "richtig schoafe Weiber" posieren, fungiert als das große romantisierte Vorbild der kleinen Jungs, die mit ihren Glocks und ersehnten Mehrheiten an einflussreichen Zeitungen spielen.

Richtige FPÖ-Wähler schrecken Kriminalität und Peinlichkeit nicht ab. Darum haben sie die Partei ja gewählt. Sie wählten ihre eigene Peinlichkeit an die Macht, eine Peinlichkeit, mit der sie sich identifizieren können, um den Preis, sich das letzte Hemd ausziehen zu lassen, und den Deal, dass wenigstens Migranten sich nicht einmal ihrer Haut sicher sein dürfen.

Und wenn sie sich von ihren chronisch adoleszenten Über-Ichs vorübergehend abwenden, dann nicht aus staatsbürgerlicher Einsicht, sondern weil andere Über-Ichs, z. B. Kronen Zeitung und Kurz, sich in dieser Universum-Folge einstweilen durchgesetzt haben.

Kein Grund, sich ihnen überlegen zu fühlen. Denn die kognitive Verzerrung in der politischen Wahrnehmung geht durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten. Das merkt man vor allem am Wunschdenken, die liberalen Besitzstandwahrer des Kapitals gäben ein zivilisatorisches Bollwerk gegen die rechten Horden ab. Sie sind es, welche die sozialen Flurschäden verantworten, die nun von der braunen Suppe geflutet werden.



Aus: "Die Freiheitlichen: Kleinspurganoven und ihr großes Ding" Essay Richard Schuberth (1.6.2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000104117573/Kleinspurganoven-und-ihr-grosses-Ding

Quote
submarino

Gute Analyse. Leider.


Quote
plainberg

wie hat es einmal geheissen, die fpö ist die partei der anständigen und tüchtigen


Quote
Wolfxxi

Dieser Artikel bedient die Vorstellungen der Menschen, meist Maturanten und Akademiker, welche weit weg von den Problemen der breiten Masse ihr Leben genießen dürfen.
Mit den wahren Gefühlen und Überlegungen der angesprochenen Wähler hat dies kaum zu tun.
Quasi gutmenschliche Kundenbindungsstrategie damit der Teil der Wählerschaft welcher auf den "einfachen" FPÖ Wähler herabsieht bestätigt wird.
Für mich eine Art intellektuelle Variante eines Rattengedichtes.


Quote
Cicero22

"Der Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim hat die Funktionabilität von Soldaten in der institutionellen Verlängerung ihrer Adoleszenz erkannt, im Stoppen ihres Reifungsprozesses, ihrer Individuation. Dieser Corpsgeist der ihren Offizieren oder "Leibfüchsen" ergebenen großen Jungs überträgt sich – mit allen homoerotischen Implikationen – auf die rechte Bewegung, als Sammelbecken für Männer, die nicht mehr erwachsen werden können."

Interessant. Ich habe mir auch schon überlegt, weshalb der 43-jährige Gudenus oder der 50-jährige Strache sich in dem Video kaum von meinem 13 jährigen Sohn unterscheiden. Das Ganze wirkt wirklich stark pubertär und die Protagonisten als extrem unreif. Wie halbstarke Jungs mit Entwicklungsverzögerung.


Quote
Joseph Yossarian

Rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ wurden immer als merkwürdige Allianz von Täuschern und Getäuschten gesehen. Der Essay nimmt diese These auseinander und zeigt auf, dass der Getäuschte eigentlich davon träumt zu den Täuschern zu gehören. Ibiza als Wichsvorlage. Macht Sinn.


QuoteAruanda

Apropos kriminelle Energie: Wie stehts mit der Aufklärung der strafrechtswidrigen Auspioniererei und Veröffentlichung? In anderen Ländern weiss man offenbar schon einiges ("Russische Oligarchenichte" ist bosnische Studentin). In Österreich wird offen
bar nicht sonderlicher Wert auf die Aufklärung gelegt, man ist mehr dabei, die Ausspionierten medial zu erledigen. ...


Quote
mir wird schlecht

den vorfall als spionage zu bezeichnen, bestätigt nur die obige zusammenfassung!


Quote
Hey Hey, My My

Selbst Sonderschüler verstehen, dass sich die beiden "Helden" selbst erledigt haben. Die Nichte ist ziemlich irrelvant.

Aber anderer Frage: Habe gerade einen interessanten Essay gelesen und möchte die Probe aufs Exempel machen: Schlägt dein kleinkriminelles Herz nicht höher, wenn zwei du..e Kleinkriminelle von anderen Kleinkriminellen übers Ohr gehauen werden?


Quote
Gerichtlich beeideter Deutschprofessor

Das ist eben die Infantilisierung der Politik.
Findet schon seit Jahrzehnten statt. Haider war einer der ersten, die erkannt haben, dass es sinnlos ist, die Wähler als Erwachsene anzusprechen und zu behandeln. Wer das erwartet, findet heute in Österreich praktisch keine Partei und keinen Politiker mehr, die ihm wählbar erscheinen.


Quote
mowox

Berlusconi - Syndrom
ich will auch so ein Gauner sein der die Puppen tanzen lässt .....


Quote
hotzenplotz1

Schon als Berlusconi Anfang 1990-er zum ersten Mal kandidierte, lobten ihn viele Italiener nicht trotz - sondern wegen - seiner Mafia-Kontakte.


Quote
madeingermany

Die FPÖ macht mit ihren Wählern das, was Zuhälter mit Prostituierten machen: das Angstmachen-Beschützer-Spielchen. ...


...


Link

Quote[...] Die ,,perma­nente Drohung des Unter­gangs" wird nicht nur geahnt, sondern beschworen und im Flücht­ling exter­na­li­siert. Dessen ,krimi­nelle' und ,böse' Quali­täten werden als Gründe für den drohenden Unter­gang herbei­ge­zogen. Diese Zuschrei­bung verdeckt die wirk­li­chen und durchaus ernsten Probleme, die nicht außer­halb, sondern im Inneren des Westens zuhause sind. Der ideo­lo­gi­sche Apparat, der durch die Teilung von Europa und Nicht-Europa in Gang gesetzt wird, funk­tio­niert nur, weil er mit verblüf­fender Einfach­heit erlaubt, jedes euro­päi­sche Problem nach außen zu proji­zieren und glauben zu machen, dass man das Gespenst durch Abgren­zung und Abschot­tung bannen könne. Wenn wir den Mut (und viel­leicht auch die Demut) nicht aufbringen, uns von dem unheil­brin­genden Mythos der euro­päi­schen Ausschließ­lich­keit zu verab­schieden, wenn wir nicht begreifen, dass es keine Teilung in ein über­le­genes Europa und ein minder­wer­tiges Nicht­eu­ropa gibt, wir nicht begreifen, dass die Probleme der Welt – einschließ­lich des Rechts­po­pu­lismus und dessen, wovon der Rechts­po­pu­lismus selbst ein Symptom ist – sich in Europa (und dem Westen) abspielen, wird Europa von der Kata­strophe – sei es der sozialen oder ökolo­gi­schen oder rechts­po­pu­lis­ti­schen – einge­holt werden, die es imagi­niert.

Von Søren Kier­ke­gaard, Karl Marx oder Carl Schmitt haben wir lernen können, dass eine Krise weniger eine Ausnahme von der Regel ist, sondern viel­mehr auf den Normal­zu­stand hinweist. Viel­leicht lohnt es sich zu fragen, welche Norma­lität durch Ibiza­gate durch­scheint und was dieser Skandal anderes über die euro­päi­sche Gesell­schaft aussagt als ,,Tout va très bien, madame la marquise".

Zaal Andronikashvili ist Literaturwissenschaftler. Er arbeitet am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Dort koordiniert er ein Projekt über die "Kulturelle Semantik des Schwarzen Meeres".


Aus: "Strache oder Die Tragödie hinter der Farce" Zaal Andronikashvili (2019)
Quelle: https://geschichtedergegenwart.ch/strache-oder-die-tragoedie-hinter-der-farce/

Link

#29
Quote[...] Der am Wochenende festgenommene mutmaßliche Mörder des Kasseler CDU-Politikers Walter Lübcke hatte zumindest in der Vergangenheit eindeutige Verbindungen in die rechtsextreme Szene und war im Umfeld der hessischen NPD aktiv, berichtet der "Spiegel". Der Tatverdächtige sei vor zehn Jahren zusammen mit fast 400 "Autonomen Nationalisten" in Dortmund von der Polizei festgenommen worden. Die Rechtsradikalen hatten damals am 1. Mai eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DBG) attackiert.

Der Verdächtige wurde damals wegen Landfriedensbruchs zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Auf seinem YouTube-Kanal soll Stephan E. geäußert haben, wenn die Regierung nicht bald handle, werde es Tote geben. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden Waffen gefunden, aber nicht die Tatwaffe.

Laut "Spiegel" fiel der Mordverdächtige der Polizei in der Vergangenheit mehrfach wegen Gewaltdelikten, Verstößen gegen das Waffengesetz, Eigentumsdelikten sowie weiterer Straftaten auf. Ob er in diesen Fällen verurteilt wurde, sei bisher nicht bekannt. Zudem soll er der Neonazi-Vereinigung "Combat 18" nahestehen. Die Festnahme geht den hessischen Ermittlern zufolge auf eine DNA-Spur zurück, die zu einem Treffer in einer Datenbank führte. Laut "Süddeutscher Zeitung" liegen über den Mann polizeiliche Erkenntnisse über Landfriedensbruch, Körperverletzung und Waffenbesitz vor.


Angesichts der besonderen Bedeutung des Falls hat nun die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Zu den Gründen für die Übernahme wollte sich die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht äußern. Der Generalbundesanwalt verfolgt Taten terroristischer Vereinigungen. Ermittlungen gegen Einzeltäter kann er aber dann übernehmen, wenn dem Fall wegen dem Ausmaß der Rechtsverletzung und den Auswirkungen der Tat "besondere Bedeutung" zukommt. Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Hessen) westlich von Kassel entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb kurz darauf. Seither ermittelt eine mittlerweile 50-köpfige Sonderkommission. Nach dem Tod Lübckes hatten hasserfüllte und hämische Reaktionen aus der rechten Szene im Internet für Empörung gesorgt. (red, APA, 17.6.2019)

Links
Spiegel.de: Generalbundesanwalt übernimmt Mordfall Lübcke : https://www.spiegel.de/panorama/justiz/walter-luebcke-generalbundesanwalt-uebernimmt-mordfall-a-1272754.html
Tageschau: Generalbundesanwalt ermittelt : https://www.tagesschau.de/inland/luebcke-123.html



Aus: "Mutmaßlicher Lübcke-Mörder war im Umfeld der deutschen NPD aktiv" (17. Juni 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000104987802/Mutmasslicher-Luebcke-Moerder-war-im-NPD-Umfeld-aktiv

--

Quote[...] Es ist der 14. Oktober 2015, 20 Uhr. Im Bürgerhaus der hessischen Gemeinde Lohfelden beginnt eine Versammlung, Thema ist eine Erstaufnahmeunterkunft des Landes für Flüchtlinge im ehemaligen Hornbach-Gartenmarkt im Ort. Walter Lübcke berichtet als Vertreter der Landesregierung über die Pläne. Es ist eine der vielen Informationsveranstaltungen, wie sie zu dieser Zeit an vielen Orten in Deutschland stattfinden. Die Behörden versuchen, mit den Menschen zu reden, ihnen zu erklären, wer in die Notunterkünfte in ihrer Nachbarschaft einziehen wird, woher die künftigen Bewohner kommen, wie lange sie bleiben werden. Aufklärung, so die Hoffnung, werde die Emotionen dämpfen, die Ängste verringern.

Doch Rechte nutzen diese Veranstaltungen für das Gegenteil. Sie wollen Angst schüren, wollen aufwiegeln. Auch in Lohfelden. Lübcke wird an diesem Abend immer wieder unterbrochen und beschimpft. Bis er diesen einen Satz sagt, von dem sich Rechte im ganzen Land provoziert fühlen und den sie nutzen, um Stimmung gegen ihn und gegen die Pläne der Regierung zu machen.

Noch am selben Tag wird ein knapp einminütiges Video der Veranstaltung auf YouTube hochgeladen. Es ist bis heute online. Der Ausschnitt ist kurz, er zeigt vor allem Lübckes Äußerung, man müsse für Werte eintreten, wer das nicht wolle, könne das Land jederzeit verlassen, das sei die Freiheit eines jeden. "Buh, Pfui, Verschwinde!", rufen Leute im Saal. In den Kommentaren unter dem Video werden viele eindeutiger. Sie zeugen von Hass. "Dreckiges Arschloch! Verpiss dich selber!", ist noch einer der harmloseren.

Am Tag darauf berichtet die extrem rechte und viel gelesene Website PI News über die Veranstaltung. Unter dem Artikel veröffentlicht PI News die Büroadresse Lübckes samt seiner Telefonnummer und seiner E-Mail-Adresse. Kommentiert ist das nicht, doch ganz offensichtlich ist das als Aufruf gemeint, diesem Menschen mal so richtig die Meinung zu sagen und zu schreiben. In einem zweiten Text wird das Video verbreitet mit dem Zusatz: "Sie sollten sich was schämen, Herr Lübcke!!! (Abgelegt unter Volksverräter)"

Andere rechte Medien greifen das am 16. Oktober auf, mit ähnlichem Tenor. Am 17. Oktober berichtet die Regionalzeitung Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, dass Lübckes Auftritt gezielt gestört und provoziert worden sei. Anhänger der Kagida – des Kasseler Ablegers der rassistischen Pegidabewegung – hätten sich im Saal verteilt und den Regierungspräsidenten wiederholt beleidigt. "Irgendwann platzte ihm der Kragen und er sagte seinen verhängnisvollen Satz", schreibt die HNA. Er habe damit nur die Störer gemeint, so die Zeitung. Lübcke selbst sagt das auch, seine Aussage sei an jene gerichtet gewesen, die durch Zwischenrufe ihre Verachtung unseres Staates artikuliert oder diesen Schmähungen applaudiert hatten. Die rechte Empörungskampagne stoppt das nicht. PI bringt in den kommenden Tagen noch zwei weitere Texte über Lübcke und seine Äußerung.

Lübckes Sprecher sagte damals laut Süddeutscher Zeitung, in der Zeit nach der Veranstaltung habe der Regierungspräsident eine Welle von Hassmails und Drohungen bekommen, auch aus dem Milieu sogenannter Reichsbürger.

Montag, 19. Oktober 2015, Dresden. 20.000 Menschen sind dem Aufruf der rassistischen Pegidabewegung gefolgt und haben sich auf dem Theaterplatz versammelt. Pegida feiert einjähriges Bestehen, Hauptredner ist der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci. Seine Rede beginnt er mit einer Beschreibung der Bürgerversammlung in Lohfelden. Lübckes Satz kommentiert Pirinçci mit den Worten: "Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert." Und weiter: "Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZ sind ja leider derzeit außer Betrieb." Die Menschen auf dem Platz applaudieren.

Der Empörung folgt nun eine Gegenempörung, auch weil Pirinçcis seltsam formulierter Satz in den kommenden Tagen oft falsch interpretiert wird. Viele Medien berichten, er habe das KZ-Zitat in Bezug auf Ausländer gesagt oder gemeint, was nicht stimmt. Er meinte offensichtlich Lübcke und unterstellte, wer Deutsche auffordere, das Land zu verlassen, der könne sich auch vorstellen, sie in Konzentrationslager zu stecken.

Pirinçci wird für diesen Satz angezeigt und muss eine Geldstrafe bezahlen. Dass einer der vielen Kommentatoren bestraft wird, die Lübcke bedrohen, wird nicht bekannt. Dabei hören die Beleidigungen an die Adresse des Regierungspräsidenten nie auf. Nach seinem Tod zitiert der Hessische Rundfunk den stellvertretenden Regierungspräsidenten Hermann-Josef Klüber, Lübcke sei immer wieder von bestimmten Gruppen bedroht worden, unter anderem von sogenannten Reichsbürgern, "die sich vielfach in unverschämten Schreiben an uns wenden und auch Drohungen gegen den Präsidenten ausrichten".

Im Januar 2016 wird das Video der Bürgerversammlung erneut hochgeladen. Einer der Kommentare darunter: "Aufhängen diese Schweine. Unfassbar was hier abgeht."

Es ist ein ständiges Befeuern des immer gleichen Gewaltaufrufes. Ob solche Kommentare oder Galgen bei Pegidademos – wer sich für Geflüchtete einsetzt, wird bedroht, wer solche Drohungen äußert, wird von anderen bestärkt und beklatscht.

Immer wieder wird der einminütige Clip in den folgenden Jahren von unterschiedlichen Menschen auf YouTube veröffentlicht, etwa am 4. Februar 2018. Ein Nutzer namens "Thor", der das Video am 9. Februar 2019 hochlädt, schreibt dazu, es sei zwar von 2015, "verdient es aber, aus der Versenkung geholt zu werden".

Am 6. Februar 2019 postet ein rechter Blogger erneut über Lübckes Zitat. "CDU-Politiker rät Deutschen ihr Land zu verlassen, wenn sie mit Merkels Asylpolitik nicht einverstanden sind", lautet der Titel. Mittlerweile ist das Blog gelöscht.

Am 18. Februar 2019 verlinkt die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach diesen Blogpost in einem Tweet, schreibt dazu: "Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen bevor sie ihre Heimat aufgeben!" Eine der Antworten darunter: "Irgendwann ist Schluss! Ich verteidige meine Heimat bis zuletzt!" Eine andere: "Den hätt ich von der Bühne gerissen, das Schwein !!" Weitere Antwort-Tweets, unter anderem Bilder von einem Galgen und von einer Pistole, wurden inzwischen gelöscht.

Am 2. Juni wird Walter Lübcke auf der Terrasse seines Hauses in den Kopf geschossen. Er stirbt wenig später im Krankenhaus.

Und noch immer posten Nutzer unter den YouTube-Videos Kommentare. Vor wenigen Tagen schrieb "Der teutonische Berserker82": "Ein Verräter weniger!! Aufrechte Deutsche werden ihm nicht eine Träne hinterher trauern."



Aus: "Fall Walter Lübcke: Angestachelt zur Gewalt"  Kai Biermann und Frida Thurm (18. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-06/walter-luebcke-hass-hetze-bedrohungen-drohbriefe-rechtsextremismus/komplettansicht

Link

Quote[...] Es war eine Tat, die große Aufmerksamkeit erregte. Aber die politischen Hintergründe bekam kaum jemand mit. Am späten Nachmittag des 22. Juli 2016 erschoß der 18-jährige David Ali S. im Olympia-Einkaufszentrum in München-Moosach nacheinander neun Menschen, meist Jugendliche. Fünf weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Polizei und Medien vermuteten anfangs einen islamistischen Terroranschlag, später setzte sich die Bezeichnung "Amoklauf" durch. Der Täter sei sozial isoliert gewesen, ein Fan von Ego-Shooter-Computerspielen und seit Jahren in psychiatrischer Behandlung.

All das stimmt. Und greift doch zu kurz. Denn David Ali S.' Opfer waren ausnahmslos Menschen mit Migrationshintergrund oder Sinti und Roma. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Täter sie kollektiv mitverantwortlich machte für jahrelanges Mobbing durch migrantische Mitschüler. Er verehrte den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik und wählte für sein eigenes Attentat den fünften Jahrestag von dessen Anschlag. Während eines Klinikaufenthalts zeigte S. Hitlergrüße und zeichnete Hakenkreuze. Er stilisierte sich zum "Arier", weil das Wort ursprünglich persischer Herkunft ist und ein Teil seiner Familie aus dem Iran kommt. In Texten, die er vor der Tat schrieb, fanden sich übelste, rassistische Beschimpfungen: Von "Scheißtürken", "Kakerlaken" und "ausländischen Untermenschen" war da die Rede. "Ihr habt hier in Deutschland nichts zu suchen, die AfD wird euch alle ausschalten", schrieb er und kündigte "Anschläge für mein Land, für Deutschland" an. David Ali S. sprach auch von einer "Operation Münchencleaning": "Ich werde jetzt jeden deutschen Türken auslöschen, egal wer."

S. hatte für seine Tat eindeutig rassistische Motive. Dennoch tauchen die neun Getöteten von München nicht in den staatlichen Statistiken zu rechter Gewalt auf. Und sie sind bei Weitem nicht die einzigen. Lediglich 83 Tote seit 1990 nannte das Bundesinnenministerium im Juni dieses Jahres in seiner Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Linkspartei). Doch nach Recherchen von ZEIT ONLINE und Tagesspiegel liegt die Zahl mindestens doppelt so hoch. Beide Medien recherchieren und sammeln seit 2010 in einem Langzeitprojekt Fälle von rechtsmotivierter Gewalt und kommen auf mindestens 169 Todesopfer. Ergebnisse eines Vorläuferprojekts hatte der Tagesspiegel erstmals im September 2000 gemeinsam mit der Frankfurter Rundschau veröffentlicht.

Wie kann es sein, dass die offiziellen und die tatsächlichen Fallzahlen noch immer so weit auseinanderliegen – wo doch die Sicherheitsbehörden nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) im November 2011 Besserung gelobten und versprachen, künftig ganz genau hinzuschauen?

Es wäre falsch, den Behörden pauschal zu unterstellen, sie seien "auf dem rechten Auge blind". Doch offenbar funktioniert das staatliche Erfassungssystem für einschlägige Gewalttaten immer noch nicht richtig.

Dies ist aus mehrerlei Gründen ein Problem: Zum einen beklagen Angehörige und Hinterbliebene oft, es sei für sie ein Schlag ins Gesicht, wenn Taten aus Hass gegen Minderheiten in der Öffentlichkeit als unpolitische Kriminalität wahrgenommen werden.

Zum anderen haben die Sicherheitsbehörden ein Eigeninteresse an zutreffenden Statistiken: Sie sind eine wichtige Basis für sogenannte Lagebilder und Gefahrenanalysen, auf deren Grundlage dann Polizei und Justiz den Einsatz ihrer Kräfte planen oder Innenpolitiker ihre Prioritäten setzen. Wird Gewalt von rechtsaußen systematisch unterschätzt, kann der Staat nicht angemessen darauf reagieren.   

Um den Gründen für die lückenhafte Statistik auf die Spur zu kommen, muss man eintauchen in die Geschichte und die Details der staatlichen Zahlenwerke. Ihr offizieller Fachterminus lautet "Politisch-motivierte Kriminalität – rechts" (kurz: "PMK-rechts"). Dieser wurde 2001 eingeführt, weil sich frühere Definitionen als zu eng erwiesen hatten. Bis dahin ging es in den Statistiken um "rechtsextremistische" Delikte. Doch um als "extremistisch" zu gelten, musste eine Tat auf die Abschaffung des Staats oder seiner freiheitlich-demokratischen Grundwerte zielen. Methodisch fielen daher viele Delikte vor allem aus der militanten Szene durchs Raster, zum Beispiel Angriffe von Neonazi-Skinheads auf Migranten oder Punks. Denn sie wollten ja nicht den Staat umstürzen. Die Opfer wurden oft nur gezählt, wenn die Täter auch Mitglieder einer rechtsextremistischen Gruppe waren.

Nach massiver öffentlicher Kritik reformierten die Innenminister aus Bund und Ländern die gesamte Zählmethodik zum 1. Januar 2001. Seitdem wurde sie mehrmals im Detail geändert, zuletzt Anfang 2017. Nun liegen die Hürden für die Einstufung einer Tat als "politisch motiviert" deutlich niedriger. Eigentlich zählen seit der Reform alle Taten zur "PMK-rechts", bei denen den Täter mehr oder weniger ausgeprägte rechte Vorurteile trieben. Die offizielle Definition beschreibt es hölzern so:

"Wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ... gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder äußeren Erscheinungsbildes gerichtet sind ..."

Explizit wird darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung einer Tat auch "die Sicht der/des Betroffenen" einzubeziehen ist. Wenn also ein Opfer den Eindruck hat, aus politischen Gründen angegriffen worden zu sein, soll das ebenfalls als Grund zum Zählen gelten.

Ganz grundsätzlich weist die Definition außerdem darauf hin, dass es der "wesentliche Kerngedanke einer 'rechten' Ideologie" ist, von einer Ungleichheit oder Ungleichwertigkeit von Menschen auszugehen. Dies gilt natürlich für Rassismus und Islamhass, aber eben auch für Phänomene wie Schwulenfeindlichkeit oder Verachtung für Obdachlose.

Ein rassistisch motivierter Angriff auf einen Flüchtling muss seit 2001 also auch dann in die Statistik einfließen, wenn der Täter kein NPD-Parteibuch hat. Wird ein Obdachloser von jemandem zusammengeschlagen, der ihn für minderwertig hält, ist das ebenfalls zu zählen.

Doch genau dies geschieht bis heute in vielen Fällen nicht. Die neun Getöteten von München fehlen in der Statistik, weil das bayerische Landeskriminalamt (LKA) bei der Bewertung der Tat die psychische Störung und die Mobbingerfahrung des Täters als ausschlaggebend ansah. Dafür bekamen die Beamten sogar Rückendeckung von ihrem obersten Dienstherrn. "Es ist nicht erkennbar", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), "dass der Täter einen Bezug zu Rechtsextremisten hatte". Selbst der Minister hat also offenbar noch immer nicht verstanden, dass "ein Bezug zu Rechtsextremisten" seit 2001 überhaupt nicht mehr erforderlich ist für eine Einstufung als rechtsmotiviertes Tötungsdelikt.

Die bayerischen Innenbehörden hingen "einem stark antiquierten Verständnis" von politischer Gewalt an, kritisiert der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Florian Hartleb. Er hat im Auftrag der Stadt München ein Gutachten zu der Tat verfasst und stuft den Anschlag als Rechtsterrorismus ein. In diesem Spektrum seien fanatisierte Einzeltäter durchaus üblich, schreibt er, und rechtsextrem radikalisieren könne man sich im Internet-Zeitalter auch ohne direkte Anbindung an extremistische Gruppen.

Den Sicherheitsbehörden hält Hartleb vor, mit zweierlei Maß zu messen: Rechts seien sie zögerlich, schreibt er in seinem Gutachten. Bei Einzeltätern des "Islamischen Staats" hingegen "genügt es schon für den Befund ,Terrorist', wenn der Gewalttäter ein IS-Symbol im Zimmer oder gemalt auf dem Rucksack hat".

Die Fehleinschätzung zum Münchner "Amoklauf" ist alles andere als ein Einzelfall. Wie erwähnt kommen ZEIT ONLINE und Tagesspiegel auf mindestens 169 Menschen, die seit der Wiedervereinigung von rechtsmotivierten Tätern umgebracht wurden. Von ihnen sind aber nur 83 offiziell anerkannt. Bei 86 weiteren Toten ist sich das Rechercheteam jedoch sicher, dass es sich um Opfer rechter politischer Gewalt handelt und sie deshalb in die offizielle Statistik aufgenommen werden müssten. Hinzu kommen 61 Tote, bei denen sich letzte Zweifel nicht ausräumen ließen, weshalb sie hier lediglich als "Verdachtsfälle" gezählt wurden.

Für die Recherchen wurden Zeugen und Hinterbliebene, Staatsanwälte, Opferberater und Antifa-Gruppen befragt. Ermittlungsakten und Gerichtsurteile wurden ausgewertet, alte Lokalzeitungen und Stadtarchive durchforstet. Die Kriterien für die Bewertung der Fälle waren dieselben wie jene der offiziellen PMK-Statistik – nur schauen die Beamten vielerorts offenbar weniger genau hin.

Motivationen zu ergründen ist oft schwer, häufig schweigen die Täter oder leugnen politische Hintergründe. Zudem sind Tatmotive für Ermittler häufig zweitrangig. Ist der Täter gefasst, schließen sie die Fallakte. Nicht selten fehlt es aber auch an Interesse oder Kompetenz, Motive wie Schwulenfeindlichkeit oder Verachtung für Obdachlose zu erkennen.

Als ein Grundproblem hat sich erwiesen, dass die PMK-Statistiken von der Polizei geführt werden, politische Hintergründe einer Tat sich oft aber erst später im Gerichtsverfahren zeigen. Gelegentlich scheuen überlastete Richter in ihren Urteilen auch Ausführungen zur Motivation, weil das zusätzliche Arbeit bedeutet und obendrein mehr Angriffspunkte schafft für eine mögliche Revision durch die Verteidiger. Dutzendfach geraten so eindeutig politische Taten nicht in die offiziellen Statistiken.

Im Jahr 2015 hatten ZEIT ONLINE und Tagesspiegel ihre Liste letztmalig aktualisiert. Seitdem gab es – laut der offiziellen PMK-Statistik – lediglich ein weiteres Todesopfer rechtsmotivierter Gewalt: den Polizeibeamten Daniel E., den am frühen Morgen des 19. Oktober 2016 im bayerischen Georgensgmünd ein Anhänger der sogenannten Reichsbürger-Szene erschoss, als sein Haus nach Waffen durchsucht werden sollte.

Tatsächlich aber sind in den vergangenen drei Jahren mindestens zwölf Menschen durch rechtsmotivierte Gewalt ums Leben gekommen. Neben dem Polizeibeamten E. und den neun Opfern des Münchner Attentats auch der 34-jährige Eugeniu Botnari und die 85-jährige Ruth K. Der Moldawier Botnari wurde am 17. September 2016 in Berlin-Lichtenberg vom Geschäftsführer eines Supermarkts brutal zusammengeschlagen, nachdem er ihn bei einem Ladendiebstahl erwischt hatte. Das Opfer starb drei Tage später an den Folgen, der Täter verschickte ein Handy-Video mit rassistischen Kommentaren.

Das bislang letzte Opfer ist Ruth K., eine Rentnerin aus dem sächsischen Döbeln. Sie starb bei einem Brandanschlag auf einen Flüchtling, der im selben Haus wohnten wie sie. An diesem Fall ist besonders, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ihn sehr wohl als rechtsmotiviertes Tötungsdelikt eingestuft hat. Doch das Sächsische Innenministerium und das LKA Sachsen sehen keinen politischen Hintergrund, weshalb die Tat auch in der bundesweiten Statistik rechtsmotivierter Gewalt nicht auftaucht.

Obwohl es eine klare Definition gibt, die bundesweit abgestimmt ist und einheitlich angewandt werden soll, gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bei der Bewertung von Taten. Die von Hinterbliebenen, Opferberatungsstellen und Oppositionsparteien kritisierten Lücken in der Erfassung sind in den vergangenen Jahren in zwei Ländern sogar offiziell bestätigt – und teils korrigiert – worden: Brandenburg 2015 und zuletzt Berlin im Mai 2018 ließen von externen Wissenschaftlerteams systematisch Fälle überprüfen, die nicht in den offiziellen Statistiken auftauchten, aber auf der Liste von ZEIT ONLINE und Tagesspiegel. 

Das Ergebnis war frappierend: In Brandenburg verdoppelte sich die Zahl der anerkannten Opfer von neun auf 18, Berlin zählt statt zwei offiziellen Toten jetzt sieben weitere und damit insgesamt neun. Beide Länder haben damit nun rund 70 Prozent aller Fälle offiziell anerkannt, die auch in der Liste von ZEIT ONLINE und Tagesspiegel stehen. Demgegenüber liegt die Quote in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Niedersachsen oder Bayern unter 30 Prozent. Die meisten Länder lehnen eine selbstkritische Überprüfung ab. Wegen des Föderalismus sind die jeweiligen Landespolizeien die entscheidenden Stellen für die Einstufung einer Tat, beim Bundeskriminalamt werden die Meldungen aus den Ländern lediglich zu einer bundesweiten Statistik zusammengeführt.

Zumindest was die neun Toten des Münchner "Amoklaufs" angeht, scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Grünen im bayerischen Landtag fordern seit Monaten eine offizielle Anerkennung. Die Stadt München hatte neben Florian Hartleb noch zwei weitere Wissenschaftler um Gutachten gebeten. Sie kamen einhellig zu dem Ergebnis, dass die Tat als politisch motivierte Gewalt zu werten sei. Auch das Bundesamt für Justiz, das für finanzielle Hilfen für Opfer und ihre Angehörige zuständig ist, geht längst von einer politischen Tat aus. Zuletzt wurde bekannt, dass der Täter David S. Kontakt mit einem ebenfalls rassistischen Todesschützen aus den USA hatte. "Unter Einbeziehung der neuen Erkenntnisse werden wir eine Neubewertung vornehmen", sagte ein Sprecher des bayerischen LKA auf Anfrage und schob hinterher: "Wie die ausfällt, ist offen." 


Aus: "Rechte Gewalt: Getötet aus Hass und Verachtung"  Johannes Radke und Toralf Staud (27. September 2018)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/rechte-gewalt-rechtsextremismus-terrorismus-statistik-kritik/komplettansicht

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/todesopfer-rechte-gewalt-karte-portraet

QuoteSimma Wiedersoweit #1

"Doch die Behörden erkennen nur die Hälfte der Fälle als politische Gewalt an."

Und warum? Unterschiedliche Auffassung von der Realität? Oder ist es doch so, wie viele von uns seit Jahren befürchten:
Die Behörden haben kein starkes Interesse am Kampf gegen den Rechtsextremismus, schlimmer noch: die Szene wird womöglich von Teilen der Behörden gestützt (siehe zum Beispiel die diversen Verfassungsschutz-Skandale der letzten Jahre).


-

Quote[...] Der Mörder kam durch den Schnee. Am späten Abend des 19. Dezember 1980, klingelte er in einem bürgerlichen Ortsteil von Erlangen am Haus seiner Zielperson. Als Shlomo Levin öffnete, feuerte der Täter sofort. Zuerst traf er den Rabbiner und Verleger in den Unterarm, dann in den Kopf, schließlich in die Brust und erneut in den Kopf. Der Gerichtsmediziner stellte später fest, dass erst die dritte Kugel tödlich war. Danach ging der Täter ins Wohnzimmer des Bungalows und feuerte viermal auf die Lebensgefährtin Levins, Friederike Poeschke.

,,Man wollte töten", sagte der zuständige Oberstaatsanwalt vor Zeugen. Das war tatsächlich unübersehbar. Nur: Warum? Ein kaum zu übersehendes Indiz führte die 37 Ermittler einer Sonderkommission schließlich auf die richtige Fährte. Denn neben Schlomo Levins Leiche lag eine hellblaue Damensonnenbrille.

Sie konnte dank des eher seltenen Modells der 34-jährigen Franziska B. zugeordnet werden. Sie war zum Zeitpunkt der Tat die Freundin des Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann, dessen terroristische Wehrsportgruppe Hoffmann Anfang 1980 verboten worden war. Außerdem fand man an Bungalow von Levin eine Perücke, in der ein echtes Haar der Verdächtigen klebte, sowie einen Fußabdruck, der ihr zugeordnet werden konnte.

Franziska B. war also am Tatort gewesen, während oder unmittelbar nach der Tat. Geschossen hatte sie jedoch nicht. Das tat den Erkenntnissen der Ermittler zufolge Uwe Behrendt, ein 29 Jahre altes Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe. Er floh in den Libanon und beging hier 1981 unter ungeklärten Umständen Selbstmord.

Insgesamt fielen seit 1945 in Deutschland fast 200 Menschen rechtsextremer Gewalt zum Opfer. Die allermeisten von ihnen waren Ausländer, oft Flüchtlinge oder Asylbewerber, einige auch Obdachlose – Zufallsopfer, die von Extremisten angegriffen wurden, weil diese ihren Hass auslebten.

Hingegen waren nach dem Zweiten Weltkrieg Attentate rechtsextremer Straftäter auf prominente Persönlichkeiten eher selten. Bislang das letzte Opfer eines solchen politisch motivierten, gezielten Anschlages war Schlomo Levin 1980. Bislang, denn falls sich der gegenwärtige Fahndungsansatz der hessischen Polizei bewahrheitet und tatsächlich ein jetzt inhaftierter 45-jähriger Rechtsextremist der Täter im Mordfall Walter Lübcke gewesen sein sollte, würde sich das ändern.

Jedenfalls hat bereits der Generalbundesanwalt die Leitung des Verfahrens an sich gezogen – gewöhnlich ein deutlicher Hinweis auf mutmaßlich extremistische Hintergründe einer Tat. Denn zuständig ist der höchste Ankläger der Bundesrepublik nur in Fällen von besonders gefährlicher staatsgefährdender Kriminalität; normalerweise ist die Strafverfolgung ebenso wie die Polizei Ländersache.

Rechtsextreme Gewalt und als seine Steigerung rechtsextremer Terrorismus sind seit Jahrzehnten ein genauso großes Problem in der Bundesrepublik wie linksextreme Verbrechen. Allerdings unterscheiden sich Tatmuster und Ziele deutlich.

Rechte Gewalt richtet sich im überwiegenden Teil der Fälle gegen Menschen nicht deutscher Herkunft. Der Mord an der Streifenpolizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007 war eine Ausnahme innerhalb der Verbrechensserie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Die übrigen neun ausgeführten Mordanschläge nämlich galten meist türkischen Immigranten, ebenso der Bombenanschlag in Köln-Mülheim 2004.

Linksextreme Gewalt dagegen richtet sich in auffallend vielen Fällen direkt gegen Polizisten und Soldaten – jedes zweite Opfer der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) zwischen 1970 und 1991 war ein Vertreter der Staatsgewalt. Auch die beiden Todesopfer der ,,autonomen" Demonstrationen gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen 1986 waren Polizisten, ebenso wie sieben dabei teilweise schwer Verletzte. Entgegen oft zu lesender Behauptungen richtete sich linksextremer Terrorismus eben nicht nur gegen herausragende Repräsentanten der Wirtschaft oder des Staates: Die RAF brachte insgesamt sieben solche Opfer um – genauso viele wie ihre Anschläge Tote unter völlig unbeteiligten Zivilisten forderten.

Das ist ein deutlicher Unterschied zur rechtsextremen Gewalt vor 1933. Damals griffen völkische und antisemitische Attentäter besonders oft führende Politiker des linken und liberalen Spektrums an. Die bekanntesten, aber bei Weitem nicht einzigen Beispiele sind Reichsaußenminister Walter Rathenau 1922, Bayerns sozialistischer Ministerpräsident Kurt Eisner 1919 und der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger 1921.

Sollte sich bewahrheiten, dass Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten gezielt aus politischen Gründen umgebracht wurde, so würde die Liste der ermordeten Politiker um einen Namen länger. Gegenwärtig aber handelt es sich offenbar erst um einen Verdacht.

Franziska B. wurde wegen Beihilfe zum Doppelmord an Schlomo Levin und Friederike Poeschke angeklagt, jedoch genügten die Indizien nicht. Da der Täter tot war, konnte sie 1984 lediglich für andere Delikte wie Geldfälschung zu sechs Monaten Haft verurteilt werden. Ihr Freund Karl-Heinz Hoffmann, der nach Ansicht der Ermittler den Mord in Auftrag gegeben haben sollte, erhielt zwar neuneinhalb Jahre Gefängnis, aber ebenfalls wegen weiterer Delikte, nicht wegen der Tat in Erlangen.


Aus: "Seit 1945 töteten Rechtsextremisten fast 200 Menschen" Sven Felix Kellerhoff, Leitender Redakteur Geschichte (18.06.2019)
Quelle: https://www.welt.de/geschichte/article195455449/Walter-Luebcke-Seit-1945-toeteten-Rechtsextremisten-fast-200-Menschen.html


Link

#31
Quote[...] 1212 rechte Angriffe in Berlin und den ostdeutschen Bundesländern - damit bilanzieren die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr: 2017 hatten sie 1123 Gewalttaten dokumentiert, die rechts, rassistisch oder antisemitisch motiviert waren.

"Damit sind in Ostdeutschland täglich mindestens fünf Menschen Opfer rechter Gewalt geworden", erklärte Robert Kusche, vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt (VBRG). Unter den 1789 direkt Betroffenen seien auch mehr als 250 Kinder und Jugendliche gewesen.

Zwei Drittel aller Angriffe - 793 Fälle - waren laut Verband rassistisch motiviert und richteten sich zu einem großen Teil gegen Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund und schwarze Deutsche. Die Angaben des VBRG beziehen sich nur auf den Osten Deutschlands, da es in Westdeutschland nicht genug Stellen gibt, die rechte Gewalt flächendeckend erfassen könnten. "Wir würden anders diskutieren, wenn wir auch die westdeutschen Zahlen kennen würden", sagte Kusche.

...


Aus: "Täglich fünf Opfer: Rechte Gewalt in Ostdeutschland steigt an" (Dienstag, 02. April 2019)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Rechte-Gewalt-in-Ostdeutschland-steigt-an-article20942533.html

-

Quote[...] Für das Jahr 2018 wurden erneut mehr als 20.000 rechtsextreme Straftaten erfasst, im Schnitt mehr als 50 Delikte am Tag. Es gab fast zwanzig Prozent mehr antisemitische Straftaten als im Vorjahr, von denen über 90 Prozent als rechtsextrem kategorisiert wurden. 173 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wurden gezählt, deutlich weniger als 2015 und 2016, aber immer noch mehr als vor Beginn der Welle flüchtlingsfeindlicher Gewalt im Jahr 2014.

Die tatsächlichen Zahlen liegen wohl noch höher: Während die Polizei drei rechte Gewalttaten am Tag zählt, kommen die Opferberatungsstellen auf fünf solcher Delikte allein in Ostdeutschland und Berlin.

Wer sich die Zahlen über den Verlauf der letzten 15 Jahre anschaut, sieht deutlich: Rechtsextreme Gewalt ist ein Problem, das die deutschen Sicherheitsbehörden nicht in den Griff bekommen. In manchen Jahren gibt es einen drastischen Zuwachs, wie 2015 und 2016 – was es aber nie gibt, ist ein deutlicher Rückgang: Die Marke von 15.000 Taten wurde seit 2004 nicht mehr unterschritten.

Es ist eine seltsame Situation: Einerseits wird ein verschärftes Polizeigesetz nach dem anderen verabschiedet, mit dem Argument mangelnder Sicherheit wird die Ausweitung sicherheitsbehördlicher Befugnisse von der Telekommunikationsüberwachung bis zur Polizeipräsenz auf einem linken Festival gerechtfertigt – und das alles in Zeiten, in denen die Kriminalitätsrate so niedrig ist wie seit 25 Jahren nicht. Andererseits werden die Stimmen derjenigen, die tatsächlich einen Grund haben, sich nicht immer sicher zu fühlen, nämlich alle, die ins Feindbild der Rechten passen, von den sicherheitspolitisch Verantwortlichen ignoriert.

Das findet Widerhall in der Bevölkerung: Während die allgemeine Kriminalität meist als viel höher eingeschätzt wird, als es die Zahlen belegen, wird rechte Gewalt oft höchstens als Phänomen der Vergangenheit eingeordnet. Kein Zufall, sondern Ergebnis der politischen Kommunikation, allen voran der von Seehofers Innenministerium – das sich offenbar nicht einmal von den eigenen Statistiken überzeugen lässt.


Aus: "Kommentar Neue Zahlen rechte Gewalt: Die Sicherheit der anderen" Kommentar von Malene Gürgen (14. 5. 2019)
Quelle: http://www.taz.de/Kommentar-Neue-Zahlen-rechte-Gewalt/!5591634/


Link

Quote[...] Bei den Ermittlungen zum Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke haben die Behörden am Wochenende einen 45-jährigen polizeibekannten Rechtsextremen als mutmaßlichen Täter identifiziert. Politik und Öffentlichkeit sind erschrocken – dabei hat es seit dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche militante und terroristische Personen und Strukturen am rechten Rand gegeben.

Doch wenn in der Bundesrepublik von Terrorismus gesprochen wurde, dann ging es jahrzehntelang meist um Linksextreme, vor allem um die Rote Armee Fraktion (RAF). Deren Vorgehensweise und deren Strukturen – seitenlange Bekennerpamphlete, feste Kommandostrukturen, teils offene Unterstützerszenen – prägten das Bild von Terrorismus. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 ist dann vor allem der Islamismus in den Mittelpunkt gerückt – sowohl was die Arbeit der Sicherheitsbehörden als auch die öffentliche Aufmerksamkeit angeht. Das Auffliegen des NSU 2011 änderte dies nur vorübergehend. Welch lange Tradition rechter Terrorismus in Deutschland hat – und vor allem, dass er grundsätzlich anders strukturiert ist als etwa sein linkes Gegenstück, – ist kaum bekannt.

Inzwischen schon sieben Jahrzehnte lang pflegen Rechtsextreme den Mythos geheimer "Werwolf"-Einheiten im Untergrund. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs hatte SS-Reichsführer Heinrich Himmler die Organisation Werwolf ins Leben gerufen. In Kleingruppen organisiert sollten deren Kämpfer hinter den Frontlinien in bereits befreiten Teilen Hitlerdeutschlands Sabotage- und Terrorakte verüben. Zwar scheiterte dieser Guerillakrieg kläglich, doch die Legende lebte fort.

Nach 1945 gab es immer wieder Grüppchen, die sich in der Werwolf-Tradition sahen: In den 1970er-Jahren flog die Wehrsportgruppe Werwolf im Umfeld des Neonazianführers Michael Kühnen auf. 1992 wurde in Brandenburg eine Truppe namens Werwolf Jagdeinheit Senftenberg ausgehoben. Sie hatte sich nicht nur mit Maschinengewehren und Handgranaten ausgestattet, sondern im Dezember 1991 bei dem Versuch, ein Auto zu stehlen, dessen 29-jährigen Besitzer Timo Kählke erschossen. Immer neue Generationen von Rechtsextremen bildeten Gruppen in dieser unrühmlichen Tradition. Im Juli 2013 ging die Polizei mit Razzien unter anderem in Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gegen ein selbsternanntes Werwolf-Kommando vor.

Bis heute kursiert unter Neonazis das Buch Werwolf – Winke für Jagdeinheiten, in dem der ehemalige SS-Hauptsturmführer Arthur Erhardt nach dem Zweiten Weltkrieg "grundlegende Regeln für den Partisanenkrieg" formuliert hatte. Auf 68 Seiten handelt das Bändchen unter anderem vom "Wesen des Kleinkriegs" und dessen "Erfolgsaussichten und Grenzen", in den Kapiteln "Ausbildung" und "Taktik" wird der Leser über die "Wahl der Zerstör- und Kampfziele" ebenso belehrt wie über "Nahkampf" und "Straßenkampf". Zeitweise war das Buch auch beim NPD-eigenen Deutsche-Stimme-Versand im Angebot. Inzwischen findet man es für 9,80 Euro bei Amazon – und zum Beispiel diese Rezension eines Kunden: "Tolles kurzes Buch zum Guerilla-Krieg! Hier kann man echt was mitnehmen für den Ernstfall und ist gut gewappnet! Es gibt noch gute Bücher!"

In der Wissenschaft gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von Terrorismus. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber versteht darunter "Formen von politisch motivierter Gewaltanwendung, die von nicht-staatlichen Gruppen gegen eine politische Ordnung in systematisch geplanter Form mit dem Ziel psychischen Einwirkens auf die Bevölkerung durchgeführt werden". Rechtsextreme Terroristen werden dabei von nationalistischen, völkischen, rassistischen oder ähnlichen Ideologien angetrieben.

Terrorgruppen in diesem Sinne entstanden in Deutschland erst ab Ende der 1960er-Jahre, doch Vorläufer gab es schon in den ersten Nachkriegsjahren. In den 1950er-Jahren etwa erlaubte es der verbreitete Antikommunismus Altnazis und Veteranen der Waffen-SS, unter dem Deckmantel des rechtsgerichteten Bundes Deutscher Jugend (BDJ) eine paramilitärische Kampftruppe aufzubauen. Finanziert wurde dieser Technische Dienst (TD) des BDJ vom US-Geheimdienst CIA. Bei einem Einmarsch der Russen sollten die Partisanen in "kleinen unabhängigen Einheiten" Widerstand leisten. Rechtsradikale galten dabei den Amerikanern als besonders zuverlässig. Sie durften Waffendepots anlegen, auf US-Übungsplätzen schießen, spurenloses Töten, Vernehmungs- und Foltermethoden trainieren und galten als deutscher Arm der Nato-Geheimarmee Gladio/Stay Behind, die während des Kalten Krieges in ganz Westeuropa bestand und mit rechtsextremen Terrorakten in mehreren Ländern, vor allem in Italien, in Verbindung gebracht wird.

Mitglieder des TD legten unter anderem eine Kartei von Personen an, die im Kriegsfall "liquidiert" werden sollten. Dass damit Tötungen gemeint waren, bestritten alle Beteiligten später. Auf den schwarzen Listen standen unter anderem hochrangige Gewerkschafter und SPD-Politiker, darunter der damalige Parteichef Erich Ollenhauer oder der hessische Innenminister Heinrich Zinnkann. Es blieb unklar, ob dies im Sinne der US-amerikanischen Stellen war oder die Rechtsextremen den TD für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren versuchten. 1952 flog der TD auf, alle Festgenommenen aber wurden nach kurzer Zeit freigelassen.

Die "politisch motivierte Gewaltanwendung" von rechts begann in den späten 1960er-Jahren. Bis dahin waren viele Alt- und Neonazis noch davon ausgegangen, bald in ein Parlament nach dem anderen einzuziehen und so die junge Bundesrepublik auf legalem Wege unterminieren zu können. Die Erfolgswelle der NPD ab 1965 schien sie zu bestätigen. Doch spätestens mit deren Scheitern bei der Bundestagswahl 1969 galt der parlamentarische Weg als aussichtslos. Radikale Neonazis griffen daraufhin zu den Waffen. 1970 wurde ein Mitglied des NPD-Ordnerdienstes festgenommen, weil es gemeinsam mit Parteikameraden eine "Europäische Befreiungsfront" gegründet hatte. Die Gruppe hatte unter anderem Morde an Politikern und Journalisten geplant, die ihr zu weit links standen. Ein Jahr später, 1971, flog die Wehrsportgruppe Hengst auf. Ihr Anführer, Bernd Hengst, hatte im NPD-Ordnerdienst eine bewaffnete Truppe um sich geschart, die drei Jahre zuvor einen Anschlag auf ein DKP-Büro verübt hatte und Angriffe auf Munitionsdepots und die Bonner SPD-Zentrale plante.

Während der linke Terrorismus von RAF und Bewegung 2. Juni alle Aufmerksamkeit auf sich zog, entstanden auch am rechten Rand langlebige Terrororganisationen. 1978 und 1979 fand die Polizei bei 33 Razzien große Mengen von Waffen. Im Prozess gegen die oben erwähnte Wehrsportgruppe Werwolf wurden 1979 erstmals vier Rechtsextreme als Terroristen verurteilt. Sie hatten unter anderem Banken und ein Nato-Übungslager überfallen.

1981 stolperten Waldarbeiter in der Lüneburger Heide über vergrabene Kisten mit Munition und Sprengstoff. Die Polizei machte als Verantwortlichen den Forstaufseher und Rechtsterroristen Heinz Lembke aus. Drei Jahre zuvor hatte der gemeinsam mit Peter Naumann, einem studierten Chemiker und langjährigen Funktionär der NPD-Jugendorganisation JN, eine Bombe am Denkmal in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom gezündet. Das Denkmal erinnert an ein Massaker, bei dem die SS 1944 335 Zivilisten umbrachte. 1979 sprengte Naumann dann zusammen mit anderen Komplizen zwei TV-Sendeanlagen, um die Ausstrahlung der US-Fernsehserie Holocaust zu behindern.

Nach seiner Festnahme führte Heinz Lembke die Polizei zu einem gewaltigen Waffenarsenal, das aus 33 unterirdischen Depots bestand. Die genaue Herkunft der Waffen wurde nie geklärt, Lembke wurde kurz vor einer von ihm angekündigten Aussage tot in seiner Zelle gefunden. Naumann wiederum konnte erst nach langen Ermittlungen für einige seiner Taten verurteilt werden, 1988 erhielt er wegen drei Sprengstoffanschlägen, Verabredung zum Mord und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren.

Die bekannteste Terrorgruppe der 1970er-Jahre war die Wehrsportgruppe Hoffmann (WSGH), 1973 gegründet vom damals 35-jährigen Karl-Heinz Hoffmann. Regelmäßig veranstaltete die Gruppe paramilitärische Übungen, für die internationale Presse posierte man gern mit scharfen Waffen, Stahlhelmen und Uniformen vor alten Wehrmachtsfahrzeugen in den bayerischen Wäldern. Die bayerische Landesregierung ließ die WSGH lange gewähren. Der damalige Innenminister Gerold Tandler (CSU) begründete seine Weigerung, die Gruppe zu verbieten, mit den Worten: Wenn ein Verein sich an die Vorschriften wie das Waffengesetz, das Naturschutzgesetz, die Straßenverkehrsordnung und so weiter halte, könne die Abhaltung von Wehrsportübungen nicht unterbunden werden.

Im Januar 1980 schließlich schritt Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) ein und verbot die WSGH. Hoffmann setzte sich danach in den Libanon ab und gründete in einem Palästinenserlager die Wehrsportgruppe Ausland. Zurück in Deutschland wurde er 1984 zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt – er hatte im Libanon Gefolgsleute brutal gefoltert. Unter Rechtsextremen wird Hoffmann bis heute verehrt, Szeneversandhäuser vertreiben T-Shirts mit seinem Porträt, die NPD-Jugendorganisation JN und andere rechtsextreme Gruppen laden ihn immer noch zu Vortragsabenden ein.

Anfang der 1980er-Jahre entlud sich dann eine wahre Gewaltwelle. Allein 1980 starben durch den Rechtsterrorismus in Deutschland mindestens 20 Menschen. Aber anders als bei der linksextremen RAF gab es keine zentralen Strukturen, die rechten Terroristen agierten in Kleingruppen oder als Einzeltäter. Auch fehlte es, bis auf Ausnahmen, an ausgefeilten ideologischen Papieren. "Fanale des Schreckens und nicht politische Konzepte sind die Handschrift des Rechtsterrorismus", resümierte Bernhard Rabert 1995 in einer Studie.

Mehrere der Terroristen, die in den 1980er-Jahren Anschläge verübten, kamen aus den Reihen der "halbverrückten Spinner" (wie Gerold Tandler die Wehrsportgruppe Hoffmann auch nach dem Verbot noch nannte). Schon im Mai 1976 hatte ein 19-jähriger Anhänger Hoffmanns einen Sprengstoffanschlag auf den Münchner US-Soldatensender AFN versucht. Auch der blutigste rechtsextreme Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik, das Oktoberfestattentat am 22. September 1980, wird einem ehemaligen Mitglied der Hoffmann-Truppe zugeschrieben, dem 21-jährigen Geologiestudenten Gundolf Köhler. Köhlers Bombe tötete 13 Menschen, mehr als 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Bis heute bleibt umstritten, ob Köhler wirklich als isolierter Einzeltäter gehandelt hat. 2014 wurden die Ermittlungen neu aufgenommen, 2019 ergebnislos eingestellt.

Im Dezember 1980 wurden in Erlangen der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke erschossen. Wenige Tage später, am Heiligabend 1980, versuchte Frank Schubert, Mitglied der neonazistischen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSDB/PdA), Waffen über die Schweizer Grenze zu schmuggeln. Bei seiner Entdeckung schoss er sofort, zwei Beamte des Schweizer Grenzschutzes starben, Schubert beging Suizid. Gegründet worden war der VSDB-Vorläufer PdA 1971 von Friedhelm Busse, einem glühenden Nazi, der sich als 15-Jähriger noch kurz vor Kriegsende freiwillig für die Waffen-SS gemeldet hatte und später bei so ziemlich jeder rechtsextremen Organisation mitmachte, die es in der frühen Bundesrepublik gab. Busse stilisierte Schubert, der als seine rechte Hand galt, später zum "Blutzeugen der Bewegung". Ein Jahr nach Schubert starben zwei weitere Gefolgsleute Busses, als Polizisten am 20. Oktober 1981 sein Kommando Omega auf dem Weg zu einem Banküberfall stoppten und es zu einer Schießerei kam.

Ebenfalls ab 1980 wurden die sogenannten Deutschen Aktionsgruppen des Altnazis und Rechtsanwalts Manfred Roeder aktiv. Nachdem er jahrelang mit einem rechtsextremen Verein namens Deutsche Bürgerinitiative aktiv war, scharte er eine militante Zelle fanatischer Aktivisten um sich. "Nach acht Jahren war der legale Weg erschöpft", sagte Roeder rückblickend. "Entweder mussten wir aufgeben oder in den Untergrund gehen. Aufgeben kam nicht infrage [...] Der Kampf muss jetzt auf einer anderen Ebene mit noch größerer Entschlossenheit fortgeführt werden, denn wir werden niemals tatenlos zusehen, wenn Deutschland zerstört wird." Es folgten Bomben- und Brandanschläge, in Hamburg starben dabei 1980 zwei junge vietnamesische Flüchtlinge. Roeder wurde wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt, kam wegen guter Führung aber bereits nach acht Jahren frei. Sein Aktionismus im tiefbraunen Milieu ging weiter, 1996 verübt er einen Farbanschlag auf die Wehrmachtsausstellung in Erfurt. Beim Prozess gegen Roeder fanden sich unter den angereisten Unterstützern auch die späteren NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos.

1982 raubte eine klandestine Neonazizelle fünf Banken aus und erbeutete dabei 630.000 D-Mark. Die Hepp/Kexel-Gruppe nannte sich nach ihren Anführern Walther Kexel und Odfried Hepp, einem ehemaligen Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann. Beide planten gemeinsam mit dem Bombenleger Peter Naumann, Rudolf Heß aus dem alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau zu befreien. Nach einem Streit wurde der Plan aber aufgegeben. Stattdessen veröffentlichte die Hepp/Kexel-Gruppe ein Papier mit dem Titel Abschied vom Hitlerismus, in dem sie zum "antiimperialistischen Befreiungskampf" gegen die USA und Israel aufrief. Drei Autobombenanschläge auf US-amerikanische Militärangehörige in Frankfurt, Butzbach und Darmstadt verübte die Gruppe in der Folge. Ihre Aktivitäten galten – bis zum Auffliegen des NSU – als Höhepunkt des deutschen Rechtsterrorismus, da die Täter auffallend professionell, geplant und konspirativ vorgingen.

Nach dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung begann Anfang der 1990er-Jahre eine beispiellose rechtsextreme Gewaltwelle. In Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und vielen anderen Orten kam es zu pogromartigen Ausschreitungen, oft gegen Asylbewerberheime. Meist handelte es sich bei diesen Taten um spontane Angriffe, etwa von betrunkenen Skinhead-Trupps. Dieser blanke Straßenterror rückte den Terrorismus von rechts aus dem Blickfeld, doch gärte er im Stillen weiter vor sich hin.

1997 fand die Polizei bei Berliner Neonazis eine Rohrbombe, mit der sie einen Anschlag auf einen jungen PDS-Politiker in Treptow verüben wollten. Im Mai und Juni 2000 wurden bei militanten Rechtsextremen in Berlin und Südbrandenburg eine zündfähige Rohrbombe und ein Gewehr mit Zielfernrohr und Schalldämpfer gefunden. Ebenfalls in Brandenburg verübte eine selbsternannte "Nationale Bewegung" in den Jahren 2000 und 2001 eine Serie von mindestens 16 Straftaten: Mehrere türkische Imbisswagen wurden angezündet, der jüdische Friedhof und ein Wohnheim für jüdische Zuwanderer in Potsdam angegriffen. Täter wurden nie ermittelt.

Etliche Sprengstoffanschläge jener Jahre sind bis heute ungeklärt: Gleich zweimal war 1998 das Grab des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, in Berlin-Charlottenburg das Ziel. Im März 1999 wurde in Saarbrücken ein Anschlag auf die Wanderausstellung zu Verbrechen der Wehrmacht verübt. Im März 2002 warfen Unbekannte erneut eine Bombe auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg. Im November 2003 machte ein geplanter Anschlag in München Schlagzeilen: Der damals 27-jährige Martin Wiese hatte mit einigen Komplizen aus der neonazistischen Kameradschaft Süd die Grundsteinlegung der neuen Synagoge angreifen wollen.

Zu jenem Zeitpunkt hatte der Nationalsozialistische Untergrund bereits vier seiner zehn Morde begangen, bis zu seinem Auffliegen 2011 brachte er insgesamt zehn Menschen um und verletzte Dutzende bei Sprengstoffanschlägen und Banküberfällen. Die Sicherheitsbehörden kamen dem NSU 13 Jahre lang nicht auf die Spur. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag, der das Debakel 2012 und 2013 akribisch aufarbeitete, sprach rückblickend von einem "Totalversagen des Staates". Eine der wichtigsten Ursachen: Die Ermittler hatten die Besonderheiten des Rechtsterrorismus ignoriert. So suchten sie, weil es keine Bekennerschreiben gab, nur flüchtig nach rassistischen Tätern und konzentrierten sich stattdessen auf angebliche mafiöse Verbindungen der Opfer. Auch rückblickend rechtfertigten die Sicherheitsbehörden dies: "Die Umstände der Mordserie sind völlig untypisch für Terroristen", betonte auch der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), denn ein "Protzen und Prahlen mit den Taten" sei "sonst in der rechtsextremen Szene üblich".

Das ist falsch: Sich nicht zu bekennen, war und ist unter Rechtsterroristen eine verbreitete Strategie. Als italienische Neofaschisten 1980 beim Anschlag auf den Bahnhof von Bologna 85 Menschen töteten, gab es ebenso wenig ein Bekennerschreiben wie in Deutschland bei Taten von Mitgliedern der Wehrsportgruppe Hoffmann, etwa dem Oktoberfestattentat oder dem Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke.

Combat 18, der vor allem in Großbritannien und Skandinavien in den 1990er-Jahren aktive, gewalttätige Arm des Nazimusiknetzwerkes Blood and Honour, riet ausdrücklich zu Klandestinität. Der jetzt im Fall Lübcke inhaftierte Tatverdächtige soll Kontakte zu Combat-18-Angehörigen gepflegt haben.

In einem "Feldhandbuch" von Blood and Honour wird unter anderem John Ausonius lobend erwähnt, ein Schwede, der 1991 und 1992 in Stockholm und Uppsala willkürlich insgesamt elf nicht-weiße Menschen niederschoss, teilweise mit einem Scharfschützengewehr mit Laserpointer, weshalb ihn Medien "Laser Man" tauften. Ausonius verschickte keinerlei Bekennerbriefe, was die Angst unter Einwanderern nur noch verstärkte. Derart klandestine Taten ausländischer Rechtsterroristen seien bisweilen wie eine "Blaupause" für den NSU gewesen, stellte der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages fest – doch hätten Verfassungsschutz und Polizei über Jahre versäumt, diese zutreffend zu analysieren.

Auch eine zweite Besonderheit des Rechtsterrorismus, bekannt seit den 1970er-Jahren, ignorierten die Sicherheitsbehörden: das häufige Agieren als Einzeltäter oder Kleingruppen. Als "leaderless resistance", zu Deutsch: "führerloser Widerstand", wird diese Strategie in der Szene propagiert. Natürlich kannten auch die Behörden solche Konzepte, zogen daraus aber nicht die richtigen Schlussfolgerungen. Sie seien "auf dem rechten Auge betriebsblind" gewesen, urteilte der NSU-Untersuchungsausschuss im Jahr 2013. Sein Abschlussbericht zeichnete auf Dutzenden Seiten nach, wie hohe und höchste Sicherheitsbeamte falsche Vorstellungen vom Rechtsterrorismus pflegten. Immer wieder war damals von einer "braunen RAF" die Rede, man suchte nach größeren Strukturen und Unterstützerszenen – die aber eben für Rechtsaußen eher untypisch sind. "Auf allen Ebenen", so das vernichtende Fazit der Parlamentarier, hätten "Vorurteile und eingefahrene Denkmuster ... das Erkennen neonazistischer terroristischer Bedrohungen" behindert.

Das Erschrecken über dieses Versagen war auch in Teilen der Sicherheitsbehörden groß. Als es ab 2015 im Zuge der steigenden Flüchtlingszahlen zu einer neuen Welle rechtsmotivierter Gewalt kam, bemühten sich Polizei und Justiz um größere Aufmerksamkeit. Mit erheblichem Aufwand – aber begrenztem Erfolg – versuchten sie, die Hunderte von Angriffen auf Flüchtlingsheime aufzuklären.

Erschwert wurde die Arbeit der Ermittler dadurch, dass sie oft mit einem neuen Tätertypus konfrontiert waren: Personen, die zuvor nicht in rechtsextremen Strukturen aktiv waren, aber aufgeheizt durch rabiate Proteste vor Ort ihre Dörfer und Städte gegen Fremde glaubten verteidigen zu müssen. Diese Täter könnte man als Nachbarschaftsterroristen bezeichnen, als typisch gilt der Fall eines Feuerwehrmanns im nordrhein-westfälischen Altena. In mehreren Orten bildeten sich auch strukturierte Gruppen, die dem klassischen Bild vom Rechtsterrorismus entsprachen. Im Jahr 2016 zum Beispiel übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die sogenannte Gruppe Freital, die in der sächsischen Kleinstadt über Monate immer schwerere Anschläge verübt hatte – 2018 wurden sieben Angeklagte zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Auch im Spektrum der Autonomen Nationalisten, einem besonders militanten Teil der Neonazikameradschaftsszene, entstanden Ansätze von Terrorismus. So wurden 2013 vier junge Männer festgenommen, die Ermittlern zufolge geplant hatten, mit einem 2,86 Kilo schweren Modellflugzeug einen Sprengsatz auf Veranstaltungen politischer Gegner abzuwerfen.

Noch etwas ist neu in den 2010er-Jahren: Im Zuge der Flüchtlingsdebatten polarisierte sich die öffentliche Debatte. Die AfD erlebte einen Aufschwung, radikalisierte sich und zog dennoch in alle Landtage und den Bundestag ein. In sozialen Netzwerken oder auf Pegida-Demonstrationen wurden und werden teils völlig enthemmte Gewaltfantasien verbreitet. Rechte Gewalttäter und Terroristen können sich inzwischen viel stärker als Vollstrecker des Volkswillens und Vertreter einer angeblichen Mehrheit fühlen als jemals zuvor in der bundesdeutschen Geschichte.

Das erwähnte Altena in Nordrhein-Westfalen steht für eine dritte, neue Entwicklung am rechten Rand. Verachtung für die Bundesrepublik und ihre Repräsentanten gab es dort zwar immer, aber gewalttätige Angriffe richteten sich jahrzehntelang vor allem gegen schwächere Opfer: gegen Migranten, Antifa-Aktivisten, Punks und andere nicht-rechte Jugendliche. Nun aber, angefeuert von der rechtspopulistischen Verschwörungstheorie, die Politik arbeite gezielt an einer ethnischen Durchmischung der Bundesrepublik, nahmen auch Angriffe auf den Staat zu. In Altena wurde im November 2017 der dortige Bürgermeister niedergestochen, in Köln zwei Jahre zuvor die heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker. In Bayern erschoss 2016 ein Angehöriger der Reichsbürger-Szene einen SEK-Polizisten.

Bestätigt sich der Tatverdacht gegen den inhaftierten 45-jährigen Rechtsextremen aus Kassel, dann ist der Anschlag auf den Regierungspräsidenten Walter Lübcke sicherlich eine neue Qualität: Einen Politiker einer Regierungspartei zu Hause aufzusuchen und zu erschießen, das gehörte bisher nicht zum Tatspektrum des deutschen Rechtsterrorismus. Aber es fügt sich – siehe die NSU-Morde an Migranten in deren häuslicher Umgebung, das Attentat auf den jüdischen Verleger Shlomo Levi 1980 oder die Todeslisten von Rechtsextremen gegen vermeintlich vaterlandslose Politiker in den 1950er- und 1960er-Jahren – bruchlos in seine Tradition.


Aus: "Rechter Terror: Die falschen Vorstellungen von rechtsextremem Terror"  Johannes Radke und Toralf Staud (19. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-06/rechter-terror-rechtsextremismus-attentat-ermittlungen/komplettansicht

Quoteparrot0815 #24

... Meiner Meinung nach sollte man sich mal intensiv mit der Fragestellung befassen, ob es nicht sein könnte, daß rechtsextreme Taten wissentlich verschleiert oder gar gedeckt wurden. ...


QuoteTrümmerlotte #22

Unschöne Auflistung der allen bekannten Fakten.

Und ich würde ja gerne glauben, das bei den ermittelnden Behörden "Betriebsblindheit" vorlag. Das an sich wäre zwar schon schlimm genug, aber ich hab das ungute Gefühl, das es wesentlich schlimmer war und ist.
Denn, was da immer als Ermittlungspannen oder ähnlich verharmlost wird... sollte das wirklich so sein, wäre das ungefähr so, als wenn nen Zimmermann nicht mal nen Nagel einschlagen kann.
Nur der hätte nicht mal die Lehrzeit überlebt im Beruf.
Das diese Personen aber immer noch großteils in ermittelnden Behörden tätig sind...
wie soll man sich denn das erklären, ohne sich etwas zu stricken als Erklärung, was dann als handfeste VT daherkommt?


QuoteRunkelstoss #25

Rechter Terror hat in Deutschland eine lange Tradition. Weil die Täter aber ohne feste Führung oder Bekennerschreiben agieren, wurde die Bedrohung lange unterschätzt.

Das ist nicht so. In Deutschland steht der Feind traditionell links, immer. Das war im Kaiserreich so, in der Weimarer Republik, in der alten BRD und nach der Wiedervereinigung hat sich das auch nicht geändert.
Das ist der eigentliche Grund warum die Sicherheitsorgane und die Politik, inklusiv SPD, immer auf dem rechten Auge blind waren und sind.
Ich gehe noch weiter, in den den deutschen Sicherheitsorganen saßen und sitzen Menschen mit einer gewissen Affinität zu antidemokratischen, reaktionären, autoritären Ideologien. Maaßen ist nur das letzte Beispiel, Hutbürger im sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz, Polizisten, die Anwälte bedrohen, rechtsradikale Bundeswehrsoldaten.
Das Problem ist systemisch und es ist kein kognitives Problem.


Quotemorauc #28

Guter und wichtiger Artikel zur Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland.

Wer für 120 Jahre NSU Akten unter verschluss hält um die wahrscheinlich peinlichen verquickungen von Verfassungsschutz und NSU geheimzuhalten, und das auch noch in Hessen also jenem Bundesland in dem Lübke erschossen wurde, sollte politisch deutlich stärkeren Gegenwind bekommen als es aktuell der Fall ist. ...


...

Link

#33
Quote[...] Nach dem gewaltsamen Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sind Berichten zufolge bei mehreren Politikern in Deutschland Morddrohungen eingegangen. Betroffen sind demnach unter anderem die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sowie der Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena, Andreas Hollstein. Beide wurden in der Vergangenheit bereits mit Messern angegriffen. Zuerst hatten Bild und der WDR darüber berichtet.

Die Polizei in Köln bestätigte laut WDR und Bild die Vorfälle, auch, dass Reker die Drohung nach dem gewaltsamen Tod des Kasseler Regierungspräsidenten erhielt. Auch Hollstein bestätigte, dass er bedroht wird. Er habe in der Vergangenheit immer wieder mal Morddrohungen erhalten. Zuletzt sei am Dienstag eine eingegangen.

Dem WDR zufolge hat das "offenbar (...) einen rechtsextremen Hintergrund und steht im Zusammenhang mit der Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke". Das Büro von Reker habe den Fall nicht kommentieren wollen, heißt in dem Bericht. Die Bild schreibt zum Fall Reker: "Die Polizei geht zurzeit von einer Drohung aus der rechten Szene aus."

Da neben Reker auch andere Politiker bedroht wurden, hat nach Angaben eines örtlichen Polizeisprechers das Landeskriminalamt Berlin die Fälle übernommen. Vom dem Amt war bisher keine Stellungnahme zu erhalten.

Sowohl Reker als auch Hollstein waren in den vergangenen Jahren zum Ziel von Attentaten geworden. Reker entging 2015 vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin nur knapp dem Tod, als ihr ein Rechtsradikaler bei einem Wahlkampftermin mit einem Messer in den Hals stach. Die parteilose Kommunalpolitikerin wurde lebensgefährlich verletzt und musste notoperiert werden. Hollstein wurde im November 2017 in einem Dönerimbiss angegriffen und mit einem Küchenmesser bedroht. Dabei wurde er leicht am Hals verletzt.

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha niedergeschossen worden. Unter dringendem Tatverdacht sitzt ein 45-Jähriger in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft stuft das Verbrechen als politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund ein.

...


Aus: "Mehrere deutsche Politiker erhalten Morddrohungen" (20. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-06/tod-luebcke-deutsche-politiker-morddrohungen

-

Quote[...] "Meine Damen und Herren, ein rechtsextremistischer Anschlag auf einen führenden Repräsentanten des Staats ist ein Alarmsignal und richtet sich gegen uns alle", sagte Horst Seehofer auf der Pressekonferenz zum Mord an Walter Lübcke.

Das ist glatt gelogen. Ein rechtsextremistischer Anschlag richtet sich nicht gegen Horst Seehofer. Er trifft nicht uns alle. Das war schon beim NSU grundfalsch und naiv. Er trifft die Engagierten und Öffentlichen. Er trifft meist People of Color und Migranten. Um es kurz zu sagen: Nicht ihr seid das Ziel von Rechtsterror - wir sind es.

Und die Botschaft kommt an. Seit Jahren warnen nicht weiße Deutsche vor der wachsenden Bedrohung. Auch das war schon beim NSU so: Die migrantischen Gastronomen schauten sich zweimal um, bevor sie ihre Geschäfte aufschlossen, während die Polizei noch nach kriminellen Ausländern fahndete. So erzählen es deren Kinder, meine Bekannten, heute.

Ich werde täglich mit Hassnachrichten bombardiert. In der vergangenen Woche wollte man mich tausendfach ausweisen und mehrfach hängen. Einer wollte mich zu "Negermehl" verarbeiten, einer im Periodenblut meiner Mutter ersäufen. Ich telefonierte mit einer Kollegin, die das Problem kennt. Wir sprachen über Fotomontagen und Vergewaltigungsdrohungen. Ein Passant hörte ein paar dieser Sätze zufällig mit an - und nahm Reißaus vor ihr. "Ja, tut mir leid, dass fünf Sekunden aus meinem Leben dich so schockieren. Meine Fresse", schimpfte die Kollegin ihm hinterher.

Rassismus ist nicht neu in meinem Leben, sondern Alltag, und ich habe oft darüber geschrieben. Ich treffe Vorkehrungen zu meiner Sicherheit: Bin ich zu Hause im Osten, meide ich Abends bestimmte Straßen. Marschiert die AfD, bleibe ich ganz zu Hause. Manche Konfrontationen vermeide ich. Im Netz gilt das alles nicht.

Wenn jetzt von einer "neuen Dimension", einer "neuen Normalität" gesprochen wird, zeigt das auch: Schon wieder hört uns keiner zu. Bergarbeiter nahmen in die Kohleminen einen Kanarienvogel mit, um die Luftqualität zu testen. Die kleinen Vögel sind anfälliger für Kohlenmonoxid. Hörte der Vogel auf zu singen und fiel von der Stange, wusste der Bergarbeiter: Nix wie raus.

Noch zwitschern wir. Obwohl es einfacher wäre, zu schweigen. Noch ist die Mine zu retten. Stattdessen tätschelt man uns den Kopf, gibt sich betroffen - und beschwichtigt. Sind das nicht alles rechte Spinner, Trolle und Spam? Eben das neue Grundrauschen der nach rechts verrückten Gesellschaft? Die meinen das nicht so. Die sind viel weniger, als man denkt.

Das mag stimmen. Aber sie sind auch keine Fabelwesen mit Knollennase, sondern Straftäter. Sie sind meist Männer. Sie haben Klarnamen, mit denen sie die E-Mails unterschreiben, in denen sie uns aufknüpfen wollen. Sie haben Unternehmen, von deren offiziellen E-Mail-Adressen sie Vergewaltigungsfantasien verfassen. Natürlich sind nicht alle von ihnen gewaltbereite terroristische Schläfer. Vielleicht bellen die, die beißen, auch gar nicht vorher. Aber nur für den Fall: Wie wäre es mit Maulkörben?

Sattdessen soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hassrede helfen. Statt verfolgt, werden Straftaten gelöscht. Und Beleidigungen und Drohungen werden in der Debatte zu "Hassrede" und Straftäter zu "Trollen". Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli sagte neulich, sie zeige jede Woche 30 Hassmails an. Pro Anzeige - ich kenne das - sind das mindestens 30 Minuten. Macht 15 Stunden Arbeit allein für die Anzeigen.

Unter den Videos rechter YouTuber über mich finden sich Tausende beleidigende und bedrohende Kommentare. Ich lese sie nicht, niemand löscht sie. Aber während ich diese Woche noch auf YouTube beleidigt und bedroht wurde, saß ich zufällig bei einer Podiumsdebatte von Google. Vier weiße Referentinnen und Referenten diskutierten über mehr Diversität im Journalismus. Aber die Frage, wie man nicht weiße Journalistinnen und Journalisten vor den Rechten schützt, beantworteten sie nicht. Der führende Google-Mitarbeiter versprach, sich "das mal als Hausaufgabe" mitzunehmen.

Vergesst die Plattformen - niemand macht freiwillig seine Hausaufgaben. Die Kanarienvögel zwitschern noch, es ist nicht zu spät, aber die Luft wird dünn.


Aus: "Wir Kanarienvögel" Ein Kommentar von Thembi Wolf (19.06.2019)
Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/fall-walter-luebcke-thembi-wolf-a-1273168.html


Link

#34
Quote[...] Im Wahlkampf 2017 bekannte sich der Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, offen zu den militaristischen Traditionslinien der deutschen Rechten. Man habe das Recht, "stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen", erklärte Gauland Mitte September 2017. Die AfD habe das Recht, sich "nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen".

Damit wollte Herr Gauland auch explizit auf die Leistungen der Wehrmacht stolz sein, die bekanntlich das militärische Instrument des Vernichtungskrieges der Nazis im Osten bildeten. Der AfD-Spitzenkandidat bekräftigte, dass - allen Verbrechen zum Trotz - "Millionen deutscher Soldaten tapfer waren", die man nun loben könne. Das "verbrecherische System" sei schuld, so der AfD-Chef, und "nicht die Soldaten, die tapfer waren".

Diese Argumentation der Neuen Rechten, die an die alte Legende von der "sauberen Wehrmacht" erinnert, übersteht die Konfrontation mit den historischen Fakten nicht. Anlässlich des Jahrestags des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion, der sich am 22. Juni zum 78. Mal jährt, scheint es geboten, in Erinnerung zu rufen, dass gerade die Wehrmacht nicht nur die militärischen Voraussetzungen für den Ausrottungsfeldzug der Nazis im Osten schaffte, sondern Teil eben dieser Völkermordmaschinerie war.

Der Stolz auf die militärischen Leistungen der Wehrmacht, auf die "Tapferkeit" der Wehrmachtssoldaten; er blendet den Zweck des militärischen Eroberungsfeldzugs Nazideutschlands im Osten aus - und dieser bestand im Genozid, in der Ausrottung von Juden, Slawen und weiterer "Untermenschen" in einem künftigen Siedlungsgebiet für germanische "Übermenschen", das sich bis zum Ural erstrecken sollte.

Gaulands Stolz auf die militärischen Mittel, mit denen der Zweck des Völkermordes ermöglicht wurde, stellt nicht nur einen Schlag ins Gesicht all jener Nachkommen der damaligen Opfer und Kämpfer gegen den deutschen Faschismus dar - er errichtet auch eine Scheinbarriere zwischen militärischen Mitteln und verbrecherischen Zweck, die es in der Realität nicht gegeben hat.

Der Leichenberg, den die Wehrmacht bei dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten zu verantworten hat, geht in die Millionen. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) setzte von Anfang an den Hunger als Waffe ein, um einen großen Teil der Bevölkerung der Sowjetunion buchstäblich in den Hungertod zu treiben. Die Lebensmittelvorräte der Wehrmacht reichten beim Kriegsbeginn nur für wenige Wochen, die Armee sollte komplett aus den besetzten Gebieten ernährt werden.

Bei einem Planungstreffen kurz vor dem Überfall hieß es: "Der Kriege ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird." Dabei war man sich der Konsequenzen dieser Strategie voll bewusst: "Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird."

Dieser deutsche Hungerplan, an dessen Konzeption und Durchführung die "tapfere" Wehrmacht eben maßgeblich beteiligt war, sah vor, rund 30 Millionen "unnützer Esser" durch Hunger zu ermorden. Neben Leningrad, das von der Wehrmacht buchstäblich ausgehungert werden sollte, wurde diese Taktik in nahezu allen besetzten Gebieten der Sowjetunion - insbesondere in den Städten - angewendet. Von den rund 17 Millionen sowjetischer Zivilisten, die von der Vernichtungsmaschinerie der Nazis getötet wurden, sind rund sieben Millionen an Hunger umgekommen.

Ein besonders erschütterndes Beispiel für die perfide Strategie der Wehrmacht, Hunger als Massenvernichtungswaffe einzusetzen, stellt das in besetzten Belarus errichtete Wehrmachts-KZ Osaritschi dar. In dem Todeslager, dass vom 12. bis zum 19. März 1944 von der Wehrmacht betrieben wurde, sind binnen einer Woche unterschiedlichen Schätzungen zufolge 10.000 bis 20.000 Menschen von der Wehrmacht umgebracht worden - hauptsächlich Frauen, Kinder, Greise, arbeitsunfähige Menschen.

Während arbeitsfähige Zivilisten ins Reich abtransportiert wurden, trieb man in dem Todeslager sogenannte "unnütze Esser" zusammen, um sie im Rahmen der Strategie der "verbrannten Erde" durch Hunger und Krankheiten (Typhus) zu vernichten. Die Meldung des Oberkommandos der Wehrmacht war voll des Lobes für die Aktion:

Die Erfassungsaktion hat für das gesamte Gefechtsgebiet eine wesentliche Erleichterung gebracht. Die Wohngebiete wurden erheblich aufgelockert und für Truppenunterkünfte frei. Für nutzlose Esser wird keine Verpflegung mehr verbraucht. Durch Abschieben der Seuchenkranken wurden die Infektionsherde bedeutend verringert.

Die "Leistung" der Wehrmacht bestand in diesem Fall darin, eine furchtbare Todesrate innerhalb des in einem Sumpfgebiet errichteten Lagers durch den Entzug jeglicher Versorgung zu erreichen. Die Menschen wurden weitgehend sich selbst überlassen, Massaker und Erschießungen - etwa an entkräfteten Kindern - erfolgten nur, wenn diese auf dem Transport vor Erschöpfung zusammenbrachen oder es innerhalb der Lagerinsassen Initiativen gab, Behausungen zu errichten oder Sumpfwasser zu trinken.

Im Endeffekt experimentierte die Wehrmacht hierbei mit biologischer Kriegsführung, da in dem Lager absichtlich Kranke konzentriert wurden, wie das Kriegstagebuch der 9. Armee vermerkt:

Es ist geplant, aus der frontnahen Zone der Armee alle nicht arbeitsfähigen Einheimischen in den aufzugebenden Raum zu bringen und bei der Frontzurücknahme dort zurückzulassen, insbesondere die zahlreichen Fleckfieberkranken ...

Was hier beschrieben wird, ist die Taktik der menschlichen Schutzschilder, wie die Gedenkstätte Chatyn - der zentrale Gedenkort der Republik Belarus für die Opfer des Vernichtungskrieges - auf ihrer Internetpräsenz bemerkt. Es sei eine verbreitete Praxis der Wehrmachtssoldaten gewesen, auf dem Rückzug vor der Roten Armee menschliche Schutzschilde zu benutzen:

In der Regel, umgaben die Nazis größere Bodenflächen an der vorderen Linie der Verteidigungsstellung mit dem Stacheldraht, trieben dorthin Frauen, Kinder und alte Menschen, bewachten sie hart und ließen die Leute ohne Unterkunft, Lebensmittel und Wasser. Absichtlich wurden dorthin die Menschen gebracht, die an Fleckfieber und anderen Infektionskrankheiten erkrankt waren.
    Gedenkstätte Chatyn


Osaritschi bildete somit nur den Extremfall einer verbreiteten verbrecherischen Praxis der Wehrmacht. Die Wehrmacht beteiligte sich auch an der Vernichtung von Menschen, die von den Nazis als "lebensunwertes Leben" zur Vernichtung bestimmt waren - etwa im größten Todeslager auf dem Gebiet Weißrusslands, in Maly Trostinez. Nach der Selektion wurden die "unnützen Esser" von Wehrmachtssoldaten und SS-Leuten erschossen:

Die Arbeitsunfähigen - mehrheitlich Frauen, Kinder und Greise - wurden daraufhin etwa 700 Meter in den Wald bei Blagowschtschina getrieben, Angehörige von Wehrmacht und SS erschossen sie im Schichtdienst und verscharrten sie in Massengräbern. Wer zu schwach für den letzten Marsch in den Wald war, wurde direkt am Gleis in Gaswagen ermordet.
    MDR


Der "tapfere", im Schichtdienst verrichtete Massenmord an Kindern, Greisen, Frauen, Kranken und Arbeitsunfähigen wurde begleitet von Bemühungen, das Letzte aus der Bevölkerung der besetzten Gebiete der Sowjetunion herauszupressen. Und wenn es buchstäblich Kinderblut sein sollte, wie es das Beispiel des Kinderheims im Ghetto Minsk illustriert:

    Auf dem Territorium des Ghettos befand sich ein weiterer abgetrennter Bereich, das Kinderheim. Dort waren die Kinder weitgehend sich selbst überlassen. Sie schliefen auf fauligem Stroh und litten unter Mangelernährung. Der Zweck dieses Kinderheimes war militärischer Art, die Kinder dienten als Blutspender für die deutschen Soldaten.
    Quelle: http://belarus-reisen.ch/maly-trostinez/


Kinder als Blutspender für deutsche Soldaten auszusaugen - dies sind die historisch nun wirklich einmaligen "Leistungen" des deutschen Soldatentums im Osten, auf die man in der Neuen Deutschen Rechten offensichtlich nun aber wirklich stolz sein will.

Hunger als Waffe wurde auch gegen sowjetische Kriegsgefangene eingesetzt, die vor allem in der Anfangsphase des Überfalls auf die Sowjetunion millionenfach in den Hungertod getrieben wurden. Rund 3,7 Millionen sowjetischer Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft wurden unter bestialischen Bedingungen bewusst durch Nahrungsentzug ermordet. Mindestens 850.000 sowjetische Kriegsgefangenen verhungerten unter Kontrolle eben der Wehrmacht, auf deren "Leistungen" Alexander Gauland so stolz sein will.

Dies war erklärte Politik der Wehrmacht. Anfang Oktober 1941 verfügte Generalquartiermeister Eduard Wagner:

   Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern. Arbeitende Kriegsgefangene können im Einzelfalle auch aus Heeresbeständen ernährt werden.
    Generalquartiermeister Eduard Wagner


Die Vernichtungspolitik der Nazis und der Wehrmacht gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen änderte sich erst etwas, als die ersten großen Niederlagen und die Mobilmachung für den "totalen Krieg" zu einem extremen Arbeitskräftemangel im "Reicht" führten.

Eindeutig verbrecherisch war auch der sogenannte "Kommissarbefehl" der Wehrmacht, der die sofortige Ermordung aller Kriegsgefangenen in der Sowjetunion anordnete, die verdächtigt wurden, als "Politkommissare" der Roten Armee tätig zu sein. Zehntausende gefangene Rotarmisten wurden in Ausführung dieses verbrecherischen Wehrmachtsbefehls von Wehrmachtsangehörigen und dem Sicherheitsdienst ermordet.

Ein weiterer verbrecherischer Befehl der Wehrmacht, der gewissermaßen den Übermenschenwahn des NS-Regimes zu quantifizieren versuchte, wurde am 16. September 1941 von der Wehrmachtsführung erlassen. Der sogenannte Sühnebefehl sah vor, für jeden von Partisanen oder sonstigen Widerstandsgruppen getöteten Wehrmachtssoldaten 50 bis 100 Zivilisten zu erschießen. Hierzu wurden oft Geiseln - Juden, Roma, Kommunisten - genommen und in Lagern konzentriert, um sie dann bei Widerstandsaktionen in den besetzten Gebieten zu erschießen. Zudem haben Einheiten der Wehrmacht immer wieder bestialische Massaker an der Zivilbevölkerung verübt, um im Rahmen dieses "Sühnebefehls" Vergeltung für Partisanenangriffe zu üben.

Diese Wehrmachtspraxis der Ausrottung ganzer Ortschaften wurde etwa in Griechenland, Italien und Jugoslawien praktiziert. Bei den Massakern in den jugoslawischen Ortschaften Kraljevo und Kragujevac erschossen die "tapferen" Nazisoldaten im Oktober 1941 beispielsweise 4000 Zivilisten, hierunter auch 300 Schüler und 18 Lehrer des Gymnasiums von Kragujevac. Den Lehrern wurde von der Wehrmacht die Option gegeben, ihr Leben zu verschonen. Sie weigerten sich - und begleiteten ihre Schüler auf ihren letzten Gang vor die Gewehrläufe der Landser des 749. und des 727. Infanterieregiments.

Ihren blutigen Zenit erreichte diese Massakerpraxis des deutschen Soldatentums bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, als Einheiten der SS und Ordnungspolizei binnen dreier Tage zwischen 30.000 und 50.000 Zivilisten in dem Stadtheil Wolna ermordeten. Mit dem Anfang August begangenen Massenmord an einem ganzen Stadtteil sollte der Kampfwille der Aufständischen unverzüglich gebrochen werden - die dann bis zum 1. Oktober den Naziokkupanten verzweifelten Widerstand leisteten.

In der Sowjetunion war die sogenannte "Partisanenbekämpfung" fest eingebettet in den Vernichtungskrieg Nazideutschlands. Rund 600 Dörfer wurden allein auf dem Gebiet der Sowjetrepublik Belarus von den NS-Okkupanten mitsamt ihren Einwohnern vernichtet. Massenmord an der Zivilbevölkerung im Rahmen von "Vergeltungsaktionen" war blutiger Alltag in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion, wo die antifaschistische Widerstandsbewegung mit Sabotageaktionen und Angriffen die Logistik der Wehrmacht störte und Nazitruppen band.

Im Rahmen dieser genozidalen deutschen "Partisanenbekämpfung" in Belarus wurden insgesamt 345.000 Menschen ermordet. Nur zehn Prozent dieser Opfer waren tatsächlich Partisanen. Die Bevölkerung der Sowjetrepublik Belarus, die vor dem Krieg rund neun Millionen Menschen umfasste, sank im Verlauf des Vernichtungsfeldzuges Nazideutschlands um 1,6 bis 1,7 Millionen Menschen. Den Vorkriegsstand der Bevölkerung erreichte Belarus erst wieder in den 1980er Jahren.

Angesichts all dieser unüberschaubaren blutigen Gemetzel, des planmäßigen deutschen Verwüstungsfeldzuges im Osten, an dem sich die Wehrmacht beteiligte, will AfD-Chef Gauland "Millionen deutscher Soldaten" ausgemacht haben, die einfach nur "tapfer waren". Wie sah es nun in den Hirnen all der "tapferen" Nazisoldaten aus - bevor sie sich ihre Lebenslügen von der "sauberen Wehrmacht" zurechtlegen konnten, die vor allem die verlogene Nachkriegszeit in der Bundesrepublik bis weit in die 60er Jahre prägten?

Eine Ahnung davon verschaffen die Abhörprotokolle des britischen und amerikanischen Geheimdienstes, die Tausende von gefangenen Wehrmachtssoldaten systematisch abgehört haben. Historiker haben das reichhaltige Material umfassend ausgewertet, wie n-tv schon 2011 berichtete. Die Ergebnisse seinen "schauerlich und erhellend" zugleich:

Denn es zeigt in aller Offenheit ein Bild des Krieges aus der Sicht deutscher Soldaten, das wir in einer solchen unverblümten Deutlichkeit bislang nicht kennen. Schönten die Männer doch gewöhnlich in Frontbriefen und späteren Erzählungen oder Memoiren ihre Kriegseindrücke, wenn sie nicht gleich in partielle Amnesie verfielen. Doch in der Gefangenschaft, oft noch frisch unter dem Eindruck des Krieges und inmitten der Kameraden, redeten sie offen: über Treibjagden, Plünderungen, Vergewaltigungen - und die Riesengaudi, die sie dabei hatten.
    n-tv


Begeistert von ihrem Handwerk zeigten sich etwa Piloten der Luftwaffe, die sich ihrer Angriffe auf Zivilisten rühmten: "Es ist mir ein Bedürfnis geworden, Bomben zu werfen. Das prickelt einem ordentlich, das ist ein feines Gefühl. Das ist ebenso schön, wie einen abzuschießen." Ein anderer Pilot erklärte: "Da war mal Ashford. Auf dem Marktplatz, da wurde eine Versammlung gehalten, Haufen Leute, Reden gehalten, die sind vielleicht gespritzt! Das macht Spaß!" Ganz gewöhnliche Infanteristen prahlten vor ihren Kameraden damit, in Frankreich einen Zivilisten hinterrücks erschossen zu haben, um sich seines Fahrrads zu bemächtigen.

Die Gräuel des Vernichtungskrieges im Osten wurden ebenfalls offen besprochen, vor allem in Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Frauen. Ein Generalmajor bemerkte, dass viele Frauen vor ihrer Ermordung zuerst von den deutschen Soldaten vergewaltigt wurden: "Von wegen Rassereinheit: In Riga haben sie zuerst rumgevögelt und dann totgeschossen, dass sie nicht mehr reden konnten."

Mitunter werden die Details der bestialischen Gewaltakte geschildert, die ganz gewöhnliche, sicherlich sehr "tapfere" Wehrmachtssoldaten im Osten begingen:

Ach, da haben wir eine Spionin geschnappt, die in der Gegend herumgelaufen ist. Und da haben wir ihr zuerst mit einem Stecken auf die Äppelchen gehauen, dann haben wir ihr den Hintern verhauen mit dem blanken Seitengewehr. Dann haben wir sie gefickt, dann haben wir sie rausgeschmissen, dann haben wir ihr nachgeschossen, da lag sie auf dem Rücken, da haben wir (mit) Granaten gezielt. Und jedes Mal, wenn wir in die Nähe trafen, hat sie aufgeschrien. Zum Schluss ist sie dann verreckt und wir haben die Leiche weggeschmissen.

Die Abhörprotokolle belegen auch eine Praxis, die als "Erschießungstourismus" bezeichnet wird. Die Wehrmachtsangehörigen wussten selbstverständlich sehr früh über den Holocaust bescheid - und sie haben die "Einladungen" der SS zu Massakern oftmals bereitwillig angenommen, da die eine "Attraktion" gewesen seien, die die Langeweile des Krieges auflockerte. Ein Oberstleutnant der Luftwaffe erinnerte sich, wie die ganze Truppe mit Gewehren einer solchen Einladung gefolgt sei: "Die SS hat eingeladen zum Judenschießen ... Hat jeder sich aussuchen können, was für einen er wollte."

Mitunter seien bei solchen Wehrmachtmassakern Jagdrituale imitiert worden, berichtete ein Oberstleutnant: "...da lagen Schrotbüchsen da, normale Büchsen, und standen 30 polnische Juden da. Dann wurde den Gästen je eine Büchse gegeben, und dann wurden die Juden vorbeigetrieben, und dann durfte jeder einen Juden totschießen mit Schrot. Anschließend bekamen sie einen Gnadenschuss."

Vereinzelt habe es auch Kritik an dem Vorgehen der Wehrmacht gegeben, hieß es in dem Bericht:

Allerdings nicht immer stoßen die Massenexekutionen auf ungeteilte Zustimmung. Teilweise missbilligen die Soldaten die Art und Weise der Massenmorde. Wenn stundenlang das Blut spritzt, die Gruben voll sind, Kinder vor den Gewehrläufen zappeln, macht das auch den abgebrühtesten Landsern nicht mehr viel Spaß - trotz Zulagen und doppelter Essensration.

Doch nicht immer war die Kritik durch einsetzende Langeweile an dem industriell betriebenen Massenmord oder gar durch moralischen Abscheu vor diesem motiviert. Manchmal waren die Wehrmachtsangehörigen auch der Meinung, einfach nicht weit genug gegangen zu sein, wie die Aussagen eines Generalleutnants vom März 1945 belegen:

    Man darf ja das nicht laut sagen, aber wir waren ja viel zu weich ... Wir sind da jetzt in der Flasche mit den ganzen Grausamkeiten. Hätten wir aber die Grausamkeiten hundertprozentig durchgeführt - die Leute restlos verschwinden lassen, dann würde kein Mensch was sagen. Nur diese halben Maßnahmen, das ist immer das Falsche.

Wer hätte das gedacht? Unter den Nazis musste man nicht unbedingt in der SS, dem SD, der Gestapo oder der NSDAP sein, um Nazi zu sein. (Tomasz Konicz)


Aus: "Gaulands ganzer Stolz?" Tomasz Konicz (21. Juni 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Gaulands-ganzer-Stolz-4447162.html

https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Gaulands-ganzer-Stolz/forum-428528/comment/


Link

Quote[...] Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat einen Hang zu rechten Parteien unter den Beamten bestätigt. ,,Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt", sagte der Bundespolizist Jörg Radek der ,,Rheinischen Post". Die Bundesregierung müsse dringend den Verfassungspatriotismus in den Sicherheitsbehörden stärken. .

Die Regierung habe der Bundespolizei nie erklärt, warum die Beamten im Jahr 2015 und danach trotz ihres strapaziösen Einsatzes an der Grenze von ihrem gesetzlichen Auftrag, die unerlaubte Einreise zu unterbinden, abweichen mussten. ,,Daraus haben sich bei Bundespolizisten Sympathien für die AfD entwickelt. Eine politische Spätfolge davon ist, dass heute Bundespolizisten bei Landtagswahlen für die AfD kandidieren", sagte Radek.

Er beklagte, dass die ,,Wertschätzung der Bundesregierung für die Arbeit der Bundespolizei" über viele Jahre in der großen Koalition nicht spürbar gewesen sei. Erst jetzt, in den letzten drei Jahren, habe ein Umdenken stattgefunden, es gebe einen Stellenaufwuchs. ,,Für den Vertrauensverlust ist das zu spät", sagte Radek.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz hatte am Wochenende vor einem Abdriften von Polizisten und Soldaten hin zur rechtspopulistischen AfD gewarnt und damit eine Diskussion über die Sicherheitspolitik der Regierung angestoßen. ,,Wir verlieren offenbar Teile der Bundeswehr an die AfD.

Wir verlieren Teile der Bundespolizei an die AfD", sagte der frühere Fraktionschef im Bundestag der ,,Bild am Sonntag". Um dem Trend zu begegnen, müsse die CDU eine Partei sein, die ohne Wenn und Aber hinter den Sicherheitsorganen stehe. ,,Nur mit eindeutigem Rückhalt aus der Politik können sie jeden politischen Extremismus erfolgreich bekämpfen."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kritisierten Merz für seine Äußerungen scharf. Die Aussage sei "schon vom Ansatz her falsch", warf Seehofer dem CDU-Politiker in der ,,Bild"-Zeitung vor.

,,Er sollte die Bundespolizei nicht als Trittbrett für seine politische Karriereplanung missbrauchen", sagte Seehofer weiter. Die Bundespolizei stehe fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. ,,Sie ist kein Eigentum einer Partei, sondern Teil unserer offenen Gesellschaft."

Von der Leyen sagte der ,,Bild": ,,Polizei und Bundeswehr sind allein der Verfassung verpflichtet und gehören keiner Partei." Polizisten und Soldaten verdienten mehr Wertschätzung und ,,keine Mutmaßungen, wo sie ihr Kreuz machen".

Der ehemalige CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach kritisiert, dass Polizisten und Bundeswehrsoldaten oft mangelnde politische Unterstützung erfahren. ,,Viele Polizistinnen und Polizisten, oder deren Angehörige, haben mir in den letzten Jahren geschrieben und ihre Enttäuschung über politische Fehlentwicklungen zum Ausdruck gebracht", sagte Bosbach der ,,Passauer Neuen Presse". Es seien nicht die Politiker, ,,sondern unsere Polizei, die die Folgen dieser Entwicklungen Tag für Tag und hautnah zu spüren bekommen".

Auch die Bundeswehr habe in den vergangenen Jahren nicht immer den Rückhalt gehabt, den die Truppe verdient hätte. ,,Dann darf man sich nicht wundern, wenn sich einige von den etablierten Parteien abwenden und aus Protest bei der AfD ihr Kreuz machen", sagte Bosbach. Dies geschehe nicht selten mit der Hoffnung auf einen Politikwechsel der anderen Parteien, sagte der CDU-Politiker.




Aus: "Gewerkschafter bestätigt Hang von Bundespolizisten zur AfD" (24.06.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/sympathien-fuer-rechtsnationale-parteien-gewerkschafter-bestaetigt-hang-von-bundespolizisten-zur-afd/24485264.html

QuoteDaW 07:49 Uhr
Dass die so genannten "Sicherheitsbehörden" schon seit Jahrzehnten nazistisch durchseucht sind, ist doch nichts Neues. Gut, dass es endlich (wenn auch aus den falschen Gründen) nicht mehr geleugnet wird.


...

Link

#36
Quote[...] Der tatverdächtige Stephan E. soll den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gestanden haben. Das berichteten Teilnehmer aus einer nicht-öffentlichen Sondersitzung des Innenausschusses unter Berufung auf Generalbundesanwalt Peter Frank.


Aus: "Stephan E. soll Mord an Walter Lübcke gestanden haben" (26. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-06/stephan-e-soll-mord-an-walter-luebcke-gestanden-haben

-

Quote[...] Sicherheitskreise sagten dem Tagesspiegel, Stephan E. habe eingeräumt, Lübcke wegen dessen Äußerungen aus dem Oktober 2015 erschossen zu haben. Lübcke hatte damals bei einer Einwohnerversammlung rechten Flüchtlingsfeinden gesagt, sie könnten Deutschland jederzeit verlassen, wenn sie die Werte des Zusammenlebens nicht teilten.

Der CDU-Politiker Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni mit einer Schussverletzung im Kopf auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen bei Kassel entdeckt worden. Er starb wenig später im Krankenhaus. ...


Aus: "Erschossener Kasseler Regierungspräsident: Tatverdächtiger Stephan E. gesteht Mord an Lübcke" Frank Jansen (26.06.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/erschossener-kasseler-regierungspraesident-tatverdaechtiger-stephan-e-gesteht-mord-an-luebcke/24494856.html

-

Quote[...] Update 27. Juni 2019, 9:07 Uhr: Laut Informationen des ,,Bayerischen Rundfunks" gab es im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke zwei weitere Festnahmen. Der Generalbundesanwalt habe die Festnahmen angeordnet.

Bei den festgenommenen Personen handelt es sich laut BR um die zwei Männer, die dem geständigen Täter Waffen verkauft haben sollen. Stephan E. habe laut der ,,Süddeutschen Zeitung" gestanden, über mindestens fünf Waffen zu verfügen, darunter eine Pumpgun und eine Maschinenpistole samt Munition.

Der mutmaßliche Vermittler der Waffen stammt laut der Zeitung aus Kassel. Bei ihm sollen sich zudem NS-Devotionalien gefunden haben.

AfD macht ,,Massenzustrom von Migranten" für Mord an Lübcke verantwortlich

Update 16:55 Uhr: Die AfD-Fraktion im Bundestag hat die Politik der CDU für den Mord an Walter Lübcke verantwortlich gemacht. In einer Stellungnahme, die von der Fraktion auf ihrer Website veröffentlicht wurde, heißt es: ,,Hätte es die illegale Grenzöffnung durch Kanzlerin Angela Merkel [...] mit dem unkontrollierten und bis heute andauernden Massenzustrom an Migranten nicht gegeben, würde Walter Lübcke noch leben. Der Massenzustrom nach der illegalen Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen ist notwendiges Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte." ...


Aus: "Geständnis von Stephan E.: Zwei weitere Festnahmen im Mordfall Lübcke" (27.06.19)
Quelle: https://www.fr.de/politik/luebcke-mord-horst-seehofer-bestaetigt-gestaendnis-stephan-zr-12368892.html


"Rechtsextremismus: Hauptverdächtiger im Mordfall Lübcke sammelte Personendaten" (28. November 2019)
Das Landeskriminalamt hat im Zuge der Ermittlungen im Mord an Walter Lübcke eine Namensliste bei Stephan E. gefunden. Sie enthält Material über 60 Menschen und Objekte.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-11/rechtsextremismus-mordfall-luebcke-verdaechtiger-datensammlung

-

Quote[...] Der politische Mörder glaubt sich weder vor dem Gesetz noch vor dem Staat verantworten zu müssen, sondern vor der Geschichte, wenn nicht gar vor metaphysischen Größen wie den Göttern oder der Zukunft. Die Gesellschaft, die Regierung, das System – was immer der Täter mit seiner Handlung bekämpfte – ist in seiner Erzählung für ihn nicht zuständig.

... Der politische Mord geschieht [ ] in drei Sphären: als Praxis (Ausschaltung eines Gegners), als Symbol (Vernichtung einer Repräsentation) und als Affekt (Angst und Schrecken verbreiten, Lust und Triumph erzeugen). Dass die Grammatik des politischen Mordes also doch etwas komplizierter ist, als es auf den ersten Blick erscheint, erkennt man daran, wie sehr die Beziehung von Subjekt (Täter), Prädikat (Tat) und Objekt (Opfer) variabel ist. Jedes der drei Elemente hat eine spezifische Bedeutung, und manchmal verschwinden, wie bei einem anonymen Terroranschlag oder einer internen "Hinrichtung", Elemente vollkommen aus dem Blickfeld.

... Beim führerlosen Terrorismus neuerer Prägung, wie er sich beim Mord an Walter Lübcke und zuvor bei den Taten des NSU zeigte, könnte man nun aber von einer Verflüssigung der Grammatik der politischen Gewalt sprechen. Dieser Form des Terrorismus ist es zum Beispiel gleichgültig, ob er von einem intelligenten Psychopathen oder von der Kaputt-Variante eines nützlichen Idioten durchgeführt wird. Der Effekt – es wird keine heroische Tat behauptet, am Werk war gewöhnliche, tückische Mordlust – läuft auf etwas hinaus, was dem einstigen Terrorismus von links diametral entgegensteht: Die Reaktionen des Staates und der Gesellschaft soll nicht dessen und deren vermeintliche oder reale Brutalität aufzeigen, sondern im Gegenteil dessen und deren Schwäche.

... Der führerlose Terrorismus und der Mord ohne Bekenntnis entbehren zwar jeder heroischen Überhöhung, jeder noch so krausen Vorstellung von Ehre, sie erzeugen aber ein offenes, ungreifbares politisches Täter-Subjekt. Kein "Ich" soll Walter Lübcke umgebracht haben. Sondern "es" soll ihm recht geschehen sein.


Aus: "Mordfall Walter Lübcke: Entsichert" Aus einem Essay von Georg Seeßlen (25. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2019-06/walter-luebcke-mordfall-politischer-mord-rechte-gewalt

Link

#37
Quote[...] Ich glaube, wenn Männer überlegen, ob sie mit Rechten reden wollen, stellen sie sich das ungefähr so vor: Sie gehen in diese Eckkneipe, setzen sich an den Tresen, bestellen sich ein Bier, beginnen ein Gespräch über Fußball oder über Siemens, und beim vierten Bier redet man vorsichtig über die AfD. Vielleicht wird es ein netter Abend. Vielleicht lacht man und klopft sich auf die Schultern. Trotz alledem.

Kürzlich ging ich in eine Brauerei voller Rechter. 500 AfD-Unterstützer waren da, Wahlkampfabschluss in Görlitz. Ich betrat den Saal, 500 Männer schauten mich an und fragten sich, was ich da treibe. Ich trug enge schwarze Jeans, ein blaues Hemd, runde Brille. Ich lächelte, begann ein Gespräch über den Sommerabend, gab meinen Stuhl an einen Älteren ab. Nach weniger als einer Stunde verbalisierten sich die feindseligen Blicke: ,,Zeit, dass du gehst."

Wenn Rechte mit mir geredet haben in den letzten Jahren, haben sie mir Nachrichten geschrieben. Sie haben mir Gebärmutterhalskrebs gewünscht, ausgelöst durch Vergewaltigung durch einen Muslim. Das ist noch harmlos. Meine ehemalige Kollegin Thembi Wolf berichtet im Spiegel, wie Rechte so mit ihr reden: Einer will sie zu ,,Negermehl" verarbeiten, ein anderer im Periodenblut ihrer Mutter ersäufen.

,,Mit Rechten reden", da fehlt das Subjekt: Wer kann mit Rechten reden? Als Feministin werde ich von Rechten nicht als Gesprächspartnerin akzeptiert. Noch weniger gilt das für People of Color, Homosexuelle, Migrantinnen. Was für einen weißen heterosexuellen Mann eine intellektuell anregende Diskussion mit Andersdenkenden sein mag, ist für andere eine Gefahr. Ihnen sprechen Rechte das Rederecht ab. Oder das Recht auf Unversehrtheit. Oder, der NSU mahnt: das Recht auf Leben.

13 Jahre nach der rechtsradikalen Mordserie an zehn Menschen wurde nun Walter Lübcke (CDU) ermordet. ,,Der Rechtsterrorismus", sagt Innenminister Horst Seehofer, habe damit ,,eine neue Qualität erreicht." Worin besteht diese neue Qualität? Warum scheint Seehofer die Bedrohung erst jetzt zu fühlen? Judith Butler hat einmal den Begriff der ,,Betrauerbarkeit" (grievability) von Leben eingeführt. ,,Ohne Betrauerbarkeit ist da kein Leben", schreibt sie, oder: ,,Da ist ein Leben, das niemals gelebt worden sein wird." Nie gelebt; nie bedroht; nie ermordet. Betrauerbarkeit entsteht, wenn es ein Verständnis gibt für dieses Leben. Sie ist abhängig von Identifikation. Und Identifikation ist abhängig von sozialer Ähnlichkeit. Geschlecht. Und Herkunft. Und: vom Zuhören.


Aus: "Jetzt erst spürt Seehofer den rechten Terror" Elsa Koester (27.06.2019)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/jetzt-erst-spuert-seehofer-den-rechten-terror

-

QuoteDer Bayerische Landtag trauert um den von einem Rechtsextremen ermordeten Walter #Lübcke. #AfD-MdL Ralph Müller bleibt demonstrativ sitzen. Expliziter kann man seine Gesinnung wohl kaum zur Schau tragen. Mir ist schlecht.

Hier ist das Video:
https://www1.bayern.landtag.de/www/player/index.html?playlist=https://www1.bayern.landtag.de/lisp/res/metafiles/wp18/18_436/meta_vod_32257.json&startId=1


Barbara Ermes @barbaragerlach
Antwort an @realMartinHagen
Der steht auf als anderer ,,natürlich" Verstorbener Mitglieder des Bayerischen Landtags gedacht wird. Es ist nicht zu fassen!!!!!!!!!!!!

Captain Eureka @CptEureka
taktisch unklug. Anderenfalls hätte sich die AFD hinterher damit herausreden können, er hätte sich den Fuß verstaucht oder so.

Bayern im Wandel @DasAndereBayern
Antwort an @realMartinHagen
Für den verstorbenen Landtags-Kollegen ist er dann doch aufgestanden, also eine klare Aussage zu Walter #Lübcke und damit eine zu #Mord als politischem Mittel: Die #Tradition der #Rechten mit #Fememord seit mehr als 100 jahren


Friedrich Schu @frischu
Antwort an @realMartinHagen
Joschka Fischer kommentierte die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer, Siegfried Buback und Jürgen Ponto durch die RAF mit dem Satz: ,,Bei den drei hohen Herren mag mir keine rechte Trauer aufkommen, das sage ich ganz offen für mich."

Skip Hansen @SkpH_nsen
Vergleichen Sie jetzt Ralph Müller mit Joschka Fischer?

Friedrich Schu @frischu
Niemand ist zur Trauer verpflichtet!

...

Florian Eickenbusch @FlorianEicken
Die AfD verteidigt den Täter sogar öffentlich, sucht die Schuld für die Tat bei der Regierung nicht dem Täter und stellt die Tat indirekt fast schon als "notwendig" da.
https://www.afdbundestag.de/hohmann-ein-missbrauchter-politischer-mord/

Die Freiheit führt das Volk @Volkslobbyist
Macht euch mal Gedanken über die 100 Millionen Opfer des Kommunismus, ihr roten Heuchler.

...

Die Freiheit führt das Volk @Volkslobbyist
Heuchelt uns nicht vor Menschenfreunde zu sein. Die 100 Millionen Opfer des Kommunismus haben Euch noch nie interessiert.

...


Quelle: https://twitter.com/realMartinHagen/status/1143839522616201218

-

Quote[...] Eine seit vielen Jahren geäußerte Wehklage der Minderheitsdeutschen, wenn sie Opfer von Rechtsradikalen werden, lautet: "Sie weinen nicht um uns, weil wir es sind."

Gemeint ist damit beispielsweise die ausgebliebene Trauer um die Toten, die vom neonazistischen Terrornetzwerk NSU umgebracht wurden. Das "sie" bezieht sich auf die Minister, die Sicherheitsbehörden, auf den Verfassungsschutz, auf Regierung, Parlament, aber auch auf die Bevölkerung. Die Tränen blieben aus. Jeder Gedenkmarsch für die NSU-Opfer bestand aus einer Handvoll Menschen. Man hatte die Erzählung "Unsere Opfer, Eure Opfer" fast schon verinnerlicht, da wurde der Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke auf seiner Terrasse hingerichtet.

... Aus Walter Lübckes Tod folgt eine Erkenntnis. Nämlich die, dass die Tränen auch dann ausbleiben, wenn es sich bei dem Opfer um einen Deutschen aus der konservativen Mitte handelt. Die Erzählung, dass es sich nur um die richtige Sorte Opfer handeln muss, damit eine Phase kollektiver Trauer und politischer Maßnahmen folgt, stimmt kein bisschen.   

Die Kanzlerin reagiert auf den Tod ihres Parteikollegen mit der Redewendung "bedrückende Nachrichten". Der Rest der Partei ist in erster Linie ein schweigender Chor. Die Sprachlosigkeit zeigt, dass man auch nach Jahrzehnten der Aufarbeitungsversuche um nationalsozialistisches, rassistisches und rechtsextremes Gedankengut über kein politisches Vokabular verfügt, das in einfachen Worten irgendeine Form der Gefühlsregung beschreibt.

Die nicht schweigen, beschwören entweder die viel beschworene klare Kante oder erkennen in Lübckes Tod den berühmten Angriff "auf uns alle". Viele Stimmen sind es allerdings nicht. Hier und da gibt es Schuldzuweisungen, Tweets werden als Ursache genannt, aber als Auseinandersetzung oder gar tiefe Analyse taugt das alles nichts. Die Plattitüden stimmen auch nicht. Es wurde nicht jeder angegriffen. Ein Mensch wurde getötet. In seinem Zuhause. Er hat zwei Söhne, eine Familie, Freunde. Sein Name ist Walter. Man versucht sich in die Familie des Angehörigen zu versetzen. Es tut einem fürchterlich leid. Man hofft, dass die Hinterbliebenen eine Form von Trost finden, die unabhängig von den Reaktionen der Öffentlichkeit funktioniert. Sonst wären sie nämlich ähnlich verloren wie die Angehörigen der NSU und anderer von politischen Attacken betroffener Opfer.

Wen die öffentlichen Gesten nicht befriedigen, siebt zwangsläufig die übrige politische Kommunikation durch einen feinen Filter. So betrachtet erscheint einem der Vorschlag des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, eine Toleranz nach rechts zu entwickeln, befremdlich. Auch die Tatsache, dass Neonazis in Ostritz gezwungen wurden, eine Veranstaltung ohne Bier zu überleben, mag man nicht recht als zivilgesellschaftlich heroische Leistung würdigen. Warum dürfen nach einem mutmaßlich politischen Mord Neonazis überhaupt feiern? Wofür genau steht das "Schild und Schwert"-Festival? In Sachsen stimmen Walter Lübckes Parteikollegen die Öffentlichkeit auf eine Koalition mit der rechtsextremen AfD ein. Seit dem 2. Juni, das ist das Datum der Kasseler Mordnacht, lesen sich diese Ereignisse wie Zeichen einer gnadenlosen Pietätlosigkeit. Instinktlose Geschmacklosigkeiten. Allein diese drei politischen Ereignisse geschehen innerhalb einer Woche. Das ist bitter, wenn so ein Mord nicht einmal für einige wenige Tage etwas bewirkt.

Als 1992 der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen geschah, beschlossen Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, und sein Generalsekretär Michel Friedman, dorthin zu fahren, weil es niemand sonst aus der Bundesregierung tat. Es waren Tage des Wahnsinns. Rostocker Bürger riefen beim Biergelage brennenden Deutsch-Vietnamesen in ihrem Heim zu: "Jetzt werdet ihr gegrillt." Der Bratwurstbetreiber machte allein an einem Dienstag 2.200 Mark Umsatz mit seiner Bude "Happi Happi bei Api", die er extra für das Ereignis dorthin rollte. Als also die Vertreter des Zentralrates den Weg ins Sonnenblumenhaus liefen, bat ein Kamerateam Bubis um ein paar Worte. Er aber weinte nur und antwortete: "Man kann darüber nicht reden."

Dieses Nichtreden war kein Schweigen. Im Gegenteil. Im Nichtredenkönnen steckte alles drin, Mitgefühl, Traurigkeit, Bedauern.

Wo man keinen Kummer verspürt, singt man keinen fado, kein uzun hava. Warum offenbaren sich manche Gesellschaften in politischen Ausnahmesituationen als trauernde Gemeinschaft und andere nicht? Die norwegische Königsfamilie war auf dem Weg nach Utøya sichtlich gebrochen, ebenso Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern in Christchurch. Man ist versucht zu glauben, dass der Rechtsextremismus in Deutschland keinen Schmerz verursacht. Aber dann fragt man sich, ob die Opfer der RAF öffentlich beweint wurden. Man kann sich nicht erinnern. Die Täter aber immerhin wurden bekämpft.

Man zieht also Die Unfähigkeit zu trauern von Margarete und Alexander Mitscherlich aus dem Regal. Das Werk beschrieb die postfaschistische Gesellschaft bis 1968. Jede Seite liest sich wie ein Befund der Gegenwart, obwohl es die Vergangenheit von vor 50 Jahren beschreibt. Die Weigerung etwa, die Katastrophen der Vergangenheit in den Erfahrungsschatz einzubeziehen, weniger als Warnung, weil das sowieso nicht funktioniert, sondern um mit den "brutal-aggressiven Tendenzen" der Sechzigerjahre und der darauffolgenden Jahre fertig zu werden. Bewältigung läuft bei den Autoren nicht auf einen Endpunkt zu, sondern wird als fortwährende Abfolge von Erkenntnisschritten begriffen. Der Nationalsozialismus wurde damals, und das ist auch heute noch so, als "Infektionskrankheit" verstanden. Und wahr bleibt immer noch, dass die "Obhut des Führers" als "lustvoll" empfunden wurde, denn "es war herrlich, ein Volk der Auserwählten zu sein". Statt sich anschließend die Selbsttäuschung einzugestehen, folgen infantile Erinnerungslücken, Verdrängung, Verleugnung. Das geht bis heute so.

Wenn man auf die rechtsextremen gewaltbereiten Taten und Täter, die es zu Zehntausenden gibt (der Verfassungsschutz spricht von 12.700 gewaltorientierten Rechtsextremen), hinweist und eine Kontinuität erkennt, wird der aggressive Versuch von autoritären Erinnerungsunwilligen unternommen, das auf der Stelle zu lassen. Man soll dann etwas anderes erwähnen. Oder ein anderes politisches Phänomen hinzuziehen. Offenbar ist das Eingeständnis, dass man als Volk in seiner Vergangenheit bereit war, sich nicht nur täuschen zu lassen, sondern eifrig und "mit Lust" mitzumachen, so schambehaftet, dass man jeden Gedanken, der dahin führen könnte, unterbinden muss. Und vielleicht – man nähert sich jetzt langsam einer möglichen Erklärung – liegt in der strikten Weigerung oder Unfähigkeit zu trauern, der verzweifelte Versuch, einen Umweg um diese Erinnerung zu machen.


Aus: "Kiyaks Deutschstunde / Walter Lübcke: Unfähig zu trauern" Aus einer Kolumne von Mely Kiyak (26. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2019-06/walter-luebcke-cdu-trauer-rechtsextremismus-trost/komplettansicht

Quote
mal-schauen #1

Vielen Dank für diesen Artikel Frau Kiyak. Dieses erdrückende Schweigen der CDU bzw der Konservativen ist ohrenbetäubend.
Für meinen Bekanntenkreis-und für mich jedoch absolut hervorsehbar.
Wo sind die Bosbachs, Wendts, Maaßens usw die doch sonst in jede Kamera sprechen wenn es sich um den " Islam" dreht.
Mein aufrichtiges Beileid an alle die im Jahre 2019 immer noch schlecht auf dem rechten Auge sehen.


Quote
Philosoph77 #55

Die Anteilnahme der Neuseeländer fand ich wirklich grandios. Selbstbewusst, stark, klar in der Ablehnung was geschehen ist, sofortige Unterstützung der Opfer und Hinterbliebenen, große Worte, klare Ansagen und das von der Politik, über die Bürger, bis hin zu den Mairi mit ihrem Haka - sehr emotional.
Ich denke von diesem kleinen Inselstaat kann sich jeder etwas über Empathie und Menschsein abschauen.
Wir können nur negative Emotionen, sehr leicht Hass und Neid verbreiten. Alles was sich außerhalb der Familie abspielt, muss in absoluter Sachlichkeit stattfinden.
Würde mich nicht wundern, wenn jemand auf die Idee käme, eine Norm für Trauer zu erlassen.


Quotesouthy #1.1

Naja, also um fair zu bleiben: Die Autorin zeigt hier eine generelle "Tauer-Schwäche" der politischen Szene in Deutschland auf, nicht nur jetzt im Bezug auf den Mord von rechts, sondern genauso auch zu RAF-Zeiten. Die These der Autorin ist das "wegen Gründen" die Politik in Deutschland *generell* "Trauer-unfähig" ist - vor allem im Vergleich zu z.B. Neuseeland und Norwegen.
Das ist eine interessante These, und das jetzt auf "die CDU ist auf dem rechten Auge blind" zu reduzieren, wird der Sache nicht gerecht.
Was nicht heißt, dass diese Blindheit nicht existiert. Es ist nur hier einfach nicht Thema.


Quotecontradore #1.10

"Die anderen instrumentalisieren eine noch unklare Tat"

stephan e. hat gestanden, wie auch sie inzwischen mitbekommen haben dürften: "Über sein Motiv sagte er nach SPIEGEL-Informationen, seine Tat sei eine Reaktion auf Lübckes Äußerungen über Flüchtlinge im Oktober 2015 im hessischen Lohfelden gewesen. "
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/walter-luebcke-stephan-e-legt-gestaendnis-ab-a-1274335.html

ist ihnen das "klar" genug?


QuoteStillpoint #2

... Ich fühle mich auch in meiner eigenen Sprachlosigkeit getroffen, da gibt es einiges zu reflektieren. Danke für den Anstoß!


QuoteFrau. Huber #4

Ich sehe ehrlich gesagt ganz generell bei uns Deutschen eine Schwierigkeit, mit Gefühlen offen umzugehen. Wir möchten in keinem Fall pathetisch wirken, egal ob im Schmerz, der Freude oder der Lust. Überschwang ist uns suspekt und diskreditiert jegliche Aussage. ... Die einzige Emotion,die wir sehr offen zur Schau stellen,ohne uns dabei lächerlich zu fühlen, ist Wut. Weil sie Aggression und Wehrhaftigkeit ausdrückt. Deshalb gibt es bei uns zwar Wutbürger, aber keine Freudenbürger und Hasskommentare, aber keine Trauerkommentare, oder jedenfalls finden Freude, Trauer und Glück wenig Beachtung.

Ich persönlich habe den Eindruck, Verletzlichkeit zu zeigen ist in unserer Leistungsgesellschaft bis heute ein Tabu, weil immer noch die Ideologie der Nazis vom unwerten Leben der Schwachen und Verletzlichen unbewusst nachwirkt und bei vielen Schwäche nicht Mitgefühl, sondern Verachtung weckt.


QuotePhyseter #4.2

"Ich persönlich habe den Eindruck, Verletzlichkeit zu zeigen ist in unserer Leistungsgesellschaft bis heute ein Tabu,weil immer noch die Ideologie der Nazis vom unwerten Leben der Schwachen und Verletzlichen unbewusst nachwirkt und bei vielen Schwäche nicht Mitgefühl, sondern Verachtung weckt."

Das verpönen von Emotionen gab es schon vor den Nazis, die berüchtigte schwarze Pädagogik hatte schon seit wilhelminischen Zeiten die Kinder auf die berüchtigten "deutschen Tugenden" gedrillt (geradeso, als ob alle anderen Völker diese nicht hätten). Emotionen zeigen gehörte nicht dazu. Unbewusst wird das leider von Generation zu Generation weitergegeben.


QuoteDerKrieger #4.5

"Ich persönlich habe den Eindruck, Verletzlichkeit zu zeigen ist in unserer Leistungsgesellschaft bis heute ein Tabu,weil immer noch die Ideologie der Nazis vom unwerten Leben der Schwachen und Verletzlichen unbewusst nachwirkt und bei vielen Schwäche nicht Mitgefühl, sondern Verachtung weckt."

Vielen Dank für diese Worte. Ich hätte nicht erwartet, so etwas je von einem anderen Deutschen zu hören. Und ich bin überzeugt, dass Sie - leider - ganz & gar Recht haben.


Quotemarika rockt #4.7

"Ich persönlich habe den Eindruck, Verletzlichkeit zu zeigen ist in unserer Leistungsgesellschaft bis heute ein Tabu,weil immer noch die Ideologie der Nazis vom unwerten Leben der Schwachen und Verletzlichen unbewusst nachwirkt und bei vielen Schwäche nicht Mitgefühl, sondern Verachtung weckt."

Das Unwort vom "Gutmenschen", der dadurch lächerlich gemacht, weil er empathisch reagiert, ist der jüngste Ausdruck davon. Wir sind immer noch im militärisch-industriellen Komplex. Hart wir Kruppstahl und eloquent bei der Arbeit, die, wenn kein Blut fließt, eigentlich auch suspekt ist; insbesondere intellektuelle Anstrengung gilt ja auch als keine "echte Arbeit". Insbesondere bei Rechten stilbildend, im Ex-Osten ist das Arbeitsethos ja noch viel stärker ideologisch verankert. Was das mit Rechten zu tun haben könnte? Ich denke, das macht einfach rechtes Bösmenschentum für viele attraktiv.


QuoteH.Schulz #18

Wenn es um den Rechtsradikalismus geht, leben wir in einer Wegschau- und Verdrängungsgesellschaft.


QuoteOpho #28

Hierzu eine Gegenfrage: Sollte der Staat, vertreten durch seine hohen Würdenträger, überhaupt große Gefühle zeigen? Führen starke Gefühle nicht zu gefühlsorientierte statt zu rationale Entscheidungen? Ich denke Emotionen sind ein zweischneidiges Schwert, auf der einen Seite schaffen sie eine Verbindung zwischen "denen da oben" und uns, auf der anderen Seite können sie vernünftigen Lösungen im Weg stehen. Trauer & Zorn sind keine guten Ratgeber.

Im vorliegendenFall stellt sich zusätzlich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt gewesen wäre: Nach der Tat, als man noch nicht wußte, weshalb die Tat geschehen ist? Nach der Verhaftung (trotz Unschuldsvermutung)? Heute, nach dem Geständnis, aber vor der öffentlichen Hauptverhandlung? Nach Rechtskraft des Urteils, wenn die Tat vielleicht schon ein Jahr her ist? Aber nichts sagen, nur weil es keinen guten Augenblick gibt?

Ich kann verstehen, dass die Tat einen Schweigend zurücklässt. Jenseits der Abscheu vor der Tat fällt mir auch nichts konstruktives ein.


Quoteaku12 #33.1

Der Kanzler Willy Brandt hat mit dem Kniefall in Polen seine Trauer über die Untaten gezeigt, die im Namen Deutschlands geschahen - und an die er persönlich unbeteiligt war- er hat sich der Tränen nicht geschämt. Solche Menschen gibt es in der heutigen Politikerklasse der Apparatschicks offensichtlich nicht mehr – leider.


QuoteFranz Koch #34

Vielen Dank für diesen Artikel!
Ich denke, es ist mit dem Trauern im Grunde ganz einfach. Trauern kann nur, wer traurig ist. Und traurig kann nur sein, wer keine Angst vor den Gefühlen der Trauer hat. Und trauern um andere kann nur, wer mitfühlen kann. Ich glaube es lohnt, darüber nachzudenken ohne auf andere zu schauen. Vielleicht findet man in der inneren Leere Menschen, wer Glück hat findet vielleicht sogar ein Stück von sich selbst. Darüber wird man schwer sprechen können. Unter den Worten gerinnt meist das Gefühl und wird schal.


Quotemankus #35

Ich habe selten ein "richtiges" regierungsamtliches Trauern erlebt. Nur wenige Politiker verfügten über das Format, das auch ihrer Zeit entsprach. (Einer davon war Willi Brandt, ein anderer Richard von Weizsäcker)

Die ehrliche Konsistenz von Trauern und logisch-entschiedenem politischen Handeln ist noch schwieriger und wie es scheint in diesem Themenbereich ausgeschlossen. Man sollte das auch nicht unbedingt erwarten. Die Enttäuschung ist sicher.

Letzten Endes muss man fragen wie weit (geistige und praktische) Verbindungen zwischen CDU und AFD einerseits und AFD und rechtsextremen Mörderbanden andererseits bestehen.

Zunächst aber muss man fragen, wie dieser Infekt zustande kommt, bei dem plötzlich wieder so eine Art Dummheit grassiert, die Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten dazu bringt, irgendwelche Minderheiten zu Schuldigen und zu zu Bestrafenden zu machen, um sein eigenes Selbstgefühl daran aufzurichten und sei es auch nur, um durch bloßes Mitlaufen im Mob ein Zugehörigkeitsgefühl zu erleben.

Dem hat sich Walter Lübcke spontan und mit sicherem Instinkt entgegengestellt und ist wie immer in Fällen von individueller Zivilcourage ein Risiko eingegangen. Vielleicht ist ja spontane herzhafte Trauer auch schon ein Risiko.

Gegen eine solche Angst, wenn sie zur Epidemie wird, gibt es kein Impfserum.


Quoteah-jun #35.1


"Ich habe selten ein "richtiges" regierungsamtliches Trauern erlebt. Nur wenige Politiker verfügten über das Format, das auch ihrer Zeit entsprach. (Einer davon war Willi Brandt, "

Und wie war der Reaktion der CDU auf den Kniefall Brandts in Warschau?


Quote
vincentvision #40

Der rechtskonservative Deutsche hat immer Probleme mit denen, die ihn seiner heilen Welt herausfordern, an seinen gefühlten Geldbeutel gehen und so in seinen Augen Unruhe stiften.
Deswegen zetert er seit Jahren gegen ,,chaotische Linke", die ihm - O Gott - eventuell sein Auto zerkratzen oder abfackeln.
Außerdem - wie die schon aussehen und wie die leben - Igitt...!
Dagegen so ein wackerer Rechter...ordentlich gescheitelt, festes Schuhwerk und überhaupt - die tun ihm ja nichts, sondern nur den armen Schweinen am Stadtrand mit zu dunklem Teint. Mit denen hat er nichts zu tun.

Ich fasse zusammen:
Der Konservative hat vor Neonazis nichts zu befürchten, keine linken Aufnäher, kaum Migrationshintergrund...
Ganz anders sieht das mit Linksautonomen aus - die verbrennen zwar keine Menschen, aber dafür manchmal Luxuskarossen.
Da hört der Spaß für ihn auf!
Und da sich der typische Konservative selber am nächsten ist, greifen eben dann auch zuverlässig seine antilinken Reflexe.
Und deswegen ist seit jeher schwarz auch die Farbe, die braun am besten deckt...


Quote
Zweite Chance #42

- "Unsere Opfer, Eure Opfer"
- "Jeder Gedenkmarsch für die NSU-Opfer bestand aus einer Handvoll Menschen."

Das ist schlimm, und bezeichnend.
Allerdings sehe ich keine schlüssige Argumentation, denn nach z. B. den Breitscheidplatz-Attentat gab es das ebenfalls nicht, es hat sogar fast ein Jahr gedauert, bis der Berliner Bürgermeister "bedauern" ausgedrückt hat, in einem Brief an die Opferfamilien.
Und "Gedenkmärsche" gab es keinen Einzigen.

"Unsere Opfer, Eure Opfer" ist damit widerlegt!


QuoteDucktales #42.1

Exakt zu diesem Ergebnis kommt die Kolummne ja - nur ohne den Breitscheidplatz mit einzubeziehen.


QuoteAmanda.S #46

Schweigen ist nicht gleich Schweigen. Es mit Gleichgültigkeit gleichzusetzen wäre voreilig.
Es gibt auch so etwas wie ein entsetztes Schweigen. Gerade von Politikern finde ich es im Moment gar nicht falsch, einfach (erst)mal den Mund zu halten. Und dann wirklich zu handeln, statt Phrasen zu dreschen.
Hier im Forum im Moment ein ziemlich hörbares Schweigen von Seiten der Rechten, durchbrochen nur von gelegentlichen eher kläglichen Whataboutisms.
AFD-Wähler mit feiernden Neonazis gleichzusetzen ist ungefähr so zielführend wie konservative Muslime mit Islamisten in einen Topf zu werfen.
(erwartbare Reaktion auf Terror von der einen wie der anderen Seite: "Das ist ein schreckliches Verbrechen, ja, und was habe ich damit zu tun?")
im Übrigen hat Frau Kayak recht, es ist ist merkwürdig still um diesen Mord.
Von mir selber ausgehend, muss ich zugeben, dass ich emotional erschöpft bin nach vier Jahren, in denen Terroranschläge (noch sehr viel größeren Ausmaßes) Dauerthema sind. Ich glaube da ist eine gewisse emotionale Panzerung im Spiel, ein Selbstschutz. ...


Quote
disentchantment #49

Erneut ein exzellenter, den Kern treffender Kommentar von der klugen Frau Kiyak. Danke.
Besonders getroffen hat mich der Vergleich mit der neuseeländischen Ministerpräsidentin und der norwegischen Königsfamilie. Wir Deutschen können eine ganze Menge, vieles aber auch nicht, zum Beispiel aufrichtig, überzeugend und versöhnlich trauern.


QuoteHans-Peter Blume #53

Ich trete entschieden dafür ein, daß "Trauer" ein höchstpersönliches Gefühl ist, über dessen Kommunikation nach außen jeder, auch jeder Politiker, einzig und allein selbst zu entscheiden hat. Die üblichen Trauer- und Beileidsfloskeln finde ich oft nur peinlich. Ich bin auch gegen eine Klassifizierung von Mordopfern. Mir ist jeder Ermordete leid, ob es sich nun um Amok-Opfer, Opfer von Beziehungstaten, sogennante Ehrenmorde, gefallene Soldaten in Afghanistan, oder eben auch Politiker handelt. Letztere werden nicht selten durch ein Staatsbegräbnis besonders geehrt.


Quotetill ratzeburg #53.1

Sie posten bei ZON an anderer Stelle: "Auch die christliche Religion fordert, was gern übersehen wird, zur Liebe der Nächsten und nicht der Fernsten auf. Strafrechtliche Übergriffe auf den Ex-Bürgermeister sind von der Justiz zu ahnden. Mit anderen Nachteilen mußte er rechnen, wenn er sich gegen viele Wähler stellte."

Ich vermute, das sie Jurist sind.
Und ich vermute ebenfalls, das ihr Kommentar dem Grunde nach der Relativierung der rechten Terroropfer dienen soll, da sie ihn ja mit jeder anderen Motivation eines Täters gleich setzen.
Und das die Ehrung des Opfers solcher Taten mit dem Ehrenbegräbnis sein Ende finden soll.
Darf ich also vermuten, das die Merz´schen Worte nicht nur auf Polizei und Militär zu beschränken sind ?


QuoteBurckhardt Fischer #54

... Die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft seziert, weit über die CDU und Ministrale hinaus.
Dabei ist die Mit-Trauer für die Angehörigen essentiell, für uns alle aber das Erschrecken darüber, dass solche Morde und Gesinnung bei uns wiederum möglich sind - und man geht zur Tagesordnung über oder fordert "Toleranz für Rechts" (Gauck). Wie kann man nur ungerührt das Geschenk der Freiheit und des Friedens so verspielen, und wiederum die Menschlichkeit?!
Es wird mehr brauchen als nur ein paar organisatorische Retouchen oder Sonntagsreden, um diesen inneren Zerfall noch zu stoppen oder gar umzudrehen: nämlich zumindest die Diskussion um zur Zeit als "alternativlos" gehandelte Wirtschafts-Szenarien, bei der immer größere Teile unserer Gesellschaft in Perspektivlosigkeit abgleiten - and the winner takes it all.
Ein Kevin Kühnert wird da als Anstoß nicht reichen, und es braucht zumindest Gesprächspartner in den Medien, die sich auf grundlegende Dikussionen EINLASSEN, nicht nur die üblichen Talkshow-Entertainer. Ich fürchte, die Zeit auch für dieses "Klima" läuft ab.


Quote
Philosoph77 #54.1

Ich habe mir neulich Zeit genommen und Herrn Gauck zugehört, welcher als einzelner Gast bei Lanz war. Der Termin war mit Sicherheit bereits seit Monaten Vom Verlag geplant und scheint gerade zum Tode Lübkes extrem unglücklich gefallen zu sein. Gauck distanziert sich klar vom Rechtsextrismus, übersieht allerdings, dass schwer Konservative, bzw. rechte Bürger keine schützenswerte Spezies darstellen, sondern ein Teil der Bevölkerung der sich genauso dem politischen Diskurs stellen muss wie alle anderen. Er will sie gerne behüten, ihnen zu reden, ihre Ängste ernst nehmen, übersieht jedoch, daß der Übergang zum Rechtsextremen fließend ist, wenn nicht in der Tat, dann doch zumindest in der Akzeptanz von rechtsextremen Taten und Denkweisen. Auch wenn ich nicht mit seinen Positionen übereinstimme, war es interessant seinen Ausführungen zuzuhören.


Quote
bretter_ pit #66

... Auch ich und viele in dieser Gesellschaft tragen eine Mitschuld. Eine Schuld, die insbesondere auch die Medien trifft. Es fängt in der Erziehung an, wo der Nachwuchs darauf getrimmt wird, möglichst effizient zu funktionieren und so wenig als möglich Gefühle zu zeigen. Man kann Trauer nicht anerziehen, aber ein Gefühl für Mitmenschen - Empathie genannt - kann man vorleben.
Und was verlangen wir denn, in Zeiten der (a)sozialen Netze und der sekündlich neuen Meldungen – immer auf Effekthascherei aus und möglichst viele Klicks ... Abstumpfung und Überforderung sind die Folge.


Quotegrussausberlin #68

Danke für diesen exzellenten Artikel, Frau Kiyak. Vielleicht noch ergänzend der Hinweis, dass sich die CDU aus meiner Sicht schwer mit Trauer tut, weil es eine kollektive Ahnung darüber gibt, wie fließend die Grenzen in einer "rechtsoffenen Mischkultur" sind: Gauland war CDU Mitglied. ... Man wird nicht versehentlich rechtsradikal.


...

Link

Quote[...] BERLIN/KASSEL taz | Im Mordfall Walter Lübcke wird nun gegen das Umfeld des Tatverdächtigen Stephan Ernst vorgegangen: Die Bundesanwaltschaft bestätigte am Donnerstagvormittag, dass es zwei Festnahmen gegen mutmaßliche Waffenlieferanten von Ernst gab: den 64-jährigen Elmar J. und den 43-jährigen Markus H. aus Kassel und dem Landkreis Höxter.

Elmar J. soll 2016 die Tatwaffe verkauft haben, mit der Stephan Ernst Anfang Juni den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dessen Haus in Wolfhagen-Istha erschossen haben soll. Markus H. wiederum soll den Kontakt zwischen beiden hergestellt haben. Die Wohnungen der Männer seien durchsucht worden, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Man werde Haftbefehle wegen ,,des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zum Mord" beantragen.

Zugleich hoben die Ermittler nach taz-Informationen in der Nacht zum Donnerstag ein Waffendepot von Ernst in einem Erdloch bei dessen Kasseler Arbeitgeber, einem Unternehmen für Fahrzeugtechnik, aus. Laut Süddeutscher Zeitung sollen dabei fünf Waffen gefunden worden sein – darunter eine Uzi und eine Pumpgun. Ob auch die Tatwaffe dabei war, blieb vorerst unklar.

Ein Sprecher von Ernsts Arbeitgeber bestätigte der taz am Donnerstag, dass es Ermittlungen der Polizei auf dem Firmengelände gegeben habe. Diese würden ,,in vollem Umfang unterstützt". Weitere Angaben wollte der Sprecher nicht machen.

Ernst hatte am Dienstagnachmittag – nach anfänglichem Schweigen – den Mord an Lübcke gestanden. Offenbar gab er dort auch Hinweise zu den Waffen. Nach taz-Informationen hatte auch die Ehefrau von Ernst der Polizei bereits mitgeteilt, ihren Mann in der Vergangenheit mit einer Waffe gesehen zu haben.

Die aufgefundenen Waffen sprechen einmal mehr gegen eine Spontantat von Stephan Ernst. Nach taz-Informationen soll er in seinem Geständnis angegeben haben, es seien Aussagen von Lübcke auf einer Bürgerversammlung 2015 in Kassel-Lohfelden gewesen, die ihn zur Tat motiviert hätten. Lübcke hatte sich damals offensiv für eine Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen. Und erklärt: Wer diese Werte nicht teile, könne Deutschland ja auch verlassen

Ernst war bereits seit 1989 mit zahlreichen rechtsextremen Straftaten aufgefallen, darunter einem Anschlagsversuch mit einer Rohrbombe, eine Brandstiftung auf ein von Deutschtürken bewohntes Haus und ein Messerangriff auf einen Migranten. Seit 2009 aber soll sich Ernst laut Angaben der Sicherheitsbehörden unauffällig verhalten haben.

Genau in der Zeit aber legte er sich offenbar seine Waffen zu – unbemerkt von den Behörden. Zugleich war Ernst in einem Schützenverein aktiv – als Referent fürs Bogenschießen. Zugang zu Schusswaffen habe er dort nicht gehabt, versicherte der Vorsitzende des Schützenvereins der taz. Offensichtlich aber fand Stephan Ernst andere Wege, um an Waffen zu gelangen.


Aus: "Entwicklungen im Mordfall Walter Lübcke: Zwei weitere Festnahmen" Konrad Litschko (27. 6. 2019)
Quelle: https://taz.de/Entwicklungen-im-Mordfall-Walter-Luebcke/!5607394/


Link

Quote[...] Die AfD fordert in einem Strategiepapier ihrer Verteidigungspolitiker einen Kurswechsel Deutschlands in der Sicherheitspolitik. Das Konzept der Bundestagsfraktion sieht eine Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht vor, Änderungen im Grundgesetz zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und für den Schutz der Grenzen sowie eine vollständige Konzentration auf das Nato-Bündnis, in dem Deutschland eine führende Rolle übernehmen und Hauptlasten schultern müsse. ,,Deutschland beteiligt sich deshalb nicht am Aufbau einer ,,EU-Armee"", heißt es in dem Papier, das an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt werden soll und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Die Partei greift die Verteidigungspolitik der Union an und spricht von einer nötigen ,,Restauration der Bundeswehr". Die Aussetzung der Wehrpflicht habe die Sicherheit Deutschlands gefährdet. Mit der Wehrpflicht solle ,,die Grundlage für eine neue Schlagkraft und neue Ordnung der deutschen Reserve geschaffen" werden. Dazu gehöre der Einsatz von Reservisten im Grenzschutz. Ziel müsse ein Reservistenkorps aus 50.000 Mann als Verstärkung für 230.000 Soldaten sein.

,,Mit dem Wehrdienst wird auch der Wehrwille des deutschen Volks gestärkt", heißt es in dem Papier. Konkret soll die Verwaltung befähigt werden, die Wehrerfassung unverzüglich wieder aufzunehmen. Ziel: Musterung aller Männer ab dem 18. Lebensjahr. Überlegungen, den Dienst in der Bundeswehr auch für Angehörige anderer Staaten zu öffnen, erteilt die Partei ein Absage.

,,Innere und äußere Sicherheit unseres Landes lassen sich nicht mehr getrennt voneinander schützen. Zur Gefahrenabwehr unterhalb der Schwelle des Verteidigungsfalles, kann die Bundeswehr zukünftig im Rahmen eines ,,erweiterten militärischen Einsatzes" im Inland eingesetzt werden, lautet eine Forderung. Die Bundeswehr soll befähigt werden, auf Terrorangriffe, Cyberangriffe, Drohnenangriffe oder Angriffe mit gekaperten Flugzeugen reagieren zu können. ,,Sie hält für diese Aufgaben Alarmkräfte vor", heißt es.

Auslandseinsätze sollen Landesverteidigung untergeordnet werden. Nötig sei außerdem immer eine ,,Exit-Strategie" sowie eine jährliche Evaluierung des Erfolgs, ,,die Ergebnisse werden veröffentlicht". Die Bundeswehr soll auch zur Gefahrenabwehr und ,,zur Unterstützung der Strafverfolgung im Ausland befähigt und autorisiert" sein. Die Bundesrepublik pflege dazu Kooperationen mit anderen Staaten. ,,Die Bundesregierung trägt jedoch dafür Sorge, dass Aufträge aus diesem Spektrum auch gegen den Willen anderen Staaten durchgeführt werden können. Ein präzises und robustes Vorgehen deutscher Streitkräfte entfaltet durch seine abschreckende Wirkung auch einen präventiven Schutz für Deutsche im Ausland."

Die AfD-Politiker fordern den Aufbau eines deutschen Generalstabs und eine eigene Militärjustiz aus ,,Gründen der besonderen Berücksichtigung des soldatischen Dienstes". Neben materieller und personeller Aufrüstung sei auch eine geistig-moralische Reform der Truppe zwingend erforderlich. ,,Auch das militärische Selbstverständnis und das Traditionsbild der deutschen Streitkräfte dienen der Befähigung und der Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht", heißt es in dem Papier.

Ihr Traditionsverständnis formulieren sie so: ,,Deutschland blickt auf eine Jahrhunderte alte Militärtradition zurück. Diese Tradition ist geprägt von Erfolgen und Brüchen, von Falschem und Richtigem."


Aus: "Papier zur Sicherheitspolitik : AfD will Wehrwillen stärken" (27.06.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/papier-zur-sicherheitspolitik-afd-will-wehrwillen-staerken-16256643.html