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[Forschender Blick nach rechts... ]

Started by Link, February 28, 2019, 10:02:08 AM

Link

QuoteEin politisches Spektrum wird traditionell mithilfe einer eindimensionalen geometrischen Achse beschrieben. Dabei werden die beiden Hälften der Achse als links und rechts bezeichnet. Zur genaueren Klassifikation politischer Ideologien werden heute auch unterschiedliche mehrdimensionale Klassifikationssysteme gebraucht. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_Spektrum

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Quote[...] Rechtsextremisten orientieren sich an einer ethnischen Zugehörigkeit, bestreiten und bekämpfen den Anspruch aller Menschen auf soziale und rechtliche Gleichheit und vertreten ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritäres Gesellschaftsverständnis. Politisch wollen sie den Nationalstaat zu einer autoritär geführten ,,Volksgemeinschaft" umgestalten. ,,Volk" und ,,Nation" werden dabei rassistisch oder ethnopluralistisch definiert. ...

https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus

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Quote[...] Der italienische Faschismus galt als Modell für ähnliche Bewegungen, Parteien und Organisationen in verschiedenen Staaten und Regionen Europas, auch für den in Deutschland im Jahr 1933 zur Macht gelangten und bis 1945 herrschenden Nationalsozialismus. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Italienischer_Faschismus

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Quote[...] Italian fascism was the first right-wing dictatorship that took over a European country, and all similar movements later found a sort of archetype in Mussolini's regime. Italian fascism was the first to establish a military liturgy, a folklore, even a way of dressing — far more influential, with its black shirts, than Armani, Benetton, or Versace would ever be. ...

 

From: "Ur-Fascism", Umberto Eco (Date: June 22, 1995)
Sorce: https://theanarchistlibrary.org/library/umberto-eco-ur-fascism

"Eternal Fascism: Fourteen Ways of Looking at a Blackshirt" delves into the core characteristics of fascism. Eco outlines fourteen key elements or traits, which he refers to as "ways," that commonly appear in fascist movements.
https://en.wikipedia.org/wiki/Ur-Fascism

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"Drittes Reich" ist eine Bezeichnung für das nationalsozialistische Deutschland. Seit den 1920er Jahren wurde der Begriff von der völkischen Bewegung und den Nationalsozialisten propagandistisch eingesetzt, um die von ihnen angestrebte Diktatur in eine Traditionslinie mit dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich und dem 1871 gegründeten Kaiserreich zu stellen, die Weimarer Republik hingegen von beiden abzugrenzen und dadurch zu delegitimieren. Bis 1939 und darüber hinaus war der Begriff auch als Selbstbezeichnung des NS-Staats gängig.
https://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Reich

https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Deutsche_Arbeiterpartei

https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus_in_der_Bundesrepublik_Deutschland

https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Rechte

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Quote[...] Die Menschen fühlten sich durch Hitler, der gleichsam als gottgleiche Himmelsgestalt erschien, verstanden und im Nationalsozialismus wie in einer Kirche aufgehoben. Die religiöse Komponente war und ist unverkennbar. ... Zahlreich finden sich in den Reden und Texten Hitlers und seiner Anhänger Passagen, die gnostischer beziehungsweise apokalyptischer Natur sind. Da ist die Rede von Gut und Böse, da ist die Rede von hell und dunkel. Dem jüdischen Dämon steht der arische Lichtmensch gegenüber. Da findet sich der Topos vom ,,Dritten Reich" und Anspielungen auf die Apokalypse des Johannes. Und in ,,Mein Kampf" heißt es: ,,So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn". ... Hitler und die Nazis waren zutiefst davon überzeugt, die Welt sei vollkommen verdorben, und zwar nicht durch irgendwen, sondern durch die Juden, die geopfert werden müssten, damit das ,,Tausendjährige Reich" nicht nur eine Vision bleibe, sondern reale Wirklichkeit werde. Ganz offensichtlich sah sich Hitler als Befreier, als den Erlöser, der mit der Vernichtung der Juden nicht nur Deutschland, sondern der ganzen Welt das Heil und die Erlösung bringen werde. ... ,,Der Jude" wurde für die Nationalsozialisten nach 1933 zum Feind und Gegner schlechthin. Hitler und seine Anhänger hatten das Bild verinnerlicht vom ,,Schädling", der den ,,Volkskörper" ,,zersetzt" und ,,vergiftet". In den Juden sahen sie eine parasitäre, minderwertige Rasse, die nur auf Kosten der ,,Wirte" und nur von der Ausbeutung anderer Völker und Rassen leben könne. ... Joseph Goebbels, Formulierungen des Komponisten Richard Wagner aufnehmend, hat bekanntlich 1937 auf dem Nürnberger Parteitag die verschiedenartigen ineinander übergehenden Bilder und Vorstellungen vom Juden in die folgenden Worte zusammengefasst: ,,Sehet, das ist der Feind der Welt, der Vernichter der Kulturen, der Parasit unter den Völkern, der Sohn des Chaos, die Inkarnation des Bösen, der plastische Dämon des Verfalles der Menschheit".

Es spricht einiges dafür, dass die aus dem Arsenal der Biologie stammenden Sprachbilder und Vorstellungen mit dazu beigetragen haben, die letzten moralischen Hemmungen, den inneren Widerstand gegen Unrecht und Verbrechen bei Millionen von Menschen zu schwächen. ... Wenn wir akzeptieren, dass der Nationalsozialismus tatsächlich so etwas wie eine echte Glaubensbewegung war, dann gilt auch für den Vorgang des organisierten Judenmordes, dass dieser nur verstehbar ist, wenn er heilsgeschichtlich beziehungsweise heilstheologisch gedeutet wird. Die Juden waren das Blutopfer, das zur Selbstreinigung dargebracht wurde.

Bei Houston Stewart Chamberlain, dem englisch-deutschen Schriftsteller und Richard Wagner-Verehrer, oder seinem Epigonen, dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg, kann man nachlesen, was damit gemeint war. Die Herstellung der ,,Reinheit des Blutes", wenn man so will, eine Anknüpfung an das Konzept der ,,Limpieza de sangre" im Spanien des 15. Jahrhunderts, sollte dem deutschen Volk die ,,Erlösung" bringen, eine Art Vergeistigung, das ewige Leben. ... Adolf Hitlers Denken war ganz auf diesen Krieg ausgerichtet, auf die Vernichtung des Gegners, auf das Armageddon, die große Endschlacht, an dessen Ende die Befreiung Deutschlands und die Erlösung der Welt stehen würde. Vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht bekannte Adolf Hitler am 23. November 1939: ,,Man wird mir vorwerfen: Kampf und wieder Kampf. Ich sehe im Kampf das Schicksal aller Wesen. Niemand kann dem Kampf entgehen, falls er nicht unterliegen will..."

Hitler wollte diesen Kampf. Er führte diesen Kampf – und letztlich hat er ihn verloren. Deutschland und Europa wurden nicht von Juden befreit, und schon gar nicht erlöst, stattdessen aber in eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes gesteuert. An den Folgen dieser Katastrophe laborieren wir heute noch.


Aus: "Der Nationalsozialismus als Glaubensbewegung: Adolf Hitler sah sich selbst als Messias" Julius H. Schoeps (27.01.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/der-nationalsozialismus-als-glaubensbewegung-adolf-hitler-sah-sich-selbst-als-messias-11086969.html

Quoteprenzlmax
28.01.24 11:59
Solange man keine (psychologisch untersetzte) Reflexion zu Ursachen monotheistischen Religionen hinbekommt und bspw. Anna Freuds Abwehrmechanismen des Ich nicht zu kennen scheint, sollte man vorsichtig mit Thesen sein, bei denen unklar bleibt, ob sie Symptome beschreiben oder doch Ursachen benennen sollen (Letzteres war wohl beabsichtigt? und ist gescheitert). Ein echter Startpunkt wäre: Hitlers Vater war ein prügelnder Alkoholiker.


Quotefortschritt63
27.01.24 16:12
Die schier unzählige Literatur und Dokumentationen, bis zu humoristischen Verzerrung zeigen doch nur die Suche nach Erklärungen, die auch bei den Menschen liegt, die mehr angesprochen als ignoriert werden wollen, oft ganz trivial und das hatte Hitler erkannt, wie auch seine Lakaien. Der billige Volksempfänger reichte, die Arbeit, das Kino und die Fahne voran!


QuoteKunoKadereit
27.01.24 15:13
Die deutsche evangelische Kirche hat sich in Bezug auf ihr Verhältnis zu Hitler und seinen Schergen ganz bestimmt nicht mit Ruhm bekleckert :
Viele Pastoren waren überzeugte Nazis; ließen bei ihren Predigten die Hakenkreuzfahne von der Kanzel baumeln und vertraten den Standpunkt dass Hitler DER Auserwählte sei welcher die Reformation Martin Luthers in Deutschland endlich zu Ende führen würde.
Es gab aber auch Splittergruppen in dieser Religionsgemeinschaft die sich mit dem Vorgehen der Nazis nicht einverstanden erklärten :
Ich erwähne hier nur den Kreis um die "bekennende Kirche" als Opposition zu den "deutschen Christen" mit ihren führenden Vertretern Bonhoeffer, Gollwitzer und Niemoeller!


QuotePat7
27.01.24 16:07
@logo am 27.01.24 15:43

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"Die okkultistische Seite des Dritten Reiches" Sven Felix Kellerhoff (01.02.2015)
Die historische Rassenlehre, die Hitler in seinem ,,Mein Kampf" ausbreitete, war eine Melange aus bizarren Quellen. Gefolgsleute wie Heß oder Himmler gingen noch weiter. ... Kein NS-Funktionär aber ging weiter als SS-Chef Heinrich Himmler. Er baute seinen Eliteverband systematisch zum ,,Schwarzen Orden" aus, mit eigenen Weihestätten, etwa im Dom von Quedlinburg, und einem geistigen Zentrum, der Wewelsburg bei Paderborn. Ein eigener großer Apparat, die ,,Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe", betrieb unterschiedlichste Forschungen bis in den Himalaja, um die Ideologie vom arischen ,,Herrenmenschentum" wissenschaftlich zu untermauern. Der Okkultismus hat das Jahr 1945 überlebt. ... Quelle: https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article136958655/Die-okkultistische-Seite-des-Dritten-Reiches.html

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 " ... Ohne Zweifel aber schöpfte Hitler seinen Arierwahn und Judenhass aus Schriften aller drei Okkultisten. Die Grundidee der überlegenen ,,Rasse" der Arier war Blavatskys Schriften entlehnt. List machte die Germanen zur Verkörperung der ,,Herrenrasse", und Lanz fügte den pathologischen Judenhass hinzu. Aus diesen wirren Wahnbildern, vor allem in Broschüren verbreitet, amalgamierte sich die Überzeugung, die Hitler schließlich in ,,Mein Kampf" niederlegte. ..."


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"Engagierter Chronist der politischen Morde in der Weimarer Republik" Tobias Barth und Lorenz Hoffmann (25.08.2021)
314 Morde von rechts, 14 von links: Das Wissen über das Ausmaß politischer Gewalt in der Weimarer Republik verdanken wir dem Mathematiker Emil Julius Gumbel, der jeden dieser Fälle dokumentierte. Fast wäre er selbst einem Anschlag zum Opfer gefallen. ... Am Anfang steht ein misslungener Mordanschlag. Die Täter hatten sich damals schon einen gewissen Ruf erworben. Oberleutnant Heymann, der den Überfall auf Emil Julius Gumbels Wohnung in Berlin befehligte, war Offizier der Garde-Kavallerie-Schützendivision. Seine Kameraden aus demselben Freikorps hatten zwei Monate zuvor, am 15. Januar 1919, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht brutal ermordet. ...
https://www.deutschlandfunkkultur.de/emil-julius-gumbel-engagierter-chronist-der-politischen-100.html

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"Rechtsextrem: Biografien nach 1945"
Open Access Veröffentlicht von De Gruyter Oldenbourg 2023
Herausgegeben von: Gideon Botsch , Christoph Kopke und Karsten Wilke
Der Rechtsextremismus begleitet die Geschichte der Bundesrepublik seit ihren Anfängen. Dazu gehören u.a. Parteien, im Hintergrund arbeitende Kulturorganisationen, Jugendbünde, aber auch militante und terroristische Gruppierungen.
Die Existenz vielfältiger Organisationen und Zusammenschlüsse, ihre inhaltliche Ausrichtung und die Vernetzung untereinander waren und sind in hohem Maß auch durch das Engagement einzelner Akteure und Akteurinnen geprägt. Der Band versammelt biografische Studien zu 24 einschlägigen Protagonistinnen und Protagonisten des bundesdeutschen Rechtsextremismus. Der akteurszentrierte Ansatz vertieft die geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse über diese ,,besondere politische Kultur" (Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke) in Deutschland.
Die vorgestellten Lebensläufe stehen exemplarisch für unterschiedliche Alterskohorten, Sozialisationsverläufe und politische Ausrichtungen im rechtsextremen Milieu. Gleichzeitig führen sie eindrücklich vor Augen, in welcher Weise politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen die ,,Erfolgsfähigkeit" der hier vorgestellten Akteurinnen und Akteure mitbestimmten.

https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111010991/html

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QuoteUnterhaltung Acte Clairname hat retweetet Pöbeline @TariTarina

[ironie] Juristen abschaffen und durch Volksempfinden ersetzen!

11:04 vorm. · 18. Nov. 2019


https://twitter.com/TariTarina/status/1196368458126151680

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Quote[...] Im Januar 1945 standen Moltke und andere Mitglieder des Kreisauer Kreises vor dem Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler. Da Moltke eine Beteiligung an Staatsstreich-Vorbereitungen nicht nachgewiesen werden konnte, stützte Freisler sein Urteil auf einen anderen Schuldvorwurf: Moltke und seine Mitstreiter hätten darüber nachgedacht, wie ein sich auf sittliche und demokratische Grundsätze zurückbesinnendes Deutschland in einer Zeit nach Hitler entstehen könnte, was Freisler als ein todeswürdiges Verbrechen ansah.

...

    ,,... ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat."

– Helmuth James Graf von Moltke: Abschiedsbrief an die Söhne Caspar und Konrad, 11. Oktober 1944


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_James_Graf_von_Moltke (21. Juli 2019)


Quote[...] Freisler gilt als bekanntester und gefürchteter Strafrichter im nationalsozialistischen Deutschland. Er war verantwortlich für etwa 2600 Todesurteile in den von ihm geführten Verhandlungen, darunter viele Schauprozesse mit im Voraus festgelegten Urteilen. Beispielhaft dafür sind die 1943 unter Freislers Vorsitz geführten Prozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose, in denen er Christoph Probst, Hans Scholl und Sophie Scholl neben anderen zum Tode verurteilte, sowie die Prozesse gegen die Widerstandskämpfer des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944.

Bedingt durch sein von Häme geprägtes, aggressives und befangenes Auftreten sowie seine unangemessene Prozessführung, welche darauf angelegt war, die Angeklagten zu demütigen und weitgehend ihres Rechts auf Verteidigung zu berauben, ist Freisler das personifizierte Beispiel für die Rechtsbeugung der Justiz im Dienst des Nationalsozialismus. ...


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Freisler (26. September 2019)

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Quote[...] Immer wieder wurde von konservativen Politikern das Wort vom gesunden Volksempfinden aufgegriffen. So etwa 1952 in einem Konflikt um Nacktszenen mit Hildegard Knef in dem Film ,,Die Sünderin", als von konservativen Filmgegnern ,,Volkes Stimme" und das ,,gesunde Volksempfinden" angerufen wurden. In den 1960er Jahren versuchte der Staatsrechtler und vormalige Präsident des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofs, der spätere Ehrendoktor der Theologischen Fakultät Trier und CDU-Politiker Adolf Süsterhenn mit Hilfe einer Unterschriften-Aktion ,,Saubere Leinwand" und einer Kritik an der Verletzung des gesunden Volksempfindens durch Filmdarbietungen eine Grundgesetzänderung durchzusetzen. ...


https://de.wikipedia.org/wiki/Gesundes_Volksempfinden (Bearbeitungsstand: 20. Oktober 2019)

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Quote[...] Breivik [ ] fühle "große Liebe für sein Land und sein Volk", größer als die Liebe zu sich selbst. Der Attentäter sieht sich als Wohltäter. ...


Aus: "Prozess in Oslo: Beim Töten hörte Anders Behring Breivik Musik" Per Hinrichs (21.04.12)
Quelle: https://www.abendblatt.de/politik/ausland/article107787666/Beim-Toeten-hoerte-Anders-Behring-Breivik-Musik.html

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Quote... Die Terroranschläge in Oslo und Utøya mit 77 Toten sollen künftig in den Lehrplan von norwegischen Schulen einfließen. Kinder und Jugendliche sollten zu dem Terrorismus unterrichtet werden, der Norwegen vor acht Jahren heimgesucht habe, berichtete die norwegische Zeitung ,,Verdens Gang" nach einer Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags am späten Sonntagabend in Oslo. Es sei nicht nur wichtig, die Angriffe zu verstehen, sondern auch, sie in einen größeren Zusammenhang zu setzen, wurde Bildungsminister Jan Tore Sanner von dem Blatt zitiert. Deshalb sei es selbstverständlich, dass der Stoff in Schulen gelehrt werden solle, sagte er demnach. ... Die Anschläge des Rechtsterroristen Anders Behring Breivik jährten sich am Montag zum achten Mal. Er hatte am 22. Juli 2011 zunächst eine Autobombe im Regierungsviertel von Oslo gezündet und im Anschluss auf der Insel Utøya Dutzende Teilnehmer eines Ferienlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei erschossen. Insgesamt wurden bei den Anschlägen 77 Menschen getötet.


Aus: "Norwegische Schulen sollen Terrortat von Utøya im Unterricht behandeln" (22.07.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/schulen-in-norwegen-sollen-sich-mit-breivik-attentat-befassen-16296749.html

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"Interaktive Karte Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit der Wiedervereinigung" Frank Jansen Heike Kleffner Johannes Radke Toralf Staud (30.09.2020)
Nach Tagesspiegel- und Zeit-Online-Recherchen wurden seit 1990 mindestens 187 Menschen von extrem Rechten getötet. Die interaktive Karte stellt die Fälle dar.
https://www.tagesspiegel.de/politik/interaktive-karte-todesopfer-rechter-gewalt-in-deutschland-seit-der-wiedervereinigung/23117414.html

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"Rechte Gewalt: Die Baseballschlägerjahre" (1. Dezember 2020)
In den Nachwendejahren brachen besonders in Ostdeutschland Hass, Rassismus und Gewalt aus. In unserer Serie erzählen wir sechs Geschichten, die bis heute nachwirken. ... Begonnen hat alles mit einem Zeitungsartikel, im Oktober 2019. In der Wochenzeitung Freitag schrieb der Rapper Testo, der 1988 in der DDR geboren wurde und mit bürgerlichem Namen Hendrik Bolz heißt, von seinen Jugendtagen in Stralsund. Sie waren geprägt von Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefeln. Inspiriert von dem Artikel startete unser Autor Christian Bangel auf Twitter das Hashtag "Baseballschlägerjahre" und bat andere, ihre Erfahrungen und Erlebnisse aus den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung zu teilen. Hunderte erzählten davon, wie sie von Neonazis bedrängt wurden, auf Konzerten, in Bussen, auf Schulhöfen. Verbal, mit bloßen Händen, Messern, Schreckschusspistolen oder eben mit Baseballschlägern. ...
https://www.zeit.de/video/2020-12/rechte-gewalt-ostdeutschland-neonazis-baseballschlaegerjahre

"Die DDR und ihre NeonazisReal existierender Rechtsextremismus" Sabine Adler (10.10.2019)
Rechtsextreme Gewalttaten gibt es im Osten Deutschlands nicht erst seit der Wende. Neonazis gab es auch in der DDR, nur fand das in den Ost-Medien nicht statt. Die Öffentlichkeit erfuhr auch nichts davon, wie sehr ausgerechnet die Sicherheitsorgane in die rechte Szene verstrickt waren.
https://www.deutschlandfunk.de/die-ddr-und-ihre-neonazis-real-existierender.862.de.html?dram:article_id=460746

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Quote[...] ... Tatsächlich wollen viele Rechtsextreme ... gar keine aus ihrer Sicht bessere Welt schaffen. Sie wollen lebenslang von einer verlorenen goldenen Vergangenheit träumen oder noch einmal eine pompöse finale Schlacht kämpfen, um ruhmreich unterzugehen. Verlustgefühl und Weltuntergang sind ihr Geschäft.  Und wie die Zeugen Jehovas argumentieren Rechtsextreme vor dem Hintergrund ewiger, nicht begründbarer Glaubenswahrheiten. ... Rechtsextreme glauben nicht ans Argumentieren, sondern an Stärke, die sich allein in sich selbst begründet. ... Die aufklärerische Vorstellung von Rationalität und diskursiver Begründung ist ja genau das, was die Rechten als "dekadent" zurückweisen. Im Kern sind Rechtsextreme religiös und stellen die eigene Gefühlswelt über jedes Argument.

... Mein Abfall vom rechten Glauben kam schließlich nicht durch einen Debattierclub zustande. Das Ende kam, als ich mich manisch verliebte. Ich fieberte nach einer Frau, die ich kaum kannte, und das Gefährlichste geschah: Sie kam mit mir zusammen. Ich erlitt einen Zusammenbruch. Meine Panzerung flog mir mit einem Knall um die Ohren, dessen Echo ich bis heute höre.

...


"Rechtspopulismus: Eigentlich waren wir religiös" Anselm Neft (25. November 2017)
Wie soll man mit Rechten umgehen? Argumente blocken sie ab, sagt unser Autor, der früher selbst ein Rechter war. Er empfiehlt das Schwierigste überhaupt: Menschlichkeit.
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2017-11/rechtspopulismus-rechtsextremismus-debatte-reden-anselm-neft

QuoteWuselnator #25

Respekt an den Autoren. Sich selbst so zu hinterfragen ist unglaublich schwierig. ...


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Quote[...] Der Kern dessen, was laut Arendt und Adorno die faschistische Propaganda betreibt, ist die Auflösung des Subjekts in ein sich am totalitären Status quo orientierendes Reaktionsbündel. Beide siedeln die faschistische Ideologie in der Nähe von Religion und Ritual an. (prn)


Zu: Ahrens, Jörn: "Aufsatz: Zur Faschismusanalyse Hannah Arendts und Theodor W. Adornos (1995) - Erkundungen in ungeklärten Verwandtschaftsverhältnissen - in: Leviathan, Band Jg. 23, Heft H. 1" | https://www.pollux-fid.de/r/sw-gesis-solis-00189380

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Vortrag des Soziologen Theodor W. Adorno: "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" (1967)
Spieldauer: 01:12:08, Mitwirkende:Adorno, Theodor W. // Verband Sozialistischer Studenten Österreichs // Österreichische Mediathek
Datum: 1967.04.06 [Aufnahmedatum]
Ort: Wien, Universität Wien
Schlagworte: Wissenschaft und Forschung; Politik; Gesellschaft; Soziologie; Psychologie; Rechtsextremismus; Faschismus und Nationalsozialismus; Antisemitismus; Nationalismus; Arbeitslosigkeit; Sozialismus und Sozialdemokratie; Vortrag; Propaganda; Unveröffentlichte Eigenaufnahme der Österreichischen Mediathek
Archivformat: Tonband auf Kern (AEG)
https://www.mediathek.at/katalogsuche/suche/detail/?pool=BWEB&uid=014EEA8D-336-0005D-00000D5C-014E5066&cHash=e1594573aa7564f63c839f4a5ed9c204

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Quote[...] 732. 1571. 1683. Bei der »Identitären Bewegung« finden sich viele Bezüge zu historischen Ereignissen. Einige der Daten hatte auch der Christchurch-Attentäter auf seine Waffen gezeichnet. Über die Funktionalisierung von Geschichte durch die Identitären als extrem rechte Legitimationsideologie. ... Die historischen Anleihen der Identitären lassen sich als politische Mythen begreifen. Demnach dienen historische Ereignisse einem politischen Zweck wie der Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit und Identität. Politische Mythen sind diskursive Gebilde, die eine wirksame Aura erzeugen und damit nicht in erster Linie kognitive, sondern emotional-affektive Potenziale entfalten. (Speth 2000) Diese hohe Affektivität findet sich auch insgesamt bei der sogenannten Neuen Rechten und ihrer Vorstellung »des Eigenen«, das nie genauer gefasst wird, sondern immer im Ungefähren bleibt. Auch wenn politische Mythen in der Regel Narrative sind, werden diese nicht zwangsläufig ausbuchstabiert, sondern auch über politische Ikonographie vermittelt. Der Ideengehalt des politischen Handelns wird in ein Bildprogramm umgesetzt: »Das Entweder-oder, die plakative Gegenüberstellung, die Benennung des Gegners, die Dualisierung in Freund und Feind, die Moralisierung von Handlungsalternativen, die Emotionalisierung von Entscheidungen und überhaupt die Reduktion politisch komplexer Sachverhalte lassen sich durch ikonische Gestaltung besser und wirkungsvoller ins Werk setzen als durch umständliche Erzählungen.« (Speth 2000:124) ...


Aus: "»Zwischen der ewigen Vergangenheit und der ewigen kommenden Zukunft« - Das instrumentelle Verhältnis der Identitären zur Geschichte" Vera Henßler (Rundbrief monitor Nr. 82 vom Juli 2018)
https://www.apabiz.de/2019/zwischen-der-ewigen-vergangenheit-und-der-ewigen-kommenden-zukunft/

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Quote[...] Uwe Wittstocks ,,Februar 33" ist ein erschütterndes Doku-Drama über die letzten Tage der Weimarer Demokratie, das allerdings Fragen zur Darstellung von Geschichte aufwirft [Uwe Wittstock: Februar 1933. Der Winter der Literatur. C.H. Beck, München 2021. 288 S.]

... Ein Spuk, das Scheitern absehbar, da ist sich Heinrich Mann sicher, und er wiederholt es gerne: Hitler ein Spuk. Will er sich das einreden? Der Schriftsteller gibt dem NS-Regime im Februar 1933 allenfalls ein halbes Jahr. Nicht anders Wilhelm Abegg, davon überzeugt, dass Hitler wie ein Dompteur in einem Käfig sitze, ausgesetzt hungrigen Löwen, die ihn zerfleischen werden. Ähnlich wie der Liberale Abegg, der als Staatssekretär und Verteidiger der Weimarer Republik die Polizei zu einer eigentlich gewappneten Institution ausgebaut hat, möchte auch derjenige Politiker wetten, der Hitler zur Kanzlerschaft verholfen hat, der Rechtskonservative Franz von Papen: ,,Was wollen Sie denn? In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass es quietscht."

Wieder einmal erschreckend, woran ein Buch über 1933 erinnert, diesmal Uwe Wittstocks ,,Februar 33. Der Winter der Literatur" – wobei der Autor auf die letzten Januartage und bis Mitte März ausgreift. Obwohl der Wahlerfolg der Nazis absehbar war, fühlten sich die Verteidiger der Weimarer Republik am 5. März wie vor den Kopf gestoßen: 43,9 Prozent für die Nazis. Zur Mehrheit verhalfen die Deutschnationalen mit acht Prozent. Trotz des gezielten Terrors gegen die Opposition, wofür Wittstock unzählige Belege aus den Zeitungen jener Tage liefert, holte die SPD 18,3 Prozent heraus, die KPD 12,3 Prozent.

Am 5. März waren Tausende Nazigegner, Nazigegnerinnen in SA-Folterkeller und erste Konzentrationslager verschleppt. Vier Tage vor den Wahlen, am 1. März, dröhnte der kommissarische Nazi-Minister Hermann Göring: ,,Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts!"

Kein Spuk. So undurchsichtig die Ursachen des Reichstagsbrandes, es war mehr als ein propagandistisches Ausschlachten, als Hitler noch in der Nacht des 27. Februar ankündigte: ,,Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr." Wer ein Antinazi war, wusste sich in Lebensgefahr, tauchte unter, verbrachte die Nächte in Todesangst. Der Schriftsteller Walter Mehring machte, als er auf der Straße Schergen noch rechtzeitig erkannte, auf dem Absatz kehrt, um sich ,,in den nächsten Zug Richtung Grenze" zu setzen, mit nicht einmal einem Koffer.

Ein Joseph Roth wird in Paris in bitterer Armut umkommen, eine Else Lasker-Schüler sich in ein Zimmer zur Untermiete in Jerusalem retten. Ein Erich-Maria Remarque hat so weit Glück, dass ihm sein pazifistischer Romanerfolg ,,Im Westen nichts Neues" und dessen Verfilmung ein finanziell sorgenfreies Leben in Hollywood eröffnen werden. Unzählige weitere Schicksale.

Wahrscheinlich wegen der Konzentration auf den Februar und März 1933 bleiben die Exilschicksale eines Walter Benjamin, eines Ernst Bloch oder Ernst Cassirer unerwähnt, überhaupt die Auswanderung der Philosophie aus Deutschland. Marginal erwähnt ein Kurt Tucholsky, der bereits ins Exil gegangen war; ungenannt bleibt ein Siegfried Kracauer, der unmittelbar nach dem Reichstagsbrand flüchtet.

Zu Beginn des Buches Unruhe nicht wegen politischer Schlagzeilen, sondern Lampenfieber vor einem Auftritt auf dem Presseball, möglichst chic. Zwei Tage später, am 30. Januar, krähen die Zeitungsjungen: ,,Adolf Hitler Reichskanzler!" Wer auf einen Spuk gehofft hat, irrt gewaltig, auch Heinrich Mann, der ins Exil hat fliehen müssen. Wie Albig, der zusehen muss, wie die Polizei Preußens als Institution versagt. Wie der Reaktionär Papen, der gemeinsam mit dem Reichspräsidenten, Paul von Hindenburg, die Macht an Hitler überträgt. Die Machtübergabe am 30. Januar zwischen 11 Uhr und kurz vor 12 ist eine Farce.

Der Pazifist, Linke und Chefredakteur der ,,Weltbühne", Carl von Ossietzky, dem vollkommen bewusst ist, dass er zu den ersten Opfern zählen wird, lässt sich einfach nicht umstimmen, er bleibt. Die Reaktionen unter den von den Nazis seit Jahren verhöhnten, verleumdeten ,,Asphaltliteraten" sind unterschiedlich. Bestürzung, hyperschlaue Ignoranz, hochpolitischer Durchblick, raffinierte Reaktionen, kleinkarierte, klägliche. Das anthropologische Spektrum ist stets größer als jedes politische. Selbstgefälliger Antifaschismus wäre es, man läse das Buch, heute, nicht im Bewusstsein der Gnade der späten Geburt. Versnobt wäre es, wenn man das ausschließlich als den Niedergang einer literarischen Epoche verstünde.

... Zu Recht heißt es bei Wittstock, dass es ,,vermutlich zur Natur eines Zivilisationsbruchs" gehöre, ,,schwer vorstellbar zu sein". Was heißt das für ein Urteil über die Klarsichtigen, die keinen Zivilisationsbruch voraussahen, wie auch?

...


Aus: "Uwe Wittstock ,,Februar 33": Wunschdenken in Erwartung der Hinrichtung" (14.12.2021)
Quelle: https://www.fr.de/kultur/literatur/uwe-wittstock-februar-33-wunschdenken-in-erwartung-der-hinrichtung-91178564.html

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"Rassismus: Von der frühen Bundesrepublik bis zur Gegenwart"
Herausgegeben von: Vojin Saša Vukadinović - Open Access Veröffentlicht von De Gruyter Oldenbourg 2023
Freie Universität Berlin.
Fachgebiete
    Bundesrepublik / DDR
    Geschichte
    Historische Epochen
    Ideologien und politische Ideen
    Innenpolitik, Parteien, andere politische Organisationen
    Politikwissenschaften
    Sozialwissenschaften
    Themen der Geschichte
    Zeitgeschichte ab 1945
Rassismus ist ein vieldiskutiertes Gegenwartsthema – doch die spezifisch deutschen Aspekte und Brüche in der jüngeren Geschichte des Phänomens sind noch kaum erforscht. Nach einer ausführlichen Skizze und Analyse der westdeutschen Rassismushistorie durch den Herausgeber nimmt der Band in chronologischer Gliederung exemplarische Facetten in den Blick. Die Beiträge schlagen einen Bogen von den Kontinuitäten völkischen Denkens nach 1945 und den Anfängen des Rechtsterrorismus hin zu den Fragestellungen, die das frühe 21. Jahrhundert betreffen. Analysiert werden u. a. das sich verändernde linke wie rechte Rassismus-Verständnis nach 1968, die Aporien der frühen Rassismus-Forschung und des Multikulturalismus, sowie die Ära der ,,völkischen Ekstase" nach der Wiedervereinigung. Brennende Asylbewerberunterkünfte und die NSU-Mordserie zeigten, wie virulent der Rassismus in Deutschland noch ist, der in den identitätspolitischen Debatten jüngst unter neuen Vorzeichen thematisiert wird.
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110702729/html?lang=de

https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110702729/pdf

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Quote[...] Theweleit beschreibt die Energien, die zu Aufbau und Zerstörung des tausendjährigen Reiches (vieler Reiche) mobilisiert werden konnten, als Energien von Körpern, denen erst einmal etwas genommen wurde, damit sie es dann wieder haben wollten, über Umwege, versteht sich – des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
Der Nicht-zu-Ende-Geborene ist ein Mensch, der sein Leben lang das sucht, was ihm genommen worden ist, und er sucht es auf die Weise, auf die es ihm genommen worden ist: durch Verbote oder durch Zerstörung. Rauben oder töten.
Was braucht die Welt (Welt – um nicht zu sagen: das patriarchalische Herrschaftssystem)? Männer. Produktive (in der Regel, das zeigt die Geschichte, sind das räuberische) Männer. Was brauchen Männer (Männer – um nicht zu sagen: die Herrschenden)? Ganze Kerle. Solche, die kämpfen können (kämpfen, das zeigt die Geschichte, heißt: zerstören können).

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Aus: "Heißt Liebe: Krieg? - Klaus Theweleit: ,,Männerkörper – Zur Psychoanalyse des Weißen Terrors"" Gisela Stelly (1978)
Quelle: https://www.zeit.de/1978/49/heisst-liebe-krieg/komplettansicht

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Quote[...] Theweleits Arbeit befasst sich zunächst mit der Freikorps-Literatur der 1920er-Jahre; er untersucht die faschistischen Männlichkeits- und Gewaltphantasien dieser Soldateska in über 250 Romanen oder Erinnerungen. Dabei nimmt er Sprachstil wie Inhalt dieser Literatur auseinander und stellt Frauenbild, Körperverhältnis und Kampfberichte in das Zentrum seiner Analyse. ...

Der Faschismus war nach Theweleit so attraktiv, weil er eine nicht sanktionierte Erfüllung dieser jahrhundertealten Wünsche versprach. Der Faschismus übersetzte somit, wie Theweleit schreibt, ,,innere Zustände in riesige äußere Monumente". Drei ,,Wahrnehmungsidentitäten" und Körperaktionen standen hierbei im Zentrum: erstens der ,,entleerte Platz", also die (gewaltsame) Herstellung von Klarheit, Ordnung, Sauberkeit und Übersichtlichkeit ohne das weibliche ,,Gewimmel" der ,,ungeordneten" und ,,schmutzigen" Masse; zweitens der ,,blutige Brei", womit der befreiende Schuss, Hieb oder eine Explosion gegen eine zu nahe kommende, verschlingende weibliche Bedrohung und Sexualität gemeint war; drittens der ,,black out", welcher wiederum die Selbstqual, die körperliche Abhärtung und Straffung des eigenen Körpers meint - bis die Soldatenmänner das Fließen der eigenen Lust nicht mehr verspüren (Bd. 2, S. 268-279). Die Furcht vor dem Weiblichen (die im ersten Band thematisiert wird) ist somit letztlich eine Furcht vor der Ich-Auflösung, der durch die im zweiten Band geschilderten männlichen Gewaltakte begegnet wird. Der Krieg wurde zu einer Art Geburt, insoweit mit dem Schmerzprinzip ein eigenes soldatisches Selbst erschaffen wurde.

Für eine Lektüre aus heutiger Sicht, fast dreißig Jahre nach der Erstausgabe, ist das Buch vor allem als wichtiges Zeitdokument zu lesen und zeitgeschichtlich zu kontextualisieren. ...

Der französischen Koproduktion des Philosophen Deleuze mit dem Psychiater Guattari entlieh Theweleit das Konzept der ,,Wunsch-Maschine", also des maschinell gedachten Unbewussten, welches nicht-sprachlich strukturierte und positive Wünsche enthalte. Die einfache Verurteilung der bösen Kleinbürger war mit diesem Versuch, ihre Wünsche zu verstehen, schwieriger geworden (Bd. 2, S. 404-410). Von der bekannten amerikanischen Psychoanalytikerin Margaret Mahler übernahm Theweleit die Erkenntnisse über die aggressiven ,,Erhaltungsmechanismen" von psychotischen Kindern. Was in der Entwicklungs- und Ich-Psychologie Mahlers die Phase der ,,Individuation" bezeichnet (Differenzierung des Körperschemas, Distanzierung und Abgrenzungskompetenz, vor allem gegenüber der Mutter), nannte Theweleit das ,,Ende der Geburt", welches die Faschisten eben nicht erreicht hätten (Bd. 2, S. 210-246, bes. S. 211f.).

... Zudem schloss Theweleit an Walter Benjamin und Georges Bataille an, die beide den Begriff des ,,Ausdrucks" als Leitmotiv ihrer Faschismusdeutungen benutzt haben. Für Benjamin war der Faschismus Ausdruck einer bestimmten Massenästhetik und für Bataille Ausdruck der symbolischen Rituale der Macht. Theweleit knüpfte hier an, wobei er die Interpretationen um die Geschlechterdimension wie auch um die subjektive Verarbeitung des Faschismus erweiterte.

... Männliche Gefühlskälte, ein bloß dressierendes Verhältnis zum Körper, soldatische Härte gegenüber sich und anderen, heroisierendes Beschützerverhalten gegenüber Frauen und ein männlicher Allversorger-Gestus wurden in der alternativen ,,scene" zunehmend hinterfragt. Theweleit untermauerte dabei die Kritik der linksalternativen Männer an den herkömmlichen Männerbildern, weil er den soldatischen Mann als einen ,,Gefühlskrüppel im Charakterpanzer" (Cora Stephan) schildert, der mit der NS-Zeit zwar seine Blüte erlebt habe, aber bis in die Gegenwart nachwirke: ,,Die Sorte Männer, die Gegenstand dieser Untersuchung ist, soll keineswegs prinzipiell von den übrigen Männern isoliert werden.

... Theweleit selbst schreibt im Jahr 2000, rückblickend auf die Rezeption seines Buches in Deutschland: ,,Die Historiker-Kaste [...] erwies sich als resistent besonders gegenüber der Psychoanalyse des weißen Terrors". Auch wenn mit Lutz Niethammer ein prominenter Zeithistoriker das Buch 1979 als ,,the most fertile contribution to the study of fascism over the last decade" bezeichnet hat, ist die Einschätzung des Autors sicher nicht ganz falsch. Dies hat jedoch nicht nur mit der Schreibweise, den Zitat-Collagen und dem zusammengewürfelten Bildmaterial vom Gemälde bis zum Comic zu tun - einer Form, die bei einer in solchen Dingen eher konservativ eingestellten Historikerzunft keine Gnade fand.

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Aus: "Klaus Theweleits ,,Männerphantasien" – ein Erfolgsbuch der 1970er-Jahre" Sven Reichardt (Heft 3/2006)
Quelle: https://zeithistorische-forschungen.de/3-2006/id%3D4650

Klaus Theweleit (* 7. Februar 1942 in Ebenrode, Ostpreußen)[1] ist ein deutscher Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Schriftsteller.
https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Theweleit

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QuoteR. Müller

5,0 von 5 SternenVäter und Grossväter
10. Dezember 2012

Format: Taschenbuch
Das Buch kann einem helfen, Verhaltensweisen der Väter und Großväter im Kontext gesellschaftlicher Zusammenhänge zu erforschen, zu erkennen.
Manchmal ist es nur ein kurzer hingeworfener Satz, der erst einen Spot wirft auf tiefe, nicht aufgearbeitete Ereignisse im Leben dieser Generation, die den Faschismus
selbst mitgestaltet hat.
Nicht nur die streng protestantische Erziehung, auch das Verhältnis zur Sexualität, dem Fremden und dem eigenen Körper gegenüber - all diese Zusammenhänge hat Theweleit
hier vorbereitet für eine Diskussion, für die Aufarbeitung der Geschichte der eigenen Familie.
Erkennbar ist dann - irgendwann - auch der ""Schaden"", der an den Kindern angerichtet wurde. ...


Quoteviel Lesearbeit für relativ wenig Aussage
18. Juli 2008
Format: Taschenbuch

Der Ansatz von Theweleit ist genial: Aus den Romanen und Ergüssen der rechtsradikalen Freikorpssoldaten heraus zu destillieren, was psychoanalytisch gesehen - hinter dieser Angst vor der roten Flut, die alle Dämme überschwemmt steckt. Die Umsetzung ist teilweise auch recht amüsant - insbesondere das Zusammenspiel von Text und Illustration. Ich habe allerdings - auch beim zweiten Lesen gut 25 Jahre später - Probleme mit der verschwurbelten Theoretisierei, mit der damals sicher sehr modischen Begeisterung für Deleuze und andere. Vieles ist dann doch sehr raunend, gewollt (?) schwer verständlich oder unverständlich und - hier gebe ich einem der Vorrezensenten recht: auch redundant!


QuoteEbner Isabel
5,0 von 5 SternenPflichtlektüre für jedefrau/jedermann
10. Mai 2003

Format: Taschenbuch
Endlich ein Autor, der auf die psychischen Aspekte des 1. und 2. Weltkriegs eingeht. Eine Pflichtlektüre für jeden Kriegs- und Nachkriegsmuffel, die uns unterstützt, die verdrängten seelischen Herausforderungen und Handlungen der Generation unserer Großeltern nachvollziehen zu können. Wird auch Zeit, dass sich unsere Gesellschaft endlich mit diesen Dingen auseinandersetzt. Wer Verständnis lernen möchte für die oft eigenartigen Verhaltensweisen älterer Generationen (v.a. männlichen Geschlechts) sollte das Buch unbedingt lesen. Das gedrillte, soldatische Ich des Mannes von damals hat seinen Einfluss bis heute nicht verloren. Schade, dass der aktive Part bzw. Beitrag der Frau zum Nationalsozialismus und zum Krieg fast außer Acht gelassen wurde.
Ein Gustostück sowohl stilistisch, sprachlicher (bei einem Literaturwissenschaftler eh klar) als auch fachlich- psychologischer Natur. Wo Theweleit wohl sein analytisches Können gelernt hat? Freud hätte seine Freude! ...



Quelle: https://www.amazon.de/M%C3%A4nnerphantasien-Frauen-Fluten-K%C3%B6rper-Geschichte/product-reviews/3492230415/ref=cm_cr_dp_d_show_all_btm?ie=UTF8&reviewerType=all_reviews

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Quote[...] Ich habe das Buch damals sofort gelesen, es ist und bleibt ein Monolith, ich würde sagen: unerreicht", schreibt die Schriftstellerin Elfriede Jelinek über Klaus Theweleits ,,Männerphantasien", das vor gut vierzig Jahren herauskam und in diesem Herbst im Verlag Matthes & Seitz in einer neuen Ausgabe erscheint. Theweleit wohnt in Freiburg im Breisgau im Stadtteil Haslach und bittet einen die Stiege nach oben in sein Arbeitszimmer, das voller Bücher, Kopien, Gitarren und Bilder ist.

Julia Encke: Herr Theweleit, was sind die ,,Männerphantasien"?

Klaus Theweleit: Es ist eine Art Berichtsbuch davon, wie bestimmte Leute in Deutschland, die die Weimarer Republik nicht wollten, eine Realität hergestellt haben, an der diese Weimarer Republik eingegangen ist: Vorbereiter des Nationalsozialismus, des Faschismus. Das waren die Freikorpsleute, die 1919/20 die sozialistische Revolution, die Arbeiter- und Intellektuellenaufstände mit Gewalt niedergeschlagen haben. Meine Arbeit ging aus der Auseinandersetzung mit den Politologen hervor, die versucht hatten, den Faschismus zu beschreiben. Da war immer von ,,Irrationalität" oder ,,Blut und Boden" die Rede. Ich habe aber gemerkt, dass die Leute mit Ideologie nicht viel zu tun hatten. Der Faschismus ist auch zentral keine Ideologie, sondern eine zerstörerische Art und Weise, die Realität herzustellen.

Das klingt nach Geschichtsbuch. Geht es nicht um die Beschreibung einer Struktur?

Klaus Theweleit: Es geht um Geschichte, aber anders als Historiker sie betrachten, denn Historiker kümmern sich nicht um die Gefühle der Menschen. Da geht es um Daten, Zusammenfassungen, Verträge, ökonomische Fragen und Einflüsse. Und an Berichten dieser mörderischen Freikorpssoldaten war sehr genau abzulesen, dass sie zentral aus bestimmten Gefühlskonglomeraten handeln, die sie sich selber nicht eingestehen. An die Stelle setzen sie dann die Ideologie: Sie sagen, sie müssten das ,,Vaterland schützen", die ,,Nation retten", die ,,Überlegenheit der arischen Rasse gegenüber dem Rest der Welt". Aber das sind nicht ihre wirklichen Handlungsmotivationen.

Welche waren das Ihrer Meinung nach?

Klaus Theweleit: Die kommen aus ihrem Inneren heraus. Ein Bedürfnis nach Gewalt, das mit dem Wunsch zu tun hat, eine Körperganzheit herzustellen. Ich bin mit Hilfe der Kinderpsychoanalyse – meine Frau Monika Kubale arbeitete seit 1971 als klinische Psychologin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Freiburg – auf den Begriff ,,Fragmentkörper" gekommen. Es geht um Leute, denen es nicht gelungen ist, aufgrund verschiedener Störungen, in ihrer Kindheit und weiteren Entwicklung, ein Gefühl von Körperganzheit auszubilden. Sie sind etwa geprügelt worden, haben immer Angst vor Einbrüchen von außen, setzen die Außengrenzen ihres Körpers mit Landesgrenzen gleich. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie Flüchtlingsströme empfunden werden, nämlich so, als würden sie in die Körper solcher Leute einströmen und nicht einfach nur ins Land. Für die Freikorpsleute bedeutete Gewalt strukturell eine klare Überlebensgeschichte. Es geht um Erhaltungsmechanismen, darum, sich selbst ,,heil" zu machen durch Gewalt gegen andere.

Sie beschreiben die Mitglieder des Freikorps als Menschen, die die Wirklichkeit nur in Form von Hierarchien wahrnehmen können.

Klaus Theweleit: In diesen Hierarchien ist der Männerkörper oben und der Frauenkörper immer unten, egal welche Frauen das sind. Noch weiter unten sind dann die Kinder. Gesellschaftlich oben stehen der Adel und das Militär, dann die Politiker, Unternehmer, unten das Proletariat. Und wenn das Proletariat die Macht will, wie 1919 in der Räterepublik, dann war das für die eine Umkehrung des Wirklichen. Das Untere sollte zuoberst sein, die Flüsse sollten gewissermaßen aufwärts fließen. Das war für sie unvorstellbar, dass Arbeiter Teil der Staatsmacht sein sollten. Und mit der Ideologie rechtfertigen sie dann die Gewalt, die sie ausüben, und sagen: ,,Wir wehren uns gegen die, die wollen die Macht im Staat." Sie schieben ihnen alle möglichen Greueltaten zu, die sie überwiegend selbst begangen haben, was sie aber nicht zugeben können. Nur in einer Bürgerkriegssituation können sie es zugeben, wenn sie den Befehl erhalten haben, ihre Morde gedeckt sind durch eine Macht. Das war in diesem Fall die SPD-Regierung mit Gustav Noske, der den Freikorps Handlungsfreiheit einräumte.

Ihr Buch ist 1977/78 erschienen. Sie waren Mitte dreißig. ,,Es ist eigentlich eine Autobiographie in der Hülle der Dissertation", sagen Sie. Das Autobiographische darin, dass Sie ,,Ich" schreiben, über Ihren Vater schreiben, der seine Kinder geschlagen hat: Das hatte es bis dahin nicht gegeben.

Klaus Theweleit: In Dissertationen natürlich nicht, nur in der Literatur.

Sie wollten aber eine Dissertation und nicht einfach ein Buch zum Thema schreiben?

Klaus Theweleit: Dissertation vor allem, weil es dafür ein Stipendium gab. Wir brauchten das Geld. Dann Verlage: Welcher Verlag hätte einem völlig unbekannten Radiomitarbeiter vom Südwestfunk solch ein Projekt finanziert? Keiner. Sie hätten es auch niemals genommen, in der Länge und bei dem Bildgebrauch. Im Verlag Roter Stern hatte ich spezielle Arbeitsbedingungen, weil wir uns kannten.

Dass Sie Bilder verwenden wollten, war Ihnen von Beginn an klar?

Klaus Theweleit: Ja, das war mir klar. Es sollte ja nicht nur von 1919/20 handeln, sondern ausgedehnt werden auf Männer überhaupt in der Geschichte, ein paar tausend Jahre zurück und bis heute hin: Was für ein Typ ist heute da, nach dem Zweiten Weltkrieg? Kino und Musik waren die Formen, die es uns möglich machten, uns von der Geschichte der Eltern zu lösen. Von Kino hatten sie keine Ahnung, und Musik war für sie ,,Negermusik". Da hatte man wirklich einen Fluchtkorridor. Und ich dachte, ich mache jetzt ein Buch, und darin müssen die Sachen alle vorkommen. Der Unterschied zu Faschismus und Lebensweise der Eltern muss deutlich werden. Es ging auch um einen anderen Ton der Sprache. Beim Schreiben hat sich eine starke Abwehr gegenüber Autoren entwickelt, die ich als Leser sehr verehrt hatte.

Gegen wen zum Beispiel?

Klaus Theweleit: Adorno. Auf diesen ewigen Rechthabergestus bei jeder Sache. Bei jeder Geschichte musste noch ein anderer einen auf den Hut kriegen, ob das ein Soziologe war oder gar nicht namentlich benannte Leute. Als Gestus, fand ich, ging das nicht, auch wegen der Rechthaberei in den K-Gruppen, die sich nach dem Zerfall des SDS, in dem ich drei Jahre aktiv war, gebildet hatten. Diskutieren konnte man mit denen nicht.

Adorno hatte eine K-Gruppen-Mentalität?

Klaus Theweleit: Das nicht, aber der Rechthabergestus war vergleichbar.

Sie haben sich auch um Ihr Kind gekümmert, während Sie Ihre Dissertation geschrieben haben.

Klaus Theweleit: Ja, wir haben uns das geteilt. Dass meine Frau ihre Stelle aufgeben würde wegen des Kindes, haben wir nicht erwogen. Sie ging also halbtags in die Klinik, und ich blieb zu Hause. Sich um das Kind zu kümmern ging immer vor.

Gleich nach Erscheinen wurde ,,Männerphantasien" ein ungeheures Erfolgsbuch. Rudolf Augstein schrieb im ,,Spiegel" unter dem Titel ,,Frauen fließen, Männer schießen" im Dezember 1977 eine achtseitige Besprechung: ,,Was Theweleit in der Freikorpsliteratur findet, ist die schriftgewordene Unterdrückung der weiblichen Sexualität, ihre Aufspaltung in höhere nichtgeschlechtliche Wesen und in niedere kastrationswütige Huren." Was hat die ,,Emma" geschrieben, das Magazin ist ja in der gleichen Zeit entstanden?

Klaus Theweleit: ,,Emma" hat sich nie dazu geäußert. Ich habe bis heute nie einen Ton von Alice Schwarzer gehört.

Wie erklären Sie sich das?

Klaus Theweleit: Mit Kinderpsychoanalyse hat Alice Schwarzer nichts am Hut. Außerdem hat sie mal gesagt, sie lese keine Bücher, die länger als dreihundert Seiten sind, und das waren über tausend. Und es gibt Seiten im Buch, auf denen ich sie kritisiert habe, auch andere, wie Herbert Marcuse, wo es darum geht, dass sie nicht begreifen, wo die Sprache männlich ist, weil sie das phallische Vokabular selbst verwendeten.

Hatte das biographische Gründe?

Klaus Theweleit: Das hatte es. Rechthabertum ablegen– das geht zurück auf Auseinandersetzungen in der engsten Umgebung, dass man aufhört, als Kerl, besonders wenn man Theorie diskutiert, automatisch zu meinen, Frauen überlegen zu sein.

In den autobiographischen Passagen der ,,Männerphantasien" geht es auch um Ihren Vater und um die Gewalt der Elterngeneration. Ich musste beim Lesen Ihres Buchs an Michael Hanekes Film ,,Das weiße Band" denken, wo am Vorabend des Ersten Weltkriegs die jüngere Generation die Schläge weitergibt, die ihnen zugefügt wurden. Wenn man annimmt, dass es ein Fortschreiben von Spuren der Gewalt gibt: Haben die ,,Männerphantasien" im Gegenteil das Ziel, genau solche Kontinuitäten zu unterbrechen?

Klaus Theweleit: Ganz gewiss. Ich bekam in der Schule mit, was die Generation der Alten angestellt hatte im sogenannten Dritten Reich. Dass meine Eltern beide Hitler-Anhänger waren, haben sie nie geleugnet. Sie haben immer nur gesagt: ,,Du kannst das nicht verstehen, du hast nicht gelebt zu der Zeit." So weit habe ich das verstanden. Dann kriegte ich mit, dass sie Antisemiten waren. In Ostpreußen hatten sie auf dem Land gesessen, wo kein Jude weit und breit war. Meine Mutter war in der Kreisstadt bei einem Arztbesuch gewesen, erzählte mir einer der älteren Brüder später, das war 1939 nach der ,,Reichskristallnacht", wie sie das nannten. Da waren bei einem Geschäft die Scheiben eingeschlagen gewesen, und Zigarren lagen auf der Straße. Unser Vater war Raucher, und mein Bruder wollte die Zigarren mitnehmen. Und die Mutter hätte gesagt: ,,Lass das liegen, Judenzigarren raucht er nicht." Wenn man sie später mit den sechs Millionen ermordeten Juden konfrontierte, fanden sie, das waren vielleicht zu viel. Es tat ihnen aber nicht leid. Und der Alte fing an zu heulen, wenn er erzählte, wie russische Partisanen irgendwelche deutschen Landser erschossen hätten. Bis es zu dem Punkt kam, an dem ich sagte: ,,Was redet ihr immer von der Heimat, die ihr verloren habt. Ihr wolltet doch alles haben bis zum Ural und fandet das richtig." Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich umgebracht. Wie ich das bei meinen älteren Geschwistern auch manchmal gedacht habe, wenn er die geschlagen hat, sehr cholerisch.

Sie waren der Jüngste?

Klaus Theweleit: Ja, mit einer jüngeren Schwester. Die anderen waren eine Art Schutzwand vor mir. Ich kriegte viel weniger ab. Als ich 1942 geboren wurde, war mein Vater schon unter der Woche nicht zu Hause, weil er woanders Eisenbahndienst hatte. Am Wochenende, wenn er kam und die älteren Geschwister Mist gebaut hatten, die Mutter petzte manchmal, kriegten die den Arsch voll, und zwar heftig. Und ich saß da in der Ecke und lernte, wie ich so was vermeide. Ich musste als Schüler gut werden, weil ich sah, wie sie den Hintern voll kriegten wegen schlechter Noten. Und ich dachte mir: Das passiert mir nicht. Wenn ich schlechte Noten hatte, habe ich die Hefte zerrissen und im Klo weggespült. Mit vierzehn eskalierte der Streit oft so, dass ich nicht mehr mit ihm reden konnte, ohne dass das handgreiflich geworden wäre. Ich habe das Reden mit dem Alten schlicht eingestellt. Über das Politische habe ich nur noch mit Gleichaltrigen geredet. Und davon gab es immer genug, die offen waren.

Und Sie selbst waren nie gewalttätig?

Klaus Theweleit: Ich war auch ein ziemlich cholerischer Typ als Schüler und habe mich rumgekloppt. Zurückhaltung lernte ich in Frauenbeziehungen, meine Frau habe ich früh kennengelernt, da war ich dreiundzwanzig, sie ist ein absolut ungewalttätiger Mensch bis heute. Sie hasst das. Wie sie manche Ausbrüche ertragen hat, ist für mich bis heute ein Rätsel.

Dieser Effekt der Unterbrechung: sollte der nicht nur für Sie persönlich gelten, sondern bei der Lektüre sich auch bei den Leserinnen und Lesern vollziehen? Sind die ,,Männerphantasien" so angelegt? Als ,,Nie wieder"?

Klaus Theweleit: Das ,,Nie wieder" ist eine Formel, die ist leicht gesagt. Man musste sich umstrukturieren, und das passiert mit Hilfe von anderen. Alleine gegen den Vater hat man keine Chance. Man mag ihn bekämpfen und wird so ähnlich. Man braucht Leute, die einem da raushelfen.

Die Rhetorik, die Sie in ,,Männerphantasien" analysieren, findet man heute bei der neuen Rechten und bei AfD-Politikern wieder: die Gleichsetzung von Körpergrenzen und Landesgrenzen. Die Rede von ,,Schleim", ,,Brei", ,,Schlamm", ,,linksgrünversifft". Sie sprechen im Buch nicht von Nationalsozialismus, sondern von Faschismus ...

Klaus Theweleit: Nur manchmal von ,,Faschismus". In ,,Männerphantasien" sage ich meist ,,soldatischer Mann", um es nicht auf die Nazis zu begrenzen.

Würden Sie die AfD-Politiker auch ,,Faschisten" nennen?

Klaus Theweleit: Etliche von ihnen, ja. Eine ,,faschistische Partei" wollen sie offiziell ja nicht sein. Aber egal. Für mich beginnt Faschismus beziehungsweise Rechtsradikalismus da, wo das ,,Eliminatorische" ins Zentrum rückt. Wenn es heißt: ,,Diese Leute da müssen weg." Flüchtlinge zum Beispiel, nicht nur die an der Grenze, sondern diejenigen, die schon hier sind. So wie die Deutschen in den dreißiger Jahren in großer Mehrheit sagten, die Juden sollten weg.

Sie sagen, Faschismus sei eine Form gezielter Kriminalität.

Klaus Theweleit: Das sind im Grunde Mordaufrufe. Was heißt das denn, die sollen weg, wenn sie nicht freiwillig gehen? Dann muss man sie beseitigen.

Sie haben einmal gesagt, ,,Männerphantasien" sei ein Buch für Frauen und Männer ausschließlich über Männer. Was machen Sie mit den exponierten rechten Frauen?

Klaus Theweleit: Im Buch ,,Männerphantasien" gar nichts. Das Buch macht Schluss mit dem literarischen Gestus ,,Männer schreiben über Frauen". Seit wir in der westlichen europäischen parlamentarischen Zivilisation Margaret Thatcher an der Spitze hatten, die sich nicht als Frau verstanden wissen wollte, sondern als Prime Minister, die Macht ausübt und ein Kriegskommando übernimmt, ist es allerdings möglich zu sagen: Hat mit dem biologischen Geschlecht nichts zu tun. Da setzt sich die Macht männlicher Institutionen durch. Bei einem Parteivorsitz auch. Wenn man da reinkommt, als Frau, wird man von den Gesetzen dieser Institutionen beherrscht. In männlichen Institutionen eine weibliche Politik zu entwickeln, ist fast nicht möglich.

Gibt es Orte, an denen das gelingt?

Klaus Theweleit: Ich denke schon. Etwa in wissenschaftlichen Instituten. Vieles geht überhaupt nicht ohne Frauen. Den beschworenen Backlash, eine rückläufige Tendenz des Feminismus, sehe ich eher als Gespenst. Die Chef- und Chefinnen-Ebene ist allerdings nach wie vor überwiegend männlich okkupiert.

Wenn jetzt eine neue Generation ,,Männerphantasien" liest, was ist Ihre Hoffnung? Lässt sich das Buch auch heute als Schlüssel für die Gegenwart begreifen?

Klaus Theweleit: Eine Reihe von Gewaltphänomenen ist universal; insbesondere eine bestimmte Sorte der Lust am Töten. Ich denke, dass durch den Terrorismus der letzten Jahre Verbindungen sichtbar werden können – von den Leuten, die ich beschreibe hin zu heutigen Mörder-Männern. Frauen findet man unter terroristischen Attentätern so gut wie keine.

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Aus: "Klaus Theweleit im Gespräch: Der Feminist" Klaus Theweleit im Gespräch mit Julia Encke (25.09.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/klaus-theweleit-im-gespraech-ueber-werk-und-leben-16396720.html

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#1
Quote[...] Brach Nazideutschland deshalb so vollständig mit allem, was bislang als heilig und gut gegolten hatte, weil den Deutschen der Gottglaube ausgetrieben wurde? Oder sind die in der Shoah und an der Ostfront verübten Gewaltexzesse im Gegenteil die Folge eines religiösen Wahns? Manfred Gailus, Professor für Neuere Geschichte an der TU Berlin, gibt hierauf eine eindeutige Antwort.

Gegen jene Lesart, die den NS als eine Epoche ,,forcierter Gottlosigkeit" versteht, spricht Gailus von ,,kollektivem Hunger auf Heil", einer ,,Rückkehr des Religiösen" unter Hitler und allgemein von ,,gläubigen Zeiten". Das Buch zum Thema, gerade erschienen, führt die Ergebnisse seiner seit drei Jahrzehnten andauernden Forschung zum Verhältnis von Religion, Kirche, Konfessionen und Nationalsozialismus in konzentrierter Form zusammen.

So stellt Gailus unter anderem die Frage, wie die Deutschen trotz des propagierten Gegensatzes von Nationalsozialismus und Christentum, in ,,beiden Welten" zu Hause sein konnten. Die Zahlen der Religionsstatistik nämlich offenbaren in der Tat ein merkwürdiges Bild.

96 Prozent der Deutschen gehörten den christlichen Konfessionen an. Zwei Drittel davon waren protestantisch geprägt, das andere Drittel katholisch. Gleichzeitig hatte die Massenpartei NSDAP zu Hochzeiten neun Millionen Mitglieder. ,,Zahlreiche Menschen praktizierten eine Doppelgläubigkeit, sie blieben ihrer christlichen Sozialisation verhaftet und begeisterten sich gleichzeitig mit gläubiger Emphase für das Deutsche Volk und seinen angeblichen Führer", sagt Gailus im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Dass der Nationalsozialismus ein verschwörungsideologisches Glaubenssystem darstellte, in dem die christliche Theologie durch einen metaphysisch überhöhten Volksbegriff abgelöst wurde, ist dem Historiker zufolge nur teilweise richtig. Denn obwohl die Nazis beabsichtigten, die Kirchen als gesellschaftliche Kräfte vollends zu marginalisieren, wurde die christliche Religiosität durch den völkischen Neuglauben oft nicht verdrängt, sondern vielmehr überwölbt.

Geschichtsphilosophisch betrachtet könnte man sagen, dass das Christentum vom Nationalsozialismus im dialektischen Sinne ,,aufgehoben", also ,,negiert" und doch ,,bewahrt" wurde.

Denn nicht nur der in völkische Kategorien übersetzte religiöse Antijudaismus deutet auf Kontinuitäten im Wandel. So trat der Hitlerismus auch das Erbe eines christlichen Messianismus an. Jedenfalls sei das Jahr 1933 von Christen, Konservativen, Deutschnationalen und Nationalsozialisten gleichermaßen als religiöses Erweckungserlebnis empfunden worden, das das Ende der so genannten ,,Gottlosenrepublik" von Weimar besiegelt habe, sagt Gailus.

Hitler wurde von vielen als jesusartige Erlösergestalt empfunden. ,,Der Erste Weltkrieg, die darauffolgenden Revolutionsunruhen, der Moderneschock durch den Kollaps der Monarchie, der Versailler Vertrag, die Hyperinflationszeit Anfang der 20er-Jahre und die Weltwirtschaftskrise zu deren Ende hin beförderten einen ungeheuren Hunger auf Heil", sagt Manfred Gailus.

Viele politische Parteien, allen voran die NSDAP, seien zu ,,Trägern heilsversprechender Weltanschauungen mutiert, die nicht nur Lösungen, sondern Erlösungen anboten".

Die Juden wurden in der nationalsozialistischen Heilserzählung als Antipoden zum Guten schlechthin, als ,,Gegenrasse" der Arier und Todfeind der Deutschen beschrieben. Manfred Gailus knüpft hier an Saul Friedländers viel diskutierte These vom ,,Erlösungsantisemitismus" an. So betonte Friedländer, dass Auschwitz nur deshalb geschehen konnte, weil die große Mehrheit des deutschen Volkes zum Führer Adolf Hitler eine quasi-religiöse Beziehung unterhielt und der antisemitischen Erlösungsfantasie weitgehend aufgesessen war.

Demnach wurde die Geschichte als Schicksalskampf zwischen guten und bösen Mächten gelesen, was die religionstypischen Bedürfnisse nach Sinn, Orientierung und Komplexitätsreduktion befriedigte. Auch Gailus meint, der totale Vernichtungsanspruch des Holocaust sei letztlich nur durch den religiösen Charakter des Nationalsozialismus zu erklären – was ihn von anderen Genoziden deutlich unterscheide.

Auf der individuellen Ebene sei für viele Deutsche dabei ein christlich-völkischer ,,Synkretismus" kennzeichnend gewesen, meint Gailus. ,,In unterschiedlich komponierten religiösen Gemengelagen mischten sich bei vielen Zeitgenossen christliche Glaubens- und Traditionsbestände mit einem deutschen Gottglauben."

Eine Verschränkung von biblischen und völkischen Motiven hat vor einigen Jahren auch die Berliner Historikerin Dagmar Pöpping in ihrer Studie über Kriegspfarrer an der Ostfront untersucht. Was etwa den Antibolschewismus angeht, seien die christlichen von den nationalsozialistischen Diskursen kaum zu unterscheiden gewesen, meint Pöpping.

Sowohl die katholischen als auch die evangelischen Pfarrer verstanden die atheistischen Bolschewiki als seelenlose Geschöpfe. Diese Lesart, mit der man die Kommunisten aus dem Menschsein hinausinterpretierte, ließ sich beinahe nahtlos mit der nationalsozialistischen Vorstellung vom ,,Untermenschen" verschränken. Im Hinblick auf ,,die Juden" findet sich in den von Pöpping untersuchten Tagebuchquellen mitunter auch die Idee, ihre Vernichtung sei als göttliche Konsequenz der ,,uralten jüdischen Volksschuld" zu interpretieren.

Doch nicht nur auf individueller, sondern auch auf religionspolitischer Ebene gab es ein Gegen-, Mit-, und Ineinander verschiedener religiöser Strömungen. ,,Außerhalb der Kirchen und jenseits der Hitlerpartei schlossen sich postprotestantische Deutschgläubige mit dem Anspruch auf staatliche Anerkennung als dritte Konfession zusammen", schreibt Gailus in seinem Buch ,,Gläubige Zeiten". Diese hätten mit den anderen beiden Konfessionen darum konkurriert, die dem deutschen Volk im ,,Dritten Reich" angemessene Glaubensrichtung zu werden.

Auch in der NSDAP selbst gab es verborgene religiöse Konkurrenzen. Hier standen sich laut Gailus ,,christliche Nationalsozialisten" und ,,antichristliche Gottgläubige" als Gesinnungsfraktionen gegenüber. Dabei sei es bezeichnend, dass der Protestantismus viel tiefgehender nationalsozialistisch durchdrungen wurde als der Katholizismus.

So ließ sich jener leichter in die völkische NS-Ideologie einbinden, weil es anders als im katholischen Glauben nicht die Anbindung an Rom und den Papst und somit keine ,,Führerkonkurrenz" und keine Rivalität zwischen der Zugehörigkeit zum Deutschen Volk und der Zugehörigkeit zur Kirche gab.

,,Etwa 20 Prozent der evangelischen Pfarrer waren Parteimitglieder, die Anzahl der katholischen Priester lag bei unter einem Prozent", sagt Gailus. Auch seien Katholiken intensiver verfolgt worden. ,,Neben etwa 30 evangelischen Pfarrern waren im Dachauer Pfarrerblock über 300 katholische Geistliche aus dem Deutschen Reich interniert."

Allerdings sollten diese Zahlen nicht dazu führen, die Katholiken insgesamt von ihrer ebenfalls eklatanten Mittäterschaft zu amnestieren. So habe es in beiden Kirchen ein breites Holocaustwissen, aber fast keinen öffentlichen Widerspruch gegeben. Stattdessen, von Ausnahmen abgesehen, Schweigen bis hin zur Mittäterschaft – was auch die Forschung Dagmar Pöppings unterstreicht.

Zudem sei der Unterschied zwischen protestantischer und katholischer NS-Affinität nur auf professioneller Ebene feststellbar, sagt Gailus. Die ganz normalen Gläubigen nahmen sich nichts.

Lakonisch resümiert der Historiker: ,,Die Vernichtung fand statt. Sie wurde aus einer christlichen Gesellschaft heraus vollzogen."

[Manfred Gailus: Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich. Herder Verlag, 2021. 224 Seiten]


Aus: "Kirchen und Nationalsozialismus: Vom Kreuz zum Hakenkreuz" Christoph David Piorkowski (13.10.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kirchen-und-nationalsozialismus-vom-kreuz-zum-hakenkreuz/27703448.html

Manfred Gailus (* 28. Oktober 1949 in Winsen (Luhe)) ist ein deutscher Historiker.
https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Gailus

Manfred Gailus - Friedrich Weißler
Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler
https://www.perlentaucher.de/buch/manfred-gailus/friedrich-weissler.html

Manfred Gailus - Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933-1945
https://www.perlentaucher.de/buch/manfred-gailus/taeter-und-komplizen-in-theologie-und-kirchen-1933-1945.html

Manfred Gailus - Kirchliche Amtshilfe
Die Kirche und die Judenverfolgung im 'Dritten Reich
https://www.perlentaucher.de/buch/manfred-gailus/kirchliche-amtshilfe.html

Manfred Gailus - Protestantismus und Nationalsozialismus
Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin. Habil.
https://www.perlentaucher.de/buch/manfred-gailus/protestantismus-und-nationalsozialismus.html


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Quote[...] Anders als die sozialistischen Diktaturen war der Nationalsozialismus mehrheitsfähig in der Bevölkerung. Die Zustimmung war allerdings immer davon abhängig, dass das Regime lieferte: auftrumpfende Außenpolitik, nationales Hochgefühl, Revisionen der vielfach verhassten Bestimmungen des Versailler Vertrages, Sozialleistungen, erfolgreiche ,,Blitzkriege". 1941, nach dem schnellen Sieg über Frankreich, erreichte die Hitler-Euphorie ihren Gipfel. Selbst viele vormalige Skeptiker bekannten sich nun zum Nationalsozialismus.

Im Sommer 1945 war es für amerikanische Reporter dagegen fast unmöglich, noch überzeugte Anhänger des Dritten Reiches zu finden. Niemand wollte es gewesen sein; man wies allenfalls auf die Nachbarn. Wer also waren die Nationalsozialisten? Fast alle oder fast niemand? Die erklärenden Narrative wechselten im Lauf der Jahre, wie der 1951 geborene Historiker Ulrich Herbert in seiner exzellenten Aufsatzsammlung ,,Wer waren die Nationalsozialisten?" zeigt. Nach 1945 wollte man sich zunächst einreden, dass die Deutschen von einer politischen Verbrecherclique verführt worden seien.

Die Handlager beim Völkermord und bei den Kriegsverbrechen waren, so Konrad Adenauer 1952, ein ,,kleiner Prozentsatz von absolut asozialen Elementen" und Kriminellen. So wurden die NS-Täter als verrohte Minderheit ,,aus der deutschen Gesellschaft exmittiert", schreibt Ulrich Herbert.

Auch die sozialgeschichtliche Forschung habe in den folgenden Jahrzehnten dieses einseitige Bild bestätigt: Zu den Nazis gingen demnach die Gescheiterten und Marginalisierten, von Abstiegsängsten verwirrte ,,Kleinbürger" und die Soldaten des Ersten Weltkriegs, die nie im Frieden angekommen waren. Die honorige bürgerliche Gesellschaft musste sich nicht verantwortlich fühlen.

Der Nationalsozialismus, der die Welt erschütterte, so Herbert, war jedoch nicht jener der frühen SA-Kneipenschläger; es war der Nationalsozialismus des Vernichtungskrieges und des Judenmords, der von ,,Männern mit erstklassiger Ausbildung" und meist gutbürgerlichem Hintergrund organisiert wurde.

Wie kaum ein anderer Historiker hat sich Herbert mit der irritierenden Paradoxie befasst, die darin liegt, dass eine weitgehend identische Verwaltungselite zuerst den nationalsozialistischen Staat und dann die Bundesrepublik aufbaute. Die anfangs umfassenden alliierten Bestrafungs- und Entnazifizierungsmaßnahmen wurden bald entschärft, stattdessen bot man den ehemaligen Tätern, sofern sie nicht zu bekannt waren, die Eingliederung in die neue Gesellschaft an.

Zwar gab es auch Nationalsozialisten, die von ihrer Ideologie nicht lassen wollten. Die klügere Mehrheit aber startete in eine zweite, bürgerliche Karriere, deren Bedingung es war, auf jede neo-nationalsozialistische Aktivität zu verzichten. Und was anfangs vielleicht bloße Anpassung an die neuen Spielregeln war, wurde im Lauf der Jahre bei nicht wenigen zur demokratischen Überzeugung. Auch deshalb, weil die Bundesrepublik nachhaltigere Erfolge aufweisen konnte als der zwar hochdynamische, aber zu keiner politischen Stabilisierung fähige NS-Staat.

Das Abtauchen in die Bürgerlichkeit war auch deshalb möglich, weil das Detailwissen über die Führungsstrukturen vieler NS-Organisationen und die Beteiligung der akademischen Eliten an den Verbrechen ,,im Osten" sich erst seit den sechziger Jahren verbreitete.

Während viele Linke (erst recht in der DDR) meinten, dass die Nazis unverbesserlich seien und in der BRD subversive Aktivitäten entfalteten, sieht Ulrich Herbert bei vielen ehemaligen Nationalsozialisten diesen ,,Einstellungswandel". Er war ein wichtiger Faktor bei der Stabilisierung der Bundesrepublik, auch wenn er mit einem moralischen Skandal verbunden war: Angesichts der vielen Millionen NS-Opfer kam die verantwortliche Elite mit vergleichsweise milden Strafen davon. Kein Zweifel, die junge Bundesrepublik gründete nicht auf Gerechtigkeit, sondern auf der vitalen Kraft des Opportunismus.

Herberts Aufsätze beeindrucken durch ihre Präzision. Gerade weil sie von analytischer Distanz gekennzeichnet sind, können sie die Beweggründe der damals beteiligten Menschen nachvollziehbar machen. Der Nationalsozialismus erscheint dadurch als politische Versuchung, der auch und gerade die gebildete Schicht erlag.

Im Aufsatz ,,Der deutsche Professor im Dritten Reich" stellt Herbert anhand der Lebensläufe von vier prominenten Wissenschaftlern aus verschiedenen Fakultäten die bereitwillige Anpassung an ein Regime dar, das dem wissenschaftlichen Ethos, sofern man darunter besonnene Argumentation, Kritikfähigkeit, Bildung und Belesenheit versteht, eher feindlich gegenüberstand.

Bereits 1938 waren jedoch mehr als fünfzig Prozent der deutschen Professoren Mitglieder der NSDAP. Ein wichtiges Erklärungsmuster liegt für Herbert in der Teilidentifikation. Man war im Ganzen mit der Richtung des Nationalsozialismus einverstanden, war beeindruckt von den außenpolitischen Erfolgen Hitlers und der Erholung der Wirtschaft nach zwei Jahrzehnten der Dauerkrise, pflegte aber doch eine gewisse Ambivalenz und haderte in einzelnen Punkten mit dem Regime, etwa mit seinem robusten Auftreten, seiner Kirchenfeindschaft oder dem Antisemitismus. Letzterer eröffnete – wegen der Entlassung zahlreicher jüdischer Wissenschaftler aus dem Hochschuldienst – allerdings gerade den nachstrebenden Akademikern und Habilitierten reizvolle Karriereperspektiven.

Es gehört zu den Verdiensten des Historikers Ulrich Herbert, dass er in den achtziger Jahren das damals noch vernachlässigte Thema der zehn Millionen Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft erschlossen hat. Ohne die Zwangsarbeiter, schreibt er auch in einem Aufsatz dieses Bandes, wäre NS-Deutschland ab 1941 kaum noch kriegsfähig gewesen.

Er widerspricht dagegen der landläufigen These von der polykratischen ,,Kompetenzanarchie" im Dritten Reich, die zu einer wachsenden Dysfunktionalität des Staates geführt habe: ,,Anders als in der Sowjetunion gab es in Deutschland bis in die letzten Tage des Krieges hinein einen hochdifferenzierten und effizienten Staatsapparat." Auch die Vorstellung vom ,,industriellen" Judenmord korrigiert er. Lange Zeit habe der Holocaust eher in Form ,,apokalyptischer, geradezu archaischer Massaker" stattgefunden, an denen Tausende SS-Männer, Soldaten und Polizisten beteiligt waren.

Ob Ulrich Herbert die anfangs erheblichen, später zunehmend verwischten Unterschiede zwischen nationalsozialistischen und sowjetischen Lagersystemen aufzeigt (,,Ordnungshölle" versus ,,Inferno der Willkür"), ob er die zehn Eskalationsstufen auf dem Weg zum Holocaust definiert oder die antihumanitäre Logik des Nationalsozialismus konsequent aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ableitet: Immer bieten seine Aufsätze eine über das verbreitete historische Wissen hinausgehende Erklärungstiefe. Nicht um originelle Thesen geht es diesem Freiburger Historiker, sondern um die Komplexität der Zusammenhänge.


Über: Ulrich Herbert: Wer waren die Nationalsozialisten? Verlag C.H. Beck, München 2021. 309 Seiten]]Über: [Ulrich Herbert: Wer waren die Nationalsozialisten? Verlag C.H. Beck, München 2021. 309 Seiten]



Aus: "Ideologische Verführung: Die vitale Kraft des Opportunismus" Wolfgang Schneider (22.06.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/ideologische-verfuehrung-die-vitale-kraft-des-opportunismus/27310658.html
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"Deutsche Gesellschaft im Nationalsozialismus Arbeit, Beute und Hochgefühl" Jonas Krumbein  (2013)
Historiker diskutieren, warum sich die deutsche Gesellschaft so schwer aus der Komplizenschaft mit den Nazis löste. Eine Erklärung: Etliche profitierten von den Beutezügen im In- und Ausland. ...
https://www.tagesspiegel.de/wissen/deutsche-gesellschaft-im-nationalsozialismus-arbeit-beute-und-hochgefuehl/8898454.html
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"Kriegsende vor 70 Jahren Nazis sind immer die anderen" Christian Schröder (2015)
https://www.tagesspiegel.de/kultur/kriegsende-vor-70-jahren-nazis-sind-immer-die-anderen/11739406.html
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""Generalplan Ost"-Ausstellung in Berlin Wissenschaft im Dienst der Nazis" Bernhard Schulz (2015)
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) war eng in die Entstehung des ,,Generalplan Ost" in der NS-Zeit verstrickt. Eine Ausstellung zur Beteiligung der DFG macht nun Station in der Topographie des Terrors in Berlin. ...
https://www.tagesspiegel.de/wissen/generalplan-ost-ausstellung-in-berlin-wissenschaft-im-dienst-der-nazis/12086764.html

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Quote[...] Deutschland gehört europaweit zu den Ländern mit den häufigsten Vorfällen schwerer rechter Gewalt – auch unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl. Während es im Jahr 2019 in vielen Ländern Westeuropas keine oder nur sehr wenige Fälle von schweren rechtsextremen Gewalttaten und Terrorplänen gab, kam es in Deutschland im vergangenen Jahr zu nicht weniger als 35 solcher Ereignisse.

Dies ist eines der Ergebnisse des von uns veröffentlichten Trendreports zu Rechtsterrorismus und rechter Gewalt des Center for Research on Extremism (C-REX) an der Universität Oslo.

Aus unseren Recherchen geht auch hervor, dass dieser Befund kein statistischer Ausreißer ist. Kein anderes Land in Westeuropa hat seit 1990 so viel schwere rechte Gewalt erlebt wie Deutschland. Deutsche Rechtsextremisten haben in den Jahren seit der Wiedervereinigung mindestens 121 Menschen getötet. Besonders bedeutend ist dabei der Vergleich: 80 Tote gab es im selben Zeitraum in Norwegen (davon 77 durch den Anschlag von Utøya), 36 in Großbritannien und 22 in Spanien.

Entsprechend dem vorherrschenden Trend der letzten Jahre, insbesondere bei Anschlägen mit tödlichem Ausgang, ist der häufigste Tätertyp in Deutschland der sogenannte Einzeltäter. Dieser Tätertyp bereitet Angriffe allein und auf eigene Initiative vor, was ihre Prävention erschwert. Allerdings sind viele dieser Täter nur in einem relativen Sinne allein. Oft sind sie inspiriert durch andere Attentäter wie Brenton Tarrant, der 51 Muslime in Christchurch in Neuseeland tötete. Sogenannte Einzeltäter sind in einigen Fällen Mitglieder von oder assoziiert gewesen mit Gruppen wie der neofaschistischen CasaPound in Italien oder der Reichsbürgerbewegung, die von den deutschen Behörden als eine eigene Form des Extremismus eingestuft wird. 

Während in anderen Ländern mit relativ hohen Gewaltraten wie Spanien und Italien die Täter häufiger Teil einer organisierten Gruppe sind, waren "Einzeltäter" für rund die Hälfte der schweren Anschläge in Deutschland im Jahr 2019 verantwortlich, darunter auch für den versuchten Terroranschlag auf eine Synagoge in Halle. In den letzten Jahren gab es allerdings auch in Deutschland Gewalttaten oder Anschlagspläne von organisierten rechtsextremen Gruppen, unter ihnen die "Oldschool Society", die "Gruppe Freital" und "Revolution Chemnitz". Viele hatten auch starke Verbindungen zur rechtsextremen NPD. Darüber hinaus wurden mehrere Gruppen entdeckt, die Waffen lagerten und sich anscheinend auf einen bewaffneten Kampf vorbereiteten. Mindestens vier dieser Entdeckungen standen im Zusammenhang mit der Reichsbürgerbewegung, während in anderen Fällen weniger bekannte Gruppen wie die "National Socialist Knights of the Ku Klux Klan Deutschland" und "Der harte Kern" beteiligt waren. Die deutschen Behörden haben es also sowohl mit gewalttätigen Einzelpersonen als auch mit organisierten Formen rechtsextremer Gewalt zu tun.

Zum vorherrschenden Trend passt es auch, dass deutsche Rechtsextremisten heute vor allem ethnische Minderheiten und Einwanderer angreifen, wie bei dem Anschlag am Silvesterabend in Bottrop 2019, bei dem der Täter mit einem Auto versuchte, seine Opfer zu überfahren. In Westeuropa und besonders in dessen Norden sind die Opfer rechter Gewalt eher ethnische und religiöse Minderheiten, insbesondere Muslime, da die rechtsextremen Täter diese Gruppen als unerwünschte Ausländer und damit als legitime Ziele wahrnehmen. In Osteuropa, das von unserem Datensatz noch nicht erfasst wird, zeigen andere Berichte, dass Opfer rechter Gewalt häufig Roma-Minderheiten sind. Angriffe auf Juden sind viel seltener. Übergriffe auf die jüdische Gemeinschaft geschehen in der Regel in Deutschland. 

Zudem hat es in Deutschland auch mehrere rechte Angriffe auf hochrangige Politiker gegeben. Walter Lübcke, Henriette Reker und Andreas Hollstein wurden wegen ihrer flüchtlingsfreundlichen Politik ermordet oder verletzt. Auch mehrere andere Bürgermeister und Politiker auf kommunaler und Landesebene wurden attackiert oder konkret ins Visier genommen. An einigen dieser Terrorpläne sind Gruppen wie "Nordkreuz" beteiligt, die anscheinend darauf hinarbeiten, das gesamte politische System zu stürzen. 

Das alles liefert uns mindestens drei wichtige Erkenntnisse. Erstens: Die Art der rechten Gewalt unterscheidet sich stark von Land zu Land. Während sich einige Länder wie Großbritannien in erster Linie mit sogenannten Einzelakteuren mit islamfeindlichen Motiven befassen müssen, stehen andere stärker vor dem Problem organisierter Gewalt. Dazu gehören Angriffe auf politische Gegner wie in Spanien oder auf Geflüchtete wie in Griechenland. Deutschland ist mit einer noch komplexeren Situation konfrontiert. Hier gibt es sowohl Einzelakteure als auch militante Gruppen.

Zweitens: Die unterschiedlichen Formen rechter Gewalt lassen sich unterschiedlich erklären. In Südeuropa scheinen hohe Gewaltraten mit einer Kombination aus sozioökonomischen Problemen, nationalistisch-autoritären Hinterlassenschaften vorheriger Staatsformen und etablierter linksextremer Militanz einherzugehen. Diese Kombination verstärkt eine bereits polarisierte Links-Rechts-Spaltung, die gelegentlich zu mehr rechtsextremer Gewalt führt.

Während diese Erklärung teils auch in Deutschland, insbesondere im Osten in den Neunziger- und frühen Zweitausenderjahren, eine Rolle spielt, scheint das relativ hohe Niveau rechtsextremer Gewalt in Nordeuropa mit der Kombination aus hoher Zuwanderung, geringer Wahlunterstützung für einwandererfeindliche Parteien und umfassender öffentlicher Repression gegen rechtsextreme Akteure und Meinungen zusammenzuhängen. In diesen Ländern scheint die extreme Rechte in der Lage zu sein, Anhänger zu mobilisieren und Gewalt zu motivieren, zumindest teilweise aufgrund der Dominanz einwanderungsfreundlicher Eliten in Politik und Gesellschaft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine erfolgreichere Anti-Einwanderer-Partei automatisch die Gewaltrate reduziert, vor allem nicht, wenn diese teilweise von Rechtsextremisten gekapert wird.

Drittens ist die Prävention solcher Anschläge und gewalttätiger Radikalisierung, die zu Terrorismus führt, ein komplexes Unterfangen. Die Behörden müssen mehr tun, auch in Deutschland. Zwar wurden hier die personellen Kapazitäten im Staatsschutz erheblich aufgestockt und endlich ein Instrument zur Risikoabschätzung für rechtsextremistische Gefährder entwickelt, doch erhalten Neonazis immer noch zu leicht Zugang zu Waffen.

Und während das Bundeskriminalamt in jüngster Zeit mit sogenannten "virtuellen Agenten" versucht, potenzielle Attentäter zu identifizieren, ist das Aufspüren onlinebasierter Radikalisierungsprozesse noch deutlich unterentwickelt. Die Behörden wissen zu wenig über neue Milieus rechtsextremer Radikalisierung, etwa in Messenger-Apps wie Telegram oder TikTok.

Die deutschen Inlandsnachrichtendienste konzentrieren sich überwiegend auf die nationale Ebene und auf organisierte Gruppen. Die jüngsten Formen rechtsextremer Radikalisierung sind aber weniger strukturiert, wie das Konzept des "Schwarmterrorismus" zeigt. Solche Radikalisierungsprozesse sind transnational und können globale Kettenreaktionen im Rechtsterrorismus auslösen. Um dem effektiv zu begegnen, braucht es mehr Vernetzung und Austausch zwischen Wissenschaft, staatlichen Stellen und Zivilgesellschaft. Und schließlich muss die deutsche Regierung nicht staatliche Projekte zur Prävention und Bekämpfung von Extremismus, einschließlich der Ausstiegsprogramme, stärker auf ihre Wirksamkeit prüfen. Solide wissenschaftliche Evaluationen solcher Instrumente sind selten.

Deutschland braucht, wie die meisten anderen Länder auch, mehr Forschung und evidenzbasierte Ansätze sowie eine umfangreichere staatliche und zivilgesellschaftliche Vernetzung zur Bekämpfung rechter Gewalt.


Aus: "Rechtsterrorismus: Ein unschmeichelhafter Spitzenplatz" Ein Gastbeitrag von Anders Ravik Jupskås und Daniel Köhler (20. Juli 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/rechtsterrorismus-deutschland-hoechste-anzahl-studie-rtv-universitaet-oslo/komplettansicht

QuotePutschdämon #85

Deutschland gehört zu den beliebstesten Zielländern für Einwanderer. Deshalb glaube ich das, was in diesem Artikel steht, nicht.


QuoteWolfgang_K. #89

Aber die Linken! Die LINKSRADIKALEN!!


QuoteDombaumeister #89.1

Und die AUSLÄNDER! Vergessen Sie mir die AUSLÄNDER nicht!


QuoteRosenstrauß #89.3

Wenn es die Linken und die Ausländer nicht geben würde, die Rechtsextremen wüssten gar nicht wen sie umbringen sollten.


QuoteTestuser_19 #22

"Deutsche Rechtsextremisten haben in den Jahren seit der Wiedervereinigung mindestens 121 Menschen getötet."

Erfährt man da näheres? Wird eine Aufstellung nachgereicht?


QuoteBiatt #22.2  —  vor 20 Stunden

Hier bis März 2017:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/todesopfer-rechte-gewalt-karte-portraet

Dort sehen Sie auch, warum die Zahl höher ist als 121. Viele wurden nicht anerkannt.

Hier noch Informationen:
https://www.dw.com/de/chronologie-rechte-gewalt-in-deutschland/a-49251032

Viele gehen davon aus, dass die 200 schon übertroffen wurde, auch wegen der im ersten Artikel genannten Nichtanerkennung vieler Fälle. Das erste Beispiel Ruth K. zeigt es am besten: Der Mann steckte aus rassistischen Gründen das Haus in Brand, natürlich aber nicht mit der Absicht, sie zu ermorden. Dennoch starb sie aus rassistischen Motiven heraus.
https://www.belltower.news/die-liste-193-todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990-36796/


Quotekannverstan #54

Wikipedia listet weitaus mehr Fälle auf:
https://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_der_Bundesrepublik_Deutschland


QuoteFrank Wörther #54.1  —  vor 18 Stunden

So ein Unsinn. 35 Fälle/Jahr.

Wo ist denn das "mehr" auf dieser Seite ?

Da sind Fälle aus 35 Jahren. Bei 208 Toten wären das im Schnitt 6 Opfer/Jahr.
Mal davon Abgesehen Äpfel <--> Birnen. Textverständnis 0.

Hier geht es um Terror und nicht um Todesfälle durch Rechtsextreme. Habe mal einen random Fall aus der Liste raus gesucht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Adolf#Rechtsextremer_Aktivismus

Rechtsextremer tötet Freundin -> rechtsextremer Mord ?
Über die genauen Umstände steht da nichts, aber schon auf Grund der Vornamen dürften da etliche - ich nenne es mal "Milieumorde" drunter sein. Also andere Diskussion - hier geht es um Terrorangriffe.

35/Jahr ist eine Menge. Da braucht man nicht irgendwas anderes noch ranzuziehen.


QuoteEin Gespenst geht um #57

Warum überrascht mich das alles nicht?

Als ob es neu wäre. Auch nach 1945 gab es rechten Terrorismus in Deutschland.

Von der Zeit von 1919 bis 1933 ganz zu schweigen. Immer wieder nahmen staatliche Stellen unrühmliche und fragwürde Haltungen dabei ein. In dieser Zeit wurde der Grundstein gelegt für die größte Barbarei der Menschheitsgeschichte, dem Zivilisationsbruch. Waldemar Pabst konnte sich der Morde an Luxemburg und Liebknecht noch ungestraft rühmen, in den 60ern im SPIEGEL. Wenn es Urteile gab, wurden Linke verurteilt, 60 Jahre später. ...


QuoteMastershark #66

In unserem Land wurde Gefahr aus dem rechten politischen Spektrum über mehrere Jahrzehnte als Folklore abgetan. Ich erinnere viele Übergriffe aus rechtsextremistischer Szene schwerpunktmässig in den sogenannten Neuen Bundesländern in den 90er und Nullerjahren. Da wurde alles auf die Schiene 'Einzelfall' geschoben und nie systematisch ermittelt. Ausserdem hatten die Opfer keine Lobby. Ich erinnere auch die Situation in einem liebenswürdigen Städtchen im südöstlichsten Zipfel der Republik, Sitz einer internationalen Hochschule im Dreiländereck, wo die Inenenstadt abends allein den rechten Schlägern gehörte und sich kein Polizist in die Szene traute und niemand dieses Problem zur Kenntnis nehmen wollte.
Unter diesen Bedingungen konnte auch der NSU ziemlich unbehelligt morden und durch Schlamperei der Ermittlungsbehörden und Staatssicherheit lässt sich deren Mordwerk bis heute nicht lückenlos rekonstruieren.
Erst in jüngster Zeit bekommen verantwortliche Politiker in den Innenministerien und in der Justiz allmählich kalte Füsse vor diesem Problem, denn heute stehen sie selbst auf den 'Todeslisten' oder werden von rechten Netzwerken ausgespäht. Wir brauchen viel mehr Aufmerksamkeit und akribische Ermittlungsarbeit im Zusammenhang mit rechter Gewaltkriminalität und keinen Relativierer im Innenministerium. Diese rote Laterne ist ein Armutszeugnis. Der Rechtsstaat muss dringend Handlungsfähigkeit beweisen.


QuoteKyösti Vitus #67

Völkischer Nationalismus ist der noch hässlichere Bruder des Nationalsozialismus. Und dieses ganze "wir haben ja nichts gegen Ausländer, aber..." ist bezeichnend.


Quotesewen77 #68

Nachdem sogar Straftaten der grauen Wölfe als "rechtsextrem" gewertet werden, ist das Ergebnis genau das gewünschte - wenig überraschend.
"Graue Wölfe" die grösste rechtsextreme Gruppierung in Deutschland.
https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/260333/graue-woelfe-die-groesste-rechtsextreme-organisation-in-deutschland


QuoteMartin Köster #68.1

wenn die grauen wölfe nicht rechtsextrem sind, was denn dann ?
etwa linksextrem weil migranten oder türkischer abstammung ?
das ist grotesk absurd!


Quotesewen77 #68.2

Rechtextrem in Deutschland wird wohl allgemein als deutschnational erwartet und nicht wenn Türken(stämmig) "Juden ins Gas" skandieren.
Aber es ist ja erwünscht, dass alles irgendwie mögliche als rechtsextrem gewertet wird. Wie ich sagte: das Ergebnis ist genau das gewünschte - wenig überraschend aber damit auch wenig aussagekräftig.


QuoteKapaster d.J. #76

Ob Spitzenplatz oder Mittelfeld, das ist mir eigentlich völlig egal. Der deutsche Rechtsextremismus, mit all seinen Verzahnungen mit Rechten bis hin zu offenen Faschisten in der ganzen Welt, ist derzeit die größte Bedrohung für Demokratie und Freiheit. Das ist der eigentliche Punkt.


QuoteStella38 #84

Hessische V-Leute, die in die NSU Morde verstrickt sind (Aufklärung Fehlanzeige), ein Ex-Verfassungsschutz-Chef, der mit Rechts anbandelt und auf dem rechten Auge mehr als blind ist, die Hessische Polizei, die private Daten von linken oder türkischen Frauen abfragt, diese Nazis zur Verfügung stellt, die die Frauen mit übelsten Drohmails unterzeichnet mit NSU 2.0 attackieren, hessische Polizisten mit Naziparolen in Chats - sie werden versetzt, eine richtige Aufklärung gibt es nicht. Dazu völkische Unterwanderung ganzer Dörfer im Osten. Eine blaubraune Partei, die außer "Ausländer raus" zu schreien kein Programm hat und Parlamentsarbeit sabotiert. Ja, Deutschland hat ein Problem. Dazu ein Innenminister, der Flüchtlinge am liebsten in KZs (genannt Ankerzentren) sperren möchte und sich gegen eine Untersuchung von Rassismus in der Polizei wehrt.


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"Philosophisches Gespräch: Die Theorie(n) der Neuen Rechten" (2019)
In der Reihe "Theorien zur Praxis" // In Kooperation mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen
Mit: Prof. Dr. Philipp Felsch, Kultur- und Wissenschaftshistoriker, Humboldt-Universität zu Berlin, und Danilo Scholz, Ideenhistoriker, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris
Die sogenannte ,,Neue Rechte" ist eine uneinheitliche ideologische Strömung, die sich in Selbstverständnis, Zielstellung und den gewählten Strategien bewusst vom traditionellen Konservatismus unterscheidet. Seit den sechziger Jahren wird dem Ringen um eine ,,kulturelle Hegemonie" (Antonio Gramsci) Vorrang eingeräumt. Ziel ist die Infiltration der vorgeblichen Elitendiskurse durch publizistische Tätigkeit, um langfristig die öffentliche Meinung gemäß der eigenen Weltanschauung zu beeinflussen. Unter Berufung auf Ideen des rechten französischen Theorie-Think-Tanks GRECE und seines Gründers Alain de Benoist wird europaweit zum Kulturkampf aufgerufen, der einer ,,Konservativen Revolution" (Armin Mohler) den Weg ebnen soll.
In dieser Ausgabe der Reihe Theorien zur Praxis steht diesmal nicht ein einzelner Denker oder eine Denkerin im Mittelpunkt, sondern eine lose Konstellation: Es sind Versatzstücke einer Geisteshaltung, die sich ihre Leitsätze von verschiedenen Theoretikern zusammenklaubt und in Frankreich und Deutschland immer wieder erstaunlichen Zulauf verzeichnet hat.
https://youtu.be/-LZwGl5_vtQ

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Quote[...] Seit dem Herbst 2017 stellt mit der AfD eine in Teilen rechtsextreme Partei die größte Oppositionsfraktion im deutschen Bundestag. Seit dem Herbst 2018 ist die gleiche Partei in allen Landtagen vertreten, neun von 16 Mal mit zweistelligem Wahlergebnis. Im Herbst 2019 nun könnten die von rassistischen und revisionistischen Hardlinern dominierten Landesverbände von Brandenburg, Thüringen und Sachsen der AfD drei Siege bei den Landtagswahlen sichern.

Der Einzug der parteipolitischen Rechten in die Parlamente wird von einer Verrohung des Diskurses und einer gestiegenen Anzahl rassistischer und rechtsextremer Gewalttaten begleitet. Der rechte Rand ist kein Randproblem mehr und dringt in die gesellschaftliche Mitte vor. Die zunehmenden Landgewinne demokratiefeindlicher Kräfte erscheinen als klare Zäsur. In Wissenschaft und Medien hat die rechte Renaissance nicht selten Vergleiche zu ,,Weimar" und dem katastrophalen Scheitern der ersten deutschen Republik provoziert.

Aber muss man den vergleichenden Blick überhaupt so weit zurückwenden? Haben Pegida, AfD und Konsorten und die von ihnen ausgehende Hetze nicht auch eine bundesdeutsche Vorgeschichte – und eine in der DDR? Bei einem Workshop am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam versuchten sich Zeithistoriker und Zeithistorikerinnen nun an einer Art Bestandsaufnahme. Sie wollen ein langfristig angelegtes Netzwerk zur Rechtsextremismusforschung gründen. Man wolle sich stärker auf die Rechten aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit konzentrieren, die von der Forschung bislang vernachlässigt wurden, sagt Yves Müller, Zeithistoriker an der Uni Hamburg.

Mit der ,,Alternative für Deutschland" sei bereits die vierte Welle äußerst rechter Parteien und eines ,,rechtsextremen Agenda-Settings" auf mehreren politischen Feldern im Gange, erklärt Frank Bösch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, der die Netzwerk-Initiative unterstützt. Nach der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP), der in den 60er-Jahren höchst erfolgreichen NPD und den von ehemaligen CSU-Mitgliedern gegründeten Republikanern in den 80er-Jahren hat sich seit 2015 nun also eine weitere Partei erfolgreich rechts der Union etabliert.

Sowohl was die Umstände ihres Entstehens als auch was ihre Inhalte angeht, gebe es bei den äußerst rechten Parteien sehr viele Gemeinsamkeiten, sagt Bösch. Neben einem übersteigerten Nationalismus und der Idee einer autoritären Staatsordnung sei die Vorstellung von ethnischer Homogenität ein prägendes Kriterium. ,,Schon die NPD greift in den 60er-Jahren intensiv das Thema der Gastarbeiter auf. Die Republikaner profilieren sich Anfang der 80er-Jahre im Zuge einer neuen Asyl-Debatte, nachdem die Flüchtlingszahlen seit den 70er-Jahren in die Höhe gingen", sagt Bösch. Für die AfD nun sei die verstärkte Migration bekanntlich das Thema, das sie groß gemacht habe.

Eine weitere Gemeinsamkeit der äußerst rechten Parteien liege darin, dass sie als Fleisch vom Fleisch der Union begannen, sagt Bösch, der viel zur Geschichte der CDU und zum deutschen Konservatismus geforscht hat. ,,Über weite Phasen der bundesdeutschen Geschichte hat die CDU/CSU den rechten Rand erfolgreich integrieren können." Der Preis dafür sei gewesen, dass es auch in der Union mitunter rechtere Positionen gegeben habe als bei ihren Schwesterparteien in Westeuropa. Gleichzeitig aber sei die Sprachmacht von rechts-außen ob des Fehlens einer eigenen Plattform vergleichsweise eher gering gewesen.

Die Genese der AfD aber unterscheidet sich aber auch in manchen Punkten von der Entwicklung ihrer Vorgängerparteien. ,,Die äußere Rechte reüssierte immer dann, wenn es ernsthafte wirtschaftliche Widrigkeiten gab – von der großen Arbeitslosenwelle 1950 über die Konjunkturflaute 1965 und die strukturell hohe Arbeitslosigkeit Mitte der 80er bis zu den Problemen der Vereinigungskrise am Anfang der 90er-Jahre", sagt Bösch. Das besondere der heutigen Situation sei, dass die reale wirtschaftliche Lage im Vergleich doch ziemlich komfortabel sei.

Warum aber sind die Rechten trotzdem im Aufwind? Folgt man Frank Bösch, paart sich eine diffuse Angst vor dem Fremden, die sich vor allem an der Globalisierung und einem ihrer Begleitphänomene, der transnationalen Migration, entzündet, mit der Furcht vor dem endgültigen Niedergang alter Identitätsmodelle. ,,Die AfD ist in erster Linie eine Reaktion auf den Wandel der Gesellschaft, auf mehr Spielräume, wachsende Gleichberechtigung und größere Partizipationsmöglichkeiten von Gruppen und Individuen."

So sei es heute weniger die soziale als mehr die kulturelle Prekarisierung, die als Treibmittel rechter Denkfiguren wirke. ,,Die Wählerschaft der AfD kennzeichnet sich stark durch die 4 M's: Das sind vornehmlich Leute mit mittlerem Einkommen, mittlerer Bildung und mittlerem Alter. Vor allem aber sind es Männer", so Bösch.

Abgesehen von den Entstehungsbedingungen trenne die AfD aber noch etwas anderes von ihren unverhohlen rechtsextremen Vorgängern: Nach einem mehr oder weniger kurzen konservativen Geplänkel hätten sich alle Parteien rechts der Union schnellstens radikalisiert und damit zugleich an Einfluss verloren. Aber ist denn die AfD mit den Austritten ihrer ehemaligen Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry rhetorisch und im Programm nicht ebenfalls immer extremer geworden? Hat sie nicht spätestens mit ,,Chemnitz 2018" den offenen Schulterschluss mit Pegidisten, Identitären, Burschenschaftlern und anderen Straßennazis vollzogen?

Die Sache sei komplizierter, sagt Bösch. Grundsätzlich hätten die Rechtsaußenparteien stets aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Schon die NPD hatte mit Blick auf das Verbot der SRP zunächst keinen offenen Umsturz propagiert. Nicht von ungefähr sprach der Historiker Lutz Niethammer in seiner 1969 veröffentlichten NPD-Studie von ,,angepasstem Faschismus".

Die AfD sei in Teilen natürlich deutlich moderater als NPD oder Republikaner. Zugleich aber sei sie auch in taktischer Hinsicht viel besser aufgestellt als diese. So fährt sie bekanntlich eine konsequente Doppelstrategie aus kalkulierten Tabubrüchen und halbherzigen Dementis, hält ihre Fahne in den rechtsextremen Wind und gibt sich anschließend bürgerlich. Die AfD moderiert auf geschickte Weise ihren eigenen Radikalisierungsprozess und beugt so, anders als die anderen Rechten, ihrer möglichen Marginalisierung vor.

Alles in allem ist es also wenig verwunderlich, dass sich die zeithistorische Forschung den modernen Rechtsextremismus in Zukunft stärker vorknöpfen möchte. Der Historiker Yves Müller erklärt, man müsse die Perspektive erweitern. Die historische Entwicklung der extremen Rechten in Deutschland dürfe nicht mehr bloß als Nach-Geschichte des Nationalsozialismus begriffen werde. Vielmehr müsse man sie ebenfalls als Vorgeschichte der Gegenwart sehen. Viele Phänomene, zum Beispiel die Einflussnahme der rechten Agenda auf Diskurse der Mitte und den politischen Prozess, harrten noch immer der Aufarbeitung.

Das wohl schwerwiegendste Phänomen aber, das dringend weiterer Erforschung bedarf, sind die rechtsextremen Gewaltexzesse, die den Aufschwung rechter Parteien und Bewegungen immer wieder begleitet haben, sagen Müller und Bösch. So sei im öffentlichen Bewusstsein fast vollständig verloren gegangen, dass die rechte Gewalt in Deutschland nicht erst im Fahrwasser der Wiedervereinigung mit dem Pogrom von Hoyerswerda beginnt. Bereits Ende der 70er-Jahre habe es in Westdeutschland Anschläge mit Toten auf Unterkünfte von Flüchtlingen gegeben.

Die NSU-Mörder hatten ihre Vorläufer. So kulminierte die damalige Radikalisierungswelle des rechten Milieus am 26. September 1980 im Anschlag auf Besucher des Oktoberfests. Bis heute ist das im Vergleich zum linken und islamistischen Terror hierzulande eher wenig rezipierte Oktoberfestattentat der Anschlag mit den meisten Toten in der Geschichte der Bundesrepublik.


Aus: "Forschender Blick nach rechts" Christoph David Piorkowski (27.02.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/zeitgeschichte-forschender-blick-nach-rechts/24044750.html

Quotekarl-der-baer 27.02.2019, 15:48 Uhr

Dass ,,Zeithistoriker" sich dem Aufschwung rechtsradikaler ,,Parteien" in Europa endlich einmal wesentlich konsequenter stellen müssten, ist wohl angesichts einer Vielzahl nur oberflächlicher, meist rein phänomenologischer ,,Studien" mehr als deutlich. Ob mit diesem Artikel aber ein griffiger Auftragsrahmen formuliert ist, sei dahingestellt.

Erste Irritation ist es, nur auf die zeitweiligen Auftritte rechtsradikaler ,,Parteien" zu ,,orientieren", derweilen rechtspopulistische Ressentiments bis hin zu neofaschistischen Mentalitäten als endemisches Syndrom kurz einmal ausgeblendet werden. Dass nicht nur affektive Muster eine Rolle spielen, zeigt sich in Deutschland daran, dass massives Unwissen über den historischen deutschen Faschismus ein greifbares Bildungsproblem zutage bringt.

Wozu nochmals betont werden muss, dass – ganz vergleichbar mit dem historischen, nicht auf das Dritte Reich beschränkten Faschismus der 20er- bis 40er-Jahre – es um ein europäisches, heute evtl. sogar um ein globales Problem geht.


,,Faschismus" hat nicht nur mit ,,umschriebener Zeitgeschichte", politischen Winkelzügen oder den rein abstrakt ,,verstandenen" ökonomischen Konditionen zu tun, sondern eben auch mit deren mentaler Verarbeitung. Und Letzteres ist sozialpsychologisch nicht zu fassen, ohne die individualgeschichtlichen Details zu berücksichtigen. ...


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#2
QuoteLaurie Penny:  Die Alt-Right-Bewegung ist besessen von der Eugenik und von der Panik davor, auszusterben. Wenn weiße Frauen Babys mit Men of Color haben, oder sich gegen Kinder entscheiden, halten die Rechten das für ,,White Genocide". Es ist wirklich entsetzlich. ... Ich habe noch nie eine faschistische Bewegung entdeckt, die nicht vehement gegen Abtreibungsrecht oder die Unabhängigkeit von Frauen ist. Interessanterweise stammt das zum größten Teil aus sexueller Frustration. Der ,,Islamische Staat" funktioniert genauso: Junge Männer, die das Gefühl haben, ihnen stehe mehr Sex zu, radikalisieren sich schneller. ... Ich habe noch keine Person kennengelernt, die glaubt, dass sie genauso häufig Sex hat wie sie eigentlich will, und es genauso läuft, wie sie es sich wünscht. Aber offenbar sind es nur Männer, die das für ein politisches Problem halten. Und die denken, einen Anspruch darauf zu haben, sich das zu nehmen. Ich habe mich seit ein paar Wochen nicht flachlegen lassen, habe aber kein Bedürfnis, aus diesem Grund zu einer Faschistin zu werden. Ich gehe einfach nach Hause, schaue mir ,,BoJack Horseman" an und masturbiere, so wie es normale Menschen halt tun.


Aus: ",,Warum sollte ich mich bremsen?""
Das Interview führte Sibel Schick (20. 9. 2017)
Quelle: https://www.taz.de/Laurie-Penny-ueber-Kaempfe-unter-Linken/!5445597/

https://de.wikipedia.org/wiki/Laurie_Penny


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"Fascism"
Daniel Bonevac - Lecture 20, Fascism, of UGS 303, Ideas of the Twentieth Century, at the University of Texas at Austin, Fall 2013
https://youtu.be/rf8YpfTCXLs

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"Heimatphantasien: Heimatphantasien = Männerphantasien: Die männliche Nation?" (2018)
Gespräch mit Gabriele Kämper und Klaus Theweleit. Moderation: Elahe Haschemi Yekani*
Die Leiterin der Geschäftsstelle Gleichstellung des Berliner Senats und Autorin von »Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten«, Gabriele Kämper, und der Kulturtheoretiker und Verfasser der bekannten Untersuchung »Männerphantasien«, Klaus Theweleit, gehen der Frage nach, warum Männlichkeit traditionell als Chiffre des National-Völkischen galt und wie dies nun in Form eines rechtsextremen Antifeminismus reartikuliert wird.
Die Konferenz HEIMATPHANTASIEN fand am 18. und 19. August 2018 auf dem Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel statt und setzte sich kritisch mit den Konzepten von »Nation« und »Heimat« auseinander: An zwei Tagen wurden ihre impliziten Projektionen, ihre Widersprüche, sowie ihre historische Gewordenheit untersucht. Es wurde diskutiert, welches Potential darin liegt, Migration als Unterbrechung des nationalen Narrativs zu denken und der traditionellen Verwobenheit von nationalistischer Ideologie und patriarchaler Herrschaft auf den Grund gegangen. Es wurde die historische Gleichzeitigkeit von Kolonialismus und Nationenbildung aufgearbeitet – und es wurden gegenwärtige Versuche diskutiert, die bereits trans- oder postnationale Gemeinschaften jenseits nationaler Identitäten schaffen.
Kuration: Margarita Tsomou, Lena Kollender
https://youtu.be/fT-nLIshGOI

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"Interview mit KZ-Forscherin: ,,Es wurde Columbia-Hölle genannt""  Interview Alke Wierth (12.12.2020)
Politikwissenschaftlerin Karoline Georg über die Rolle des Columbia-Hauses für nationalsozialistische Machtstrukturen und die Situation jüdischer Häftlinge.
Dr. des. Karoline Georg - Jahrgang 1980, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Ihre Dissertation über die jüdischen Häftlinge im Columbia-Haus erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2021 im Metropol Verlag. Ein Vortrag von Karoline Georg zum Columbia-Haus kann auf dem Youtube-Kanal der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gesehen und gehört werden.
https://www.youtube.com/watch?v=9on1e92HuEQ ('Vortrag: Dr. des. Karoline Georg:,,Warum schweigt die Welt?!", Nov 17, 2020'), https://www.columbiahaus.de/
https://taz.de/Interview-mit-KZ-Forscherin/!5737318/

Link

#3
"Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland"
Todesopfer rechtsextremer Gewalt gibt es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Ab den 1980er Jahren wurde rechte Gewalt in Deutschland öffentlich diskutiert. Seit der Wiedervereinigung 1990 nahmen rechtsextreme Angriffe gegen Einwanderer, besonders Aussiedler und Spätaussiedler, Übersiedler, Asylbewerber und Türkeistämmige in Deutschland erheblich zu. Erst nach einigen Mordanschlägen wurde begonnen, die Zahl dieser Angriffe und ihrer Opfer zu registrieren. Diese Taten wurden nun stärker als gesamtgesellschaftliches Problem, nicht mehr nur als Randphänomen erkannt, erfasst und erforscht. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_der_Bundesrepublik_Deutschland

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Quote[...] Wie das WDR-Magazin ,,Westpol" berichtet, tauschten die AfD-Mitglieder und Parteifunktionäre dort rechtsextreme Botschaften aus – und riefen zum Umsturz auf. Die Nachrichten und die Reaktionen darauf zeigen, wie tief die AfD in NRW gespalten ist.

,,Warum sollte man nichts mit dem 3. Reich zu tun haben?? Es ist doch unsere Geschichte! Nur schämen muss man sich nicht dafür!!!", bekennt sich ein AfD-Mitglied in einem Chat, dessen Protokolle dem WDR vorliegen, zum Nazi-Regime.

Grüße vom Führer werden verschickt und das Dritte Reich verteidigt. Andere rufen zum Aufstand auf: ,,Man mag mich dafür jetzt kritisieren, aber ohne massenhaften Volksaufstand geht unser Deutschland den Bach unter", schreibt ein anderes AfD-Mitglied.

Theo Gottschalk, AfD-Mann aus dem Rhein-Erft-Kreis und Admin der Whatsapp-Gruppe, sagt, man werde die Mitglieder durchleuchten und herausfiltern. Auch der nordrhein-westfälische AfD-Chef Helmut Seifen wurde mit den Aussagen konfrontiert. ,,Hier gibt es nichts mehr zu relativieren", kommentiert er gegenüber dem WDR die Chats. ,,Wir werden diese Partei von diesen Leuten befreien müssen, weil man mit diesen Leuten keine Politik machen kann."

Auch der Chef des AfD-Bezirks Münster Steffen Christ wird durch die Veröffentlichung der Chats belastet. ,,Ohne Bürgerkrieg light wie bei Erdogan wird's nicht laufen", schreibt er in den Chats. Erst später relativiert er die Äußerung schriftlich.

Seifen kritisiert Christ hart: ,,Dieser Mensch hat als Funktionär in unserer Partei nichts zu suchen."

Die AfD ist in NRW seit Monaten tief gespalten. Über die Ausrichtung der Partei sind sich die Landessprecher Seifen und Thomas Röckemann uneins. Ebenso uneins werden sie sich sein, wie mit den Mitglieder umgehen, die solch rechtsextreme Meinungen von sich geben.

Röckemann sagte noch Ende 2018, es gebe keine Nazis in der AfD. Die Whatsapp-Chats sprechen eine andere Sprache. (jg)



Aus: "AfD in NRW: Rechtsextreme Posts in Whatsapp-Chats aufgetaucht – ,,entsetzlich, unterirdisch, widerlich"" (03.03.2019)
Quelle: https://www.derwesten.de/politik/afd-rechtsextreme-posts-in-whatsapp-chats-aufgetaucht-entsetzlich-unterirdisch-widerlich-id216578107.html

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Quote[...]  Andreas Peglau geht mit Wilhelm Reich dem Faschismus auf den Grund ... Reichs Einsichten in die psychische Struktur des Führers der Massen sind beeindruckend, seine Ideen von der ,,Mitverantwortung der Geführten" bahnbrechend, so Peglau. Die massenstrukturellen Fundierungen des Faschismus mit all ihren katastrophalen Folgen enthüllen sich für Reich aus dem Konnex zwischen Politik, Wirtschaft und Sexualökonomie: Schon früh impft der autoritäre Staat durch seinen Handlanger, die autoritäre Familie, dem Kind sexuelle Hemmungen ein. Hemmung und Angst sind hiermit die Basis der ,,autoritären Strukturierung" des Menschen, die ihn für den Faschismus und überhaupt für rechte Ideologien anfällig macht.

... Peglaus Begeisterung für Reichs Werk ist überall im Buch spürbar, dennoch verschweigt er auch manche Schwächen dieses Autors nicht und lässt auch Reichs eigene Unzufriedenheit mit seiner Massenpsychologie nicht unerwähnt. Wie die Lektüre der Massenpsychologie des Faschismus ist die Lektüre von Peglaus Buch lohnenswert, lehr- und aufschlussreich und sein Aufruf, den Faschismus einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, angemessen und zeitgemäß.

... Der Verbund von Kirche, bürgerlicher Kleinfamilie und Patriarchat ist für Wilhelm Reich die Brutstätte des Faschismus. Andreas Peglau überprüft in der zweiten Hälfte seines Buches die Gültigkeit von Reichs Forschungsergebnissen für unsere Gegenwart. Dass die psychischen Konstellationen von damals ihr Zerstörungspotential noch nicht eingebüßt haben, zeigt er eindeutig und eindrücklich an zahlreichen Beispielen. Kindesmisshandlung, Sexualunterdrückung und Gewalt an Schwachen und Benachteiligten sind – trotz der gesellschaftlichen Fortschritte – in Deutschland auch heute weit verbreitet. So steht nach Peglau die ,,durch Werbung, Pornoindustrie und Prostitution permanent vermarktete Sexualität" der gesunden Sexualität ,,diametral" entgegen. Peglaus Thesen werden im ganzen Buch durch viele Zahlen und Fakten belegt. Im Falle der Sexualunterdrückung bezieht sich der Verfasser auf eine EU-Studie aus dem Jahr 2014, die belegt, dass 12% aller Frauen vor ihrem 15. Lebensjahr Opfer sexueller Belästigung geworden sind. Die bundesdeutsche Kleinfamilie produziert durch Misshandlung, Vernachlässigung und Verwahrlosung von Kindern weiterhin ,,psychosoziale Zeitbomben". Patriarchale Normen und Werte beherrschen – so Peglau – immer noch das Leben in der Bundesrepublik Deutschland und ziehen Sexismus und fehlende Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nach sich.

Trotz ihres Beitrags zur Sozialarbeit und zur Gesundheitspflege ist die Kirche in Deutschland für Peglau ebenfalls für negative Entwicklungen verantwortlich – durch den von ihr ausgeübten autoritären Papstkult, durch ihre Haltung zu Themen wie Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, durch den ,,in ihren Institutionen grassierende[n] sexuelle[n] Missbrauch". Einen ganz konkreten Zusammenhang mit rechten Ideologien sieht Peglau in der Politik der CSU: ,,Die Christlich-Soziale Union vermengt zudem nahezu routinemäßig christliche Ideologie mit Fremdenfeindlichkeit, fördert also schon dadurch auch ganz direkt ,rechte' Haltungen". Ergänzt werden die Analysen bei Peglau durch Überlegungen zur Globalisierung und zur neuen Rolle des Menschen als ,,Markt-Anhängsel", wobei die ,,krankmachenden Effekte" auch der heutigen neoliberalen Doktrin aufgezeigt werden. Parallelen zwischen neoliberalem und rechtsextremem Gedankengut fördern Peglau zufolge ,,rechte Entwicklungen". Die ,,bundesdeutschen Seelenverhältnisse" gebären also weiterhin destruktive, potentiell faschistoide Strukturen, die Reichs Gedanken bestätigen und am ,,Körper des Lebendigen" zehren.

Wilhelm Reich wurde ,,totgeschwiegen, diffamiert oder bestenfalls marginalisiert". Reichtum und Spannweite seiner Ideen lassen sich in Andreas Peglaus Buch wiederfinden, ebenso sein kritischer Geist, sein klarer und unbestechlicher Blick für die Nazi-Ideologie und für faschistoide Entwicklungen und Tendenzen. Wie Reich bleibt auch Peglau nicht bei der Diagnose stehen. Sein Plädoyer für eine ,,psychosoziale Revolution" gegen die ,,autoritär-lebensfeindlichen Normen in Familie, Schule, Beruf, Medien, Kirche, Politik und Staat" ist Höhepunkt und Herzstück des Buches. Als positives Beispiel für eine nachweisbare und nachgewiesene Verbesserung der Zustände in unserer Gesellschaft durch entsprechende Maßnahmen führt Peglau die Erfolge des im Jahre 2000 erlassenen Verbots familiärer Kindesmisshandlung an.

Die in Andreas Peglaus Buch unterbreiteten Schritte in Richtung einer nicht-autoritären Bildung und Erziehung, einer gelungenen Sexualökonomie, einer guten und sinnvollen Therapiekultur zielen darauf, dem Faschismus die Basis zu entziehen. Sie sollen den Vampir des Faschismus von uns fernhalten und uns zu den Quellen unseres Lebens zurückführen, wie sich Wilhelm Reich dies wünschte.

Andreas Peglau: Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus als Erklärungsansatz.
Nora Verlagsgemeinschaft, Berlin 2017.
174 Seiten, ISBN-13: 9783865574282



Aus: "Zurück zu den Lebensquellen" Galina Hristeva (Schwerpunkt: Psychoanalyse und Literatur,  Nr. 9, September 2019)
Quelle: https://literaturkritik.de/peglau-rechtsruck-21-jahrhundert-zurueck-lebensquellen-andreas-peglau-geht-mit-wilhelm-reich-faschismus-auf-grund,25856.html


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#4
Quote[...] Seit mehreren Wochen gibt es nach Medienberichten eine bundesweite Serie mutmaßlich rechtsextremer Gewaltdrohungen gegen Politiker und andere öffentlich herausgehobene Personen. Es gehe um mehr als 100 verschickte E-Mails, die mit ,,Nationalsozialistische Offensive", ,,NSU 2.0" oder ,,Wehrmacht" unterzeichnet worden seien, berichteten am Mittwochabend die ,,Süddeutsche Zeitung" und der NDR. Darunter seien auch Bombendrohungen. Bei Durchsuchungen seien aber bisher keine Bomben gefunden worden.

Wegen entsprechender Drohungen seien am Montag der Hauptbahnhof Lübeck sowie am Dienstag das Finanzamt Gelsenkirchen vorsorglich geräumt worden, hieß es. Mindestens fünfzehn Mal sollen seit Dezember Bombendrohungen mit dem Absender ,,Nationalsozialistische Offensive" auch bei Gerichten oder Justizzentren eingegangen sein, unter anderem beim Oberlandesgericht München, dem Oberlandesgericht Bamberg, der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, aber auch beim Flughafen Hamburg.

Die Bundesanwaltschaft hat den Berichten zufolge einen Prüfvorgang angelegt. Ein Sprecher der Karlsruher Behörde wollte sich auf Anfrage dazu nicht näher äußern, verwies aber auf die örtlichen Staatsanwaltschaften. Den Berichten zufolge haben sich die Generalstaatsanwälte der Länder geeinigt, die Ermittlungen gebündelt bei der Berliner Staatsanwaltschaft zu führen (Aktenzeichen 231 UJs. 181/19). Von dort war inhaltlich zunächst keine Stellungnahme zu erhalten, ein Sprecher kündigte für Donnerstag eine Reaktion an. Ermittelt wird laut den Medien wegen des Vorwurfs der räuberischen Erpressung, der Volksverhetzung und der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten.

Die persönlich adressierten Schreiben seien von unterschiedlichen Mailkonten verschickt worden, in der Wortwahl aber so ähnlich, dass die Ermittler einen Zusammenhang vermuteten, meldeten die Medien. Es gehe gegen Politiker, Anwälte, Journalisten, den Zentralrat der Juden, aber auch die Sängerin Helene Fischer, die sich nach den Ausschreitungen in Chemnitz kritisch geäußert hatte. Ob dahinter jedoch stets dieselben Personen steckten oder auch Trittbrettfahrer, sei unklar.

Eine Mail sei am Dienstag der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke) zugegangen, hieß es. Sie sei mit ,,Nationalsozialistische Offensive" unterzeichnet gewesen und habe angekündigt, künftig Briefbomben zu verschicken und Bürger auf offener Straße zu exekutieren. Man verfüge über Sturmgewehre, Pistolen und biologische Kampfstoffe.

Bekannt ist, dass unter dem Kürzel ,,NSU 2.0" in den vergangenen Monaten auch Drohschreiben an eine Frankfurter Rechtsanwältin geschickt worden waren. NSU ist das Kürzel des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds, der zehn Menschen erschossen hatte, wofür die einzige Überlebende Beate Zschäpe in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil als Mittäterin verurteilt worden war. Bei den Schreiben an die Frankfurter Anwältin war Hintergrundwissen aus dem Informationssystem der Polizei offenbart worden, weshalb nun gegen hessische Polizisten ermittelt wird. Dieser Fall sei eine Ausnahme in der Serie, hieß es in den Medienberichten. In den übrigen Fällen hätten die E-Mails nur öffentlich zugängliche Informationen enthalten. (dpa)


Aus: "Behörden verfolgen bundesweite Serie rechtsextremer Drohmails" (14.03.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/nationalsozialistische-offensive-behoerden-verfolgen-bundesweite-serie-rechtsextremer-drohmails/24100848.html

QuoteBabsack 07:44 Uhr

Das Bundesinnenministerium teilt auf Nachfrage unserer Redaktion mit, dass es in diesem Jahr bereits über 200 Angriffe ,,gegen Amts- und Mandatsträger in Verbindung mit der Asylthematik" gegeben habe, die polizeilich registriert wurden. Vergleichszahlen aus den Vorjahren gibt es nicht, bislang wurde die Kategorie Angriffe ,,gegen Politiker" nicht gesondert beim Kriminalpolizeilichen Meldedienst erfasst. Das soll sich von diesem Jahr an ändern.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat mit dem Magazin ,,Kommunal" eine Umfrage unter 1000 Bürgermeistern durchgeführt. Das Ergebnis: Jeder Zweite von ihnen wurde schon wegen seiner Flüchtlingspolitik beschimpft und beleidigt. Das Spektrum reicht dabei von fiesen Mails über tote Ratten vor der Haustür und eingeschlagenen Fensterscheiben. ... Erich Pipa erhält weiterhin Briefe. In einem der letzten heißt es: Der ,,Heimatschutz Kinzigtal" sei froh, dass Pipa aufhöre. Und gibt dem Landrat noch einen Auftrag mit: Er solle im Bundestag eine Petition einreichen, dass man keine Flüchtlinge mehr aus dem Mittelmeer rette. Wenn er das nicht mache, so die Schreiber, passiert was. ...
(Diana Zinkler, 04.09.2016) | https://www.morgenpost.de/politik/article208178841/Eine-Drohung-zu-viel-dieser-Landrat-will-aufgeben.html

Solche Drohungen von rechts sind nicht neu und sie zeigen Wirkung,wie man unter dem obigen Link nachlesen kann.
Die Bedrohung von rechts in der Bundesrepublik ist weitaus massiver und kontinuierlicher,als jeder anderartig motivierte Terror.


...

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Quote[...] Ein in Gedenken an ein Mordopfer der Terrorzelle NSU gepflanzter Baum ist in Zwickau nach Angaben der Stadt abgesägt worden. ,,Das Absägen des Baumes zeugt von Intoleranz, mangelndem Demokratieverständnis und von Verachtung gegenüber Terroropfern und deren Angehörigen", wurde Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) in einer Mitteilung von Donnerstag zitiert. Es sei eine eine ,,ruchlose Tat".

Die deutsche Eiche sollte an Enver Simsek erinnern. Am 9. September 2000 feuerten die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Nürnberg neunmal auf den Blumenhändler, der in seinem Wagen Pflanzen sortierte. Simsek starb zwei Tage später an den Folgen seiner Schussverletzungen. Die Eiche war erst am 8. September in Erinnerung an Simsek gepflanzt worden. ...


Aus: "Gedenkbaum für NSU-Mordopfer Simsek in Zwickau abgesägt" (04.10.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/oberbuergermeisterin-spricht-von-ruchloser-tat-gedenkbaum-fuer-nsu-mordopfer-simsek-in-zwickau-abgesaegt/25083576.html

Quotenanen 10:10 Uhr
Man weiß wirklich nicht, was man mehr beklagen soll: die vollständige Abwesenheit von Empathie und Einsicht oder das Übermaß an Dummheit und Bosheit, die aus dieser Tat sprechen.  ...

Quoteyoda 10:04 Uhr
Der Beitrag Zwickaus zur Feier der Deutschen Einheit, wo die AfD im Schnitt 30% erzielt hat.
Entspricht den Erwartungen.


QuoteDragonfighter 10:42 Uhr
Antwort auf den Beitrag von yoda 10:04 Uhr

... Es tut mir um die demokratisch gesinnten Menschen in Zwickau leid, die mit solchen Menschenfeinden aufwachsen und mit diesen zusammen leben müssen.  ...


...

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/zwickau-gedenkbaum-enver-simsek-nsu-mordopfer

QuoteDindi #2

"Es zeigt auch, dass manche leider nicht begriffen haben, welch menschenverachtende Taten die Terroristen des NSU begangen haben."

Die haben das glaube ich genau verstanden. ...


Quoteund morgen regieren wir uns selbst #2.1

"Die haben das glaube ich genau verstanden."

Man sollte akzeptieren, dass ein bestimmter Teil unserer Gesellschaft nicht mit unseren Vorstellungen konform geht.
Wir sollten versuchen, damit umzugehen.


Quotehuel #2.4

"Wir sollten versuchen, damit umzugehen."

Könnten Sie vielleicht etwas genauer umreißen, was sie damit meinen? Das würde mich wirklich interessieren.


Quote
Alternative Propaganda #2.9

Was fallen Ihnen denn so für Motive ein, um einen Gedenkbaum für ein Mordopfer zu töten, die nicht menschenverachtend sind?

Man sollte schon davon ausgehen können, dass der Täter gewusst hat, wofür der Baum steht. Was er damit den Angehörigen antut, ganz gleich welche politische Ausrichtung er hat, ist menschenverachtend. Natürlich ist es auch möglich, dass es sich lediglich um jemanden in einer akuten Psychose handelt ...


QuoteWarnieweg #2.17

"Wir sollten versuchen, damit umzugehen."

Genau deshalb ist der Baum ja gepflanzt worden!


QuoteSans toit ni loi #2.18

Nun hören Sie doch endlich mit diesem Verständnisgesäusel auf.
Der NSU war eine rechtsradikale Mörderbande und wer klammheimlich mit deren 'Gedankengut' sympathisiert - zum Beispiel indem er eine Gedenkstätte schändet - mit dem muss ich nicht 'umgehen'.
Rassisten und nationalsozialistische Killer darf ich verachten und ich darf sie abstoßend finden.
Mich überkommt der Zorn bei der Vorstellung, dass die Verwandten von Enver Simsek neben all dem Leid nun auch noch verhöhnt werden.
Machen Sie sich bitte klar, dass da Menschen ermordet wurden - nicht Türken, Griechen und als eine Art Kollateralschaden eine junge deutsche Polizistin - sondern Menschen.
Und Sie reden angesichts solcher Taten beschwichtigend von 'nicht konform gehen'; ich war einige Male bei dem Prozess gegen Beate Zschäpe und was da so an 'Unterstützern' herum saß, dafür gibt es Ausdrücke, die hier gelöscht würden.
Welpenschutz für Nazis - du meine Güte.


Quotenachtschwester 1 #2.19

"Man sollte akzeptieren, dass ein bestimmter Teil unserer Gesellschaft nicht mit unseren Vorstellungen konform geht."

Das möchte ich mit einem Zitat von Walter Lübcke beantwoeten:
,,Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." ...


QuoteAmandus64 #2.44

,,Wir sollten versuchen, damit umzugehen."

Strafrechtlich.


Quotemirinord #2.43

Das GG beginnt mit dem schönen Satz, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Da steht nicht "die Würde des deutschen Menschen". Das ist keine Privatmeinung von Herrn Lübcke, sondern Basis unserer Gesellschaft. Deshalb hat sich Herr Lübcke für die Unterbringung von Geflüchteten engagiert.
Der NSU verstößt gegen diesen zentralen Wert unserer Gesellschaft. Und diejenigen, die jetzt in Zwickau ihre Sympathie mit den Taten des NSU bekunden - nicht anders ist die Tat zu verstehen - lehnen diesen zentralen Wert unserer Gesellschaft eben auch ab.
Es ist nun mal so, dass Rassismus sich nicht mit den Werten des Grundgesetzes verträgt.


QuoteBarbara123 #11

Ich wünsche mir, dass uns mal aus psychologischer Sicht erklärt wird, was im Gehirn solcher Leute vorgeht.
Was ist das? Assozial, dissozial, welche Persönlichkeitsstörungen spielen da rein?
Und: ist das überhaupt jemals heilbar?


Quote
barheine #19

Eine abgesägte deutsche Eiche - was für ein Symbol für teutonischen Stumpfsinn!


Quoteiron.sparrow #19.1

...mit bezeichnend gewähltem Datum für so eine Tat.


Quotekarlderkarpfen #22

Tja, da sieht man mal wieder, wie tumb, hirnlos und menschenverachtend manche Menschen sind. Für diese Menschen gilt Meinungsfreiheit nur dann, wenn es ihre Meinung ist.


QuoteKanndassein #10

Tut mir leid, Leute, die so etwas machen, sind für mich Abschaum und eine Schande für Deutschland.


QuoteBakblack #26

Es ist bedauerlich, wie sehr doch jetzt wieder in den Kommentarspalten verallgemeinert wird. So Abscheulich diese Tat, das beschmutzen der Erinnerung, das Verleugnen der Erinnerung auch sein mag, es ist eine Tat Einzelner, nicht die des "Kollektivs Zwickau"

Dies sind die gleichen Mechanismen, die nach einer islamistisch motivierten Tat ganze Moscheegemeinden unter Generalverdacht stellen.
Genau die gleichen.


QuoteTreverer #26.2

Ach ja, sind ja Taten einzelner. Netzwerke gibt es nicht...


QuoteMake Techno great again #27

Zum Ausgleich sollte dort ein ganzer Wald gepflanzt werden. Dann kommen die Täter beim nächsten Mal wenigstens schön ins Schwitzen ...


Quotejohnimausi #36

Eine Schande für den Ruf Sachsen, das sage ich als Sachse.



Link

#5
Quote[...] Es gibt sie noch: Die Journalisten, die wirklich recherchieren dürfen, deren Zeitungen stark genug sind, sie nicht nur für Recherchen freizustellen, sondern ihnen auch den Rücken freihalten und am Ende auch noch Zeit geben, die Recherchen in ein dickes Buch zu packen. Und wenn man das Buch in der Hand hat, ahnt man, was drei Jahre Recherche im Netzwerk der Neuen Rechten bedeuten.  ...

Je mehr Facetten die beiden Autoren zeigen, umso deutlicher wird, dass diese Überschneidungen mit den Rechtsextremisten kein Zufall sind, sondern Teil einer durchdachten Strategie, zu der die Aktionen in den ,,social media" (samt Shitstorms, Memes und Trollen) genauso gehören wie die Übernahme originär linker Protestformen, die die Auftritte der Rechten auf einmal hipp, unkonventionell und jung aussehen ließen. Obwohl selbst die medialen Produkte, die sie im Netz offerieren, geradezu gespenstisch kleinkariert wirken.

Denn am Weltmodell, das sie vertreten, hat sich ja seit 100 Jahren nichts geändert. Auch wenn an die Stelle des Rasse-Begriffs die ,,Identität" getreten ist, manchmal auch ,,Kultur" oder ,,christliches Abendland". Schon Heinrich Heine hat sich ja über diese Spätromantiker bitter lustig gemacht, die das Heil der Welt in der Rückkehr in als idyllisch beschriebene Vorstellungen von Heimat, Familie, Kirche und strenger Hierarchie sahen. Das geht jetzt über das Buch hinaus, denn genau dieses Problem kann so eine Recherche ja nur antippen, denn irgendetwas an diesen mittelalterlichen Vorstellungen muss ja auch die Wähler ansprechen, ihnen wie eine heile Welt vorkommen in einer Moderne, die sie als heillos empfinden.

Und die augenscheinlich ansprechbar sind mit simplen Erklärmustern, die all ihre Überforderung mit einer kulturellen Überwältigung erklären, gar ,,Überfremdung" oder gar ,,Volksaustausch". Erklärungen, die umso wirksamer sind, wenn sie auch noch in allen Medien thematisiert werden und ein ganzes Land statt über die Lösungen der Gegenwart über Ausländer und ,,Masseneinwanderung" debattiert.

Das Buch macht sehr schön sichtbar, wie die intellektuellen Strategien hinter all dem funktionieren, wie sich die Köpfe dieses Netzwerks gegenseitig die Bälle zuspielen und wie sie systematisch auch daran arbeiten, sich mit nationalistischen Bewegungen in anderen Ländern zu vernetzen. Und zur Konsequenz dieser Strategie gehört natürlich auch, unsere Demokratie selbst wie eine Diktatur erscheinen zu lassen, zu suggerieren, da gäbe es eine ,,politische Elite" aus ,,Altparteien", die es zu vertreiben gelte. Politik ist zum größten Teil immer Psychologie, ein Spiel mit Bildern. Die Phrase ,,Lügenpresse" und die Diskreditierung kritischer Medien gehören genauso dazu, verbunden mit der Selbstinszenierung als echter ,,Widerstandskämpfer".

Wenn man diese grauhaarigen ,,Widerstandskämpfer" dann in den Parlamenten sitzen sieht, wird einem schon mulmig im Bauch. Erst recht, wenn Fuchs und Middelhoff sehr akribisch aufarbeiten, wie eng die Verbandelungen mit alten und nicht ganz so alten Kadern aus rechtsextremen Parteien und Kameradschaften sind.

Das Buch ist gespickt mit Geschichten, Namen, aufgedeckten Querverbindungen. Es zeichnet eine fast überwältigende Fülle von Vereinen, Magazinen, Agenturen und Netzwerkern auf, die alle an ein und demselben Projekt arbeiten: Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit wieder hoffähig zu machen und ihre Vorstellungen einer ,,geschützten Heimat" in die Köpfe zu bekommen. Einer Gesellschaft, die all die liberalen Errungenschaften seit 1968 wieder einkassiert und durch Wertevorstellungen ersetzt, die aus Kaisers Zeiten stammen.

Und die vor allem – so besonders von Götz Kubitschek formuliert – den Riss vertiefen will, der durch die Gesellschaft geht, also das Gegenteil einer offenen Debatte erreichen will, sondern genau das, was auch die Weimarer Republik zerrissen hat. Wenn nämlich nur noch die Extreme aufeinander einprügeln, bleibt vom offenen und respektvollen Gespräch, von dem eine Demokratie lebt, nichts mehr übrig.

Und so verzeichnet selbst das Bundestagsprotokoll seit Einzug der AfD immer öfter ein hämisches Lachen genau aus dieser Fraktion, mit dem sie auch ihre Verachtung für alles zum Ausdruck bringt, was die anderen sagen. Diese Verachtung kennen wir schon. Es ist die alte Weise, die sich nur wieder neu lackiert hat. Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt und es beantwortet viele Fragen zum Zustand unserer Gesellschaft und dazu, wer davon profitiert.

Christian Fuchs; Paul Middelhoff Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt Polaris, Reinbek bei Hamburg 2019


Aus: "Das Netzwerk der Neuen Rechten: Drei Jahre Recherche kompakt in einem Buch" Ralf Julke (14. März 2019)
Quelle: https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2019/03/Das-Netzwerk-der-Neuen-Rechten-Drei-Jahre-Recherche-kompakt-in-einem-Buch-263860

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Quote12. März 2019 Christian Fuchs - Verifizierter Account @ChristianFuchs_

Sie planen die Revolution von rechts. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern: "Das Netzwerk der Neuen Rechten".
Die Deutschlandkarte mit über 150 neurechten Medien, Denkfabriken sowie Kampagnen & ihren Verbindungen hier: http://www.neuerechte.org


https://twitter.com/ChristianFuchs_/status/1105374371508563969

In dem Buch enthüllen wir erstmals das Ausmaß und die ganze Breite des Milieus - seine ideologischen Grundlagen, seine führenden Köpfe, seine wichtigen Zeitschriften, Verlage, Internet-Plattformen, Burschenschaften und Finanziers. Und wir erklären die Aktionsformen und Strategien der Szene, zeigen die engen Kontakte zur AfD auf, wie die Strömung international vernetzt ist und wie sie den Anschluss an die gesellschaftliche Mitte sucht.
"Christian Fuchs und Paul Middelhoff sind tief eingetaucht in das Milieu. Sie belegen in ihrem Buch, in welchem Ausmaß rechte und rechtsradikale Parteien und Bewegungen und ihre publizistischen Helfer in der Bundesrepublik die politische und mediale Agenda bestimmen." (Süddeutsche Zeitung) ...
https://www.neuerechte.org/


Link

#6
Bei einem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) sind am 15. März 2019 mindestens 49 Menschen getötet und weitere 40 Menschen verletzt worden. Die Tat ist nach Zahl der Todesopfer das schwerste Verbrechen in der Geschichte Neuseelands. ... (Stand: 16.03.2019)
https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_zwei_Moscheen_in_Christchurch

Quote[...] Als in den Jahren 2016 und 2017 eine Welle islamistischen Terrors über Westeuropa schwappte, waren sie blitzschnell: AfD-Politiker wie Beatrix von Storch, Alice Weidel, Jörg Meuthen oder Stephan Brandner reagierten oft innerhalb von Minuten. Mit einer Mischung aus Betroffenheit und Wut auf jene, die aus ihrer Sicht mit ihrer Politik dem Terror den Weg bereitet haben, kommentierten führende Köpfe der Partei die ersten Eilmeldungen. Teilweise wurde die Betroffenheit auch übersprungen. Etwa, als der damalige NRW-Chef Marcus Pretzell noch am Abend des Anschlags vom Breitscheidplatz schrieb, es seien "Merkels Tote". Oder, als Beatrix von Storch, kurz nachdem ein Mann in Münster mehrere Menschen überfahren hatte, in Anspielung auf das berühmte Zitat von Kanzlerin Angela Merkel twitterte, "Wir schaffen das!" Inzwischen steht fest: Münster war eine Amokfahrt. Was umso deutlicher zeigt, wie übereilig AfD-Politiker Gewalttaten dieser Größenordnung kommentieren und einordnen.

Als am Freitag mehrere vermutlich rechtsextreme Angreifer 49 Menschen in zwei Moscheen in Neuseeland erschossen haben - darunter mehrere Kinder - hüllte sich nahezu die komplette AfD über Stunden in vielsagendes Schweigen. Ist es aus Sicht der Partei, der gesamten neurechten Szene weniger verabscheuungswürdig, wenn ein weißer Attentäter Muslime tötet?

Zweifel an dieser These lassen sich beim Blick in AfD-nahe Niederungen kurz nach dem Anschlag nicht ausräumen, in Facebook-Gruppen und den Kommentarspalten der Medien, in denen die Partei üblicherweise viel Zuspruch bekommt. "Rein zahlenmäßig" sei der Anschlag ja "Peanuts verglichen damit, was Moslems Andersgläubigen angetan haben", schreibt einer. Ein anderer antwortet: "Weniger ist mehr". In einer anderen Gruppe wird ein Foto des Attentäters mit "Unser Held" überschrieben. Garniert mit einem Zwinker-Smiley schreibt einer: "Nicht jeder Moslem wird gepudert und verwöhnt, manche kriegen das Gesetz auch eingeprügelt." Unter einem Artikel der AfD-nahen Wochenzeitung "Junge Freiheit" schreibt ein Leser: "Wo Islam ist, dort existiert Hass und der gebiert Gegenhass" - die kleine muslimische Minderheit in Neuseeland sei also selbst schuld. Leser des rechten Hetzportals "PI News", dem AfD-Politiker immer wieder gerne ausführliche Interviews geben, schreiben "mir egal", "was soll's" oder "die eigene Medizin schmecken, ist eben bitter".

Die Parteispitze der AfD müsste darüber eigentlich bestens Bescheid wissen. Eine klare Positionierung hätte schnell zumindest eine formale Distanz zu dem menschenverachtenden Gerede herstellen können, es hätte den Versuch geben können, diesen Diskussionen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch die Parteichefs Meuthen und Gauland, sowie Fraktionschefin Weidel ziehen es vor abzuwarten.

Andere Akteure der Partei schweigen nicht und verbreiten ihre eigene Interpretation der Ereignisse. Harald Laatsch etwa, der für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, hat sich offenbar von einer Schlagzeile von "PI News" inspirieren lassen und schreibt bei Twitter, der Mörder habe seine Tat mit "Überbevölkerung und Klimaschutz" gerechtfertigt und gibt im gleichen Atemzug "Klimapanikverbreitern" wie der 16-jährigen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg eine Mitschuld. Diverse Kreisverbände der AfD verbreiten die Theorie, der Täter sei eigentlich ein "Linksextremer", ein "grüner Öko-Terrorist". Andre Poggenburg, bis vor kurzem noch Landeschef der AfD in Sachsen-Anhalt, jetzt aber mit neuer Partei unterwegs, sieht keinen Anlass für Mitgefühl. Er kommentiert: "Klar ist aber auch: Muslime, die deutsche Frauen angreifen, greifen auch uns alle an und das schon seit Jahren mittlerweile."

Über vier Stunden nach den ersten Meldungen, nachdem sich alle anderen Parteien und Politiker rund um den Globus zu dem schrecklichen Anschlag geäußert haben, schreibt dann Parteichef Jörg Meuthen ein paar Zeilen und verurteilt die Tat. Rund zwei Stunden später tritt AfD-Außenexperte Armin-Paul Hampel vor die Kamera, drückt den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus und fordert einen Diskurs über die Verrohung der Gesellschaft. Auch Alice Weidel schreibt mehr als 24 Stunden später einen kurzen Beitrag bei Facebook, bekundet Beileid. Und zwei, die üblicherweise zu den schnellsten gehören, wenn es darum geht, Nachrichten, die das Narrativ der AfD erfüllen, zu verbreiten, halten beim Anschlag in Neuseeland bis jetzt an ihrem Schweigen fest: Beatrix von Storch und Stephan Brandner. Und auch vom Chefideologen des ultrarechten Flügels, Björn Höcke, gibt es bis jetzt keinen Kommentar.

Das Schweigen der AfD im Anschluss an das Blutbad von Christchurch war keineswegs ein Zufall und die darin liegende Botschaft ist nicht zu überhören. Das wirft Fragen nach dem Menschenbild der Rechtspopulisten auf. Es ist kein Geheimnis, dass der Islam zu den größten Feindbildern der Partei gehört. Jetzt jedoch müssen sich Vertreter der Partei, und jeder, der ihr seine Stimme gibt, auch die Frage gefallen lassen müssen, ob Moslems in den Augen der AfD minderwertige Menschen sind, die weniger Mitgefühl verdient haben.


Aus: "Kommentar: Klare Botschaft zu Christchurch Das Schweigen der AfD ist nicht zu überhören" Ein Kommentar von Benjamin Konietzny (16. März 2019)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Das-Schweigen-der-AfD-ist-nicht-zu-ueberhoeren-article20911085.html


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Quote[...] ZEIT ONLINE: Herr Neumann, was wissen wir über die Motivation des Attentäters von Christchurch?

Peter Neumann: Das Manifest des Täters, das er offensichtlich vor der Tat geschrieben und veröffentlicht hat, legt nahe: Das war ein rassistischer, rechtsextrem motivierter Anschlag. Er speist sich aus einer Kombination von neuer und alter rechter Ideologie. In dem Manifest stehen krude rassistische Dinge, die ich eher der Neonaziszene zurechnen würde, aber auch viele neurechte Elemente, die man eher bei Identitären finden würde. Der Titel des Manifests lautet: "Der große Austausch". Dieser angebliche Bevölkerungsaustausch ist die bekannteste Verschwörungstheorie der Neuen Rechten.

ZEIT ONLINE: In seinem Manifest nimmt der Täter auch Bezug auf Anders Breivik, den rechtsextremen Attentäter aus Norwegen. Er behauptet sogar, er habe den Segen von Breivik erhalten und mit ihm in Kontakt gestanden. Glauben Sie ihm?

Neumann: Das sollte man mit Vorsicht genießen. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass der Täter mit Breivik Kontakt hatte. Vielleicht hat er ihm einen Brief geschrieben. Mehr nicht. Aber dass er das schreibt, zeigt, wie sehr er sich in der Tradition von Breivik und seinem Anschlag von 2011 sieht. Sowohl in der Ausführung als auch ideologisch hat sich der Attentäter als Nachfolger von Anders Breivik gesehen. Das sieht man auch im Format des Manifests. Das ist zum Teil ein Interview mit sich selbst. Wie bei Breivik. Es ist auch ähnlich geschrieben, ähnlich aufbereitet. Und wenn er seine Vorbereitungen beschreibt, die angeblich zwei Jahre gedauert haben, dann ist das auch ähnlich wie bei Breivik, der sich angeblich auch zwei Jahre auf seinen Anschlag vorbereitet hat. Breivik hat diese ganze Ideologie der Kreuzritter geschaffen und ihr mit seiner Tat die Strahlkraft verliehen. Der Täter von Christchurch sah sich in der Tradition dieser Idee und war dadurch nicht nur irgendein Loser, sondern Teil einer großen historischen Bewegung. Das ist für Terroristen immer wichtig. Denn niemand will ein einzelner Loser sein. Jeder will etwas sein, das groß ist und bedeutend. Der Kreuzritter-Mythos, den Breivik geschaffen hat, das ist für solche Terroristen wie in Christchurch entscheidend.

ZEIT ONLINE: War der Attentäter also gar nicht der Einzeltäter, zu dem er nun gemacht wird?

Neumann: Doch, es sieht so aus, als sei er ein Einzeltäter gewesen. Doch es gibt einen Unterschied, der sich in den nächsten Tagen noch klären wird: Breivik war wirklich ein einsamer Wolf, der relativ wenig mit anderen Leuten kommuniziert hat. Bei diesem Täter kann ich mir gut vorstellen, dass er ziemlich intensiv in virtuellen Subkulturen unterwegs war, in Internetforen wie Reddit oder 8Chan, wo er sich mit anderen Leuten ausgetauscht hat.

ZEIT ONLINE: Der Täter hat die Tat dort sogar angekündigt und sie dann auf Facebook live übertragen.

Neumann: Er hat alle medialen Mittel genutzt, die ihm zur Verfügung stehen. Er hat das Manifest online gestellt, versucht, die Tat live zu übertragen, einen Mythos um die eigene Person zu schaffen. Und so andere zu ähnlichen Taten anzustiften.

ZEIT ONLINE: Der Täter hatte offenbar sogar eine GoPro-Kamera am Helm.

Neumann: Das passierte nicht zum ersten Mal. Der Erste, der das versucht hat, war Mohamed Merah, der 2011 in Toulouse sieben Menschen erschossen hat und sich dabei auch eine GoPro an den Helm schnallte, um seine Taten live zu übertragen. Da hat es technisch aber nicht funktioniert. Aber seit dem Anschlag haben viele Leute immer wieder davor gewarnt, dass das irgendwann passieren wird.

ZEIT ONLINE: Das heißt, die Mittel der Inszenierung werden von Islamisten wie von Rechtextremen gleichermaßen verwendet?

Neumann: Das halte ich für einen wichtigen Punkt. Was Taktik angeht, Inszenierung angeht, befruchten sich die verschiedenen extremistischen Bewegungen gegenseitig. Dschihadisten und Rechtsextreme haben überhaupt kein Problem damit, voneinander zu kopieren. Breivik selbst hat in seinem Manifest zugegeben, dass er sich die Taktik von Al-Kaida abgeschaut hat. Es ist also nicht überraschend, dass der Täter sich auch hier gewissermaßen vom eigenen Feind inspirieren ließ.

ZEIT ONLINE: Was bedeutet diese neue Art der Inszenierung von Terrorismus für die Sicherheitsbehörden?

Neumann: Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten, beobachten die Sicherheitsbehörden die offen rechtsextreme Szene ziemlich genau und wissen, was da vor sich geht. Wenn man aber in die virtuellen Subkulturen geht, in 8chan oder in Reddit, dann sind die Behörden da noch nicht wirklich präsent. Ich glaube, sie haben noch nicht verstanden, wie wichtig diese Subkulturen für die rechte Szene sind. Dieser Anschlag ist ein Hinweis darauf, dass man sich damit genau so beschäftigen muss wie mit einer Kneipe im Erzgebirge oder einer Kameradschaft bei einem Aufmarsch.


Aus: "Christchurch: "Der Kreuzritter-Mythos ist für solche Terroristen entscheidend"" Interview: Fritz Zimmermann (15. März 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-03/christchurch-terroranschlag-rechtsextremismus-nachfolger-anders-breivik-kreuzritter/komplettansicht

Quotespiegelwechsler #1

Werden bei einem islamistischen Anschlag auch so viele Artikel über die angeblichen Gründe geschrieben?


QuoteDundoril #1.16

... Bei muslimischen anschlaegen endet das fuer viele halt leider meist bei "so sind die Muslime wir sollten die alle loswerden"...


QuoteElitezigeuner #2

Es ist letztlich müßig, darüber die Zeitungen vollzuschreiben. Spinner, Wahnsinnige, Psychopathen, Rassisten und Gewaltverbrecher wird es immer geben. Und zwar unter den Angehörigen jeder Religion, Rasse, Nationalität, Hautfarbe. Hass und Gewalt sterben nie aus, face reality, wir stammen letztlich alle von Gewaltverbrechern ab, man muss in der Evolution einfach nur weit genug zurückgehen ....


Quote
Mumblik #2.2

Billige Relativierungsversuche hat es in diesem Forum schon immer gegeben.


Quotewush #11

Gutes Interview. Hier noch einige Fakten:

Der Täter filmte vom Einstieg in sein Auto an und kommentierte dabei in lakonischem, leicht ironischem Ton. Er hörte, laut hörbar für seine Opfer, mehrere Musikstücke, je eines davon mit Bezug zur Wehrmacht und zur britischen Armee, ein islamophobes Lied aus dem Umfeld des Jugoslawienkrieges sowie eine Art Technolied ohne Text.

Bei der Tat selbst ging er auffällig ruhig, berechnend und kaltblütig vor. Er legte Wert darauf zielsicher zu feuern, auch bereits verletzte Opfer mit gezielten Schüssen zu töten und dies geradezu cineastisch zu inszenieren.

Er wollte ganz offensichtlich den Eindruck eines professionellen, von seiner Sache patriotisch überzeugten Soldaten erwecken, welcher sich auf einer gut geplanten und zielgerichtet ausgeführten Operation befindet. Bei seinen Opfern wollte er u.a. durch die Musik sowie sein geradezu ruhiges, methodisches Vorgehen maximale Angst erzeugen. ...


Quote
CarlitoJ #11.5

... Das Video wurde vom Täter zu eine, bestimmten Zweck gedreht: Propaganda für potenzielle Nachahmer.


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Schnitzel mit Bratwurst und Schweinsbraten #11.12

Es ist die ''Wahrheit'' aus der Perspektive des Täters.

Ein Video aus der Opferperspektive, die auch zur ''Wahrheit'' gehört, würde wohl deutlich weniger konsumiert werden.


Quote
Max Pe #18

Vor diesem Anschlag hat kein Mensch grossartig über 'weisses Kreuzritterdenken' von Breivik gesprochen. Der feuchte Traum eines kranken Mörders.
Desweiteren wieso Manifest und nicht Bekennerschreiben wie bei anderen Terroristen auch?

Sicher, dass hier nicht versucht wird etwas künstlich zu erschaffen/aufzublähen was gut klingt und sich gut verkauft?
Zumindest wird hier viel zur sogenannten 'Mythosbildung' beigetragen.


Quote
DingoEurope #31

Ich finde es doch immer wieder erstaunlich, wie unsere Gesellschaft immer atheistischer wird, und sich dennoch hier immer mehr Leute (gefühlt) das christliche Abendland auf die Fahne schreiben.


...


Link

Quote[...] In seinem 87-seitigen Manifest spottet der möglicherweise gleiche Täter: Spyro, ein kleiner violetter Videospieldrache, habe ihn zum Ethnonationalismus konvertiert. Er bedroht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Tod. Sie sei "die Mutter aller anti-weißen und anti-germanischen Dinge, ganz oben auf der Liste". Wenige hätten so viel getan, um Europa zu schädigen. Die Passage endet mit den Worten: "KILL ANGELA MERKEL, KILL ERDOGAN, KILL SADIQ KHAN."

Mit Ironie und bewusster Provokation will er offenbar emotionale Reaktionen beim Publikum auslösen. So wird es fast unmöglich, sein Weltbild aus seinem Pamphlet zu rekonstruieren. Darüber hinaus will sich T. keiner bestimmten rechtsextremen Gruppe zuordnen. Lediglich gegenüber anderen Attentätern, darunter Dylann Roof und Anders Breivik, empfindet er eine Art ideologische Verbundenheit. Das Manifest des norwegischen Massenschützen sei seine "wahre Inspiration" gewesen.


Aus: "Rechtsextremismus: Was trieb den Attentäter von Christchurch an?" Patricia Zhubi (15. März 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-03/rechtsextremismus-terrorattentat-christchurch-pewdiepie-youtuber

Quotespiegelwechsler #4

Was trieb ihn an?
Der Attentäter ist nicht richtig im Kopf.
Für sowas gibt es keine Rechtfertigungen.


Quoteah-jun #4.1

"Der Attentäter ist nicht richtig im Kopf"

Also straffrei ab in die Klappse?


Quote
Best Friend Tabitha #4.5

Ach die Rechten sind ja nie richtig im Kopf, wenn sie Leute umbringen. Alle anderen natürlich schon. ...


QuoteDer freundliche Waran #4.16

Weil vom Standpunkt eines normalen Menschen aus "schlicht und einfach irre" zu sein keine geeignete Kategorisierung ist, um schwerste Verbrechen richtig einordnen zu können. Gut ein Drittel der Bevölkerung erkrankt irgendwann im Laufe des Lebens psychisch, kaum jemand begeht deswegen dann Straftaten. Umgekehrt gibts kaum Mordfälle, in denen eine psychische Erkrankung juristisch relevant ist - das ist sie nur dann, wenn jemand durch die Erkrankung die Fähigkeit verliert, seine Taten steuern zu können. Das passiert nur durch schwerste Wahnvorstellungen, "die Stimmen haben es befohlen" usw.
Bei den meisten Mördern ist das nicht der Fall und auch hier gingen die Täter wohl zu planvoll und systematisch vor, um davon auszugehen, dass es zutreffen könnte.

Was machen wir dann mit der Mehrheit der Mörder, die zwar irgendwie nicht mehr ganz sauber ticken, deren Taten sich aber nicht durch einen Verlust ihrer Steuerungsfähigkeit erklären lassen? Nun, wir sehen uns an, was sie sonst noch für Motive haben. Denn nur so finden wir heraus, warum sie nicht z.B. wie andere narzisstisch Gestörte ein unauffälliges Leben führen, in dem sie nur gelegentlich mal rumbrüllen, wenn man sie kränkt.

Nur außerhalb des pathologischen Teils ihrer Persönlichkeit finden wir den wahren Grund, warum sie Täter geworden sind. Am Ende steht bei einem steuerungsfähigen Menschen immer die Entscheidung, Täter zu werden. Die Frage ist, was zu dieser Entscheidung führt.

In diesem Fall ist es übrigens Faschismus.


Quotemineyanoor #4.24

Der ist genau so wenig verrückt wie alle anderen Fanatiker. ...


Quote
vincentvision #9

Menschen wurden bewusst getötet und verletzt, nur weil sie eine andere Religion leben - damit unterscheiden sich solche Taten nicht im Mindesten von denen islamistischer Attentäter, die angeblich Ungläubige töten wollen.

Und damit geht einmal mehr die Saat derjenigen auf, die täglich gegen Menschen hetzen und sie ausgrenzen.

Und deren Hetze man größtenteils unwidersprochen lässt.

Dass es dann zu solchen Taten führt, ist keine Überraschung.

Denn seit den alltäglichen Salonrassisten ist aber genau diese Hetze unter bürgerlich-braunem Mäntelchen normal und intelligente Differenzierung bei gewissen Mitbürgern nicht mehr en vogue. ...


Quote
AH-JA #19

Dummheit, abgrundtiefer Hass, politische Verblendung, Selbstüberschätzung und Gewaltbereitschaft werden zusammengerührt und führen zu diesen terroristischen Mordexzessen. Ein unheilvolles Gebräu von Menschenverachtung.


QuoteGrosMorse #24

Habe das Manifest gelesen. Das ist so ein Haufen Mist, da weiß man gar nicht wo man anfangen soll. Der Mann feiert darin andere Massenmörder wie den Quebec Mosque Shooter oder den Killer von Charleston. Er schreibt außerdem, dass er Europa mit der Tat einen Gefallen getan hat und tut dies im Namen von Millionen Europäern. Er ist überzeugt, er sollte außerdem für den Friedensnobelpreis nominiert werden.
Im Manifest sind außerdem Bilder von Blonden Frauen und Kindern enthalten, die völlig verquert mit Bildern von martialischen Soldaten gemischt sind. Nordische Mythologie ist natürlich auch mit dabei.

Er nutzt die gleiche Rhetorik die die Identitäre Bewegung, Front National, Britain First und andere Rechte Bewegungen in Europa nutzen. Außerdem redet er von einem Völkermord in Europa an der weissen Bevölkerung durch die niedrigen Geburtenraten. Daher ruft er zum Mord an allen Nicht-Europäern in Australien, Europa, Argentinien, Nordamerika und Neuseeland auf. Das sind ihm zu Folge nach Bruderländer.
Die Kapitalisten sollen außerdem Millionen billig Arbeitskräfte importieren um die Kultur zu zerstören und Gewinn zu machen.
Außerdem müssen wir die Umwelt schützen um unseren ethnisch reinen Staat zu bewahren und die Kultur, die mit der Natur verbunden ist, mehr schätzen.

Das ganze Manifest ist so unfassbar rassistisch, menschenverachtend und lehnt alle Werte und Normen der westlichen Zivilisation ab.


QuoteHelloDarknessMyOldFriend #30

Hat sich der Autor mit dem "Manifest" eigentlich überhaupt beschäftigt? Es ist wirklich eckelhaft das so vor diesen Hintergrund zu schreiben, aber das meiste davon ist ein Witz. Was aber daraus klar wird sind die Intentionen des Mörderers. Er will den "Culture War" beschleunigen. ...


...

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#9
Quote[...] Vor Gericht werden die Aufnahmen des Terroranschlags von Halle gesichtet. Einige Zuschauer fangen an zu weinen, andere verlassen den Saal. Stephan B. jedoch zeigt keinerlei Reue und lacht mehrmals. ...


Aus: "Zuschauer verlassen Gerichtssaal Stephan B. lacht bei Tatvideo des Halle-Anschlags" (22.07.2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Stephan-B-lacht-bei-Tatvideo-des-Halle-Anschlags-article21927997.html

"Anschlag in Halle (Saale) 2019" [Stand: 23. Juli 2020]
Der Anschlag in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 war der Versuch eines Massenmordes an Juden an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Der Rechtsextremist Stephan Balliet versuchte, in die Synagoge im Paulusviertel einzudringen, um dort versammelte Personen zu töten. Nachdem ihm dies auch mit Waffengewalt nicht gelungen war, erschoss er vor dem Gebäude eine Passantin und kurz darauf den Gast eines Döner-Imbisses. Auf seiner Flucht verletzte er zwei Personen durch Schüsse und wurde schließlich von zwei Streifenbeamten festgenommen. Datum, Ziel und die antisemitischen Motive der Tat hatte er zuvor im Internet bekanntgegeben. Die Tat übertrug er per Helmkamera als Live-Streaming.
Balliet war geständig und wurde am 16. April 2020 wegen zweier Morde und 68 versuchter Morde angeklagt. Seit dem 21. Juli 2020 führt das Oberlandesgericht Naumburg den Strafprozess gegen ihn am Landgericht Magdeburg durch. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_in_Halle_(Saale)_2019

Quote[...] Die Täter lachen. Sie lächeln und grinsen. Manchmal direkt nach der Tat, manchmal währenddessen oder erst viel später, wenn sie mit Gleichgesinnten die Tat feiern. Als Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 auf der norwegischen Insel Utøya in einer Stunde 69 Menschen erschoss, konnten die Jugendlichen, die sich mit einem Sprung ins Wasser vor ihm in Sicherheit bringen wollten, hinter sich das Gelächter des Killers hören. ,,Ihr entkommt mir nicht", rief er. Er brüllte ,,Jaaa!" wie ein Fußballfan, wenn ein Tor fällt, sobald er jemanden getroffen hatte. Später vor Gericht dann hörte er nicht auf zu grinsen: Anwälte, Richter, Journalisten, Gerichtspsychiater, Zuschauer - alle hatten Probleme mit seinem Grinsen; diesem Lächeln, das manchmal das Infame verkörperte und andere Male Breivik dazu diente, ,,seine Person zu entdämonisieren", wie ein Gerichtsreporter schrieb.

Nach den Gründen für sein Dauerlächeln gefragt, antwortete Breivik, er lächle über die Psychiater, die ihn für unzurechnungsfähig erklärt hatten. Was ist das für ein Lachen, dieses Lachen der Täter? Warum lachen sie überhaupt? Klaus Theweleit, Autor des berühmten Buchs ,,Männerphantasien", ist Fachmann für diese Frage. Am Vorabend hat er im Deutschen Historischen Museum an einer Podiumsdiskussion zur RAF-Ausstellung teilgenommen, jetzt sitzt er in der Lobby eines der großen grauen neuen Hotelblocks am Berliner Hauptbahnhof. ,,Das Lachen der Täter: Breivik u. a." heißt sein neues Buch, das kommende Woche im Residenz-Verlag erscheint. ,,Es ist der Versuch eines Psychogramms der Tötungslust", sagt er, und ,,ja, stimmt schon, in gewisser Weise ist es auch eine Art ,Männerphantasien revisited'."

,,Männerphantasien" - das ist Theweleits 1977 in zwei Bänden erschiene Doktorarbeit. Ein Meisterwerk, das im linksalternativen Milieu herumgereicht und inhaliert wurde wie eine Droge. Unter dem Titel ,,Frauen fließen, Männer schießen" schrieb Rudolf Augstein im Dezember 1977 im ,,Spiegel" einen acht Seiten langen Artikel darüber und verspottete die Freiburger Universität, die ihrem Absolventen (Theweleit hatte für seine Arbeit ein ,,summa cum laude" bekommen) wegen dessen ,,ungezügelter Intelligenz" noch nicht einmal die Abhaltung eines Proseminars gewährte.

Es ging in der Arbeit um die Freikorps-Literatur der zwanziger Jahre. Theweleit analysierte die faschistischen Männlichkeits- und Gewaltphantasien von Soldaten in mehr als zweihundertfünfzig Romanen und Erinnerungen. Er tat das mit einem völlig neuen Verfahren und Wissenschaftssound, in einer Mischung von Literaturwissenschaft und Psychoanalyse, autobiographischer Erzählung, Comics, Karten und politischen Kommentaren. Beim Sammeln seiner Quellen stieß er damals auch das erste Mal auf das Lachen der Täter, wenn Morde wie die an Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht als ,,Lustmorde" begangen und entsprechend gefeiert wurden.

Einmal darauf aufmerksam geworden, türmten sich die Belege für die Lust am Töten über die Jahre zu einem schrecklichen Tatsachenberg. In der Täterforschung aber kam das nicht vor. Also fing Theweleit an, die verschiedensten Fälle miteinander in Beziehung zu setzen: von Breivik über afrikanische, ostasiatische, südamerikanische Fälle bis hin zum lachend tötenden Dschihadisten des ,,Islamischen Staats" oder den Attentätern von ,,Charlie Hebdo". Es ist eine Bestandsaufnahme, bei der es ihm nicht darum geht, die Unterschiede herauszuarbeiten, sondern etwas Universelles: die Grunddisposition eines bestimmten Tätertyps.

,,Es gibt einen bestimmten körperlichen Herrschaftstyp", erklärt er, ,,der seine Herrschaft immer mit Gewalt und ohne Rücksicht gegen die anderen durchsetzt. Die Griechen nennen ihn Barbaren. Ich nenne ihn nicht so, sondern einen bestimmten Dominanzmännertyp, der von Beginn unserer Kultur an da ist (auch bei den Griechen) und der versucht, seine Herrschaft durchzusetzen mit Gewalt, mit Töten. Und zum Töten braucht man eine bestimmte körperliche Disposition: eine Art zerstörter Körperlichkeit mit der Dauerangst, psychisch zu fragmentieren. Glücklicheren Menschentypen wäre das unangenehm, in die Haut des anderen einzudringen und das Blut spritzen zu lassen. Jeder macht das nicht; zumindest nicht mit Lust."

Breivik sei ,,strukturell patriarchalischer Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann", heißt es an einer Stelle des Buchs. Es ist eine Passage, bei der man die Lektüre irritiert unterbricht, weil man sie erst mal für eine unzulässige Verallgemeinerung hält. Auf das Wort ,,strukturell" kommt es aber an. Denn die Struktur, das macht Theweleit klar, ist das, was er als ,,universell" verstanden wissen will. Es ist die immer gleiche Abfolge: Der Gewaltakt, bei dem die Täter glauben, im Namen eines ,,höheren Rechts" zu handeln; seine Ausstellung; seine mit Lachen begangene Feier und der bejubelte Zusammenschluss der übergeordneten Organisation. Breivik handelt im Namen der Bruderschaft der Tempelritter, die Dschihadisten im Namen eines Kalifats, das sie ,,Islamischer Staat" nennen. Die SS berief sich auf eine ,,höhere Rasse".

Sind das denn immer nur Männerbünde, oder muss man jetzt auch von Frauenbünden sprechen? Es gehen ja auch Frauen hin und schließen sich dem ,,IS" an? ,,Ich habe noch keine schlachtende Frau gesehen", sagt Theweleit. ,,Es gehen welche hin, klar. Was sie da genau machen, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie mit denen sexuell umgegangen wird. Jedenfalls laufen die nicht direkt mit dem Säbel herum und schneiden Kehlen durch. Das wird auch die Ausnahme bleiben. Tatsache ist: Frauen üben weniger körperliche tötende Gewalt aus."

Theweleit schreibt seine Bücher in einer spiralförmigen Bewegung. Auf Fallgeschichten folgen Theorieblöcke, dann neue Geschichten mit neuen Kontexten, in die manchmal dann nur kurze, reflexive Passagen eingeflochten werden. Und so stellt sich oft erst allmählich heraus, was die eigentlich treibende Kraft des Textes ist. Hier ist der Motor: Diskurskritik. Theweleit will mit den etablierten Annahmen der Täterforschung brechen und die geläufige Art, wie über Täter geredet wird, in Frage stellen. Dazu gehört die Ausgrenzung des Täters. Man verstehe von diesem Typ wenig oder gar nichts, sagt er, wenn man den Täter mit dem ,,Patienten" verwechsele und ihn unbedingt zu einem Kranken oder Irren machen wolle. Auch deswegen, weil der Mord kein Ausnahmefall, sondern der diesen Gesellschaften zugrunde liegende Normalfall ist.

Scharf und polemisch kritisiert er auch die Interpretationen von Harald Welzer und Sören Neitzel, in deren 2011 erschienenem Buch ,,Soldaten - Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben". Es geht dort um Gesprächsprotokolle deutscher Marinesoldaten des Zweiten Weltkriegs, aufgezeichnet 1943 während ihrer Zeit in englischer Kriegsgefangenschaft. Völlig unzureichend findet Theweleit die Auswertung dieser Quellen, insbesondere auch dort, wo es um die Mordlust von Tätern geht: ,,Selbst die ,persönliche Freude am Töten', die doch aus endlos vielen Zeugnissen spricht, schieben sie mit aller (Wort-)Kraft aus dem Weg. Alles wird verbucht unter ,Normengefüge des Krieges'", schreibt er wütend. Wobei ,,(Wort-)Kraft" hier ironisch zu verstehen ist. Für Theweleit, den Mann der anti-akademischen Pose, ist es die Wortkraft der Kongresse, Tagungen, des ,,Referenzrahmens Universität".

Doch wird es mit der Diskurskritik erst richtig interessant, wenn er auf die Frage kommt, welche Rolle die Religion beim Töten spielt: Dass mit ,,Allahu Akbar" auf den Lippen getötet werde, heiße nicht, dass das Morden etwas mit der ,,Religiosität" zu tun habe, sagt er. Er sagt es beiläufig, doch ist es ein ungeheuer weitreichendes Argument. Die Killer des ,,IS" haben ihre Religion, sie spielt durchaus auch eine Rolle. Sie spielt sogar eine große Rolle für Muslime, auch für diejenigen, die hier leben, was ihre Integration oder Nichtintegration in westlich-demokratische Gesellschaften angeht. Aber sie spielt überhaupt keine Rolle, so Theweleit, fürs Töten. Er sieht keinen Unterschied zwischen der Struktur eines Mörders wie Breivik oder eines ,,IS"-Killers - beider Tötungslust ist die gleiche.

Man muss sich vor Augen führen, was so eine Argumentation für jede Diskussion bedeutet: Es kappt die oft als genuin angesehene Verbindung von Gewalt und Islam. Wir stehen nicht mehr vor dem Mysterium einer Religion und der in ihrem Namen ausgeübten Verbrechen, sondern wir werden auf uns selbst zurückverwiesen. Auf eine Struktur der Gewalt, die in jeder Gesellschaft möglich ist, wenn Formen des Zusammenlebens sie nicht verhindern. Breivik, sagt Theweleit, sei geradezu ein Beweis dafür, wie gut es funktionieren kann, solche Strukturen einzudämmen. ,,In dieser Gesellschaft wächst fast keiner mehr heran, der diese Sorte von Tötungszwang und Tötungslust entwickelt. Es gibt keine zehn Norweger, die ähnlich sind, schätze ich. Er ist da wirklich ziemlich einzig und isoliert. Es gibt aber Tausende von Irakern oder afrikanische Soldaten oder Kindersoldaten, die darauf aus sind oder angewiesen sind, in Gebieten mit einem Machtvakuum ihre Gewalt loszulassen."

Was bedeuten seine Erkenntnisse für den Umgang mit Tätern? Geht es darum, den rituellen Ablauf zu unterbrechen? ,,Man kann nur Sorten von Umgebungen schaffen, in denen sich so etwas nicht anbietet", sagt Theweleit. ,,Wenn die Umgebung nicht mitmordet und mitfeiert, ist der Triumph sehr eingeschränkt." Aber wie ist das bei den Kämpfern des ,,Islamischen Staats", die auch mit modernen Kommunikationsmitteln kämpfen, die Pressestellen haben und über die sozialen Netzwerke agieren - kann man deren System überhaupt unterbrechen? Die Möglichkeit des Netzes, ihre Taten aller Welt grinsend zu präsentieren, stärke ihre Position und ihre Selbstsicherheit doch gewaltig. Das ja. Aber die jeweilige Ideologie oder Religion, sagt Theweleit, sei austauschbar.

,,Was nicht austauschbar ist, ist der Punkt, dass die Frauen nichts zu sagen haben dürfen und ,der Mann' herrscht. Im ,Islamischen Staat' bleiben die Frauen unterdrückt. Auch jene, die von hier aus da hingehen: Verschleierung, im Haus bleiben, eine bestimmte sexuelle Verfügbarkeit - daran haben sich die Frauen zu halten. Wenn nicht, können sie geprügelt werden oder verstoßen oder getötet. Insofern ist es berechtigt, von der Fortsetzung einer Jahrtausende alten Männerherrschaftskultur zu sprechen, die in bestimmten Bereichen der Welt absolut dominant ist, die nicht weg ist. Alice Schwarzer sagt ja nichts Falsches, wenn sie sagt, im Islam werden Frauen unterdrückt. Natürlich werden sie das. Es nützt nur nicht viel, ihnen das vorzuhalten und zu sagen, deswegen brauchen wir nicht so viele Türken hier."

Theweleit zitiert den französischen Politikwissenschaftler Oliver Roy: ,,Wenn die Mädchen weglaufen, ist die Festung gefallen." Ehrenmorde gebe es natürlich noch, wenn jemand weglaufe. Auf Dauer aber würden die muslimischen Familien hier, die versuchen, ihre Gesetze zwanghaft aufrechtzuerhalten - angesichts der Menge der Mädchen, die ,,weglaufen" und Einheimische heiraten -, ihre umfassende Herrschaftsmacht verlieren. Allerdings nur, sagt der Frauenrechtler, Diskurskritiker und Schriftsteller Klaus Theweleit, wenn um sie herum genügend freier Raum ist, in dem die, die anders leben wollen, Unterstützung erfahren und freundlich empfangen werden.

Klaus Theweleit: ,,Das Lachen der Täter: Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust". Residenz-Verlag, 248 Seiten


Aus: "Psychologie des Tötens : Der Tätertyp" Julia Encke (24.03.2015)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/klaus-theweleit-ueber-sein-buch-das-lachen-der-taeter-13498074.html



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Quote[...] Die Ideologie des Rassismus funktioniert noch immer nach der alten Logik der Entmenschlichung: Die radikale Rechte besetzt Begriffe wie Identität, Kultur, Religion und Ethnie als kämpferische Kategorien, die in ihren Augen über Daseinsberechtigung und die gesellschaftliche Rangordnung bestimmen. Sie erklärt Einwanderer kurzerhand zu ,,Invasoren", Migrationsbewegungen und demografische Entwicklungen werden als ,,großer Austausch", als ,,Umvolkung", ,,Volkstod" oder ,,Genozid an den Weißen" etikettiert. So steht es im Pamphlet des neurechten Massenmörders von Christchurch, so steht es in den Büchern der Neuen Rechten, so hört man es im hippen Onlinesprech der ,,Identitären", der amerikanischen Alt-Right-Bewegung. Und so klingt es auch in der AfD.

... NSU-Terrorist Uwe Mundlos beklagte, dass die ,,weiße Bevölkerung" durch ,,Multikultur und Mischehen" abnehme. Zum ,,Erhalt der deutschen Nation" tötete der NSU neun integrierte Menschen aus Einwandererfamilien und eine Polizistin.

Um die angebliche Islamisierung zu stoppen, ermordete der norwegische Rechtsterrorist Breivik 77 Menschen – vor allem jugendliche Sozialdemokraten. Am fünften Jahrestag der Anschläge in Norwegen erschoss ein rassistischer Attentäter in München gezielt neun Menschen, die ethnischen Minderheiten angehörten. Der Täter bewunderte Breivik und die AfD und behauptete, Einwanderer und Flüchtlinge würden die Zukunft des Landes zerstören.

Der Rechtsterrorist aus Christchurch bewunderte ebenso Breivik und erklärte, nationalistische und populistische Bewegungen unterstützen zu wollen. ,,Es sind die Geburtsraten", schrieb er mehrfach, um zur massenhaften Tötung von Muslimen aufzuwiegeln, die angeblich die ,,weiße Rasse" ersetzen würden.

Die Behauptung des ,,Volkstods" und ,,Genozids an den Weißen" gehört schon sehr lange zum ideologischen Fundament der radikalen Rechten in aller Welt. Gerede vom ,,Bevölkerungsaustausch" oder ,,Umvolkung" ist nicht bloß eine Verschwörungstheorie oder populistisches Gewäsch von wenigen rechten Wirrköpfen. Es ist der Kern der globalen Erneuerung der rassistischen Ideologie.

Hierzulande hat der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin die Tore zum Gomorra völkischer Demografie wieder geöffnet, die eine Klassifizierung der Bevölkerungssubstanz nach ,,Quantität" und ,,Qualität" vornimmt und dabei stets von apokalyptischen Zukunftsszenarien ausgeht. Auch AfD-Mann Björn Höcke steht mit seinen rassistischen Tiraden über den ,,afrikanischen Ausbreitungstyp" in der Tradition der nationalsozialistischen Rassenlehre.

Der Bevölkerungswissenschaftler und Nazi Friedrich Burgdörfer warnte in den 1930er-Jahren vor dem ,,Volkstod" durch ,,Unterbevölkerung" der weißen Bevölkerung und der angeblich höheren Fertilität der als minderwertig bezeichneten schwarzen Bevölkerung. Mit Geburtsraten haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg, die Shoa und das Euthanasie-Programm gerechtfertigt. Individualismus, Liberalismus und Materialismus, hervorgerufen durch die ,,destruktiven geistig-seelischen Einflüsse" der Juden, seien, so Burgdörfer, Schuld am drohenden ,,Rassenselbstmord" der Weißen. Hier schließt der Christchurch-Attentäter an: Er verdammt die Demokratie, dankt Gott für den ,,Tod des Konservatismus" und macht ,,Kulturmarxisten", Egalität, Individualismus und Globalisierung für den vermeintlichen gesellschaftlichen Niedergang verantwortlich.

Dass unter den in Neuseeland ermordeten Muslimen auch Kinder sind, ist kein Zufall. Denn der Täter hat sich mit diesem Szenario beschäftigt – nicht wie ein Wahnsinniger, sondern in eiskalter Logik: Kinder, die in seinen Augen keine europäische Identität besitzen, sind qua Geburt schuldig. Weil sie erwachsen werden, eigene Kinder bekommen und somit mehr ,,Invasoren" schaffen, die das ,,Volk" ersetzen. Darum ist das Töten von Kindern nichts anderes als das Töten zukünftiger Feinde. Deswegen ermordete Breivik Jugendliche. Deswegen ermordeten Nationalsozialisten Kinder und Babys.

Die Möglichkeit extremer Gewaltanwendung – vor oder nach einer Machtergreifung – ist in jeder ethnozentristischen Ideologie angelegt. Hannah Arendt hat das ideologische Denken als prinzipiell von Erfahrungen und der Realität unbelehrbar beschrieben. Hitler sprach positiv von der ,,Eiskälte" menschlicher Logik, was in den Worten Arendts bedeutet: ,,Macht man damit ernst, daß es im Leben der Völker ebenso wie im Leben der Natur 'Parasiten' gibt, so folgt daraus, daß man mit ihnen so umspringen darf wie mit Wanzen und Läusen, die man bekanntlich mit Giftgas ausrottet."

Christchurch hat gezeigt, was es bedeutet, wenn jemand ernst macht mit der rassistischen Paranoia, dass der ,,Volkstod" (Höcke), die ,,Umvolkung" (Pirinçci), durch einen ,,großen Austausch", einen ,,Geburten-Dschihad" (Gottfried Curio) oder eine ,,feindliche Übernahme" (Sarrazin) durch die ,,Invasoren" (Gauland) drohe.

Die neue radikale Rechte provoziert mit der Bildsprache der Unmenschlichkeit. Damit versucht sie unterschwellig, die Bereitschaft für jene Gewalt zu schaffen, die eines Tages zur Durchsetzung ihrer Ziele notwendig wird. Die Empörung soll der Routine weichen, die Menschen abstumpfen und an grausame Bilder gewöhnen – auch an tote Kinder.

Sicher, nur eine Minderheit derjenigen, die der völkischen Untergangsparanoia verfallen sind, wird zu Vollstreckern physischer Gewalt. Die Herren und Damen, die die Stichworte und den Handlungsdruck erzeugen, verfügen schließlich über Möglichkeiten, mit demokratischen Mitteln für ihre undemokratischen Ziele zu kämpfen. Ob von Zellen, einzelnen Terroristen oder, wie der Politikwissenschaftler Steffen Kailitz zu den Plänen der NPD schrieb, als ,,rassistisch motivierte Staatsverbrechen": Die angestrebte Segregation von Menschen wegen ihrer Abstammung, Herkunft, Kultur oder Religion ist in letzter Konsequenz ohne ungeheuerliche Gewalt nicht denkbar.


Aus: "Globale Rechte formiert sich: Die Eiskälte der völkischen Ideologie" Matthias Quent (24.03.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/globale-rechte-formiert-sich-die-eiskaelte-der-voelkischen-ideologie/24139158.html

Quote2010ff 10:26 Uhr

Ich vermisse bei dem Beitrag von Herrn Quent wesentliche Gründe, warum man sich Rassisten und Nazis anschließt. Man bekommt "Nestwärme", man wertet sich auf, indem man andere abwertet, man erlebt soziale Gemeinschaft, Anerkennung, Respekt. Etwas, was vielen Rassisten und Nazis in der "normalen" Welt nicht widerfährt.


QuoteBabsack 07:51 Uhr

    Die neue radikale Rechte provoziert mit der Bildsprache der Unmenschlichkeit. Damit versucht sie unterschwellig, die Bereitschaft für jene Gewalt zu schaffen, die eines Tages zur Durchsetzung ihrer Ziele notwendig wird. Die Empörung soll der Routine weichen, die Menschen abstumpfen und an grausame Bilder gewöhnen – auch an tote Kinder.

Ich kann nur jedem raten diese Worte ernstzunehmen,denn sie sind die Quintessenz der Warnung vor der rechten Gewaltherrschaft.
Die Neurechten wollen die Gesellschaft nicht ein wenig auf einen anderen Weg bringen,sondern sie arbeiten an einer Machtübernahme.Sie glauben,dass Hitler durchaus auf dem richtigen Weg war,er jedoch ein paar Fehler gemacht habe,die man sich heute sparen würde.
Ich warne nochmals: Wer in der Demokratie schläft,wird in der Diktatur aufwachen.


QuoteKaiserVonChina 24.03.2019, 22:57 Uhr

    Der Bevölkerungswissenschaftler und Nazi Friedrich Burgdörfer warnte in den 1930er-Jahren vor dem ,,Volkstod" durch ,,Unterbevölkerung" der weißen Bevölkerung und der angeblich höheren Fertilität der als minderwertig bezeichneten schwarzen Bevölkerung.

Interessanterweise wurde aber für die "arische" Bevölkerung gleichzeitig Lebensraum im Osten gefordert...und geraubt.


QuoteTobias_Johst 24.03.2019, 19:11 Uhr

... Letztlich handelt es sich bei derartigen Mördern stets um junge Männer, die geistig oder emotional unzureichend entwickelt sind und ihre persönliche Frustration in Gewalt ausleben. Offenbar auch nie in der Lage gewesen, sich ein eigenes, erfülltes Leben aufzubauen.
Die kennen die Opfer gar nicht, können sie daher auch gar nicht beurteilen. Sie neiden ihnen nur ihr erfülltes Leben und ihre Kinder.
Wenn "Weiß sein" allein genügt, sich angesichts von Straftaten als "Held" zu fühlen, dann wird eine solche Ideologie gerne angenommen.

Entsprechende Ideologien für Psychopathen gibt es.
Damit sich Vertreter und Anhänger als die "Wertvollen" betrachten können.

'Hierzulande hat der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin die Tore zum Gomorra völkischer Demografie wieder geöffnet, die eine Klassifizierung der Bevölkerungssubstanz nach ,,Quantität" und ,,Qualität" vornimmt und dabei stets von apokalyptischen Zukunftsszenarien ausgeht.'

Auch so ein überheblicher Brandstifter, dank dem die allgemein wenig Gebildeten, Frustrierten und Ängstlichen nicht mehr heimlich auf "Mein Kampf" als ideologische heilige Schrift zurückgreifen müssen. Fühlte sich ja doch irgendwie komisch an.

Für ihn hat sich das in jedem Fall gelohnt.


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Quote[...] "Du fettes ekelhaftes Türkenschwein", steht in der SMS von Anfang März auf Idil Baydars Mobiltelefon, und: "Verpiss dich aus Deutschland solange du noch lebend rauskommst." Unterzeichnet ist die Nachricht von einem "SS-Obersturmbannführer".

Als am 15. März in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch 50 Menschen getötet und 48 verletzt werden, klingelt bei Idil Baydar um die Nachmittagszeit erneut das Handy, dieses Mal: "Du widerliche fette ätzende Türkensau, so wie heute in Neuseeland knallen wir dich und Halise Baydar ab." Halise Baydar ist die Mutter der Comedian und Kabarettistin, die seit rund 20 Jahren in Berlin lebt.

Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz, wegen Bedrohung und Beleidigung läuft ein Strafermittlungsverfahren gegen den noch unbekannten Täter.

Baydar wurde vor allem mit der Kunstfigur "Jilet Ayşe" bekannt, einer 18-jährigen Kreuzberger Türkin. Die Videos von und mit Jilet Ayşe sind auf YouTube und Facebook erfolgreich. Eine weitere Kunstfigur Baydars ist die Ur-Berlinerin Gerda Grischke. Auf Facebook macht Baydar die Morddrohungen gegen sie und ihre Familie nun öffentlich.

Idil Nuna Baydar (2019)

Liebe Freunde,
ich hab eine weitere Droh SMS erhalten die ich erst heute erst entdeckt habe.
Sie wurde mir nach dem Attentat in Neuseeland geschickt .
Diesmal bedrohen sie auch meine Mutter Halise Baydar und Sie drohen uns abzuknallen wie in Neuseeland.
Ich bin nicht schockiert über diese Nachricht auch nicht überrascht, ich befasse mich auf verschiedenen Ebenen mit der Thematik Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
War mir schon klar das die Möglichkeit besteht das ich auch ins Fadenkreuz gerate.
Was mich wirklich erschreckt, ist das dumpfe scheiss Gefühl, das mir die Instanzen wie Polizei und das Rechtssythem entweder aus eigener Rechtsradikaler Gesinnung heraus oder auf Grund nicht ausreichender Gesetzte zum Schutz nicht helfen wollen oder können.
Dieses Gefühl ist eigendlich das schlimmste.
Immerwieder kommt der NSU Fall in meinen Kopf und der Satz : " Selbst wenn du erschossen wirst vom NSU 2.0, würden sie wahrscheinlich nichts anderes tun als meine Oma zu beschuldigen, alle Akten schreddern und eine Verhandlung ins nichts laufen lassen, selbst wenn sie die Täter hätten, dann die Akten für 500 Jahre verschließen damit auch wirklich keine Aufklärung Konsequenzen oder Haftung möglich sein wird.
Ich möchte das ihr wisst das falls ich erschossen werden würde von einem NSU 2.0 oder 8.0 oder wieviele nachfolger es noch geben könnte,
Bitte gebt niemals auf Rassismus von diesem Planeten entfernen zu wollen, für alle Menschen überall.
Dazu muss er benannt werden untersucht werden erroiert werden um dann eliminiert zu werden.
Wir müssen einfordern das Rassismus definiert wird und als Straftat verhandelt und geahndet werden kann.
Rassisten und Faschisten gehören in die Sicherheits Verwahrung und Therapheutische Behandlung.
Nichts darunter wird einen nachhaltigen Effekt oder Schutz vor Rassisten /Faschisten für uns sein.
Das muss jetzt langsam klar sein.

Es gibt soviele die vor uns da waren uns mit Wissen und schlüssigen Analysen versorgt haben.
Die Rassimus als Sythem erkannt und erklärt haben.
Selbst wenn mir was passiert bitte bitte gebt niemals auf weiter an der Abschaffung von Rassismus in unseren Gesellschaften zu arbeiten.
Ganz einfach weil wir es verdient haben eine Welt der Liebe und Solidarität zu erschaffen, eine Welt von Freundschaft und Einheit in der wundervollen Einzigartigkeit eines jeden zu erleben.
Für uns und unsere Kinder.
Selbst wenn mir was passiert lasst euch davon nicht entmutigen oder Angst machen.
Lasst nicht zu das die vielen Opfer von Rassismuss und Faschismus, die hier oder woanders passiert sind, hier oder woanders passieren, umsonst waren.
Das wäre das einzige was ich mir wünsche wenn sie mich auch ermorden würden.
Ich bin ein anderes Kaliber.
Und ich werde ab jetzt noch intensiver, schärfer, penetranter, frecher, deutlicher und intelligenter als bisher gegen Rassismus und Menschenhass in jeglicher Form die mir möglich ist vorgehen.
Ich werde mich noch viel mehr für unsere Einheit als Menschen und Liebe und Solidarität einsetzten sogut wie ich kann und soweit wie mich meine Füße trage.

Selbst wenn sie mich erschießen oder ermorden, wie sie es mit den vielen vor mir gemacht haben, wie sie es vor 500 und vor 80 jahren gemacht haben, so wie sie es in Neuseeland und Mali getan haben......



... Baydar sieht in dem Umgang mit den gegen sie und ihre Familie gerichteten Drohungen eine Parallele zu den Morden des NSU. Denn um Rassismus ahnden zu können, müsse er zunächst als solcher erkannt werden: "Rassisten und Faschisten gehören in die Sicherheitsverwahrung und in therapeutische Behandlung", schreibt Baydar auf Facebook.

Sollte ihr etwas zustoßen, wünsche sie sich, dass nie aufgehört werde, gegen Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen.


Aus: "Jilet Ayşe: Berliner Comedienne erhält Morddrohungen" Helena Piontek (29.03.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/jilet-aye-berliner-comedienne-erhaelt-morddrohungen/24155522.html

Quotenanen 28.03.2019, 20:02 Uhr
Nico Semsrott hat recht: diese Leute fürchten das Lachen, haben überhaupt keinen Humor, nur Hass und Gewalt können sie.
Frau Baydars Figur "Jilet Ayşe" ist große Klasse, frech und entlarvend. ...


QuoteBabsack 30.03.2019, 08:55 Uhr
Es ist der erste Artikel,den ich heute lese und ich möchte mein Notebook gerade schon wieder zumachen.
Liebe Frau Baydar,lassen Sie sich nicht beeindrucken.
Folgen Sie ihrer Intuition,wechseln Sie ihre Gewohnheiten,sein Sie unberechenbar.Umgeben Sie sich mit starken Freunden,die Sie auf ihren Wegen begleiten.
Sie tun einen wichtigen und sehr guten Job.
Sie schaffen Verständnis,schaffen es,dass Leuten ein Licht aufgeht,dass sie über sich und ihre Haltung nachdenken und lachen.


QuoteGophi 28.03.2019, 15:06 Uhr
Ja, das gesprochene Wort ist ein scharfes Schwert. Wer im Oberstübchen zu wenig Licht hat, ist dann schon mal versucht, den Baseballschläger auszupacken. ...


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#12
Quote[...] Nach der Bombendrohung in einem Regionalexpress in Schleswig-Holstein liegt der Bundespolizei ein Bekennerschreiben einer ,,Nationalsozialistischen Offensive" vor. Das Schreiben zu dem Vorfall am Bahnhof Neumünster sei als Mail beim ,,Hamburger Abendblatt" eingegangen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei am Mittwoch. Die Zeitung habe es am Dienstag an die Ermittler weitergeleitet. Es sei im Tenor so wie Schreiben nach einigen anderen Bombendrohungen gegen Rathäuser oder Gerichte im Norden in den vergangenen Wochen.

Die Bombendrohung hatte den Bahnverkehr am Montagabend für mehrere Stunden lahmgelegt. In der Zugtoilette eines Regionalexpress war am Bahnhof Neumünster der Schriftzug ,,Bombe im Zug" entdeckt worden.

Seit Ende des Jahres 2018 registrieren die Ermittlungsbehörden eine bundesweite Serie von anonymen Drohmails aus dem sogenannten Darknet. Mittlerweile zählen die Behörden nach Informationen von NDR und "SZ" mehr als 100 solcher Fälle. Unterzeichnet sind diese Schreiben mit wechselnden Absendern wie "Nationalsozialistische Offensive", "NSU 2.0" oder schlicht "Wehrmacht".

Auch die Adressen, von denen die E-Mails verschickt wurden, wechseln sich ab. Die Wortwahl der Schreiben und die Empfänger weisen aber laut Ermittlern Ähnlichkeiten auf. Die Opfer werden jeweils persönlich angeschrieben, darunter sind Politiker, der Zentralrat der Juden und Künstler. Auch die Sängerin Helene Fischer, die sich nach den Ausschreitungen in Chemnitz gegen Fremdenfeindlichkeit äußerte, soll zu den Betroffenen zählen. (dpa)

Aus: ""Nationalsozialistische Offensive": Bekennerschreiben nach Bombendrohung in Neumünster" (03.04.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/nationalsozialistische-offensive-bekennerschreiben-nach-bombendrohung-in-neumuenster/24174978.html


"Razzia in Schleswig-Holstein: Polizei ermittelt Verdächtigen nach rechtsextremen Drohmails" (5. April 2019)
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-04/razzia-schleswig-holstein-rechtsextremismus-drohschreiben-bombendrohungen-gerichte


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Quote[...] München - Der Ex-Fraktionsvorsitzende der AfD im bayerischen Landtag, Markus Plenk, steht nach eigenen Angaben inzwischen unter Polizeischutz. ,,Ich habe sehr viele Hassmails und Drohungen bekommen", sagte Plenk am Montag in München. Zuvor hatte die ,,Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet.

,,Bis zu Morddrohungen war alles dabei." Am Montag sei er nun offiziell aus der Landtagsfraktion und der Partei ausgetreten. ,,Mit sofortiger Wirkung", sagte Plenk der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Er habe wegen dieser Entscheidung mit Anfeindungen gerechnet – ,,aber nicht in dieser Intensität". Der Hass, der ihm nun entgegen schlage, ,,zeigt, dass es im Dunstkreis von AfD-Sympathisanten einige Extremisten geben muss" – mit ,,sehr vielen Gewaltfantasien". Diese Reaktionen bestätigten ihn darin, ,,dass meine Entscheidung richtig war", betonte Plenk. ,,Ein Bio-Bauer passt offensichtlich nicht zur AfD."

Hintergrund seines Rückzugs aus der rechtspopulistischen Partei und deren Fraktion im Landtag ist ein parteiinterner Richtungsstreit. ,,Bei der CSU wäre ich kein Rechtsaußen, sondern in der Mitte anzusiedeln", sagte Plenk der ,,SZ" (Sonntag) zufolge. Darum will er zu den Christsozialen überlaufen.

Einen Mitgliedsantrag habe er noch nicht eingereicht, sagte er nun. Er wolle es ,,langsam angehen". ,,Man will ja nicht mit der Tür ins Haus fallen." Vorerst wolle er als fraktionsloser Abgeordneter Mitglied des Landtags bleiben. ,,Ich behalte mein Mandat."

Plenk hatte die AfD-Fraktion seit Herbst 2018 zusammen mit der Co-Vorsitzenden Katrin Ebner-Steiner geführt. Diese behält ihren Posten. Im Gegensatz zu Ebner-Steiner, die dem rechtsnationalen ,,Flügel" der AfD zugerechnet wird, gilt Plenk als eher gemäßigt. Sein Austritt sei ,,sicherlich ein Signal" und wird aus seiner Sicht kein Einzelfall bleiben. ,,Ich glaube nicht, dass sich das alle dauerhaft antun wollen."


Aus: "Ex-AfD-Mann Plenk: Stehe unter Polizeischutz" (08.04.2019)
Quelle: http://www.kn-online.de/Nachrichten/Politik/Ex-AfD-Mann-Plenk-Stehe-unter-Polizeischutz

https://www.welt.de/politik/deutschland/article191544791/Markus-Plenk-Ex-AfD-Mann-steht-jetzt-unter-Polizeischutz.html

QuoteBladumaan Blasidaan

Zitat: ",,Ich habe es satt, die bürgerliche Fassade einer im Kern fremdenfeindlichen und extremistischen Partei zu sein", sagte Plenk dem Magazin ,,Spiegel" nach A"

Warum Hr. Plenk solch einen Unsinn von sich gibt, darüber kann man nur spekulieren.

Dass Hr. Plenk mit keinem stichhaltigen Argument diese haltlosen Behauptungen belegt oder begründet, ist sehr bezeichnend


QuoteMaier D.

Was Sie da "Unsinn" nennen, spiegelt sich tagtäglich in den sozialen Netzwerken wieder.


QuoteOtto U.

  Morddrohung, wenn man austritt. Das muss man sich auch auf der Zunge zergehen lassen.


QuoteChristian K.

Tja, man sucht sich seine Freunde selbst aus.


QuoteJohanna L.

"Er hätte wissen müssen, dass Überläufer nirgends ein hohes Ansehen genießen."

Morddrohungen rechtfertigt das aber nun ganz gewiss nicht.


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#14
Quote... Viel Propaganda, wenig Taten: So lassen sich die ersten 100 Tage des rechtsextremen Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, umreißen. Selbst bei seinen Wählern ist die Euphorie längst in tiefe Ernüchterung umgeschlagen. Der versprochene Wirtschaftsaufschwung bleibt aus. Stattdessen macht die von Militärs und ultrakonservativen Evangelikalen dominierte Regierung durch Inkompetenz, Skandale und innere Machtkämpfe von sich reden. Bolsonaro setzt seinen Weg des "Kulturwandels" fort, beschimpft politisch Andersdenkende, verherrlicht die Militärdiktatur und verunglimpft Homosexuelle. Wenig glorreich waren auch seine wenigen Auslandsbesuche. In Israel entsetzte er an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit der Aussage, die faschistische NSDAP sei eine "linke Partei" gewesen. "Daran gibt es keinen Zweifel", bekräftigte er sein fehlendes historisches Grundwissen. ...


Aus: "Nach hundert Tagen Bolsonaro Ernüchterung und Angst in Brasilien" Susann Kreutzmann aus São Paulo (10. April 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000101041121/Nach-hundert-Tagen-Bolsonaro-Ernuechterung-und-Angst-in-Brasilien

Quote
Carla M.

Wer hätte das gedacht.


Quote
sinister.sinner

Das hätte niemand ahnen können.


Quote
yoghurtinator (falsifizierter Unklarnamenposter)

... Der Dolferl war in Wahrheit ein Kommunist, dem es darum ging, das Ansehen der ehrlichen fleißigen tüchtigen anständigen Nationalsozialisten zu diskreditieren.


Quote
kberger

... und die deppen, die gegen die linken immer mit "aber venezuela! aber kuba!" wettern, mögen sich jetzt ein "aber bolsonaro! aber trump! aber orban!" anhören ...


Quote
abcddcba

... Rechte Politiker sollen keine Heilsbringer sein? Alles Lügen! Linkslinkslinke Propaganda ist das!


Quote
better than that

bitte.... das heißt linkslinksgrüngrünversifftversifft. ...


Quote
Elektroman

... Was haben sie sich erwartet?
-) Dass jemand der im Wahlkampf diktaturen angepriesen hat plötzlich ein Vorzeigedemokrat wird?
-) Dass jemand der schon im Wahlkampf die Wirtschaft über alles gestellt hat plötzlich allen Armen helfen will?
-) Dass jemand der sich damit brüstet dass er derjenige ist, der alle (aus seiner Sicht) schlechten Menschen entweder unterdrückt oder umbringt, nicht genau das tut?

...


Quote
yoghurtinator (falsifizierter Unklarnamenposter)

Dasselbe wie beim Brexit. Nach der Wahl kommen die Leut plötzlich drauf, Jössas, was haben wir da nur gewählt? ...


Quote
small_is_beautiful

... Meine übliche Anmerkung unter einem Bolsonaro Artikel: Danke FDP und Friedrich-Naumann-Stiftung, möge eure Hilfe für Bolsonaro nie vergessen werden.

[ Timo Dorsch: Brasilien - Liberale Hilfe für Bolsonaro (11.10.2018) --- "Der frühere Fallschirmjäger polarisiert mit seinen Äußerungen die brasilianische Gesellschaft. In der ehemaligen Militärdiktatur präsentiert sich Bolsonaro als ein Verfechter der Folter, hetzt gegen marginalisierte und ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen und sticht durch seine frauenfeindlichen und homophoben Ansichten hervor. Das entspricht nicht liberalen Ansichten. Verwunderlich ist daher die Arbeit der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) vor Ort. Die der FDP nahe stehende Organisation unterstützt in Brasilien ,,zwei neue liberale Programmparteien". Eine davon ist die des ultrarechten Politikers Bolsonaro; ,,in Kooperationsmaßnahmen, insb. zu Fertigkeiten-Trainings und strategischem Planen mit Blick auf die Wahlen 2018" soll die PSL gestärkt werden, ,,um zu ihrer Konsolidierung beizutragen." So verkündet es die Homepage der Stiftung. Genauer gesagt: so war dort zu lesen. Seit Dienstag ist die Unterseite zu Brasilien, auf der über Projekte und Partner informiert wurde, nicht mehr abrufbar. Stattdessen prangt seit Mittwochnachmittag eine kurze Erklärung auf der Hauptseite. Dass das Brasilien-Büro Ende 2017 geschlossen, Bolsonaro nie unterstützt wurde und dessen Wahlsieg in der ersten Runde ,,ein Schlag ins Gesicht für alle Demokraten" sei. Auf Nachfrage in der Berliner Presseabteilung der Stiftung wurde die Zusammenarbeit zuerst noch als ,,Gerücht" betitelt. Dann, unter Verweis auf die oben genannten Textstellen, etwas drucksend formuliert, dass schlichtweg vergessen wurde, die Homepage zu aktualisieren. Eine redaktionelle Unachtsamkeit wie diese kann vorkommen. Zehn Monate sind aber ein langer Zeitraum. Dass die Zentrale jedoch sagte, das Büro sei vor einem halben Jahr geschlossen worden – und damit der eigenen Erklärung widerspricht –, macht etwas stutzig. Bolsonaro wird bereits seit einem Jahr als Favorit der PSL gehandelt. Es nicht das erste Mal, dass die Naumann-Stiftung problematische Partner und Projekte unterstützt. Als es in Honduras 2009 zu einem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya kam, verteidigte der damalige Regionalvertreter der Stiftung, Christian Lüth, das Vorgehen – entgegen der damaligen Linie der Bundesregierung und den Vereinten Nationen. Neun Jahre später beschreibt man die Aussagen von Lüth als ,,unglücklich". Er wurde von der Stelle irgendwann abgezogen. Heute ist Christian Lüth Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion. ..." Quelle: https://www.fr.de/politik/liberale-hilfe-bolsonaro-10970114.html]


Quote
Ignaz gartengschirrl

das tatsächlich schlimme an der sache ist das anscheinend tatsächlich sehr viele leute geglaubt haben der typ wäre eine art "erlöser" der nur mit dem finger zu schnippen braucht und alle probleme wären gelöst. aber ja, als österreicher darf man sich dazu ja fast nicht äußern, von wegen wer im glashaus sitzt usw.


Quote
Nicht der Eine

Viele Menschen sind zum Folgen geboren. Sie wollen nicht selber denken oder sich selber eine Meinung bilden. Deswegen sind Populisten so erfolgreich. Sie sprechen den Wähler direkt an. Dabei lügen sie zwar, was das Zeug hält, aber die verpacken es so, dass es für den einfachen Verstand leicht verdaulich ist. Viele sind damit zufrieden. Traurig aber wahr. Sie sehen einfach nicht, auf was sie sich einlassen.
Institutionen wie die Kirche, diverse Sekten, diverse Gesundheitsgurus u.d.G. wären sonst nie so reich und erfolgreich geworden.
Die meisten Menschen sind nicht böse. Die meisten Menschen sind einfach nur dumm und naiv. Leider. Weil es bequemer ist.


Quote
bloody-nine

... soviel zu den ewigen beschwichtigungen und relaivierungen der immer gleichen hinsichtler und rücksichtler bei uns, dass man das halt "verstehen müsse", dass die menschen "die sich von der politik nicht mehr vertreten fühlen" mittlerweile so verzweifelt seien dass sie IRGENDWAS wählen würden, nur damit es endlich anders würde. und natürlich seien das alles keine rassisten oder faschisten, und als "dumm" dürfe man sie auch keinesfalls bezeichnen...


...

Quote... Präsident Jair Bolsonaro hat in der Vergangenheit mehrfach mit homophoben Aussagen Aufsehen erregt. Unter anderem hatte er erklärt, es wäre ihm lieber, sein Sohn wäre tot als schwul. ...


Aus: "Brasiliens Präsident hält Homophobie nicht für Straftat" (15.06.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/bolsonaro-ruegt-oberstes-gericht-brasiliens-praesident-haelt-homophobie-nicht-fuer-straftat/24459770.html

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#15
New video from the Alt-Right playbook explainer series: "Always a Bigger Fish"
The Innuendo Studios YouTube channel has been producing a video series on the culture of the alt-right. The latest video is called "Always a Bigger Fish" and it's about the way conservatives believe in a social hierarchy, and how liberals' efforts to achieve a more equitable society is a threat to the natural order of things.
It's also worth reading the research list used to produce the videos.
https://boingboing.net/2019/03/22/new-video-from-the-alt-right-p.html

https://www.youtube.com/playlist?list=PLJA_jUddXvY7v0VkYRbANnTnzkA_HMFtQ

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"Rechtsextreme Hetze Youtube sperrt Kanal des ,,Volkslehrers"" Alexander Fröhlich  (14.04.2019)
Nikolai N. verbreitete rechtsextreme Inhalte auf Youtube. Seinen Kanal gibt es nicht mehr. Doch der ehemalige Lehrer sucht neue Wege der Verbreitung. ... Bei Youtube legte er einen neuen Kanal an, zudem betreibt er eine Internetseite. Daneben hat N. auf einer Messenger-App einen Kanal eingerichtet. Damit folgt er dem Vorbild von Martin Sellner, Chef der rechtsextremen ,,Identitären Bewegung" in Österreich. Der schickt seine Nachrichten an die Anhänger direkt aufs Handy. ...
https://www.tagesspiegel.de/berlin/rechtsextreme-hetze-youtube-sperrt-kanal-des-volkslehrers/24219202.html

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"Migrationspakt, Europawahl Wie gefährlich ist rechte Desinformation im Netz?" Harald Schumann Elisa Simantke Nico Schmidt (14.04.2019)
Rechte streuen in sozialen Netzwerken massiv falsche Informationen. Facebook, Google & Co. schaffen kaum Transparenz, die Politik ist hilflos. ...
https://www.tagesspiegel.de/politik/migrationspakt-europawahl-wie-gefaehrlich-ist-rechte-desinformation-im-netz/24218478-all.html

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"Tiefer Einblick in Struktur der rechtsextremen Identitären"
Porträt - Fabian Schmid, Colette M. Schmidt12. April 2019
https://derstandard.at/2000101301917/Interne-Dokumente-geben-tiefen-Einblick-in-Struktur-der-rechtsextremen-Identitaeren

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Quote[...] In seinem Essay zeigt Orwell auf, was den ,,Nationalismus" ausmacht: Die Identifizierung mit einer Gruppe oder einer Idee, die so weit geht, dass die Wirklichkeit zu ihren Gunsten verbogen und Tatsachen ignoriert werden, nur um in der Wirklichkeit oder auch nur in Debatten auf der Siegerseite zu stehen. Und ja, oft erkennt man sich und das eigene Denken in dem, was Orwell beschreibt, wieder, auch wenn uns viele der Beispiele Orwells heute fremd sind: Die Beschreibung der geistigen Lähmung, die von identitären Debatten und der ihnen auf den Fuß folgenden Polarisierung ausgeht, machen das Buch so aktuell, als sei es gestern geschrieben worden. Und natürlich nimmt sich Orwell nicht aus, wenn er nach der Beschreibung von Fanatikern der unterschiedlichsten Couleur schreibt: ,,Wir erliegen jedoch einer Selbsttäuschung, wenn wir nicht erkennen, dass wir alle ihnen in unbedachten Momenten ähneln. Es muss nur ein bestimmter Ton getroffen oder an einen sensiblen Punkt gerührt werden – einen Punkt vielleicht sogar, von dessen Existenz man selbst bislang nichts wusste –, und die unvoreingenommenste und sanftmütigste Person verwandelt sich mit einem Mal in einen brutalen Parteigänger, der unbedingt gegenüber seinem Widersacher »punkten« will und dem es egal ist, wie viele Lügen er erzählt und wie vielen logischen Irrtümern er dabei aufsitzt."

Intellektuelle hält Orwell für besonders anfällig, sich für den Nationalismus zu begeistern, die Wirklichkeit unter einer Idee zu stellen, die sogar zur Verschwörungstheorie ausufern kann. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs schreibt er ,,Ich habe beispielweise gehört, wie jemand voller Überzeugung behauptete, die amerikanischen Truppen seien nicht nach Europa verlegt worden, um gegen Deutschland zu kämpfen, sondern um eine englische Revolution niederzuschlagen. Man muss der Intelligenzia angehören, um solche Dinge zu glauben: Kein normaler Mensch könnte so dämlich sein."

Orwell sieht allerdings auch eine Ausweg, der aber ist ebenso lohnen wie anstregend:

,,Was die nationalistischen Liebes- und Hassgefühle angeht, von denen ich gesprochen habe, so gehören sie bei den meisten von uns zur Grundausstattung, ob wir wollen oder nicht. Ob man sie loswerden kann, weiß ich nicht, aber ich glaube, dass es möglich ist, sie zu bekämpfen, und dass das in erster Linie eine moralische Anstrengung ist."


Aus: "Orwells Kritik unserer Grundausstattung" Stefan Laurin (25. März 2020)
Quelle: https://www.ruhrbarone.de/orwells-kritik-unserer-grundausstattung/181384#more-181384

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Quote... Was Freud 1930 angemerkt hat, ist nach wie vor beachtenswert: Die Jugend wird zu wenig auf die bedeutende Rolle, die Sexualität in ihrem Leben spielen wird, vorbereitet. Genau so wenig wird sie für die Aggressionen gerüstet, die ebenfalls eine dominante Rolle in ihrem Leben einnehmen. Aggression, das ist nicht nur persönliche Wut, Neid oder Gehässigkeit zwischen Personen, sondern ebenso der Druck, den eine Gruppe, eine Gemeinschaft, das "Soziale" ausübt. Umberto Eco hat das Mitte der 1990er Jahre beschrieben - im Endeffekt ist die Gruppe, der einer angehört, die Ursprungsform des Faschismus. Das betrifft alle Gruppen ...

... Gruppenkohäsion, Konformitätsdruck zum einen - dafür das stallgeruchsartige angenehme Wir-Gefühl. Faschismus und Stalinismus haben so funktioniert, ebenso kriminelle oder künstlerisch tätige Gruppen und alle anderen. Das ist Gruppenalltag; es ist menschliche Verfassung. Außer der linksorientierten Bewegung des Anarchismus und manchen Hippies der 1968er Jahre hat niemand dieses markante Dilemma angesprochen.
Lesen wir es verkehrt herum. Basis aller Gruppen, egal ob links, rechts, mitte oder grün, Bergwanderer, Mitgliedern einer Ortspartei oder einer Jugendclique, ist das, was Umberto Eco (annähernd als Muster, eine sozialpsychologische Abhandlung beten wir jetzt nicht herunter) als Grundstrukturen des Urfaschismus ausgemacht hat.
Ein weitgehend konformes, in sich "stimmiges" Denken dieser Gemeinschaft; eine halbwegs gut hergestellte Disziplin (Gemeinschaften mögen keine abweichenden Meinungen, meist traut sich der Einzelne das ohnedies nicht); es gibt ein Zentrum, eine Führungsperson hat sich herausgebildet; das Gemeinschaftsgefühl, also Emotion ist eine wesentliche Basis (Vernunft ist weniger gefragt); ein gewisser eigener Traditionalismus wird gepflegt; gern wird ideologisch Esoterisches dazugeschwurbelt; bei nachhaltiger Abweichung folgt Strafe, Ausschluss, gegebenenfalls bis zur Vernichtung; basisdemokratische Verhältnisse sind eine rare Ausnahme, Inklusion (Zugang zur Gruppe) ist mühsam und mitunter ein unterwürfiger Prozess.
Was dem einen oder anderen Leser vielleicht aufgefallen ist, die eben erwähnte Charakterisierung der Gruppenstruktur ist nahezu deckungsgleich mit der sogenannten F-Skala, einem Erhebungsinstrument, mit der die "autoritäre Persönlichkeit", also der "Nazi-Charakter", gemessen werden sollte. Aus historischen Gründen halbwegs verstehbar, man hat sich vor und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit dem NS-Faschismus beschäftigt - und da die Autoren links waren, wollten sie die linke Seite nicht beschädigen. Natürlich war der Linksfaschismus eine verheerende, blutige Realität (Stalin, Mao, Pol Pot und viele andere).
... Selbst in den Zeiten, wo es einmal liberaler zuging, etwa in den späten 1960er Jahren, haben sofort neu sich bildende Gruppierungen mit Gruppendenken und Konformitätszwängen begonnen. Die alten Strukturen blieben, die Oberfläche wurde renoviert; neue SJW oder Antifa und alte Nazis funktionieren nach gleichen undurchschauten Mechanismen. ...

Aus: "Urfaschismus: Die Gruppen und ihr Druck" Karl Kollmann (14. April 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Urfaschismus-Die-Gruppen-und-ihr-Druck-4367049.html

Quoteverknarf, 14.04.2019 16:32

Das isolierte Individuum ist eine Fiktion

Der Mensch ist ein soziales Tier. Ausnahmen gibt es nur als dysfunktionale Pathologie, sprich: Fälle des Autistischen Spektrums.


QuoteBella1968, 14.04.2019 16:51

Zwischen Gruppenzwang und Massenmord ist ein Unterschied
Wer den Gruppenzwang als Urform des Faschismus begreift, hat nicht verstanden, was Faschismus ist...


QuoteBSEsel, 14.04.2019 16:58

Re: Danke für diesen Artikel

... der gerne und inflationär benutzte "Faschismus-Vorwurf" macht genau das. Er grenzt aus, und unterliegt ganz offensichtlich demselben urfaschistischen Muster, wie der Autor schlüssig herausgearbeitet hat.

Faschisten sind ja immer nur die anderen... ;-)


...

Link

"Darf man Heinz-Christian Strache einen Ex-Neonazi nennen?" Sebastian Fellner, Oliver Mark (15. April 2019)
Ein Satire-Beitrag im ORF wirft die Frage auf, wie Medien mit der braunen Vergangenheit des Vizekanzlers umgehen sollen ... Das "Tatsachensubstrat" ist eine Reihe gut belegter Kontakte Straches in die rechtsradikale und neonazistische Szene Österreichs in den 1980er-Jahren. Der FPÖ-Chef streitet nichts davon ab, stellt aber alles möglichst harmlos dar: Paramilitärische Wehrsportübungen mit Neonazis im niederösterreichischen Wald, bei denen sich die Szene auf bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen vorbereitete, sind für Strache rückblickend etwa nur "Gotcha-" oder "Paintballspiele". Später sagte er dann, er habe die Kriegsspiele mit Gewehren und Schlagstöcken und die beteiligten Personen als entsetzlich empfunden, den Besuch abgebrochen. ... Er sei damals "ein Suchender" gewesen, sagte Strache der Süddeutschen Zeitung (SZ), die die rechtsextreme Vergangenheit des FPÖ-Chefs in einem Dossier umfangreich darstellte: "Ich habe mir vieles angeschaut." Viel Rechtes, wohlgemerkt. Eine zentrale Rolle bei Straches Abrutschen ins Neonazi-Milieu spielte Norbert Burger, damals eine Führerfigur unter Österreichs Rechtsextremen. Der junge Strache stand Burger sehr nahe, war mit seiner Tochter zusammen und verbrachte viel Zeit mit der Familie. Immer wieder kommt der Suchende dann in Kontakt mit dem rechten Rand – etwa beim Zelten in Kärnten: Die Lager seien vom "Familienkreis Volkstreue Jugend" organisiert worden, erzählte Strache der SZ und räumte ein, dass diese in Kontakt mit der deutschen Wiking-Jugend stand. Diese verstand sich als Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend und wurde 1994 verboten. In der Silvesternacht 1989 wird der damals 20-Jährige dann im deutschen Fulda vorübergehend zur Identitätsfeststellung festgenommen: Strache nahm am traditionellen "Mahnfeuer" der Wiking-Jugend an der damals noch gesicherten Grenze zur kommunistischen DDR teil. Der SZ erklärte er später, erst im Nachhinein von der neonazistischen Einstellung der Organisation erfahren zu haben. Für Andreas Peham, Rechtsextremismusexperte beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), wären Straches Distanzierungen vom Neonazismus "noch glaubwürdiger, wenn er ein bisschen ehrlicher wäre". Das Abwiegeln und Verharmlosen in Kombination mit Distanzierungen "von etwas, das er eh nie gewesen sein will", helfe nicht gerade dabei, Zweifel auszuräumen, sagt Peham zum STANDARD. Strache sei in den 1980ern allein aufgrund seines Naheverhältnisses zu Norbert Burger in der rechtsextremen Szene "nicht irgendwer" gewesen. ...
https://derstandard.at/2000101467139/Darf-man-Heinz-Christian-Strache-einen-Ex-Neonazi-nennen

Quote
Perry

Wirklich wahr?
Der Strache war bei Wehrsportübungen?
Und es gibt Fotos davon?

Also, wenn man das vor der Wahl gewusst hätte, dann wäre der doch nie und nimmer gewählt worden...


Quote
Dr. Agomir

Eigentlich ist der Artikel ein bisschen überflüssig.
Man wird ja noch die Wahrheit schreiben dürfen.


Quote
Tante Jolesch 01

Soll noch Jemand sagen, Österreich wär kein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wenn man mit so einer politischen Vergangenheit heute sogar noch Vizekanzler werden kann...


Quote
Akka Lightguns

Einfach nur Pech

da will man ein bisserl Krieg spielen und merkt erst hinterher: das waren ja Neonazis, die Mitspieler.
Dann gehst zu einem Lagerfeuer, schön is, später stellt sich heraus: schon wieder Rechtsextreme.
Dann sitzt im Wirtshaus, trinkst deine 3 Bier mit lustigen Leuten, später merkst: das waren Identitäre.

Geht doch jedem von uns so. Was willst machen, wenn die überall sind?


Quote
Strollentoll

Strache gebührt tiefe Anerkennung dafür, über viele Jahre inmitten gewaltbereiter Neonazis als einzelner besorgter Bürger stets ein besorgter und verantwortungsvoller Verteidiger des demokratischen Rechtsstaates (undercover) geblieben zu sein. Ich denke, kein anderer Mensch hätte das in diesem Ausmaß geschafft.


Quote
Tamsriwuzd

Das einzig Spannende an diesen ganzen Leuten ist die phänomenale Feigheit, mit der sie das, was sie sind, die ganze Zeit verstecken müssen. Und dann nie irgendetwas waren, sich an nichts erinnern, alles ganz anders gemeint haben. ...


Quote
Unfreiwilliger Kanzlerfest-Mitfinanzierer

Die drei hl. Wahrheiten

1. Waldheim war Reitsportfan - 2. Haider war heterosexueller Bankexperte! - 3. Strache ist Verfassungsbogenschütze!


Quote
Just N. Opinion

"Strache nahm am traditionellen 'Mahnfeuer' der Wiking-Jugend an der damals noch gesicherten Grenze zur kommunistischen DDR teil. Der SZ erklärte er später, erst im Nachhinein von der neonazistischen Einstellung der Organisation erfahren zu haben."

Eine blödere Ausrede gibt es wohl gar nicht.


Quote
woistmeinnick

Er war nie Neonazi. Er kennt auch keine Identitäre.
Er hat sich laut Kurz erfolgreich distanziert.
Politiker sagen immer die Wahrheit.


Quote
Unfreiwilliger Kanzlerfest-Mitfinanzierer

Es gilt die Unschundvermurxung...


...

Link

Kommentar zu: https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/undichte-stelle-im-lka-berliner-polizist-soll-tatverdaechtige-neonazis-getroffen-haben/24229948.html [Die Betroffenen der Anschlagserie vermuten schon seit einiger Zeit undichte Stellen bei den Untersuchungsbehörden. In einer Petition an das Abgeordnetenhaus fordern sie aktuell die Gründung eines Untersuchungsausschusses. (Madlen Haarbach, 17.04.2019)]

QuoteMaryP 10:47 Uhr

"Undichte" Stelle?

Das klingt eher wie ein harmloser Fall für einen Klempner. Was aber hier passiert ist, sollte alle normale Bürger in helle Aufregung setzen: das ist nicht das bekannte Problem, dass die Polizei allzuoft auf der rechten Auge blind sind, sondern hier ist eine aktive Mitarbeit mit schlimmen Neo-Nazis belegt! ...

Link

Quote[...] Nach dem Tod eines 36 Jahre alten Polizisten, der unter dem Verdacht stand, zu einem rechtsextremen Netzwerk hessischer Polizeibeamter zu gehören, hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gestern abermals dafür plädiert, die Ermittlungen gegen Beamte ,,mit Augenmaß" zu führen. Der Landesvorsitzende Andreas Grün sagte, er wolle sich zu dem konkreten Fall nicht äußern, zumal die Umstände noch völlig unklar seien. ,,Die Gewerkschaft bleibt aber bei ihrer Linie, dass Fehlverhalten konsequent verfolgt werden muss und bei Nachweis einer strafbaren Handlung auch der Ausschluss aus dem Dienst erforderlich ist." Dies müsse aber ,,immer mit der nötigen Sensibilität und mit Augenmaß erfolgen".

Unterdessen wird auch innerhalb der Polizei spekuliert, wie es zu dem tödlichen Unfall gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft Gießen teilte gestern mit, sie bleibe bis auf weiteres bei der Annahme, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Selbsttötung gehandelt habe. Darauf deuteten die Gesamtumstände hin, zu denen auch die dienstlichen Schwierigkeiten gehörten, in denen sich der Beamte befunden habe. Wie berichtet, war der Beamte mit seinem Auto auf der Landstraße zwischen Alsfeld und Münch-Leusel auf gerader Strecke mit hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Er starb an der Unfallursache.

Laut Staatsanwaltschaft war der Fahrer angeschnallt, was aus polizeilicher Sicht gegen einen Suizid sprechen könnte. Möglicherweise, so lauten andere Vermutungen, war der Fahrer abgelenkt gewesen und ist deshalb von der Fahrbahn abgekommen. Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es weiterhin nicht.

Die Ermittler warten die Ergebnisse der Obduktion und der Untersuchung des Fahrzeugs ab. Es ist nach derzeitigem Kenntnisstand auch möglich, dass das Auto ein Defekt hatte.

Der Beamte war zuletzt vom Dienst suspendiert, weil er unter Verdacht geraten war, mit Kollegen rechtsextremistische Inhalte ausgetauscht zu haben. Er hatte im strafrechtlichen Sinne nicht den Status eines Beschuldigten, dennoch wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet.


Aus: "Toter Polizist in Hessen: Ein Verkehrsunfall wirft viele Fragen auf" Katharina Iskandar (07.05.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/polizist-in-hessen-unter-ungeklaerten-umstaenden-gestorben-16175367.html

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Quote[...] Ein Sprecher des hessischen Landeskriminalamtes bestätigte am Montag gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass es ein laufendes Disziplinarverfahren gegen den 36-Jährigen gegeben habe, er sei vom Dienst suspendiert gewesen. Es habe aber keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Mann gegeben. Details zu dem Disziplinarverfahren wollte der Sprecher zunächst nicht nennen.

Seit Ende 2018 sind insgesamt 38 hessische Polizisten wegen möglicher rechter Umtriebe in Verdacht geraten. Die Ermittlungen gegen den Beamten des Polizeipräsidiums Osthessen waren vor etwa einem Monat bekannt geworden, nachdem das lokale Medium ,,Oberhessen live" darüber berichtete hatte.

Auslöser für den hessenweiten Polizeiskandal waren Ermittlungen gegen sechs Beamte des ersten Polizeireviers in Frankfurt, die sich untereinander rechtsextreme und rassistische Nachrichten geschickt haben sollen. Sie könnten auch mit Drohbriefen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz* zu tun haben.

Die Staatsanwaltschaft Gießen hat einen Gutachter damit beauftragt zu klären, wie es zu dem Unfall am Sonntag kam. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gießen sagte der FAZ, man gehe wegen der Gesamtumstände davon aus, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe.

msb


Aus: "Hessischer Polizeiskandal: Polizist bei Unfall gestorben – LKA ermittelte wegen rechtsextremer Chats" (07.05.2019)
Quelle: https://www.fnp.de/lokales/vogelsbergkreis/alsfeld-hessen-polizist-toedlicher-unfall-verbindung-nazi-chats-ermittelt-zr-12258369.html

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Quote[...] Zuletzt wurde gegen insgesamt 38 Polizisten disziplinar- oder strafrechtlich ermittelt. Auslöser für die Ermittlungen waren rassistische Drohbriefe an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz gewesen. Es ist denkbar, dass die unter Verdacht geratenen Polizisten vom 1. Frankfurter Revier mit den Morddrohungen zu tun haben könnten. ...


Aus: "Verkehrsunfall bei Alsfeld: Verdächtigter Polizist stirbt bei Unfall" Hanning Voigts (06.05.19)
Quelle: https://www.fr.de/rhein-main/verkehrsunfall-alsfeld-verdaechtiger-polizist-stirbt-unfall-12255346.html


Link

Quote[...] Dass sie eine miese Türkensau sei, hat Seda Başay-Yıldız schon oft gehört. Auch dass sie sich aus Deutschland verpissen solle, im Reich der Kamelmilch- und Urintrinker sei sie besser aufgehoben. Es sind harte Worte, aber es sind eben auch nur: Worte.

Am 2. August 2018 hat die Frankfurter Rechtsanwältin zum ersten Mal Angst, dass den Worten Taten folgen könnten.

An diesem Tag trifft um 15.41 Uhr ein Fax in ihrer Kanzlei ein. Başay-Yıldız ist gerade in Tunis, sie kämpft für einen ihrer Mandanten, der von Deutschland nach Tunesien abgeschoben werden soll.

Faxe an ihr Büro werden automatisch zu ihrer E-Mail-Adresse weitergeleitet. Weil in Tunis der Empfang schlecht ist, liest die Anwältin das Schreiben erst spätabends im Hotel. Es ist nur vier Zeilen lang.

Im Briefkopf steht: "Dieses kostenlose Fax wurde Ihnen von Uwe Böhnhardt geschickt." Böhnhardt war einer der Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Başay-Yıldız liest weiter. "Als Vergeltung", steht da, "schlachten wir deine Tochter." Es folgt der volle Name des gerade einmal zwei Jahre alten Mädchens – und die Meldeadresse der Familie.

Seda Başay-Yıldız hat immer darauf geachtet, dass ihre Privatanschrift privat bleibt. Sie steht nicht im Telefonbuch, nicht im Internet. Wie haben die Absender des Schreibens sie herausgefunden? Das Fax endet mit den Worten: "Gruß, NSU 2.0".

Noch aus Tunis meldet sich Başay-Yıldız am nächsten Morgen bei der Frankfurter Polizei. Diese beginnt mit den Ermittlungen. Und muss bald erkennen, dass sie dabei in den Spiegel schaut.

Die Absender des Drohschreibens haben zwar eine Verschlüsselungstechnik verwendet, die eine Rückverfolgung erschwert. Die Ermittler finden aber heraus, dass an jenem 2. August 2018 zwischen 14 und 14.15 Uhr im 1. Polizeirevier in der Frankfurter Einkaufsstraße Zeil über einen Polizeicomputer Daten des Einwohnermeldeamts abgefragt wurden. Ein Polizist muss dafür lediglich seinen Namen und den Abfragegrund in den Computer eingeben.

Habe man keinen Grund, denke man sich eben einen aus, sagt ein ehemaliger Beamter der Frankfurter Wache gegenüber der ZEIT. Zum Beispiel: Verfolgung einer Straftat. Das werde laufend so gemacht, meist habe es einen banalen Hintergrund, zum Beispiel dass ein Polizist ein paar Informationen über einen neuen Nachbarn einholen möchte.

Wer auch immer an diesem Tag die Einwohnermeldeamtdaten abfragt, interessiert sich nicht für seine Nachbarn. Sondern für Seda Başay-Yıldız.

Keine zwei Stunden später erhält die Anwältin das Drohschreiben.

Einen Monat später, am 11. September, durchsuchen Ermittler die Dienststelle und die Wohnung der Polizeibeamtin Miriam D., die am 2. August an jenem Computer des Frankfurter Reviers gearbeitet hat. Bei der Auswertung ihres Handys stoßen sie auf eine WhatsApp-Gruppe mit dem Namen "Itiot". Sie stellen rund 50 Bilder und Kommentare sicher. Hakenkreuze, Witze über Juden und Menschen mit Down-Syndrom. Eines der Bilder zeigt Adolf Hitler. Er sitzt vor einem rauchenden Schornstein. Am unteren Rand des Bildes steht: "Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude."

Die Chatgruppe hat sieben Mitglieder. Fünf sind Polizisten in der 3. Dienstgruppe des 1. Reviers in Frankfurt, einer ist Polizist aus Marburg, die siebte Person ist die Lebensgefährtin eines der Beamten.

Die rechtsradikalen Nachrichten wurden verschickt und gelesen von Staatsdienern, die ihren Eid auf das Grundgesetz geschworen haben.

Genau wie der Polizist aus Hannover, der im Jahr 2014 eine WhatsApp-Nachricht an Kollegen schrieb: "Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah."

Genau wie die Polizisten aus Cottbus, die 2018 nicht gegen rechtsradikale Fußballfans einschritten, weil sie angeblich den Ku-Klux-Klan nicht kannten, in dessen Aufmachung die Fans auftraten.

Genau wie die Polizisten aus Duisburg, in deren Einsatzfahrzeug erst in der vorigen Woche ein Aufkleber der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung entdeckt wurde: "Wehr dich! Es ist dein Land!"

Alles bloß Einzelfälle?

Ja, alles bloß Einzelfälle, das ist die Standardantwort, wenn man mit hochrangigen Vertretern der Kriminalpolizei, der Bundespolizei oder der Innenministerien der Länder spricht. Die offiziellen Zahlen zu rechtsextremen Verfehlungen von Beamten sind, sofern es sie überhaupt gibt, so niedrig, dass sie nicht zu der Vielzahl von Meldungen passen, wonach Polizisten immer wieder mit rechtsradikalen Parolen auffällig werden, mit rassistischen Drohungen oder sogar Gewalttaten.

Berlin, 2017: Ein LKA-Beamter schickt seinem Vorgesetzten eine SMS, in der er ihn auffordert, sich von "Merkel & Co und ihren scheiß Gut-Menschen" fernzuhalten, eine weitere Nachricht schließt er mit "88", dem Nazi-Code für "Heil Hitler".

Kirtorf, 2018: Zwei Brüder, beide Polizeibeamte, fallen auf einer Kirmes in betrunkenem Zustand mit rechtsgerichteten Aussagen auf, einer soll sich selbst als rechtsradikal bezeichnet haben. In seiner Wohnung in der hessischen Kleinstadt wird später ein ganzes Zimmer voller NS-Devotionalien gefunden.

München, 2019: In einer Chatgruppe mit rund 40 Polizisten verschiedener Einheiten werden antisemitische und rassistische Bilder geteilt.

Die angeblichen Einzelfälle – sie haben Wellen geschlagen bis ins Bundeskanzleramt. Kürzlich erkundigte sich Angela Merkel erschrocken bei ihren Leuten, was denn da bitte schön los sei bei der Polizei. Der hessische Innenminister musste sich im Landtag mehrmals zu den Vorfällen in Frankfurt befragen lassen. Der Innenausschuss des Bundestages beschäftigte sich in einer Sitzung mit den "Verdachtsfällen sämtlicher extremistischer Phänomenbereiche in den Sicherheitsbehörden".

Laut einer Umfrage von infratest dimap vom Dezember 2016 haben 88 Prozent der Deutschen "sehr großes oder großes Vertrauen" in die Polizei. Sie liegt damit, weit vor dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung, an der Spitze aller abgefragten deutschen Institutionen. Doch womöglich kennen die Bürger die Polizei nicht so gut, wie sie glauben.

Ein Reporterteam der ZEIT ist mehrere Monate lang durch die Republik gereist, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was da los ist auf den Revieren.

Wie rechts ist die deutsche Polizei?

Im Sommer vergangenen Jahres, wenige Wochen bevor Seda Başay-Yıldız das erste Drohfax erhält, spaziert Yitzhak Melamed, Philosophie-Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, mit einer Kollegin am Rheinufer in Bonn entlang. In vier Stunden soll er an der Universität einen Vortrag halten. Die beiden begegnen einem jungen Mann. Als er Melameds schwarze Kippa sieht, versucht er, sie ihm vom Kopf zu schlagen. Immer wieder schreit er: "Keine Juden in Deutschland!" Es dauert nicht lange, bis die ersten Polizisten am Tatort eintreffen.

Was dann geschieht, lässt sich aus den Ermittlungsakten rekonstruieren. Der Schläger versucht zu fliehen, Yitzhak Melamed folgt ihm intuitiv. Und die Beamten? Sie folgen Melamed, überwältigen den jüdischen Professor, fixieren ihn am Boden und legen ihm Handschellen an. Einer der Polizisten schlägt ihm mehrmals ins Gesicht. Melameds Brille bricht entzwei, das Armband seiner Uhr reißt. Fotos werden später mehrere Hämatome in Melameds rechter Gesichtshälfte zeigen.

Zwei Tage später veröffentlicht Yitzhak Melamed einen langen, wütenden Beitrag bei Facebook, in dem er der Polizei Rassismus vorwirft. Er prangert nicht nur die Brutalität der Polizisten an, er beschreibt auch die aggressive Stimmung auf dem Bonner Revier: Wie niemand Erste Hilfe leistete, obwohl sein Gesicht blutete. Wie man versucht habe, ihm einzureden, dass er zuerst ausfällig geworden sei. Melamed schreibt: "Dann insinuierten sie, dass sie, wenn ich die Presse informiere, mich beschuldigen würden, ich hätte Widerstand geleistet."

Und genau das passiert. Die Bonner Polizeibeamten verzerren den Tathergang, um ihre Kollegen zu entlasten. Erst versuchen sie die Schuld an Melameds Verletzungen auf den jungen Mann abzuwälzen, der, wie man inzwischen weiß, wegen Körperverletzung und schweren Raubs mehrfach vorbestraft ist und an jenem Tag unter Drogeneinfluss stand. Als dann mehrere Augenzeugen, unter anderem Melameds Kollegin, widersprechen, ändern sie ihre Geschichte und behaupten, der prügelnde Polizist habe sich gegen den aufsässigen Melamed verteidigt. Melamed bestreitet das im Gespräch mit der ZEIT, er habe sich nicht gewehrt.

Kurz nach der Tat melden sich die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul und Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington, bei Yitzhak Melamed. Alle drei bitten im Namen ihrer Behörde oder der Bundesrepublik Deutschland um Entschuldigung für das Geschehene. Alle drei versprechen eine schonungslose Aufklärung.

Anfang März 2019 stellt die Staatsanwaltschaft Bonn das Verfahren gegen den Polizisten ein. Der Beamte wurde von einer Augenzeugin entlastet. Diese ist nicht nur selbst Polizistin, sie ist auch die Lebensgefährtin des Beschuldigten und war ebenfalls am Tatort.

Der Fall Melamed ist ein Paradebeispiel dafür, wie Beamte sich gegenseitig schützen und vor der Justiz entlasten. Er zeigt auch, wie wenig Bereitschaft es in der Polizei gibt, politische Fehltritte aufzuarbeiten.

Eutin, 2016: Polizeianwärter diffamieren Kollegen mit Migrationshintergrund als "Kümmeltürken" und "Kanaken". Verfahren eingestellt.

Neubrandenburg, 2018: Ein Vollzugsbeamter posiert vor einem Hitler-Bild. Verfahren eingestellt.

Schlüchtern, 2019: Am Holocaust-Gedenktag hängen Beamte die deutsche und die hessische Flagge vor dem Polizeirevier verkehrt herum auf. Verfahren eingestellt.

In einem Kongressbau am Berliner Alexanderplatz treffen sich im Februar 2019 knapp 2000 Polizisten, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler zum Europäischen Polizeikongress. Der Waffenhersteller Heckler & Koch präsentiert Maschinenpistolen und lässt Fruchtgummi in Pistolenform verteilen, Volkswagen hat einen Streifenwagen in der Halle geparkt.

Die Teilnehmer des Kongresses hätten einiges zu besprechen, allein in den vorangegangenen vier Wochen sind ein Dutzend neuer Fälle mutmaßlich rechtsradikaler Umtriebe in der Polizei bekannt geworden. Im Zusammenhang mit den Drohungen gegen die Rechtsanwältin Başay-Yıldız ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen die sieben Mitglieder der Chatgruppe. Ihnen wird Volksverhetzung, Bedrohung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Einer ist inzwischen freiwillig aus dem Dienst ausgeschieden, den anderen wurde die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt – Gehalt beziehen sie weiter.

In den Workshops und Vorträgen des Kongresses aber geht es vor allem um Clan-Kriminalität, Cybercrime und internationale Polizeimissionen. Rechtsextremismus in der Polizei ist kein Thema.

Dann sitzt der Berliner Innensenator Andreas Geisel, der oberste Vorgesetzte aller Berliner Polizisten, auf der Bühne. Auch er sagt nichts zum Rechtsradikalismus, aber er spricht über das Gefühlsleben seiner Beamten – und damit irgendwie doch über das Thema. Geisel erzählt, unter den Berliner Polizeianwärtern hätten inzwischen 38 Prozent einen Migrationshintergrund, so viele wie in keinem anderen Bundesland, was Geisel ausdrücklich begrüßt. Aber er sagt auch, Berliner Polizisten, die in den Achtzigerjahren in den Staatsdienst eingetreten seien, hätten oft den Eindruck: Das ist nicht mehr meine Polizei.

In Wirklichkeit ist die Polizei der Bundesrepublik nach wie vor überwiegend weiß, männlich, deutschstämmig und politisch konservativ. Autoritätsgläubige und ordnungsliebende Menschen findet man unter Polizisten häufiger als Freigeister. Der Bochumer Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein sagt: "Es gibt in der Polizei eine größere Affinität zu rechten Positionen als im Durchschnitt der Bevölkerung."

Singelnstein leitet eine der größten empirischen Untersuchungen zu Polizei und Gewalt, die es in Deutschland je gegeben hat, er spricht mit vielen Beamten, mit Revierleitern ebenso wie mit Streifenpolizisten. "Die AfD und der gesellschaftliche Rechtsruck gehen an der Polizei nicht spurlos vorüber, sie haben sie nach rechts verschoben", sagt Singelnstein. "Wie in der Gesellschaft insgesamt sind inzwischen auch in der Polizei Sachen sagbar, die bislang nicht sagbar waren."

Singelnstein ist mittlerweile überzeugt, dass es unter Polizisten häufig eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit gebe. Es genüge ein Blick auf die Diskussion um Clankriminalität. Schon in der öffentlichen Wahrnehmung, auch in der Medienberichterstattung, werde mit dem Begriff "Clan" ein Bild von kriminellen Arabern transportiert. Für Polizisten sei dieses Zerrbild noch viel naheliegender. Sie haben es in ihrem Beruf ja vor allem dann mit Ausländern zu tun, wenn diese gegen Gesetze verstoßen. In den Köpfen mancher Polizisten werden Migranten auf diese Weise von Mitbürgern zu Verdächtigen.

"Viele Polizeibeamte sehen in ihrem Alltag vor allem die negativen Seiten der Gesellschaft", sagt auch Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). "Das prägt natürlich, und das muss man immer wieder reflektieren." Münch steht an einem Aprilmittwoch in seinem Büro in einem Hochhaus in Berlin-Treptow, der Blick geht über die Spree. "Bei 260.000 Beschäftigten ist nicht auszuschließen, dass sich unter ihnen auch schwarze Schafe befinden", sagt Münch. Das sei trotzdem nicht zu akzeptieren. Dann erzählt Münch, wie er neulich auf einer Betriebsversammlung von Polizisten angesprochen wurde, die sich wünschten, dass sich das BKA deutlich von fremdenfeindlichen Aussagen distanziere. Wie seine Mitarbeiter regelrecht einforderten, dass ihr Chef da draußen klarstelle, dass nicht alle Polizisten so seien.

Tatsächlich denkt zweifellos nur eine kleine Minderheit der deutschen Polizisten rechtsradikal. Tatsächlich ist es nur eine kleine Minderheit, die Ausländer grundsätzlich für kriminell hält. Tatsächlich zeigen sich viele Polizisten gegenüber der ZEIT entsetzt über die Vorfälle in den eigenen Reihen.

Aber es steht eben auch zweifellos fest: Es gibt diese Rechten. Und es gibt einen Raum, in dem sie sich bewegen können.

Das BKA hat seine eigenen Erfahrungen damit gemacht, was passieren kann, wenn Polizisten vom Feinstaub rassistischer Vorurteile betäubt werden. Als die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Jahr 2000 ihre Mordserie begannen, glaubten die Ermittler des BKA an alle möglichen und unmöglichen Hintergründe, an Streitereien im türkischen Milieu, an die kurdische PKK, an die libanesische Hisbollah. Die vom bayerischen LKA eingesetzte sogenannte Besondere Aufbauorganisation hieß "Bosporus", die Anschläge wurden erst von den Medien und bald auch behördenintern "Döner-Morde" genannt.

Nur wenige Monate vor dem Auffliegen der rechten Terrorzelle ließen sich Ermittler zu den unaufgeklärten Mordfällen mit den Worten zitieren, hinter den Taten stehe eine "mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern". Nur deutsche Rechtsextremisten kamen als Täter für die Polizei nie infrage – bis zur tödlichen Selbstenttarnung von Böhnhardt und Mundlos nach einem Überfall in Eisenach.

Die Tochter des ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek, Semiya Şimşek, die später im Prozess gegen Beate Zschäpe als Nebenklägerin auftrat und dort von der nun vom "NSU 2.0" bedrohten Anwältin Seda Başay-Yıldız vertreten wurde, erinnerte sich später an die Verdächtigungen gegen ihren Vater: "Auf einmal war er der Fremdgeher, auf einmal hat er Drogen nach Deutschland geschmuggelt. Auf einmal hatte er mit der Mafia zu tun. So haben wir jahrelang mit diesen Vorwürfen gelebt."

Bei der offiziellen Gedenkveranstaltung zu Ehren der Opfer des NSU entschuldigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Familien für die rassistische Vorverurteilung: "Einige Angehörige standen jahrelang selbst zu Unrecht unter Verdacht. Das ist besonders beklemmend. Dafür bitte ich Sie um Verzeihung." Sie gab damals das Versprechen ab, dass vom Staat alles Mögliche getan würde, "damit sich so etwas nie wiederholen kann".

Und nun das. Eine mögliche neue rechtsextreme Zelle, die aus Frankfurter Polizisten besteht. Und die Familie der Anwältin eines NSU-Opfers mit dem Tode bedroht.

Hamburg, 2014: Zwei Streifenpolizisten posten in einem Chat ihrer Dienstgruppe Bilder eines Weihnachtsbaums, der mit Hakenkreuz-Christbaumkugeln geschmückt ist.

Königsbrunn, 2014: Zwei Polizeianwärter aus einer Kleinstadt südlich von Augsburg schicken rassistische Bilder via WhatsApp an ihre Klasse. Von den Empfängern gibt es keine Beschwerde, erst ein Ausbilder greift ein.

Leipzig, 2015: Ein Bereitschaftspolizist lobt in einem Chat mit einem stadtbekannten Neonazi dessen Verschwörungstheorien als "weise Worte" und spricht von Linken als "marodierenden Gutmenschen".

Wie viele politisch motivierte Straftaten von Polizisten in Deutschland begangen werden, ist nicht zu ermitteln. Zwar veröffentlicht das Bundesinnenministerium genau zu dieser Form der Kriminalität eine jährliche Statistik, in der man lesen kann, dass es 2017 in Deutschland rund 20.000 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben hat. Von Propagandadelikten und volksverhetzenden Hasspostings über Körperverletzung bis zu Mord. Was aber darin nicht erfasst ist: Wer die Taten begangen hat und welche Berufe diese Menschen ausüben. Ob sie beispielsweise Polizisten waren.

ZEIT ONLINE hat die Innenministerien der 16 Bundesländer sowie die Führungen von Bundespolizei und Bundeskriminalamt gefragt, wie viele rechtsgerichtete Vorfälle es seit dem Auffliegen des NSU in ihren Reihen gegeben hat. Die Antworten zeugen von Ahnungslosigkeit. Nirgends gibt es eine belastbare Statistik.

Berlin schreibt in umständlichem Bürokratendeutsch, das Merkmal Beruf werde gar nicht erfasst, wenn eine Anzeige aufgenommen werde. Es existiere "kein Automatismus", der sicherstelle, dass politisch motivierte Straftaten von Polizeibeamten "der für die Prüfung von Disziplinarmaßnahmen zuständigen Dienststelle zur Kenntnis" gegeben würden. Kein Automatismus – das soll wohl heißen: Die Ermittler entscheiden selbst, ob und wem sie einen Verdacht weitergeben. Und was sie lieber unter Verschluss halten.

Auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es keine Erhebungen zum Rechtsextremismus in der Polizei, Hessen und Thüringen antworten gar nicht erst, andere Bundesländer listen Einzelfälle auf.

Zählt man diese Fälle zusammen, die elf der 16 Bundesländer liefern, gab es dort in den vergangenen neun Jahren 42 Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte wegen Verdachts auf Rechtsextremismus.

42 Fälle in neun Jahren – angesichts dieser Angabe könnte man meinen, Rechtsextremismus komme in der deutschen Polizei praktisch nicht vor.

Vor knapp zwei Monaten allerdings nannte der hessische Innenminister in einer Sitzung im Landtag auf mehrmaliges Nachfragen hin eine Zahl, die eine andere Geschichte erzählt. In Hessen hatte man nämlich nach den Drohungen gegen Seda Başay-Yıldız etwas genauer hingesehen. Das Ergebnis: 38 Disziplinarverfahren gegen mutmaßlich rechtsradikale Beamte in nur vier Monaten.

Offensichtlich klafft zwischen der Außendarstellung der Behörden und der Wirklichkeit eine Lücke.

Hans Soltau erlebt das jeden Tag. Weil der Polizeibeamte frei reden möchte, kann hier weder sein richtiger Name noch die Großstadt genannt werden, in der er seit Jahrzehnten arbeitet.

Unweit vom Hauptbahnhof nimmt er an einem Restauranttisch Platz. Eine massive Säule im Speisesaal dient als Sichtschutz nach draußen. Soltau erzählt von Kollegen, die nachts so lange durch das Rotlichtviertel fahren, bis sie einen ausländisch aussehenden Menschen finden, der angetrunken ist. Der sich von ihnen provozieren lässt und zurückpöbelt. Dieses "Opfer" würde dann auf der Wache den Kollegen wie eine Trophäe präsentiert. Ein Flüchtling, ein Araber, ein Nichtweißer weniger auf der Straße. Wenigstens für eine Nacht.

Jeden Morgen um neun Uhr treffen sich auf Soltaus Wache die Kollegen zu einem Lagebericht über die Straftaten vom Vortag. Normalerweise gebe es in seinem Abschnitt etwa 17 bis 20 Ladendiebstähle pro Tag. Die meisten würden von Deutschen begangen, etwa von drogenabhängigen Obdachlosen. Als besonders bemerkenswert vorgestellt werde aber fast immer nur der eine Fall, in dem der Täter nicht deutscher Herkunft sei oder am besten – ein Asylbewerber. "Erfolg", sagt Soltau, "wird bei uns daran gemessen, wie viele Migranten möglichst hart bestraft werden können."

Hans Soltau ist froh, bald in Rente zu gehen.

Die Anwältin Seda Başay-Yıldız erhält nach dem 2. August 2018 weitere Drohschreiben. Das zweite erreicht sie vier Tage vor Weihnachten, die Absender haben anscheinend genau verfolgt, dass es Durchsuchungen auf der Wache an der Frankfurter Zeil gegeben hat. Ihr sei "offensichtlich nicht bewusst, was Du unseren Polizeikollegen angetan hast", heißt es in dem Schreiben. Diesmal nennen die Absender nicht nur den Namen von Başay-Yıldız' Tochter, sondern auch den ihres Vaters und ihrer Mutter. Der Text endet mit: "Heil Hitler, Du Türken-Sau!"

Die Polizei wird später davon ausgehen, dass die Daten aus derselben Meldeabfrage im Polizeicomputer wie jene aus dem August 2018 stammen. Wieder wird das Schreiben über einen Faxdienst verschickt, wieder ist eine Rückverfolgung nicht möglich.

Die Hauptbeschuldigte Miriam D. bestreitet, die Daten abgefragt zu haben. Die anderen Beamten schweigen zu den Vorwürfen. Wie die ZEIT aus Ermittlerkreisen erfuhr, geht man dort zwar davon aus, dass die Schreiben von Polizisten, vermutlich direkt von der Frankfurter Dienststelle, verschickt wurden, der zweifelsfreie Nachweis aber werde ohne Zeugenaussagen kaum zu führen sein. "Die Täter haben gute Chancen, nicht erwischt zu werden", heißt es. Die Strafverfolger sind zunehmend frustriert.

Seda Başay-Yıldız hat in den vergangenen Monaten oft zu rekapitulieren versucht, wie sie ins Visier der Rechtsradikalen geraten konnte. Lag es daran, dass sie während der NSU-Affäre die Ermittler kritisiert hatte? Oder daran, dass sie einmal in einem Interview gefragt hatte, was man denn noch alles tun müsse, um in Deutschland als Deutsche betrachtet zu werden und nicht als Türkin? Oder daran, dass sie mehrere Islamisten verteidigt hat?

Mitte Januar folgt das dritte Fax, zwei Tage später, am 16. Januar, das vierte. Die Verfasser drohen Başay-Yıldız, sie werde ihren tunesischen Mandanten "nie wieder" sehen. Und als wollten sie beweisen, wie viel sie über Başay-Yıldız und ihre Familie wissen, nennen die Absender diesmal auch die Geburtsdaten ihrer Eltern. Am "Tag X" sei sie fällig. Gezeichnet: "SEK Frankfurt, der Einsatzleiter".

Wenn ein, sagen wir, rechtsradikaler Tischler oder Ingenieur, straffrei davonkommt, weil ihm die Justiz kein Vergehen nachweisen kann, hat er nichts weiter zu befürchten. Sein Arbeitgeber kann ihm nichts anhaben. Bei rechtsradikalen Polizisten ist das anders. Wie alle Beamten können sie aus dem Staatsdienst entlassen werden, wenn sie sich offen gegen diesen Staat stellen.

So wie die beiden Polizisten, von denen Dieter Romann im Bundestag berichtet.

Romann ist der Präsident der Bundespolizei. Im Februar 2019 muss er – neben anderen hochrangigen Beamten – im Innenausschuss des Deutschen Bundestags Rede und Antwort stehen. In dieser nicht öffentlichen Sitzung erzählt Romann von einer Begebenheit Ende August 2018.

Damals sitzen im oberbayerischen Rosenheim mehrere Männer auf der Terrasse einer Gaststätte. Sie trinken und reden, und was sie da reden, klingt nicht sehr freundlich. Fremdenfeindliche Äußerungen seien gefallen, sagt Romann, einer der Männer soll den Arm zum Hitlergruß gehoben haben. Ein anderer Gast ruft die Polizei. Als die Beamten eintreffen und die Personalien aufnehmen, stellen sie fest: Sie haben es mit Kollegen zu tun, zwei Beamten der Bundespolizei, 44 und 55 Jahre alt, abgeordnet nach Rosenheim für Grenzkontrollen. "Drei Stunden später wurde einem Beamten die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt", sagt Dieter Romann im Innenausschuss. Vier Tage darauf sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, inzwischen sei der Beamte vorläufig des Dienstes enthoben, "unter Einbehalt eines Großteils seiner Bezüge". Romann will deutlich machen: Wir tun etwas!

Wenn es nur immer so einfach wäre. In der Realität passiert es sehr selten, dass rechtsradikale Polizisten tatsächlich aus dem Staatsdienst entfernt werden – und wenn doch, dann meist am Ende eines langwierigen und komplizierten Prozesses.

Das zeigt der Fall des Berliner Polizeikommissars Andreas T., der 2007 im Zuge von Ermittlungen in der Neonazi-Szene aufgefallen war. T. soll an der Erstellung von Rechtsrock-CDs mit volksverhetzenden Texten beteiligt gewesen sein. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Polizisten Fotos, auf denen ihr Kollege den Hitlergruß zeigte. Der Kommissar hatte sich seine rechtsextremen Überzeugungen sogar in die Haut stechen lassen: Wolfsangel, Odal- und Sigrune, das Logo der Neonazi-Band Skrewdriver. Sein Körper war ein wandelndes rechtsextremes Werbebanner.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Andreas T. wegen Volksverhetzung. Vier Jahre zog sich das Verfahren hin, am Ende reichten die Beweise nicht für eine Verurteilung. Erst danach erhob das Land Berlin eine Disziplinarklage gegen den Beamten, um ihn aus dem Polizeidienst zu entfernen. Doch sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht lehnten T.s Entlassung ab. Rechtsradikale Tätowierungen zu tragen sei noch kein verfassungsfeindliches Verhalten, so die Begründung.

Erst das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verwarf dieses Urteil. Es stellte 2017 in einer Grundsatzentscheidung klar: Ein Beamter, der sich mit einer verfassungsfeindlichen Einstellung "derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt, ist nicht tragbar". T. musste den Polizeidienst verlassen. Zehn Jahre, nachdem er erstmals auffällig geworden war. Zehn Jahre, in denen er zwar vom Dienst suspendiert war, aber weiterhin sein volles Beamtengehalt erhalten hatte.

Pirna, 2015: Ein Bundespolizist weigert sich, einen Strafzettel zu bezahlen. Sein Personalausweis sei gegenstandslos, er sei nicht deutscher Staatsangehöriger, sondern Deutscher mit Staatsangehörigkeit im "Königreich Sachsen".

Trier, 2018: Das Verwaltungsgericht entfernt einen Polizisten aus dem Dienst, der einer Kollegin über WhatsApp ein E-Book mit dem Titel Die BRD GmbH empfohlen und den Polizeipräsidenten als "Bandenführer" bezeichnet hatte.

Göttingen, 2018: Auch hier wird eine Beamtin aus dem Dienst entfernt. Sie hatte beim Einwohnermeldeamt für sich und ihre Tochter "Staatsangehörigkeitsausweise" beantragt. Als Geburtsland nannte sie: das "Königreich Preußen".

Die Argumentation dieser Beamten war die der sogenannten Reichsbürger, einer rechten Gruppierung, die den deutschen Staat ablehnt. Und mit ihm seine Institutionen: die Ämter, die Regierung – und die Polizei. Wie kann ein Polizist "Reichsbürger" sein? Wie kann er den Staat nicht anerkennen, für den er arbeitet? Die "Reichsbürger" werden seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. Allein in Bayern wurden seither 18 Disziplinarverfahren gegen Beamte eröffnet, die als "Reichsbürger" gelten.

Strafverfahren haben schlimmstenfalls eine Gefängnisstrafe zur Folge, Disziplinarklagen die Entfernung aus dem Staatsdienst. Das Problem in der Praxis ist in beiden Fällen das gleiche: Vorgesetzte müssen gegen ihre eigenen Mitarbeiter aussagen, Kollegen gegen Kollegen. Loyalität und Sympathie behindern die Aufarbeitung. Einige Bundesländer haben inzwischen externe Beschwerdestellen eingerichtet, doch letztlich bleibt es dabei: Polizisten ermitteln gegen Polizisten – oder eben nicht.

Am Ende werden die auffällig gewordenen Beamten oftmals einfach nur in eine andere Dienststelle versetzt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Rafael Behr ist Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, seit Jahrzehnten erforscht er das Innenleben der Polizei. Behr neigt nicht zu Alarmismus, er glaubt nicht, dass die Bundesrepublik dabei ist, sich in einen rechten Polizeistaat zu verwandeln. Was er aber feststellt, ist, dass sich an vielen Stellen innerhalb der Polizei "rechtsorientierte subkulturelle Milieus" gebildet hätten. Parallelgesellschaften.

Behr hat beobachtet, dass diese Männer – es sind deutlich mehr Männer als Frauen – nicht als Rechtsextremisten in die Polizei aufgenommen werden, sondern sich innerhalb des Polizeidienstes radikalisieren. Einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leiste die AfD, die in Polizeikreisen viele Unterstützer findet.

Der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag gehören derzeit vier aktive und ein ehemaliger Polizist an, mehr als jeder anderen Fraktion. Auch bei den drei im Herbst anstehenden Landtagswahlen im Osten bewerben sich Polizisten für die AfD um Mandate: fünf in Thüringen, zwei in Sachsen, einer in Brandenburg.

Die AfD ist eine legale Partei, auch Polizisten dürfen ihr beitreten und sich in ihrem Namen für politische Ämter bewerben. Zweifel an den rechtsstaatlichen Überzeugungen einzelner Kandidaten drängen sich dennoch auf.

In Thüringen steht der Polizeikommissar Torsten Czuppon aus Sömmerda auf der AfD-Liste für die Landtagswahl. Auf seiner Facebook-Seite zeigt er Fanartikel des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Der lässt Drogensüchtige, Dealer und Kriminelle ohne Gerichtsverfahren exekutieren.

In Brandenburg kandidiert der Bundespolizist Wilko Möller für die AfD. Er hatte auf Facebook ein Bild von sich selbst als jungem Mann gepostet, er trägt Tarnjacke und Waffe, auf dem Bild steht: "Klagt nicht, kämpft". Ein Spruch, der mit den Fallschirmjägern der Wehrmacht in Verbindung gebracht wird.

In Sachsen möchte der Polizist Sebastian Wippel erneut für die AfD in den Landtag. Er hatte im August 2016 für Aufregung gesorgt, als er nach zwei Terroranschlägen in Süddeutschland bekundete, es sei bedauerlich, dass keine politisch Verantwortlichen unter den Opfern seien.

Geht es um rechtes Denken in der Polizei, steht kein Bundesland so sehr im Fokus wie Sachsen. Hier präsentierten Beamte öffentlich den "Survivor R", einen gepanzerten Truppentransporter des Spezialeinsatzkommandos (SEK), der auf den Sitzen Stickereien trug, die an NS-Symbolik erinnerten.

Hier trug ein SEK-Beamter auf seiner Uniform bei einer Demonstration von Linken ein Abzeichen mit einem von Odins Raben, einem von Neonazis gern verwendeten Zeichen aus der germanischen Mythologie.

Hier verpassten im vergangenen Herbst zwei Beamte einem SEK-Kollegen für einen Einsatz in Berlin den Alias-Namen "Uwe Böhnhardt". Der Polizist sollte – ausgerechnet – den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan beschützen.

Petric Kleine sitzt im März 2019 in seinem Büro in einem Funktionsbau am Dresdner Stadtrand. "Der Blick auf die Polizei in Sachsen ist berechtigt", sagt Kleine, "es gab diese Vorkommnisse." Seit 2017 ist er Präsident des Landeskriminalamts Sachsen. Von Beginn an stand er mit seiner Behörde unter Druck.

Am Tag nach Bekanntwerden des Böhnhardt-Skandals lässt Kleine die rund 70 Mitglieder des SEK antreten. Die beiden verantwortlichen Beamten wirft er aus der Eliteeinheit hinaus. Er droht gar mit der Auflösung des gesamten SEK. Außerdem lässt er die Diensträume des Kommandos durchsuchen und die Stickereien von den Kopfstützen des "Survivor" entfernen. Er scheucht Beamte über das LKA-Gelände, um nach verdächtigen Aufklebern auf den Autos von Mitarbeitern zu suchen. Er ordnet an, dass vor Einsätzen die Uniformen der SEK-Beamten auf unerlaubte Abzeichen kontrolliert werden.

Jetzt, in seinem Büro, atmet Kleine tief durch. Vor allem der "Fall Böhnhardt" beschäftigt ihn noch immer: "Das war an Blödheit nicht zu überbieten."

Blödheit. Es ist ein merkwürdiges Wort, das der LKA-Präsident da verwendet. Ist es wirklich nur Blödheit, wenn es zwei Polizeibeamte des SEK witzig finden, einem Kollegen den Alias-Namen eines rechtsterroristischen Mörders zu geben? "Ich unterstelle denen keine rechte Einstellung", sagt Kleine. Die Beamten seien schon lange Teil des SEK gewesen, sie hätten sich stets tadellos verhalten.

Kleine sagt, er brauche ein funktionierendes SEK. Bei Geiselnahmen und Terroranschlägen gehört es zur Aufgabe der Beamten, Leben zu retten.

Polizisten müssen sich im Ernstfall bedingungslos aufeinander verlassen können. Diesen Korpsgeist, der oft verhindert, dass Dinge nach außen dringen, möchte Kleine nutzen. Er wünsche sich für das LKA, dass die Kollegen aufeinander achten, rechtsradikale Tendenzen früh erkennen und ansprechen. Der Korpsgeist, der Teil des Problems ist, er soll auch Teil der Lösung werden.

Wer Missstände beseitigen will, muss sie erst einmal sehen. Der sächsische LKA-Präsident Petric Kleine sagt, er sehe sie. Auch der Bundespolizeipräsident Dieter Romann sagt das, der BKA-Präsident Holger Münch ebenfalls. Aber hatte man nicht schon nach dem NSU-Desaster gehofft, dass das Problem erkannt wird?

Zumindest innerhalb der Polizeiausbildung, da sind sich alle Fachleute einig, sei es gelungen, das Gespür für demokratische Werte zu schärfen. Wer dort – noch vor der Verbeamtung – mit rechten Äußerungen auffällt, wird sofort rausgeworfen.

Ungleich schwerer scheint es zu sein, jene Polizisten zu erreichen und zu kontrollieren, die Tag für Tag mit den Abgründen der Gesellschaft konfrontiert sind. Die Basis des Polizeiapparats. Hier kann der Befund nur lauten, dass ein tief greifender Wandel in der Behörde bisher nicht stattgefunden hat. Obwohl er dringend nötig wäre. Für Armin Schuster, Polizist und Bundestagsabgeordneter der CDU, ist dies eine Frage der "gesellschaftlichen Hygiene". Schuster sagt: "Jeder Polizist ist Botschafter für das Demokratieverständnis in unserem Land".

Wie kann es sein, dass rechte Umtriebe unter Polizisten nicht systematisch erfasst werden?

Wie soll sich etwas ändern, wenn es keine Regeln dafür gibt, wie mit solchen Vorfällen umzugehen ist?

Wie sollen die Bürger, die mit ihrem Steuergeld das Gehalt jedes Polizeibeamten finanzieren, Vertrauen haben in eine Behörde, in der es Menschen gibt, die nur einen Teil der Bevölkerung beschützen wollen?

Zumindest in Hessen hatte der Polizeiskandal um die Drohungen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız Konsequenzen. Auf den Polizeicomputern ist ein Zufallsgenerator installiert worden, der bei Abfragen von Einwohnermeldedaten detaillierte Gründe für die Nachforschung verlangt. Eine unabhängige Ombudsstelle soll künftig Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten entgegennehmen.

Es ist ein Anfang. In einem von 16 Bundesländern.

Seda Başay-Yıldız hat in einem Aktenordner mit der Aufschrift "privat" all ihre Briefe abgelegt, auch die Drohbriefe. Die Aufschrift trifft es nicht wirklich, die Drohungen sind nicht "privat", sondern hochpolitisch, sie richten sich an Başay-Yıldız, aber sie treffen die freie Gesellschaft als Ganzes.

Bis zu dieser Affäre hatte die Anwältin noch nie Anzeige erstattet, egal, wie unflätig die Menschen ihr gegenüber waren. Aber diesmal war eine Grenze überschritten. Neulich meldete sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei ihr und bat um ein Treffen. Er wollte ihr Mut zusprechen.

Mittlerweile hat das hessische Landeskriminalamt 60 Beamte beauftragt, ihren Fall und weitere rechtsextreme Umtriebe in der hessischen Polizei zu untersuchen. Solche Sonderkommissionen werden sonst vor allem bei Terroranschlägen, Amokläufen oder Mordserien zusammengestellt. Diesmal kämpfen die Beamten gegen einen Feind im Inneren.


Aus: "Rechtsextremismus: Wie rechts ist die Polizei?"
Mohamed Amjahid, Kai Biermann, Christian Fuchs, Astrid Geisler, Luisa Hommerich, Anne Kunze, Henrik Merker, Yassin Musharbash, Daniel Müller, Karsten Polke-Majewski, Holger Stark, Frida Thurm, Sascha Venohr und Fritz Zimmermann (8. Mai 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/2019/20/rechtsextremismus-polizei-rassismus-diskriminierung-beamte-hitlergruss/komplettansicht

Quotenimue14 #1.44

"Die Polizei nun pauschal durch Rechtsextremismus-Anwürfe zu diskreditieren halte ich nicht nur für unverschämt gegenüber allen Polizisten"

Manchmal hilft es, den ganzen Artikel zu lesen.

S.3: 'Tatsächlich denkt zweifellos nur eine kleine Minderheit der deutschen Polizisten rechtsradikal. Tatsächlich ist es nur eine kleine Minderheit, die Ausländer grundsätzlich für kriminell hält. Tatsächlich zeigen sich viele Polizisten gegenüber der ZEIT entsetzt über die Vorfälle in den eigenen Reihen. '

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man nicht die ganze Polizei meint, aber genau so wenig die rechten Auswüchse zu tolerieren gedenkt. Wer sich daran stört, muss, glaube ich, über sich selbst nachdenken.


QuoteMU-MAX #1.23

Die Polizei ist deutlich rechter als die Gesellschaft und alle wissen es oder wollen es nicht wissen. In Sachsen haben diverse Beamte im Vertrauen bekannt gegeben, dass etwa 1/3 der Polizei rechtsradikal sind. Das Problem ist aber nicht zuerst deren rechtsradikale EInstellung, sondern deren rechtsradikale (Straf)Taten und die Verhinderung der Verfolgung dieser Taten durch die eigenen Kolleginnen und Kollegen. Dabei sticht die Polizei nämlich aus der Gesellschaft massiv heraus:
Kaum eine Anzeige gegen Polizisten führt zu Ermittlungsverfahren und von denen werden wiederum fast alle eingestellt. Verurteilungen sind die absolute Ausnahme (und dann ist das Urteil in der Regel milder als bei "normalen" Menschen). Und wenn dass dann auch noch bei staatsfeindlichen Umtrieben geschieht, dann ist das nicht in irgendeiner Weise relativierbar oder entschuldbar, sondern ein ernstes Problem dieses Staates.


QuoteKlaus Lachshammer #1.31

Da Polizisten ebenso den Querschnitt der Bevölkerung bilden

Es ist schlicht nicht wahr, dass Polizisten den Querschnitt der Bevölkerung bilden. Die Polizei ist und war schon immer im Schnitt deutlich rechter als die durchschnittliche Bevölkerung, was auch vollkommen logisch ist, zieht der Job doch ein bestimmtes Klientel an, das Freude an Law and Order hat.

Nennen Sie mir doch mal ein paar Fälle von linksradikalen Polizisten. ... Wo sind diese Fälle?


Quoteceasar56 #1.43

Jede pauschale Anklage gegen eine Gruppe ist immer diskriminierend für das Individuum und insofern falsch. Unsere Polizei ist deshalb nicht Rechts oder Rechtsradikal. Aber es ist schon nachdenkenswert welche Menschen sich überhaupt für den Ordnungsberuf für geeignet halten - Law and Order Mentalität - und welche Erfahrungen diese Menschen dann machen. Sie sehen nur die Ausländer, die auffällig werden, die agressiv sind, die ihren Gaststatus missbrauchen. Die friedlichen, fleißigen, ihr Schicksal annehmenden sehen sie nicht. Es ist schwer dann differenziert zu bleiben, zumal dann, wenn ihr Dienstherr nichts gegen diese Tunnelwahrnehmung unternimmt.  ...


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