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[Umweltschutz | Naturschutz | Umweltgefährliche Stoffe (Ökotoxikologie) ... ]

Started by Link, July 22, 2018, 11:36:20 AM

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Quote[...] Am 20. Mai berieten die EU-Handelsminister im Rahmen des Rates für Auswärtige Angelegenheit über das EU-Mercosur-Abkommen. Derzeit unterstützt die Bundesregierung die Bestrebungen der EU-Kommission, das umstrittene Vorhaben durch ein Zusatzabkommen zu retten. Dagegen protestiert ein Bündnis aus Umweltschutz-, Landwirtschafts- und Menschenrechtsorganisationen. In einem gemeinsamen Aufruf forderten die Organisationen die Bundesregierung auf, das geplante Handelsabkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zu stoppen.

Mit dessen Inkrafttreten werden nicht nur die billigen Fleischimporte befeuert und weiterhin Regenwald zerstört, sondern europäischen Herstellern von Pestiziden werden auch bessere Absatzmärkte verschafft. Über Laboranalysen konnte die Umweltorganisation Greenpeace nachweisen, dass die in der EU verbotenen Wirkstoffe über das Obst nach Deutschland zurückkommen.

Im April und im Mai diesen Jahres hatte ein Greenpeace-Team Mangos, Limetten, Papayas, Melonen und Feigen aus Brasilien in Discountern und Supermärkten und Feinkostläden in ganz Deutschland eingekauft. Anschließend wurde das Obst in einem akkreditierten, unabhängigen Labor auf Rückstände von Schadstoffen untersucht. Das Ergebnis war alarmierend: Von 70 getesteten Papayas, Mangos, Melonen, Limetten und Feigen enthielten 59 Proben Rückstände von insgesamt 35 verschiedenen Pestizidwirkstoffen.

Mehr als die Hälfte der Proben war mehrfach belastet, auf manchen fanden sich bis zu neun verschiedene Pestizide. Vier Proben überschritten die zulässigen Höchstmengen. Analysiert wurden sowohl die Schale als auch das Fruchtfleisch. Darüber hinaus fanden sich in den Proben vier Desinfektionsmittel und 21 Wirkstoffe, die auf der Liste der giftigsten Pestizide der Organisation PAN (Pesticide Action Network International) vom März 2021 in der Kategorie "hoch gefährliche Pestizide" (Highly Hazardous Pesticides, kurz: HHP) geführt werden. Lediglich elf von 70 Früchten waren pestizidfrei. Elf der gefundenen Wirkstoffe sind in der EU nicht erlaubt. Einige werden von Bayer beziehungsweise von BASF vertrieben.

Mit 41 Prozent stellten Insektizide und Akarizide den größten Teil der nachgewiesenen Pestizide, dicht gefolgt von den Fungiziden mit 38,5 Prozent. Insektizide sind für fast alle Insekten tödlich, auch für Nützlinge, wie zum Beispiel Bienen. Auch für Menschen sind Fungizide und Insektizide gefährlich. Dabei hängt der Grad der Gefährlichkeit nicht nur von den gefundenen Rückstandsmengen und deren Giftigkeit ab. Entscheidend ist auch, ob sich in der Schale oder im Fruchtfleisch Rückstände finden. Ungeklärt ist noch, ob sich bei Mehrfachbelastungen in einer Probe die gesundheitlichen Auswirkungen gegenseitig beeinflussen.

Sieben der gefundenen Wirkstoffe finden sich in Produkten, die die BASF in Brasilien vertreibt. Zwölf Wirkstoffe sind in Handelspräparaten von Bayer in Brasilien zugelassen, darunter solche, die als hochgefährlich eingestuft werden und in der EU nicht zugelassen sind. Insgesamt 19 der festgestellten Wirkstoffe werden sowohl von Bayer als auch von der BASF in Brasilien vertrieben.

Mehr als zwei Drittel der Wirkstoffe, die deutsche Unternehmen in Brasilien verkaufen, sind als hochgefährliche Chemikalien einzustufen. In den armen Ländern Südamerikas vergiften sie Böden und Wasser, töten Pflanzen und Tiere - und gefährden die Gesundheit der Menschen, die ihnen ausgesetzt sind. Von den insgesamt 16 EU-Mitgliedsländern, die im Jahr 2019 Pestizide im Wert von mindestens 915 Millionen Euro in die Mercosur-Länder exportierten, liegt Deutschland immerhin auf Platz Drei der Top-Exporteure.

BASF und Bayer wiesen die Vorwürfe weit von sich: Alle Pflanzenschutzprodukte würden ausführlich getestet, evaluiert und von den Behörden auf Basis der in den jeweiligen Ländern geltenden offiziellen Richtlinien zugelassen, bevor sie verkauft werden. So verkaufe die BASF die Pflanzenschutzmittel nur, wenn sie die Anforderungen des internationalen Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erfüllten, wird eine BASF-Sprecherin in der Frankfurter Rundschau zitiert.

Bayer verkaufe bereits seit 2012 keine Pflanzenschutzmittel mehr, die von der WHO als "besonders toxisch" eingestuft seien. Man habe sich seit 2016 dazu verpflichtet, nur Pflanzenschutzprodukte zu vertreiben, deren Wirkstoffe in mindestens einem OECD-Industrieland registriert sind. Zudem verfüge Brasilien über strenge Zulassungsbestimmungen. So seien zahlreiche in Brasilien verbotene Pflanzenschutzmittel in der EU zugelassen.

Auch andere Chemiekonzerne wie Syngenta sind gut im Geschäft - zum Beispiel in Indien. Offiziell erfolgen Herstellung und Export gefährlicher Pestizide unter hohen Sicherheitsauflagen. Chemikalien würden "verantwortungsbewusst" und unter den richtigen Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt, durch Befolgen aller Anweisungen, dem Tragen persönlicher Schutzausrüstungen sowie ordnungsgemäßer Lagerung, Anwendung und Entsorgung. Doch viele Landwirte können die Sprache, in der die Etiketten gedruckt sind, nicht lesen. So fehlt ihnen zum Einen schlicht die Information über die Gefahren. Zum Andern fehlt häufig die notwendige Schutzausrüstung.

Zum Beispiel in Yavatmal im indischen Bundesstaat Maharashtra: Hier leben tausende arme Bauern mit geringer Schulbildung vom Baumwollanbau. Zwischen Juli und Oktober 2017 hatten sich in Vidarbha, einer Region im Osten von Maharashtra, mehr als fünfzig Männer beim Ausbringen von Pestiziden tödlich vergiftet. Insgesamt sollen in Yavatmal mehr als 800 Bauern oder Landarbeiter wegen akuter Vergiftungen ins Spital eingeliefert worden sein, nachdem sie Pestizide versprüht hatten. Mehrere Hundert von ihnen erblindeten vorübergehend. Mindestens 65 Menschen starben infolge des Versprühens von Insektiziden. Genutzt hatten sie das Produkt "Polo" - allein oder im Mix mit anderen Produkten.

Grundlage des Insektizids ist der Wirkstoff Diafenthiuron, der als Gefahr für die menschliche Gesundheit eingestuft wird. Er kann bereits beim Einatmen Organschäden verursachen. Wegen der schädlichen Auswirkungen auf menschliche Gesundheit und Umwelt wurde das Produkt in der Schweiz vom Markt genommen und auf der Liste der verbotenen Pestizide aufgeführt. Dennoch wird es von der Hersteller-Firma Syngenta in andere Länder weiterverkauft.

Ein Team der konzernkritischen Schweizer Organisation Puplic Eye kam nach einer Befragung von Betroffenen vor Ort zu dem Schluss, dass viele der Baumwollbauern das Syngenta-Pestizid Polo in Kombination mit unterschiedlichen anderen Insektiziden, Fungiziden, Wachstumsreglern versprüht hatten. Welche spezifische Substanz oder welche Kombination von Substanzen zu welchen Teilen für ihre Vergiftungen verantwortlich war, war im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen.

Das bedeutet keinesfalls, dass das Produkt Polo harmlos ist, wie sich im Fall von Hiroman Soyam zeigt: Der Bauer hatte das Produkt in Reinform mit Wasser angerührt. Am nächsten Tag wachte er mit geschwollenem Gesicht, Brustschmerzen, Fieber und Durchfall auf. Nach mehrtägiger Behandlung im Krankenhaus ist er bis heute zu schwach zum Arbeiten.

Immer wieder kommt es in Indien zu Vergiftungen durch Pestizide, erklärt Dr. Narasimha Reddy. So kamen 2002 in Warangal im Staat Telangana etwa 50 Bauern ums Leben. Rund 500 Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Verantwortlich sind multinationale Agrarkonzerne, die diese Produkte vermarkten. Die Konzerne haben damals genauso weggeschaut wie die indische Regierung im Fall der Tragödie, die sich in Yavatmal abspielte, erklärt der Direktor des Pesticide Action Networks India.

Es gebe keinen sicheren Weg, die Giftstoffe auszubringen. In Indien liegen die Felder direkt neben den Siedlungen. Selbst wenn die Bauern durch Schutzanzüge geschützt wären, geraten die Giftstoffe in den Wasserkreislauf. Ein Verbot wäre die einzige Lösung. Nur abschreckende Strafen können multinationale Firmen daran hindern, mit Falschbehauptungen und auf Kosten von Leben und Nachhaltigkeit Profit zu erwirtschaften, glaubt Kavitha Kuruganti, die nach der Vergiftungswelle in der Region eine Recherche nach den Ursachen angestoßen hatte. Längerfristig müsse sich Indien von der Chemie in der Landwirtschaft verabschieden, fordert die indische Landwirtschaftsaktivistin und Sprecherin der "Allianz für nachhaltige und ganzheitliche Landwirtschaft". Die indischen Bauern kämen auch ohne die Produkte von Syngenta gut zurecht.

Der Wirkstoff Paraquat ist im Unkrautvernichter Gramoxone enthalten und wird, seit dieser von der britischen Firma Imperial Chemical Industries (ICI) 1962 auf den Markt gebracht wurde, auf Reisfeldern in allen Weltregionen ausgebracht. ICI gehört seit den 1990er Jahren zu Zeneca und ist seit 2000 ein Teil von Syngenta. Obwohl die Verwendung des Herbizids sowohl in Grossbritannien wie in der Schweiz verboten ist, exportiert der Schweizer Konzern jedes Jahr Tausende Tonnen Paraquat aus seinem Werk in Nordengland.

Glaubt man Michael Eddleston, Professor für klinische Toxikologie an der Universität Edinburgh, verstarben im Laufe der letzten Jahrzehnte zehntausende Menschen in Ländern aller Weltregionen an Paraquat. Die Beigabe eines Brechmittels konnten die tödlichen Vergiftungen nicht verhindern. Doch Syngenta und seine Vorgänger ignorierten wiederholt die Warnungen ihrer eigenen Wissenschaftler, kritisiert Public Eye. Sie lehnten die flächendeckende Einführung von sichereren Paraquat-Produkten vehement ab, weil sie darin keine wirtschaftlich akzeptable Lösung sahen. Mittlerweile reichte eine Gruppe von Bauern und Bäuerinnen in den USA, die Paraquat für ihre Parkinsonerkrankung verantwortlich machen, eine Klage gegen den Hersteller Syngenta ein.

Mit dem Handel von Pestiziden machen Chemiekonzerne weltweit große Geschäfte. Gleichzeitig werden Jahr für Jahr Millionen Menschen weltweit Opfer von Pestizidvergiftungen. Die Gifte belasten nicht nur Böden und Gewässer, sondern schaden vor allem auch den Menschen, die sie anwenden. Sie schwächen bestäubende Insekten wie Bienen, die insbesondere durch Neonikotinoide gefährdet sind. Ist der Organismus der Biene einmal durch Agrochemikalien geschwächt, haben Varroamilben leichtes Spiel, wie Schweizer Insektenforscher herausfanden.

Was die Pestizid-Exporte angeht, sollte ein 2019 veröffentlichter Faktencheck von PAN Germany Licht ins Dunkel bringen. Mit einer Unterschriftenaktion fordert die Initiative Campact e. V. deutsche Chemiekonzerne wie Bayer und BASF auf, den Export von Pestiziden nach Afrika, Asien und Lateinamerika zu beenden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stelle die Interessen weniger deutscher Großkonzerne über die Gesundheit der Menschen und den Umweltschutz, kritisiert Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. Tritt das geplante EU-Mercosur Abkommen in Kraft, werden auch die Zölle auf Pestizide aufgehoben. Das wiederum dürfte den Handel mit den in der EU verbotenen giftigen Pestiziden aus Deutschland befeuern. Vor diesem Hintergrund fordert Greenpeace den Wirtschaftsminister auf, das Mercosur-Handelsabkommen zu stoppen. (Susanne Aigner)


Aus: "Wenn Rückstände von Giftexporten in Südfrüchten zurückkehren" Susanne Aigner (30. Mai 2021)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Wenn-Rueckstaende-von-Giftexporten-in-Suedfruechten-zurueckkehren-6057256.html?seite=all

https://www.gerechter-welthandel.org/2021/05/20/zivilgesellschaftliche-organisationen-fordern-den-stopp-des-geplanten-eu-mercosur-abkommens-und-eine-kehrtwende-in-der-eu-handelspolitik/

https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/giftiger_handel_greenpeace.pdf

http://pan-international.org/wp-content/uploads/PAN_HHP_List.pdf

https://www.fr.de/wirtschaft/greenpeace-pestizide-gift-supermarkt-obst-brasilien-mango-melone-mercosur-90652437.html


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Quote[...] Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland verurteilt, weil jahrelang in vielen Städten die Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid erheblich überschritten wurden. Die Bundesrepublik habe damit EU-Recht gebrochen, entschieden die höchsten EU-Richter am Donnerstag in Luxemburg. Hintergrund ist eine Klage der EU-Kommission. Sie bezieht sich auf die Jahre 2010 bis 2016. (Rechtssache C-635/18)

Mit dem Urteil gegen die Bundesrepublik sind neue Auflagen zum Beispiel für Dieselfahrzeuge an bestimmten Orten nicht ausgeschlossen. Allerdings hat sich die Luftqualität in deutschen Städten zuletzt verbessert, unter anderem wegen der Corona-Krise. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums waren 2016 in 90 Städten die Grenzwerte teils deutlich überschritten worden. Seither sei die Zahl jedes Jahr gesunken. 2019 waren es den Angaben zufolge noch 25, im Corona-Jahr 2020 dann sechs, darunter München und Hamburg.

Die EU-Kommission hatte die Klage gegen Deutschland 2018 beim obersten EU-Gericht eingereicht. Sie begründete dies damals damit, dass die seit 2010 in der EU gültigen Jahresgrenzwerte für Stickstoffdioxid in 26 Gebieten systematisch und fortdauernd überschritten worden seien. Dazu gehörten Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. In zwei Gebieten seien auch Stundengrenzwerte nicht eingehalten worden.

Den Argumenten folgte der EuGH jetzt. Deutschland habe dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Luftreinhalterichtlinie verstoßen, ,,dass keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, um ab dem 11. Juni 2010 in allen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten", erklärte das Gericht.

Der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid liegt bei 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Daneben gibt es einen Ein-Stunden-Grenzwert von 200 Mikrogramm, der nicht öfter als 18-mal pro Jahr überschritten werden darf. Stickstoffdioxide entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen sowohl in Motoren als auch in Öfen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. Sie gelten unter anderem für Asthmatiker als schädlich.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte schon vorab erklärt, der Richterspruch aus Luxemburg habe ,,grundlegende und weitreichende Bedeutung im Kampf für die saubere Luft". Der Verband bedauerte allerdings, dass das Urteil erst mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten der Grenzwerte komme. Die DUH habe seit 2011 in insgesamt 40 Städten und neun Bundesländern geklagt und Maßnahmen wie Dieselfahrverbote, die Nachrüstung von Bussen, die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, Fahrrad- und Fußverkehr sowie Tempo 30 durchgesetzt. (dpa)


Aus: "Europäischer Gerichtshof verurteilt Deutschland" (03.06.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/-zu-schmutzige-luft-in-staedten-europaeischer-gerichtshof-verurteilt-deutschland/27252366.html

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Quote[...] Eigentlich wollten die Forschenden um Jon Hawkings vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und der Florida State University herausfinden, welchen Einfluss Nährstoffe im Wasser des schmelzenden Grönlandeises für das Leben im arktischen Ozean und die Umwelt haben.

Dabei machten sie eine unerwartete Entdeckung: Bei der Analyse des Wassers stießen sie auf extrem hohe Quecksilberkonzentrationen. Die Werte seien vergleichbar mit denen in industriell stark belasteten Flüssen in China, schreiben die Forschenden im Fachjournal ,,Nature Geoscience".

In den Schmelzwasserflüssen des südwest-grönländischen Eisschildes fanden die Wissenschaftler:innen Werte von 150 Nanogramm gelöstem Quecksilber pro Liter – die Konzentrationen waren mindestens zehn Mal so hoch wie in durchschnittlichen Flüssen. Eigentlich liegt dieser Wert des hochgiftigen Stoffes in Flüssen bei 1 bis 10 Nanogramm. Ungelöste Quecksilberpartikel fanden die Forschenden sogar in Konzentrationen von mehr als 2000 Nanogramm pro Liter Schmelzwasser.

Insgesamt würden 42 Tonnen Quecksilber pro Jahr von den schmelzenden Gletschern in Südwestgrönland in die umgebenden Flüsse gespült – rund zehn Prozent des gesamten mit Flüssen ins Meer transportierten Quecksilbers weltweit. Die Forschenden schreiben, dass damit erhebliche Mengen des Schwermetalls in den arktischen Ozean gelangen.

So große Mengen des Schwermetalls hatten die Geolog:innen in der unberührten Umgebung Grönlands nicht erwartet. Sie schätzen die gefundenen Mengen als ,,global signifikant" ein. Denn aufgrund seiner toxischen Wirkung sei Quecksilber ein Thema von globaler Bedeutung.

,,Wir zeigen, dass die Konzentrationen von gelöstem Quecksilber zu den höchsten gehören, die in natürlichen Gewässern aufgezeichnet wurden, und dass die Quecksilberausbeute aus diesen um zwei Größenordnungen höher ist als aus arktischen Flüssen", so die Forschenden.

Die Frage ist nun, woher die giftige Substanz überhaupt stammt. Quecksilber kann aus Ablagerungen auf dem Eis durch Luftverschmutzung – etwa aus der Nutzung fossiler Brennstoffe oder aus anderen industriellen Quellen – ins Tauwasser gelangen.

Doch die Forschenden haben herausgefunden, dass die Konzentrationen von gelöstem Quecksilber in dem Schmelzwasser die gemessenen Werte der Substanz auf Oberflächenschnee und Eis übersteigen. Das Team hat eine andere Vermutung: ,,Unsere Ergebnisse deuten auf eine geologische Quelle von Quecksilber am Boden des Eisschildes hin."

Denkbar ist demnach, dass das Schwermetall aus dem Bodengestein unterhalb des Gletschers stammt und durch die Bewegung der abtauenden Eismassen freigesetzt wird. Das Eisschild zermahlt bei seiner Bewegung das unter ihm gelegene Felsgestein, womit auch Schwermetalle wie Quecksilber freigesetzt werden können.

Damit wäre der Mensch indirekt an dieser Umweltkatastrophe beteiligt, ist es doch die Erderwärmung, die das Schmelzen der Gletscher in der Arktis vorantreibt. Zudem sei es aber auch möglich, dass geothermische Prozesse unter dem Eisschild eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse zeigen, dass offenbar auch natürliche Schwermetallquellen auf Prozesse des Klimawandels reagieren können. Bislang wird weitgehend davon ausgegangen, dass die steigenden Konzentrationen von Quecksilber, die weltweit gemessen werden, in erster Linie von direkten Aktivitäten der Menschen – etwa der Industrie – stammen.

,,Aber Quecksilber, das aus klimatisch empfindlichen Umgebungen wie Gletschern stammt, könnte eine Quelle sein, die viel schwieriger zu handhaben ist", sagt Leitautor Hawkings. Die Ergebnisse könnten nun für Wissenschaft und Politik wichtig für den Umgang mit der Quecksilberverschmutzung sein.

Durch den starken Eintrag von Quecksilber in stromabwärts gelegene Fjorde sind Auswirkungen auf die arktischen Ökosysteme zu befürchten. Das Schwermetall kann sich in den Meeres- und Flusstieren als hochgiftiges Methylquecksilber anreichern und so über die Nahrungskette auch andere Tiere wie Robben und Möwen erreichen.

Über den Verzehr der Fische kann es auch Menschen betreffen, in den fischreichen Gewässern des Nordatlantiks werden große Mengen an Fisch – etwa Kabeljau und Heilbutt – gefangen. Vor allem könne das Gift auch die indigenen Einwohner Grönlands gefährden, die sich zum Großteil aus dem Meer und von Robbenfleisch ernähren, in dem sich Quecksilber besonders stark anreichert.

,,Die Entdeckung, dass Gletscher auch potenzielle Giftstoffe transportieren können, enthüllt eine besorgniserregende Dimension der Einflussnahme von Gletschern auf die Wasserqualität und auf flussabwärts gelegene Gemeinschaften", sagt Co-Autorin Jemma Wadham.

Das könne sich durch den Klimawandel noch weiter verändern. Weitere Untersuchungen dazu seien notwendig, um die Dynamik des Quecksilbers im Eisschildabfluss unter Bedingungen der globalen Erwärmung besser zu verstehen.

Die beiden Wissenschaftler Günter Köck, Mitglied der Österreichische Akademie der Wissenschaften, und Derek Muir (Environment and Climate Change Canada), die seit mehr als 20 Jahren Quecksilberkonzentrationen in Seen der kanadischen Arktis untersuchen, bezeichnen die Ergebnisse gegenüber dem Tagesspiegel als ,,durchaus dramatisch".

Tatsächlich seien die Quecksilberkonzentrationen im Abfluss der grönländischen Gletscher mindestens zehnmal höher als jene in Gletscherabflüssen auf der gegenüber Grönland gelegenen kanadischen Insel Ellesmere Island.

,,Da selbst diese niedrigeren Konzentrationen Auswirkungen auf das Ökosystem haben können, ist der Quecksilbereintrag durch das Abschmelzen der grönländischen Gletscher und seine Umwandlung in das hochgiftige Methylquecksilber sicherlich alarmierend", schreiben die Forscher, die an der Studie nicht beteiligt waren.

Angelika Humbert vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) bezeichnete die Studie als hochspannend: ,,Eine bisher ungewöhnliche Seite in der Betrachtung der Wechselwirkung zwischen Eisschilden und Menschen."

Aus der Sicht der Gletscherforschung sei interessant, dass Schmelzwasser an der Basis der Gletscher hier zum Transportmedium wird. ,,Es bilden sich unter dem Eisschild verschiedene Typen von hydrologischen Systemen, von einem dünnen Wasserfilm zwischen Eis und Festgestein, wassergesättigtem Sediment bis hin zu Kanälen, in denen Wassertransport auch schnell sein kann – Flüsse unter dem Eis", erklärt die Glaziologin.

Sie verweist auch auf andere Studien, die hohe Konzentrationen von Quecksilber in arktischen Gewässern nachgewiesen haben. ,,So faszinierend das ist, so bitter ist es auch: Quecksilber gelangt so ja in die Nahrungskette, die über Fische dann wiederum den Menschen beeinflusst", so Humbert.

Quecksilber ist eine biologisch kaum nützlich Substanz, die aber in Form diverser chemischer Verbindungen hoch giftig ist. Das Schwermetall reichert sich in der Nahrungskette an und wird durch den Verzehr von Fisch und Meeresfrüchten auch zu einer Gefahr für den Menschen.
Organischen Quecksilberverbindungen werden fast vollständig resorbiert und in fetthaltiges Gewebe eingebaut.

In arktischen Organismen wurden bereits zuvor hohe Werte an Quecksilber gemessen. Der Gehalt des Schwermetalls soll in Meeresorganismen dort in den vergangenen 150 Jahren stark angestiegen sein. Dass der Grönländische Eisschild dafür eine mögliche Quelle ist, wurde bislang nicht berücksichtigt.

Nun erweise sich die Arktis in doppelter Hinsicht als besondere Problemzone: ,,Über die Atmosphäre gelangen Staubteilchen und Aerosole in diese Region, und der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Arktis führen zu höheren Einträgen durch mehr und stärkere Schmelzwässer", schreiben die Autor:innen der Studie.



Aus: "Tonnenweise Schwermetall in Gletscherwasser" Jan Kixmüller (02.06.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/alarmierende-mengen-an-quecksilber-tonnenweise-schwermetall-in-gletscherwasser/27250326.html

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Quote[...] Frankfurt – Die Zähne tun weh, sie sind fleckig und ihre Oberfläche fühlt sich nicht mehr glatt an. Dabei könnte es sich um eine neue ,,Volkskrankheit" handeln. Fachleute warnen davor – und verweisen darauf, dass diese sowohl junge als auch alte Menschen betreffen kann. Es handelt sich um die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – auch Kreidezähne genannt.

Laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) sind bereits zehn bis 15 % aller Kinder davon betroffen. Bei Zwölfjährigen liegt dieser Wert sogar bei 30 %. Kreidezähne machen sich durch Schmerzen beim Essen, Trinken oder Zähneputzen bemerkbar. Hinzu kommt die optische Komponente: Es bilden sich weißliche, bräunliche oder gelbliche Stellen auf der Zahnoberfläche.

Das Phänomen entsteht, sobald eine Schicht des Zahnschmelzes zerstört wird, konkret: die Mineralisation. Die Ursachenforschung dazu ist längst nicht abgeschlossen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen die Notwendigkeit weiterer Studien auf diesem Feld. ,,Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung scheinen Weichmacher aus Kunststoffen zu spielen, die mit der Nahrung aufgenommen werden", teilt die DGZMK mit. Plastik ist also ein zentraler Faktor. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie Antibiotika, Dioxine oder Infektionskrankheiten.

Plastik scheint jedoch einen großen Anteil zu haben. Ein Weichmacher, der in zahlreichen Produkten enthalten ist, ist Bisphenol-A – kurz: BPA. BPA ist eines der am häufigsten verwendeten Chemikalien. ,,Bisphenol A ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass es in sehr vielen Produkten für Verbraucher, wie etwa in Camping- und Mikrowellengeschirr sowie Kofferhüllen enthalten ist. Es ist ein Grundbaustein des Kunststoffs Polycarbonat. Beim Erhitzen oder wenn der Kunststoff nicht sorgfältig produziert wurde, kann es sich daraus lösen", erklärt die Verbraucherzentrale diesbezüglich. BPA kann des Hormonhaushalts stören und Schäden an Organen, wie der Leber oder der Niere, hervorrufen.

Das Plastik wird natürlich nicht direkt über die Nahrung aufgenommen, sondern über die Verpackung. Es lässt sich den Fachleuten zufolge im Alltag nur schwer vermeiden. Verpackungen, Plastikgeschirr, Kassenbons, Parkscheine, Schnuller, Getränkedosen – die Liste an Beispielen ist lang.

Die DGZMK empfiehlt vor allem Eltern, bei Kleinkindern darauf zu achten, den Kontakt zu den genannten Beispielen zu vermeiden. Bis zum vierten Lebensjahr entwickelt sich der Zahnschmelz maßgeblich. In dieser Phase sind die Zähne am anfälligsten. Allerdings gilt diese Empfehlung auch für alle anderen Menschen.

Falls Kreidezähne auftreten, empfehlen die Fachleute eine Behandlung beim Zahnarzt. ,,Eine professionelle zahnärztliche Behandlung [...] ist unerlässlich. Die gewählte Therapie ist abhängig vom Ausprägungsgrad der MIH", heißt es. Als Basisbehandlung werden regelmäßige Zahnreinigungen, Mundhygieneanleitungen und die Verwendung hoch konzentrierter Fluoridpräparate genannt. (tu)


Aus: "Neue ,,Volkskrankheit" macht sich in Deutschland breit – Bereits Kinder sind betroffen" Tobias Utz (21.07.2021)
Quelle: https://www.fr.de/ratgeber/gesundheit/neue-volkskrankheit-kreidezaehne-gesundheit-warnung-krankheit-kinder-fachleute-experten-verbraucher-zr-90870398.html

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Quote[...] In Deutschland werden rund 37 Prozent der Ackerflächen jährlich mit Glyphosat behandelt (Stand 2017). Die ausgebrachte Wirkstoffmenge wird auf etwa 5000 Tonnen abgeschätzt. Im Jahr 2014 wurden 5330 Tonnen Glyphosat auf deutschen Äckern ausgebracht, 2012 waren es noch 5941 Tonnen. Im privaten Bereich, also von Haus- und Kleingartenbenutzern, wurden 2014 insgesamt 95 Tonnen verwendet, 2012 waren es noch 40 Tonnen.

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Aus: "Glyphosat" (15. Juli 2021 um 10:37)
Quelle: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Glyphosat&oldid=213895115

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Quote[...] Der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer hat auch im dritten seiner US-Berufungsverfahren wegen angeblicher Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat eine Schlappe kassiert. Das zuständige Gericht in San Francisco bestätigte am Montag ein Urteil, wonach Bayer für Krebserkrankungen der Kläger Alberta und Alva Pilliod haften muss.

Geschworene in Kalifornien hatten den Konzern 2019 zunächst zu Schadenersatz- und Strafzahlungen von rund zwei Milliarden Dollar an das Ehepaar verurteilt. Später war der Betrag vom Gericht auf 86,7 Millionen Dollar (73,9 Mio Euro) reduziert worden.

Ein Sprecher von Bayer erklärte, das Unternehmen respektiere die Entscheidung des Gerichts, sei damit aber nicht einverstanden. Das Urteil sei nicht durch die Beweislage beim Prozess oder geltendes Recht gedeckt. Der Konzern sondiere seine Optionen für eine erneute Überprüfung des Falls.

Bayer hatte sich diesen und viele andere Rechtskonflikte 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Kauf des amerikanischen Saatgutriesen Monsanto ins Haus geholt. Bayer ist in den USA mit zahlreichen weiteren Glyphosat-Klagen konfrontiert, die der Konzern eigentlich gerne mit einem großen Vergleich beilegen würde.

Nur drei Fälle wurden bislang abschließend vor US-Gerichten verhandelt, alle drei Prozesse verlor der Dax-Konzern. Auch in Berufungsverfahren hatte Bayer bislang keine Erfolge. Ein vierter Prozess gegen den Konzern läuft seit Kurzem in Kalifornien. Die Leverkusener setzen aber große Hoffnungen darauf, eines der Urteile vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten kippen zu lassen.

Für den Fall, dass der Supreme Court sich mit dem Glyphosat-Verfahren nicht befassen will oder gegen Bayer entscheidet, bildete der Konzern jüngst weitere Rückstellungen von 4,5 Milliarden Dollar. Zuvor hatte Bayer bereits mehr als elf Milliarden Dollar für ein Vergleichspaket zur Beilegung von US-Klagen zur Seite gelegt.


Aus: "Bayer verliert weiteres US-Verfahren" (10.08.2021)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/bayer-verliert-weiteres-us-verfahren-wegen-unkrautvernichter-17478401.html

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Die Explosion im Chempark Leverkusen ereignete sich am Morgen des 27. Juli 2021 ... Über die Medien wurde bekannt gegeben, dass das zuständige Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) mit Stand vom 28. Juli 2021 von der Bildung von Dioxinen und Furanen ausgehe. Daher wurde davor gewarnt, möglicherweise über den Rauch verbreitete Verbrennungsrückstände (Flocken, Brocken, Pellets etc.) mit den Händen anzufassen. In den betroffenen Regionen sollten Gartenmöbel, Spiel- und Sportgeräte und Swimmingpools nicht berührt werden. Obst und Gemüse aus der betroffenen Region sollte vorerst nicht verzehrt werden.[16] Die Stadt Leverkusen empfahl, die Schuhe vor Betreten von Wohnungen auszuziehen, um keinen Ruß in die Wohnungen zu tragen.[17]
Nach Analysen von Böden und Pflanzen in der Region wurden keine relevanten Konzentrationen und keinerlei Grenzwertüberschreitungen durch das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen festgestellt.[18] ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Explosion_im_Chempark_Leverkusen_2021 (11. August 2021 um 09:23)


"Greenpeace-Probenahmen nach Explosion in Leverkusen" (06.08.2021)
Auf den zweiten Blick - Welchen Schadstoffen ist die Bevölkerung nach der Explosion in Leverkusen ausgesetzt? Nach Greenpeace-Analysen kommt die Entwarnung durch das Landesumweltamt verfrüht. ...
https://www.greenpeace.de/themen/endlager-umwelt/auf-den-zweiten-blick

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Der Kolontár-Dammbruch war eine Umweltkatastrophe, die sich am 4. Oktober 2010 bei Kolontár in Westungarn ereignete. Infolge dieses Unfalls wurden 150 Menschen verletzt, zehn starben. 40 Quadratkilometer wurden in Mitleidenschaft gezogen, als rund eine Million Kubikmeter Rotschlamm das Land überschwemmte. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Kolont%C3%A1r-Dammbruch


Quote[...] Als am 4. Oktober 2010 ein Deponiebecken des Industriebetriebs Magyar Aluminium brach, wälzte sich eine meterhohe, hochbasische Rotschlammflut über die westungarischen Dörfer Kolontar und Devecser. Zehn Menschen starben, 200 weitere wurden verletzt. Der giftige Schlamm verseuchte ein Gebiet von rund 40 Quadratkilometern und hinterließ eine Spur der Verwüstung.

Die Katastrophe von Kolontar veränderte nicht nur das Leben vieler Menschen – sie warf auch ein Schlaglicht auf die Umweltgefahren, die mit der Produktion von Aluminium verbunden sind. Bei der industriellen Herstellung des Metalls wird Bauxit verwendet, ein Erz, das hauptsächlich aus Aluminiumoxid und Eisenoxid besteht. Mithilfe des sogenannten Bayer-Verfahrens wird aus dem Rohstoff das Aluminiumoxid herausgelöst und anschließend weiterverarbeitet.

Übrig bleibt eine Natronlauge, vermischt mit Eisenoxid und Schwermetallen wie Arsen, Blei, Chrom oder Quecksilber – der sogenannte Rotschlamm. Wie viel Abfall dabei je produzierter Tonne anfällt, hängt von der Zusammensetzung des Rohmaterials ab. Im Schnitt werden für eine Tonne Metall zwischen zwei und drei Tonnen Bauxit benötigt.

Weltweit wird etwa 95 Prozent des neuen Aluminiums mithilfe des Bayer-Verfahrens erzeugt. Schätzungen zufolge fallen jährlich rund 150 Millionen Tonnen Rotschlamm an – nicht aber in Österreich: Hierzulande wird kein Primäraluminium erzeugt, auch relevante Deponien gibt es nicht. Aufgrund der großen Nachfrage wird das Metall allerdings zur Weiterverarbeitung nach Österreich importiert – und die mit der Herstellung verbundenen Umweltprobleme auf andere Weltregionen wie Osteuropa, China oder Brasilien ausgelagert.

Gefahr geht vom Rotschlamm zunächst von der darin enthaltenden hochbasischen Natronlauge aus. Dazu kommt der hohe Gehalt an giftigen Schwermetallen und die schlammige Konsistenz, erklärt Roland Pomberger, Professor für Abfallverwertungstechnik an der Universität Leoben. All das mache die Endlagerung schwierig.

Früher wurden die Schlämme teilweise in Teiche, Flüsse oder ins Meer geleitet. Bedenken gegen diese Form der Entsorgung führten dazu, dass die Bauxit-Abfälle seit den 1980er-Jahren in abgedichteten Deponien gelagert werden. Das ist – international gesehen – auch heute noch die gängige Form der Entsorgung", sagt Pomberger.

"Der Schlamm wird in große künstliche Becken gepumpt. Dann hofft man, dass das Wasser verdampft und sich das Material verdichtet. Das gelingt aber oft nur bis zu einem gewissen Grad, die Konsistenz bleibt." Dass Deponien nach wie vor die häufigste Methode der Abfallentsorgung sind, liegt schlicht daran, dass sie günstig sind. Es gibt zwar Alternativen, wirtschaftlich sinnvoll ist allerdings kaum eine.

"Eine Möglichkeit ist es, die Schlammeigenschaft ganz loszuwerden und das Material so weit wie möglich zu verfestigen", erläutert Pomberger. In der Praxis spiele das aufgrund der hohen Kosten allerdings kaum eine Rolle.

Auch die Wiederverwertung der Bauxit-Abfälle kommt infrage, erwies sich aber als zu aufwendig und nicht rentabel. So hat man versucht die Hauptbestandteile, darunter vor allem Eisen, aus dem Material herauszulösen und aufzubereiten. Abgesehen davon könnte Rotschlamm als Rohstoff für die Herstellung von Zement oder Ziegeln oder als Füllmaterial im Straßenbau dienen.

Laut Pomberger sind die Abfallmengen für eine vernünftige Kreislaufwirtschaft zu groß. "Es bräuchte ein Verfahren, bei dem das rückgewonnene Material wieder in ein Massenprodukt fließt." Derzeit gebe es dazu eine Reihe von Forschungsaktivitäten. "Den Stein der Weisen hat man aber noch nicht gefunden."

Aktuell fördert die EU-Kommission mehrere Projekte, die sich mit der Verwertung von Bauxit-Abfällen beschäftigen. Auch in Österreich gab es Versuche. So stellte etwa ein Forscherteam des Austrian Institute of Technology (AIT) fest, dass sich Rotschlamm dafür eignet, stark verseuchten Boden zu stabilisieren. Durch Zugabe des Abfallmaterials können Schwermetalle im Erdreich "immobilisert" werden. Damit werden sie nicht mehr ins Grundwasser gewaschen und von Pflanzen aufgenommen. Die Methode ist in der Praxis allerdings nur sehr eingeschränkt anwendbar.

Das Wichtigste wäre, möglichst viel Aluminium zu recyceln. Das hat extreme Vorteile", sagt Pomberger. "Man spart dadurch unglaublich viel Energie." Wenn man Schrott aufbereite, brauche man um 95 bis 97 Prozent weniger Strom als bei der Erzeugung von neuem Metall. Damit wären massive CO2-Einsparungen verbunden, und der problematische Rotschlamm entstehe erst gar nicht.

Die Katastrophe im ungarischen Kolontar dürfte zumindest in Europa für Bewusstseinsbildung gesorgt haben, glaubt Pomberger. Vor allem bei der Kontrolle und Wartung der Dämme sei man sensibilisiert worden. "Das Problem ist aber, dass die Deponien von Unternehmen für die Ewigkeit angelegt werden. Irgendwann gibt es die Unternehmen aber nicht mehr. Dann wird das eine Aufgabe der Allgemeinheit."


Aus: "Die dunklen Seiten des Aluminiums" Jakob Pfügl (20.8.2021)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000129038670/die-dunklen-seiten-des-aluminiums

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Maingano
20. August 2021, 16:39:13

In dem Artikel steht: "Osteuropa, China oder Brasilien"
Die größten und schlimmsten Umweltverschmutzungen passieren in Guinea, wo auch die Weltweit größten Reserven liegen.
In Osteuropa wir in Relation nur ein verschwindend geringer Anteil an Bauxit abgebaut. China und Brasilien fördern zusammen nur unwesentlich mehr als Guinea, haben aber weit weniger Reserven.
Wenn es um Umweltverschumtzung geredet wird, blendet man Afrika wieder einmal geflissentlich aus. Schade dass der Kolonialismus immer noch so tief im Unterbewusstsein steckt.


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die Wahrheit ist zumutbar
20. August 2021, 15:49:04

Ich erinnere mich gut an die Fernsehbilder der Rotschlammflut in Ungarn. Ich war in einem Vereinslokal und eine Gruppe von Männern sahen fern und waren von den Bildern schockiert, und kommentierten "was das für eine Schweinerei abläuft". In den Händen der kommentierenden Fernsehenden waren RB-Dosen und frisch gekapselter Nespresso. Ich werde das nie vergessen.


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Hobbitelchen

Ein Satz in dem Bericht um das ganze Übel der Wirtschaft und des Systems aufzuzeigen.
"In der Praxis spiele das aufgrund der hohen Kosten allerdings kaum eine Rolle."

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Quote[...] Der Nahrungsmittelkonzern Mars hat mehrere Eiscreme-Chargen der bekannten Marken Snickers, Bounty, M&Ms und Twix zurückgerufen. Der in den Produkten verarbeitete Zusatzstoff Johannisbrotkernmehl (E410) sei mit dem krebserregenden Stoff Ethylenoxid belastet, erklärte das Unternehmen. Die Warnung kommt spät: Bereits vor mehreren Wochen rief Mars die gleichen Chargen in anderen Ländern, darunter Österreich, Rumänien und Schweden zurück. In Deutschland verkaufte das Unternehmen die Produkte jedoch weiter, wie foodwatch-Recherchen ergeben hatten.
https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2021/mars-verkauft-snickers-eis-mit-krebserregendem-ethylenoxid/

Der öffentliche Druck wurde nun offenbar zu groß. Folgende Produkte sind vom Rückruf betroffen:

SNICKERS Ice cream bar, 6-Pack Box
•    EAN/ GTIN: 5000159344081
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.10.2022; 30.11.2022; 31.01.2023; 28.02.2023; 31.03.2023; 30.04.2023
SNICKERS Ice cream bar, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159460873
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.10.2022; 30.11.2022; 31.12.2022; 31.01.2023; 31.03.2023; 30.04.2023
SNICKERS CRISP Ice cream bar, 6-Pack Box
•    EAN/ GTIN: 5000159526074
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 30.11.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 30.04.2023
SNICKERS CRISP Ice cream bar, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159526128
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 30.11.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 30.04.2023
SNICKERS WHITE Ice cream bar, 6-Pack Box
•    EAN/ GTIN: 5000159509626
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.12.2022; 28.02.2023; 31.03.2023
SNICKERS WHITE Ice cream bar, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159509664
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.12.2022; 28.02.2023
BOUNTY Ice cream bar, 6-Pack Box
•    EAN/ GTIN: 5000159483056
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 28.02.2022; 31.03.2022; 30.04.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 31.03.2023; 30.04.2023
BOUNTY Ice cream bar, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159483032
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 28.02.2022; 30.04.2022; 31.10.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 30.04.2023
TWIX Ice cream bar, 6-Pack Box
•    EAN/ GTIN: 5000159484688
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.10.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 31.03.2023; 30.04.2023
TWIX Ice cream bar, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159484633
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.03.2022; 30.04.2022; 31.12.2022; 28.02.2023; 30.04.2023
M&M's choco Ice cream stick Stieleis, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159509367
•    Mindesthaltbarkeitsdatum: 31.01.2023
M&M's peanut Ice cream Stieleis, Single
•    EAN/ GTIN: 5000159509343
•    Mindesthaltbarkeitsdaten: 31.08.2021; 31.10.2021; 31.05.2022; 31.07.2022

Im Zuge des Produktrückrufs erklärte Mars,  die Produkte seien nach wie vor ,,sicher" und der Verzehr ,,nicht schädlich". Diese Behauptung steht im Widerspruch zur Einigung der EU-Staaten, wonach ,,keine sichere Aufnahmemenge" von Ethlenoxid festgelegt werden kann und auch kleinste Mengen des krebserregenden Stoffs ein Gesundheitsrisiko darstellen können. Am 13. Juli verständigten sich die Mitgliedsländer der EU darauf, dass alle Lebensmittel öffentlich zurückgerufen werden müssen, die mit Ethylenoxid belastetes E410 enthalten.  Während in Ländern wie Frankreich, Österreich und den Niederlanden konsequent zurückgerufen wird, erging in Deutschland bis heute jedoch keine einzige Warnung.

Der Rückruf von Mars ist nur die Spitze vom Eisberg. E410 wird als Verdickungsmittel und Stabilisator in vielen Eiscremes, Konfitüren, Fleisch- und Backwaren verwendet. Wir können also davon ausgehen, dass noch weitere Produkte betroffen sind. In einem Brief an die Verbraucherminister*innen der Länder äußerten wir bereits Ende Juli die Sorge, ,,dass Lebensmittelunternehmen die Problematik nicht mit ausreichender Priorität behandeln".

Die zuständigen Behörden müssen jetzt endlich alle Hersteller, die E410 verwenden, überprüfen und notfalls Rückrufe anordnen. Ein krebserregender Stoff hat in unserem Essen nichts verloren.

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Das Gas Ethylenoxid ist laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) krebserregend und erbgutschädigend. Rückstände in Lebensmitteln seien grundsätzlich ,,unerwünscht". Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gebe es nicht. Während Ethylenoxid in der Lebensmittelproduktion der EU verboten ist, wird es jedoch in etlichen Drittstaaten zur Bekämpfung von Pilzen und Bakterien eingesetzt.


    Rückruf von Mars (10.08.2021)
    https://www.presseportal.de/pm/148335/4990806

    Zusammenfassung des Meetings der EU-Mitgliedsstaaten am 13. Juli zum Umgang mit E410:
    https://ec.europa.eu/food/system/files/2021-07/rasff_ethylene-oxide-incident_e410_crisis-coord_sum.pdf

    BfR zu Ethylenoxid in Lebensmitteln:
    https://www.bfr.bund.de/cm/343/gesundheitliche-bewertung-von-ethylenoxid-rueckstaenden-in-sesamsamen.pdf   

    foodwatch-Pressemitteilung: Mars bestätigt: Krebserregendes Ethylenoxid auch in Snickers-Eis in Deutschland
    https://www.foodwatch.org/de/pressemitteilungen/2021/mars-bestaetigt-krebserregendes-ethylenoxid-auch-in-snickers-eis-in-deutschland/

    Liste der zurückgerufenen Produkte in Frankreich (wird laufend aktualisiert)
    https://www.economie.gouv.fr/dgccrf/sesame-psyllium-epices-et-autres-produits-rappeles-comprenant-ces-ingredients

    Portal Lebensmittelwarnung.de mit Rückrufen zu Ethylenoxid:
    http://www.lebensmittelwarnung.de/


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Aus: "Nach foodwatch-Kritik: Mars ruft belastetes Eis zurück" (10.08.2021)
Quelle: https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2021/nach-foodwatch-kritik-mars-ruft-belastetes-eis-zurueck/


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Quote[...] Ende Juli sah noch alles aus wie immer am Tshikapa River in der Demokratischen Republik Kongo. Der Fluss mäanderte über die gemeinsame Grenze mit Angola, zog dann rund 60 Kilometer Luftlinie Richtung Norden, bis er in der Stadt Tshikapa in den Kasai mündete, den größten Nebenfluss des Kongo.

Doch Anfang August zog plötzlich eine rote Brühe den Fluss hinauf – erst den Tshikapa und dann in den Kasai. Und sie brachte Tod und Verderben: Bald trieben Tonnenweise tote Fische im Fluss, dazu Kadaver von anderen Wassertieren. Sogar Flusspferde sollen umgekommen sein. Die Menschen aus den Dörfern am Fluss litten an Durchfallerkrankungen, nachdem sie das Wasser getrunken oder verseuchten Fisch gegessen hatten. Tausende klagten über Beschwerden, zwölf Todesfälle werden laut dem Umweltministerium der Demokratischen Republik Kongo mit den Vorfällen in Verbindung gebracht.

Wissenschaftler der Universität Kinshasa untersuchten den Vorfall und entdeckten eine enorme Verschmutzung des Flusses – möglicherweise mit Schwermetallen. Sie glauben, dass bis zu zwei Millionen Menschen von der Umweltkatastrophe betroffen sein könnten. »Wir haben noch nie eine so große Verschmutzung des Kongo gesehen«, sagte Raphael Tshimanga, Direktor des Congo Basin Water Resources Research and Capacity Building Center (CRREBaC), der Nachrichtenagentur Reuters.

Satellitenbilder, die der SPIEGEL geprüft hat, zeigen, dass sich der Tshikapa zwischen dem 25. und dem 30. Juli rot gefärbt haben muss. Zwar ist es auf den Aufnahmen diesig, und die Erdoberfläche, die der Esa-Satellit »Sentinel-2A« abgetastet hat, ist nicht gut zu erkennen. Aber in Tshikapa ist zu sehen, wie auch der Kasai einige Tage später seine Farbe veränderte, nachdem er sich mit dem Tshikapa zu einem gemeinsamen Strom vereint. Unterhalb des Zuflusses hat der Fluss eine andere Farbe, das Wasser ist grün-bläulich gefärbt. Auf etwas älteren Aufnahmen aus der Region ist dagegen kein Farbunterschied bei den beiden Gewässern zu erkennen.



Laut den Forschern liegen die Ursachen für die rötliche Färbung und die Vergiftung des Wassers im Nachbarland Angola, rund 350 Kilometer von der Stadt Tshikapa entfernt. Hier liegt die Catoca-Mine, eine der größten Minen für Rohdiamanten der Welt. Auf den Bildern aus dem All ist sie als riesiger Tagebau in der Nähe der Stadt Saurimo im Nordosten des Landes zu erkennen. Hier wird für die Gewinnung von einem Karat Rohdiamanten rund eine Tonne Abraum bewegt, berichtete die Nasa. Jährlich werden rund 6,8 Millionen Karat aus der Erde geholt, das entspricht ungefähr 360 Kilogramm Diamanten. Offenbar hat ein Leck in einem der Absatzbecken zu dem Umweltschaden geführt, nachdem ein Damm gebrochen war.

Catoca, ein internationales Konsortium aus Angolas staatlicher Bergbaugesellschaft Endiama sowie dem russischen Unternehmen Alrosa und noch weiteren kleineren Teilhabern, hat inzwischen eingeräumt, dass Ende Juli Abraum in den Lova-Fluss, einen Nebenfluss des Tshikapa, der hier auch Chicapa genannt wird, ausgetreten ist. Giftstoffe seien aber nicht ausgetreten. In einem Bericht schreiben die Forscher, dass sie die Verschmutzung bereits seit dem 15. Juli 2021 von der Quelle in Angola aus beobachtet hatten und die Schadstoffe 15 Tage brauchten, um die Stadt Tshikapa zu erreichen.

Tatsächlich ist die Färbung unterhalb des Zuflusses aus den Bildern aus dem All etwas später zu erkennen. Allerdings zeigen auch ältere Aufnahmen immer mal wieder bräunlich bis rötliche Verfärbungen. Ob tatsächlich Giftstoffe wie Arsen oder Quecksilber, die im Bergbau verwendet werden, ausgetreten sind, soll durch Laboruntersuchungen in Kinshasa geklärt werden.

Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat angekündigt, von den Eigentümern der Diamantenmine eine Entschädigung zu fordern. Nach dem Verursacherprinzip solle derjenige, der die Verschmutzung herbeigeführt hat, die Kosten für deren Eindämmung tragen, sagte Vizepremierministerin Ève Bazaiba auf einer Pressekonferenz, nachdem sie die Region besucht hatte. Wie hoch die Entschädigung ausfallen soll, ist noch nicht bekannt.

Catoca hatte bereits erklärt, man habe Lebensmittel an die betroffenen Gemeinden gespendet. Laut Endiama werde an weiteren Maßnahmen gearbeitet, Einzelheiten nannte das Unternehmen aber nicht. Doch die Forscher aus Kongos Hauptstadt Kinshasa vermuten, dass es damit nicht getan ist. Möglicherweise beschäftigen die Folgen der Katastrophe das Land noch jahrelang. Denn wenn natürliche Wasserreservoire und Grundwasserleiter verschmutzt sind, könnte sich das Gift Jahrzehnte in besorgniserregenden Konzentrationen in der Umwelt halten. Klären können das nur weitere Untersuchungen.

Es ist nicht das erste Mal, dass durch den Bergbau Mensch und Natur Schaden nehmen. 2015 zerbarst in Brasilien ebenfalls ein Damm einer Eisenerzmine. Giftiger Schlamm gelangte in den Rio Doce und verunreinigte den Fluss mit Blei, Quecksilber und Arsen. Das Wasser des Flusses, das Lebensgrundlage für viele Dörfer in der Region ist, durfte weder getrunken noch zur Bewässerung von Feldern eingesetzt werden. Auch für die Goldgewinnung werden durch Unfälle oder auch mutwillig große Mengen Quecksilber in die Umwelt freigesetzt.

Um solche Unglücke wie das in Angola zu verhindern, arbeiten Umweltschützer, Politiker, Bergbauindustrie und Investoren an gemeinsamen Sicherheits- und Inspektionsstandards. Doch nicht alle Unternehmen unterstützen diese Selbstverpflichtungen. Catoca hat sich bisher nicht dazu bekannt.


Aus: "Umweltkatastrophe im Kongo: Die Giftbrühe, die Tod und Verderben brachte " Jörg Römer (06.09.2021)
Quelle: https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/kongo-leidet-unter-umweltkatastrophe-diamanten-rote-fluesse-und-tote-flusspferde-a-1d9da756-ae0c-496b-a989-e6f3e844badf

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Quote[...] Spital am Pyhrn – Die Umweltorganisation Global 2000 hat in Eierschwammerln von der Stubwiesalm bei Spital am Phyrn (Bezirk Kirchdorf) in Oberösterreich besorgniserregend hohe Werte des Radioisotops Cäsium-137 gefunden, die aus dem Tschernobyl-Fallout vor 35 Jahren resultieren. Gemessen wurden 7.563 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg), das ist mehr als das Zwölffache des in der EU geltenden Grenzwerts von 600 Bq/kg, berichtete Global 2000 am Mittwoch.

Das radioaktive Cäsium ist seit dem Reaktorunfall 1986 zwar von der Bodenoberfläche in darunterliegende Schichten abgesunken, von dort kann es aber zum Beispiel von Pilzen aufgenommen und in ihnen angereichert werden. Tiere, die diese Pilze fressen, können dadurch sehr stark belastet werden. Beim Menschen lagert sich Cäsium-137, wenn es durch die Nahrung in den Körper gelangt, vor allem in Muskeln ab und kann Genschäden oder Krebs verursachen. Die Halbwertszeit beträgt 30,1 Jahre.

Die Umweltorganisation forderte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) auf, klar zu informieren, wo Pilze problemlos genossen werden können und "wo man aus Vorsorgegründen lieber nicht in den Wald auf Schwammerlsuche geht". Denn laut Gesundheitsministerium werden nach wie vor bei rund zwölf Prozent der Eierschwammerl Grenzwertüberschreitungen festgestellt.

Darüber hinaus pocht Global 2000 auf eine Abschaltung des grenznahen AKW Krško. Denn dieses sei nur 71 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Tschernobyl, auf das die aktuelle Verstrahlung zurückzuführen ist, sei hingegen 1.000 Kilometer weit weg.

Ein Unglück "im altersschwachen Krško-Reaktor im slowenischen Erdbebengebiet" hätte laut Modellen der Wiener Universität für Bodenkultur mit hoher Wahrscheinlichkeit "eine sehr starke Kontaminierung Österreichs mit radioaktivem Fallout" zur Folge. Bei einem Fünftel der möglichen Wettersituationen hätte man mit mehr als 37.000 Becquerel Cäsium-137 pro Quadratmeter zu rechnen, so Global 2000. (APA, 15.9.2021)


Aus: "Tschernobyl wirkt nach: Stark radioaktive Eierschwammerl in Oberösterreich" (15. September 2021)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000129660894/tschernobyl-wirkt-nach-stark-radioaktive-eierschwammerl-in-oberoesterreich


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Quote[...] Forscher wiesen in Haushalten am Rande landwirtschaftlich genutzter Gebiete bis zu 23 Pflanzenschutzmittel nach. Wie gelangt umstrittene Chemie in die eigenen vier Wände?

Wien – Apfelbäume, so weit das Auge reicht. Jedes Frühjahr hüllen sie Puch bei Weiz mit zartrosa Blütenwolken ein. Auf mehr als 600 Hektar baut die kleine Gemeinde im oststeirischen Hügelland Obst an. Der Apfel ist auf ihrem Ortswappen verewigt und seit Generationen größter Arbeitgeber der Region.

Doch jedes Frühjahr erfüllt nicht nur der Duft blühender Gärten das idyllische Dorf. Ätzender, beißender Geruch, der an Schuhputzmittel erinnert, zieht von den umliegenden Plantagen durch die Ortschaft und frisst sich in den Häusern fest.

Die Fenster zu schließen helfe nur bedingt, erzählt ein Gemeindebürger, an Spazierengehen sei nicht zu denken. Zwischen zehn- bis 20-mal im Jahr werden Obstbäume Angaben der Landwirte zufolge gegen Bakterien und Pilze, Fressfeinde und Unkraut chemisch behandelt. Je nach Witterung, Höhenlage und Sorte in unterschiedlicher Intensität.

Dass ein Teil der Spritzmittel im Zuge der Abdrift und Verdunstung übers Ziel hinausschießt, sei jedem hier klar, sagt der Steirer, dessen Haus an die Plantagen angrenzt. "Mit einem eigenen Garten tut man sich in Puch sicher nichts Gutes." Das Ausmaß der Kontamination mit Pflanzenschutzmitteln im Inneren seiner Wohnräume habe ihn dennoch schockiert.

Einen Mix aus zwölf Pestiziden haben Forscher im Sommer in seinem Hausstaub nachgewiesen. Zwei davon gelten in den USA als möglicherweise krebserregend.

Chemie aus der Landwirtschaft, die weit über ihren Bestimmungsort hinaus wirkt, ist nichts Neues. 2019 sorgten etwa mit Spritzmitteln belastete öffentliche Kinderspielplätze in Südtirol für Unruhe. Nun hat die europäische Bürgerinitiative "Biene und Bauern retten", die von internationalen NGO-Organisationen getragen wird, einen Blick in Schlafzimmer von Europäern geworfen, die in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten leben.

In 21 privaten Haushalten aus 21 EU-Staaten wurden im Juni und Juli Staubproben gezogen. Alle Proben waren mit Pestiziden belastet – im Schnitt mit acht, maximal mit 23 Wirkstoffen, zeigt die dem STANDARD vorliegende Studie. Jede vierte Schlafzimmerprobe, die ein französisches Labor analysierte, enthielt Pestizide, die von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA als möglicherweise krebserregend eingestuft wurden.

In 80 Prozent der Stichproben waren Wirkstoffe nachweisbar, die im Verdacht stehen, die menschliche Fortpflanzung zu schädigen. Der höchste ausgewiesene Wert stammt aus Belgien. Österreich rangiert mit der Probe aus Puch an dritter Stelle.

Zahlreiche epidemiologische Studien zeigten, dass Menschen, die von intensiver Landwirtschaft umgeben sind, einem doppelt so hohen Risiken ausgesetzt sind, an Krebs zu erkranken oder Fehlgeburten zu erleiden, als Menschen in Stadtgebieten, warnt Helmut Burtscher. Der Umweltchemiker der Organisation Global 2000, Mitinitiator und Autor der Studie, fordert, dass Pflanzenschutzmitteln mit negativen gesundheitlichen Folgen die Marktzulassung entzogen gehört – zumal viele Bauern damit auch ein hohes persönliches Risiko eingingen.

Burtscher vermisst in Österreich Untersuchungen staatlicher Aufsichtsbehörden zum Ausmaß der Abdrift von Pestiziden und ihren möglichen gesundheitlichen Gefahren. "Die Verantwortlichkeit endet offenbar mit der Zulassung."

Es sei inakzeptabel, dass Menschen in ihren Wohnräumen einem Pestizidcocktail ausgesetzt seien, ergänzt Martin Dermine vom Pesticide Action Network. Statt chemieintensive Landwirtschaft in der EU zu subventionieren, gehöre die Forschung von umweltfreundlichen Alternativen finanziell gestärkt.

450 Wirkstoffe sind für die Landwirtschaft in der EU derzeit zugelassen. Untersucht wurden die Schlafzimmerproben aus Kostengründen nur auf 30. Tatsächlich hätten sich darin wohl doppelt so viele gefunden, vermutet Burtscher. Auch Glyphosat, das dazu dient, Wiesen unter den Obstbäumen von Unkraut freizuhalten, und das sich über die Luft gut verbreitet, sei den Forschern damit durch die Lappen gegangen.

Anders als für Lebensmittel gibt es für Hausstaub keine Grenzwerte. In Dänemark wurden bei einer Probe 4.942 Milligramm an Pestiziden je Kilo Staub gemessen, in der Steiermark 683 Milligramm. Am häufigsten wies das Labor Pyraclostrobin, Spiroxamine und Fluopyram nach.

Bestätigt sich eine bedenkliche Konzentration an Wirkstoffen, müsse sich die Behörde der Sache annehmen, sagt Christian Stockmar. Von "unseriöser Angstmache" hält der Chef der Syngenta und Obmann der Industriegruppe Pflanzenschutz allerdings wenig: "Pflanzenschutzmittel sind die am besten untersuchten Substanzen."

Hochsensible Analysemethoden erlaubten mittlerweile, alles zu finden, wonach gesucht werde. In der Regel sei die Belastung mit Wirkstoffen so gering, dass sie umwelt- und humantoxisch gesehen, irrelevant sei. "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen."

Er wolle nichts schönreden, sagt Stockmar. Aber er appelliere an Respekt vor der Wissenschaft. Ziel sei es bei Themen wie diesen, gemeinsam Lösungen zu finden.

An Möglichkeiten, das Problem der Abdrift besser in den Griff zu bekommen, fehlt es aus Sicht von Fritz Prem, des Präsidenten des europäischen Bioobst-Forums, nicht. Es gebe bereits serienreife Applikationsmethoden, die diese um 90 Prozent reduzieren. Allein, man schreibe sie in Österreich nicht gesetzlich vor. "Dabei wäre dies ein großer Schritt nach vorne."

Verzichtbar seien wirksame Pestizide für konventionelle Betriebe über Nacht aber nicht – außer man nehme erhebliche Einbußen in Kauf und gleiche diese durch höhere Preise aus. Er selbst habe 20 Jahre lang konventionell produziert, ehe er vor 25 Jahren auf Bio umsattelte: Noch mehr Kosten einzusparen als bisher schon sei im Obstbau aufgrund der knappen Kalkulationen nicht mehr möglich. "Es ist ein Teufelskreis."

Verantwortung dafür tragen vor allem Konsumenten, die auf perfektem, makellosem Obst bestehen, ist der betroffene Anrainer aus Puch überzeugt. Zwar wollten immer mehr Betriebe auf biologischen Anbau umstellen. Doch solange der Nachbar seine Flächen weiterhin mit Chemie behandle, sei vielen der Umstieg aufgrund der Abdrift zu riskant.

Mit offenem Verdeck spritzten die Bauern am Traktor dreimal die Woche vor seiner Haustür, sagt er und berichtet von vermehrten Krebserkrankungen in der Region. Der örtliche Supermarkt verkaufe regelmäßig Äpfel aus Afrika – ansässige Betriebe exportierten ins Ausland. "Hier läuft doch etwas schief."



Aus: "Landwirtschaft verursacht Pestizidcocktail im Schlafzimmer" Verena Kainrath (20. September 2021)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000129796886/landwirtschaft-verursacht-pestizidcocktail-im-schlafzimmer

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vv7, 20. September 2021, 19:51:08

Habe einmal auf einem Wochenmarkt Äpfel einer alten Apfelsorte gekauft. Der Apfelhändler erzählte mit einer Begeisterung von seinen Apfelsorten und das diese wenig anfällig gegen Schädlinge sind. Die Äpfel sahen zwar nicht so hochglanzpoliert wie in einem Supermarkt aus, dafür war der Geschmack sensationell. So, wie die Äpfel, die ich aus meiner Kindheit kenne. Ich, als Konsument möchte wieder Äpfel, die auch nach Äpfel schmecken. Sie müssen nicht perfekt aussehen. Also liebe Produzenten nehmt Rücksicht auf die Natur und auf uns.


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at1234567

Kann mir hier irgendjemand erklären, warum man jetzt, also zur reifezeit heimischer Äpfel, im supermarkt Äpfel aus Neuseeland (!) angeboten bekommt?


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karlreal

Einfach zum Nachdenken.

Das mit dem Pestizidcocktail im Zimmer betrifft nicht nur die Obstbauern. Wenn man direkt neben landwirtschaftlichen Flächen liegt hat man ebenfalls sämtliche Spritzmittel im Haus. Abstand ist auch keine Garantie, denn der Vertrag der Spritzmittel geht laut bayrischer Studie schon bei geringem Wind einige 100 Meter. Direkt angrenzende Liegenschaftsbesitzer sollten einmal ihr Gemüse oder Obst testen lassen und sie werden unglaubliches erfahren. Dieses Problem wird unterschätzt und sogar heruntergespielt trotz hoher Toxizität. Nach dem Motto, es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Man muss sich diese Exposition über Jahre vorstellen. Dies betrifft in erster Linie die Kinder, die im Freien spielen. Der Innenbereich ist nicht viel besser.


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without_von_delay

Ein Bauer in "Am Schauplatz" meinte mal ganz treffend bio ist doch nur die Rückkehr zur Normalität.

Alle die behaupten, dass diese Giftcocktails nur gegen Schädlinge toxisch wirken sind entweder wirklich so naiv oder arbeiten im Dunstkreis einer gewissen österreichischen Bank.


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Quote[...] BERLIN taz | Nachdem Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) ein für Bienen hochgiftiges Pestizid ausnahmsweise erlaubt hat, verbreitet es sich unkontrolliert in der Umwelt. Imker und Naturschützer in Bayern haben große Mengen des Wirkstoffs Thiamethoxam und seines Abbauprodukts, des ebenfalls als Pestizid genutzten Clothianidin, in Wasser- und Schlammproben gefunden. Die Proben stammen von Feldern im Landkreis Neustadt an der Aisch–Bad Windsheim, auf denen mit Thiamethoxam ummantelte Zuckerrübensamen ausgesät worden waren. Auch in Proben von Pflanzen auf benachbarten Feldern in dem fränkischen Landkreis und dem angrenzenden Kreis Fürth fand das beauftragte Labor den Wirkstoff und sein Abbauprodukt aus der Pestizidgruppe der Neo­nikotinoide. Die Laborberichte liegen der taz vor.

Die EU hat 2018 verboten, Thiamethoxam und Clothianidin im Freiland auszubringen. Denn mehrere Studien hatten gezeigt, dass die in der Praxis vorkommenden Mengen dieser Pestizide Bienen schädigen. Neonikotinoide können Experten zufolge Insekten bereits bei einer niedrigen Dosierung lähmen, töten oder das Lernvermögen und die Orientierungsfähigkeit beeinträchtigen. Das betrifft nicht nur Bienen, sondern auch andere Insekten und Wasserorganismen. Da immer mehr Insektenarten aussterben, wollte die EU das nicht länger hinnehmen.

Trotz des EU-Verbots erteilte das Klöckner unterstellte Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mehrere ,,Notfallzulassungen" für das Thiamethoxam-haltige Produkt ,,Cruiser 600 FS" des Chemiekonzerns Syngenta. Die EU-Pestizidverordnung erlaubt solche Ausnahmen, wenn sich eine ,,Gefahr" nicht anders abwehren lässt. In sieben Bundesländern durfte von Januar bis April 2021 auf insgesamt 126.900 Hektar – einer Fläche mehr als eineinhalb mal so groß wie Hamburg – Zuckerrübensaatgut mit dem Gift ausgesät werden. Die ,,Gefahr" war in diesem Fall eine Blattlaus, die durch Saugen die Pflanzen mit verschiedenen Vergilbungsviren infiziert. Die Blätter verfärben sich gelblich, die Photosynthese stockt, und die Rübe verkümmert. Wenn Samen mit Thiamethoxam gebeizt werden, ist das Gift in allen Teilen der späteren Pflanze enthalten.

Mit ,,anderen Pflanzenschutzverfahren oder zugelassenen Pflanzenschutzmitteln" könnten die Insekten laut BVL nicht ausreichend bekämpft werden. Das Virus habe sich zuletzt in vielen Anbaugebieten der EU ausgebreitet und auch in Deutschland regional zu ,,gravierenden" Pflanzenschäden und Ertragsverlusten geführt. Das Risiko für ,,Nichtzielorganismen" durch die Aussaat des behandelten Zuckerrübensaatgutes sei gering, da diese Pflanze im Anbaujahr nicht blühe und daher wenig attraktiv für Bestäuber sei. Außerdem gebe es strenge Auflagen für den Insektenschutz.

,,Aber diese Auflagen sind in der Praxis kaum umzusetzen", sagte Imker Matthias Rühl der taz. Zwei seiner Mitstreiter nahmen im Juli insgesamt drei Proben aus Wasser, das nach Regenfällen von drei Feldern ablief, wie einer der Beteiligten der taz berichtete. Auf den Äckern sei laut dem örtlichen Landwirtschaftsamt Saatgut mit Thiamethoxam ausgesät worden. Der Regen spülte den Umweltschützern zufolge Erde von den Äckern in Gräben und Bäche.

Ein akkreditiertes Labor fand in dem Schwemmwasser pro Liter bis zu 2,2 Mikrogramm Thiamethoxam und 0,37 Mikrogramm Clothianidin. ,,Das ist eine extrem hohe Konzentration", sagte Professor Matthias Liess, Ökotoxikologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, der taz. ,,Insekten wie Libellen, Köcherfliegen und Eintagsfliegen sterben dadurch." Dabei seien diese Tiere relevant für die Nahrungskette, zum Beispiel als Futter für Vögel. Zudem tragen sie dazu bei, dass Verunreinigungen im Wasser abgebaut werden.

Die Pestizidmengen würden die RAK-Werte um mehr als das 50-Fache überschreiten. Die Abkürzung steht für ,,regulatorisch akzeptable Konzentration" und bezeichnet im Zulassungsverfahren eines Pflanzenschutzmittels den Grenzwert, der in Gewässern nicht überschritten werden darf. Zwar sind die Proben aus Franken nicht direkt in einem Gewässer genommen worden, sondern am Feld, von dem das Wasser in Bäche und Gräben lief. ,,Aber bei kleinen Gewässern ist der Anteil des vom Feld abgeschwemmten Wassers sehr hoch, sodass die Konzentration auch im Gewässer sehr hoch ist. Entsprechend sterben dann im Gewässer die Insekten", erläuterte Liess.

Auch auf benachbarten Feldern fanden die Imker nach eigenen Angaben die Neonikotinoide. In drei im August gesammelten Proben von Pflanzen wie Raps, Mais, Lupinen und Ackerdisteln stellte das Labor bis zu 0,008 Milligramm Thiamethoxam und 0,009 Milligramm Clothianidin pro Kilogramm Pflanzenmaterial fest. Ebenfalls von diesen Pflanzen sammeln Bienen und andere Insekten Pollen oder Nektar. ,,Aber sogar auf nahezu allen untersuchten Neonikotinoid-Feldern selber stießen wir auf Pflanzen, die dieses Jahr bereits geblüht haben oder noch in Blüte sind und von Insekten angeflogen werden können", so Rühl.

Für den Bienenzüchter sind das Verstöße gegen die Allgemeinverfügung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft über die Notfallzulassung des Thiamethoxam-haltigen Pestizids ,,Cruiser 600 FS". Sie verlangt zum Beispiel ,,erosionsmindernde Maßnahmen" auf gefährdeten Flächen. Vor und nach der Aussaat der mit dem Neonikotinoid ummantelten Samen sei ,,bestmöglich" Sorge dafür zu tragen, dass zwei Jahre lang – bis Ende 2022 – auf dem Acker keine Pflanzen blühen. Zudem dürften in den 45 Zentimetern zum Feldrand keine mit dem Pestizid behandelte Zuckerrüben wachsen. Die Behörden kontrollierten die Vorgaben aber nur sporadisch, kritisierte Rühl.

Das Agrarministerium in München teilte der Landtagsfraktion der Freien Wähler mit, dass in einem von Rühl angezeigten Fall der betroffene Landwirtschaftsbetrieb tatsächlich zu wenig gegen Erosion unternommen hatte. Die anderen Fälle würden noch untersucht. Auf eine taz-Anfrage dazu antwortete das Ministerium bis Redaktionsschluss nicht.

Das Bundesagrarministerium verwies in einer Stellungnahme für die taz vor allem auf die Länder. ,,Parteiübergreifend" hätten mehrere beim BVL Notfallzulassungen für Thiamethoxam beantragt. Klöckner habe von den Ländern gefordert, ,,Bewirtschaftungsregeln zum Schutz von Bienen und anderen Insekten zu erlassen". Das BVL habe vorgeschrieben, dass die Samen mit etwa 35 Prozent weniger des Pestizids ummantelt werden als bei der früheren Zulassung.

Hintergrund der Erlaubnis ist, dass andere EU-Staaten Ausnahmegenehmigungen erteilt hatten. Deshalb verlangten viele deutsche Zuckerrübenbauern, dass sie ebenfalls die Mittel wieder benutzen dürfen.

Bio-LandwirtInnen bauen Zuckerrüben ohne chemisch-synthetische Pestizide an, indem sie einem Schädlingsbefall etwa durch eine weite Fruchtfolge vorbeugen. Das bedeutet, dass sie besonders viele verschiedene Fruchtarten hintereinander anbauen. Allerdings ernten Biobauern pro Hektar weniger als ihre konventionellen KollegInnen.

Nicht nur in Franken werden zu hohe Pestizidmengen in Gewässern gefunden. Ökotoxikologe Liess hat vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, wonach in mehr als 80 Prozent der untersuchten Gewässer die RAK-Werte überschritten werden. Sein Team analysierte mehr als 100 Messstellen an Bächen, die durch überwiegend landwirtschaftlich genutzte Tieflandregionen in zwölf Bundesländern fließen.


Aus: "Nach Notfallzulassung eines Pestizids: Bienenkiller außer Kontrolle" Jost Maurin (29. 9. 2021)
Quelle: https://taz.de/Nach-Notfallzulassung-eines-Pestizids/!5799734/


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Quote[...] Vor der Küste Südkaliforniens hat sich wegen eines Lecks in einer Pipeline ein Ölteppich im Meer gebildet. Nach Angaben der Behörden vom Sonntag sind mehr als 475 000 Liter Öl ausgetreten. Strände in der südlich von Los Angeles gelegenen Ortschaft Huntington Beach wurden für Besucher gesperrt. Tote Fische und Vögel seien angeschwemmt worden, teilte die Bezirksabgeordnete Katrina Foley auf Twitter mit.

Die Bürgermeisterin von Huntington Beach, Kim Carr, sprach von einer Umweltkatastrophe. Einsatzteams hätten Barrieren ausgelegt, um bedrohte Feuchtgebiete vor der Verseuchung zu schützen.

Seit Samstag soll Öl aus der defekten Pipeline ausgetreten sein, die sich mehrere Kilometer vor der Küste befindet und mit einer Förderplattform verbunden ist. Die Betreiber teilten am Sonntag mit, Taucher würden die Ursache des Lecks untersuchen. Die Förderung sei vorübergehend eingestellt worden. Seitdem sei kein weiteres Öl ausgetreten, sagte Firmenchef Martyn Willsher.

Der Küstenwache zufolge erstreckt sich der Ölteppich über eine Fläche von etwa 33 Quadratkilometern. In Huntington Beach wurden Spaziergänger und Surfer angewiesen, den Strand zu verlassen. Eine für Sonntag geplante Flugshow, zu der Tausende Schaulustige am Strand erwartet worden waren, musste kurzfristig absagt werden. (dpa)


Aus: "Ölteppich bedroht Küste - Strände gesperrt" (04.10.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/umweltkatastrophe-in-suedkalifornien-oelteppich-bedroht-kueste-straende-gesperrt/27673644.html

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Quote[...] Eine Notfallzulassung für Neonicotinoide im fränkischen Zuckerrübenanbau wird es aller Voraussicht nach im Jahr 2022 nicht geben. Das Landesamt für Landwirtschaft (LfL)in Freising hält den Einsatz des Insektizids, gegen das Imkerverbände und Naturschützer seit Jahren Sturm laufen, nicht länger für erforderlich. Trotzdem reißt die Kritik an der Wirkstoffgruppe nicht ab. Im Visier steht dabei inzwischen auch belastetes Erdreich aus der Rübenwäsche, das wieder auf die Felder zurückgefahren wird.

Neonicotinoide, kurz Neonics, sind Substanzen, die sehr selektiv auf das Nervensystem von Insekten wirken und insbesondere für Bienen toxisch sind. Für Wirbeltiere und den Menschen sind sie hingegen kaum gefährlich, werden aber in der Umwelt nur langsam abgebaut. Seit Ende 2018 ist die Freilandanwendung EU-weit verboten. Nur über eine Notfallzulassung dürfen Neonics unter strengen Auflagen weiter angewendet werden.

... Für Ziegler ist das aber nur eine Entwarnung auf Zeit. "Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Blattlaus-Population nach einem milden Winter schnell wieder aufbaut und wir erneut Gegenmaßnahmen ergreifen müssen", so der VFZ-Geschäftsführer. Langfristig baut der Verband auf die Züchtung resistenter Sorten.

Ein Aktionsbündnis aus Bund Naturschutz (BN) und Imkern sieht inzwischen die Rübenreinigung als weiteren Risikofaktor. Erde, die den Rüben anhaftet, wird später zum großen Teil wieder zurück auf die Felder gebracht. Rund 60 000 Tonnen vermutlich hoch mit Neonics belastetes Erdreich würden auf diese Weise in diesem Jahr in die Umwelt gelangen, schreibt das Aktionsbündnis in einer Pressemitteilung und fordert gleichzeitig die zuständigen Behörden auf, entsprechende Proben zu untersuchen.

VFZ-Geschäftsführer Klaus Ziegler nennt die Vorwürfe "unsachlich, schwach fundiert und in hohem Maße überzogen". Der Anbauerverband  sei an einer objektiven Risikobewertung interessiert und arbeite dazu unter anderem mit dem Landesverband bayerischer Imker zusammen. Einer solchen Zusammenarbeit verschließe sich das Aktionsbündnis.


Aus: "Würzburg - Zuckerrübenanbau: Keine weitere Notfallzulassung für Neonics" Gerhard Meißner (28.10.2021)
Quelle: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/zuckerruebenanbau-keine-weitere-notfallzulassung-fuer-neonics-art-10679103

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Quote[...] Auf Rübenfeldern in Mittelfranken und vielen anderen Teilen Deutschlands geht es gerade um große Fragen. Was rechtfertigt den Einsatz untersagter Pestizide in der Landwirtschaft? Wie kalkulierbar ist diese Praxis? Was nützen strengste Auflagen? Und wer zahlt am Ende den Preis für Verstöße?

Dass diese Art der Rettung für die Zuckerrübe überhaupt nötig schien, hat letztlich mit Profiten zu tun, zunächst aber mit einer Laus. Die grüne Pfirsichblattlaus kann Viren auf die Pflanze übertragen, wodurch die Blätter vergilben und die Rübe verkümmert. Über viele Jahre durften konventionelle Bauern die Läuse mit Neonicotinoiden töten, kurz: Neonics. Die Nervengifte erschienen als Wunderwaffe gegen Insektenfraß, offiziell unbedenklich für Bestäuber und Wirbeltiere. Bis sich zeigte, dass das so nicht stimmte: 2008 folgte auf einen Neonics-Einsatz im Maisanbau am Rheingraben ein massives Bienensterben. 2018 verbot die EU die nun als bienenschädlich geltenden Gifte auf Freilandflächen. Die Zuckerrübenbauern waren ihrer Wunderwaffe beraubt, und sie sahen schlimme Folgen.

2020 meldeten deutsche Bauern in manchen Gegenden Ernteausfälle um die 40 Prozent, schuld seien die Läuse und ihre Viren. Nun nährt aber die Zuckerrübe, auch "Königin der Feldfrüchte" genannt, in Deutschland eine ganze Industrie: Jeder zehnte Landwirt baut sie an, in den Regionen mit guten Lößböden bringt sie herrliche Erträge, an ihrem Zucker hängen Fabriken und Betriebe mit Zehntausenden Jobs. Landwirte und Zuckerlobby forderten ihre Wunderwaffe zurück – mit Erfolg.

Für die Aussaat in diesem Frühjahr erließ das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) "Notfallzulassungen". Um Schaden von der Branche abzuwenden, sollten Bauern in sieben Bundesländern das Mittel Cruiser 600 FS einsetzen dürfen, darin Thiamethoxam, ein hoch toxisches Neonic, als Beize für die Rübensamen. Das Amt schrieb für die behandelten Felder strenge Auflagen vor: neonicfreie Ränder, einen halben Meter breit, als Sicherheitsbarriere zu angrenzenden Flächen; nichts Blühendes bis Ende 2022, zum Schutz von Bestäubern; ein "Bienenmonitoring" zur Kontrolle der Folgen. In Franken begleitete die ZEIT damals die Aussaat der Zuckerrüben (ZEIT Nr. 15/21). Ein halbes Jahr später zeigt sich, dass das aufgespannte Sicherheitsnetz offenbar bedenkliche Löcher hat.

... In Wahrheit sind die "Notfallzulassungen" der Gifte im Zuckerrübenanbau seit Jahren kein "Notfall" mehr. Europaweit sind sie längst der Normalfall geworden. Sofort nach dem EU-Verbot von 2018 riefen Bauern in wichtigen Zuckerrübenländern wie Frankreich oder Polen nach diesen Sonderzulassungen und bekamen sie von ihren Agrarministern seither immer wieder. "Das sind Wettbewerbsverzerrungen", sagt Fred Zeller, denn deutsche Bauern ohne Neonics würden dadurch auf dem Markt benachteiligt. Dieser Logik folgend, erkannte schließlich auch die deutsche Regierung den "Notfall" ihrer Rübenbauern an und billigte den Einsatz der Gifte.

... Untersuchungen zufolge könnten chemische Ackergifte einer der Hauptverursacher des allgemeinen Insektenschwunds sein. So belegte etwa eine Studie der TU München, durchgeführt an Standorten in drei Bundesländern, dass die Artenzahl von Insekten und anderen Gliederfüßlern zwischen 2008 und 2017 um ein Drittel gesunken ist; die Gesamtmasse nahm sogar um zwei Drittel ab. Besonders ausgeprägt war der Schwund auf Grasflächen, die von landwirtschaftlich genutzten Äckern umgeben waren.

Bei Neonicotinoiden ist die Schädlichkeit sogar so evident, dass sie von der EU eben deshalb komplett verboten wurden, eigentlich. Doch für Zuckerlobbyisten wie Pfeuffer und Zeller macht ausschließlich die Dosis das Gift. Als Beleg dafür, wie harmlos die "geringen Mengen" an Thiamethoxam in der Samenbeize zumindest für Bienen seien, präsentieren sie im Büro in Ochsenfurt eine Studie, welche die Unbedenklichkeit dieser Praxis im Zuckerrübenanbau bescheinigt. Finanziert hat die Studie Syngenta – jener Chemiekonzern, der das Zuckerrübenmittel Cruiser 600 FS mit dem Wirkstoff Thiamethoxam herstellt. Die Aussagekraft der Befunde von Matthias Rühls Aktionsbündnis zweifeln Pfeuffer und Zeller dagegen an. Abschwemmungen von Feldern, Blühpflanzen auf Rübenäckern? Für die beiden Funktionäre bestenfalls ärgerliche "Einzelfälle".

Wie steht es wirklich um die Einhaltung der strengen Auflagen, die für die Notfallzulassung von Cruiser 600 FS gelten? Die ZEIT fragte in allen sieben Bundesländern nach, in denen das Mittel dieses Jahr auf die Felder kam. Zuständig für die Kontrollen sind die jeweiligen Pflanzenschutzdienste. Die Behörden gaben an, nur Stichproben auf einzelnen Äckern durchgeführt zu haben, wobei deren Dichte stark variierte. So gab es in Bayern wie in Hessen an Rübenfeldern in der "Wachstumsphase" rund 50 Kontrollen – dabei ist die mit Thiamethoxam behandelte Fläche in Bayern mit 15.000 Hektar fast fünfmal so groß wie jene in Hessen. In nahezu jedem Bundesland fanden die Kontrolleure "vereinzelt blühende Beikräuter" auf Äckern. Die Laborbefunde entnommener Proben stehen an vielen Stellen noch aus. Die meisten Verstöße gegen die Auflagen werden höchstens als "Ordnungswidrigkeit" geahndet.

In Nordrhein-Westfalen wurde an mehr als der Hälfte von 76 begutachteten Orten der Erosionsschutz beanstandet. "In wenigen Fällen" gelangten dort Abschwemmungen auf benachbarte Flächen, wobei sich im Sediment "keine nachweisbaren Wirkstoffe" fanden. Andere Bundesländer machten zu Abschwemmungen und möglichen Auswirkungen auf Gewässer gar keine Angaben. Die meisten Pflanzenschutzdienste erklärten, der Lausbefall auf Zuckerrübenfeldern sei "witterungsbedingt" deutlich geringer ausgefallen als im Vorjahr. Das anbaubegleitende Bienenmonitoring ergab laut den Behörden bislang nirgends Schädigungen von Honigbienen infolge des Neonic-Einsatzes.

Den Imker Matthias Rühl beruhigt dieser Befund nicht. Er fürchtet, dass die Schäden sich erst nach dem Winter zeigen werden, wenn die Bienen ihren eingelagerten, womöglich belasteten Pollen gefressen haben. "Neonics können bei Bienen tödliche Durchfallerkrankungen auslösen", sagt Rühl. Am meisten empört ihn, dass die Gefährlichkeit der verbotenen Gifte für Gewässer praktisch nicht beachtet werde. Rühl stützt sich auf das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: Dessen Experten forderten bereits im Juni, dass die entsprechenden Umweltrisiken von Pflanzenschutzmitteln neu bewertet werden müssten. Fraglich scheint auch, wie unbedenklich die mit Neonics versetzte Erde ist, die an den geernteten Rüben hängt und nach dem Waschen wieder auf Feldern ausgebracht wird. Matthias Rühl sagt, es sei "eine Illusion zu glauben, dass man Gift in der Natur punktgenau einsetzen kann".

In Bayern befasst sich inzwischen auch der Landtag mit den Unwägbarkeiten der Notfallzulassungen für Neonicotinoide. Einen Dringlichkeitsantrag der Grünen gegen diese Ausnahmeregelungen lehnten die Regierungsfraktionen (CSU und Freie Wähler) kürzlich ab. Unterdessen hat die Zuckerlobby beim zuständigen Bundesamt die nächste Notfallzulassung schon beantragt, für den Einsatz von Thiamethoxam im Zuckerrübenanbau auch im folgenden Jahr.


Aus: "Notfallzulassung von Ackergift: Hauptsache, Rübe!" Merlind Theile (27. Oktober 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/2021/44/notfallzulassung-ackergift-bienen-pestizid-zuckerrueben-landwirtschaft/komplettansicht

QuoteEmersons Lehrjahre #24

Für mich steht die Vernichtung der Artenvielfalt auf einer Stufe mit dem Klimawandel.
Beides bedroht unsere Existenz.


Quotetravel in style #35

Der Eindruck drängt sich auf, dass der großteil unsere Politiker entweder unfähig oder nicht Willens sind, die Interessen der Allgemeinheit gegenüber Industrie und Wirtschaft durchzusetzen. ...


QuoteThe immortal Highland Pheasant #35.1

Da sie aber sehr gut fähig sind, die Interessen der Industrie durchzusetzen würde ich Unfähigkeit als Erklärung ausschließen!


...

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Quote[...] Vorhersehbare Kontamination: Forscher haben ermittelt, wie sich Tritium und andere Radionuklide aus dem verseuchten Abwasser von Fukushima im Pazifik ausbreiten werden. Denn ab 2023 soll das auf dem Kraftwerksgelände gelagerte Wasser ins Meer eingeleitet werden. Den Simulationen zufolge wird sich die Kontamination primär ostwärts ausbreiten und nach gut drei Jahren die Küsten der USA erreichen. Dort könnte die Konzentration sogar höher liegen als an vielen asiatischen Küsten.

Zehn Jahre nach dem schweren Atomunfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima ist die Lage in den Reaktoren noch immer kritisch. Sie müssen weiterhin gekühlt werden, um die Kernschmelze unter Kontrolle zu halten. Weil die Reaktorbehälter und Systeme nicht dicht sind, strömt ständig radioaktiv verseuchtes Kühlwasser aus, das abgepumpt und in Tanks gelagert wird. Mehr als 1,2 Millionen Tonnen dieses kontaminierten Wassers lagern schon auf dem Gelände und täglich kommen rund 170 Tonnen dazu.

Die Betreiberfirma Tepco hat deshalb bei der japanischen Regierung beantragt, dieses Wasser nach einer Reinigung ins Meer ablassen zu dürfen. Dafür soll das Tankwasser zunächst um das 40-Fache verdünnt und dann nach und nach ins Meer geleitet werden.

Das Problem jedoch: Trotz spezieller Reinigungsprozesse lässt sich das radioaktive Element Tritium nicht aus dem Wasser entfernen. Zwar gilt dieses Radionuklid als erst in hohen Dosen schädlich und daher wurde die Einleitung von der Internationalen Atomenergie-Organisation IAE als unbedenklich eingestuft. Das aber sehen nicht alle so. Forscher schätzen, dass die Tritiumwerte des Fukushima-Abwassers bei rund einer Million Becquerel pro Liter liegen könnten.

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Reste weiterer 60 Radionuklide, darunter Strontium, Cäsium, Iod und Kobalt, in höheren Mengen im gereinigten Wasser verbleiben, als es Tepco zugibt. Dennoch wurde die Einleitung im August 2021 genehmigt, 2023 soll es losgehen. Was dies für den Pazifikraum bedeutet und wie sich die Radionuklide aus Fukushima dann ausbreiten werden, haben nun Yi Liu von der Tsinghua Universität in Shenzhen und seine Kollegen mithilfe zweier Modelle untersucht. Eines zeigt die Ausbreitung auf makroskopischer Ebene, das andere folgt den Wegen einzelner Partikel.

Die Simulationen zeigen: In den ersten 120 Tagen nach Beginn der Einleitungen breiten sich die Radionuklide schnell über 30 Breitengrade und 40 Längengrade aus. Dabei bewegen sie sich stärker in Richtung Osten nach als nach Norden und Süden. Ursache ist die Lage von Fukushima nahe dem Treffpunkt des nordwärts fließenden Kuroshio-Stroms und der nach Süden gerichteten Oyashio-Meeresströmung, wie die Forscher berichten.

,,Der größte Teil der Kontamination verteilt sich daher nicht nach Norden und Süden entlang der japanischen und asiatischen Küsten, sondern driftet ostwärts", erklären Liu und seine Kollegen. . Als Folge bildet sich ein Streifen höher konzentrierter Kontamination, der sich entlang des 35. nördlichen Breitengrads über den Pazifik ausbreitet.

Nach 1.200 Tagen – gut drei Jahren – hat das verseuchte Wasser aus Fukushima den Pazifik überquert und erreicht die Westküste der USA. Dort erreicht die Konzentration der Radionuklide an der Küsten von Städten wie dem kalifornischen San Diego sogar höhere Werte als die Stadt Miyazaki an der japanischen Küste oder Schanghai in China. ,,Dieses Phänomen beruht auf den starken Meeresströmungen vor Japan", so die Forscher.

Sobald das kontaminierte Wasser den Äquatorbereich erreicht hat, wird es mit dem Äquatorialstrom auch in die Südhälfte des Pazifiks gespült. Im Verlauf von sechseinhalb Jahren gelangt es so auch bis in den Indischen Ozean und nach Australien. Wenig später werden sich das Tritium und die restlichen Nuklide aus der Fukushima-Einleitung im gesamten Pazifik verteilt haben.

Wie hoch die Belastung des Meerwassers mit radioaktivem Tritium und anderen Nukliden an den verschiedenen Stellen des Pazifiks und der umliegenden Küsten genau sein wird, können die Forscher anhand ihrer Simulationen nicht beziffern. Ihre Modelle seien aber wichtig als Basis für künftige quantitative Berechnungen, erklären Liu und seine Kollegen. (National Science Review, 2021; doi: 10.1093/nsr/nwab209)

Quelle: Science China Press



Aus: "Fukushima: Tritium im gesamten Pazifik"  Nadja Podbregar (6. Dezember 2021)
Quelle: https://www.scinexx.de/news/geowissen/fukushima-tritium-im-gesamten-pazifik/

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Quote[...] Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks Leibstadt ist verurteilt worden. Der Grund: Er war zu faul, um die Messgeräte zu kontrollieren. Stattdessen trug er Fantasiezahlen in über 200 Protokolle ein.

Ein Strahlenschutzfachmann des AKW Leibstadt hatte die Aufgabe, mobile Strahlungsmessgeräte zu kontrollieren. Damit werden Behälter vor dem Abtransport ins Zwischenlager Würenlingen überprüft. Der Mitarbeiter ließ drei Halbjahreskontrollen aus und fälschte mehr als 200 Protokolle. In die Checklisten trug er Fantasiezahlen ein.

Dafür wurde der AKW-Mitarbeiter von der Schweizer Bundesanwaltschaft per Strafbefehl verurteilt, in den CH Media Einsicht hatte. Er hat die Kontroll- und Dokumentationspflicht des Kernenergiegesetzes verletzt und muss eine Strafe von 3000 Franken sowie Verfahrenskosten von 1000 Franken zahlen. Normalerweise steht in einem Strafbefehl, wie gefährlich eine Tat war.

In diesem Fall steht aber hauptsächlich, wie harmlos sie war. Den halbjährlichen Konstanzprüfungen käme innerhalb des Sicherheitsdispositivs von Atomkraftwerken eine untergeordnete Bedeutung zu. Die Messgeräte seien außerordentlich robust und zuverlässig. Die fehlenden Kontrollen hätten keinen direkten Einfluss auf die nukleare Sicherheit. Aus "Bequemlichkeitsgründen" habe der Mitarbeiter die Kontrollen nicht richtig ausgeführt.

Vermutlich hat er seine Pflichten vernachlässigt, weil er sie nicht für wichtig hielt – was die Strafverfolgungsbehörde schließlich auch selbst bestätigt. In einem Atomkraftwerk könnten aber selbst unwichtige Kontrollen eine Bedeutung haben, weshalb der Fall sehr ernst genommen werde. Ein Vorgesetzter entdeckte die fehlenden Kontrollen. Er wurde stutzig, als er die Checkliste überprüfte und die Zahlen nicht die übliche Streuung aufwiesen. Der Mitarbeiter war also sogar zu faul, um sich unverdächtige Ziffern auszudenken.

Das Kernkraftwerk Leibstadt meldete den Fall im Jahr 2019 dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi). Dieses erstattete dann Strafanzeige. Das AKW überprüfte danach, wie gut die Messgeräte tatsächlich funktionieren. Bei acht Geräten wurden Abweichungen festgestellt. Der Mitarbeiter hatte Glück. Es waren Abweichungen nach oben. Die Geräte gaben also eine zu hohe Strahlung an, was kein Sicherheitsproblem darstellt.

Dennoch sieht das Nuklearsicherheitsinspektorat die Sicherheitskultur im AKW kritisch. In den vergangenen Jahren sei es zu einer Reihe von Vorfällen aufgrund menschlichen Fehlverhaltens gekommen. Das AKW ergriff daraufhin diverse Maßnahmen. Die Aufsicht wurde verstärkt, Mitarbeiter wurden geschult und für Kontrollen wurde eine Jobrotation eingeführt. Der faule Mitarbeiter hat seine Stelle inzwischen nicht mehr. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgelöst, heißt es beim AKW. Wer gekündet hat, ist nicht bekannt. Er hat danach umgehend einen neuen Job gefunden. Jetzt arbeitet er für eine Firma, die Nutzfahrzeuge herstellt.


Aus: "AKW-Mitarbeiter fälschte mehr als 200 Strahlen-Protokolle" Andreas Maurer (Do, 09. Dezember 2021)
Quelle: https://www.badische-zeitung.de/schweiz/akw-mitarbeiter-faelschte-mehr-als-200-strahlen-protokolle

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Quote[...] In der Zeichentrickserie "Biene Maja" sind Ameisen eine flinke Verteidigungstruppe. In der Realität können sie sich zwar gut gegen Angreifer verteidigen, nicht aber gegen Umweltgifte aus Menschenhand. Schon geringe Mengen von Herbiziden wie Glyphosat oder dem Neonicotinoid Thiacloprid dezimieren ihren Bestand. Die Wirkung ist zeitverzögert – sie tritt bei der Nachkommenschaft zu Tage, wie Biologen aus Graz und Regensburg beobachten konnten.

Rund 120 Ameisenarten gibt es in Österreich. Von ihnen sind etliche vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet. Das wird vor allem auf die Zerstörung und Veränderung ihrer Lebensräume und Ressourcen zurückgeführt, aber auch Umweltgifte spielen eine Rolle. Dabei spielen Ameisen eine wichtige Rolle für unsere Ökosysteme: "Ameisen sind unter anderem für die Wiederverwendung natürlicher Reststoffe und Bodenbelüftung zuständig und bilden mehr Biomasse als alle Säugetiere zusammen", weiß Dalial Freitak, Zoologin vom Institut für Biologie der Universität Graz.

Das Team rund um Freitak hat eine weit verbreitete tropische Ameisenart (Cardiocondyla obscurior) auf die Wirkung von Pflanzenvertilgungsmittel genauer untersucht und ihre Ergebnisse im Fachjournal "Ecological Entomology" veröffentlicht. Die Forschenden haben die Insekten getrennt und in Kombination sehr schwachen Dosen zweier Mittel ausgesetzt: dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat und dem Insektizid Thiacloprid. Beide werden außerhalb Europas intensiv verwendet. [Studie: Ecological Entomology: "Chronic sublethal pesticide exposure affects brood production, morphology and endosymbionts, but not immunity in the ant, Cardiocondyla obscurior." (First published: 01 December 2021): https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/een.13111]

Nach zwölf Wochen konnten sie die Spuren, die die Substanzen bei den Ameisen hinterließen, beobachten. Die Kombination der Umweltgifte habe sich besonders signifikant ausgewirkt. "Die Nachkommenschaft verringerte sich deutlich. Denn die Eierproduktion sank um 29 Prozent, die Zahl der Puppen um 34 Prozent. Als weitere Folge waren auch die Arbeiterinnen kleiner", fasste Freitak zusammen. Selbst geringe Pestizidkonzentrationen in der Umwelt können daher negative Auswirkungen auf Ameisenkolonien haben und zum weltweiten Insektensterben beitragen, resümierten die Autoren.

Die geringere Körpergröße, so die Forscherin, reduziert auch die "Fitness" der Ameisen. Das heißt, die Tiere sind weniger widerstands- und anpassungsfähig gegenüber Umweltfaktoren. Das habe gravierende Auswirkungen, wie die Zoologin erklärte: "Es werden dadurch weniger Pflanzensamen verbreitet, weniger Schädlinge gefressen und die Erde wird spärlicher aufgelockert." (APA, 14.12.2021)


Aus: "Weniger Nachkommen bei Ameisen durch Herbizide und Neonicotinoide" (14. Dezember 2021)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000131883782/weniger-nachkommen-bei-ameisen-durch-herbizide-und-neonicotinoide

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"Oil production vessel explodes off Nigerian coast" William Clowes (2/3/2022)
(Bloomberg) — An oil production ship exploded off the coast of Nigeria in what may prove to be the nation's second major environmental setback in three months. ...
https://www.worldoil.com/news/2022/2/3/oil-production-vessel-explodes-off-nigerian-coast/

"Thailand: Ölteppich verschmutzt Mae Ram Phueng Beach" (29. Jänner 2022)
Ein Ölteppich hat die Küste der bei Touristinnen und Touristen beliebten thailändischen Provinz Rayong erreicht. Der berühmte tropische Sandstrand Mae Ram Phueng Beach rund 200 Kilometer südöstlich von Bangkok blieb daraufhin gestern für Besucherinnen und Besucher geschlossen, wie örtliche Medien berichteten. Es werde über einen Monat dauern, den verschmutzten Küstenabschnitt zu reinigen, teilte die thailändische Marine den Berichten zufolge mit. ...
https://orf.at/stories/3245522/


Die Liste bedeutender Ölunfälle führt Ereignisse auf, bei denen eine größere Menge von Rohöl oder Mineralölprodukten freigesetzt wurde, insbesondere bei Havarien von Öltankern und Unfällen auf Ölplattformen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_bedeutender_%C3%96lunf%C3%A4lle

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Quote[...] Der Umweltverband WWF hat vor dramatischen Folgen des zunehmenden Plastikmülls in den Meeren gewarnt. Die Plastikverschmutzung habe in den vergangenen Jahrzehnten exponentiell zugenommen, erklärte der WWF unter Berufung auf eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven.

Für die Meta-Studie im Auftrag der Umweltorganisation wertete das Institut 2592 Untersuchungen aus, die seit den 1960er-Jahren bis 2019 durchgeführt wurden.

Plastikmüll zersetze sich im Ozean zu Mikro- und Nanoplastik, sagte die Leiterin des Fachbereichs Meeresschutz beim WWF Deutschland, Heike Vesper. Darum werde sich der Mikroplastikgehalt in den nächsten 30 Jahren mehr als verdoppeln. Bei knapp 90 Prozent der untersuchten Meeresarten seien Auswirkungen festgestellt worden, sagte die Meeresbiologin und Mitautorin der Studie, Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut. Allerdings seien diese Zusammenhänge noch wenig erforscht. Aber: ,,Die dokumentierten Auswirkungen sind äußerst beunruhigend", sagte Bergmann.

In Plastikmüll könnten sich Tiere wie Robben oder Meeresschildkröten verfangen und ersticken. Das gleiche Schicksal könne Vögel ereilen, die ihre Nester aus Plastikabfall bauten. Das sei etwa bei den Basstölpeln auf Helgoland beobachtet worden. Wenn der Müll den Meeresboden bedecke, fehle Korallen und Schwämmen Licht und Sauerstoff. Schildkröten und Raubfische oder auch Delfine und Wale verwechselten Plastikteile mit Beutetieren. Nach dem Verzehr hätten sie ein falsches Sättigungsgefühl, litten unter Verstopfung und an inneren Verletzungen. Mit dem Plastikmüll nähmen die Tiere zudem Chemikalien auf, die ihre Fortpflanzung beeinträchtigen könnten.

Besonders betroffen seien das Mittelmeer, das Gelbe und das Ostchinesische Meer. Korallenriffe und Mangrovenwälder seien in Gefahr. Vor der indonesischen Insel Java sei an einigen Stellen die Hälfte des Meeresbodens mit Plastikmüll bedeckt. Auch in der Tiefsee, die 70 Prozent der Erdoberfläche ausmache, sammele sich immer mehr Kunststoffabfall.

Der Müll werde häufig direkt ins Meer gekippt oder bei Hochwasser von Deponien weggespült. Einwegplastik mache 60 bis 95 Prozent der Verschmutzung aus. Laut der Studie haben sich zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff im Ozean angereichert. Mikroplastik gelange auch über das Abwasser in die Meere. Zwar hielten moderne Klärwerke 97 bis 90 Prozent der Partikel zurück, aber in einer Stadt wie Berlin oder Hamburg bedeute ein Prozent immer noch eine große Menge, sagte Bergmann.

Laut Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik sind die Hauptquellen für Mikroplastik-Eintragungen in Deutschland der Abrieb von Reifen und Bitumen im Asphalt sowie die Freisetzung bei der Abfallentsorgung. Auf Platz 7 der Rangliste des Instituts steht der Abrieb von Schuhsohlen, noch vor dem häufig genannten Faserabrieb bei der Textilwäsche (Rang 10) und Partikeln in der Kosmetik (Rang 17).

Auch Windkraftanlagen tragen zur Verschmutzung der Meere bei, wie Bergmann bestätigte. Die Lacke würden durch Wind abgetrieben. Allerdings könne man diese Menge noch nicht beziffern, ebenso wenig wie den zunehmenden Müll durch Masken und andere Corona-Schutzeinrichtungen.

Der WWF forderte die Ende Februar in Nairobi tagende Umweltversammlung der Vereinten Nationen (Unea) auf, ein rechtsverbindliches globales Abkommen gegen den Plastikeintrag in die Meere auf den Weg zu bringen. In Deutschland gebe es schon ein Bewusstsein für das Problem. Die EU habe vor einiger Zeit bestimmte Einwegplastikverpackungen verboten. Es sei nach ihrer Erfahrung ,,die schnellste Umweltgesetzgebung ever" gewesen, lobte Vesper.

Manche Verbesserungen brauchen jedoch Zeit, wie der Sprecher des Versorgers Hamburg Wasser, Ole Braukmann, sagte. Hamburgs rot-grüner Koalitionsvertrag sehe vor, den Einbau einer vierten Reinigungsstufe im Klärwerk zu prüfen. Es gehe dabei aber um eine hohe Investition für 50 bis 60 Jahre, deren Vor- und Nachteile genau bedacht werden müssten. Reinigungsverfahren mit Aktivkohle seien zum Beispiel sehr energieintensiv und teuer. (dpa)


Aus: "Plastik-Verschmutzung der Ozeane nimmt dramatisch zu" (08.02.2022)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/folgen-fuer-90-prozent-der-meeresarten-plastik-verschmutzung-der-ozeane-nimmt-dramatisch-zu/28047608.html

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Quote[...] Die bei der Jagd verwendete bleihaltige Munition stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Greifvögel dar, indem sie deren Nahrung belastet. Wissenschaftler:innen aus Deutschland und dem Vereinigten Königreich werteten nun erstmals Daten über den Bleigehalt der Leber Tausender toter Greifvögel aus ganz Europa aus, um die Auswirkungen der Bleivergiftungen auf die Größe ihrer Bestände zu bestimmen. Die Berechnungen zeigen, dass in Europa mindestens 55.000 ausgewachsene Greifvögel aufgrund von Bleivergiftungen fehlen. Besonders betroffen sind die Bestände von Seeadler (um 14% reduziert) und Steinadler (um 13% reduziert). Die Analyse ist in ,,Science of the Total Environment" veröffentlicht.

Vergiftungen durch das Fressen von Tieren, die mit bleihaltiger Munition beschossen wurden, führen dazu, dass die Bestände vieler Greifvogelarten weitaus kleiner sind, als sie sein sollten. Dies geht aus der ersten wissenschaftlichen Untersuchung hervor, die diese Auswirkungen für ganz Europa berechnet. Greifvögel wie Adler und Rotmilane nutzen Kadaver als Nahrungsquelle oder fressen verletzte Tiere. Finden sich in deren Körpern Fragmente des giftigen Bleis aus Jagdmunition, wird das aus der Nahrung aufgenommene Blei im Körper akkumuliert. Dies führt zu schweren bis tödlichen Vergiftungen, die Vögel erleiden einen langsamen und schmerzhaften Tod. Kleinere Dosen können nachweislich Verhalten und Physiologie der Greifvögel verändern.

Nun berechneten Wissenschaftler:innen der Universität Cambridge und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) anhand von Daten zum Bleigehalt der Leber von über 3.000 in mehr als einem Dutzend Ländern tot aufgefundener Greifvögel, in welchem Ausmaß sich die Vergiftung durch Bleimunition auf die Greifvogelpopulationen Europas auswirkt. Im Ergebnis führte bei zehn Greifvogelarten allein die Vergiftung durch Bleimunition dazu, dass dadurch rund 55.000 erwachsene Vögel am Himmel fehlen. Am stärksten betroffen sind Arten wie Stein- oder Seeadler, die von Natur aus langlebig sind, nur wenige Junge pro Jahr aufziehen und erst relativ spät mit dem Brüten beginnen. Auch häufiger anzutreffende Arten wie der Mäusebussard und der Rotmilan wären ohne die Auswirkungen der Bleianreicherung noch deutlich zahlreicher.

Die Berechnungen der Wissenschaftler:innen zeigen, dass die Seeadlerpopulation in Europa um 14 Prozent kleiner ist, als sie es ohne die mehr als ein Jahrhundert andauernde Exposition gegenüber Blei in ihrer Nahrung wäre, dicht gefolgt von Steinadler und Gänsegeier, deren Bestände um 13 bzw. 12 Prozent geringer sind. Der Habichtbestand ist um 6 Prozent und die Bestände von Rotmilan und Rohrweihe um 3 Prozent geringer. Die Mäusebussard-Populationen sind um 1,5 Prozent kleiner – dies entspricht 22.000 ausgewachsenen Exemplaren dieser weit verbreiteten Art, so die Wissenschaftler:innen. Sie berechneten, dass die Gesamtpopulation von zehn Greifvogelarten in Europa um mindestens 6 Prozent kleiner ist als sie sein sollte, und zwar allein aufgrund der Vergiftung durch Bleimunition.
Erstautor Prof. Rhys Green, Naturschutz-Wissenschaftler an der Universität Cambridge und der Royal Society for the Protection of Birds (RBSP), erklärt, dass eine Reihe von Alternativen zu bleihaltigen Schrotpatronen und Gewehrkugeln für Jäger weithin verfügbar sind und gut funktionieren. Die Bemühungen der britischen Jagdverbände um ein freiwilliges Verbot von Bleischrot bei der Jagd zeigten jedoch so gut wie keine Wirkung.

,,In Deutschland haben nur 4 von 16 Bundesländern die Verwendung von bleihaltiger Büchsenmunition für die Jagd verboten", sagt Leibniz-IZW-Wissenschaftler und Ko-Autor Dr. Oliver Krone. ,,Darüber hinaus ist Bleimunition in allen Bundesländern im Staatswald und in mehreren Bundesländern in Landeswäldern sowie in Nationalparks und Naturschutzgebieten verboten. Dieser Flickenteppich lässt viel Raum für die weitere Verwendung bleihaltiger Büchsenmunition, auch weil die überwiegende Mehrheit der Jagdgebiete wie Wälder und landwirtschaftliche Flächen in Privatbesitz sind. Teillösungen des Problems reichen nicht aus, um die negativen Auswirkungen der Bleivergiftung auf die Greifvogelpopulationen in Deutschland zu beenden, eine bundesweite Lösung des Problems wäre also notwendig." Die Verwendung von bleihaltiger Flintenmunition für die Jagd auf Wasservögel an Gewässern ist in fast allen Bundesländern verboten, für die Jagd auf andere Arten wie Fasane, Hasen, Tauben, Rebhühner, Kaninchen oder Füchse ist diese Munition jedoch weiterhin erlaubt. ,,Genau wie bei der Büchsenmunition ist die Verwendung bleihaltiger Flintenmunition in den meisten Fällen erlaubt und nur in einigen Fällen verboten", so Krone abschließend.
Derzeit haben nur zwei europäische Länder – Dänemark und die Niederlande – ein landesweites Verbot von Bleischrot (Flintenmunition) erlassen. Dänemark plant, diesem Verbot ein Verbot von Bleigeschossen für Gewehre (Büchsen) folgen zu lassen. Sowohl die Europäische Union als auch das Vereinigte Königreich erwägen ein gesetzliches Verbot aller bleihaltigen Munition aufgrund der Auswirkungen auf Wildtiere und auf die Gesundheit der menschlichen Konsumenten von Wildfleisch, doch viele Jagdverbände sträuben sich gegen flächendeckende Verbote.

Greifvögel werden vergiftet, wenn sie tote Tiere aufspüren, die mit Bleimunition getötet wurden. Dabei kann es sich um ganze Kadaver handeln, die von Jägern verloren oder zurückgelassen wurden, oder beispielweise um die Eingeweide von erlegten Rehen, Hirschen und Wildschweinen, die aus dem erlegten Tierkörper herausgenommen werden, um eine bakterielle Kontamination des Fleisches zu vermeiden und das Gewicht zu verringern. Neben den Geiern als klassischen Aasfressern gehört auch für viele andere Greifvögel Aas zum Nahrungsspektrum, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet – darunter Adler, Bussarde und Milane. Andere Arten, wie beispielsweise Falken und Habichte, nehmen kein oder nur selten Aas zu sich. Sie werden aber gelegentlich durch die Jagd auf lebende Beute dem Blei ausgesetzt, wenn diese angeschossen und verletzt, aber nicht getötet wurde. Systematische Röntgenaufnahmen von Wildenten im Vereinigten Königreich und von Wildgänsen in Deutschland zeigten, dass etwa ein Viertel bis ein Drittel der lebenden Vögel Schrot in ihrem Körper tragen. Verletzte Enten oder Gänse sind seltener in der Lage, Raubvögeln zu entkommen.

,,Es hat Jahrzehnte gedauert, bis Wissenschaftler:innen aus ganz Europa genügend Daten gesammelt hatten, um die Auswirkungen von Bleivergiftungen auf Greifvogelbestände berechnen zu können", sagt Ko-Autorin Prof. Debbie Pain von der Universität Cambridge. ,,Wir können jetzt sehen, wie erheblich die Auswirkungen auf die Bestände einiger unserer charismatischsten und empfindlichsten Arten sein können – Arten, die durch die EU-Verordnung und den britischen Wildlife & Countryside Act geschützt sind. Das vermeidbare Leiden und der Tod zahlreicher einzelner Greifvögel durch Bleivergiftungen sollten ausreichen, um die Verwendung ungiftiger Alternativen zu fordern. Die nun quantifizierten Auswirkungen auf die Bestände machen dies doppelt wichtig und dringend."

Für die jüngste Analyse berechneten Green, Pain und Krone anhand von Populationsmodellen, wie groß die europäischen Greifvogelbestände ohne die zerstörerischen Auswirkungen eines einzigen zusätzlichen Mortalitätsfaktors sein würden, der Bleivergiftung durch Munition. Sie verwendeten Daten, die seit den 1970er Jahren durch die toxikologische Untersuchung der Lebern tausender toter Greifvögel in 13 Ländern gesammelt wurden, und verglichen diese mit der ,,Jägerdichte", der durchschnittlichen Anzahl Jäger pro Quadratkilometer in jedem Land, unter Verwendung der Daten der European Federation for Hunting and Conservation. Wenig überraschend fanden sie an Orten mit einer höheren Jägerdichte mehr vergiftete Raubvögel. Die Wissenschaftler:innen nutzten diesen quantifizierten Zusammenhang, um die Vergiftungsquoten für Länder vorherzusagen, von denen es keine Daten über in Lebern angereichertes Blei gibt, deren Jägerdichte aber bekannt ist. Ihre Ergebnisse zeigen, dass es in einem Land, in dem kein Jäger Bleimunition verwendet, praktisch keine bleivergifteten Greifvögel gibt.

Green, Pain und Krone halten ihre Berechnungen für konservativ, nicht zuletzt, weil die Daten über vergiftete Greifvögel begrenzt und schwierig zu beschaffen sind. Für viele europäische Greifvögel, darunter einige der seltensten Arten, liegen keine ausreichenden Daten vor, um das Ausmaß des Risikos zu bestimmen.



Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Oliver Krone
Wissenschaftler in der Abteilung für Wildtierkrankheiten
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)

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Aus: "Greifvogelbestände in ganz Europa sind durch Bleivergiftungen aus Jagdmunition erheblich reduziert" (16. März 2022)
Quelle: https://nachrichten.idw-online.de/2022/03/16/greifvogelbestaende-in-ganz-europa-sind-durch-bleivergiftungen-aus-jagdmunition-erheblich-reduziert/?groupcolor=4

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