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[Alexander Kluge (Notizen) ... ]

Started by Link, November 29, 2017, 05:19:03 PM

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" ... Kluges Fernsehen sei ,,Zirkus mit 12-Ton-Musik" stöhnte der damalige RTL-Chef Thoma seinerzeit. Das ist nicht die schlechteste Charakterisierung des Werks dieses erstaunlichen Künstlers. ..."
Aus: "Alexander Kluge wird 90: Der Landvermesser" Peter Laudenbach (14. 2. 2022)

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Alexander Ernst Kluge (* 14. Februar 1932 in Halberstadt) ist ein deutscher Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller, Drehbuchautor und promovierter Jurist.
Er wurde als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt, den er in Theorie und Praxis mitbegründet und weiterentwickelt hat.
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Kluge

Kulturmagazine von dctp
https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturmagazine_von_dctp



Quote[...] Alexander Kluge folgt in seinem Schreiben der Kritischen Theorie, sein Übervater ist Walter Benjamin, der mit seinem 1929 begonnenen Passagenwerk versucht hat, eine Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts zu liefern. Als wild wuchernde Materialsammlung, in der vor allem Übersehenes und Verdrängtes in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurde.

Ähnliches schwebt Kluge vor: "Wir müssen heute dasselbe noch einmal wiederholen. Denn wenn wir das 20. Jahrhundert nicht verstanden haben, werden wir das 21. auch nicht bewältigen."

... Begriffe breitet Alexander Kluge wie Landkarten aus, Zitate verwendet er als Bausteine, ein großer Sammler ist Kluge, der seine Fundstücke zu neuen Metaphern und neuen Assoziationen zusammenzusetzen weiß. Wer derzeit an den Sackgassen des Denkens verzweifelt, für den halten Alexander Kluges Kommentarbände wunderbare abenteuerliche Fluchtwege bereit.


Aus: "Zwei neue Bücher von Alexander Kluge" (17. Jänner 2022)
Quelle: https://oe1.orf.at/artikel/690687/Zwei-neue-Buecher-von-Alexander-Kluge

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Bis Mitte der achtziger Jahre veröffentlicht Kluge 14 abendfüllende Spielfilme (die immer auch dokumentarisches Material enthalten), schreibt vier Bände Geschichten und setzt zusammen mit Oskar Negt die Kritische Theorie philosophisch-soziologisch fort. Nach der Aufkündigung der Filmförderung durch die konservative Regierung führt Kluge das Konzept der Politik der Autoren ab 1988 in sog. Kulturfenstern im Privatfernsehen fort (RTL, SAT 1, VOX sowie dem Schweizer Fernsehen). In knapp 20 Jahren entstehen ca. 1500 Stunden Sendezeit aus Gesprächen mit Künstlern, Wissenschaftlern, Musikern, Filmern, Schriftstellern, Politikern, aber auch mit neuen TV-Formaten wie Musikmagazinen, Bildern ohne Worte oder der bekannten Reihe Facts & Fakes. ...
http://www.kluge-alexander.de/


"Biennale Arte 2015 - Alexander Kluge: Nachrichten aus der ideologischen Antike"
https://www.youtube.com/watch?v=gMkk1O420-E

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Alexander Kluge im Gespräch mit Rasmus Kleine - Markus Heinsdorff "Arten und Elemente"
Interview aufgezeichnet am 10. April 2019 anlässlich der Ausstellung "Markus Heinsdorff - Arten und Elemente" im Kallmann-Museum Ismaning.
https://youtu.be/8Snkf8JuT-4

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Quote[...] Der unerschöpfliche Geschichtenerzähler Alexander Kluge hat wieder eine poetische Doku-Wunderkammer zwischen Buchdeckeln vorgelegt. Er berichte von einem ihm fremden Land, schreibt Kluge nicht ganz wahrheitsgemäß am Beginn seines ,,Russland-Kontainers", einer Sammlung disparater, assoziativ geordneter Texte über Mitgestalter russischer Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte, die von breiter Sachkenntnis kündet und, unterbrochen von Tagebuchnotizen des Autors, ein Wimmelbild zumeist gescheiterter Projekte ergibt.

Der mit Filmstills, Grafiken und Fotos illustrierte Band nimmt Themen früherer Kluge-Bücher auf, etwa Napoleons und Hitlers Russland-Feldzüge, revolutionäre Utopien und Terror, Raumfahrt und Perestroika; entstanden sei er freilich als Abbitte an seine vor drei Jahren verstorbene Schwester Alexandra, über deren an der DDR-Schule erworbenes Russland-Faible sich die Familie lustig gemacht habe, erfährt man. Der Blick zurück auf die kolossale Erfahrung sozialer Erosion in diesem Land passt aber vor allem bestens ins laufende Krisenjahr, in dem kumulierende Probleme den Zukunftshorizont zunehmend versperren – und das nicht nur in Russland.

Die Methode der Materialsammlung ist Kluges künstlerisches Credo. Er will Geschichte nicht als Korsett konsekutiver Abläufe vorführen, sondern als Polyphonie von Zielstrebigkeiten, die dem Leser eigene Arbeit abverlangt. Darin versteht Kluge sich als Romancier. Vor allem aber liebt er den Zirkus. Er schildert, wie der sowjetische Staatszirkus ,,Sieg des Proletariats" im Juli 1941 vom deutschen Überfall in Weißrussland überrascht und dennoch glücklich evakuiert wurde. Nach der Wende 1989 setzte dann im ehemaligen Ostblock das große Zirkussterben ein. Der ,,Russland-Kontainer" mit seinem K als Hommage an die russische Schreibweise lässt Momentaufnahmen historischer Nervenpunkte zirkushaft nach dem Überraschungsprinzip aufeinanderfolgen und bringt das Publikum durch artistische Mystifikation zum Staunen.

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Aus: "Alexander Kluge über Russland : Wie Anna Karenina glücklich wurde" Kerstin Holm (02.09.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/der-russland-kontainer-von-alexander-kluge-16901874.html


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QuoteMarcel Proust sitzt im Theater, in einer absolut langweiligen Boulevardkomödie, in Paris. Er langweilt sich grässlich. Sein Blick fällt auf das blaue Licht über den Notausgängen. Er stellt sich vor, dass das Theater brennt. Das beschreibt er in seinen Tagebüchern. Die Vorstellung eines Theaterbrands ist spannend, der Abend ist für ihn gerettet. Das ist Einbildungskraft. Die Fantasie möchte lieber flüchten, als sich mit unangenehmen Wahrheiten zu beschäftigen. Aber sie kann sich auch mit der Aufklärung verbünden. Mithilfe der Fantasie kann man gegen das Verhängnis arbeiten, zu einem Zeitpunkt, an dem es noch gar nicht da ist. Der Lehrerin, die 1945 im Luftschutzkeller mit ihren Kindern Angst vor den Bomben hat, fehlt 1929 nicht Entschlossenheit, sondern Einbildungskraft. Sie kann sich den Krieg nicht vorstellen, deshalb findet er statt.

... In unserem Gehirn arbeiten Billionen Wahrsager. Die sagen aufgrund ihrer Erfahrung, aber auch aufgrund ihres Temperaments, was demnächst geschehen wird. Sie bilden nicht eine Gegenwart ab. Sondern sie bilden ein kleines Stückchen Voraussicht und Nachsicht ab. Aber Futur gibt es nur im Plural: Es sind unterschiedliche Varianten möglich. Sich darin zurechtzufinden erfordert Ahnungsvermögen. Daran arbeiten die Wahrsager in unserem Gehirn unaufhörlich. Deshalb lebt niemand nur in einer Gegenwart. Wer nur in ­einer Gegenwart leben möchte, müsste die Wahrsager in seinem Kopf dazu bringen, ihre Arbeit einzustellen. Ich bezweifle, dass das möglich ist. Ihre Arbeit macht die Überlebenskraft des Lebendigen aus. ...


Aus: "Alexander Kluge über Corona: ,,Die Fantasie ist ein Fluchttier"" (12. 9. 2021)
Quelle: https://taz.de/Alexander-Kluge-ueber-Corona/!5797110/


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#5
Quote[...] Nichts ist realer als menschliche Wünsche. Dem Filmer, Autor, Anwalt und Philosophen der ,,Gegenöffentlichkeit" Alexander Kluge zum 90. Geburtstag.

... Jürgen Habermas, ein Freund und Weggefährte Kluges, beschreibt das In- und Gegeneinander der gleichgültigen Objektivität, der Funktionslogiken der Ordnungssysteme mit dem Eigenleben der Subjekte als einen Kern seines Werkes. Kluge, so Habermas, ,,heftet den Blick auf die Nahstellen, wo die Kategorien des Rechts und der Organisation in Lebensläufe eingreifen. Er trennt diese Nähte geduldig wieder auf und stößt dort auf die überwältigende Intelligenz des Alltags, auf Wünsche, Phantasien und Empfindungen, auf sublime Tugenden und Fertigkeiten."

Subversiv ist Kluge auch in seinem Begriff von Öffentlichkeit, einer der kostbaren und unverzichtbaren Ressourcen eines Gemeinwesens. Interessanter, als die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern, ist es, eigene Zeitungen zu gründen, Filme zu drehen und Bücher zu schreiben: Gegen schlechte Filme, Zeitungen, Fernsehsendungen helfen nur gute Filme und Zeitungen. Das ist Kluges Projekt der Gegenöffentlichkeit.

Kluge erzählt Gegen-Geschichten zu den offiziellen Darstellungen der Wirklichkeit – am nachdrücklichsten vielleicht in dem von ihm initiierten Kollektivfilm ,,Deutschland im Herbst" über die Bundesrepublik nach der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und den Selbstmorden der in Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder. Ein Jahr nach diesem Film gründete sich 1979 die taz, auch das ein Projekt der Gegenöffentlichkeit, das Kluge und sein Freund Habermas mit Sympathie und Neugier beobachteten. Kluge erzählt, dass er in der Gründungsphase der taz an einem der Frankfurter Vorbereitungstreffen teilgenommen hat.

Zu Kluges Begriff der Öffentlichkeit gehört, dass ihre Teilnehmer und Nutzer erwachsene Menschen sind, nicht Reiz-Reflex-Kunden einer Bewusstseinsindustrie, deren Daseinszweck die Monetarisierung von Aufmerksamkeit ist, etwa als Einfallstor für Werbung. Dass Kluge in der Frühzeit des Privatfernsehens dieses Geschäftsmodell eine ,,subtile Form des Menschenhandels" genannt hat, trifft erst recht für die heutige Aufmerksamkeits-Verwertungs-Industrie der Internetkonzerne zu, neben deren Raffinesse das Trash-Fernsehen der Privatsender rührend altmodisch wirkt.

Eines der erstaunlichen subversiven Manöver Kluges bestand darin, die Sender des Privatfernsehens mit juristisch-politischer Geschicklichkeit zu zwingen, ihm als unabhängigen Produzenten über viele Jahre Programmfenster zu seiner freien Verfügung einzuräumen. Dort konnten die RTL-Zuschauer dann zur späten Stunde Heiner Müller beim Schweigen zusehen, Kluges Freund Helge Schneider als U-Boot-Kommandant in Fantasieuniformen begegnen oder sich von Dirk Baecker erklären lassen, was postheroisches Management ist.

Kluges Fernsehen sei ,,Zirkus mit 12-Ton-Musik" stöhnte der damalige RTL-Chef Thoma seinerzeit. Das ist nicht die schlechteste Charakterisierung des Werks dieses erstaunlichen Künstlers.


Aus: "Alexander Kluge wird 90: Der Landvermesser" Peter Laudenbach (14. 2. 2022)
Quelle: https://taz.de/Alexander-Kluge-wird-90/!5831147/