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[Pop Diskurs / Kulturtheorie (Diedrich Diederichsen, etc.)...]

Started by lemonhorse, December 17, 2012, 09:04:52 PM

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QuoteSo schrieb die Zeitschrift konkret im Jahr 1980:

    ,,Die Beatles, Stones, Cream, Deep Purple, Roxy Music haben ganz selbstverständlich die deutschen Wohnzimmer infiltriert."


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Deep_Purple

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[Irgendwo ist etwas verloren gegangen... ]
Jede Kunst ist ein Ausdruck einer Haltung zur Gesellschaft, ist ein Kommentar zur Welt, eine Mitteilung über einen inneren Zustand des Künstlers. Das gilt besonders für die Musik. ...  (Konrad Lehmann)
[...] Und doch ist sie gar nicht leicht zu beantworten, diese Frage nach Henne und Ei – oder eben nach der Popmusik und der Rebellion von 1968. ... (Aus: "Soundtrack einer verpassten Revolution" Jan-Paul Koopmann (2. 1. 2016))
https://www.subf.net/forum/index.php/topic,663.0.html


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" ... testcard, eine Anthologie zur Popgeschichte und -theorie in deutscher Sprache, erscheint ein- bis zweimal im Jahr (Broschur, je ca. 300 Seiten mit zahlreichen Abbildungen). Artikel zu Musik, Film und zeitgenössischer Kunst kreisen in jeder Ausgabe um einen wechselnden Themenschwerpunkt.
Als testcard 1995 gegründet wurde, stand es im deutschsprachigen Bereich schlecht um die Popkritik. »Cultural Studies« wurden zwar bereits diskutiert, hatten jedoch noch kein Forum in Form einer Zeitschrift oder eines Periodikums. Inzwischen hat sich testcard als eigenständige, kritische Buchreihe in Sachen Popkritik etabliert. Dennoch wäre es falsch, von einer klar umrissenen »Schule« zu sprechen. Gerade die Offenheit für verschiedene methodologische Ansätze zeichnet testcard aus.
Die Buchform und ca. halbjährliche Erscheinungsweise mit jeweiligem Schwerpunktthema sind von uns bewusst gewählt worden: Popkultur bedeutet uns mehr als ein Wegwerfprodukt. Ausgiebig recherchierte Artikel und historische Überblicksdarstellungen sind uns wichtiger als der Sachzwang, monatlichen Trends hinterherlaufen zu müssen. Dadurch besitzt testcard eine vergleichsweise große Unabhängigkeit gegenüber momentanen Moden und ökonomischen Sachzwängen. Die in den Artikeln vorgestellten Künstler, aber auch die zahlreichen Buch- und Plattenrezensionen repräsentieren ganz bewusst nicht den Mainstream. ..."
https://www.testcard.de/katalog/testcard

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[Zum Spannungsfeld der Musikindustrie... ]
Bis Punk mit dem Clash-Stück "Should I Stay Or Should I Go" in der Levis-Werbung angekommen war, hat es noch 10 oder 15 Jahre gedauert, bei Grunge dauerte es nur noch etwa ein Jahr.
Die Perfektion, mit der etwas irgendwie Widerborstiges und Rebellisches zum Teil des Mainstreams gemacht und zu etwas Affirmativen umgebogen wird, nötigt mir Respekt ab. Den Kapitalismus darf man eben niemals unterschätzen, und die Kulturindustrie ist eine Speerspitze des Kapitalismus.

https://www.subf.net/forum/index.php/topic,46.0.html

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Quote[...] Nach wie vor schätzt Thea Dorn in Adorno den ,,großen Anwalt des Nonkonformismus, des Nicht-Identischen", der nie auf einen einfachen Nenner zu bringen gewesen sei. Ein Kapitalismuskritiker, der ,,wahnsinnig bürgerlich" in seinem Habitus und wohl auch in seinem Denken war und der niemals vulgärmarxistisch wurde.

Und der gewissermaßen ein negativer Dialektiker war, für den die Kunst ,,der einzige Ort der Rettung" war. Das erklärt für Thea Dorn auch, warum Adorno so polemisch wurde, wenn es um die ,,Kulturindustrie" ging: Jazz lehnte er ab, genauso wie die Beatles und Film und Fernsehen sowieso – weil die Kulturindustrie die Kunst zum Amüsement macht und so deren Erlösungspotenzial verrät. ,,Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unter dem Spätkapitalismus", so Dorn. ,,Also dass diese falsche Kunst genau dieselben Zudröhnungs-, letztlich Selbstentfremdungsbedürfnissen erfüllt, wie es der Alltag ohnehin tut." ...


Aus: "Thea Dorn über Theodor W. Adorno,,Ein großer Anwalt des Nonkonformismus" - Thea Dorn im Gespräch mit Dieter Kassel" (06.08.2019)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/thea-dorn-ueber-theodor-w-adorno-ein-grosser-anwalt-des.1008.de.html?dram:article_id=455555

Unter Kulturtheorie versteht man die Erarbeitung theoretischer Grundlagen kulturwissenschaftlicher Forschung. Analog zur sonstigen Verwendung des Begriffs Theorie (etwa in Literaturtheorie, Filmtheorie usw.) bezeichnet der Begriff sowohl die jeweiligen einzelnen Theorieentwürfe, als auch die Gesamtheit dieser Theorien.  ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturtheorie

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Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
https://kaput-mag.com/de/

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POP-ZEITSCHRIFT
Neben Aufsätzen aus der Zeitschrift »Pop. Kultur und Kritik« veröffentlicht pop-zeitschrift.de überwiegend Originalbeiträge.
http://www.pop-zeitschrift.de/

Die Zeitschrift »POP. Kultur und Kritik« analysiert und kommentiert die wichtigsten Tendenzen der aktuellen Popkultur in den Bereichen von Musik und Mode, Politik und Ökonomie, Internet und Fernsehen sowie Literatur und Kunst. »POP« liefert feuilletonistische Artikel und Essays mit kritisch pointierten Zeitdiagnosen. ...
https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/pop/index

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Diedrich Diederichsen (* 15. August 1957 in Hamburg) ist ein deutscher Kulturwissenschaftler, Kritiker, Journalist, Kurator, Autor, Essayist und Hochschullehrer. Er gilt als einer der wichtigsten deutschen Poptheoretiker. ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Diedrich_Diederichsen


Diedrich Diederichsen
Verstreute Schriften
Interviews / Gespräche
Vorträge & Veranstaltungen
Buch-Veröffentlichungen als Autor Buch-Veröffentlichungen als Herausgeber
http://diedrich-diederichsen.de/

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Als Popkultur (von lateinisch populus ,Volk') oder Populärkultur werden kulturelle Erzeugnisse und Alltagspraktiken, die vor allem seit dem 20. Jahrhundert im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung als Massenkultur Verbreitung finden, bezeichnet. Die Etablierung des Massenkonsums seit dem späteren 19. Jahrhundert spielt dabei eine Rolle. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Popkultur

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"Ein Pop-Magnum" Jörg Augsburg (14.03.2014)
Reflexion Diedrich Diederichsens jahrelanges Nachdenken ,,Über Pop-Musik" hat das Zeug zum Standardwerk... Schon vor gut zehn Jahren soll die erste Fassung von Über Pop-Musik entstanden sein, ein echter Klopper ist es nun geworden und weit entfernt von jeglicher ,,Populärwissenschaft". Das fängt schon beim Definitionsrahmen an. ,,Pop-Musik" nennt Diederichsen den Gegenstand, eine genau bedachte Schreibweise. Es ist der Powerchord des Buches, jener mächtig knallende Schlag in die Saiten einer elektrisch verstärkten Gitarre, der die Tonart noch offen lässt, aber für garantierte Aufmerksamkeit sorgt. ,,Pop-Musik" sei als eine in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entstandene eigenständige Kulturgattung zu sehen, stellt Diederichsen klar, nicht als Teilbereich oder Weiterentwicklung von bis dato existierender ,,Musik-Musik". Nur so könne man Popmusik kulturtheoretisch sinnvoll erfassen und untersuchen. ...
https://www.freitag.de/autoren/joerg-augsburg/ein-pop-magnum


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#1
Diedrich Diederichsen - Über Pop-Musik
Pop-Musik, sagt Diederichsen, ist gar keine Musik. Musik ist bloß der Hintergrund für die viel tiefer liegenden, viel weiter ausstrahlenden Signale des Pop. Pop ist ein Hybrid aus Vorstellungen, Wünschen, Versprechungen. Er ist ein Feld für Posen und Pakte, für Totems und Tabubrüche. Der Autor bezieht seine Argumente aus Semiotik und Soziologie ebenso wie aus der Geschichte und Gegenwart der Pop-Kultur und aus den angrenzenden Gebieten Jazz, Kino, Oper. Diederichsen greift immer wieder auf die eigenen Erfahrungen zurück, sein Initiationserlebnis war ausgerechnet ein Konzert des bleichen Bluesrockers Johnny Winter. Was er über dessen Auftritt schreibt, gilt für viele, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind: Pop hat "eingelöst, was wir alle immer schon geahnt hatten, aber als Kinder nie ganz genau wussten: dass es etwas gibt. Nicht, wovon Winter heulte, war wichtig, sondern dass in komischen Geräuschen ein Weg zur Welt war." ...
http://www.perlentaucher.de/buch/diedrich-diederichsen/ueber-pop-musik.html



"Keynote-Talk @ m4music 2014: Diedrich Diederichsen im Gespräch mit Max Dax"
Ganze Generationen von Pop-Fans hat er angeregt und verstört: Diedrich Diederichsen, Kulturwissenschaftler, Journalist, Autor. Als Redaktor und Herausgeber der Popkultur-Zeitschriften Sounds und der Spex war Diederichsen einer der prägendsten Musikjournalisten Deutschlands. Nun erscheint mit «Über Pop-Musik» das Ergebnis seines lebenslangen Nachdenkens über Pop. «Pop-Musik», sagt Diederichsen, «ist gar keine Musik. Musik ist bloss Hintergrund für die viel tiefer liegenden, viel weiter ausstrahlenden Signale des Pop. Pop ist ein Hybrid aus Vorstellungen, Wünschen, Versprechungen.» Mit dem Journalisten und Autoren Max Dax unterhält sich Diederichsen über die Vielgestaltigkeit des Pop-Phänomens. ...
https://www.youtube.com/watch?v=SoXXjo0zmMI



"DIEDRICH DIEDERICHSEN: Counter Cultural Movements of California in 60s/70s"
Conference -- festival that took place from 12--15 March, 2013 at the Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam. ...
https://www.youtube.com/watch?v=plAQ3dQZzMY



"Rainald Goetz & Diedrich Diederichsen: "mehr""
Aufzeichnung der Mosse-Lecture vom 03.05.2012 in der Humboldt-Universität zu Berlin.
https://www.youtube.com/watch?v=i1cAk_RoAeQ

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89 goes Pop! Popkultur als Zugang in der Vermittlung über Friedliche Revolution und Transformationszeit
Romane, Filme, Musik, Podcasts. Nicht erst seit den letzten Jahren boomen die Darstellungen zu 1989 und der sog. Wendezeit in den populären Medien. Mit unserer Website wollen wir dieses weite Feld konturieren und das recherchierte Material zur Verfügung stellen.
https://89goespop.jimdofree.com/

1989 in Pop und Punk: Wie klingt Musik über die Wende?
https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=878060

Link

#2
"Kultur und Pop Popkultur American Epic Eine Reise zu den Wurzeln der Popmusik" (Arte, 2018)
https://youtu.be/sELPadykYSo

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"Die Subjektwerdung in der Kulturindustrie"
Veröffentlicht: 4. Dezember 2014 in Internet, Popkultur   
Schlagwörter:Georg Lukács, Kritische Theorie, Kulturindustrie, Max Horkheimer, Max Weber, Popkultur, Theodor W. Adorno, westlicher Marxismus   
http://kultgenosse.wordpress.com/2014/12/04/die-subjektwerdung-in-der-kulturindustrie/

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"ANDY WARHOLS SPIELFILM HEDY Lecture von Diedrich Diederichsen" (22.05.2014)
Unter allen von Warhol selbst gedrehten Filmen kommt HEDY oder HEDY, THE SHOPLIFTER einem konventionellen Spielfilm am nächsten. Es gibt Schauspieler, die Rollen spielen, eine Handlung sowie verschiedene Szenen und Bauten. Auch wenn diese Elemente nicht entscheidend sind, oft nur angedeutet werden, stellt der Film damit fast eine Ausnahme dar. Vor der Folie der angedeuteten Erzählhandlung und den Dialogen von Ronald Tavel wird andererseits erst recht vieles klar, das für den konzeptuellen Zuschnitt von Warhols Filmen zwischen 1964 und 1966 zentral war: Blicke, Posen, Klänge, Schatten -- und deren Eigenleben. Auch die sich sehr weit vorwagenden Persönlichkeitsdesigns der Darsteller Mary Woronov und Jack Smith nehmen eine zentrale Funktion ein.
Diedrich Diederichsen ist Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der Bildenden Künste, Wien.
https://www.youtube.com/watch?v=4PNgG6peuuw

http://deutsches-filminstitut.de/blog/lecture-film-andy-warhol/#2

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Jens Kastner, Jg.1970, Dr. phil., Soziologe und Kunsthistoriker, lebt als freier Autor und Dozent in Wien.
http://www.jenspetzkastner.de

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#3
Reine Oberfläche - Zum neuen Unbehagen am Glatten
Ein Abend mit Thomas Meinecke und Thomas Hecken
Donnerstag, 19. November 2015

Die Oberfläche scheint in einer tiefen Krise. War ihr Aufschwung im Pop der 1980er Jahre eine Reaktion auf die Formlosigkeit der Alternativkultur der 1970er, auf deren Konsumfeindlichkeit und Innerlichkeit, so scheint von der ,postmodernen' Feier der Oberfläche – gemäß der in den Nuller Jahren formulierten Diagnose ,,Irony is over" – wenig übriggeblieben zu sein. Die neue Ernsthaftigkeit tritt als Skepsis gegenüber Glamour, Geld und Künstlichkeit auf, als politisch engagierte Kunst, handgemachter Pop oder bekenntnisförmige Literatur. Das Natürlichkeitsideal der ,Ecken und Kanten' ist durch das Interesse gesteuert, qua Oberflächenanalyse zur Tiefe der Dinge vorzudringen – und Tiefe bedeutet vor allem die Authentizität zerbrechlicher Persönlichkeiten.
Dass die Alltagssprache Oberflächlichkeit nicht gerade prämiert, ist nicht neu und entstammt einem teils religiösen, teils platonischen Vokabular, das als Synonyme des Oberflächlichen Flachheit, Gehalt- Geist- oder Inhaltslosigkeit vorsieht. Wer ,Oberflächlichkeit' diagnostiziert, spricht im Tonfall der Kulturkritik, weist auf künstlerische Minderwertigkeit oder einen Mangel an Tiefe hinter der Oberfläche hin. Beispielhaft für die Erneuerung der Oberflächenkritik ist der Zusammenhang, den der Philosoph Byung-Chul Han zwischen der ,,glatten Oberfläche" in Kunst (Jeff Koons), Enthaarungspraktiken (Brasilian Waxing) und neuen Medien (iPhone) einerseits und ,,glatter Politik" andererseits auffindet: Gefälligkeit, mangelnde Visionen und Überzeugungen seien der Preis einer glatten, kalten Welt.
In diesem Kritikmodus muss es bereits irritierend anmuten, Oberflächlichkeit als deskriptive Kategorie zu verstehen, wie Thomas Hecken es in seiner Pop-Definition vorschlägt. Oberflächlichkeit meint hier schlicht ein Prinzip, das sich – etwa im Falle des Schallplattencovers – gegen Funktionalitätsanforderungen richtet. Pop ,zweiter Ordnung' stellt Oberflächen her, die nicht mehr zu sein beanspruchen als reine Oberfläche. Wirksam wurde diese Coolness der Oberfläche in den 1980er Jahren nicht aus sich selbst heraus, sondern durch ihre teils taktische Abwendung vom Pathos in Rock, Alternativ- und Hippiekultur. Während es in der Diskussion um die Postmoderne, ihrem Interesse am Spiel mit Künstlichkeit und Zitation, noch in erster Linie um die Sichtbarkeit von Oberflächen, d..h. Oberflächen als Bilder ging, scheint heute stärker die haptische Dimension in den Vordergrund zu treten, wie die obigen Beispiele glatter Haut und glatter Smartphones zeigen. Diese Dimension des Taktilen, der Fühlbarkeit, verweist zugleich auf  die Problematik der Gleichsetzung von Oberfläche und Glätte – und macht mit den Gebrauchsspuren, der verschmierten oder verkratzten Oberfläche jenseits der Glätte auch die Materialität von Oberflächen denkbar. Michel Serres' Überlegungen zum Zusammenhang von Kosmetik und Kosmologie liefern erste Hinweise zu einem materialistischen Oberflächenverständnis: Kosmetik steht hier nicht – wie in der ,postmodernen' Version – für eine Auflösung der Wirklichkeit in sichtbare Oberflächen, ermöglicht durch einen ,,Verzicht" auf Tiefe, sondern begreift (Körper-)Oberflächen als Landschaften mit Markierungen und Hervorherbungen.
Wie verändert sich also das sinnliche Erleben von Oberflächen, wenn diese sich von einer durch Sichtbarkeit geprägten Kultur wegbewegen? Lässt sich hier anschließend ein Verständnis von Oberfläche jenseits der postmodernen Ironie entwickeln, d.h. ist angesichts einer neuen Ernsthaftigkeit ein aktualisiertes Lob der Oberfläche zu erwarten, das ,postmoderne' Prinzipien der Ironie und des Zitats hinter sich gelassen hat? Kann eine gegenwartsbezogene Oberflächenfaszination zu einer Kritik am neuen Kult der Authentizität beitragen?

http://golem.kr/?p=8861

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"David Bowie ist tot – und mit ihm das letzte Gesamtkunstwerk im Pop" (Kultwerk #212, 11.1.2016)
Denn die Musik der Jugend, sie ist längst von ihrer mystischen Faszination befreit worden. Vielleicht liegt es an unserem Alter. Vielleicht an der Repetition der Trends und ihrer kurzen Halbwertszeit. Vielleicht liegt es auch an der ständigen Verfügbarkeit: von Informationen bis Definitionen, alles ist greifbar, Pop längst auf überhitzte Server abgeschoben worden.
Da gammelt das einstige Faszinosum rum, da liegen sie jetzt, in einem Serverraum, die Hintern der Kardashians, die Kinder von Robbie Williams, die Egos von Kanye West. Von den Casting Stars ganz zu schweigen. ...

https://www.tageswoche.ch/de/2016_2/kultur/707975/David-Bowie-ist-tot-%E2%80%93-und-mit-ihm-das-letzte-Gesamtkunstwerk-im-Pop.htm


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"Selber ausprobieren" René Dupé (31. Mai 2016 lowerclassmag)
Biografie über Alfred Hilsberg, Labelgründer und Doyen des musikalischen Underground in der Bundesrepublik, erschienen
Das Buch ist eine faszinierende Reise durch mehrere Jahrzehnte Politik, Kunst, Alltags- und Sozialgeschichte der BRD. ... Auf Hilsbergs 1980 gegründetem Label ZickZack passierte das, was damals in der Bundesrepublik sonst kaum noch passierte – musikalisch wie handwerklich. Vom Plattenmachen hatten Hilsberg und Klaus Maeck, sein Gefährte in diesen Tagen, zunächst genauso wenig Ahnung wie vom Betreiben eines Geschäfts – die beiden hatten zuvor den Rip-Off-Laden betrieben, Ausgangsbasis der Hamburger Punkszene. Sie hatten eigentlich ,,nur die vage Vorstellung, dass man Bänder mit Musik brauchte, aus denen dann Platten wurden" (S. 138). Und so starteten sie einfach, denn: ,,Das Schallplattenmachen ähnelte dem Drogennehmen in den späten Sechzigern: Es gab kaum Erfahrungswerte, man musste alles selber ausprobieren." (ebd.) ... Dazwischen, davor und danach liefen Hilsberg so ziemlich alle Menschen irgendwann mal über den Weg, die in den Achtzigern und Neunzigern eine große oder kleine Rolle im internationalen Musik-Underground spielten. Das Buch ist somit auch eine Schatzkiste an Anekdoten und Geschichten über bekannte und auch weniger bekannte Figuren aus Punk und dem, was dann irgendwann Independent-Musik genannt wurde. Der Autor der vorliegenden Biographie führte viele Interviews und Gespräche, aus denen ausführlich zitiert wird. Also noch ein Namedropping: zu Wort kommen in dem Buch unter vielen vielen anderen Rocko Schamoni, Felix Kubin, Diederich Diederichsen, Knarf Rellöm, Rummelsnuff, Peter Hein, Jochen Diestelmeyer, Bernadette La Hengst, Ted Gaier, Thomas Meinecke, Blixa Bargeld undsoweiterundsofort. ...
http://lowerclassmag.com/2016/05/selber-ausprobieren/

Christof Meueler: Das ZickZackPrinzip. Alfred Hilsberg – Ein Leben für den Underground. Wilhelm Heyne Verlag München 2016. 384 Seiten

https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hilsberg

"Neue Deutsche Welle - Aus grauer Städte Mauern"  Alfred Hilsberg (SoundS 10/79)
http://www.highdive.de/over/sounds3.htm

"Alfred Hilsberg und sein Leben Im Paradies der Unangepassten" Gerrit Bartels (22.04.2016)
Das eigene Ding machen: Christof Meueler erzählt in "Das ZickZack-Prinzip" das Leben des Underground-Papstes und Labelmachers Alfred Hilsberg.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/alfred-hilsberg-und-sein-leben-im-paradies-der-unangepassten/13483992.html


"Alfred Hilsberg: "Niemand legte Wert auf Hi-Fi-Sound"" Interview: Oskar Piegsa (22. Januar 2016 DIE ZEIT Nr. 4/2016, 21. Januar 2016)
Er liebt Punk und hasst die Neue Deutsche Welle, obwohl er als ihr Schöpfer gilt: Gespräch mit Alfred Hilsberg, dem Förderer Hamburger Pop-Legenden.
http://www.zeit.de/2016/04/alfred-hilsberg-musikjournalist-zickzack-label-punk-neue-deutsche-welle


LiteraturClips: Matthias Hagedorn (10. Dezember 1991)
Viel wurde über Popliteratur geschrieben. Ein weithin unbeachteter Aspekt ist dabei, daß maßgebliche Impulse für die Entstehung einer Popliteratur vom Rheinland ausgingen. Am Anfang standen die Autoren und Übersetzer Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla, die ab Mitte der 1960er Jahre in Köln lebten und von hier aus der amerikanischen Beat- und Untergrund-Literatur deutschlandweite Aufmerksamkeit verschafften. ...
http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=25399

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"Sampeln des Subjekts" Georg Seeßlen (19.08.2016)
Pop – Ein Panorama der Gegenwart Jens Balzer Rowohlt Berlin, 256 S ... Man kann Pop als Kunst beschreiben, als soziales Schmiermittel, als Ersatzreligion, als industrielle Verblendung, als Ausdruck politischer Ökonomie, als Subversionsmedium, als Waffe im Klassenkampf, als Technik der Persönlichkeitsbildung, als Meer der Banalität mit wunderbaren Inseln der Bedeutung. Aber all das hat eine direkte Beziehung zum wirklichen Leben der Leute, die Radio hören, Youtube-Clips ansehen oder in die Konzerte gehen. Pop ist die Antwort auf das, was mit dem Subjekt unter den jeweiligen Bedingungen passiert. Balzer beschreibt, was im Echoraum des Pop mit dem Subjekt im digitalen Neoliberalismus geschieht, wie es zerbricht und wieder zusammengesetzt wird, wie Musik wiederum eingebaut wird ins Subjekt, das mit den Widersprüchen seiner Bedingungen fertigwerden muss, mit dem gender trouble, der Frage nach Macht und Unterwerfung, nach Autonomie und Selbstbestimmung. ... Balzers Buch ... macht auf einen Zusammenhang zwischen Musik und Politik aufmerksam, der über Texte und Interviews weit hinausgeht. Wenn Pop dabei hilft, das digitalkapitalistisch zerbrochene Subjekt wieder zusammenzufügen, mit unterschiedlichen Naht- und Rissstellen, unterschiedlichen Anteilen von Lust und Schmerz, Bewusstsein und Dröhnung, dann gilt das Gleiche eben auch für ein politisches Subjekt. Und so erklärt sich auch der Untertitel des Buchs: ,,ein Panorama der Gegenwart". Es geht nicht nur um einen panoramatischen Blick auf das Pop-Geschehen. Es zeigt auch, wie Pop die Gegenwart panoramatisch sieht. Man muss sich nur, vielleicht unter der kundigen Führung eines Autors wie Jens Balzer, auf diesen Blick einlassen. ...
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/sampeln-des-subjekts

QuoteRichard Zietz 19.08.2016 | 09:39

»Was in den Mainstreamzyklen ›nicht mehr geht‹, wandert eben in Nischen ab.«

Die wellenweise vonstatten gehende Sich-Selbst-Historisierung von Popmusik wird von Pop-Autor(innen) überraschenderweise sehr wenig thematisiert. Forever Young – schön, jung und hungrig nach Erfolg – ist in der Popmusik zwar Grundregel Nummer eins. Die Tatsache jedoch, dass das Metier – nach Swing, Rock'n'Roll, Punk, Metal, Hip Hop, Hamburger Schule und Post-was-auch-immer – nunmehr fast ein Jahrhundert auf dem Buckel hat, wird speziell von der Poptheoretiker-Fraktion aus der SPEX-Schule gern auf **Ignore** gesetzt. Wobei man – meine Position zu der Chose – das Phänomen nicht wirklich versteht, wenn man außer Acht läßt, dass sich komplette Generationskohorten Schub um Schub in ihre jeweiligen Retro-Schleifen verabschieden: die gute-alte-Rockmusik-Cloud, die Cloud der Jazzfans, die Metal-Cloud, die Punk-Cloud, die Schlager-Cloud, und so weiter.

...


QuoteEhemaliger Nutzer 19.08.2016 | 09:53

Pop war der Trauermarsch des Kapitalismus - er war sein Instrument, die Melodien des grenzenlosen Mehrs mit Fernschallübertragern in alle Welt zu spielen. Klingende Botschaft sendet, Volk empfängt - das Populäre der Pop-Musik ist ohne Wagner unerklärbar. Das Phänomen elektrisch betriebener Wiedergabegeräte, die in den Nachkriegsjahren großen Anklang fanden, ging mit der Kultur der Industrie einher, wie die Industrialisierung der Kultur. Ein Massenphänomen. Der Soundtrack der Gier, der Takt der Maschinen klopfte sich seit den 1970ern zunehmend in den öffentlichen Schallraum. ...

... Freies "Musizieren", ein (Instrumenten-)Spiel in Freiräumen, eine Kultur, die sich singen, lachen und tanzen auch außerhalb planmäßig organisierter Veranstaltungen ohne direkte Zweckbindung zu veranstalten erlaubte, ist nicht erwünscht. Dafür gibt es Pop-Prothesen, die rund um die Uhr die Massen massieren, damit die Masse die Uhr umrundet. Ohne impliziten Vermarktungsdruck, Konkurrenzzwang oder unmusikalische Motive könnte sich die Stimmung entwickeln, den Rechner auszuschalten, innezuhalten und sich in aller Stille daran zu erinnern, worum es ging. Um Stimmung, Stimmungen und Verstimmungen - MUSIK.

... Wer die Stimmungen noch wahrzunehmen imstande ist, sieht das Verbrechen, das darin besteht, Musiker durch struktullere Gewalt faktisch zu verfolgen. Der Mord an der Kultur war schon einmal der Beginn dunkelster Zeiten. Daher kann der Grad an Perversion der Kulturindustrie als verlässlicher Indikator dienen, daß eine Kultur der Musikfeindlichkeit eine Kultur der Menschenfeindlichkeit ist, wie sie z.B. die Verwertungsgesellschaften (sic!) wünschen. Musikverwertung ist Menschenverwertung. Aber vielleicht ist es auch nur harmlose Pop-Musik.

...


Quoteschna´sel 19.08.2016 | 13:50

»Dies ist ein weiteres Merkmal von Balzers Buch: Es macht auf einen Zusammenhang zwischen Musik und Politik aufmerksam, der über Texte und Interviews weit hinausgeht. Wenn Pop dabei hilft, das digitalkapitalistisch zerbrochene Subjekt wieder zusammenzufügen, mit unterschiedlichen Naht- und Rissstellen, unterschiedlichen Anteilen von Lust und Schmerz, Bewusstsein und Dröhnung, dann gilt das Gleiche eben auch für ein politisches Subjekt.«

... Wird das »digitalkapitalistisch zerbrochene Subjekt« durch den Pop wieder zusammengefügt? Ausgerechnet durch den Pop möchte man sagen, der ja inzwischen alles ist. Sport, Politik, Kohle, Lifestyle: »Die Erde ist ein Paradies mit Afri Cola.« https://www.youtube.com/watch?v=1HHlbvVjEjA (Sexy Mini Super Flower pop-op Cola - alles ist in Afri Cola)

... der Schluss, den zumindest Georg Seeßlen zieht, ist in meinen Augen eher eine der letzten populären Illusionen, die der Autor hoch halten will. Ich denke, weil es ihm um die Botschaft geht, im Pop Heilung für das zerrissene politische Subjekt zu finden - eine Idee, die auch den alten Vorstellungen und Konzepten des Pop entsprach.

Ich finde das schon dewegen bedenklich, weil das Politische selbst schon längst Teil der Popkultur geworden ist. Politiker, Parteien, selbst parlamentarische Institutionen - alle die sich nicht an die Regeln der Unterhaltungsindustrie halten, sind genau so schnell weg vom Fenster, wie ein Hit, dessen Interpret nicht mehr den Erwartungen entspricht, die die Fans auf ihn projizieren. Weder steht der Pop auf einer anderen Seite als das Politische, auf einer medizinischen sozusagen, oder sogar der ärztlichen Seite, noch unterscheidet sich das Politische vom Pop darin, dass es konkret immer weniger um authentische Inhalte, echte Heilsbotschaften, oder eine gemeinsame Identität aller wählenden Bürger, die es mit dem Menschlich Sein die es ernst meinen geht, sondern um den Konsum dieser Vorstellungen als Produkt, als eine Ware. Ich halte das, was ich in dieser Rezension lese also eher für eine Wunschvorstellung. Und für Schönfärberei, soweit diese von einer Realität ausgeht, die das »digitalkapitalistisch zerbrochene Subjekt« durch den Pop wieder, ich würde sagen: gesundbeten möchte.

Im Gegenteil behaupte ich: Weil alles Pop geworden ist, Pussy Riot ebenso wie Jean Claude Juncker, Wacken ebenso wie die Formel 1, spiegeln sowohl die Politik, als auch das, was man früher mit Pop bezeichnet hat, nur die gleiche Zerrissenheit und den gleichen Impetus, der das Heil, das "Ganz Sein" nicht mehr in der Universalität des Menschlichen, des Lebendigen sondern in immer kleineren disparaten Einheiten sucht. Was sich heute in den nationalistischen und separatistischen Tendenzen genau so ausdrückt wie in den oben beschriebenen Einheitsgefühlen, die ein identitärer Jünger irgendeiner Pop Ikone im Kreise seiner Mitapologeten durchaus empfinden mag.

Der hier ausgerufene Pop ist tot. Sein ,,Stirb und werde" ist, wie gehabt, das Konzept der Dauerneuerfindung eigener Existenz vor dem Hintergrund des Nichts, das uns die Geistesgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte hinterlassen hat. Er ist in dem Sinne das, was die Gegenwartskultur zeitgemäßer Produkte ausmacht. Sport, - aktuell die Olympiade, Weltmeisterschaften, mediale Öffentlichkeit. Das ist OK, aber als politisches oder als Argument für eine gesellschaftliche Befreiung taugt er m. E. nicht mehr.


QuoteRichard Zietz 19.08.2016 | 14:58
@schna´sel

Sie und andere oben machen es sich – wieder einmal – schön bildungsbürgerlich und überfliegerhaft leicht: ein bißchen Adorno, ein bißchen Spengler, ein Schuß Nietzsche darüber und ein paar Einheiten FDJ-Schulung Marke Walter Ulbricht darüber mit der Erkenntnis, dass Beatmusik eine gefährliche Propagandawaffe der Imperialisten ist – und schon ist sie fertig, die fundamentale Pop-Kritik.

Das Problem ist nur: Die wenigsten hören (und hörten) ausschließlich Busch, Degenhardt-Lieder oder als Kunst beglaubigte Hörwerke moderner E-Komponisten. Gut, kann man beklagen. Umgekehrt konsumieren – oder rezipieren – die meisten Menschen irgendwelche Werke der Popkultur (zugegeben: im Landesinneren von Borneo vielleicht noch nicht – aber sind diese Refugien steinzeitlicher Lebensarten ein Vorbild?). Wie wird der Sozialismus funktionieren (falls er denn kommt)? Wohl kaum in der Form, dass irgendwelche Überflieger-»Linken« (egal, ob via Adorno oder via Hamburger-Diskurspop-Schule wie der besprochene Autor) in die Schulen, die Betriebe und Wohnungen gehen hin zu dem Heavy-Metal-Fan, Punk oder Mainstream-Verkonsumierer hingehen. Und diese von ihrem »falschen Weg« wegbekehren hin zu einem irgendgearteten Kultur-Erziehungsideal. Ob das die Gulag-Variante ist (in der beispielsweise auch die Criminal Songs der russischen Unterschicht verboten waren) oder die Eliten-Geschmacksdiktatur-Variante (eventuell mit fortschrittlich-erzieherischem Impetus), ist dabei gleich: Die derart Gegängelten werden auf ein derartiges System – zu Recht – eine Mords-Wut entwickeln und es über kurz oder lang nach Kräften unterminieren.

Darüber hinaus ist die Aussage, Popkultur verkleistere die Gehirne der Massen, halte sie nur vom Wesentlichen ab und so weiter, lediglich die eine Hälfte der Medaille. Ebenso jedoch funktioniert Popkultur als Überlebenshilfe – im wörtlichen Sinn (wenn die Wände auf einen zuzufallen drohen) ebenso wie bei der Formulierung von Differenz oder auch Protest. Udo Lindenberg und Wolfgang Niedecken mögen vielleicht mitgeholfen haben, den Regime Change in der DDR möglich zu machen. Gleichzeitig haben Ton Steine Scherben maßgeblich daran mitgewerkelt, den Protest gegen die bleiernen Verhältnisse in Deutschland/West mit auf den Weg zu bringen. Will heißen: Popkultur ist stets auch Aushandlungssache – ein schmaler Grat zwischen Anpassung und Auflehnung. In guten Momenten begnadet, in schlechten (wie beispielsweise der im Buch besprochenen Band frei.wild oder auch bei einer neuen Konsensfigur wie Helene Fischer) ein schlimme Trends mitbeförderndes Desaster.

Allein schon aus dem Grund – und weil der Sozialismus mit Aufhebung von Entfremdung pipapo sicher noch ein paar Jahrzehnte benötigt – ist es alles andere als egal, ob der Haupttrend in der Popmusik Helene Fischer heißt oder Die Toten Hosen.



QuoteEhemaliger Nutzer 19.08.2016 | 16:48
@Richard Zietz

... "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum" meinte Nietzsche, aber auch mit Musik kann es heute ein Irrtum sein: Die Hymne der westlichen Wortegemeinschaft, die jedes Hören verlernt hat.

1945 war es dann aber auch in Deutschland schon unüberhörbar, wie andere Kulturen zur Beurteilung von Kunst stehen. Die Trennung in geartete Kunst, die existieren darf und entartete Kunst, die es zu vernichten gilt (vgl. E- und U-Musik..), war der Anfang vom Untergang.

...


Quoteschna´sel 20.08.2016 | 11:52
@Richard Zietz

»Sie und andere oben machen es sich – wieder einmal – schön bildungsbürgerlich und überfliegerhaft leicht: ein bißchen Adorno, ein bißchen Spengler, ein Schuß Nietzsche darüber und ein paar Einheiten FDJ-Schulung Marke Walter Ulbricht darüber mit der Erkenntnis, dass Beatmusik eine gefährliche Propagandawaffe der Imperialisten ist – und schon ist sie fertig, die fundamentale Pop-Kritik.«

Ich weiß ehrlich gesagt nicht so ganz, worauf Sie hinaus wollen mit Ihrem Kommentar. Weder habe ich geschrieben, dass es mir egal sei, ob der "Haupttrend des Pop" Helene Fischer oder die Toten Hosen sind, noch habe ich mich über den politisch, pädagogischen Eros der Frankfurter Schule zugunsten der E-Musik und im Gegensatz zur Popkultur geäußert. Meine Sichtweise, soweit sie den Kommentar betrifft, auf den Sie sich beziehen, läuft darauf hinaus, dass ich an eine integrative Funktion des Pop, so wie sie der Autor beschwört, nicht mehr glauben kann.

Alles ist Pop in unserer vernetzten Welt. Und was nicht Pop ist, hat auch keine oder wenig Relevanz für die Öffentlichkeit. Und weil alles was Pop ist, in den Augen der Öffentlichkeit zunächst gleichberechtigt ist, kann von einer Integration des zerrissenen Subjekts m. E. auch keine Rede mehr sein. Höchstens für die, die es schaffen, sich durch den Pop Vorteile innerhalb unserer Hierarchien zu verschaffen. Ob das eine Befreiung ist, mag ich nicht endgültig entscheiden, möchte es aber für den Normalfall bezweifeln. Deswegen empfinde ich die Vorstellung, dass bestimmte Popderivate integrativer sein sollen als andere, die zudem die Massenkultur viel entscheidender prägen, einfach als völlig überholt. Und wenn Sie dann noch Adorno zitieren, meine ich: überholt auch gerade im Sinne dieser Kulturkritik. Wobei ich das relativieren muss, weil ich nicht so viel verstehe von der kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Ich bin dennoch der Meinung: Das ist der Ansatz auch des aktuellen Artikels. Und wenn es sich jemand zu einfach macht, dann dieser Autor, indem er diese alte Ästhetik der Befreiung auf das überträgt, was heute Popkultur ist. Und indem er den Charakter, den die Popkultur inzwischen angenommen hat nicht sehen will.

Vor 40 Jahren wäre vermutlich niemand auf die Idee gekommen, Heino als Popmusik zu bezeichnen. (Bis auf die Plattenindustrie, die das damals schon wusste) Und wenn, dann hätte man ihn mit so einer Aussage nicht ernst genommen und darauf verwiesen, dass das Volksmusik sei. Aber wer wollte Heino den Status "Pop" heute noch ernsthaft streitig machen? Der Begriff von Pop, mit dem der Autor dieser Rezension arbeitet - über das Buch kann ich nichts sagen - ist überkommen und vereinfacht das Problem.

"Pop" zu sein ist allein kein Argument mehr, weswegen es um so wichtiger wäre, mit welchen Inhalten Pop gemacht wird. Aber das genau ist eben auch kein Kriterium mehr, angesichts der Tatsache dass es nur um die Nachfrage geht, die ein Popprodukt erzeugt. Das macht das Argument "Pop" in meinen Augen eher verdächtig, auch wenn ich prinzipiell nichts gegen Popkultur habe. Im Gegenteil würde ich sagen: ich habe ja auch nichts gegen meine Fernbedienung. Aber als Argument, das für einen qualitativen Unterschied zu irgendeiner anderen Ware steht, taugt der Begriff nicht mehr.

Und genau das war es auch schon, worum es mir ging.


QuoteRichard Zietz 20.08.2016 | 12:43
@schna´sel

Das ist großteils alles richtig, was Sie schreiben. Der etwas scharfe Ton meinerseits kam unter anderem deswegen ins Spiel, weil der Grundtenor der Kommentare hier doch der ist, Pop(ulär)kultur in Bausch und Bogen zu verdammen. Meine Ansicht dazu: Sieht man von der – nach wie vor existenten – Hochkultur der gesellschaftlichen Eliten ab (Klassik inklusive exkludierendem Do-and-Dont-Kanon), ist Popkultur die einzige noch existente. Einerseits hat sie den (in meinen Augen durchaus zu begrüßenden) Vorteil, dass sie die noch bestehenden ruralen Inseln in die weltweite Popkultur mit integriert – mit der Folge, dass heute auch kolumbianischer Cumba und russischer Folk selbstverständlich (auch) »Pop« ist. Darüber hinaus hat sie eine klar eine an den einfachen Massen orientierte Stoßrichtung und ist somit somit ebenso eindeutig anti-elitär.

Meines Erachtens markieren diese beiden Punkte – globalisierend und anti-elitär – den Verhandlungsspielraum, den Popmusik (oder Filme, Bücher, Theaterstücke) augenblicklich zur Verfügung stellt. Folge: Popmusik kann reaktionär sein (wie beispielsweise die agressive Heimattümelei von Bands wie frei.wild). Sie kann rein dem Einlullen und Zerstreuen dienen, ein anspruchsvoll-unterhaltendes Segment bedienen (ähnlich beispielsweise wie Unterhaltungsfilme der gehobenen Art), kritisch sein, sich bewußt für irgendeine Art von Underground entscheiden oder irgendeine Position dazwischen einnehmen (wie beispielsweise Helene Fischer, die zwar erstrangig rein unterhaltend-zersteuend ist, andererseits jedoch reaktionäre Klitschees mit bedient).

Ohne diesen historisch-sozialwissenschaftlichen Blick kommt man – so jedenfalls meine Sicht – weder dem Phänomen Popkultur bei noch generell den Motivationen, warum bestimmte Menschen bestimmte Kulturformen präferieren. Die Richtung, für die Artikelautor Georg Seeßlen steht, ist mir persönlich letztlich zu elitär, zu geschmacksdiktatorisch intendiert. Überspitzt formuliert: Ich möchte keine SPEX als Kultur-Wohlfahrtsausschuss, welcher den Menschen dann vorschreibt, was sie zu hören oder sonstwie zu konsumieren haben. Jedes Ding hat irgendwo seine Berechtigung – oder jedenfalls seinen Grund. Um abschließend zur politischen Ebene aufzuschließen: An letzteren gilt es so auch anzusetzen – nicht an dem, was die Leute hören oder sich etwa im TV ansehen.


QuoteCharlie Schulze 20.08.2016 | 14:51
@Richard Zietz

Danke auch Ihnen für die gesammelten Einwände und Ausführungen: Alles sehr richtig und bedenkenswert...

Ich möchte keine SPEX als Kultur-Wohlfahrtsausschuss, welcher den Menschen dann vorschreibt, was sie zu hören oder sonstwie zu konsumieren haben.

Ich nämlich auch nicht... Aber sämtliche Versuche der kulturellen Einhegung können ihrerseits Anlaß für popkulturelle Aktivitäten dagegen sein: Jedes Mal, wenn ein Avangardist verspießert, wird irgenwo ein Punk geboren.


Link

#6
"Jan Delay über den Zusammenhang von Musik und Politik" (Video)
Am 1. März 2016 gepostet von Christian Wickert
Die Wochenzeitschrift Die Zeit feierte Ende Februar ihr 70-jähriges Bestehen mit einer Langen Nacht der Zeit. Persönlichkeiten aus Politik und Kultur stellten sich an verschiedenen Veranstaltungsorten in Hamburg den Fragen von Zeit-Redakteuren.
Der Hamburger Musiker und Rapper Jan Delay äußert sich in einem sehr unterhaltsamen Interview zu seinem Auftritt in der Hamburger Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis, zum Zusammenhang zwischen Musik und Politik, dem Umgang mit Kritik, linker Politik und Kapitalismuskritik, Style und Stil, dem Umgang mit Kritik und dem Spagat zwischen Familien- und Künstlerleben. ...
http://criminologia.de/2016/03/jan-delay-ueber-den-zusammenhang-von-musik-und-politik/ | https://youtu.be/Myd0x3iM1F8

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Gerrit Meijer, Berlin, Punk, PVC (ISBN 978-3-355-01849-4)
Westberlin, 1977. Kein Drummer in Sicht, der Probenraum steht unter Wasser – doch PVC wollen nur eins: auf die Bühne! Und plötzlich gibt es Punk aus Deutschland. Ihre Songs »Wall City Rock« und »Berlin By Night« prägen die gesamte Szene. Der Absturz folgt prompt, aber Gerrit Meijer bleibt: unangepasst, musikalisch getrieben, mit dem Finger auf der Wunde des Mainstream. Seine Erinnerungen entführen in die wilde Zeit einer rebellierenden Generation ... Er erzählt von den ersten Gigs mit Iggy Pop, dem On and Off der Punkszene, der Liaison mit Bela B Ende der 80er, dem Aids-Tod von Gründungsmitglied Knut Schaller. Meijer geht es um Haltung, Kreativität und ein einzigartiges Lebensgefühl, das in jeder Zeile mitschwingt. // Gerrit Meijer, geboren 1947, macht neben seinen bürgerlichen Broterwerbsberufen als Maschinenschlosser, Gartenbauer, Lagerarbeiter und Kleindarsteller seit 1965 Musik, unter anderem mit der Beat-Band The Voodoos. 1977 gründete er Westberlins erste Punkband PVC mit. Es folgten weitere Bandprojekte sowie zwei Comebacks mit PVC 1988 und 2006. Er verstarb 2017 in Berlin.
http://www.eulenspiegel.com/verlage/neues-leben/titel/berlin-punk-pvc.html

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Diedrich Diederichsen über Massenkultur: ,,Der feine Mann schlägt ins Gesicht" Julian Weber (6.10. 2017)
Ein Gespräch mit dem Kunstprofessor über die Trennung von E- und U-Kultur, Klaus Kinski, Trump und die Reservate des Herrenmenschentums.
Die sehr aufgeladene Frage, ob es sich beim Ende von High und Low um ein Gefressenwerden des Highen durch die Kulturindustrie oder um eine demokratische Befreiung handelt, wollte ich versachlichen. Wenn Kunst nicht mehr als Bildungskultur erlernt und vererbt wird, noch als Volkskultur weitergegeben wird, sondern stattdessen technisch herbeigezaubert werden kann, ändert sich alles. Es gibt ganz neue Zugänge und andere Parameter, die entscheiden, was gelungen ist.
http://www.taz.de/Diedrich-Diederichsen-ueber-Massenkultur/!5452094/

Link

Quote[...] Einst transportierte Pop Freiheitsversprechen. Die Musik sollte einen wegführen vom Starren und Begrenzten, hin zum Offenen. Bob Dylan, später dann Punk und, partiell, selbst noch Techno: Immer wurde behauptet, dass ein gutes, freies Leben möglich ist - als radikaler Eigensinn, als Negation, als weltverliebter Hedonismus. Misst man Pop nach wie vor an diesen Versprechen, zeugt der Erfolg von konservativen und rechten Pop-Ästhetiken, den der Kulturpublizist Georg Seeßlen in seinem neuen Buch "Is this the End" konstatiert, von einem großen Verlust.

Es sei nicht weniger als "eine Art Endkampf um die Hegemonie im Pop" entbrannt, schreibt Seeßlen. Gegeneinander treten an: die utopischen Restbestände, der Pop der neuen Rechten und der "Pop eines Mainstream, der mit Gewalt zur Indifferenz drängt und schon jetzt von nichts gewusst haben wird" - Letzterer wird in "Is this the End?" vor allem verkörpert durch Helene Fischer, neben dem Philosophen Antonio Gramsci die am häufigsten erwähnte Person dieses Buchs. Ein Lied wie "Atemlos" enthält laut Seeßlen kein Versprechen auf ein besseres Leben mehr, sondern erzählt davon, dass "man zugleich erotisch-abenteuerlich und bürgerlich-kontrolliert ('angepasst') sein kann".

Die Passagen, in denen Seeßlen den zunehmenden Erfolg einer rechten Pop-Ästhetik theoretisiert, gehören zu den klärendsten des Buches. Rechts heißt hier nicht "rechte Parolen" - sondern zuerst nur die komplett humorbefreite Feier des Bestehenden, die sich im Einklang mit der Herrschaft weiß.

Die zentralen Charakteristika des Pop werden in diesem Sinne besetzt und verwandelt. Das Versprechen auf Freiheit und Ungebundenheit scheint nicht mehr allzu glaubwürdig zu sein. In die Leerstelle rückt beispielsweise das Versprechen auf eine widerspruchsfreie nationale Identität. "Dass sich eine Gruppe wie Frei.Wild schon im Namen gleich zwei Begriffe unter den Nagel reißt, mit denen Rock'n'Roll einst magisch verbunden war, und dass sie diese Verbindung dann noch in einen heimatlich-völkischen Kontext rückt, könnte man als semantische Meisterleistung betrachten", schreibt Seeßlen. "Oder als Höhepunkt allgemeiner Verblödung, wie man es nimmt."

Der Erfolg von Frei.Wild hat ein Lebensgefühl zur Voraussetzung, das von der eigenen gefühlten Gängelung zehrt. Starre Identität als Antwort auf - na ja, auf was auch immer. Man weiß nicht so recht, worunter genau diese Leute leiden und ob überhaupt. Laut Seeßlen wiederum ist das Erstarken der Rechten das Symptom, der Neoliberalismus gleichsam der Endgegner - als die Form des Kapitalismus, die immer mehr Menschen in ständiger Unsicherheit hält und sie bis ins Innerste zu marktförmigen Subjekten formen möchte, statt nur schlicht ihre Arbeitskraft auszubeuten.

Zum Prekariat gehört nach Seeßlen in ökonomischer Hinsicht dann der freischaffende Popkritiker genauso wie die Bäckereiverkäuferin. Kulturell getrennt blieben sie, obwohl sie materiell in einer ähnlichen Lage sind. Unter anderem weil die eine, zum Beispiel, Helene Fischer und der andere zum Beispiel Animal Collective hört.

Eine Fragmentierung, die Beherrschbarkeit schafft: Das Prekariat definiert Seeßlen als "Klasse ohne Klassenbewusstsein, ohne Klassenstolz, ohne Klassenorganisation", eine Ansammlung von Individuen, die sich über kulturelle Vorlieben definiert - "die Erfüllung der feuchten Träume von Neoliberalen und Rechtspopulisten gleichermaßen". Man kann das Prekariat wesentlich leichter ausbeuten als Menschen, die sich miteinander über kulturelle Unterschiede hinweg solidarisieren.

So weit ist das alles nachvollziehbar. Nur wäre es erhellender, wenn diese Thesen argumentativ ausgeführt würden, anstatt vor allem gesetzt. Georg Seeßlen hat mit einer Vehemenz Sätze auf die Seiten gebrettert, die in der gern ironisch abgesicherten Popkritik nur selten zu finden ist. Die Familien heute sind "verunsicherte Scherbenhaufen", "wir amüsieren uns, indem wir die Welt töten", und in den "Bibi und Tina"-Filmen tropft "das Grauen der Indoktrination aus jeder Einstellung". Das erzeugt zuerst den Eindruck von Dringlichkeit, auf lange Strecke dann aber ein indifferentes Grundrauschen.

Einen ähnlichen Effekt kann die an manchen Stellen fehlende Sorgfalt haben, wenn es um Namen und Zitate geht. Beth Ditko heißt Beth Ditto, Yello Biafra nennt sich eigentlich Jello Biafra, und die Beatles wollten es "in the road" tun und nicht "on the streets". Wenn die Kleinigkeiten nicht stimmen, sind die großen Thesen vielleicht auch nicht durchgearbeitet.

Das mag stimmen, einerseits. Andererseits schreibt Seeßlen aber ohnehin in einer Weise, die gar nicht im engeren Sinne überzeugen will, sondern nach wirklicher Auseinandersetzung verlangt. Ein Angebot, Gedanken mitzudenken, die hier sozusagen ohne Geländer entfaltet werden. Verborgen hinter den kompromisslosen Sätzen wirkt eine Lust am dialektischen und das heißt hier eben auch am spielerischen Denken. Man läuft los, mit einem ganzen Ensemble von Widersprüchen im Gepäck, und schaut, wo man mit einer starken These ankommt, im besten Fall, ohne dass es sie aus der Kurve trägt.

"Is this the End?" ist so auch eine Aufforderung zur Repolitisierung des Nachdenkens über Popkultur. Ach, und zur Beantwortung der titelgebenden Frage: "Es gibt auch in der Popkultur und ihrer Geschichte keine Alternativlosigkeit", schreibt Seeßlen. Also nein: Das Ende ist noch nicht in Sicht.

...


Aus: "Eine Art Endkampf" Benjamin Moldenhauer (21.05.2018)
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/is-this-the-end-von-georg-seesslen-eine-art-endkampf-a-1205222.html

Quotemucki007, 11:17 Uhr

2. Nervig

Genau solche Artikel und Meinungen sind es, die heutzutage den Menschen auf die Nerven gehen. Kann ich denn nicht einfach mal Musik hören, egal welche Richtung, ohne alles gesellschaftskritisch zu hinterfragen? Einfach in der heutigen Zeit Spaß an irgendwas haben, ohne sich Gedanken über political Korrektness machen ?


QuoteDas dazu heute, 11:30 Uhr

3. Wie sieht es im Hirn eines solchen Menschen nur aus?
Solch schräge Theorien, Argumente und Meinungen. Der Hr. Seeßlen sollte mal zu einem Doc gehen, wenn er hinter allem und jedem den Klassenkampf und die Unterdrückung vermutet. Man kann über Helene Fischer streiten, ist auch nicht meine Musik. Aber das sie die Aufgabe habe, den Menschen Zuversicht zu geben, ist extrem steil. Musiker wollen meit mit ihrer Musik die Menschen unterhalten. Und Geld verdienen. Beides schafft die Fischer gut. Mehr da rein zu interpretieren, ist krank.


Quotemarkrenton heute, 12:10 Uhr
4. ... alles andere ist nur Pop
Vor Jahren hat der ZDF in seiner Sendereihe History eine interessante Doku über deutschen Schlager (ca 1900 - 2009) herausgebracht, die sehr anschaulich das Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Musik illustrierte. Wenn man diese Dynamik mit berücksichtigt, wird einem schnell klar wie kurzsichtig die hier dargestellten Beobachtungen sind. Schlager- und Popmusik lebt von einer hohen Verbreitung und guten Verkaufszahlen (daher MusikINDUSTRIE) dadurch kann sie auch zu einem identifikationsstiftenden Mittel werden: Die Musik der 60er, 70er, 80er und 90er war hedonistischer und freiheitssuchender, da die Leute einen Kontrast zu den noch vorherrschenden bürgerlichen Konventionen und den Schrecken des Kalten Krieges gesucht haben. Parallel dazu kann man sich auch die erfolgreichen Filme aus diesen Jahren ansehen, die sich analog entwickelten. Seit dem 11. September ist die Stimmung im Westen umgeschlagen und zusammen mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, hat sich eine art Neo-Biedermeier entwickelt, wo sich ein Großteil der Bevölkerung nur noch Stabilität und Sicherheit wünscht. Siehe dazu die Renaissance der sogenannten preussischen Werte und Nostalgie nach den 80ern und 90ern. Hinzukommt, dass die Gesellschaft so wie die Eltern - die alten Rebellern der 60er, 70er und 80er Jahre, nur wenig Potential liefern, um sich dagegen aufzulehnen. Zu verständnisvoll. Da helfen nur noch griffe in deren Taboo-Kiste (Frei.Wild, Kollega... etc) Was Herr Seßleen geflissentlich übersieht ist die hoher diversifikation des Musikangebots: Noch nie war es so einfach eigene Musik zu veröffentlichen oder an unbekannte Künstler heranzukommen - Musik wird individueller und spezifischer. Das dies gegen den überholten Klassengedanken (Den Brecht'schen Arbeiter ist ein Fabeltier) von Herrn Seßleen geht, ist schade. Kurzum... Nein, es ist nicht das Ende. Nur eine Phase. Musik spiegelt die Gesellschaft und liefert wie der Tamborine Man nur das, was wir wollen:) Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, Auf jeden Winter folgt auch wieder ein Mai. Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, Erst geht der Hitler und dann auch die Partei.


Quoteericstrip heute, 12:29 Uhr

7.

... Subkulturen entstanden vor allem, um einen Halt in einer gleichgesinnten Gruppe zu finden und sich von den Eltern abzugrenzen. Es geht bei Musik um das persönliche Gefühlsmanagement, nicht um die Revolution.


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Link

Quote[...] Spotifys Algorithmen suchen nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und fachen damit einen Darwinismus an, bei dem sich durchsetzt, was bei möglichst vielen Leuten möglichst schnell zündet. In den allermeisten Fällen ist das seichte und freundliche Musik, die in jede Playlist passt.

Hören Sie sich zum Beweis einmal durch einige der erfolgreichsten Spotify-Editionen: "Chillout Lounge", "Entspannter Abend" oder "Zuhause"; allesamt freundlich-harmlose Blümchentapeten in Klangform.

...



Aus: "Wie Spotify Musik zur Monokultur macht" Dennis Pohl (21.05.2018)
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/musik/spotify-wie-der-streaming-gigant-musik-zur-monokultur-macht-a-1201972.html

Quoteoli h heute, 08:56 Uhr

3. Nicht so neu
Mir hatte mal jemand, der in der Musikindustrie arbeitet, vor bestimmt 15 Jahren schon gesagt, dass bei einem "Pop-Hit" nach 30 Sekunden der Refrain gekommen sein muss, sonst heisst es umschreiben, da der Radiohörer andernfalls die Aufmerksamkeit verliert. Anspruchsvollere Musik war aber vor Spotify schon ein Nischenmarkt.


QuoteMareius heute, 09:20 Uhr

13. Konstruierter Unsinn.

Früher gab es Charts und Radio. Das ist echte Monokultur, seit Generationen gepflegt. Alles andere blieb nur gut vernetzen Menschen oder Menschen mit viel Zeit für Recherche zugänglich, also Eliten. Spotify bringt in jedes kleine Dorf einen perfekt ausgestattetes Musikgeschäft. Für wenig Geld kann man ALLES hören und entdecken. Viel einfacher als zuvor. Ein bisschen Eigeninteresse gehört aber schon noch dazu. Dumpfe Algorithmen, die sich zudem in der Entwicklung befinden, zu kritisieren ist nicht zielführend. Gegenthese: Spotify holt die kleinen Labels aus der Nische und Menschen die niemals komplexere Musik gehört hätten, sind nur einen Mausclick weit weg. Das führt dazu, dass das Publikum, was nun den Weg aus der Monokultur heraus findet, wächst. Kritisieren mag man evtl. die Marktmacht, aber das ist ein ganz anderes Thema, da die Dienste nur durch ein vielfältiges Angebot attraktiv sein können. Ich sehe deshalb keine Gefahr der Monokultur für den Nutzer. Und mit Apple und Amazon gibt es auch genug potente Mitbewerber um die Spannung hoch zu halten. Also ein hoch auf das bezahlbare Musikstreaming.


Quoterstevens heute, 09:39 Uhr

21.

... Im Radio ist die Einschränkung noch deutlich krasser als bei Spotify. Im Radio wird ja gar nichts mehr gespielt, was irgendwie anecken könnte und Leute zum Umschalten bewegen könnte. Die wenigen Sendungen, die dazu eine Ausnahme bilden, laufen zu Randzeiten oder mitten in der Nacht.


Quoteandy2012 heute, 09:48 Uhr

25. Monokultur der Musik

Das ist ein wirklich komischer Beitrag. Ich muss jeden Tag Radio hören und was da gespielt wird ist Monokultur. Ein paar Lieder in einer Endlosschleife, egal bei welchem Radiosender. Bei Spotify habe ich Künstler gefunden von denen ich auf anderen weg wohl nie erfahren hätte und habe ein neuen Musikstil für mich entdeckt. Zugegeben ich habe mir noch nie die Standardplaylists angeschaut, aber warum sollte man das auch? Spotify bietet viel bessere Möglichkeiten Musik zu finden. Ich nutze Spotify täglich und muss sagen, seit dem habe ich noch nie soviel Musik von so unterschiedlichen Künstlern gehört. Vielleicht sollte der Autor dieses Beitrags mal ein bisschen weiter schauen, als nur die Spotify Startseite an zu schauen. Oder ist das ein Problem was man bekommt, wenn man das optimistischerweise als Musikgeschmack bezeichnete "Pop" hört?


Quoteid heute, 10:08 Uhr
34. So war das schon immer bei...
...bei Musik, Kunst, Kultur, wenn man tiefer in die Materie eintauchen will, dann muss man sich Zeit nehmen. Früher hat man sich 5-6 Platten gekauft und diese Stundenlang gehört, die Cover angeguckt und die Inlays gelesen. Man hat sich mehr mit Musik beschäftigt und ist dabei auf Dinge gestossen, die man vorher nicht entdeckt hat, aber trotzdem begeistern. Wenn man diese Zeit nicht hat oder nicht aufbringen will, dann bleibt einem nur das, was das Radio oder Spotify einem vorsetzt. Warum NIschenmusik ausstirbt, liegt nicht an Formaten wie Spotify (die bieten nur, was die Leute wollen) sondern am Konsumverhalten der Menschen. Wenn alles schnell gehen muss, muss man sich nicht wundern das nur noch gleichgeschalteter Müll bei rauskommt.


Quoteromeov heute, 10:28 Uhr

43. Die Werbung für die Playlists ist grauenhaft
Ich nutze Spotyfy meist am Samstagmorgen zum Frühstück und höre halt meine Funk und Soul Sachen. Die Werbeeinblendungen drehen mir aber jedesmal den Magen rum ...


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Radiofeatures: Pop History. 9. Oktober 2018
Eine Reflexion linker Utopien in 30 Jahren Techno (BR, 2018)
Florian Fricke erzählt im Zündfunk keine nostalgische Techno-Geschichte der Szene-Insider (dafür ist, mit wechselndem Erfolg, der Podcast "Tausend Tage Techno" zuständig), sondern befasst sich mit Protagonisten am Rande, etwa mit "Speiche, stolzer Ost-Berliner, einst Fußball-Hooligan und Punk, Mitbegründer vom Eimer,kurz nach der Wende einer der ersten Clubs in Berlin Mitte in einem besetzten Haus. Oder die von Rob, 1949 in Südafrika geboren, politischer Aktivist gegen die Apartheid unter der Regierung der burischen Nationalpartei. Heute ist er der wahrscheinlich älteste Techno-DJ Berlins wenn nicht weit darüber hinaus", wie es im Programmtext heißt. ...
https://thgroh.blogspot.com/2018/10/radiofeatures-pop-history.html

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"Die Goldenen Zitronen: Wir und die Wirklichkeit" Christa Hager (08.02.2019)
Von der Praxis zur Theorie. Und umgekehrt: Seit 35 Jahren machen Die Goldenen Zitronen aus Hamburg nicht nur Musik, sondern porträtieren auch die Gesellschaft des Spätkapitalismus samt ihren Individuen und deren Leben. Und sie machen dies mit Nachdruck, wodurch das Kollektiv mittlerweile eine der wenigen Ausnahmen in der weitgehend entpolitisierten Musikkultur darstellt. Seit ihrem Album "Punkrock" aus dem Jahr 1991 haben sich die Goldenen Zitronen von Bier- und Fun-Punk-Songs à la Die Ärzte losgesagt und mit Liedern wie "80 Millionen Hooligans" oder "Das bißchen Totschlag" Politik in die Musik gebracht. ... "More Than A Feeling" ist ein aggressives Album, es gibt keine Verschnaufpause und es erinnert durch seine musikalische Dichte und Intensität sowie textliche Raffinesse an das Album "Lenin" (2006). Viel wird von Mauern gesungen, von der Tatsache dass sich die Leute heute, um unter sich zu bleiben, gerne einzäunen lassen - und dass viele Menschen gefährlich, weil ehrlich sind. Mittelklassepärchengespräche werden zum Besten gegeben, die Willfährigkeit wird besungen und Gastsängerin LaToya Manly-Spain beschreibt den nicht enden wollenden Paternalismus gegenüber sogenannten Minderheiten.
"More Than A Feeling" ist zugleich ein nerviger Weckruf für mehr Verstand. Gefühle kommen und gehen, man kann mit ihnen leicht Politik machen, Menschen mobilisieren und manipulieren. Das letzte Lied des Albums, "Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017" etwa handelt davon, indem es die "Rollenfestspiele" von Politik, Medien und Protestierenden besingt, die während des G20-Gipfels in Hamburg stattfanden.
Die Band singt dabei unter anderem auch über sich selbst und ihre Rolle, die sie während der Proteste einnahm. Praxis und Theorie eben. Oder umgekehrt. ...
https://www.wienerzeitung.at/themen_channel/musik/pop_rock_jazz/1016701_Wir-und-die-Wirklichkeit.html


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#11
Quote[...] Mit dem Versprechen, Benutzern den perfekten Soundtrack für jeden Moment ihres Alltags zu bieten, haben sich Spotify-Gründer Daniel Ek und sein Team vor einigen Jahren darangemacht, den Weltmarkt zu erobern. Es scheint zu funktionieren. Auch wenn Musikliebhaber, die den Streamingdienst als schier unerschöpfliche Suchmaschine schätzen, das thematische Playlisting als furchtbar mainstreamig empfinden.

... Während Nerds und Nischenhörer weiterhin für den bloßen Zugriff auf Daten bezahlen, möchte der Durchschnittskonsument heute scheinbar schlicht den passenden Mix: musikalisches Convenience-Food, digitale Fetenhits und Kuschelrock-Compilations.

"Indem sie beständig verringert, was wir noch zu tun bereit sind, wird die Benutzerfreundlichkeit zur Beschränkung," schrieb Tim Wu neulich in der New York Times. Besonders im Hightechbereich sei der Kampf um die einfachste Bedienbarkeit längst zum Kampf um Marktanteile geworden. Angetrieben durch die Macht der Gewohnheit und die Logik des Wachstums, führe unsere Vorliebe für alles Bequeme zu einer Art ökonomischen Gewaltspirale: "Je einfacher es ist, Amazon zu benutzen, desto mehr Zeit verbringen wir auf der Plattform – und desto einfacher erscheint uns wiederum die Bedienung." Bequemlichkeit ist kein Bonus mehr, sondern längst Must-have. Jedes erfolgreiche Tech-Unternehmen feilt scheinbar unentwegt an effizienteren, benutzerfreundlicheren Features.

Spotifys wichtigste Investition in Sachen Benutzerfreundlichkeit war der Erwerb von Echo Nest im Jahr 2014. Die US-amerikanische Music Intelligence Platform hatte sich als Forschungsprojekt am MIT Media Lab gegründet und auf die digitale Verstichwortung von Musik spezialisiert. In Söderströms Worten brachte man mit der Übernahme die besten Entwickler im Bereich der Musikkategorisierung mit Spotifys Daten zusammen, um gemeinsam am "bedeutendsten und größten Playlistingsystem der Geschichte" zu bauen. Ein Jahr zuvor hatte Spotify bereits die Onlineplattform Tuningo gekauft, die Playlists für bestimmte Stimmungen und Tätigkeiten des Alltags generierte. Mit Tuningo übernahm man rund 20 Musikredakteure, seither wächst das Team der "Kuratoren" beständig. Um dem Angebot eine menschliche Note zu geben, setzt Spotify neben Experten auf Crowdsourcing – und erfindet immer seltsamere Features.

2016 hat es eine Zusammenarbeit mit der Dating-App Tinder gegeben, um potenzielle Partner nach Musikgeschmack zu matchen. Ende vergangenen Jahres kam die Cosmic-Playlist, eine Art musikalisches Horoskop, das eine Astrologin einmal im Monat für jedes Sternzeichen zusammenstellt. Gemeinsam mit AncestryDNA, einem US-Unternehmen, das gegen Speichelprobe und Bezahlung das Genom von Privatpersonen entschlüsselt, hatte man kurz zuvor bereits Playlists passend zum Erbgut seiner Kunden erstellt. Ob der US-Bürger mit neu entdeckten deutschen Wurzeln das Gefühl hat, sich dank Nena in der Tracklist selbst näherzukommen? Imagemäßig war das Projekt eine ziemliche Pleite. Aber neue Schlagzeilen und Nutzerdaten brachte es Spotify allemal.

Egal, was eine Playlist behauptet zu sein oder zu bieten, geht es am Ende natürlich um die Verfeinerung von Userprofilen. Während an der Benutzeroberfläche nur sichtbar ist, wie viele Abonnenten die Playlist hat, wird das Nutzerverhalten intern genau diagnostiziert: Was wird wie oft und zu welcher Uhrzeit gespielt? Wo wird weitergezappt? Was gelikt und in die eigene Bibliothek übernommen? Anders als ihr analoger Vorläufer, der Sampler, erlaubt die Playlist Streamingdiensten und Plattenfirmen, ihr Angebot akribisch zu testen. Netflix hat es vorgemacht und verordnet uns Filme mittlerweile fast medikamentös, auf Basis computergenerierter Microgenres wie "Feel-good Romantic Spanish-Language TV-Shows": Was häufig gesucht und geklickt wurde, wird irgendwann als Kategorie angeboten oder gleich on demand produziert. 

Spotifys Mechanismus basiert auf einer symbiotischen Verbindung von Mensch und Maschine: Jeder Nutzer, der selbst Playlists macht, gruppiert bestimmte Lieder und vergibt durch Headlines wie Happiness, Hymnen, Hatecore oder Symphonien fürs Frühstück Etiketten, von denen das ganze System profitiert. Weil wir alle unseren Teil dazu beitragen, die Performance der Plattform zu verbessern, sind wir, in Spotifys Sprache, "part of the band". Zumindest sind wir es, die der Plattform den Datenvorteil bescheren, auf dessen Basis sie auch anspruchsvollen Hörern erstaunlich gute Vorschläge macht.

Tatsächlich gibt es kaum Spotify-Nutzer, die das recommendation-Feature des Streamingdienstes nicht großartig finden. Selbst wem die ungefragte Stilberatung zunächst so übergriffig vorkam, wie die einer Kaufhausangestellten in der Unterwäscheabteilung, war irgendwann bereit, ihren Wert murrend anzuerkennen. Besonders Nischenhörer haben den Anspruch, das eigene Repertoire immerfort zu erweitern. Manch einer mag sich der Zusammenstellung manueller Playlists heute mit derselben Hingabe widmen, mit der er früher mal Mixtapes gemacht hat. Aber natürlich wissen wir alle, dass die Zukunft des Musikhörens anders aussieht. Nämlich smart, vollautomatisch und präzise personalisiert. An die Stelle des alten Versprechens, körperliche Arbeit zu minimieren, ist die Aussicht auf Vermeidung jener mentalen Anstrengungen getreten, denen es bedarf, um Entscheidungen zu treffen.

Spotifys Entwickler haben sich das Prinzip der self-driving playlist bei Google Plus abgeguckt, sagt Produktchef Söderström. Während Apples iPhoto lange auf ein manuelles Sortiersystem setzte, machte man sich bei Google vergleichsweise früh die Fortschritte der Datenanalyse zunutze, um ein selbst sortierendes Bildarchiv zu programmieren. Der Ansatz ließ sich auf die Musik übertragen. Mittlerweile stellt Spotify seinen Nutzer neben Playlists und persönlichen Vorschlägen längst Widgets zur Verfügung, die händisches Sortieren scheinbar hinfällig machen. Das, was wir hören wollen, soll in den entsprechenden Fenstern künftig automatisch erscheinen und dabei ständig neue Entdeckungen liefern.

Der persönliche Wochenmix Discover Weekly war Spotifys erste self-driving playlist, es folgten die Zeitkapsel, der Release Radar und eine Reihe individualisierter Mixtapes. Doch während wir am laufenden Band Lieder angeboten bekommen, bleibt uns immer weniger Zeit, sie zu hören.

Spotify hat sich längst darauf eingestellt, dass immer mehr Menschen eher beiläufig Musik hören, beim Trainieren, Arbeiten oder Einschlafen. Gleichzeitig trägt man mit musikalischen moodboards dazu bei, dass immer mehr Menschen sie als reines Beiwerk empfinden. Nachdem Streaming die Musik als Produkt grundlegend verändert hat, verändert Playlisting die Art und Weise, in der wir sie konsumieren. Im schlimmsten Fall verlernen wir, Dissonanzen zu schätzen.

Damit uns die digitale Welt mal überrascht, bedürfe es "Algorithmen für Disruption", schrieb Claudius Seidl kürzlich in der FAZ. Spotify arbeitet daran. Die Playlist B-Seite, die in der englischen Version Tastebreakers heißt, möchte unseren musikalischen Horizont mit Titeln und Genres erweitern, die wir sonst nicht hören – von denen der Algorithmus aber annimmt, sie könnten uns trotzdem gefallen. Meine tastebreakers sind Kraftwerk und Hildegard Knef, aber auch Musiker, von denen ich tatsächlich nie gehört habe. Vielleicht ein Anfang, obwohl – oder gerade weil – mir die meisten nicht auf Anhieb gefallen. Doch die Logik der Algorithmen bleibt gleich: survival of the hippest. Was nicht gleich gern gehört wird, wird aussortiert.

Auch in analogen Zeiten haben sich viele Alben wegen Hitsingles verkauft. Aber den Rest nahm man eben zwangsweise mit, ließ sich von hidden tracks erschrecken, hörte sich durch Dramaturgien – und dabei in so manchen Song hinein. Nicht alle Lieblingslieder haben auf Anhieb gefallen oder bieten sich an, um uns als Stimmungstapete durch den Tag zu begleiten. Längst nicht alle sind eingängig; viele wollen es bekanntlich nicht sein, andere brauchen Zeit. Letztere muss sich weiterhin nehmen, wer nicht in maschinenkuratierten Lebenssoundtracks eingelullt werden will.

...


Aus: "Playlist: Verloren in Musik" Anna Sinofzik (20. März 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/entdecken/2019-03/playlist-spotify-musik-streaming-track-hit/komplettansicht

Quoteno-panic #1

Die "Brigitte" hatte mal Kochrezepte nach Sternzeichen geordnet/zugeordnet. Ich muss heute noch würgen, wenn ich daran denke, was mir als bestimmtem Sternzeichen schmecken sollte. ...


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QuoteWeil das Material nun in einem kleinen Kubus, einem Computer, Laptop oder Telefon verstaut ist, wird die Schande für Außenstehende zwar unsichtbar, das Elend der vollgestopften Seele jedoch nicht gelindert. ... Eine ungezügelte Musik-Libido ist sicherlich eine Form der Neugierde und der Vergnügungslust, womit sie der Sphäre des lebensbejahenden Eros zuzurechnen ist. Aber der Einfluss des Internets auf den Musikkonsum führt auch in die morbide Zone repetitiven Verhaltens. Der Archivierungstrieb hat einen neurotischen Aspekt: die Leugnung der Sterblichkeit. ,,Wir kaufen Bücher, weil wir glauben, wir kaufen die Zeit, sie zu lesen", hat Warren Zevon in Anlehnung an eine Schopenhauer-Maxime gesagt. Das Gleiche gilt für Platten und MP3s. (Simon Reynolds, 21.03.2019)


Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-internet-als-archiv-wie-die-digitalisierung-unsere-musikkultur-veraendert/24125664.html

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"Spekulatives Buch zum Thema Sound: Lärm der Maschinen" Julian Weber (9.6.2019)
Musikbuch der Stunde: Der Sammelband ,,Unsound : Undead", herausgegeben vom Thinktank Audint, erweitert den Begriff Klang um seine dunklen Stellen. ... Die US-Schriftstellerin Ursula K. Le Guin hat einmal postuliert, dass Wahrheit eine Sache der Vorstellungskraft sei. Und ,,Unsound : Undead" liefert den Beweis dafür, weil es zwischen Realität und Science-Fiction, zwischen Gedankenexperimenten und faktenbasierten Texten, wissenschaftlichen Studien und journalistischen Reportagen meisterhaft hin und her switcht und trotzdem ein Flow entsteht. ... Schließlich hat das Wesen von Klang als einem Gegenstand keine fixen Definitionen, seine Parameter werden auf technischer Ebene, erst recht in der Welt des Digitalen, ständig aufs Neue vermessen und erweitert. ,,Unsound", so wird im Vorwort ein Grenz­bereich genannt und damit eine erweiterte Ebene von Klang aus­gemessen, ,,die man gewöhnlich akustisch nicht mehr wahr­nehmen kann, oder aber, die bereits nicht mehr hörbar ist". ...
http://www.taz.de/Spekulatives-Buch-zum-Thema-Sound/!5601046/

Steve Goodman, Toby Heys, Eleni Ikoniadou (Hrsg.): ,,Audint – Unsound : Undead". Urbanomic, Falmouth 2019, 306 Seiten, ,,Audint – Unsound : Undead". Ausstellung, London, Arebyte Gallery, bis 15. Juni


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"Why Bob Dylan Matters"
Case Western Reserve University
Richard F. Thomas, November 16, 2017
https://youtu.be/Rymcu2h2J0E

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QuoteFdKatzoo7 #5

Mit 79 nochmal absahnen? Wozu?
Nun ist ein erhebliches Stück Musikgeschichte und Kulturgut in den Händen von Profitmaschinen.
Traurig.


Quotedeep_franz #9

... Ich dachte er würde seinem Vorbild Woody Guthrie nacheifern, der die Rechte an seinem größten Hit so geregelt sehen wollte:
,,This song is Copyrighted in U.S., under Seal of Copyright # 154085, for a period of 28 years, and anybody caught singin' it without our permission, will be mighty good friends of ourn, cause we don't give a dern. Publish it. Write it. Sing it. Swing to it. Yodel it. We wrote it, that's all we wanted to do."

,,Dieses Lied ist in den USA für 28 Jahre urheberrechtlich geschützt unter der Siegelnummer 154085, und wer immer dabei erwischt wird, wie er's ohne unsere Erlaubnis singt, wird ein gewaltig großer Freund von uns sein, weil das alles uns völlig egal ist. Veröffentlicht's. Schreibt's auf. Singt's. Swingt dazu. Jodelt's. Wir haben's geschrieben, und mehr wollten wir nicht tun."


Quote
Ura5 #9.2

"Ein wenig schade. Ich dachte er würde seinem Vorbild Woody Guthrie nacheifern, der die Rechte an seinem größten Hit so geregelt sehen wollte:"

Danke für den Hinweis. Ich finde es auch seltsam, wie ein Künstler mit Anfängen in der Protestbewegung am Ende seines Lebens seine Lieder für eine 1/3 Milliarde Dollar an einen Konzern verkauft.


QuoteAchtung - Beitrag könnte deutliche Spuren von Ironie enthalten #15

I ain't gonna work on Maggie's farm no more
I ain't gonna work for Maggie's brother no more
Nah, I ain't gonna work for Maggie's brother no more

Well, he hands you a nickel
And he hands you a dime

And he asks you with a grin
If you're havin' a good time.


Quote
kapitalist #16

Ich biete die Rechte an allen meinen ZON-Kommentaren für 300 Euro an. Interesse?


Quoterasierpinsel #16.1

Schon mal was von "Schöpfungshöhe" gehört? Wohl eher nicht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6pfungsh%C3%B6he


QuoteDurch Schaden wird man klüger_Aber niemals klug #16.2

Schon mal was von "Ironie" gehört? Wohl eher nicht.


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Kommentare zu: "Bob Dylan verkauft alle Songrechte an Musikkonzern" - Bob Dylan hat die Rechte an seinen mehr als 600 Songs an Universal Music verkauft. Medienberichten zufolge wird der Betrag auf mehr als 300 Millionen Dollar geschätzt. https://www.zeit.de/kultur/musik/2020-12/universal-music-bob-dylan-songrechte-verkauf

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"Wolfgang Welt: Nancy Sinatras Stiefel" Olaf Velte (12.01.2021)
Im März 1982 kommt alles zusammen, Abscheu und Hingabe, Wahn und Wirklichkeit. Wolfgang Welt, Musikjournalist auf Zeilenhonorar, präsentiert Texte in den Magazinen ,,Überblick" und ,,Marabo", ,,Sounds" und ,,Musikexpress". Ein Spektrum aus Plattenkritiken, Porträts, persönlichen Philosophien.
Beispielhaft, was sich da auf den Märzseiten des ,,Musikexpress" abspielt. Neben einer ätzenden Demontage des ,,belesenen Rotzlöffels" und ,,unheilbaren Strebers" Heinz Rudolf Kunze ist die epochale Liebeserklärung an Lou Reeds ,,Blue Mask" abgedruckt: ,,Ein Meilenstein, der wohl erste und vielleicht letzte der achtziger Jahre." Und schon sind wir mittendrin im Schreiben des Wolfgang Welt, jenes am Silvestertag 1952 in Bochum geborenen Erzählers und – im besten Sinne – egomanischen Outlaws. Mittendrin auch in den beiden Neuerscheinungen des Andreas Reiffer Verlags – gewichtigen Broschuren, die sowohl die Texte zur Musik als auch Literaturkritiken, Geschichten und das Romanfragment ,,Die Pannschüppe" versammeln.
Herausgeber und ,,WoW"-Kenner Martin Willems hat einen guten Job abgeliefert. Er macht zugänglich, was längst vergriffen, vergessen, aber auch unveröffentlicht und schubladenstaubig ist. ...
Fast 800 Seiten Welt-Power, garniert mit Nachweisen, Einführungen, großartigen Bilderstrecken. Chronologisch ist angeordnet, was sich zunächst als westdeutsches Kulturzeugnis der 80er und frühen 90er Jahre aufschwingt, jedoch schnell in einem tieferen, umfassenderen Sinne offenbart.
Dass der Autor Welt nach seinem Tod im Juni 2016 zu einem Objekt wissenschaftlicher Tiefenschürfung wird, verdankt sich auch einer anhaltenden Unruhe, die von diesem Werk ausstrahlt: Wir werden mit dem unvollendeten Arbeiterkind, dem linken Verteidiger und Buddy-Holly-Enthusiasten, dem unsentimentalen Chronisten aus Langendreer nicht fertig.
https://www.fr.de/kultur/literatur/nancy-sinatras-stiefel-90166246.html

Wolfgang Welt (* 31. Dezember 1952 in Bochum; † 19. Juni 2016 ebenda) war ein deutscher Schriftsteller. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Welt

https://www.perlentaucher.de/autor/wolfgang-welt.html

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"Westberliner Frauenbands: Der Durst nach Neuem" Stephanie Grimm (26. 11. 2021)
Sie sorgten für Zoff und machten der Subkultur Ehre: Die Westberliner Frauenbands Mania D, Malaria! und Matador. Höchste Zeit für eine Werkschau.
https://taz.de/Westberliner-Frauenbands/!5817788/

Das Buch: Beate Bartel, Gudrun Gut, Bettina Köster (Hrsg.): ,,M_Dokumente", Ventil Verlag, Mainz 2021, 184 Seiten, Deutsch/Englisch

"Interview mit Malaria!-Sängerin: ,,Älter werden kann schön sein"" (13. 7. 2017, Interview führte Thomas Winkler)
Bettina Köster hat den Westberliner Underground der 1980er Jahre geprägt, sich vom Musikgeschäft verabschiedet – und ist nun mit neuem Album zurück.
https://taz.de/Interview-mit-Malaria-Saengerin/!5423547/


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Übersterblich, sagt der Untote. Mein Seufzen füllt den Raum. Die Hippie-Utopie (klein)bürgerlicher Genese ist von jeher rückwärts gewandt, sehnt sich nach ländlichem Idyll, träumt von rustikalem Hof und Bauwagen statt von Raumschiff und moderner Stadt. Lüste, denke ich, nicht Mangel, sollten unsere Direktive sein. Das Ego soll sich in sein Körbchen fügen. Ich fahr die Galle wieder runter, doch zu spät. Befangen bleibt der Rest des Abends. ... Texte: Andreas Speit, Sigmund Freud, Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Jerry Rubin, Stephen Diamond, Diedrich Diederichsen.
Musik: The Doors, Neil Young, Donovan, Love, The Rascals, Merle Haggard, The Beatles, Canned Heat, Dead Kennedys, The Mamas and the Papas.

Narration und Schwerkraft 39 - Hippie (Februar 2022)
by Narration und Schwerkraft | Mixcloud
The Doors, Neil Young, Donovan, Love, The Rascals and more. ...
https://www.mixcloud.com/TheRevolver/narration-und-schwerkraft-39-hippie-februar-2022/

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Quote[...] Paul McCartney ist seit 1966 tot. Elvis hingegen lebt, ebenso wie Jim Morrison und Tupac Shakur. Michael Jackson war in Wahrheit seine ,,Schwester" La Toya, weilt demnach also auch noch unter den Quicklebendigen. Justin Bieber ist ein Echsenmensch, genau wie Rihanna, die nebenbei den ,,Illuminati" angehört, und Beyoncé gibt ihre ,,Tochter" Solange als ihre ,,Schwester" aus. Stevie Wonder war nie blind. Jay-Z ist ein zeitreisender Vampir, Beyoncé sowieso. Kurt Cobain wurde von Courtney Love erschossen und Tupac vom FBI – nur für den Fall, dass er tatsächlich tot ist und nicht mit Elvis und Jim Morrison auf den Bahamas in einer WG lebt.

Es könnte nicht unwichtig sein, sich diese Tatsache zu vergegenwärtigen. Pop und die ,,wirklich wahre, streng geheime Wahrheit, auf die kommen kann, wer das nur wirklich will", verbindet eine ebenso enge wie komplexe Verwandtschaft. Die Wiege der modernen Verschwörungsmystik steht im Plattenladen.

Im flüchtigen Geschäft, das der Pop betreibt, ist die Wahrheit keine gültige Währung. Pop appelliert nicht an unseren Intellekt, sondern an unseren Arsch. Der soll wackeln. Er lebt von der schönen Lüge, dem Mythos. Das gilt nicht nur für seine Produzentinnen, sondern auch für das eigentliche Produkt – den Song. Bestenfalls bringt er in drei Minuten ,,auf den Punkt", was der Hörer bisher nur geahnt, gefürchtet, gehofft hat.

Als poetisches und ästhetisch kontextualisiertes Kondensat von Erlebtem oder Erfühltem erscheint der Song bisweilen wie die reine Wahrheit. Wer Liebeskummer hat, für den ist beispielsweise ,,I Will Survive" von Gloria Gaynor (oder ,,XY" von wem auch immer) reinster Balsam. Ein direkter Durchstich ins Herz, unter Umgehung der Vernunft. Der Rhythmus, bei dem man mit muss.

Mag sein, dass ,,I Will Survive" nur eine Lüge gewesen und Gloria Gaynor irgendwann doch noch am Schmerz zugrunde gegangen ist. Für die Dauer des Songs aber lebt sie. Und für den empfänglichen Hörer ist diese tröstende Behauptung wahr genug. Man nimmt mit, was man brauchen kann.

Bisher sind Popmusiker verhältnismäßig selten als Verschwörungsschwurbler aufgefallen. Meistens waren sie eher Gegenstand angeblichen Geheimwissens als dessen Verbreiter. Ein Denken jenseits irgendwelcher Normen gehört gewissermaßen zu Lifestyle und Berufsbeschreibung. Unter den Künstlerinnen und Künstlern mag, bedingt durch Drogen oder Größenwahn, der Anteil an Verquerköpfen sogar ein wenig höher sein als anderswo.

Wenn heute Gestalten wie Xavier Naidoo, Sido, ein veganer Koch (oder wer sonst noch alles unter ,,Popstar" läuft) seine Ansichten unters Volk bringt, hat das etwas mit den veränderten Vertriebswegen zu tun. Früher nahm eine Musikerin unter den Fittichen einer Plattenfirma ein Album auf, das von der – ebenfalls Mythen produzierenden – Fachpresse rezensiert wurde, bevor sie auf Tournee ging und dort, nur dort, in direkten Kontakt mit ihrem Publikum kam.

Heute kann ein Künstler zu Hause seine Musik machen, sie aus seinen eigenen vier Wänden heraus vertreiben – und zugleich über die ,,sozialen Medien" sein Publikum rund um die Uhr auf dem Laufenden halten. Über den Urlaub, die anstehende Tournee oder auch nur den Kram, der ihm so durch den Kopf rauscht.

Das ist oft ein buntes Nichts, aber zugleich nicht wenig. Was hier geknüpft wird, ist ein unsichtbares Band über das spürbare Gefälle zwischen ,,Star" und ,,Fan" hinweg. Wenn Fußball sublimierte Kriegsführung ist, kann jedes Popkonzert auch als spielerische Variante auf eine totalitäre Veranstaltung gelesen werden.

Dieses heikle Verhältnis ist nichts Neues und schon oft genug ins Produktive gewendet worden. Man denke, je nach Geschmack, an das provokante Spiel mit SS-Symbolik im Punk, wahlweise auch an ein Album wie ,,The Wall" von Pink Floyd – einer ihrerseits schon wieder megalomanen Meditation über das faschistoide Potenzial im Verhältnis zwischen ,,denen auf der Bühne" und den ergebenen Massen davor.

Nun ist der einzelne Fan bekanntlich nie Masse, sondern Mensch – und als solcher besonders empfänglich für die sozusagen außerordentliche Berührung oder Ansprache durch den Star. Vor allem ist er: Fan, also Fanatiker. Wer jemals versucht hat, eine 14-jährige Verehrerin von K-Pop oder den 64-jährigen Freund von Bob Dylan eines ,,Besseren" zu belehren, weiß, was das heißt. Eine Belehrung ist nicht möglich.

Es ist seine Treue, die den Fan zum Fan macht. Ihre oder seine Haltung zum Objekt der Verehrung ist esoterisch im Wortsinn. Ein Fan ist Fan, weil er Zugang zu einem Wissen hat, das nur einem ,,inneren" Kreis vorbehalten ist. Er oder sie ist geweiht. Durch Autogramme, Merchandise, Hintergrundinformationen oder – Hauptgewinn! – die direkte Ansprache.

Die eingangs erwähnten Popmythen gingen nicht vom Star aus, sondern vom Fan. Ein heißlaufendes Informationsbedürfnis dreht sprichwörtlich durch und produziert Unsinn, der den ursprünglichen Mythos noch verstärkt. Elvis ist nie gestorben, weil er unsterblich ist. Punkt. Beweise mir das Gegenteil!

Neu hingegen ist, dass umgekehrt der Star durchdreht und, dauergespiegelt durch seine ,,Follower", gewissermaßen an sich selbst verrückt wird.

Nicht selten ist er da, wo er ist, weil er gerade nicht tat, was alle tun. Andersdenken und Andersmachen sind die Basis seines Erfolgs. Dissidenz im Sinne einer Distanz zum Hergebrachten ist dem Star also eingeschrieben – sonst wäre er keiner. Er hat allen Grund, auf seine Haltung stolz zu sein. Von seinem Standpunkt jenseits der Geländer der Norm allerdings ist es oft nur ein Schritt in den Irrsinn.

Nun nimmt der abseitige Quatsch, den man bei einem Sänger wie Xavier Naidoo zuvor noch überhören konnte (,,Mario­netten"), auf einmal politische Formen an.

Gestern noch galt der Künstler als ,,Medium", das höherer Weihen teilhaftig geworden ist und davon in seiner Kunst erzählen kann. Nun verteilt der Verteiler die ,,rote Pille" der angeblichen Realität – und ist doch selbst kein Urheber mehr, nur noch medialer Durchlauferhitzer für einen Irrsinn aus zweiter oder dritter Hand.

Das ist im Einzelfall tragisch, aber nicht dramatisch. Schnurrt das vorgebliche Medium wieder auf das Maß eines armseligen Menschleins zusammen, gehen ihm rasch die ebenso vorgeblichen Fans von der Fahne. Hingabe wird dann obsolet.

,,Follower" sind sozusagen Falschgeld und nicht mit ,,Gefolgschaft" zu verwechseln. Ein Umstand, der allen Verteilern und Verstärkern popkulturellen Verschwörungsschwurbels schmerzlich bewusst wird, wenn sie ihre virtuelle Zuschauerschaft auf die Straße lotsen wollen. Das geht verlässlich schief.


Aus: "Verschwörung in der Popkultur: Wissen aus dem inneren Kreis" Arno Frank (20. 5. 2020)
Quelle: https://taz.de/Verschwoerung-in-der-Popkultur/!5685715/


Link

Quote[...] Hofacker ist kein Diskursjongleur, sondern äußert sich eher wie ein Fan. Detailliert widmet er sich den prägenden Musikgruppen, den kalifornischen Singer/Songwritern, dem Glamrock und natürlich dem Punk; es geht um Reggae, Kraftwerk und Pink Floyd. Und wenn er über Iggy Pop schreibt, wird nicht nur dessen genialer Künstler-Nachname effektvoll gebraucht:
,,Pop ist ein kluger und belesener Mann. Er würde wohl sofort bestätigen, dass Rock 'n' Roll seinerzeit nicht das war, als das er heute verstanden wird, nämlich ein Synonym für ritualisierte Entgrenzung in einer durchformatierten und normierten Wohlstandsgesellschaft. Vielmehr war er die lautstarke Notwehr, das »Nein!« einer jungen Generation, die sich nicht länger an die durchgefaulten Moralkodizes ihrer Elterngeneration halten wollte. Sie suchte nach überzeugenden Alternativen und einem freien Leben mit selbstbestimmtem Wertesystem."
Das Rebellische hat sich mittlerweile gelegt. Die Kommerzialisierung, die Funktionalisierung innerhalb der Konsumgesellschaft ist längst ein wesentlicher Bestandteil der Popkultur. Im Vergleich zur Literatur hat ein grundlegender Rollenwechsel stattgefunden: Anfang der 70er Jahre war Popmusik die Sache einer gesellschaftlichen Minderheit, etwas Widerständiges und Subversives. Man musste sich mühsam in den wenigen Fachmagazinen und den ersten Plattenläden informieren, Popmusik bildete noch nicht die Hintergrundbeschallung von Kaufhäusern oder Cafés. Heute setzt die Popkultur die Maßstäbe, und die Literatur ist demgegenüber jetzt zur Sache einer Minderheit geworden, die, wenn sie es ernst meint und sich nicht anpasst, ihrerseits fast schon widerständig und subversiv anmutet.

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Über:
Peter Engel/Günther Emig (Hrsg.): ,,Die untergründigen Jahre.
Die kollektive Autobiographie ,alternativer' Autoren aus den 1970ern und danach"
Verlag Günther Emigs Literatur-Betrieb, Niederstetten.
484 Seiten,

Ernst Hofacker: ,,Die 70er. Der Sound eines Jahrzehnts"
Reclam Verlag, Ditzingen. 352 Seiten



Aus: "Die Siebziger Jahre in der Literatur: Unorthodoxes und Buntes" Helmut Böttiger (29.05.2020)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/die-siebziger-jahre-in-der-literatur-unorthodoxes-und-buntes-100.html