"Fall Sigi Maurer: Endlich wehrt sich mal eine" Eine Kolumne von Margarete Stokowski (17.07.2018)
Eine Ex-Abgeordnete in Österreich erhält sexistische Facebook-Nachrichten. Die veröffentlicht sie samt Absender. Nun muss sie sich dafür vor Gericht verantworten. Dabei hat sie alles richtig gemacht. ... Ich kenne keine einzige Frau, die in der Öffentlichkeit steht und noch keine beleidigenden oder bedrohenden Nachrichten bekommen hat, inklusive Fantasien darüber, was sexuell mit ihr anzustellen wäre, wenn der Verfasser sie eines Tages treffen würde. Es ist eine Pest, dass diese Nachrichten für viele Frauen zum Alltag gehören. Man kann sie ignorieren, man kann sie beantworten, man kann versuchen, sie zur Anzeige zu bringen, man kann Kunst daraus machen oder öffentlich darüber sprechen, aber loswerden kann man sie kaum. Und manchmal geht der Ärger erst dann richtig los, wenn man sich wehrt. ...
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-sigi-maurer-in-oesterreich-endlich-wehrt-sich-mal-eine-a-1218827.html"Ex-Politikerin in Österreich Per Facebook belästigt, dann verklagt" Hasnain Kazim, Wien (16.07.2018)
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/oesterreich-empfaengerin-sexistischer-hassnachrichten-wird-verklagt-a-1218362.htmlhttps://twitter.com/sigi_maurer/status/1001728003402031109"Sigi Maurer: Belästigt und bestraft" Hasan Gökkaya (9. Oktober 2018)
Die Österreicherin Sigi Maurer erhielt obszöne Nachrichten und machte diese in sozialen Netzwerken publik. Nun ist sie wegen übler Nachrede verurteilt worden. ... Die ehemalige österreichische Grünen-Politikerin Sigi Maurer ist wegen übler Nachrede verurteilt worden. Das berichten mehrere Medien übereinstimmend. Maurer fühlte sich nach obszönen Nachrichten sexuell belästigt. Sie habe sich nicht anders zu wehren gewusst, als das in sozialen Netzwerken publik zu machen. Doch der Mann, den Maurer beschuldigt, streitet alles ab und verklagte die Frau. Ein Richter in Wien hat ihm nun Recht gegeben und die 33-Jährige schuldig gesprochen. Laut der österreichischen Zeitung Der Standard sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung, er sei zwar überzeugt, dass der Kläger lüge. Dennoch sei es Maurer nicht gelungen, zu beweisen, dass sämtliche Postings von ihm stammten. Sie hätte vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme einholen müssen. "Was Ihnen angetan wurde, und dass das nicht strafbar ist, steht auf einem anderem Blatt", zitiert der Kurier den Richter.
Maurer muss demnach nun eine Geldstrafe von 3.000 Euro bezahlen, dem Bierladenbesitzer 4.000 Euro Entschädigung leisten und die Kosten des Verfahrens ersetzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Ex-Politikerin sieht sich als Opfer. Sie hatte eine Nachricht auf Facebook erhalten, gesendet vom offiziellen Konto eines Craftbeer-Lokals. "Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbeigegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt, als wolltest du ihn essen", soll darin stehen. Danach sei es noch obszöner geworden, berichtet unter anderem der Kurier. Der Ladenbesitzer, den Maurer für den Absender hält, sagt, er habe die Nachricht weder geschrieben noch abgeschickt. Möglicherweise habe ein unbekannter Mann sie geschrieben, der alleine im Laden gewesen sei.
Weiter heißt es in der Zeitung, dass der Ladenbesitzer angegeben habe, als Reaktion auf das Posting von Maurer beschimpft und bedroht worden zu sein.
Maurer will gegen das Urteil in Berufung gehen. Auf Twitter kündigte sie an, zur Not auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Maurer habe keine andere Möglichkeit gehabt, sich zu wehren. "Ich werde nicht klein beigeben, wir werden in Berufung gehen und das Geld dafür aufstellen. Es ist völlig eindeutig, dass er es gewesen sein muss", zitiert sie der Kurier.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-10/gerichtsurteil-sigrid-maurer-craftbeer-belaestigung-rufschaedigung Miasto #10
Interessanter Fall. In dubio pro reo gilt natürlich auch dann, wenn es es einem emotional unplausibel erscheint. Menschen ohne handfeste Beweise öffentlich vorzuführen, birgt auch ein Risiko, dass man sich selbst schuldig macht. Am Ende lässt sich das nicht juristisch lösen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir anständig miteinander umgehen. Auch wenn es banal klingt.
michaelrenner #13
So sind sie, die Sexisten und Chauvinisten [1]: Verweisen auf ihren Schwarz, werden faktisch mit der Hand in der Kasse erwischt, haben aber nicht die Eier in der Hose dazu zu stehen.
Frau Maurer wünsche ich viel Erfolg bei der Revision und einen Richter der ihr glaubt *und* den Händler verurteilt!
[1] https://www.zeit.de/2018/41/antifeminismus-usa-pick-up-artists-proud-boys-incel-maskulinisten
Cromagnon #15
>Sie habe sich nicht anders zu wehren gewusst, als das in sozialen Netzwerken publik zu machen. Doch der Mann, den Maurer beschuldigt, streitet alles ab und verklagte die Frau.<
Wie wäre es denn rechtlich, wenn Frau Maurer geschrieben hätte: ... von einer Person, die DIESES Konto benutzt hat ... ?
matokla_auf_ZON #15.1
"Wie wäre es denn rechtlich, wenn Frau Maurer geschrieben hätte: ... von einer Person, die DIESES Konto benutzt hat ... ?"
Wäre nach meinem Rechtsverständnis keine üble Nachrede gewesen, da durch Frau Maurer leicht beweisbar.
Hansifritz #16
Verstehe ich nicht, war doch sein Account. Da ist er Verantwortlich, eigentlich müsste er beweisen, daß er es nicht war.
Bratan187 #31
Social-Media Account erstellen und jeden beleidigen. Wenn man angezeigt wird einfachen sagen: "Der Hund wars". Und schon ist man aus dem schneider. Geil!
---
"Incel-Bewegung: Diese Netzcommunity findet, dass Frauen eine Bedrohung sind" Konstantin Nowotny (20. Juli 2018)
Die Incel-Bewegung treibt ein mörderischer Hass auf Frauen an. Wieso führt Sexlosigkeit bei manchen Männern zum Hass? Und wo steht die Szene in Deutschland? ... Worum geht es? „The Red Pill“ ist ein Kanal der Forengemeinschaft Reddit, die sich lose der sogenannten Männerrechtsbewegung zuordnen lässt. Das böse System, die angebliche Scheinwelt, ist für die Männer dort unter anderem der Feminismus. Ihrer Meinung nach sei dieser nur dazu da, Männern ihr Recht auf Sex mit Frauen zu verwehren. Die schmerzvolle Einsicht, die rote Kapsel, lautet: Die meisten Frauen sind oberflächlich, stehen auf Alphamännchen, und wer das nicht ist, wird für immer sexlos bleiben. Feministische Erzählungen sind die Märchen, die Männer vor dieser Einsicht bewahren sollen. In Wahrheit haben die meisten Frauen die Kontrolle – immer.
Die sexuell Aktiven, das sind die Feindbilder der Incels. Immer wieder schildern sie auch über „The Red Pill“ hinaus, in Foren wie incels.me, ihren Frust über die eigene, wahrgenommene Unattraktivität und das vermeintlich ausweglose, sexlose Dasein. Einige berichten von Selbstmordgedanken, da sie ihrer als unzureichend wahrgenommenen Attraktivität nicht entfliehen können. Dann sprechen sie von der „black pill“.
Wenn die Aussichtslosigkeit so tief sitzt wie bei der „black pill“, können Incels zu Mördern werden. Im Jahr 2014 tötete der Student Elliot Rodger im kalifornischen Santa Barbara sechs Menschen und anschließend sich selbst. Zuvor hinterließ er ein Video-Statement und ein Manifest, in dem er seine Mordakte als Racheakt für jahrelange sexuelle Zurückweisung von Frauen beschreibt. Innerhalb der Incel-Szene wird er zuweilen als Held gefeiert. Erst dieses Jahr starben durch einen weiteren, ähnlichen Anschlag zehn Menschen im kanadischen Toronto. Der Mörder hinterließ zuvor auf seiner Facebookseite ein Statement, in welchem er den Beginn der Incel-Rebellion einläutete und sich positiv über Elliot Rodger äußerte.
Die Szenen eint, dass sie Frauen als Objekte sehen, die Sex zur Verfügung stellen, als wäre es eine natürliche Ressource. Während Incels sich damit abfinden, dass sie die ihrer Meinung nach lebensnotwendige Zuneigung unrechtmäßig nie bekommen werden, sind sich Pick-Up-Artists einig, dass es dafür nur die richtige Methode braucht. Auch sie gehen davon aus, dass Bewegungen wie der Feminismus eine Bedrohung sind, die das Recht auf Sex für Männer einschränken wollen.
Frauenhass gab und gibt es schon immer. Schon der Amokläufer Anders Breivik schrieb in seinem Manifest über die Bedrohung des Feminismus. Die Nähe zu rechtsextremen, fanatischen Bewegungen ist oft nicht zufällig. Was diese Männer ängstigt, ist der Verlust ihrer Macht. Gleichberechtigte Frauen, die über ihren Körper selbst bestimmen, sind für sie eine Katastrophe. Um diesen Machtverlust auszugleichen, greifen sie im Zweifelsfall zur Waffe. Dann sind sie wieder die starken Alphamännchen, die über Frauenkörper richten können. ...
https://ze.tt/diese-netzcommunity-findet-dass-frauen-eine-bedrohung-sind-incel-bewegung/---
[...] Die Folgen dieser toxischen Männlichkeit können verheerend sein: Statt sich Hilfe zu suchen, tendieren Männer deutlich häufiger als Frauen dazu, auf Frust oder Ausweglosigkeit mit Gewalt und Selbstschädigung zu reagieren. Über 70 Prozent der Alkoholabhängigen in Österreich sind männlich. Männer begehen fast viermal häufiger Suizid als Frauen. Sie richten die Gewalt aber nicht nur gegen sich selbst, wie die Kriminalitätsstatistik zeigt: Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben begehen Männer zehnmal häufiger als Frauen, jene gegen sexuelle Integrität und Selbstbestimmung fast 60-mal häufiger als Frauen.Auch Terrorismus und Amokläufe sind stark männlich dominiert. Einer Statistik von "Mother Jones" zufolge, in der alle Schusswaffenattentate in den USA mit mehr als vier Toten seit 1982 analysiert wurden, bilden die größte Tätergruppe: weiße Männer. Insgesamt wurden nur drei der insgesamt 101 Vorfälle von Frauen (mit-)verübt.
Dabei geht es oft um Frustration, Unzufriedenheit, sogenanntes "male entitlement": Die Täter sehen sich im Recht, etwas zu erhalten, was ihnen aber ihrer Ansicht nach verwehrt wird. Dabei kann es sich um Erfolg im Job handeln – der "Amokfahrer von Münster" etwa hatte offenbar seinen beruflichen Niedergang nicht verkraftet. Oder auch die vermeintlich "verwehrte" Aufmerksamkeit von Frauen, die etwa der Amokfahrer von Toronto im April oder der Schütze von Isla Vista 2014 beklagten.
Die Opfer der männlich dominierten Gewalt sind überdurchschnittlich oft Frauen: Laut der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie waren 2017 österreichweit 83 Prozent der gemeldeten Opfer häuslicher Gewalt weiblich – während die Gewalt in 88 Prozent der Fälle von Männern ausging. Seit 2012 wurden insgesamt 122 Frauen von Männern und sieben Männer von Frauen innerhalb eines Nahe- oder Beziehungsverhältnisses getötet. Dieses Jahr waren es bereits 16 Frauenmorde. Im Mai ermordeten zwei Männer ihre Ex-Partnerinnen in Wien. Erst am Montag hat ein Mann in der Obersteiermark seine Ex-Freundin mit Benzin übergossen und versucht, sie anzuzünden.
Was bedingt diese Geschlechterdifferenz? Christian Scambor vom Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark sieht einen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Normen und Rollenbildern – und damit, wie Jugendliche sozialisiert werden, "welche Werte und Verhaltensweise verstärkt oder abgewertet werden". Bereits im Kindes- und Jugendalter finde man(n) "keine geschlechtsneutrale Welt" vor, sie sei "mit vielen toxischen Bildern ausgestattet", erklärt der Psychologe, der unter anderem in der Gewaltarbeit tätig ist. Vorstellungen wie jene des "gewalttätigen, zornigen Mannes, der rot sieht" seien nicht angeboren, sondern würden "von unserer Kultur" vorgeschlagen und weitergegeben werden.
Auch Männerforscher Christoph May kritisiert die vorherrschenden Idole – neben jenen in Film und Literatur auch emotional distanzierte Elternteile. "Wir erleben Väter, die kaum Interesse für die Erziehungsarbeit aufbringen", und Söhne, die nach wie vor dazu erzogen würden, ihre Gefühle zu unterdrücken. "Von positiven, emotional integren Männerfiguren sind wir weit entfernt", beklagt May. Auch für Gerichtsgutachterin Roßmanith braucht es "gesunde Identifikationsfiguren", die sich nicht hinter "männlichen" Fassaden verstecken. Aus ihrer Arbeit erzählt sie: "Die größten Schläger auf der Straße sind, wenn man sie untersucht, hilflose Däumlinge. Dahinter steckten 'Kindsmänner', die wie in der Sandkiste agieren, wenn Kinder anderen eine Schaufel auf die Birne hauen. Ich verniedliche, aber im Grunde geht es bei Gewalttaten um solche Konflikte."
Aus: "Geschlechterrollen - Toxische Männlichkeit: Das gefährliche Schweigen der Männer" Noura Maan, Sandra Nigischer (22. Juli 2018)
Quelle:
https://www.derstandard.de/story/2000083736242/toxische-maennlichkeit-das-gefaehrliche-schweigen-der-maenner