[...] Unter linken Denkern war die Kunst oft als bürgerlich verschrien. Eigentlich hat nur Antonio Gramsci in seinen Bemerkungen zur Populärkultur eine kohärente Theorie entwickelt. Der Soziologe Jens Kastner fasst das heterogene Feld linken Kunst-Denkens in einer Studie zusammen.
„Sind Sie ein Mann der Kunst, Premierminister?“ In der Netflix-Serie „The Crown“ schüttelt Harold Wilson den Kopf, als ihn Königin Elizabeth bei der Eröffnung eines Kunstmuseums zur Rede stellt. „Nein, ich bin Wirtschaftswissenschaftler“ entgegnet der Labour-Politiker der Monarchin, „da weiß man, was man hat“.
Linke Theorie und Praxis, dafür ließe sich die fiktive Szene heranziehen, stehen unter dem Primat der Ökonomie. Dass Kunst und Kultur darin aber eine wichtige Rolle spielen, zeigt der Soziologe Jens Kastner in seinem neuen Buch.
„Die Linke und die Kunst“ ist keine Streitschrift zur neu aufgeflammten Debatte um das Verhältnis von Kunst und Politik. Vielmehr verfolgt der Dozent an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, Jahrgang 1970, den Stellenwert der Kunst in der Philosophie von Karl Marx über Antonio Negri bis Juliane Rebentisch.
Souverän arbeitet Kastner dabei die prägenden Phasen heraus. Orthodoxe Denker wie Lenin oder Georg Lukács hielten Kunst noch für einen bloßen Reflex der Produktionsverhältnisse. Dagegen setzen Denker der Kritischen Theorie wie Theodor W. Adorno oder Ludwig Marcuse die Idee des autonomen Kunstwerks.
Eine gleichsam kopernikanische Wende vollzieht Walter Benjamin. Seit seiner Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ gelten der technische Fortschritt, der soziale Status und die Macht der Institutionen als Parameter, die die Kunst mindestens genauso prägen wie die Intentionen ihrer Produzenten.
In einer dritten Phase kritisieren schließlich die zeitgenössischen Theorien des Feminismus und der Dekolonisierung Kunst als privilegierte Praxis der westlichen Moderne.
Kastner macht ein merkwürdiges Paradox aus: Die meisten der von ihm angeführten Denker gestünden der Kunst zwar großes emanzipatorisches Potenzial zu. Selbst der französische Soziologe Pierre Bourdieu nennt sie ein „Instrument der Freiheit“. Sieht man aber von Antonio Gramscis Bemerkungen zur Populärkultur in seinen legendären „Gefängnisheften“ oder Bourdieus unvollendet gebliebener Studie zu Édouard Manet ab, habe keiner von ihnen diesen Gedanken jedoch als kohärente Theorie ausgearbeitet.
Kastners materialreiches Panorama füllt eine echte Lücke. Erstmals erschließt sie das heterogene Feld linken Kunst-Denkens so umfassend wie verständlich. Seine Studie widerlegt das landläufige Vorurteil, die Linke respektiere das Eigenständige der Kunst nicht. Sie widerlegt aber auch das linke Vorurteil, Kunst lenke bloß vom Klassenkampf ab.
Anders als der „Art-Aktivismus“ heute sehen die meisten der von Kastner angeführten Denker die kritischen Möglichkeiten der Kunst aber eher darin, die Wahrnehmung zu verändern als ad hoc andere gesellschaftliche Verhältnisse durchzusetzen oder „konventionelle Illusionen“ zu zerreißen, wie es Friedrich Engels gefordert hatte.
Den „unerschütterlichen Glauben an die verändernde Kraft der Kunst“ bezog der marxistische Kunsthistoriker Anthony Blunt bekanntlich von den Werken des Barockmalers Nicolas Poussin, nicht von aktivistischen Aktionen wie Gustave Courbets Sturz der Siegessäule auf der Place Vendôme während der Pariser Commune. Das Bekenntnis legt der britische Schriftsteller John Banville in seinem Roman „Der Unberührbare“ Blunt in den Mund. In den 60er-Jahren war der langjährige Kurator von Königin Elisabeths Gemäldesammlungen als KGB-Spion enttarnt worden.
Aus: "Jens Kastner: „Die Linke und die Kunst“ - Die Kunst lenkt nicht vom Klassenkampf ab" Ingo Arend (21.01.2020)
Quelle:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/jens-kastner-die-linke-und-die-kunst-die-kunst-lenkt-nicht.1270.de.html?dram:article_id=468321-
[...] Surrealismus ist eine kulturelle Bewegung, die in den frühen 1920er Jahren begann und ist am besten für seine visuellen Kunstwerke und Schriften bekannt. Künstler malten nervtötende, unlogische Szenen mit fotografischer Präzision, schufen seltsame Kreaturen aus Alltagsgegenständen und entwickelten Maltechniken, die es dem Unbewussten erlaubten, sich auszudrücken. Ziel war es, “die zuvor widersprüchlichen Bedingungen des Traumes und der Realität in eine absolute Realität, eine Überrealität aufzulösen”.
... Politisch war der Surrealismus trotzkistisch, kommunistisch oder anarchistisch. Die Spaltung von Dada wurde als eine Spaltung zwischen Anarchisten und Kommunisten charakterisiert, mit den Surrealisten als kommunistisch. Breton und seine Kameraden unterstützten Leo Trotzki und seine Internationale Linke Opposition eine Zeit lang, obwohl es eine Offenheit für den Anarchismus gab, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch deutlicher manifestierte. Einige Surrealisten, wie Benjamin Péret, Mary Low und Juan Breá, stimmten mit Formen des linken Kommunismus überein. Andere kämpften für die völlige Freiheit von politischen Ideologien, wie Wolfgang Paalen, der nach Trotzkis Ermordung in Mexiko mit seinem gegen-surrealistischen Kunstmagazin DYN ein Schisma zwischen Kunst und Politik vorbereitete und so den abstrakten Expressionisten den Boden bereiten sollte. Dalí unterstützte den Kapitalismus und die faschistische Diktatur von Francisco Franco, kann aber nicht als ein Trend im Surrealismus in dieser Hinsicht bezeichnet werden; Tatsächlich wurde er von Breton und seinen Verbündeten für betrogen gehalten und verließ den Surrealismus. Benjamin Péret, Mary Low und Juan Breá schlossen sich während des Spanischen Bürgerkrieges der POUM an.
Bretons Anhänger, zusammen mit der Kommunistischen Partei, arbeiteten für die “Befreiung des Menschen”. Bretons Gruppe lehnte es jedoch ab, den Kampf des Proletariats um die radikale Schöpfung zu priorisieren, so dass ihre Kämpfe mit der Partei die späten 1920er Jahre zu einer turbulenten Zeit für beide machten. Viele mit Breton eng verbundene Personen, namentlich Louis Aragon, verließen seine Gruppe, um enger mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten.
Surrealisten haben oft versucht, ihre Bemühungen mit politischen Idealen und Aktivitäten zu verknüpfen. In der Erklärung vom 27. Januar 1925 beispielsweise erklärten Mitglieder des in Paris ansässigen Büros für surrealistische Forschung (darunter André Breton, Louis Aragon und Antonin Artaud sowie etwa zwei Dutzend andere) ihre Affinität zur revolutionären Politik. Während dies zunächst eine etwas vage Formulierung war, hatten sich in den 1930er Jahren viele Surrealisten stark mit dem Kommunismus identifiziert. Das wichtigste Dokument dieser Tendenz innerhalb des Surrealismus ist das Manifest für eine freie revolutionäre Kunst, das unter den Namen Breton und Diego Rivera veröffentlicht wurde, aber tatsächlich gemeinsam von Breton und Leo Trotzki verfasst wurde.
Doch die Behauptung der Surrealisten, dass eine “proletarische Literatur” innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft unmöglich sei, führte 1933 zum Bruch mit der Association des Ecrivains et Artistes Révolutionnaires und zur Vertreibung von Breton, Éluard und Crevel aus der Kommunistischen Partei.
Im Jahr 1925 schlossen sich die Pariser Surrealisten und die extreme Linke der Kommunistischen Partei Frankreichs zusammen, um Abd-el-Krim, den Anführer des Rif-Aufstandes gegen den französischen Kolonialismus in Marokko, zu unterstützen. In einem offenen Brief an den Schriftsteller und französischen Botschafter in Japan, Paul Claudel, verkündete die Pariser Gruppe:
“Wir Surrealisten haben uns dafür ausgesprochen, den imperialistischen Krieg in seiner chronischen und kolonialen Form in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. So haben wir unsere Energien der Revolution, dem Proletariat und seinen Kämpfen zur Verfügung gestellt und unsere Haltung gegenüber der koloniales Problem und damit zur Farbfrage. ”
Die antikoloniale revolutionäre und proletarische Politik des “Mörderischen Humanitarismus” (1932), die hauptsächlich von René Crevel entworfen und von André Breton, Paul Éluard, Benjamin Péret, Yves Tanguy und den Martiniquan Surrealisten Pierre Yoyotte und JM Monnerot unterzeichnet wurde, macht es vielleicht zum Original Dokument von dem, was später “schwarzer Surrealismus” genannt wird, obwohl es der Kontakt zwischen Aimé Césaire und Breton in den vierziger Jahren auf Martinique ist, der wirklich zur Kommunikation des sogenannten “schwarzen Surrealismus” führte.
Die antikolonialen Revolutionsschriftsteller in der Négritude-Bewegung von Martinique, einer französischen Kolonie zu dieser Zeit, griffen den Surrealismus als revolutionäre Methode auf – eine Kritik der europäischen Kultur und ein radikal subjektives. Dies ging mit anderen Surrealisten einher und war sehr wichtig für die spätere Entwicklung des Surrealismus als revolutionäre Praxis. Die Zeitschrift Tropiques, die das Werk von Césaire zusammen mit Suzanne Césaire, René Ménil, Lucie Thésée, Aristide Maugée und anderen darstellt, wurde erstmals 1941 veröffentlicht.
1938 reiste André Breton mit seiner Frau, der Malerin Jacqueline Lamba, nach Mexiko, um sich mit Trotzki zu treffen (Gast von Diego Riveras Ex-Frau Guadalupe Marin). Dort lernte er Frida Kahlo kennen und sah ihre Bilder zum ersten Mal. Breton erklärte Kahlo zu einem “angeborenen” surrealistischen Maler.
...
Aus: "Surrealismus" HiSoUR (Datum ?)
Quelle:
https://www.hisour.com/de/surrealism-35130/-
[...…] Am 24. Juni 1935 hielt André Breton als letzter Redner, ganz spät in der Nacht, da man ihn eigentlich gar nicht hatte auftreten lassen wollen, seinen Vortrag am von der Kommunistischen Partei Frankreichs organisierten »Ersten Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur« in Paris. Diese Rede sollte seine Trennung von der Kommunistischen Partei, der er 1927 beigetreten war, besiegeln. Der Rede voran gegangen war der Selbstmord des surrealistischen Dichters René Crevel, der den zu erwartenden Bruch der SurrealistInnen mit der KPF nicht ertragen wollte und, bevor er seinen Gashahn aufdrehte, schrieb: »Alles ekelt mich an!«. Der Rede voran gegangen war eine über 10-jährige Aktivität André Bretons, als einer jener Männer, der die Kunst in den Dienst der Revolution stellen wollte, ganz im Sinne des letzten Satzes seiner 1935 gehaltenen Ansprache, vor einem demonstrativ schon fast leerem Saal, bevor die VeranstalterInnen das Licht abdrehten, der lautet: »›Die Welt verändern‹, hat Marx gesagt; ›das Le-
ben ändern‹, hat Rimbaud gesagt: Diese beiden Losungen sind für uns das einzige.« (Becker 1998, 97)
Mit diesem letzten Satz ist die Richtung gezeichnet, in die der Surrealismus seit 1924 gegangen war. Konsumiert man heute die Kunst der SurrealistInnen, so wird meistens vergessen, dass es sich bei ihnen um Künstler handelte – Künstlerinnen durften nur am Rande aktiv sein, Frauen generell nur als Musen, als Ein– und Ausreden einer revolutionären Liebe, eigentlich waren die Surrealisten ziemliche Männerbündler (Hörner 1998), man kann durchaus sagen Machos – die sich dem Umsturz der bestehenden Verhältnisse auf den verschiedensten künstlerischen und politischen Ebenen verschrieben hatten. Um jedoch über die surrealistische Avantgarde und ihr Verhältnis zu Kunst und Politik, ihre ganz spezielle Rolle im Paris der 20er und 30er Jahre verstehen zu können, muss zuerst einmal die Situation der französischen Intellektuellen dieser Zeit im Allgemeinen erklärt werden. Von diesem Überblick ausgehend können die Fragen gestellt werden, was damals Surrealismus bewirkt hat und was heute Surrealismus noch bedeuten kann oder soll.
Die Intellektuellen dieser Zeit waren im Wesentlichen mit einer Frage konfrontiert: wie kann eine Demokratie, wie die französische, die es seit spätestens den 1880er Jahren immer wieder geschafft hat, ihre humanistischen Grundwerte zu verteidigen, die den Einfluss der Kirche und die Gewalt der AntisemitInnen relativ erfolgreich bekämpft hat, einen Ersten Weltkrieg zulassen, einen Krieg, der massiv viele Menschenleben gefordert hat (von manchen Abschlussklassen von 1914 hatten gerade die Hälfte der Schüler den Krieg überlebt), einen Krieg, der ganze Regionen verwüstet, der viele FranzösInnen bis hin zur Lethargie traumatisiert hat, durchaus auch jene, die anfangs diesen Krieg, die Möglichkeit der Revanche für 1870 begrüßt hatten. Denn das Gemetzel vor Verdun schien unvereinbar mit dem, wofür die III. Republik angetreten war, zumindest jene bürgerlichen, linksliberalen Kräfte in ihr, welche über Jahrzehnte die Innenpolitik des Landes geprägt hatten. Wie ist ein Georges Clemenceau zu verstehen, der seine Zeitschrift L‘ Aurore 1898 zum Massenmedium für Hauptmann Alfred Dreyfus und gegen den Antisemitismus eingesetzt hat, der später als Senator radikal für die Trennung von Kirche und Staat eingetreten war, dann plötzlich als Innenminister auf ArbeiterInnen schießen ließ und 1917 schlussendlich jener Regierungschef wurde, der Frankreich zum Sieg »führte« und zwar durchaus mit einer massiv chauvinistischen und populistisch, kriegshetzerischen Politik? Nicht umsonst wurde Clemenceau von den SurrealistInnen Schande–Clemenceau genannt. Der Anarchist Emile Cottin kann wohl diese Widersprüche einer humanistischen Unmenschlichkeit nicht akzeptieren und verübt auf Clemenceau am 19. Februar 1919 ein Attentat. Clemenceau überlebt die drei Kugeln in seinem Körper und setzt sich dafür ein, dass Emile Cottin, der am 14. März 1919 zum Tode verurteilt wird, nicht hingerichtet wird.
Am 8. März 1919 treffen sich zum ersten Mal die beiden werdenden Dichter André Breton und Paul Eluard in Paris, am 19. März 1919 erscheint die erste Nummer der dadaistischen Zeitschrift Littérature, von André Breton, Louis Aragon und anderen Schriftstellern (es war keine Frau dabei) herausgegeben. André Breton, Louis Aragon und Paul Eluard haben gerade die Schrecken des Krieges überlebt, alle drei als Sanitäter. Sie haben nach dem Krieg den Dadaismus entdeckt und haben alle ihre bürgerlichen Lebenspläne aufgegeben, um sich mit Hilfe der Kunst gegen die Welt der Väter – wie Jean–Paul Sartre später einmal schreiben wird (Sartre 1985, 188) – zu stellen.
... Was die surrealistischen Schocks versucht haben, war, auf den »absoluten Wahnsinn« hinzuweisen, der sich gerade in den 30er Jahren immer mehr ausbreitete, darin liegt der hauptsächliche Einfluss auf die ZeitgenossInnen der SurrealistInnen, die sicher nicht die einzigen waren, doch zählen sie zu den manchmal auffälligsten HinweiserInnen.
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Aus: "Alexander Emanuely: Surrealismus und Revolution" (Datum?)
Quelle:
http://spektakel.blogsport.de/broschur/broschur-1/alexander-emanuely-surrealismus-und-revolution/