[...] ach nur 30 Minuten gellten am Samstag empörte Buhrufe aus dem Publikum, verärgerte Zuschauer verließen ihre Plätze, einige knallten die Türen. Regisseur Burkhard C. Kosminski, der Intendant des Mannheimer Schauspiels, hatte für seine erste Operninszenierung die sagenhafte Handlung um Tannhäuser im Venusberg und den Sängerkrieg auf der Wartburg in der Zeit des Nazi-Regimes und der Entstehung der Bundesrepublik angesiedelt.
Während der berühmten "Tannhäuser"-Ouvertüre sinken nackte Darsteller in einem Kreuz aus gläsernen Würfeln, die sich mit Nebel füllen, zu Boden. Der Venusberg, bei Wagner Ort der hedonistischen Liebe, wird zum Schauplatz einer brutalen Erschießungsszene. Venus in Nazi-Uniform und ihre SS-Schergen ermorden eine Familie und zwingen Tannhäuser dazu, ebenfalls zu töten.
Im Jubiläumsjahr des 200. Geburtstags Wagners mag es nahe liegen, den Antisemitismus des Komponisten und seinen Einfluss auf die Nazi-Ideologie zu thematisieren. Kosminski aber hat Wagners romantischer Oper, die sich um den Konflikt zwischen exzesshafter und keuscher Liebe dreht, das NS-Motiv übergestülpt, um daran das Thema von Schuld und Sühne abzuarbeiten. Ihn bewege die Frage, wie man mit Tätern und Opfern umgehe und aus einer Welt des Schreckens heraus eine neue Ordnung konstituiere, sagte er.
Doch Tannhäusers Aufenthalt im Venusberg als Hort der sündenhaften Liebe eignet sich nicht als Metapher für die Monstrosität der Nazi-Verbrechen. Vielmehr droht die plakative Darstellung dort zu relativieren, wo nichts relativiert werden sollte. Dass in der Düsseldorfer Inszenierung Ströme von Theaterblut fließen, vergewaltigt wird und die Tannhäuser verfallene Elisabeth sich am Schluss auf der Bühne anzündet, macht es noch schlimmer.
... Die Inszenierung habe schon während der Probenzeit heftige Diskussionen ausgelöst, erzählen Beteiligte. Tannhäuser werde zu einem "Albtraum deutscher Geschichte", heißt es im Begleitheft. "Was hat das mit Tannhäuser zu tun?", fragt ein erboster Herr, bevor er das Parkett fluchtartig verlässt.
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Aus: "Buhrufe für drastischen "Tannhäuser" in Düsseldorf" Dorothea Hülsmeier (05.05.2013)
Quelle:
https://ga.de/news/panorama/buhrufe-fuer-drastischen-tannhaeuser-in-duesseldorf_aid-41337579-
"... Büsser beschrieb das potentiell Faschistische Rammsteins jenseits des Rückgriffs auf ästhetische Elemente des Dritten Reichs damit, dass „sämtliche Gesten der Männlichkeit und Härte hier für Sieg und Überlegenheit stehen – ein Phänomen, das in seiner Drastik zumindest dem kritischen Betrachter die Nähe zwischen neoliberalem Überlebenskampf und Sozialdarwinismus vor Augen führen kann.“ ..."
Aus: "Die Schwarze Szene im Spannungsfeld rechter Ideologien" (17. April 2023)
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schwarze_Szene_im_Spannungsfeld_rechter_IdeologienDie Schwarze Szene ist eine in den späten 1980er Jahren aus der Anhängerschaft des Dark Wave und Independent entstandene Szene.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze_Szene-
... «Trotz der plakativen Drastik in ihrer Show und Texten und eindeutiger Zweideutigkeit schafften es Rammstein, dass man sich in den Feuilletons mit ihnen auseinandersetzte.» Rammstein etablierten sich als subversive Kunstfiguren, die das Böse verkörperten, das in jedem von uns schlummert. Das ist auch Kultregisseur David Lynch (77) zu verdanken, er unterlegte seinen surrealen Thriller «Lost Highway» von 1997 mit dem düster-brachialen Sound der deutschen Band. ...
[...] Wenn Rammstein am Samstag in Bern auftreten, wird die berühmte Sperma-Kanone nicht zum Einsatz kommen, der Song «Pussy» ist gestrichen, die «Row Zero» wird leer bleiben. Rammstein stehen an einem Wendepunkt. Doch wie konnten Till Lindemann und Co. überhaupt zur weltweit berühmtesten deutschsprachigem Rock-Band werden?
Und wie wurde aus der ehemaligen Punkband aus Ostdeutschland eine globale Geldmaschine? Worauf ihr Erfolg beruht, wissen der Kultur-Wissenschaftler Maximilian Jablonowski (36), der sich eingehend mit Pop-Kultur befasst, und Musik-Journalist Lukas Rüttimann (52), der Rammstein bereits beim allerersten Auftritt in der Schweiz 1995 erlebt und mehrere Male interviewt hat.
Die sechs Bandmitglieder kommen aus der ehemaligen DDR – doch anders als es ihr Image vermuten lässt, stammen sie aus dem Bildungsbürgertum. Till Lindemanns Vater war Kinderbuchautor, seine Mutter Kulturjournalistin. Mit dem Mauerfall verlieren sie ein Stück ihrer Identität und einige auch ihre Freundinnen. Auf diesem Verlierer-Image basiert die Gründungslegende der sechs Ossis. Ihre Bandkarriere beginnt in einem Proberaum in Ost-Berlin, wo sie sexuell-aufgeladenen Krach machen. Eine ihrer ersten Song-Zeilen lautete: «Ich will ficken.»
Rammstein ist nach der US-Basis Ramstein benannt, wo 1988 ein Unfall an einer Flugshow 70 Todesopfer fordert. Schon der Bandname ist Provokation und die ist von Anfang an Konzept, sagt Musikexperte Lukas Rüttimann: «Sie haben sie sich nie wirklich festlegen lassen – und bewirtschafteten die entstandene Aufregung konsequent. Das hat sie ganz nach oben gebracht.» Dazu kommt eine durchdachte, bombastische Show. Schon beim ersten Showcase feuerte Till Lindemann selbstgebastelte Pyros ab, aus Stahlrohren, die an Fitnesshandschuhen befestigt waren.
Rammstein kokettierten von Anfang an mit nationalsozialistischer Ästhetik und Lindemann provozierte mit dem rollenden «R» à la Hitler. Zuletzt sorgte das Video zum Song «Deutschland» (2019) für Empörung, darin inszenieren sich Rammstein als KZ-Häftlinge am Galgen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung kritisierte das Video damals als «geschmacklose Ausnutzung der Kunstfreiheit».
Zwar haben sich Rammstein wie viele grosse Bands nie klar politisch geäussert. Aber laut Jablonowski liessen sie immer wieder durchblicken, dass sie sich eher im progressiven und linken Feld bewegen: «Sie signalisierten, dass sie nicht rechtsradikal sind.»
Rammstein kokettierten von Anfang an mit nationalsozialistischer Ästhetik und Lindemann provozierte mit dem rollenden «R» à la Hitler. Zuletzt sorgte das Video zum Song «Deutschland» (2019) für Empörung, darin inszenieren sich Rammstein als KZ-Häftlinge am Galgen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung kritisierte das Video damals als «geschmacklose Ausnutzung der Kunstfreiheit».
Zwar haben sich Rammstein wie viele grosse Bands nie klar politisch geäussert. Aber laut Jablonowski liessen sie immer wieder durchblicken, dass sie sich eher im progressiven und linken Feld bewegen: «Sie signalisierten, dass sie nicht rechtsradikal sind.»
Wegen der möglichen Nazi-Nähe und Gewaltverherrlichung gab es heftige Kritik. Doch sie verstummte irgendwann. Wieso? Jablonowski sagt: «Trotz der plakativen Drastik in ihrer Show und Texten und eindeutiger Zweideutigkeit schafften es Rammstein, dass man sich in den Feuilletons mit ihnen auseinandersetzte.» Rammstein etablierten sich als subversive Kunstfiguren, die das Böse verkörperten, das in jedem von uns schlummert. Das ist auch Kultregisseur David Lynch (77) zu verdanken, er unterlegte seinen surrealen Thriller «Lost Highway» von 1997 mit dem düster-brachialen Sound der deutschen Band. «Es ging um dieses Versprechen dahinter, dass es noch eine zweite, tiefere Ebene der Reflexion darin gibt. Das zerfällt jetzt», sagt Jablonowski
Gemäss Rüttimann ist die Kritik an Rammstein nie ganz verstummt, «vor allem in Deutschland, wo das Thema Nazi-Nähe viel strenger betrachtet wird als bei uns». Rammstein blieb für viele ein rotes Tuch. Doch der Erfolg habe vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen: «Rammstein wurde vom Mainstream akzeptiert, samt ihren Abgründen.»
Rammstein sind kein deutschsprachiges Phänomen, sondern eine globale Super-Gruppe. Seit 1994 spielten sie 862 Konzerte in 46 Ländern auf allen Kontinenten. Ihr Einzelkonzert im Madison Square Garden in New York von 2011 war innerhalb von 30 Minuten ausverkauft. «Totaler Grössenwahn, aber konsequent durchgezogen», so erklärt Rüttimann den globalen Erfolg der Band. «In den USA lieben sie solche Acts. Dort war man weniger empfindlich, was ihre frühere Koketterie mit Nazi-Ästhetik angeht.» Auch musikalisch bieten Rammstein was: «Es ist ein cleverer Mix aus Metal, Industrial und Schlager, der für das Massenpublikum gut funktioniert – und den sie mit originellen Videoclips visuell grandios umsetzen.» Zudem versteht man in den USA, Südamerika oder Russland deutsch nicht, nur der herrische Tonfall kommt rüber – Hunde erzieht man schliesslich auf der ganzen Welt mit deutschen Kommandos. Eine besondere Liebe zu Rammstein pflegen ihre Fans aus Mexiko, auf der Nordamerika-Tour im letzten Jahr war das Foro-Sol-Stadion in Mexiko-Stadt gleich dreimal ausverkauft.
Die Fangemeinde für Rammstein etablierte sich bereits in den Anfängen der Band, ihr erstes Konzert gaben sie 1996 im Zürcher Volkshaus. Insgesamt fünfmal landeten sie mit ihren Alben auf Platz 1 der Schweizer Hitparade. Wichtiger Faktor für die Beliebtheit hierzulande ist auch die Sprache, so Rüttimann: «Die Leute verstehen, was Lindemann von sich gibt und können mitsingen. Kombiniert mit simplen, aber effektiven Gitarrenriffs und eingängigen, nicht selten wehmütigen Melodien feiern bei Rammstein-Konzerten Metal-, Pop-, Techno- und Schlagerfans gemeinsam.»
Pro Show machen Rammstein mehr als fünf Millionen US-Dollar Umsatz, so die Schätzungen der amerikanischen Fachzeitschrift «Pollstar». In den zwölf umsatzträchtigsten Rammstein-Konzerten 2022 wurde ein Ticketumsatz von knapp 64 Millionen US-Dollar eingespielt. Abzüglich der Kosten für die 120-Crew-Mitgliedern, der aufwendigen Bühnenshow, Tourneeveranstalter und der Konzerthalle vor Ort, bleiben Rammstein laut «Spiegel» pro Gig geschätzt fast 2 Millionen US-Dollar. Dazu kommt noch der Verkauf von Merchandise-Artikeln, von Whiskey bis Sex-Toys, wie den Vibrator namens «Tilldo» für 155 Euro.
Das Geld ist mit ein Grund, warum Rammstein seine Tour nicht abbrechen wird, zudem könnte das auch Schuldeingeständnis interpretieren. Auch wenn für Till Lindemann die Unschuldsvermutung gilt, moralisch hat er bereits verloren. Aber nicht nur deshalb prognostiziert Musik-Journalist Rüttimann das Aus: «Ich könnte mir vorstellen, dass es das war. Zumindest vorerst. Die Band ist musikalisch schon länger auserzählt und wirkt, als ob sie nur noch als tourende Geldmaschine funktioniert. Eine Auflösung würde niemanden überraschen.»
Aus: "Dank Porno und Nazi-Ästhetik zur globalen Superband" Katja Richard (17.06.2023)
Quelle:
https://www.blick.ch/people-tv/wie-rammstein-zu-erfolg-kam-dank-porno-und-nazi-aesthetik-zur-globalen-superband-id18672965.html-
[...] Die in Berlin ansässige kanadische Elektro-Feministin Peaches stellt sich dort zur Kaffeejausenzeit mit umgeschnalltem Gummipenis vor die Leute, um Frontalunterricht im Wortsinn zu geben: "Fuck the pain away!"
Wer dahinter schwarze Pädagogik oder sonstige Kinderschreckpraktiken vermutet, liegt zwar nicht ganz falsch. Zeitgenössische Kunst wird ja vor allem in der Neuen Welt schon immer als Drastik gleich Relevanz gelesen. ...
Aus: ""Bring mich nach Hause"" (17. August 2010)
Quelle:
https://www.derstandard.at/story/1281829380706/fm4-frequency-festival-bring-mich-nach-hause