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[Manche Sachen sollen dreckig sein]

Started by Textaris(txt*bot), June 13, 2005, 03:13:00 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Man muß eine bestimmte Substanz haben, und Substanz heißt für mich: Der einzelne Mensch selbst, ohne alle Aufgesetzheit. Und ohne Aufgesetztheit kann man auf der Bühne ebenso extreme Sachen machen, die zwar aufgesetzt wirken, aber zugleich normal sind und der jeweiligen Persönlichkeit entsprechen. Ich sage manchmal extreme Sachen auf der Bühne, aber die meine ich dann ehrlich. [...]

Die große Zeit der kaputten Typen in den kleinen Bars, die sich was einfallen lassen mußten, um zu überleben, diese große Zeit ist vorbei. Genauso gibt es in der Malerei kaum noch Talente, die einsam in ihrer Bude hocken und ihr Ding durchziehen. Heute wird alles marketingmässig geregelt. Der "Major" kommt und entscheidt, wer ausstellen oder eine Platte aufnehmen darf. Obwohl heute unheimlich viele Leute malen und Musik machen, herrscht doch ein komischer Wettbewerb, der mit den persönlichen Motiven der Künstler kaum noch etwas zu tun hat. In der Musik gab es noch nie bessere Ausbildungsmöglichkeiten. Die Leute spielen schnell und sicher, aber sie können zumeist keine Geschichte erzählen. Dabei kommt Langeweile heraus, saubere Langeweile, die nervt. Alle sauberen Musiker werden gefeatured, und die wirklich schmutzigen haben selten eine Chance.

[...] Auch auf der Bühne mache ich ja eine Art Politik der Freiheit. Man kann nicht so tun als ob. Man muß einfach so sein, und nur dann hat man auch etwas zu sagen und besitzt Ueberzeugungskraft. Ich verschreibe mich nie irgendeiner Sache, ich bin die Sache selbst. Das heißt, mir geht es um Unverwechselbarkeit. [...]
ich mag keine glatten Töne und Sketche. Manche Sachen sollen dreckig sein.

Bruchstücke aus einem Interview der FAZ mit Helge, Februar 1996
Quelle: http://www.leo.org/information/freizeit/fun/helgeschneider/helgefaz.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] die Freiheit in der Musik sucht man auch als Mensch, und Freiheit heißt nicht, dass besonders viel passiert. In der Musik heißt es immer: Weniger ist mehr. Wenn Count Basie am Klavier saß, hat der ganz wenige Tönchen gespielt, aber das dazwischen, das Nichtgespielte, hat eigentlich die Musik ausgemacht. Und im Leben ist es eigentlich ähnlich. Das Leben muss nicht supervoll sein. Wenn ich in einen Film gehe, möchte ich noch denken können und nicht zugeballert werden.

[...] Mir war egal, welche Jahreszahl wir schreiben, ich habe mich nur um mein Instrument gekümmert. [...] Jazz und Quatsch, das habe ich immer gemocht. Beim Saxofonspielen wollte ich zum Beispiel alt klingen. Als wäre ich hundert Jahre alt. Das fand ich sehr lustig. [...] Ich glaube, dass diese Ernsthaftigkeit, die den Jazz als Kunst verkauft, nicht von den Musikern selbst kommt, sondern von dem, was andere daraus gemacht haben. [...] Als ich mal Benny Waters sah, der inzwischen 102 ist – ich weiß nicht, ob er noch lebt –, der war damals schon 88 und hatte zehn Zentimeter hohe Plateausohlenschuhe an. Und dazu so ein grünes Afrohemd mit einer Leggins und eine wahnsinnige Brille mit rosa Gläsern. Das war für mich Jazz. Reinkommen, die Leute schon durchs Äußere zum Gefühlsausbruch bringen, ruhig lachen – ist doch nicht schlimm – und dann die Musik. Das ist Jazz.

[...] Einmal hab ich auf dem Jazz-Festival in Moers etwas Fürchterliches gesehen. Da kam Anthony Braxton, ein schwarzer Saxofonist, mit Lesebrille und unheimlich viel Noten. Er spielte Sopransaxofon, es war zum Kotzen langweilig. Da hab ich gedacht, das kann doch nicht sein. Was ist das für'n Typ? Er war weltberühmt. Und dann kam einer – Cecil Taylor, der spielte Klavier, das war das pure Gegenteil. Er hatte so einen Turban auf und haute auf dem Flügel wie ein Wahnsinniger rum. Eine Stunde, ein Stück. Er hat das Klavier total malträtiert. Aber das riss einen mit. Das war ein Erlebnis. Und dann hab ich dort Friedrich Gulda gesehen. Der spielte Klavier, nackt, und seine Freundin Schlagzeug, auch nackt. Das war für mich ein bisschen mehr Jazz.

[...] Da steht irgendwo ein Klavier, man läuft nachmittags durchs Städtchen, guckt sich die Leute an und abends geht man einfach rauf auf die Bühne. Das kann auch nicht jeder. Das kann nur ich, wo ich ja von der Improvisation lebe. Das ist eigentlich Jazz.


Bruchstücke aus einem Interview mit Helge Schneider: "Ich bin Jazz" (Das Gespräch führte Konrad Heidkamp) Quelle: http://www.zeit.de/2004/15/Helge_Schneider