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[Sexarbeit (Sexuelle Dienste inklusive)... ]

Started by Textaris(txt*bot), June 27, 2007, 02:25:22 PM

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Textaris(txt*bot)

#35
Quote[...] ,,Wenn es nach CDU und SPD geht, sollte es Sexarbeit gar nicht mehr geben. So forderten vor wenigen Tagen 16 Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und SPD, Prostitution grundsätzlich zu verbieten. Die Behauptung: Sexarbeit beschleunige die Ansteckung mit dem Corona-Virus. Ganz neu sind solche Diffamierungen nicht.

Auch in den 1980er-Jahren hatte man schnell Prostituierte im Verdacht, für die Ausbreitung von AIDS verantwortlich zu sein. Und immer wieder wird ein Prostitutionsverbot gefordert, angeblich um damit Gewalt und kriminelle Strukturen zu bekämpfen. Verbote verhindern aber weder Prostitution noch verbessern sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter/-innen.


Im ,,Melder" finden Sie Inhalte Dritter, die uns tagtäglich auf den verschiedensten Wegen erreichen und die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Es handelt sich also um aktuelle, redaktionell nicht bearbeitete und auf ihren Wahrheitsgehalt hin nicht überprüfte Mitteilungen Dritter. Für die Inhalte sind allein die Übersender der Mitteilungen verantwortlich, die Redaktion macht sich die Aussagen nicht zu eigen. Bei Fragen dazu wenden Sie sich gern an redaktion@l-iz.de.
1. Juni 2020 Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag Melder > Wortmelder  Keine Kommentare
Sarah Buddeberg: Es hilft niemandem, Sexarbeit zu verbieten!
Sarah Buddeberg. Foto: DiG/trialon

Sarah Buddeberg. Foto: DiG/trialon
Am 2. Juni ist der International Sex Workers' Day. Dazu sagt Sarah Buddeberg, parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik der Fraktion Die Linke: ,,Dieser Tag soll uns daran erinnern, unter welch ausbeuterischen und diskriminierenden Bedingungen Sexarbeiter/-innen weltweit leben und arbeiten."

,,Wenn es nach CDU und SPD geht, sollte es Sexarbeit gar nicht mehr geben. So forderten vor wenigen Tagen 16 Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und SPD, Prostitution grundsätzlich zu verbieten. Die Behauptung: Sexarbeit beschleunige die Ansteckung mit dem Corona-Virus. Ganz neu sind solche Diffamierungen nicht.

Auch in den 1980er-Jahren hatte man schnell Prostituierte im Verdacht, für die Ausbreitung von AIDS verantwortlich zu sein. Und immer wieder wird ein Prostitutionsverbot gefordert, angeblich um damit Gewalt und kriminelle Strukturen zu bekämpfen. Verbote verhindern aber weder Prostitution noch verbessern sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter/-innen.

Wir treten deshalb für eine Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ein sowie für ganz konkrete Hilfen für Sexarbeitende. Dazu gehört der Zugang zu Sozialleistungen und zur Krankenversicherung. Eine Schließung von Prostitutionsstätten sei nicht gerechtfertigt, betont der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen in einem offenen Brief. Sachsens Staatsregierung sollte in der Corona-Krise Verantwortung für diejenigen übernehmen, die am härtesten von ihr betroffen sind – dazu gehören auch Sexarbeiter/-innen.

Doch ihr Beruf ist immer noch stark tabuisiert. Statt ihnen in ihrer finanziellen Not zu helfen, wird nun noch eine Debatte befeuert, die sie existenziell bedroht. Wer Sexarbeiter/-innen helfen will, sollte in gut ausgestattete Hilfe- und Beratungsstrukturen investieren. Ein Verbot von Sexarbeit hilft niemandem!

Statt Sexarbeiter/-innen zu bestrafen, sollten wir dafür sorgen, dass kein Mensch sich dazu gezwungen sieht oder gezwungen wird, sich zu prostituieren. Den Sexarbeiter*innen die wirtschaftliche Grundlage entziehen zu wollen und sie in die Illegalität zu zwingen, ist moralisch verlogen."


Aus: "Sarah Buddeberg: Es hilft niemandem, Sexarbeit zu verbieten!" (1. Juni 2020)
Quelle: https://www.l-iz.de/melder/wortmelder/2020/06/Sarah-Buddeberg-Es-hilft-niemandem-Sexarbeit-zu-verbieten-333870


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"Corona und Prostitution: Große Sorgen in der Sexarbeit"  Patricia Hecht (16.3.2020)
Städte und Bundesländer schließen Bordelle und verbieten vorerst Prostitution. Vielen Sexarbeitenden droht nun Obdachlosigkeit.
https://taz.de/Corona-und-Prostitution/!5671919/

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"Sexarbeiterin zu Corona und Berührungen: ,,Ich habe Spaß am Flirten"" (das Interview führte
Jan Feddersen, Redakteur für besondere Aufgaben) 1.6.2020
Vor sieben Jahren stellte Josefa Nereus fest: Der Sex, den sie hatte, reichte nicht aus. Sie wurde Sexarbeiterin.
https://taz.de/Sexarbeiterin-zu-Corona-und-Beruehrungen/!5686804/

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Quote[...] Kassel - Mit Beginn der Corona-Maßnahmen sind in Deutschland alle Bordelle geschlossen worden. Prostitution ist verboten. Für Kassel bedeutet das: In den Laufhäusern, in denen 350 Prostituierte ihre Dienste anbieten, wird seit zwei Monaten nicht gearbeitet. ,,Aufgrund des Infektionsrisikos gehe ich davon aus, dass die Häuser dieses Jahr nicht mehr öffnen", sagt Gabi Kubik, die für den Verein ,,Frauen informieren Frauen" im Milieu Sozialarbeit leistet.

Die Prostituierten aus Südosteuropa haben Kassel verlassen und sich vor den Grenzschließungen in ihre Heimatländer wie Bulgarien und Rumänien zurückgezogen. Kubik schätzt ihre Zahl auf 200 Frauen.

Andere Sexarbeiterinnen, darunter viele aus Lateinamerika, sind in Kassel geblieben und befinden sich hier laut Kubik in besonders prekären Lebenssituationen. ,,Uns erreichen Anrufe von Prostituierten, die verzweifelt sind, weil ihnen ihre Existenzsicherung weggebrochen ist." Einige Frauen haben angedeutet, dass sie in ihrer Not überlegen, in ihren Privatwohnungen weiterzuarbeiten, und aus Angst sich mit Corona zu infizieren, nur Stammfreier bedienen wollen. ,,Diesen Frauen machen wir klar, wie groß die Gefahr einer Infektion ist", so Kubik. Die Wahrscheinlichkeit, dass Prostitution jetzt verstärkt im Verborgenen stattfindet, liege auf der Hand.

Mit den Prostituierten, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind, stehen die Sozialarbeiterinnen in Kontakt. So haben sie erfahren, dass einige die Krise zum Anlass nehmen, um aus dem Milieu auszusteigen. Auch den umgekehrten Effekt gibt es. Kubik: ,,Mehrere Frauen, die in anderen Berufen tätig waren, arbeitslos wurden und in finanzieller Not sind, haben sich bei uns über das Prostituiertenschutzgesetz informiert und darüber, wie sie sich als Prostituierte selbstständig machen können."

Mit der Schließung der Prostitutionsarbeitsstätten wegen der Corona-Pandemie in Kassel seit Mitte März haben die Sichtbar-Mitarbeiterinnen ihre aufsuchende Arbeit in den Laufhäusern und auf dem Straßenstrich eingestellt. ,,Wir bieten aus Sicherheitsgründen momentan auch keine Gespräche in der Beratungsstelle an, haben unsere telefonischen Sprechzeiten aber stark erweitert", sagt Sozialarbeiterin Gabi Kubik. Telefonisch halten die Sozialarbeiterinnen aber Kontakt mit den Prostituierten, auch wenn diese nicht mehr in Kassel und im Falle der Südosteuropäerinnen in deren Heimatländern sind.

Gabi Kubik: ,,Mit Abstand zum Prostitutionsmilieu in Kassel, ohne Angst vor Bedrohungen von Zuhältern, haben die Gespräche eine ganz neue Qualität bekommen." So haben Sichtbar-Mitarbeiterinnen Hinweise bekommen, dass sich in Kassel noch Sexarbeiterinnen befinden, die von Menschenhandel betroffen sein sollen, mit der Bitte, ihnen dringend zu helfen.

Aus ,,Angst um ihr Leben" hatten sich die Frauen vorher nicht getraut, die Sozialarbeiterinnen während ihrer Besuche in den Laufhäusern darauf aufmerksam zu machen. Es sei sofort die Polizei eingeschaltet worden, so Kubik. Eine Frau überlege gerade, ihren Zuhälter anzuzeigen, der sich in Kassel stets als guter Freund ausgegeben hatte.

,,Sorge bereitet uns die Vorstellung, dass sich die hiergebliebenen Frauen bei den Zuhältern und Vermietern aufgrund von weiterhin fälligen Mietzahlungen über einen langen Zeitraum immens verschulden, wenn sie keine Einnahmen haben, oder sie gezwungen sind, weiterzuarbeiten, um ihre Miete zahlen zu können", sagt Kubik.

Die Not der Frauen, die ohnehin groß sei, steigere sich noch mal, ,,wenn sie von Zuhältern massiv unter Druck gesetzt werden, trotz des Verbots weiterzuarbeiten". Verstärkt werde der Teufelskreis von Kunden, die die Not der Frauen ausnutzten und illegalen Sex zu Dumpingpreisen verlangten. ,,Das sind dieselben Freier, die sonst auch Sex ohne Kondom verlangen."

Einzelne Frauen berichteten aber auch von Vermietern, die wegen Corona den Prostituierten die Miete erlassen.

Zurzeit wenden sich an Sichtbar vor allem Frauen in finanzieller Not. ,,Deutsche Prostituierte können wir an das Jobcenter verweisen, wo eine Antragstellung auf Hartz IV-Leistungen möglich ist. Wir unterstützen sie dann bei der Antragstellung."

Das Problem der Migrantinnen sei, dass für sie die staatlichen Hilfen nicht greifen, da sie in der Regel die Zugangsvoraussetzungen zu den Jobcenter-Leistungen nicht erfüllen. Kubik: ,,Hier versuchen wir, unbürokratisch über Notfallfonds zu helfen."

Drastische Ereignisse erfordern drastische Maßnahmen. So hat Stuttgart als erste Stadt in Deutschland wegen der aktuellen Corona-Krise ein Prostitutionsverbot erlassen. Die Bordelle sollen geschlossen bleiben.

Die Corona-Pandemie betrifft alle Lebensbereiche - auch die Prostitution: Das Dammhaus in Bad Sooden-Allendorf ist geschlossen. Wann das Bordell wieder öffnen darf, ist nicht absehbar.


Aus: "Prostitution in Corona-Zeiten: Viele bieten Dienste illegal an" Christina Hein (14.05.2020)
Quelle: https://www.hna.de/kassel/coronavirus-sti164091/corona-prostitution-kassel-angebot-dienste-illegal-13762540.html

Textaris(txt*bot)

Pierin Vincenz (* 11. Mai 1956 in Chur) ist ein Schweizer Bankmanager. Von 1999 bis 2015 war er Vorsitzender der Geschäftsleitung der Raiffeisen Schweiz. ... Am 28. Februar 2018 eröffnete die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen mehrere Personen eine Strafuntersuchung wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, und Vincenz wurde in Untersuchungshaft genommen. Nachdem die Raiffeisenbank durch die Zürcher Justiz über das Strafverfahren informiert worden war, reichte sie ebenfalls eine Strafanzeige gegen ihren ehemaligen Chef ein. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Pierin_Vincenz

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Quote[...] Pierin Vincenz und Beat Stocker waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Für sie gilt wie für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung. ...


Aus: "U-Haft traf Pierin Vincenz völlig unerwartet - Die brisantesten Aussagen der Abhörprotokolle" (06.02.2022)
Quelle: https://www.blick.ch/wirtschaft/u-haft-traf-pierin-vincenz-voellig-unerwartet-die-brisantesten-aussagen-der-abhoerprotokolle-id17210267.html

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Quote[...] Ungetreue Geschäftsbesorgung, gewerbsmässiger Betrug, Urkundenfälschung und passive Bestechung. Die Bestürzung darüber ist gross, dass diese Anklagen ausgerechnet den charmanten Pierin Vincenz treffen, der so anders schien als die arroganten Banker vom Paradeplatz. Er war langjähriger Chef der Raiffeisen-Gruppe und beeindruckte viele mit seiner steilen Karriere. Er baute die kleine Raiffeisenbank zur drittgrössten Bank in der Schweiz auf.

Letzte Woche begann der Prozess gegen Vincenz und sechs weitere Mitangeklagte vor dem Zürcher Bezirksgericht. Im Prozess geht es um womöglich unrechtmässige Gewinne im Umfang von rund 25 Millionen Franken und fragwürdige Spesenabrechnungen über fast 600 000 Franken. Besonders zu reden gibt, dass etwa ein Drittel dieser Spesen für Champagner, Cabaretbesuche und Stripperinnen in Nachtclubs ausgegeben wurde. Die konkreten Verfehlungen der Person mögen spektakulär sein. Doch im Grunde geht es um die Grundstrukturen der Finanzwelt sowie der Gesellschaft insgesamt.

Worum wird bei diesem Konflikt eigentlich gestritten? Was erregt so viel Aufmerksamkeit? Aufregende Sexskandale? Der öffentliche Vertrauensbruch? Der Graubereich zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem? All dies trifft zu, denn immer geht es um Grenzen und deren Überschreitungen. Diese zeichnen die Struktur bürgerlicher Männlichkeit als auch die bürgerliche Gesellschaft insgesamt aus.

Zur Gesellschaft gehört seit der bürgerlichen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts eine Trennung zwischen Ökonomie, Staat und Privatsphäre. Erstere gelten als männliche Bereiche, Letztere als weiblich. Dabei kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen den männlichen Sphären. Vater Staat und der Unternehmer stehen in einem ständigen Konkurrenzkampf. Die raffinierte Suche nach Schlupflöchern ist das Erfolgsrezept des Unternehmers für die eigene Karriere. Hingegen versucht der Gesetzgeber, mit disziplinierendem Appell oder strafender Hand mal mehr, mal weniger die Schlupflöcher zu stopfen.

Ganz grundsätzlich wird darüber gestritten, ob die Wirtschaft, die Politik oder die Privatsphäre der Ort der Freiheit ist.* Gegenüber beiden männlichen Sphären ist die weiblich und familial konnotierte Privatsphäre abgewertet. Gemeinsam haben die Privatwirtschaft und die Privatsphäre, dass sie nicht direkt unter der Leitung des Staates stehen, gleichzeitig jedoch nur innerhalb der Gesetze und der Vertragsstrukturen des Staates bestehen können (zum Beispiel durch Arbeits- oder Eheverträge).

Die verschiedenen Grenzkonflikte, um die es im Raiffeisen-Prozess geht, hängen in der bürgerlichen, insbesondere unternehmerischen Männlichkeit zusammen. Erfolgreich und anerkannt ist, wer «jemand» wird. Zu «jemandem» wird «Mann», indem man Karriere macht, in der Unternehmenshierarchie möglichst weit aufsteigt und über Status, Geld und Macht verfügt.

Der französische Soziologie Pierre Bourdieu sprach darum von der «libido dominandi», dem Begehren, zu beherrschen. Dieses Begehren war für ihn ein zentrales Element männlicher Herrschaft. Erst das erfolgreich durchgesetzte Bedürfnis, Herrschaft und Kontrolle über andere auszuüben und den eigenen Willen auch in anderen umzusetzen, führt dazu, dass andere eben beherrscht und dem Willen einiger unterworfen werden. Die (Männer-)Welt sähe anders aus, wenn nicht die eigenen Normen und Bedürfnisse gesetzt, sondern bestmögliche Arrangements im Sinne aller angestrebt würden.

Doch Anerkennung von Männern funktioniert oft über Macht, über «Anerkennung der Macht als das Prinzip aller Beziehungen», wie es die Vertreter der Kritischen Theorie Max Horkheimer und Theodor Adorno formulierten. Die verschiedenen Grenzüberschreitungen sind in diesem Streben nach Macht angelegt. «The sky is your limit», lautet das Erfolgsrezept.

Das Machtstreben und die Grenzüberschreitungen betreffen nicht nur die Wirtschaft und das Recht. Auch in den Beziehungen zu Frauen, zur Familie oder in anderen privaten Beziehungen wird dieses Prinzip gelebt. Die Verfügung über den weiblichen Körper zur Erfüllung von Lust und das «Recht», Frauen im öffentlichen Raum, finanziell und in Liebesbeziehungen «in ihre Schranken zu weisen», sind von Beginn an zentrale Elemente dieser Gesellschaft. Und sie sind eng verbunden mit bürgerlichen Männlichkeitsvorstellungen.

Zwar hat sich im Vergleich zur Hochblüte der bürgerlichen Gesellschaft einiges geändert: Die Geschlechtsvormundschaft ist mittlerweile aufgehoben, Frauen dürfen über ihr Vermögen und ihre Einkünfte verfügen und wählen. Auch ist die Vergewaltigung in der Ehe – zwar erst, aber immerhin – seit 1992 strafbar und seit 2004 ein Offizialdelikt. Doch die Abwertung von Weiblichkeit und von Eigenschaften, die mit Weiblichkeit verbunden werden, wie Hilfsbereitschaft, Sorge, Empathie oder Mitgefühl besteht fort und führt zu anhaltender tatsächlicher Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

Die Abwertung dieser Eigenschaften ermöglicht erst die exorbitanten Höhenflüge vieler Businessmänner, die auf Verantwortungs- und Sorglosigkeit gegenüber anderen beruhen. Auch der Besuch von Striplokalen, die Liebschaften und das Hintanstellen der Bedürfnisse der Familie sind Teil dieses männlichen Machtstrebens. In diesen Punkten ist Vincenz nicht so unkonventionell, wie er oft dargestellt wird, sondern entspricht ganz konventionell bürgerlichen Männlichkeitsvorstellungen des Unternehmers.

Der jetzige Finanzskandal lässt erkennen, wie Männlichkeit mit dem Streben nach Macht sowie mit Korruption und Sexismus zusammenhängt. Auch werden in der Debatte um den Prozess die Konflikthaftigkeit und die Fragilität der bürgerlichen Sphärentrennung deutlich. Erleben wir in diesem Prozess eine Stärkung der Justiz oder eher ein verzweifeltes Aufbäumen gegen die Macht der Finanzbranche? Denn die Brüchigkeit des bürgerlichen Arrangements ist vielleicht auch Effekt seiner Zersetzung durch multinationale Akteure, die nationale Gesetze umgehen. Auch sie erweitern ihren Handlungsspielraum, indem sie Schlupflöcher nutzen, pflegen und gezielt schaffen.

Dies wiederum schränkt die regulatorische Arbeit der Justiz stark ein. Nationalstaaten müssten koordiniert und solidarisch neue Entscheidungsprozesse mit globaler Tragweite entwickeln. Die Brüchigkeit kann dabei eine Chance sein, denn sie könnte einen Wandel eröffnen hin zu demokratischeren globalen Formen des Zusammenlebens mit mehr gemeinsamer Selbstbestimmung über die Sphärentrennung hinweg. Gelingen Absprachen auf globaler Ebene jedoch nicht, um demokratische Strukturen und Menschenrechte zu sichern, besteht die Gefahr, die bürgerliche Sphärentrennung nicht im emanzipatorischen Sinn zu überwinden, sondern neue globale autoritäre Strukturen zu begünstigen.

Anika Thym promoviert in Geschlechterforschung an der Universität Basel zu kritischen (Selbst-)Reflexionen von Männern aus Führungspositionen in der Finanzbranche und hat dazu über zwanzig Interviews mit Führungskräften aus international operierenden Schweizer Finanzinstituten geführt.

* Korrigendum vom 4. Februar 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wurde die Privatsphäre nicht erwähnt.



Aus: "Raiffeisen-Prozess - Entgrenzte Männlichkeit" Anika Thym (Nr. 05/2022 vom 03.02.2022)
Quelle: https://www.woz.ch/2205/raiffeisen-prozess/entgrenzte-maennlichkeit