[...] Es ist eine Tragödie: Mit dem Brand von Notre-Dame wurde am Montag eines der großen abendländischen Kulturdenkmäler zerstört. Der Wiederaufbau dauert Jahre und kostet viel Geld. Zum Glück gib es in Frankreich reiche Menschen mit Verantwortungsbewusstsein und Bürgersinn, die das Projekt großzügig unterstützen. Die drei reichsten Familien des Landes spendeten mal schnell eine halbe Milliarde Euro. Toll. Eine rundum positive Sache. Oder etwa nicht?
Das sehen leider nicht alle so. Denn wie das in Deutschland so üblich ist: Sobald jemand etwas Gutes oder Besonderes erbringt, kommen sie aus ihren Löchern gekrochen. Die Mittelmäßigen, die Neider, die Besserwisser und Schlechtmacher. In öffentlichen Foren und sozialen Netzwerken tun sie das, was sie am besten können: rumnörgeln und die Taten anderer zerreden. Ihr Kritikpunkt: Für die zerstörte Kirche geben sie Geld - aber gegen den Hunger in der Welt oder die sterbenden Flüchtlinge im Mittelmeer tun sie nichts.
Ein irrsinniges Argument - das sich letztlich auf jeden anwenden lässt, der sich für wohltätige Zwecke einsetzt. Spendet man für Straßenhunde in Rumänien, sagen die Nörgler: Aber denk doch an die armen Kinder in Deutschland. Unterstützt man die, heißt es: In Osteuropa sind die Kinder noch viel ärmer dran. Aber was ist dann mit den Menschen in Afrika - geht es denen nicht noch viel schlechter?
Wer den Bau einer Schule in Malawi unterstützt, muss sich demnach den Vorwurf gefallen lassen, dass ein Brunnen doch viel wichtiger sei - schließlich können die Kinder ja nur lernen, wenn sie genug zu trinken haben. Und warum überhaupt Malawi - die Zentralafrikanische Republik ist schließlich noch ärmer.
Ein Wettlauf, der die Möglichkeiten der guten Tat immer weiter einschränkt - anstatt sie zu fördern und Helfer zu ermutigen. So lässt sich letztlich jedes Engagement kaputt reden. Der Wohltäter ist am Ende der Dumme - und derjenige, der gar nichts tut, steht als moralische Instanz da. So ist es schon jetzt auf Facebook, Twitter und Instagram zu beobachten.
Doch wenn einem wirklich etwas an den Hungernden in der Welt liegt oder dem Leid der Flüchtlinge, dann gibt es einen ganz einfachen Weg, diese zu unterstützen: Ein jeder könnte spenden, das ist kinderleicht. Aber andere zu kritisieren macht halt viel mehr Spaß, anstatt selbst etwas zu leisten. Und das Beste: Es kostet nichts.
Wie absurd: Hätten die drei reichsten Familien Frankreichs gar nichts gemacht und sich eine neue Yacht gekauft, anstatt Geld für Notre-Dame zu spenden - niemand hätte sich beschwert. Zum Glück haben sich die Familien Pinault, Arnault und Bettencourt davon nicht beirren lassen.
Aus: "Die Stunde der Miesmacher - wie gegen Wohltäter Stimmung gemacht wird" Carsten Heidböhmer (17. April 2019)
Quelle:
https://www.stern.de/kultur/notre-dame--die-stunde-der-miesmacher---wie-gegen-wohltaeter-stimmung-gemacht-wird-8671766.html[...] Die Flammen waren noch nicht gelöscht, da kündigten erst die Pinaults und dann die Arnaults an, 100 und 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau von Notre-Dame zu spenden. ... Bis Dienstagabend (16.04.2019) lagen für Notre-Dame insgesamt Spendenzusagen von mehr als 750 Millionen Euro vor. Mehrere französische Konzerne kündigten Spenden in Millionenhöhe an, die Stadt Paris sagte 50 Millionen Euro zu. ...
Aus: "Notre-Dame: Wer sind die Spender für den Wiederaufbau?" (16.04.2019)
Quelle:
https://www.tagesschau.de/ausland/notre-dame-225.html[...] Für den Wiederaufbau der schwer beschädigten Pariser Kathedrale Notre-Dame ist schon fast eine Milliarde Euro an Spenden zusammengekommen. „Heute Morgen waren es fast 900 Millionen. Ich denke, wir werden heute noch die Milliardengrenze überschreiten“, sagte der Fernsehmoderator Stéphane Bern, der im Auftrag von Staatschef Emmanuel Macron für die Renovierung historischer Baudenkmäler in Frankreich zuständig ist, am Mittwoch dem Sender RMC. „Die ganze Welt ist an unserer Seite“, sagte Bern. Er erhalte Spenden aus vielen Ländern für die berühmte Kathedrale im Herzen von Paris, in der am Montagabend ein heftiges Feuer ausgebrochen war. ...
Aus: "Nach Feuer in Notre-Dame : Fast eine Milliarde Euro an Spenden für Wiederaufbau" (17.04.2019)
Quelle:
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/notre-dame-fast-eine-milliarde-euro-an-spenden-fuer-wiederaufbau-16145455.html[...] Warum geben die Familien, die so eng mit den Marken Louis Vuitton, L’Oréal und Gucci verbunden sind, ausgerechnet ihren finanziellen Segen für den Wiederaufbau einer Kirche? Gibt es nicht gravierendere Probleme als Steine? Was ist mit den Menschen? Was mit den sozialen Verwerfungen in den Pariser Vorstädten? Oder auch global: Was ist mit dem Klimawandel, der Armut, der mangelnden Chancengleichheit und der kritischen Gesundheitsversorgung?...
Aus: "Spenden für beschädigte Kathedrale: Die Bettler von Notre-Dame" Fabian Löhe (18.04.2019)
Quelle:
https://www.tagesspiegel.de/politik/spenden-fuer-beschaedigte-kathedrale-die-bettler-von-notre-dame/24232840.htmlMartinKetzer 12:27 Uhr
Notre Dame... 700 Mio € wurden angeblich am 1. Tag gesammelt! Toll, das entkräftet natürlich den Ruf nach Umverteilung, super die Hilfsbereitschaft der Superreichen, nicht?
Also mal ganz ehrlich, hat die römisch katholische Kirche nicht genug Mittel das selbst zu machen?? Und sollte das Herz nicht eher bei leidenden Kindern/Tieren/Regenwald/Obdachlose/Kranke erweichen, als bei einem Hafen alter kalter Steine??
Charybdis66 13:10 Uhr
Antwort auf den Beitrag von MartinKetzer 12:27 Uhr
Also mal ganz ehrlich, hat die römisch katholische Kirche nicht genug Mittel das selbst zu machen??
Die römisch-katholische Kirche ist aufgrund eines Gesetzes von 1905 NICHT Eigentümerin der Kathedrale. Zuständig für den Erhalt praktisch aller Kirchengebäude vor 1905 ist der französische Staat.
MartinKetzer 13:23 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Charybdis66 13:10 Uhr
danke, das ist ja interessant! und der Staat "vermietet" die alten Gebäude dann an die Kirche?
Charybdis66 13:34 Uhr
Antwort auf den Beitrag von MartinKetzer 13:23 Uhr
Der Staat stellt sie der Kirche dann zur Verfügung, wobei die Kirche wohl einige Ausgaben wie Heizkosten selbst trägt. Wie exakt abgerechnet wird, weiß ich nicht im letzten Detail.
Das Gesetz soll eine Staatsform unterstützen, in der Staat und Religion strikt getrennt sind. Insofern werden beispielsweise die Kirchenangestellten in Frankreich nicht vom Staat bezahlt, und es wird auch keine Kirchensteuer eingezogen, sondern es gibt ein Kirchgeld für die Gläubigen, das, neben Spenden und anderen Einnahmen, für die Finanzierung der kirchlichen Arbeit notwendig ist.
MartinKetzer 13:47 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Charybdis66 13:34 Uhr
danke für die Infos, das ist dann besser als bei uns zu Lande, wo der Staat die Gelder für die Kirche eintreibt! Aber hier hat die Bevölkerung ja auch die Köpfe rollen lassen, das hat offenbar nachhaltig Wirkung gezeigt! :-)
In dem Sinne: Frohe Ostern!
Charybdis66 11:12 Uhr
Das Beste wäre gewesen, die reichen Familien hätten ihre Spendenbereitschaft nicht publik gemacht, denn dann wäre dieses ganze moralinsaure Gewäsch, das schon während des Brandes so sicher kommen würde wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche, überflüssig.
Ich bin einmal, als ich als praktisches Beispiel erzählte, dass ich in Afrika eine Schule unterstütze, von einem Diskussionspartner angegriffen worden, warum ich nicht für die Flüchtlinge spenden und warum ich da nichts tun würde. Dabei hatte ich gar nichts darüber gesagt, ob ich etwas für Flüchtlinge tue oder nicht (das auch gar nicht das Thema der Diskussion war, denn es ging um Afrika). Aber sofort wurde mein kleines Investment auf die moralische Goldwaage gelegt, und der Diskussionspartner machte mich sofort auf meine unverrückbare moralische Verfehlung aufmerksam.
Es ist jedermanns eigene Entscheidung, für was er Geld spendet oder auch nicht. Manche Spenden gefallen mir tatsächlich besser und manche auch nicht. Aber ich beklage nicht ständig moralinsauer triefend, was andere Menschen tun.
Apropos: Ich habe auch für Notre Dame gespendet, wenn auch vielleicht etwas weniger als ein paar Millionen Euro.
tweet4fun 10:19 Uhr
... Ich finde, daß man es den Franzosen überlassen sollte, wie sie mit der Akzeptanz der Millionenspenden umgehen und wie sie über ihre Milliardäre denken, denn die sind durchaus fähig zum eigenen Denken! ...
betroffener72378 09:54 Uhr
Milliardäre, die für Notre Dame spenden, erinnern mich an den Ablasshandel des Mittelalters.
Charybdis66 11:06 Uhr
Antwort auf den Beitrag von betroffener72378 09:54 Uhr
Ach echt? Hat die katholische Kirche die Milliardäre unter Druck gesetzt, dass sie in der Hölle schmoren werden, falls sie nicht spenden? Haben Sie Quellen dazu? Ich warte neugierig auf Ihre Belege.
betroffener72378 08:45 Uhr
Würden diese Gönner nicht 600 Millionen Euro und mehr Spenden, würde offensichtlich, dass der Staatshaushalt (aufgrund Schuldenbremse/Maastricht Kriterien) nicht genügend Mittel hat, um Notre Dame zu restaurieren.
Dann käme das Volk auf die Idee grosse Vermögen zu besteuern um öffentliche Zwecke zu finanzieren.
Mit dem möglichen Ergebnis der Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Dann käme auch das deutsche Volk auf die Idee. Und dann die EU: EU-weite Regeln für eine Vermögenssteuer, wie bei der Mehrwertsteuer.
Der Horror.
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affogato 08:07 Uhr
Eines der Privilegien des Eigentums ist es, dass man sich aussuchen kann wofür man es spendet oder wem man es schenkt (in den Grenzen steuerrechtlicher Regeln). ...
mcgyver 17.04.2019, 20:44 Uhr
Gibt es nicht gravierendere Probleme als Steine?
Auch bei den Pyramiden handelt es sich lediglich um Steine. Aber zusammen mit der Geschichte der Pharaonen verschaffen sie einen faszinierenden Einblick in die antike Geschichte, der niemals möglich gewesen wäre, wenn Ägypten das Geld für soziale Zwecke anstatt für Königsgräber verwendet hätte.
Wichtig ist das Überzeitliche. Das, was der Einzelne über sich selbst hinaus erschafft und der Nachwelt hinterlässt. Das kulturelle Erbe unserer europäischen Geschichte. Die wenigen Menschen, die ihre Epoche als Denker, Künstler, Herrscher oder Feldherren prägten. Der Rest ist spätestens nach drei Generationen vergessen.
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Diele 17.04.2019, 19:42 Uhr
Warum die Superreichen für die Notre Dame ihre Millionen spenden, ist mit einem Satz zu erklären: Kultur schlägt Humanität.
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[...] Als am 15. April die Notre Dame Kathedrale in Paris brannte, war das Entsetzen der Weltöffentlichkeit grösser als über Millionen Tote im Jemenkrieg oder den Überschwemmungen in Mozambique. Schnell drängten die Aristokraten der kapitalistischen Gesellschaft vor und versprachen Spenden für den Wiederaufbau, von gesamt über einer Milliarde Euro. Die Aufräumarbeiten an der Ruine sind in vollem Gang, allerdings können die Arbeiter nicht bezahlt, die Anwohner nicht medizinisch versorgt werden (Vergiftungsgefahr durch das verstreute Blei des Dachs). Die Spender, so erklärte ein Mitarbeiter der Notre Dame, würden ihr Geld nicht ausgeben „nur um Arbeiter-Gehälter zu bezahlen“. Sondern nur für besonders schöne Teile der Kirche, Restaurationsprojekte, deren man sich später rühmen kann. ...
Aus: "Notre Dame und die verschwundenen Spenden" Autor: Fritz, Kategorien: planet . Schlagwörter:Milliardäre, Notre Dame, Paris (20. Juli 2019)
Quelle:
https://11k2.wordpress.com/2019/07/20/notre-dame-und-die-verschwundenen-spenden/"The lesson from the ruins of Notre Dame: don’t rely on billionaires" Aditya Chakrabortty (18.07.2019)
The French super-rich promised to dig deep, but such philanthropy comes at a steep price
https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/jul/18/ruins-notre-dame-billionaires-french-philanthropy"Small donors, not French tycoons, help pay Notre Dame works" THOMAS ADAMSON (June 14, 2019)PARIS (AP) — The billionaire French donors who publicly proclaimed they would give hundreds of millions to rebuild Notre Dame have not yet paid a penny toward the restoration of the French national monument, according to church and business officials. Instead, it’s mainly American and French individuals, via Notre Dame charitable foundations, that are behind the first donations paying the bills and salaries for up to 150 workers employed by the cathedral since the April 15 fire that devastated its roof and caused its masterpiece spire to collapse. This month they are handing over the first private payment for the cathedral’s reconstruction of 3.6 million euros ($4 million). ...
https://www.apnews.com/d69824caa68b4d24b13e91fed77dd953