[...] Dass es im Gangstarap ganz wesentlich um die Auseinandersetzung um gesellschaftlichen Reichtum geht, ist nicht neu. Geld, teure Autos und andere Statussymbole gelten hier nicht nur als erstrebenswert. Sie sogar Gegenstand ständiger Kämpfe, an denen sich neben den Rappern und ihren Gesinnungsgenossen auch die übrigen Gesellschaftsmitglieder und (in der Regel als deren erster Stellvertreterin) die Polizei beteiligen. Es erscheint also nicht so weit hergeholt, die Geschichten, die Gangstarapper in ihren Songs erzählen, im Marx´schen Sinne als Geschichten von Klassenkämpfen zu interpretieren. Hier geht es um ‚arm gegen reich‘, ‚wir gegen die‘ oder – im klassischen Sinne – ‚unten gegen oben‘. ...
Aus: "Zähl´ so viele Scheine Du kannst, bevor Du sitzt." Martin Seeliger (lowerclassmag, 30. November 2015)
Quelle:
http://lowerclassmag.com/2015/11/zaehl-so-viele-scheine-du-kannst-bevor-du-sitzt/---
[...] Es scheint plötzlich darum zu gehen, wer sich einen Kapuzenpulli anziehen und mit verschränkten Armen und eigenwilliger Syntax böse Gesten und Gesichtsausdrücke üben darf. Also darum, ob Böhmermanns Video [https://www.youtube.com/watch?v=PNjG22Gbo6U] nur den erfolgreichen Gangsterrapper Haftbefehl imitiert. Oder ob es Ausdruck des "Armutsrassismus" eines weißen Mannes aus der Mittelschicht sei, wie es im Kommentar des Hip-Hop-Magazins Splash steht – beziehungsweise eine "kulturelle Annexion", die immer dann stattfinde, wenn ebenjene "bildungsbürgerlichen" Menschen, die bei Knarren sonst bloß an ihre Altbaudielen denken, Gangsterrap bejubeln.
Es geht jedenfalls schon lange nicht mehr um Humorkritik. Der Bayrische Rundfunk bezeichnete das Video in einem Kommentar als "Hohn" und als "Erlaubnis, Ausrede und Einladung für und an alle, die nichts mit Rap zu tun haben oder diesen Soziolekt nicht sprechen, sich doch auch einmal als Gangster zu maskieren." Der angesehene Hip-Hop-Fachjournalist Marcus Staiger schrieb in der Vice: "Das Bildungsbürgertum schlägt zurück: Jeglichen Inhalt in den Texten ignoriert ihr vollkommen und macht euch nur noch über die Form lustig."
Ist Böhmermann nun über das Ziel hinausgeschossen? Oder sind es seine Kritiker?
In dem böhmermannkritischen Text im Splash-Magazin heißt es: "Der ironische Umgang mit Straßenrap ist ein Ausweg aus einem internen Dilemma, denn: sich Straßenrap zu verweigern ist unmöglich – sonst war’s das mit dem gesicherten Platz im Club der coolen Kids." Abgesehen davon, dass es weder ein Problem noch ein Dilemma ist, sogenannten Straßenrap einfach zu ignorieren, ohne um seine persönliche Coolness zu fürchten: Man kann Böhmermanns ironischen Umgang mit dieser Musik aus Geschmacksgründen verurteilen, so wie jedweden ironischen Umgang mit allerhand anderen Dingen auch.
Allerdings ist die humoristische Annäherung ans Objekt ein durchaus legitimes Mittel der Kunstrezeption. Sie bedeutet nicht, dass zwangsläufig ein Milieu veralbert wird oder, wie im konkreten Fall, diese Musik vom gut situierten Mittelschichtmilieu vereinnahmt und damit ihrem ursprünglichen Habitat entrissen wird. Nein, diese Böhmermann-Kritik schlägt schon eine seltsame Volte: Einerseits verurteilt sie den vermuteten Dünkel einer Elite, die sich witzelnd über den Gangsterrap beugt. Andererseits stellt sie eine subkulturelle Hausordnung auf, die vorschreibt, wie man diese Musik zu hören und zu erzeugen habe, wenn man mitspielen möchte.
Dabei ist Gangsterrap inzwischen Mainstream, ähnlich wie Peter Maffay oder Xavier Naidoo es schon lange sind. Das tut vielleicht weh, aber da müssen wir alle eben durch. Und mit der massenhaften Rezeption kommt eben nicht nur der subkulturspezifische, affirmative Umgang mit dieser Musik. Sie ermöglicht auch andere Zugangsformen, die jenseits der puren Identifikation liegen. Da hilft auch nicht der Hinweis des Bayerischen Rundfunks, der deutsche Gangsterrap habe sich mühsam in den Mainstream "gekämpft" – als folgten aus einer vermuteten Aufstiegsgeschichte dieser Musik plötzlich andere Umgangsregeln. Denn natürlich ist diese Musik genauso zum Diskurs freigegeben wie jedes andere massenkulturelle Phänomen auch. Das heißt zur Aneignung, Affirmation, zum Lob, aber auch zum Verriss und zur Parodie, ohne dass dahinter sofort eine soziale Diskriminierung gewittert werden muss. Was für Udo Jürgens und Coldplay gilt, gilt auch für Bushido und Haftbefehl, dessen eigenwilliger Sprachstil ja bis in die FAZ und ZEIT hinein als Literatur gefeiert wurde.
Wenn man also die Sprache und Artikulation, wie Haftbefehl sie pflegt, als Kunst anerkennt, bedeutet das ebenfalls, dass sie genauso parodiert werden kann wie etwa Martin Mosebachs großbürgerliches, museales Sprachgetue, das er in seinen Romanen verbreitet. In beiden Fällen ist die Sprache nicht bloß soziokultureller Herkunftsnachweis: Es ist eine artifizielle Schöpfung. Womöglich übersehen das Böhmermanns Kritiker, wenn sie sagen, er veralbere nicht bloß Haftbefehls Sprachduktus, sondern damit auch das sogenannte Kanak-Deutsch einer Minderheit. Es sei gewissermaßen Klassenkampf von oben, in dem einer ohnehin schon minoritären Gemeinschaft und ihrer als authentisch zugeschriebenen Ausdrucksform des Gangsterraps wieder ihr sozialer und kultureller Platz zugewiesen werde.
Diese Argumentation birgt mehrere Denkfehler. Zum einen erzeugt sie selbst eine homogene sprachliche "Unterschicht" (Vice), die nun gegen Böhmermanns Zugriff verteidigt werden soll, und vergisst dabei, dass der Verzicht auf Präpositionen und Bezüge ("Ich hab Polizei") längst in die gesamte Gesellschaft und ihre Umgangssprache eingezogen ist, worüber sich eigentlich nur noch der Verband für deutsche Sprache aufregt. Wer glaubt, Böhmermann trage hier einen Kulturkampf zwischen Bildung und Unbildung aus, begeht einen gedanklichen Kurzschluss. Er hat sich nicht über ungebildete Menschen lustig gemacht, sondern über eine sprachliche Kunstform, die auch bei Rappern mit Abitur nicht unüblich ist: "Du bist Boss, wenn du in den Kampf gehst, dein' Mann stehst", textet etwa Kollegah.
Zum zweiten reproduziert die Argumentation der Kritiker – wie im Splash-Magazin – mitunter die Klischees von sozialen Schichten, in diesem Fall der sogenannten Mittelklasse ("Gösser-Radler", "Weekday-Hosen"), die sie im anderen Fall wütend beklagen. Und zum dritten stellt sich die Frage, ob Böhmermann mit seiner Parodie dem Gangsterrap tatsächlich den Kunststatus absprechen will, wie Marcus Staiger im Vice-Magazin behauptet, oder ob sich diese Diffamierung nicht vielmehr erst in den gut gemeinten Versuchen vollzieht, den Gangsterrap gegen Böhmermann zu verteidigen. Mit dem Hinweis, Böhmermann belustige sich über eine tatsächliche "soziale Wirklichkeit", werden Realität und Rap in ein Eins-zu-Eins-Verhältnis gesetzt: Es wird alles Künstliche aus dem Genre suspendiert, das andernfalls so oft als Entschuldigung herhalten muss, wenn der Sexismus und die Gewaltdarstellungen der Texte vom ahnungslosen Feuilleton und besorgten Eltern angesprochen werden. Dann heißt es immer: Ist doch nur Pose! Ist doch Kunst!
Und man tat bisher gut daran, Haftbefehls Texte als solche zu begreifen, als mal virtuos mal weniger virtuos zur Scarface-Fantasie hinaufmultipliziertes Leben. Da können Sätze wie "Kopfschuss für den Officer, bevor er auf den Boden fällt, wenn ich Schrotflinte bang, Schlampe, will ich Tote sehen" als hyperbolische Koketterie mit Gangster- und Gewaltmythen aller Art stehen und nicht als kindisches, dummes Zeug.
Es ist eben diese Pose, die Jan Böhmermann sich in seinem Video zu eigen macht, während er im Text die Rollen vertauscht: Aus Gangstern wird die Polizei, sonst bleibt alles beim Alten, die Waffen, die Gewaltbereitschaft, die Allmachtsvorstellungen. Hinterher stehen sowohl die "Muskel-Ottos" mit ihren Butterfly-Messern schlecht da als auch die Freunde und Helfer. Beides wird gleich. Wer sich auf das Verwirrspiel der Sprechpositionen einlässt, kann hierin sogar feststellen, dass Böhmermann eher nach oben tritt als nach unten.
tannenberger
... Gangsterrap war in Deutschlang fast immer Ironie Pur. Diese Totinterpretiererei ist lächerlich. ...
Thomas Klein
"Gangsterrap war in Deutschlang fast immer Ironie Pur."
Das Problem ist nur, dass diese Ironie von vielen Hörern wohl leider nicht ganz verstanden wurde.
Ich bin mir fast sicher, dass "Gangsta-Rap" zur Kriminalisierung gewisser Milieus beträgt, da die Kriminalität als solche glorifiziert wird.
Ich persönlich höre auch sehr gerne Rap, aber wenn man deutschen Gangsta-Rap mit US-Amerikanischem Rap vergleicht (Eminem, SnoopDog, 2Pac) muss man leider sagen, dass dazwischen Welten liegen.
...
http://www.zeit.de/kultur/2015-11/boehmermann-ich-hab-polizei-debatte#comments
Aus: "Jan Böhmermann: Ich hab Kulturkritik" David Hugendick (30. November 2015)
Quelle:
http://www.zeit.de/kultur/2015-11/boehmermann-ich-hab-polizei-debatte"Reaktion auf Böhmermann-Video: Haftbefehl rappt zurück" (01.12.2015)
http://www.spiegel.de/kultur/musik/haftbefehl-reagiert-auf-boehmermann-video-a-1065564.html---
[...] kampfdenker
#1 — vor 1 Stunde 5
Redaktionsempfehlung
"Haftbefehl hat mit "CopKKKilla" auf Jan Böhmermanns Rap-Parodie "Ich hab Polizei" geantwortet."
Das war keine Antwort. Das war ein vor langer Zeit vorbereitestes Video, was sich eben im Moment gut klicken lässt.
Darüber hinaus ist das Video noch nicht einmal eine adäquate Reaktion auf den Gewaltvorwurf Böhmermanns. Es wird wieder nur rohe Gewalt verherrlicht, dazu langweiliger Beat - alles so oder so ähnlich schon tausend Mal gehört.
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5659562#cid-5659562
MakulaMakula
#13 — vor 54 Minuten
Billig produzierter Macho Hip Hop, dessen us amerikanische Originale schon wenig originell sind.Lediglich mit dummer Schuljungen Provokation findet sich der Weg in die Charts.Egal ob Fergusson auf einem anderem Kontinent stattfindet oder nicht.Dann tun wir eben dennoch so,als wären wir Teil des Unterschichten Problems. Gähn. Und Herr Böhmermann erfüllt sich juvenile Träume in dem er unsere GEZ Gebühren im akkord verbrennt.Das dann noch so ein angeblicher kluger Kopf darüber schreiben muss ... Tse. Mir fehlt dafür dad Major Verständnis.Yo.
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5659994#cid-5659994
ersinet
#16 — vor 45 Minuten
Natürlich wird der durchschnittliche Zeit-Leser den Track CopKKKilla als Müll bezeichnen. Das ist es aber leider nicht. Es ist ein handwerklich sehr gut gemachter Gangster-Rap, der das Potential hat Jugendliche zur Gewalt gegen die Polizei anzustacheln. Parodien eines Klischee-Deutschen mit einem ebensolchen Namen verstärken diesen Effekt nur.
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5660043#cid-5660043
zotenrotor
#17 — vor 43 Minuten 2
gibt es schon eine stellungnahme vom "zentralrat der gangsta rappa in deutschland"?
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5660054#cid-5660054
Pentalob
#23 — vor 21 Minuten 1
Böhmermann legt meines Erachtens nach den Finger auf die richtige Wunde. Es geht doch gar nicht darum, dass sich dieser Sprechgesang in seiner Einfallslosigkeit seit Jahrzehnten an die gleiche Gruppe doofer Verlierer richtet oder überwiegend in Plattenbauten und Justizvollzugsanstalten gehört wird. Es geht um das bescheuerte Selbstverständnis der Gangsterrapper, ihre blöden Autos und ihren unterirdischen Geschmack, der zu wirklich keiner Zeit auch nur irgendwie cool war.
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5660225#cid-5660225
Schuldenunion
#21 — vor 25 Minuten
Ich werde künftig jedes Mal grinsen müssen, wenn ein Rapper versucht, böse zu wirken.
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-12/haftbefehl-jan-boehmermann-video-gereon-klug?cid=5660190#cid-5660190
...
[...] Weil der Songtitel gerade so gut passt, auch wenn er in eine andere Richtung geht. Weil wir den Claim damals schon auf der Straße hatten. Weil wir Knüppel in der Fresse und im Kreuz hatten, während andere, die das heute von wem anders feiern, gerade an ihrem Abitur schrieben. Weil es dabei, zumindest hierzulande, nicht um Popkultur ging, deren ein Teil davon heute nur wenige sein wollen, und es offenbar trotzdem sind.
Damals ganz unironisch. Ganz proletarisch. Ganz ohne Abitur. Ganz ohne Cash-Gedanken von irgendwelchen rappenden Popstars mit eigenem Mode-Label.
C’est la vie. ...
https://www.youtube.com/watch?v=IgPqUx4c9-M
bebop 2. Dezember 2015 at 15:37
Oh, was hab ich das Album geliebt! Danke für den Flashback!
...
"Body Count – Cop Killer" Ronny (1. Dezember 2015)
http://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/body-count-cop-killer/...
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https://11k2.wordpress.com/2015/12/02/jan-boehmermann-und-der-rassismus-der-anderen/http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/netz-kultur/netz/boehmermann-isch-hab-polizei-100.htmlhttp://splash-mag.de/jan-boehmermann-hat-strassenrap-nicht-verstanden/http://rap.de/beste-des-tages/60608-die-welt-hats-erkannt-boehmermann-schaendet-hiphop-glosse/http://noisey.vice.com/de/blog/ein-offener-brief-an-jan-bohmermann-von-marcus-staiger-341http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/595231/Boehmermann-beerdigt-den-deutschen-Gangsta-Rap...
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#WirHamInternet: Youtubes Antwort auf Jan Böhmermann
http://www.blogrebellen.de/2015/12/07/wirhaminternet-youtubes-antwort-auf-jan-boehmermann/