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[Menschen in Schichten und Klassen... ]

Started by Textaris(txt*bot), February 18, 2007, 02:21:01 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ab Anfang Mai können rumänische 24-Stunden-Personenbetreuerinnen per Korridorzug durch Ungarn zu ihren pflegebedürftigen Klienten nach Österreich beziehungsweise zurück in ihre Heimat reisen. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) gab am Donnerstag diese gemeinsam mit Ungarn und Rumänien ausgehandelte Lösung bekannt. Auch die Ausreisebeschränkungen für 24-Stunden-Betreuerinnen aus Rumänien wurden dazu gelockert.

Bisher war eine Einreise nach Österreich von Rumänien aus aufgrund der strengen Grenzregelungen in Ungarn nur per Flugzeug möglich. Außerdem galten für Arbeitskräfte aus dem medizinischen sowie sozialen Bereich Ausreisebeschränkungen aus Rumänien, die nun gelockert wurden, so das Ministerium.

...


Aus: "Sonderzüge für rumänische 24-Stunden-Pflegerinnen" (23. April 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117060605/sonderzuege-fuer-rumaenische-24-stunden-pflegerinnen

Quote
Sepultarius

Na dann kann man ja langsam wieder damit anfangen zu Sticheln, zu unterstellen sie würden "unsere" Jobs stehlen eigentlich nur wegen dem Sozialstaat hier arbeiten und die Höhe der Beitragszahlungen für Kinder in Frage stellen. Der Sommer ist gerettet für ÖVP und FPÖ.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Steuerzahlergeld für Privatunternehmen hat Richard Branson [https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Branson] stets abgelehnt. Deshalb erntet der britische Milliardär keineswegs nur Mitgefühl, wenn er um Corona-Nothilfe für seine akut bedrohte Fluggesellschaft Virgin bettelt. ,,Wir sollten auf ihr Ableben warten", sagte er einst kühl, als Virgins Erzrivale British Airways vor elf Jahren tief in der Krise steckte. ,,Verlustmachende und ineffiziente Gesellschaften sollte man gegen die Wand fahren lassen", war er damals überzeugt. Daher sollte ,,die Regierung nicht intervenieren, um Unternehmen vor dem Bankrott zu bewahren". Solche Kommentare Bransons werden gegenwärtig in sozialen Medien tausendfach verbreitet.

Der 69 Jahre alte Multiunternehmer mit dem blonden Haarschopf hat in seiner Heimat nicht nur Freunde. Für manche ist er eine öffentliche Reizfigur. Und das nicht erst, seitdem er in der karibischen Steueroase British Virgin Islands lebt. Eine Petition, die fordert, dass er zuerst sein Privatvermögen zur Rettung seiner trudelnden Fluggesellschaft einsetzen soll, bevor er Steuerzahlergeld erhält, steuert dieser Tage auf 150.000 Unterschriften zu. Doch wenn Bransons Gesellschaft die formalen Kriterien des britischen Corona-Hilfsfonds CCFF erfüllt, dürfte er nicht ausgeschlossen werden. Der Billigfluganbieter Easyjet, hinter dem der Milliardär Stelios Haji-Ioannou steht, erhielt unlängst stattliche 600 Millionen Pfund aus dem staatlichen CCFF-Topf.

...


Aus: "Milliardär bettelt um Staatshilfe" Philip Plickert, London (22.04.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/corona-milliardaer-richard-branson-bettelt-um-staatshilfe-16737161.html

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Quote[...] Richard Branson ist kein Vorwurf zu machen, zumindest nicht juristischer Art. Der mehr als eine Milliarde Dollar schwere Anteil an seiner Raumfahrtfirma Virgin Galactic, die er gerade von einer Holdinggesellschaft in den USA in seine Wahlheimat, das Steuerparadies der britischen Virgin Islands, transferierte und damit dem Zugriff des Fiskus entzog, haben formell nichts mit seiner krisenbedingt stillstehenden Fluglinie Virgin Atlantic zu tun. Für die hat der Milliardär umgerechnet mehr als 600 Millionen Dollar staatliche Kredite und Garantien beantragt. Auch moralisch gehört Branson keineswegs zu den knallharten Abzockern, die jeden Cent Staatsknete nehmen, den sie nur kriegen können. Branson will auch aus eigenen Mitteln immerhin 250 Millionen Dollar in seine Unternehmensgruppe stecken. Zudem lässt er seine Raketenfirma dringend benötigte Atemgeräte für Krankenhäuser herstellen.

Die Frage, ob der Steuerzahler Unternehmen retten sollte, deren Eigner selbst Milliarden auf der hohen Kante haben, ist dennoch erlaubt - und für viele Fälle relevant. Branson, laut Bloomberg Billionaires Index rund fünf Milliarden Dollar schwer, ist kein Einzelfall. Der neue Lufthansa-Großaktionär Heinz Hermann Thiele verfügt laut derselben Quelle über ein Privatvermögen von mehr als 14 Milliarden Dollar. Hinter den großen deutschen Autobauern BMW und Volkswagen, deren Personalkosten aktuell mit Hunderten Millionen Euro Kurzarbeitergeld aus dem Sozialversicherungssystem subventioniert werden, stehen milliardenschwere Dynastien.

Die moralische Antwort auf die Frage, ob das so richtig ist, lautet eindeutig: nein! Das Vermögen der Eigner stammt ja - zumindest teilweise - aus den nun hilfsbedürftigen Firmen. Es sollte diesen nun auch als Reserve zur Verfügung stehen. Für viele traditionell denkende Kaufleute ist das übrigens selbstverständlich. Gastronomen, Einzelhändler und andere Unternehmer in ganz Deutschland geben derzeit ihr Privatvermögen aus, um die Fixkosten ihrer Betriebe zu decken und Insolvenzen abzuwenden. Teilweise geht das an die Altersvorsorge der Unternehmer selbst.

... dies ist ja nicht die erste Krise, in der Verluste von Unternehmen mit öffentlichen Geldern aufgefangen werden, an denen Privatinvestoren zuvor bestens verdient haben.

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Aus: "Moralisch falsch, aber ... Milliardäre brauchen Steuermilliarden" Ein Kommentar von Max Borowski (Dienstag, 07. April 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Milliardaere-brauchen-Steuermilliarden-article21698745.html

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Quote[...] Um sein Unternehmen zu retten, will Milliardär Richard Branson sogar seinen Wohnsitz, die Privatinsel Necker Island im karibischen Steuerparadies British Virgin Islands, verpfänden. Er werde versuchen, mit der Insel als Sicherheit "so viel Geld wie möglich aufzunehmen, um so viele Jobs wie möglich zu retten", versprach Branson in einem Blog-Beitrag. Dasselbe gelte auch für andere Werte wie Unternehmensanteile in seinem Besitz. ...

Es sei "unakzeptabel, dass Milliardäre in Krisenzeiten versuchen, das System zu melken", sagte etwa Labour-Finanzpolitiker John McDonnell dem "Guardian". Sauer stößt vielen Briten nicht nur auf, dass Branson um Staatshilfe bittet, während er selbst auf einem Milliardenvermögen sitzt. Seit Jahren schon steht er in der Kritik, weil er wegen seines offiziellen Wohnsitzes im Steuerparadies Virgin Islands seit 14 Jahren keinen Penny Einkommenssteuer mehr zahlt. Dass er nun die britischen Steuerzahler anpumpen will, halten Kritiker für eine Unverschämtheit.

Branson versucht mit seinem Blogpost und ähnlich lautenden Schreiben an die Virgin-Mitarbeiter und Aktionäre gegenzuhalten. Er sei keineswegs aus Steuergründen auf die Insel gezogen, die er vor 40 Jahren schon gekauft hatte, sondern nur aus "Liebe" zu den Virgin Islands. Zudem beruhten die immer wieder genannten Milliardensummen, die er besitze, auf dem Wert der Virgin-Firmen in aller Welt. Virgin Atlantic brauche dringend Liquidität, um die laufenden Kosten zu decken. Sein Vermögen liege aber "nicht als Bargeld auf einem Bankkonto, bereit, abgehoben zu werden." Zudem stammten diese Schätzungen in der Regel aus Zeiten vor der aktuellen Krise. Laut dem "Bloomberg Billionaires Index" schrumpfte Bransons Vermögen in den vergangenen zwei Monaten von fast sechs auf etwas mehr als drei Milliarden Dollar zusammen.


Aus: "Milliardär braucht Liquidität: Richard Branson verpfändet seine Privatinsel" (Dienstag, 21. April 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Richard-Branson-verpfaendet-seine-Privatinsel-article21728599.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Corona-Epidemie ist auch eine soziale Krise. Nicht nur, weil der Mittelstand billige Dosensuppen hamstert. Was Hartz IV und Quarantäne verbindet, erzählt hier ein Mann, der seit Langem auf Arbeitslosengeld angewiesen ist. Weil er anderen Erwerbslosen beisteht und Sorge vor Nachteilen durch das Jobcenter hat, nennt er sich hier Bernd Beistand.

...

Beistand: ... Es ist makaber, wenn große Firmen ihre Mietzahlungen einstellen, man vorher aber Zwangsräumungen von armen Menschen jahrelang zugelassen hat. ... Ich habe das Gefühl, dass diese Krise zu einer Nationalisierung beiträgt. Jeder Staat versucht, für sich zu handeln. Dabei kennt das Virus ja keine Grenzen. Er kennt uns als Menschen, unabhängig von Nation, Ethnie oder was es sonst für Kriterien geben mag. Das Virus kennt einfach nur Menschen. Das ist etwas, was man mitnehmen sollte: Die Stärke, die wir haben, kann nur in der Solidarität untereinander liegen.

... ZEIT ONLINE: Registrieren Sie einen gestiegenen Beratungsbedarf, weil plötzlich mehr Leute auf Hartz IV angewiesen sind?

Beistand: Nein, die Jobcenter haben sich selbst abgeschottet. Vermittlung, Teilnahme an Maßnahmen, das Stellen von Weiterbewilligungsanträgen, Prüfungen von Vermögen oder Miethöhen – das ist alles ausgesetzt. Alle Termine sind abgesagt, man setzt sehr auf Digitalisierung. Was lustig ist, weil viele Leute gar keinen Zugriff auf Computer haben. Im Regelsatz ist Geld dafür kaum berücksichtigt. ... Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur sind monatlich 41,43 Euro vorgesehen, wenn man alleinstehend ist. Da ist alles drin: Zeitungen, Broschüren, Spielwaren, Computerspiele. Davon müsst' ich für den Computer sparen. Für Nachrichtenübermittlung sind 38,62 Euro im Monat eingeplant: Internet, Post, Telefon. Das ist ein Budget, das ich eigentlich aber für Nahrungsmittel brauche, wo ich laut Regelsatz nur 4,95 Euro am Tag habe. Das merke ich gerade extrem, weil die Kosten für Nahrungsmittel massiv ansteigen. Viele billige Sachen, die ich sonst einkaufe, sind vergriffen. Die Linsensuppe in der Dose etwa, von der ich sonst immer den Staub runterpusten musste, ist im Moment ausverkauft. Das nächstteurere Produkt kostet einen Euro mehr. Das ist bei 4,95 Euro pro Tag schon ein Schlag ins Kontor, das muss ich dann anderswo einsparen. Deshalb fordern viele Erwerbsloseninitiativen auch einen zeitlich befristeten Zuschlag, eine temporäre Erhöhung für Leistungen nach SGB 2, SGB 12 und auch für die Regelbedarfe nach Asylbewerberleistungsgesetz während der Corona-Krise, um diese Diskrepanzen auszugleichen.

ZEIT ONLINE: Haben Sie mit Tafeln Kontakt? Wissen Sie, wie sich dort die Situation durch Corona verändert hat?

Beistand: Als Erwerbsloseninitiative haben wir die Notwendigkeit der Tafeln immer kritisiert. Ein Almosensystem kann keine Substanz haben, und genau das zeigt sich jetzt in der Krise: Die Tafeln sind geschlossen worden und das reißt viele Menschen noch mal in Not. ...

... ZEIT ONLINE: Ist es umgekehrt angenehm, dass Sie Ruhe vor sinnlosen Maßnahmen und der ganzen Bürokratie haben?

Beistand: Nein, ist es nicht, weil es einen komischen Grund hat. Wenn die Politik zu dem Entschluss gekommen wäre, dass der bürokratische Druck überflüssig ist, dann wäre es angenehm. Aber der Grund ist ja die Pandemie. ...

ZEIT ONLINE: Wie zeigt sich denn dieser bürokratische Druck im Normalfall?

Beistand: Das fängt damit an, dass der Zugang zur Leistungsabteilung schwierig ist. Man muss eine Wartemarke ziehen, das Prinzip der langen Schlangen ist installiert. Es dauert, bis man endlich drankommt. Dann steht am Eingangstresen besonders geschultes Personal, das versucht, deine Frage zu beantworten beziehungsweise dich manchmal auch abzuwimmeln. Wenn du deinen Erstantrag gestellt hast, wirst du zu deinem Arbeitsvermittler gebeten. Bevor du eine Leistung bekommst, unterschreibst du eine Eingliederungsvereinbarung usw. Dann kommt meistens ein Brief mit den Sachen, die du noch vorlegen musst, Kontoauszüge, Belege über weitere Konten, gern auch eine Erklärung darüber, warum du hilfebedürftig bist. Es ist ein sehr ausgeklügeltes System an Zugangsbeschränkungen. Und wenn man sieht, wie schwierig es für gut Deutsch sprechende Menschen schon ist, kann man sich die Katastrophe vorstellen, die das für Migranten bedeutet; die umständlich formulierten Briefe lassen sich kaum verstehen, das erleben wir immer wieder in der Beratung. Wie viele Menschen aktuell an den formalen Hürden scheitern, das können wir als Erwerbsloseninitiative nur vermuten. Wir erleben aber gerade Fälle, wo genau das passiert ist.

... ZEIT ONLINE: Gucken Sie manchmal Fernsehformate über Langzeitarbeitslose wie Hartz und herzlich oder Armes Deutschland?

Beistand: Das halte ich nicht aus, so erstunken und erlogen wie das ist. Dass man asozial ist, nicht auf seine Kinder aufpasst, sich nicht pflegt, frisst, partout nicht arbeiten will, arbeitsscheu ist – mit meiner persönlichen Realität oder auch der von Leuten, die ich durch die Beratung kenne, hat das nichts zu tun. ...

ZEIT ONLINE: Wenn Hartz IV so paradiesisch ist, wie es medial dargestellt wird – Amt zahlt, schön auf der Couch chillen, Knipse an und dann gepflegt Chips reingepfiffen –, dann ist es in meinen Augen nicht ohne Ironie, wie die ganzen High-Performer aus der Leistungsgesellschaft im Moment mit den Hufen scharren, weil sie es gerade zu Hause nicht aushalten. Wie sehen Sie das?

Beistand: Es ist noch mal ein Unterschied, ob ich auf 30 oder 50 qm wohne, durch die Mietobergrenzen in einfache Wohnverhältnisse gezwungen bin, oder ob ich in einem Einfamilienhaus mit Garten oder einem Apartment mit Dachterrasse zu Hause bin. Natürlich spürt man, dass die Leute raus wollen, an die Strände, was mit Hartz-IV aufgrund der geringen Mobilitätskosten ohnehin fast unmöglich ist.

ZEIT ONLINE: Das heißt, für Sie ist eigentlich immer Quarantäne.

Beistand: Als Hartz-IV-Empfänger ist man ans eigene Zuhause gefesselt, weil alles, was man draußen macht, Geld kostet oder aus Versuchung besteht. Nur spazieren zu gehen nervt einen irgendwann. Auch deswegen isoliert man sich. Und Isolation ist etwas, das Menschen nicht gut vertragen. Deshalb warten gerade alle gespannt darauf, dass die Maßnahmen gelockert werden. Da kann man sich überlegen, was Hartz-IV-Empfänger erleiden, Depression und soziale Isolation kommen da häufig vor.

ZEIT ONLINE: Gäbe es aus ihrer Warte Tipps, wie man mit der Isolation umgeht?

Beistand: Tipps? (lacht) Nein. Die Isolation für die Leute aktuell wird endlich sein. Aber ein Hartz-IV-Empfänger hat die soziale Isolation immer. Die Vermittlung in wirkliche Arbeit ist marginal. Keine Hoffnung zu haben, dass sich dein Zustand ändert, das macht was mit den Leuten. Das erlebe ich in den Beratungen ganz oft. Das führt zu Resignation. Wenn man dann bedenkt, wie die Geldhähne jetzt geöffnet wurden, die schwarze Null sich in Luft aufgelöst hat – wenn man dieses Geld im Hartz-IV-Bereich in die Fortbildung von Leuten gesteckt hätte, die sich etwa im Pflegebereich engagiert wollten, wenn sie dafür ausgebildet würden! Das wäre doch einmal eine Überlegung wert, ob man nicht in die Würde der Leute investieren sollte statt in ihre Armut. Mit einem vernünftigen Regelsatz und wirksamen Weiterbildungen, die den Interessen der Menschen entsprechen, statt sie in Billigjobs hineinzuzwängen.

ZEIT ONLINE: Sie könnten sich nicht zum Pfleger fortbilden lassen, von denen es heißt, dass die gebraucht werden?

Beistand: Die meisten Vermittlungsangebote finden unabhängig von der Ausbildung, die man hat, im Niedriglohnsektor und in Leiharbeit statt. Das sind keine auf Dauer angelegten Sachen. Und für Qualifizierungsmaßnahmen sind die Beträge in den letzten Jahren immer weiter gesunken. Die haben ein beschränktes Budget für die Vermittlung, die sind dann nach zwei, drei Monaten erschöpft. Die Förderung aus diesem Budget ist eine Sozialleistung, die im Ermessen des Sachbearbeiters liegt.

ZEIT ONLINE: Haben Sie die Hoffnung, dass durch die Erfahrungen, die in der Corona-Krise gemacht werden, die Politik versteht, dass ein robuster Sozialstaat vielleicht doch nicht so schlecht ist, wie ihn die neoliberale Marktbesessenheit der letzten 40 Jahre gemacht hat?

Beistand: Unsere Stärke kann nur die Solidarität sein, und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern global gesehen. Was das Internationale angeht, habe ich starke Bedenken, dass sich was ändert. Wenn man nur sieht, was aktuelle Finanzierungsfragen in Europa schon an Diskussion ausgelöst hat. Das gibt es noch viel altes Denken. Und wenn man schaut, was aus den Ideen nach der Bankenkrise von vor über zehn Jahren geworden ist – eine vernünftige Besteuerung des Finanzsektors –, das ist immer noch nicht geschehen. Das macht wenig Hoffnung.

ZEIT ONLINE: Dann ist meine Frage, ob die Erfahrung des Lockdowns etwas am Bild von Erwerbslosen ändern könnte, vermutlich romantisch: Dass die Leute, weil sie selbst Einschränkungen und Unsicherheiten erfahren haben, mehr Empathie entwickeln?

Beistand: Eine Zeitlang geht das vielleicht, dann hört es wieder auf. Aber andererseits: Wenn nicht jetzt, wann dann?



Aus: "Selbst die Jobcenter haben sich abgeschottet" Interview: Matthias Dell (26. April 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-04/arbeitslosigkeit-hartz-iv-armut-jobcenter-isolation/komplettansicht

Quotedifferenziert #15

Ein Danke an Herrn Bernd Beistand, für seine ruhige und reflektierten Art die Zustände zu beschreiben. Eigentlich ist die Situation zum Schreien, wie die unerträglichen TV-Sendungen, die im Artikel angesprochen wurden. Ein großer Tei der Gesellschaft will es nicht wahrhaben - durch wegschauen, durch ignorieren, sich ja nicht damit beschäftigen. Ein großer Teil von Mitmenschen agiert wie das Bild des Affens mit den Händen vor Augen. Ein Danke an Herrn Bernd Beistand, da es dem lancierten Klischee des Harz4-Beziehers entgegenspricht. Ein Danke an alle Menschen, die versuchen dieses Thema mit Ehrlichkeit und Transparenz zu diskutieren.


QuoteWilliam S. Christ #23

Hartz 4 ist in Deutschland immer noch mit einem ausgeprägten Mentalitätsproblem verbunden.
Aber das Mentalitätsproblem besteht nicht bei den Arbeitslosen, sondern bei vielen in der arbeitenden Mehrheitsbevölkerung.

Es lautet:,,Wer arbeitslos ist, ist a) selber Schuld, b) ein fauler Sack und C) muss man ihn zur Arbeit ,,prügeln", indem man ihm die Arbeitslosigkeit möglichst unangenehm macht."

Selbstverständlich sind nicht alle, möglicherweise auch nicht einmal die meisten, Mitarbeiter im Arbeitsamt - ob man das nun ,,Jobcenter" nennt oder nicht, ist irrelevant, das ist ohnehin nur PR - übelwillig, aber vom Institutionellen her merkt man schon den abwertenden Blick, die Botschaft ist:,,Warum muss der Staat Ihnen was geben? Sie belasten die Gesellschaft, das müssen wir GANZ genau prüfen...".

Jedoch kann es mit der Arbeitslosigkeit äußerst schnell gehen, wie wir gerade sehen: manche Unternehmen oder Selbstständige sind schon durch den Wegfall eines einzelnen Auftrags exist. bedroht, 2 Wochen ohne Umsatz und schon kreist der Pleitegeier. Auch bei den ,,Leistungsträgern".

Arbeitslosigkeit resultiert aus zahllosen Faktoren. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der Mechaniker geht nun freiwillig auf zwei Meter Abstand: "Corona? Entschuldigung. Aber für mich ist das ganze Thema vollkommen drüber." Kurzes Schweigen. Keine neue Frage des Reporters. Der Monteur verschränkt die Arme vor der Brust. Und Satz für Satz drückt er ein tiefes Unverständnis über die Maßnahmen der Regierung aus:

"Wegen einer Grippe die ganze Welt anhalten?"

"Da werden ja mehr Leute an den Wirtschaftsbeschränkungen draufgehen als an dem Virus."

Politik und Gesellschaft, so sieht er es, hätten leider kollektiv den Verstand verloren. "Und sie wollen den Unsinn ja noch weiter durchziehen bis sonst wohin." Der Mechaniker Gordon bringt das unter Lockdown-Skeptikern populäre Beispiel von der Krankenschwester, die jetzt auf Kurzarbeit gesetzt sei, und guckt, ob seine Ratlosigkeit und seine Empörung angekommen sind. Sind sie. Er: "Mir leuchtet es einfach null ein."

... Er zählt nun Begriffe auf, die ihm in den letzten Wochen immer wieder begegnet seien: Reproduktionsrate, Infektionskurve, Verdopplungszeit, Kontaktsperre, Hygieneregeln, Systemrelevanz, Social Distancing – ein abstraktes Gedicht in der Autowerkstatt. Grinsender Mechaniker: "Weeßte?" Nein, offen gestanden noch nicht ganz: Was sagen ihm diese Begriffe? "Na, da kommt keiner mit! Da kann ich nur grinsen!"

Auf eine Art wirkt seine Empörung gänzlich undepressiv und ja, erfrischend. Der Bundespräsident warnte kürzlich in einem Interview davor, die Stimmung könne in der Bevölkerung kippen. Hier, in der Autowerkstatt in Weißensee, ist sie längst gekippt. Dieser Gordon spricht mit einer schönen Unverdruckstheit: als wären alle, die die Dinge anders sähen als er, leider ein bisschen dumm.

Kurz ablenken von der Krise. Als Schrauber habe er das Problem, dass er vergleichsweise selten amerikanische Straßenkreuzer oder andere spektakuläre Autos reinbekomme: "Alltagsgegenstände, Kratzer hier, Kratzer da." Unter den technischen Problemen mache ihm der Motorfehler, also die Fehlersuche beim kaputten Motor, am meisten Spaß. Die neueste Generation Autos denke ihm zu viel mit: "Ein E-Auto tut so, als ob es klüger sei als der Monteur. Nicht schön." Der Monteur mit freier Werkstatt, das wisse doch jeder, sei eine aussterbende Spezies: "In spätestens zwanzig Jahren wird es keine offenen Werkstätten mehr geben."

Man möchte es noch ein bisschen genauer wissen. Wie informiert er sich? Was bedeuten ihm Politik, Demokratie, Parlamentarismus?

Er outet sich als Nichtwähler, und das klingt dann leider ziemlich niederschmetternd: Geld regiere die Welt, da mache er sich keine Illusionen. "Eine Angela Merkel? Die liest doch auch nur das vor, was man ihr hinlegt." Der Automechaniker ohne Illusionen guckt gerne mal in die BZ, auch mal auf Facebook und auf die YouTube-Kanäle KenFm und SchallundRauchTV. Und distanziert sich – typisch für diese Generation von Medienkonsumentinnen – gleichzeitig vom paranoiden Unsinn dieser Verschwörungstheoretiker: "Da fasse ich mir auch immer nur an den Kopf."

Und der Reporter hört sich selbst beim hilflosen Versuch zu, den so undumm und aufgeweckt wirkenden Automechaniker als Konsument der Qualitätsmedien zu gewinnen. Anders als bei sogenannten Truthern und ihren YouTube-Kanälen bestehe deren Existenzberechtigung ja genau darin, gegen die Interessen von Politik, Wirtschaft und Lobbyismus anzurecherchieren. Höflich interessierter Mechaniker: "Ist gut, ja. Ich gucke mir das mal an."

Ein Moment der Sprachlosigkeit im Hof der Autowerkstatt.

Fußball? Frühzeitige Wiedereröffnung der Bundesliga? Auf dem Gebiet könne er null Leidenschaft entwickeln. Das Feierabendbierchen? Gebe es bei ihm sowieso nicht. Den Alkohol habe er, obwohl er nie große Probleme damit gehabt habe, ganz aufgegeben. Sei besser so.


Aus: "Automechaniker: Der Lockdown-Skeptiker" Moritz von Uslar (28. April 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-04/automechaniker-coronavirus-massnahmen-skepsis/komplettansicht

QuoteRunkelstoss #43

Verstehe. Alle doof und hysterisch nur ich nicht.


QuoteSimplicio #39

Ein Bett auf der Intensivstation würde er aber schon haben wollen, wenn es ihn träfe?


Quotedof #1.1

Bei uns herrscht Meinungsfreiheit. Darum darf man auch Stuss daher reden, ohne Begründung dafür.


QuoteTom Richter #1.4

Wieso ist das in ihren Augen "Stuss"?

Ich darf daran erinnern, als das letzte Mal ökonomische Verwerfungen in den zu erwartenden Größenordnungen auftraten, haben "die Deutschen" kurze Zeit später Hitler und seine Schergen gewählt. Bzw. halb zog er sie, halb sanken sie dahin.

Daher ist ein Satz wie "Da werden ja mehr Leute an den Wirtschaftsbeschränkungen draufgehen als an dem Virus" vielleicht nicht akademisch verschwurbelt genug, aber mit Sicherheit kein "Stuss".


QuoteGrauselhurz #1.2

Die Meinungsfreiheit garantiert allerdings nicht, dass man seinen Stuss äußern darf ohne dafür (heftigen) Widerspruch zu erhalten.


QuoteoffeneAugen #1.3

Grandioser Text ;-). Journalismus vom Feinsten. ...


QuoteDunkles Ahnen #3

Uns was soll der Nährwert dieses Textes sein ?


QuoteEldorado.2016 #3.1

Bleib du lieber klug, denn Spinner gibt es genug.


QuoteKing Slatfass #4

Bemerkenswert ..... wenig Information gibt wenig Kopfschmerz. ... Erfrischend aber wenig zukunftssicher.


QuoteUnlock #4.1

Ähnliches begegnet Ihnen auch im höheren Management oder der Politik. Dort müssen ganze Manuskripte in drei Wörtern wiedergegeben werden, damit es überhaupt zu Entscheidungen kommen kann. Jede Information zu viel verwirrt nur. Die Corona-Krise ist ein gutes Beispiel. Im Grunde wissen wir ja nichts.


QuotePersephoneHB #4.3

No brain, no pain. Wobei ich ihm nicht Dummheit unterstellen mag. Vielleicht ist es auch bloß eine Art von Resignation der Politik und des Weltgeschehens gegenüber.


QuoteRobert Nozick #4.5

"Die Corona-Krise ist ein gutes Beispiel. Im Grunde wissen wir ja nichts."

Sehr treffend zusammengefasst. Im Grunde wissen wir nichts darüber, was die beste Strategie gegen Corona angeht.
Bestenfalls können wir zuverlässig sagen, dass gar nichts tun wohl kein gutes Ende genommen hätte. Und dass es einen Haufen dämlicher Verschwörungstheorien gibt, die man nicht glauben sollte.
Bei allem anderen könnte es so oder so sein. Und Bewertungen, was richtig sein könnte, hängen meistens nicht von Fakten ab, sondern von den eigenen Präferenzen.
Glaube ich, dass alles getan werden muss, um jede einzelne Neuinfektion zu vermeiden oder möchte ich so schnell wie möglich so viele Einschränkungen wie möglich wieder los werden und bin bereit zu akzeptieren, dass eine Corona-Erkrankung so lange ein normales Lebensrisiko is, wie eine angemessene Behandlung im Krankenhaus möglich ist?

Oder ist es mir scheißegal, Hauptsache keine Kopfschmerzen beim drüber nachdenken und ich will einfach mein Leben leben? Dann sind wir bei Gordon. Und ich bin nicht sicher, ob das nicht der richtige Standpunkt ist. Sollen sich andere den Kopf zerbrechen, ich nehme es wie es kommt.


QuoteAGB akzeptiert #5

Solange noch ein wenig Respekt für Andere in ihm ist, dann ist es noch in Ordnung, Eigentlich geht es wie sooft nur Egoismus. "Ich kapiere es nicht also lasst mich in Ruhe mein Ding machen."


Quoteovadinho #6

,, Und der Reporter hört sich selbst beim hilflosen Versuch zu, den so undumm und aufgeweckt wirkenden Automechaniker als Konsument der Qualitätsmedien zu gewinnen. Anders als bei sogenannten Truthern und ihren YouTube-Kanälen bestehe deren Existenzberechtigung ja genau darin, gegen die Interessen von Politik, Wirtschaft und Lobbyismus anzurecherchieren."

Lieber Moritz, ich lese wirklich gerne ihre Texte. Und auch dieses Interview lässt Gordon auch Mensch mit eigener Meinung sein. Sehr sympathisch.
Aber beim oben zitierten Satz musste ich zweimal hingucken. Gerade nach der Berichterstattung der letzten Wochen: Glaubst du da wirklich dran?


QuoteCranston #10

Ein wenig Berliner Lokalkollorit in Form von "Gordon" gepaart mit komplettem Unverständnis bezüglich der aktuellen Lage.

Wenn ich grade vor Kurzem einen handwerklichen Kleinbetrieb als one-man-show auf die Beine gestellt hätte, ziemlich auf Kante genäht, würde ich das ggf ähnlich sehen. Ist alles verständlich.

Das hier Herr Von Uslar aber so tief beeindruckt scheint von der "Autentizität" des seines Protagonisten, und diese so bejubelt, sagt aus meiner Sicht mehr über die gewisse "Abgehobenheit" Herrn Von Uslars aus, als über den im Artikel skizzierten Menschen.

Andererseits: Wer will es Von Uslar verdenken. Woher auch soll der Realitätsbezug kommen. Alles ok für mich. jeder wie er mag.


QuoteJuliusU995 #12

"undumm und aufgeweckt wirkenden Automechaniker als Konsument der Qualitätsmedien zu gewinnen"

Der Satz ist missglückt wie ich finde obwohl ich genau die selben Gedanken habe wie Reporter Moritz von Uslar.
Da trifft man grund-symphatische Typen, nicht doof, ehrliche Haut und genau die fallen auf diese ganzen Truther bzw. Kenfm und Konsorten rein.

Obwohl mit dem Grippe-Vergleich hat Mechaniker Gordon Gomoll nicht so ganz unrecht auch wenn dieser total hinkt.

Naja, an mein Auto würde ich Gordon ranlassen ;-)
Schöner Artikel.


QuoteTorrente #14

Jeder kann ja seine Meinung haben und vertreten, aber ich persönlich halte mich bei der Einschätzung virologischer Belange eher an...nun ja, Virologen und Epidemiologen. Ich würde gleichsam auch nicht Herrn Drosten oder das RKI bei Problemen an der Zylinderkopfdichtung zu Rate ziehen.


Quotesternenklar #18

"Da werden ja mehr Leute an den Wirtschaftsbeschränkungen draufgehen als an dem Virus." - Die Befürchtung teile ich vollkommen, auch wenn ich Angela Merkel nicht für eine Marionette irgendwelcher dunklen Verschwörer halte. Ich glaube, die Politik reagiert auf die Stimmung in der Bevölkerung, auf die Gutachten der Wissenschaftler und natürlich auch von Interessensverbänden und versucht irgendwie abzuwägen und einen gesunden Mittelweg zu finden. Ich bin auch dankbar, dass das in Deutschland mit deutlich mehr Augenmaß geschieht als in vielen anderen Ländern. Solange man mir nicht verbietet, rauszugehen (wie z.B. in Spanien) kann ich persönlich auch mit allerhand Einschränkungen leben, wenn auch manchmal zähneknirschend. Ich habe auch Vertrauen in unsere Gerichte, die die Teile der Eindämmungsverordnungen, die unverhältnismäßig oder verfassungswidrig sind (leider meist erst rückwirkend) außer Kraft setzen werden.

Es macht mich traurig, dass die Verschwörungstheoretiker die Kritik an den Eindämmungsmaßnahmen teilweise kapern. Auch ohne Verschwörungsfantasien sollte man den drastischen Eingriff in Grundrechte kritisch hinterfragen. Und vor allem sollten uns auch ohne irgendwelche herbeifantasierten Strippenzieher die wirtschaftlichen Folgen der Eindämmungsmaßnahmen größte Sorgen bereiten! Jede Wirtschaftskrise fordert Todesopfer. Auch gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Armut und geringerer Lebenserwartung. Wirtschaft sind eben nicht nur "die da oben". Leiden tun die Armen.

[Noch eine kleine Ergänzung: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Armut und niedrigerer Lebenserwartung. Auch in Deutschland sterben Arme im Durchschnitt etwa 10 Jahre früher als Reiche. https://www.zeit.de/gesellschaft/2016-03/lebenserwartung-deutschland-arm-und-reich (Sie können sich selbst ausmalen, wie das in Ländern ohne soziale Sicherungssysteme aussieht)]


Quoteleidervergessen #19

"Der Mechaniker Gordon Gomoll aus Berlin-Weißensee gehört zu den Gegnern der Corona-Politik. Er sagt: "Mir leuchtet das null ein."

Er ist nicht alleine, aber leider kommen erst jetzt diese Meinungen zu Wort. ...


QuoteMalparte #26

Das ist ein schöner Text - es kommt meine Meinung nach - viel zu selten vor, dass man mal zeigt, welche Gruppen von Merkel Tagesschau und Co gar nicht erreicht werden. Hier der Malocher, aber auch Esoteriker. Und er ist mir mit seiner Ignoranz sympathischer als all die selbstgewissen Personen, die auch kaum mehr wirklich wissen, dafür aber zu 100 Prozent sicher sind welcher Weg der Richtige ist.


QuoteDer_Puderant #29

Ihm leuchtet das ,,null ein"? Vielleicht liegt's an der mangelnden Bildung. Und verharmlosend von einer ,,Grippe" zu schwadronieren spricht auch nicht gerade für einen hohen IQ


QuoteFrenchhornplayer85 #30

Deswegen ist der Herr wahrscheinlich auch nicht Virologe, sondern Automechaniker.


QuoteRiam #42

Ich stimme dem Automechaniker zu. Meiner Meinung nach sind die Massnahmen massiv unverhältnismässig. Die Mortalität des C-Virus liegt gerade einmal bei 6% dafür die Wirtschaft und persönliche Freiheiten zu Opfern ist für mich nicht logisch begründbar.


Quotepolygraphos #42.1

Ganz so hoch liegt die Mortalität wohl nicht. Aber selbst wenn Sie 4% betragen würde, würden das bei einer ungezügelten Ausbreitung bis hin zur vermeintlichen "Herdenimmunität" von 50% der Bevölkerung alleine 1,6 Millionen Tote bedeuten! Diese 1,6 Millionen wären vor ihrem Ableben erst noch eine Zeitlang schwerkranke und intensivpflichtige Patienten, und das nicht schön nacheinander, sondern in relativ kurzer Zeit. Kein Gesundheitssystem der Welt könnte das verkraften. Es geht schlicht darum, genau diese Katastrophe zu vermeiden. Warum kann das nicht einfach jeder begreifen?


QuoteMinimaxprinzip #44

Ich finde es reichlich gemein von der Zeit, einfach gestrickte Menschen hier so vorzuführen.
Auch wenn er als "Stimme aus dem Volk" herhalten soll und freiwillig mitgemacht hat, ist es unterirdisch.


QuotePinkFloyd #44.2

Aber Minimaxprinzip, der Autor hat lediglich das gemacht, was man umgangssprachlich mit "Dem Volk aufs Maul schauen" benennt. So von seiner Warte (also weiter oben) aus. Originell und lebendig authentisch formuliert (Relotius läßt grüßen) aber mit gewisser angemessen-wohlwollender Überheblichkeit. ...


QuoteZoegereister #47

Man hätte ihn auch über die Globale Erwärmung interviewen können. Das Ergebnis wäre dasselbe gewesen.


Quoteseven times #56

Mag ja sein, dass ihm was auch immer "null einleuchtet". Mag aber auch sein, dass das an ihm liegt. Manche verstehen eben nicht alles. Die meisten sogar. Das ist nichts besonderes und bedarf nicht der Erwähnung. Jedenfalls nicht in der Zeitung. ...


QuoteBerlin Wedding #58

Endlich auch mal ein Artikel über jemand, der nicht die "Wir-werden-alle-sterben-wenn wir-nicht-noch-mindestens-18-Monate-zuhause-bleiben"-Theorie nachbetet.


QuoteHAH #58.1

Wieso "Endlich"? Das ganze Internet ist doch voll von Verharmlosungen von Leuten die nicht wirklich vom Fach sind.


QuoteK.Rosenhoff #67

Mich beschleicht das Gefühl, dass je deutlicher die Überzogenheit und Sinnlosigkeit der Maßnahmen zutage tritt, desto vehementer und aggressiver werden selbige hier in den Kommentaren verteidigt -- wie ein Hund, der knurrt und schnappt, wenn man ihn in die Enge getrieben hat.

Weiters ist die Arroganz, mit der manche den "einfachen" Automechaniker hier aburteilen, unerträglich. Dass der Automechaniker dieselbe Sicht auf die Dinge hat wie viele Wissenschaftler und Intellektuelle, scheint manche hier bei ihrer Verächtlichmachung nicht zu stören. ...


QuoteTordenskjold #69

Gordon irrlichtert ein bisschen durch die Medien, BZ und Facebook, hört sich KenFM an, glaubt ihm seinen Verschwörungsquatsch aber nicht.
Argumente hat er keine, Meinung dafür umso mehr.

Natürlich Nichtwähler, grinsend, fröhlich, unbelastet - alle doof, Merkel doof, icke nicht doof, wa?!

"Da werden ja mehr Leute an den Wirtschaftsbeschränkungen draufgehen als an dem Virus..." sagt er, er hat es wohl irgendwo aufgeschnappt, wo eigentlich?
Egal, vom Feeling her ein schlechtes Gefühl, Argumente Fehlanzeige.

Ein Moment der Selbsterkenntnis: ,,- "Na, da kommt keiner mit! Da kann ich nur grinsen!" Übersetzt: Ich verstehe nix, is mir auch wurscht.

Demokratie lebt vom sich breit informieren, diskutieren, mitdenken, mitmachen, widersprechen, sich zu einer Position durchringen, wählen.
Gordon hat sich leider ausgeklinkt. Man kann nur froh sein, dass er Nichtwähler ist.
Gordon muss bei unserer Demokratie nicht mitmachen, die Freiheit hat er.

Er muss nicht wählen gehen und er muss sich nicht umfassend informieren. Aber wenn ,,die da oben" Scheiße bauen und er drunter leidet, dann werde ich sein Gejammer nicht ernstnehmen können.


QuoteD. Oswald Heist #69.1

"Demokratie lebt vom sich breit informieren, diskutieren, mitdenken, mitmachen, widersprechen, sich zu einer Position durchringen, wählen."

Das sind allerdings auch alles Prozesse die man erst einmal erlernen muss. Das soziale Umfeld spielt da eine große Rolle. Und wer den ganzen Tag am Auto schraubt wird ausser übers Radio kaum informiert. Die Muße sich Abends noch übers Tagesgeschehen zu informieren, wenn man noch sonstige Verpflichtungen wie Famillie/Hobbies/Sport hat, ist wahrscheinlich überschaubar.


QuoteOstertaJ #75

Wie Gottfried Benn schon sagte: "Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück."


Quoterosu #82

Recht hat er! - Und sie werden von nahezu jedem BIP erwirtschaftendem die gleiche Meinung hören, egal ob Auto- Gastro- oder gar Veranstaltungsbranche.
Viele haben es noch nicht bemerkt, aber die Meinungskluft verläuft zwischen Produktiven und denen, die aus deren Steuern ihren "Lohn" generieren.
Zu denen ja bekanntlich auch unsere allwissende Politikerkaste gehört....


Quotehidrogenado #82.1

...und genau deswegen treffen "die Politiker" die Entscheidungen und nicht die "BIP Erwirtschafter". Den sonst hätten wir die 52 Stunden Woche, mit 12 Tagen Urlaub und jeder Menge menschlicher Corona Kolateralschäden.....


QuotePaul Freiburger #83

"Den Alkohol habe er, obwohl er nie große Probleme damit gehabt habe, ganz aufgegeben. Sei besser so."

Na, das ist doch wenigstens vernünftig. ...


Quote1Bln47 #89

So so, der Autoschlosser ist also ein dummer Prolet.
Nicht wenige der hiesigen Kommentatoren sind wohl länger zur Schule gegangen, gelernt haben sie ganz offensichtlich nichts, jedenfalls nichts was tatsächlich wichtig ist.
Weshalb gibt es denn "Typen" wie diesen Schrauber? ...


QuoteM.Aurelius #92

"Mir leuchtet das null ein." Manchen Zeitgenossen leugnet auch der Dreisatz nicht ein. Sollen wir deshalb über die Arithmetik abstimmen oder die Mathematik umschreiben?


Quotebertbert #92.1

Nein. Aber den Menschen ihre Meinung lassen wäre schon schön, ohne sie als dümmlich abzustempeln.


Quotedas_freie_wort #92.2

"Aber den Menschen ihre Meinung lassen wäre schon schön, ohne sie als dümmlich abzustempeln."

Damit muss aber jeder leben, der seine Meinung exponiert zum Ausdruck bringt. Und ich unterstelle mal, dass Gordon zu diesen Aussagen nicht gezwungen wurde und der Veröffentlichung zugestimmt hat.


QuoteFisematente #95

Ich finde es nicht in Ordung, daß dieser Mann von der ZEIT der Lächerlichkeit und Verächtlichmachung preisgegeben wird.

Es wird wohl nur wenige geben, die die medizinischen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen überhaupt beurteilen können, noch viele weniger hätten den Mut und die Position, diese durchzusetzen.

Natürlich versucht jeder, die Dinge mit seinem gesunden Menschenverstand zu beurteilen und sich einen Weg zu suchen und das steht auch jedem zu.
Viel wichtiger wäre, über den mächtigsten Mann der Welt solche Artikel zu verfassen, der ohne gesunden Verstand ist.


Quotebertbert #95.1

"mächtigsten Mann der Welt"

Chuck Norris?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Karosh Taha, geboren 1987 in der kurdischen Stadt Zaxo, lebt und schreibt im Ruhrgebiet.

... In Deutschland wird der Begriff der 'Armut' in politischen Kontexten seit Jahrzehnten vermieden; wenn er unvermeidlich wird, dann wird er umschrieben: Von 'sozialer Ungerechtigkeit' ist die Rede, von 'Chancenungleichheit' und 'Perspektivlosigkeit' – diese chamäleonartigen Wörter eignen sich gut für Wahlplakate, weil sie verschiedene Probleme ansprechen können, ohne das Kernproblem 'Armut' ausgesprochen zu haben.

Die Verleugnung der Armut bedeutet auch: Es gibt keine 'Armen'. Es gibt nur Menschen, die glauben, arm zu sein, aber eigentlich sind sie: 'Geringverdiener*innen', 'Hartz-IV-Empfänger*innen', 'Sozialschmarotzer*innen', 'Arbeitsunwillige'. 1962 wurde 'Armenfürsorge' in 'Sozialhilfe' umbenannt, dann Anfang der 2000er-Jahre in 'Arbeitslosengeld I' und 'Arbeitslosengeld II', schließlich in 'Hartz-IV-Leistungen' – die Begriffe sind nicht nur technokratischer geworden, sie lenken die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung: Es geht nicht mehr um Arme, sondern um Arbeitskräfte. Es geht um Leistung, die sie erbringen müssen – und wenn sie es nicht tun, dann entwickelt man ein Programm moderner Zwangsarbeit: Das Beamtendeutsch nennt sie "Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung" und verschleiert die Tatsache, dass Menschen hierbei zu einer Arbeit gezwungen werden, für die sie mit einem Euro pro Stunde entschädigt werden sollen, nicht entlohnt. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn es handelt sich nicht um ein Arbeitsverhältnis.

Der arbeitslose Mensch hat dem Grundsatz "Fördern und Fordern" zu gehorchen. Ihm wird die Hilfe gekürzt, wenn er nicht nach einer Arbeit sucht, einen Job ablehnt oder ohne die Erlaubnis des Jobcenters in den Urlaub fährt. Wieso glauben wir eigentlich, arme Menschen dazu verpflichten zu können, ihre Armut selbst zu überwinden? Einerseits ist großes Misstrauen gegenüber Armen gesät worden: Sie nähmen nur, sie gäben nicht. Sie würden die Gesellschaft belasten, sie würden den Steuerzahler belasten. Andererseits – gibt es kein andererseits.

Während man früher glaubte, dass Armut ein gottgegebenes Schicksal sei, glaubt man heute, Armut sei selbst verschuldet – und wenn etwas selbst verschuldet ist, dann kann, nein, dann muss man sich selbst aus dieser Armut befreien, und das kann nur, wer hart genug arbeitet. Und wenn man es nicht schafft, dann nur, weil man nicht hart genug gearbeitet hat; also ist man selber schuld, also ist man wahrscheinlich faul, arbeitsunwillig, nicht ehrlich, nicht loyal gegenüber der Gesellschaft. Der Arme ist im ständigen Rechtfertigungsmodus, obwohl Reichtum legitimiert werden sollte. Die Lüge der harten Arbeit erhalten wir aufrecht, indem wir Beispiele von sozialen Aufsteiger*innen präsentieren – obwohl diese eine krasse Ausnahme darstellen. Dadurch wird Armut nicht als ein strukturelles Problem gesehen, sondern als ein Charakterproblem.

So loben wir Arbeiterkinder als Aufsteiger*innen, wenn sie ihr soziales Milieu verlassen. Wir ermutigen sie sogar, es zu verlassen, wir sprechen von einer sozialen Leiter, wenn doch eigentlich von einer finanziellen Leiter gesprochen werden müsste – wir drängen die Aufsteiger*innen dazu, Verrat an ihrem Milieu zu begehen, ihre Normen, Werte und Verhaltensweisen aufzugeben – und sich dafür zu schämen. Zugleich sollen nicht alle aufsteigen, nur einzelne, damit man weiterhin daran glaubt, hart arbeiten zu müssen, dass es genügt, nur ehrlich sein zu müssen, um der Misere der Armut zu entkommen. Armut ist nämlich nützlich: Je geringer die Hilfeleistung oder der Lohn, desto abhängiger ist der Arme vom Wohlwollen des Reichen, je abhängiger vom Staat, desto williger ist der Mensch, jeder Arbeit nachzugehen, die der Staat ihm bietet.

'Armut' bedeutet vor allem: sich als soziales Wesen, eingebunden in ein Netz sozialer Beziehungen, etwas nicht leisten zu können, was in der Gesellschaft als Norm gilt – ob dies Markenschuhe sind, ein einwöchiger Urlaub oder die Autoreparatur. Entscheidend ist die Feststellung, dass sich jeder Mensch ohne diese Güter in der Öffentlichkeit schämen würde. Was das für Güter sind, kann überall anders sein. Aber es sind Dinge, die die 'etablierten Regeln des Anstandes' der jeweiligen Gesellschaft festgelegt haben. Mit den Worten des Politikwissenschaftlers Philipp Lepenies: "Armut ist jene relative Grenze, die es dem Einzelnen nicht mehr erlaubt, in Würde und Anstand Teil der eigenen Gesellschaft zu sein."


Aus: "Armut: Ehrlich und arm sind keine Gegensätze"  Karosh Taha (28. April 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-04/armut-chancenungleichheit-arbeitslosigkeit-hartz-iv-10nach8/komplettansicht

QuoteAugenspray #3

Armut ist weder gottgegeben, noch immer selbst verschuldet.
Meistens schlicht eine Frage der Bildung und des Willens.


Quote_Lyssa_ #3.7

In Deutschland ist es meist eine Frage der Psyche. Insofern ist Perspektivlosigkeit hierzulande (natürlich nicht in südamerikanischen Favelas!) in der Tat der bessere Begriff. Die meisten in Deutschland seit Generationen Armen "vererben" bzw. vermitteln ihren Kindern sog. multiple Vermittlungshemmnisse (wenig Bildung, Suchterkrankung, psychische Erkrankung, Gewalterfahrung etc. ). Und ja, der Staat tut hier zuwenig für die Kinder. Das Problem lässt sich aber nicht in Cash lösen.

Und Armut als "sich nicht leisten können, was in der jeweiligen Peer Group als normal gilt und ohne dass man sich schämt" führt konsequent dazu, dass sobald sich ein Milliardär verspekuliert und sich keinen Privatjet mehr leisten kann sondern erste Klasse Linie fliegen muss er als arm gelten würde. Grotesk.

Ich war als Kind finanziell "arm". Aber eben nicht perspektivlos weil psychisch stabile Eltern und ein intaktes soziales Umfeld. Die fehlenden Markenschuhe haben mich nicht umgebracht. Die Empfehlung der Berufsberaterin in der Schule, doch Rechtsanwaltsgehilfin zu lernen weil Abi machen und Jura studieren zu wollen na nun wirklich ein Wunschtraum bleiben wird - das war schon eher eine Unverschämtheit.

Was mich als eine der Aufsteigerinnen nun wirklich ankekst ist dass man NIE gefragt wird: wo hakt es aus deiner Sicht? Was können wir tun, um mehr Kindern diesen Weg zu ermöglichen?

Stattdessen wird entweder die Existenz solcher Chancen bestritten oder über "Klassenverräter" schwadroniert.


Quotetartan #7

Sehr schöner Artikel, der einige ziemlich eingeschliffene Denkweisen mal etwas "aufmischt"....


QuoteComputer sagt NEIN #7.1

So ist es. Und manche, wie zu lesen, stolpern in die Falle und über ihre Eitelkeit. Aber Hauptsache mal loswerden, dass die Welt schon ok so ist (arm = faul und doof). Diese Sicht ist noch kein Verbrechen. Aber die Auswirkungen dieser Denkweise erleben wir jeden Tag. Falls nicht vor der eigenen Haustür, flimmern sie über die Schirme, Krisen, Kriege und mangelnde Empathie.


QuoteElofant #16

"... indem wir Beispiele von sozialen Aufsteiger*innen präsentieren – obwohl diese eine krasse Ausnahme darstellen."

Sozialer Aufstieg ist keine krasse Ausnahme, bis vor kurzem war es eher die Norm. Die Kinder hatten meist ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern und dementsprechend einen höheren Lebensstandard. Das ist nur ein aus dem Text herausgegriffenes Beispiel, aber auch generell fand ich die Argumentation im Text ziemlich wirr und unfundiert.


QuoteShibboleth #17

Was mich immer stört, das ist der Begriff "sozialschwach", wenn es um arme Menschen geht. Eigentlich ist der Cum-Ex Betrüger und Steuerhinterzieher sozialschwach, egal wieviel er auf dem Konto hat, während der arme Mensch, der bei der Tafel mithilft, die syrische Flüchtlingsfamilie, die 500 Masken am Tag ehrenamtlich für die Bevölkerung näht, und der CEO oder Firmenbesitzer, der für soziale Zwecke spendet, "sozialstark".


Quoteschmirgel #27

Ich denke, sagen zu dürfen, ich bin verhältnismäßig arm. Da ich mir in dieser Gesellschaft weniger erlauben kann, als dies der Norm entspricht, werden andere mir zustimmen. Ich möchte nicht Reich werden. Für mich ist es kein erstrebenswertes Ziel, Dinge zu besitzen, in dem Wissen, dass andere dafür etwas entbehren müssten. Das Problem ist meiner Meinung nach, weniger die Besitzlosigkeit, als die damit verbundene Machtlosigkeit. Wie kann ich ohne Besitz für mein Kind eine Chancengleichheit herstellen. Die Gefahr des kompletten Untergangs ist da. Bislang kommen wir über die Runden, sind nicht arbeitslos, die Kinder entwickeln sich prächtig und sind glücklich. Aber dies kostet mehr Energie, als rücksichtslos und Reich zu sein.


QuoteHerr Jemand #27.1

Ihr Kommentar hat mich beeindruckt, zudem stellen Sie die richtigen Fragen. ...


...

Textaris(txt*bot)

#1055
Quote[...] Ich bin 1987 in Potsdam geboren und aufgewachsen und lebe, nach einigen Jahren in Frankreich und der Schweiz, nun in Berlin. ... Das Jubiläum zu 30 Jahre Einheit nehme ich zum Anlass, über den Osten im Zusammenhang zur Klassengesellschaft nachzudenken. Dabei kommt unweigerlich meine eigene Generation in den Blick, und ihr gespaltenes Verhältnis zur Leistungsgesellschaft, das zwischen 80-Stunden-Woche und Ausbeutungsverweigerung pendelt.

Mein Geburtsland DDR, an das ich keine eigenen Erinnerungen habe, beschäftigt mich zunächst nur als widersprüchliche Zuschreibung von außen: Ich werde zum Ossi gemacht, als mich mein erster westdeutscher Freund, in Wortverspielung der Wespe, liebevoll Ospe nennt. Von ihm lerne ich auch, dass man über Geld nur spricht, wenn man keins hat. Fest in meiner Erinnerung zementiert ist außerdem der Satz eines Unternehmers aus dem Westen, der etliche Firmen aufgebaut hat: ,,Es gibt nichts Besseres, als auf dem Klo zu sitzen und zu wissen, dass deine Firma gerade Umsatz macht."

Es ist ein Satz aus einer anderen Welt. Dort, wo ich herkomme, ist es undenkbar, Geld auf dem Klo zu verdienen; Geld verdient man durch Arbeit. Und ebendort werde ich etwa zeitgleich zum Wessi gemacht, als mir am Küchentisch attestiert wird, von der DDR keine Ahnung zu haben und ein Kind des Kapitalismus zu sein. Es dauert fünf Jahre Auslandsaufenthalt und einen Roman, bis ich beide Zuschreibungen von mir weise und in der Ostsozialisierung ein begriffliches Zuhause finde.

In der Zeitung sehe ich eine Infografik. Der Osten erbt anders, ist sie überschrieben und zeigt anhand der Erbschaftssteuer pro Einwohner, dass in westdeutschen Familien ein Vielfaches an Vermögenswerten von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Kein Wunder, in ostdeutschen Familien fehlen 40 Jahre, in denen Vermögen hätte angehäuft werden können. Ich denke an das Grundstück, auf das meine Großeltern in den 1960ern eine Datsche gebaut haben.

Ein Ankaufsrecht, wie es das für Eigenheime auf fremdem Boden nach der Wende gab, ist bei Wochendendhäusern und Garagen nicht eingeräumt worden. Der Pachtvertrag für die Datsche fällt damit unter das Schuldrechtsanpassungsgesetz, das die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse von DDR und BRD nur befristet regelt: Bis 2022 gilt ein Investitionsschutz, danach müssten wir das Grundstück in seinem unbebauten Zustand zurückgeben, sollte der städtische Eigentümer den Pachtvertrag kündigen. Im Klartext kann das Abrisskosten um die 10.000 Euro bedeuten. Das ist das Kleingedruckte ostdeutscher Erbschaften, das sich auch die nächste Generation durchlesen muss.

Gregor Gysi schreibt über den Wiedervereinigungsprozess: ,,Diese Entwicklung, die den Ostdeutschen und dem Osten seit 1990 nie das Gefühl von Gleichwertigkeit vermittelte, hat vielleicht mehr zur Herausbildung einer ostdeutschen Identität beigetragen, als es die Führung der DDR je vermochte." Mag sein, dass sich die Ostdeutschen in der Bundesrepublik ostdeutscher fühlen als je zuvor. In Umfragen stimmt die Mehrheit jedenfalls der Aussage zu, sie fühlten sich gegenüber Westdeutschen als Bürger zweiter Klasse – bilden die Ostdeutschen eine ökonomische Klasse? Wenn wir mal großzügig die sehr verschiedenen Nachwendebiografien in einen Topf werfen, bleiben klar strukturelle Gemeinsamkeiten erkennbar. Angesichts niedrigerer Löhne, Renten und Vermögenswerte kann ökonomisch von Einheit keine Rede sein. Erstaunlich daran finde ich den optimistischen zweiten Platz. In Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent mehr als die Hälfte des Vermögens. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit von Vermögensverteilung beziffert, ist seit 1991 von 0,25 auf fast 0,3 gestiegen. In diesem Land kann höchstens von einer dritten Klasse die Rede sein.

Als ich gefragt werde, welcher Klasse ich mich zugehörig fühle, ist meine erste Antwort nicht ,,ostdeutsch", sondern ,,kreatives Prekariat" – kaum ökonomisches, aber viel kulturelles Kapital. Mir fällt L. ein, die Philosophie studiert hat und jetzt im Wendland Gemüse anpflanzt – welcher Klasse wäre sie zuzuordnen? Unsere mehrschichtigen Herkünfte und Selbst-Neuerfindungen ergeben so wilde wie verwirrende Biografien in den Zwischenräumen der herkömmlichen Klassenbegriffe. Wenn wir in dieser Unübersichtlichkeit über Klasse sprechen, brauchen wir mehr als nur die Ost-West-Unterscheidung – und vor allem die Bereitschaft, überhaupt über Klasse zu sprechen. Die Frage danach zerrt die eigenen Eltern ins Rampenlicht. Wir wollen aber eine Gesellschaft sein, in der egal ist, woher man kommt, und nur zählt, wo man jetzt ist, als hätte das eine nichts mit dem anderen zu tun – eine Utopie, die ich mag, der wir aber nicht näher-kommen, indem wir sie einfach behaupten und dabei Unterschiede tabuisieren. Tatsächlich benutze ich das Wort Klasse so selten, dass es sich wie aus einer Fremdsprache anfühlt. Meiner Vokabelliste füge ich das kreative Prekariat hinzu.

[...] Zu Hause gibt es den Glaubenssatz: In unserer Familie bereichert man sich nicht. Als Abgrenzung zum Raubtierkapitalismus überträgt er das Konzept Klassenfeind auf mich, auf die nächste Generation. Dabei entsteht eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Geldverdienen, gleichzeitig wird die vergleichsweise schlechte Lage aller Ostdeutschen beklagt. Man gehört dazu, wenn man prekär lebt, und man steht unter Verdacht, wenn man zu Geld kommt. Meine Höhenangst betrifft nicht nur Schluchten, Türme und Flugzeuge, sondern auch das obere Ende der Karriereleiter. Zum Glück verdiene ich als Autorin nicht besonders viel. Die Ostsozialisierung beinhaltet ein diffuses Orakel: Die Erzählung, dass von heute auf morgen alles anders sein kann, ist so fest in meine DNA eingeschrieben, dass ich nicht an eine politische und ökonomische Stabilität glaube. Worte wie Bausparvertrag und Rente gehen mir nicht über die Lippen, weil ich Zweifel habe, dass es das System, innerhalb dessen diese Dinge erst sinnhaft werden, noch geben wird, wenn sie für mich relevant werden. Das Orakel beschwört den Zusammenbruch des Kapitalismus mal utopisch, mal dystopisch herauf und verhindert, dass ich bauspare oder altersvorsorge. ... Das Prekariatsrisiko für die Kunst in Kauf zu nehmen, ist vertrauter Kinderzimmerboden, oder wie J. es mal formulierte: ,,Ich habe genug Hartz IV im Blut."

Anlässlich eines Stipendiat*innen-Empfangs bin ich zu Gast in der reichsten Privatwohnung über drei Etagen, in der ich je gewesen bin. Während mir ein weißhemdiger Bediensteter den Mantel abnimmt, denke ich an einen Satz von K.: ,,Die Sprache verrät uns", und frage mich, welches Wort mich an diesem Abend verraten wird. Dann hält ein FAZ-Journalist für die kleine Gesellschaft einen Kurzvortrag, frei und derart eloquent, dass ich heimlich Atemübungen mache, bevor ich in der anschließenden Vorstellungsrunde an der Reihe bin. Auf dem Buffet steht, wie der weiße Milchzahn in all der Dunkelheit von Wald bis Wasserglas, eine ja! – Flasche Orangensaft. Ich behalte sie im Augenwinkel, während ich spreche, und trinke sie später aus, nachdem ich mich getraut habe, die Angestellten nach Bier zu fragen, das es nicht gibt, und vielleicht hätte mich diese Frage verraten, wenn es denn etwas zu verraten gegeben hätte. Beim Abschied bezeichnet mich eine Frau als ,,erfrischend", und als ich heimgehe, halb Getränk, halb Pool, denke ich: Es ist schön, dass mich nichts verraten kann, weil ich kein Geheimnis bin.


Aus: "Er nennt mich Ospe" Paula Fürstenberg (Ausgabe 11/2020)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ich-bin-eine-ospe

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Stephan Grünewald ist Psychologe, Marktforscher und gehört dem Corona-Expertenrat von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet an. Er sagte im Deutschlandfunk, dass im Zuge der Coronakrise mittlerweile weitere Bedrohungsszenarien wie Arbeitslosigkeit und die Vernichtung von Existenzen in den Vordergrund rücken. Momentan bestehe auch die Gefahr, dass die gesellschaftliche Polarisierung stark zunehme, es mehren sich die Zweifel, sagte er. Zudem spalte sich die Gesellschaft stark auf: Einige Bürger würden die Corona-Einschränkungen als Drangsal beschreiben, andere hätten sich wunderbar zu Hause eingerichtet. Die Lebenswirklichkeit der Menschen würde sich dadurch sehr stark aufspalten, in Personen, die den Alltag mit Corona als eine Art Vorhölle erleben und andere, die der Entschleunigung durchaus etwas abgewinnen könnten.

...


Aus: "Coronakrise ,,Die Existenzangst vieler Menschen wird immer größer"" Stephan Grünewald im Gespräch mit Rainer Brandes (02.05.2020)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/coronakrise-die-existenzangst-vieler-menschen-wird-immer.694.de.html?dram:article_id=475886


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Inkompetenz an der Macht, Verschwörungstheorien und Wunderheilmittel: Wie die Corona-Pandemie den Amerikanern zeigt, dass sie einem korrupten Regime ausgeliefert sind.  ... Aus einem Essay von George Packer - Aus dem Englischen von Bettina Röhricht  zuerst veröffentlicht in "The Atlantic Magazine" [We Are Living in a Failed State - The coronavirus didn't break America. It revealed what was already broken. June 2020 Issue George Packer, Staff writer for The Atlantic: https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2020/06/underlying-conditions/610261/]

... Durch parteipolitisches Kalkül und katastrophale politische Entscheidungen, insbesondere zum Irakkrieg, wurde das Gefühl der nationalen Einheit ausgelöscht und eine Verbitterung gegenüber der politischen Klasse gefördert, die nie ganz abgeklungen ist. Durch die zweite Krise – den Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 – wurde sie noch verstärkt. Von ganz oben konnte man es fast als Erfolg betrachten. Der US-Kongress verabschiedete ein von Republikanern und Demokraten unterstütztes Bail-out-Gesetz, mit dem das Finanzsystem gerettet wurde. Mitglieder der scheidenden Regierung Bush arbeiteten mit Mitgliedern der nachfolgenden Regierung Obama zusammen. Die Experten von US-Notenbank und US-Finanzministerium setzten geld- und finanzpolitische Maßnahmen um, um eine zweite Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Die verantwortlichen Spitzenbanker wurden öffentlich angeprangert, aber nicht strafrechtlich verfolgt. Die meisten konnten ihr Vermögen behalten, einige auch ihre Stelle. Schon bald waren sie wieder voll dabei. Laut einem Wall-Street-Händler, mit dem ich sprach, war die Finanzkrise lediglich ein Dämpfer gewesen.

All das dauerhafte Leid bekamen Amerikaner in der Mitte und am unteren Rand der Gesellschaft zu spüren. Sie verloren ihre Arbeit, ihr Zuhause und ihre Altersvorsorge. Viele erholten sich nie davon wieder. Junge Menschen, die während der Großen Rezession erwachsen wurden, sind dazu verdammt, ärmer zu sein als ihre Eltern. Die Ungleichheit – die das Leben in Amerika seit Ende der 1970er Jahre so grundlegend und erbarmungslos prägt – verschärfte sich weiter.

Diese zweite Krise trieb einen tiefen Keil zwischen die Amerikaner: zwischen Ober- und Unterschicht, Republikaner und Demokraten, Städter und Landbewohner, gebürtige Amerikaner und Einwanderer, gewöhnliche Bürger und politische Führungskräfte. Schon seit Jahrzehnten waren die sozialen Bindungen einer immer stärkeren Belastung ausgesetzt, und nun begannen sie sich aufzulösen. Die Reformen aus der Regierungszeit Obamas, so wichtig sie waren – in den Bereichen Gesundheitswesen, Regulierung des Finanzsektors, erneuerbare Energie, hatten lediglich eine palliative Wirkung. Durch den langen Wiederaufschwung im vergangenen Jahrzehnt wurden Unternehmen und Investoren reich, die gebildete Mittelschicht in Sicherheit gewiegt und die Arbeiterschicht noch weiter abgehängt. Nachhaltige Auswirkungen der lahmenden Konjunktur waren eine zunehmende Polarisierung und eine Diskreditierung der Obrigkeit, besonders in Bezug auf die Regierung.

Beide Parteien begriffen erst langsam, wie stark sie an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten. Politik würde von nun an populistisch sein. Die Vorreiterin dieser Entwicklung war Sarah Palin, die absurd unvorbereitete Vizepräsidentschaftskandidatin, die für Fachwissen nur Verachtung übrig hatte und sich am Prominentsein berauschte. Sie war Donald Trumps Johannes der Täufer.

Trumps Sieg war eine Verschmähung des republikanischen Establishments. Doch schon bald wurden sich die konservative politische Klasse und der neue Mann an der Spitze einig. Ungeachtet ihrer Meinungsverschiedenheiten bei Themen wie Handel und Zuwanderung verfolgten sie ein gemeinsames Ziel: öffentliche Finanzen und Vermögen zugunsten privater Interessen auszubeuten. Geldgeber und Politiker der Republikaner, die wollten, dass die Regierung so wenig wie möglich für das Gemeinwohl tat, konnten gut mit einer Führung leben, die vom Regieren kaum eine Ahnung hatte. Und sie machten sich zu Trumps Lakaien.

Wie ein ungezogener Junge, der brennende Streichhölzer auf eine ausgetrocknete Wiese wirft, begann Trump, das zu opfern, was vom staatsbürgerlichen Leben im Lande noch übrig war. Er hat nie auch nur so getan, als wäre er der Präsident des ganzen Landes. Stattdessen hat er uns entlang der Grenzen von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion, Bildungsgrad, Region und – spürbar an jedem Tag seiner Präsidentschaft – parteipolitischer Präferenz gegeneinander ausgespielt. Sein wichtigstes Werkzeug beim Regieren war die Lüge. Ein Drittel des Landes schloss sich in einem Spiegelkabinett ein, das es für die Realität hielt. Ein Drittel verlor bei dem Versuch, an der Vorstellung einer erfassbaren Wahrheit festzuhalten, fast den Verstand; und ein Drittel gab sogar diesen Versuch auf.

Trump übernahm eine Regierung, die nach jahrelangen rechtsgerichteten ideologischen Angriffen, Politisierung durch beide Parteien und stetigem Zusammenstreichen der Mittel gelähmt war. Er machte sich daran, die Sache zu Ende zu bringen und den Staatsapparat vollends zu zerstören. Er verjagte einige der erfahrensten Beamten, ließ entscheidende Stellen unbesetzt und setzte den eingeschüchterten Überlebenden loyale Anhänger vor die Nase – mit einem einzigen Ziel: seinen eigenen Interessen zu dienen. Durch seine legislative Hauptleistung, eine der größten Steuersenkungen in der Geschichte des Landes, flossen Unternehmen und Reichen Hunderte Milliarden Dollar zu. Die Nutznießer strömten in Scharen in seine Ferienanlagen und ließen ihm Geld zukommen, um seine Wiederwahl zu sichern. War Lügen sein Mittel bei der Machtausübung, so war Korruption sein Zweck.

Das war die Landschaft, die das Virus in den USA vorfand: In reichen Städten eine Schicht weltweit vernetzter, in Büros arbeitender Menschen, angewiesen auf eine prekäre Klasse unsichtbarer Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich. Auf dem Land zugrunde gehende Gemeinden, die sich gegen die moderne Welt auflehnten. In den sozialen Medien gegenseitiger Hass und endlose Beschimpfungen der verschiedenen Lager. In der Wirtschaft trotz Vollbeschäftigung eine große, wachsende Kluft zwischen triumphierendem Kapital und Not leidenden Arbeitern. In Washington eine leere Regierung unter Führung eines Hochstaplers und seiner geistig bankrotten Partei – und im ganzen Land eine von Zynismus und Erschöpfung geprägte Stimmung, ohne jegliche Vision einer gemeinsamen Identität oder Zukunft.

Wenn es sich bei der Pandemie tatsächlich um eine Art Krieg handelt, dann ist es der erste, der seit anderthalb Jahrhunderten auf diesem Boden ausgetragen wird. Invasion und Besetzung bringen die Bruchlinien einer Gesellschaft zum Vorschein und verstärken das, was in Friedenszeiten unbemerkt bleibt oder hingenommen wird. Sie verdeutlichen grundlegende Wahrheiten und lassen aus der Tiefe den Gestank von Verwesung aufsteigen.

Eigentlich hätte das Virus bewirken müssen, dass sich die Amerikaner gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen. Und vielleicht wäre das unter einer anderen politischen Führung auch passiert. Stattdessen teilte sich die öffentliche Meinung entlang der bekannten parteipolitischen Fronten, als das Virus sich von Demokraten- auf Republikaner-Terrain ausbreitete. Auch hätte das Virus ein starker Gleichmacher sein müssen, doch von Anfang an wurden seine Auswirkungen durch die Ungleichheit verzerrt, die wir schon so lange hinnehmen. Als keine Tests für das Virus aufzutreiben waren, gelang es den Reichen und gut Vernetzten – Model und Reality-TV-Moderatorin Heidi Klum, sämtlichen Spielern der Basketball-Mannschaft Brooklyn Nets, den konservativen Verbündeten des Präsidenten – irgendwie dennoch, sich testen zu lassen – und das, obwohl viele von ihnen gar keine Symptome hatten. Diese vereinzelten Test-Ergebnisse trugen nicht zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei. Zur gleichen Zeit mussten normale Bürger mit Fieber und Schüttelfrost in langen, möglicherweise ansteckungsgefährlichen Schlangen warten – um dann abgewiesen zu werden, weil sie nicht zu Ersticken drohten. Im Internet kursierte der Witz, man könne nur auf eine Weise herausfinden, ob man an dem Virus erkrankt sei: indem man einem reichen Menschen ins Gesicht niese.

Auf diese himmelschreiende Ungerechtigkeit angesprochen, brachte Trump seine Missbilligung zum Ausdruck, fügte jedoch hinzu: "Vielleicht ist das im Leben immer so gewesen." In normalen Zeiten fällt den meisten Amerikanern diese Art Privileg kaum auf, doch in den ersten Wochen der Pandemie löste sie Empörung aus – so als dürften sich die Reichen während einer allgemeinen Mobilmachung aus dem Militärdienst freikaufen und Gasmasken horten. Die Wahrscheinlichkeit, dem Virus zum Opfer zu fallen, ist für arme Menschen sowie Menschen dunklerer Hautfarbe ungleich größer. Die krasse Ungleichheit unseres Gesundheitssystems trat angesichts der Leichen-Kühlwagen deutlich zutage, die vor staatlichen Krankenhäusern warteten.

Bei uns gibt es jetzt zwei Arten von Arbeit: unverzichtbare und verzichtbare. Und wer sind die Arbeitskräfte, die sich als unverzichtbar erwiesen haben? Größtenteils Menschen in schlecht bezahlten Berufen, in denen sie vor Ort sein müssen und dabei ihre Gesundheit unmittelbar aufs Spiel setzen: Lagerarbeiter, Regalauffüller, Mitarbeiter von Lebensmittel-Lieferdiensten, Auslieferungsfahrer, Angestellte der Gemeinden, Krankenhauspersonal, Haushalts- und Pflegehelfer, Fernfahrer. Ärzte und Pflegekräfte sind die Helden der Schlacht gegen die Pandemie, doch die Kassiererin im Supermarkt mit ihrem Desinfektionsmittel und der UPS-Fahrer mit seinen Latex-Handschuhen sind die Logistiktruppe, die die Frontkämpfer versorgen. In einer Smartphone-Wirtschaft, in der ganze Bevölkerungsgruppen unseren Augen verborgen sind, erfahren wir nun, wo unser Essen und unsere Güter herkommen, wer uns am Leben hält. Dass bei AmazonFresh bestellter junger Rucola billig ist und am nächsten Tag geliefert wird, liegt unter anderem daran, dass die Menschen, die ihn anpflanzen, sortieren, verpacken und ausliefern, auch im Krankheitsfall weiterarbeiten müssen. Für die meisten Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich sind bezahlte Krankentage ein völlig unerreichbarer Luxus. Sollten wir uns nicht fragen, ob wir einen höheren Preis und längere Lieferzeiten in Kauf nehmen sollten, damit diese Arbeiter im Krankheitsfall zu Hause bleiben könnten?

Durch die Pandemie wurde auch klar, was verzichtbare Arbeitskräfte sind. Ein Beispiel hierfür wäre etwa Kelly Loeffler, die republikanische Junior-Senatorin von Georgia, die sich einzig und allein durch ihren immensen Reichtum für den unbesetzten Posten qualifizierte, den sie im Januar erhielt. Nicht einmal drei Wochen später wurde sie nach einem düsteren privaten Briefing zum Virus noch reicher, weil sie Aktien verkaufte. Dann warf sie den Demokraten vor, sie würden die Gefahr aufbauschen, und beschwichtigte ihre Wähler mit falschen Beteuerungen, die diese durchaus das Leben gekostet haben können. Loefflers Ausübung ihres Amtes ist von Antrieben geprägt, die an einen gefährlichen Parasiten erinnern. In einem Staatswesen, in dem so eine Person ein so hohes Amt erhält, ist der Zerfall schon ziemlich weit fortgeschritten.

Am unverfälschtesten verkörpert den politischen Nihilismus nicht Trump selbst, sondern sein Schwiegersohn und Berater Jared Kushner. In seinem noch jungen Leben wurde Kushner bereits fälschlicherweise sowohl als Meritokrat als auch als Populist gepriesen. 1981 kam er in einer wohlhabenden Familie mit Immobilienimperium zur Welt – genau in dem Monat, in dem Ronald Reagan das Präsidentenamt antrat. Kushner ist ein Prinzling des zweiten Gilded Age ("Vergoldeten Zeitalters"). Trotz seiner mäßigen schulischen Leistungen bekam er einen Studienplatz in Harvard, nachdem sein Vater Charles der Universität eine Spende in Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar zugesagt hatte. Dieser half seinem Sohn auch beim Einstieg in das Familienunternehmen mit Darlehen in Höhe von zehn Millionen Dollar. Später setzte Kushner seine elitäre Ausbildung an der New York University in den Bereichen Jura und Betriebswirtschaft fort. Sein Vater hatte der Hochschule drei Millionen Dollar zukommen lassen.

2005 revanchierte sich Kushner mit unerschütterlicher Loyalität, als Charles Kushner zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er versucht haben soll, einen Rechtsstreit in der Familie beizulegen, indem er den Mann seiner Schwester mit einer Prostituierten in die Falle lockte und das Ganze filmte.

Jared Kushner ist als Wolkenkratzer-Besitzer und als Zeitungsverleger gescheitert, hat aber immer jemanden gefunden, der ihn rettete. Sein Selbstbewusstsein wuchs dabei sogar noch. In American Oligarchs schildert Andrea Bernstein, wie er sich die Einstellung eines risikofreudigen Unternehmers zu eigen machte, eines "Disruptors" der New Economy. Unter dem Einfluss seines Mentors Rupert Murdoch fand er Mittel und Wege, finanzielle, politische und journalistische Betätigung miteinander zu verknüpfen. Interessenkonflikte machte er zu seinem Geschäftsmodell.

Als sein Schwiegervater Präsident wurde, erlangte Kushner schnell Macht in einer Regierung, die Dilettantismus, Vetternwirtschaft und Korruption zu Leitprinzipien erhob. Solange er sich nur mit dem Frieden im Nahen Osten befasste, konnte den meisten Amerikanern sein überflüssiges Hineinpfuschen egal sein. Doch seit er ein einflussreicher Berater des Präsidenten in der Coronavirus-Pandemie ist, ist das Resultat ein Massensterben.

In der ersten Woche in dieser neuen Funktion war Kushner Mitverfasser der schlechtesten Oval-Office-Rede, an die man sich erinnert, unterbrach die wichtige Arbeit anderer Amtsträger, verletzte das Sicherheitsprotokoll, liebäugelte mit Interessenkonflikten und Verstößen gegen US-Bundesrecht und machte törichte Versprechungen, die sich schon kurz darauf in nichts auflösten. "Die US-Regierung ist nicht dafür da, all unsere Probleme zu lösen", sagte er und erklärte, er werde seine wirtschaftlichen Beziehungen nutzen, um Drive-through-Teststationen zu schaffen. Dazu kam es nie. Unternehmensleitungen überzeugten ihn davon, dass Trump seine Macht als Präsident nicht dafür nutzen sollte, die Industrie zur Produktion von Beatmungsgeräten zu bewegen. Dann scheiterte Kushners Versuch, eine Vereinbarung mit General Motors auszuhandeln. Sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wurde dadurch jedoch nicht geschmälert: Er machte inkompetente Gouverneure für den Mangel der benötigten Ausrüstung und Schutzkleidung verantwortlich.

Das Hereinschneien dieses blassen Dilettanten im knapp sitzenden Anzug mitten in eine tödliche Krise signalisiert den Zusammenbruch eines ganzen Regierungsmodus – mag Kushner auch noch so mit Ausdrücken aus dem BWL-Studium um sich werfen, um das eklatante Versagen der Regierung seines Schwiegervaters zu verschleiern. Wie sich zeigt, sind wissenschaftliche Sachverständige und andere Staatsbeamte keine verräterischen Mitglieder eines deep state, sondern unverzichtbare Arbeitskräfte. Werden sie zugunsten von Ideologen und Hofierern ausgegrenzt, gefährdet das die Gesundheit der Bevölkerung. Wie sich zeigt, sind agile Unternehmen nicht in der Lage, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten oder lebensrettende Güter zu verteilen – das schafft nur eine kompetente Regierung. Wie sich zeigt, hat alles seinen Preis, und die jahrelangen Attacken auf den Staatsapparat, der ausgehöhlt und in seiner Moral geschwächt wurde, bezahlt die Bevölkerung nun mit Menschenleben. All die Programme, deren Finanzierung gestrichen wurde, die aufgebrauchten Vorräte und aufgegebenen Pläne hatten dazu geführt, dass wir zu einer Nation zweiten Ranges geworden waren. Dann kamen das Virus und die seltsame Niederlage.

Der Kampf zur Bewältigung der Pandemie muss auch ein Kampf dafür sein, dass die Gesundheit unseres Landes wiederhergestellt und es neu aufgebaut wird. Andernfalls können wir all das Elend und das Leid, das wir jetzt ertragen müssen, niemals wieder gutmachen. Unter der jetzigen politischen Führung wird sich nichts ändern. So wie sich durch den 11. September und das Jahr 2008 das Vertrauen in die alte politische Klasse abgenutzt hat, so wird das Jahr 2020 der Vorstellung endgültig ein Ende setzen, Anti-Politik sei unsere Rettung. Doch einen Schlussstrich unter dieses Regime zu ziehen, so notwendig und verdient er auch sein mag, wäre erst der Anfang.

Die Krise macht unausweichlich klar, dass wir vor einer Wahl stehen. Entweder verbarrikadieren wir uns weiter in der Selbstisolation, meiden einander angstvoll und lassen zu, dass das, was uns verbindet, vollends verschwindet. Oder wir lernen aus diesen furchtbaren Tagen: richten unsere Aufmerksamkeit auf die Krankenhausmitarbeiter, die Handys hochhalten, damit Patienten sich von ihren Angehörigen verabschieden können, auf das medizinische Personal, das mit dem Flugzeug von Atlanta nach New York anreist, um dort zu helfen, auf die Mitarbeiter eines Luftfahrtunternehmens in Massachusetts, die fordern, ihr Werk solle künftig Beatmungsgeräte bauen, auf die Menschen in Florida, die in langen Schlangen anstehen, weil sie per Telefon das völlig unterbesetzte Arbeitsamt nicht erreichen können, auf die Bewohner von Milwaukee, die endlose Wartezeiten, Hagel und Ansteckungsgefahr in Kauf nehmen, um bei einer Wahl abzustimmen, die ihnen von parteiischen Richtern aufgezwungen wurde. Und sehen, dass Dummheit und Ungerechtigkeit lebensgefährlich sind, dass Bürger zu sein, Arbeit bedeutet, die für eine Demokratie wesentlich ist; und dass die Alternative zur Solidarität der Tod ist. Wenn wir alle wieder aus unseren Verstecken aufgetaucht sind und die Schutzmasken abgenommen haben, sollten wir nicht vergessen, wie es sich anfühlte, allein zu sein.


Aus: "Wir leben in einem gescheiterten Staat" Aus einem Essay von George Packer (5. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/corona-krise-usa-donald-trump-pandemie-ungleichheit/komplettansicht

QuoteIshmael Sorrows #1

"Chronische Leiden – eine korrupte politische Klasse, eine erstarrte Bürokratie, eine herzlose Wirtschaft, eine gespaltene, abgelenkte Bevölkerung "

Belege? Oder nur antiamerikanische Vorurteile?


Quotemirinord #1.6

Artikel gelesen?


Quotearnolsi #1.7

Ist Ihnen aufgefallen, dass dies eine Übersetzung aus "The Atlantic Magazine" ist?
Sind jetzt auch schon Amerikaner antiamerikanisch?


QuoteLegalize it #1.1

Diese Punkte könnte man auf jedes Land auf der Welt anwenden.


QuoteAndox #1.2

Also hat der Artikel recht.


Quotematius2 #1.3

Geldadelpolitik, Vetternwirtschaft, Justiz die einem trump Steuererlichterungen ermöglicht hat, Wahlerfolge durch Geldeinsatz. Ladenöffnung von Waffengeschäften während der Corona Beschränkungen usw. Die liste kann man beliebig verlängern.


QuoteHomeOffice #2

Qualitätsjournalismus?

Eher nicht. Ich habe mal in den USA gelebt. Das ist eher eine Polemik als eine politische Analyse. Eine schlechte noch dazu.


QuoteAmakuni #2.2

Man braucht keine deutschen Zeitungen um sich ein Bild über Trump zu machen. Dazu reicht ein Blick auf seine Pressekonferenzen, Twitter Nachrichten und Interviews. Und das Bild ist mehr als gruselig. ...


Quoteosilliso #13

Leider eine sehr zutreffende Beschreibung der Situation in den USA. Das politische System ist bankrott und die Gesellschaft gespalten, nicht nur in zwei Gruppen, sondern einen ganzen Flickenteppich. ...


QuoteHebenstritz #15

Das ganze ist eher eine Beschreibung der Politik an sich in den westlichen Industriestaaten. Genau genommen könnte man die Namen die hier genannt werden, gegen beliebige europäische Politiker austauschen, es würde keinen großen Unterschied machen.

Was momentan in den USA sichtbar ist, ist eher die Unfähigkeit von Trump und vielen seiner Adlaten, alles wie Obama weg zu lächeln und mit schönen Worten zu umschreiben. Stattdessen scheint die amerikanische Politik momentan daraus zu bestehen, wer in der Challenge der peinlichsten Auftritte gewinnt.

Egal wo auf der Welt, politische Führungen werden daran gemessen, wie sie Probleme und krisensprachlich und argumentativ verpacken. Das sieht man jetzt momentan ja hervorragend in Deutschland.

Die Regierung Trump ist schlichtweg extrem extrovertiert und mitteilungsbedürftig, was den politischen Gegnern massenweise Aufmerksamkeit für Kritik gibt. Würde ein Präsident Trump mit gemessenen Worten und ohne Twitter Kanal ansonsten genau gleich handeln wie bisher - man wäre sicherlich sehr angetan von der Handlungspolitik.

Mit anderen Worten, die Leute wollen eingelullt werden, eine schöne Realität und eine positive Zukunft versprochen bekommen. Auch die Regierung Obama hat weder die grundsätzlichen Zustände in den USA verbessert, oder das Versprechen Guantanamo zu schließen, umgesetzt.

Aber genau genommen ist das für das Seelenheil der Normalbevölkerung auch nicht unbedingt erforderlich.


QuoteWark Mupke #15.3

"Würde ein Präsident Trump mit gemessenen Worten und ohne Twitter Kanal ansonsten genau gleich handeln wie bisher - man wäre sicherlich sehr angetan von der Handlungspolitik."

Ich glaube sie haben sich das wort Handlungspolitik ausgedacht, aber trotzdem konnte ich herzlich lachen.


QuoteTomtell #17

Nachvollziehbarer Text. Aber im Wesentlichen auch Gejammer. Was bringt Gejammer? Ich hätte mir stattdessen einen Text gewünscht, der Lösungen aufzeigt.


QuotePlotzhotzen #17.1

Wenn sie mal genau lesen und verstehen, würden sie die Lösung erkennen.
Und das ist kein Gejammer sondern eine Analyse.


Quotetuscany #17.2

"Lösungen" erfordern zunächst Einsicht in einen lösungsbedürftigen Zustand. Solange Polarisierung hilft, eigennützige Bedürfnisse zu erfüllen, gibt's keine Einsicht (zumindest keine Konsequenzen) und keine Hoffnung.

Zweck und Hoffnung dieses (von Ihnen als "Gejammer" diffamierten) Textes ist es, die Einsicht zu befördern, wie stark in den USA über den Eigennutz der Gemeinnutz vor die Hunde gegangen ist.


Quotesysgin #19

Die Amerikaner haben Trump zum Präsidenten gewählt, freiwillig. Ob sie mehrheitlich erkennen, in was sie sich damit hineinmanövriert haben, wage ich zu bezweifeln. Trump konnte ein Verfahren zur Amtsenthebung überstehen und auch jetzt finden keine Demonstrationen gegen ihn statt. Ich fürchte, auch eine Pandemie richtet da nichts aus.


QuoteHomeOffice #20

Wieso sind die USA eigentlich der beliebteste Sehnsuchtsort der Menschen weltweit?


QuoteRideOn #20.5

Weil man dort vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. lol


QuoteHomeOffice #25

Die USA haben seit 1776 eine funktionstüchtige Demokratie auf Grundlage EINER Verfassung. Ohne Staatsstreiche. Putsch. Freiheitsberaubung. Eine Kette von Präsidenten, die demokratisch gewählt wurden. Keiner hat sich durch Manipulation länger im Amt gehalten als rechtens war. Es gab und gibt eine unabhängige Justiz.

Davor muss man Respekt haben. Überlegen wir mal, welche Irrungen und Wirrungen es in Deutschland in dieser Zeitspanne gab.

Die amerikanische Demokratie wird auch Trump überleben.


QuoteSommerrolle #35

Als ich vor ca. 25 Jahren sehr häufig in New York war, schlug mir das Auseinanderfallen der Gesellschaft förmlich ins Gesicht.
Als ich diesen Punkt gegenüber einem Amerikaner ansprach und meiner Befürchtung, dass dies früher oder später zu einem Kollaps führen könnte, wurde ich freundlich ausgelacht.
Der Zustand, den wir heute in den USA haben, ist nicht erst in den letzten 4 Jahren entstanden. Gleich, wer an der Regierung war - die ergriffenen Maßnahmen waren letztendlich nur "palliativ", so wie es der Autor auch beschreibt. Der Tellerwäscher-Mythos hat das Land über die Jahrzehnte (wenn nicht gar Jahrhunderte) hinweg ausgehöhlt.


QuoteHomeOffice #39

Diejenigen, die die USA hier als failed state bezeichnen, tun das wahrscheinlich von einem iPhone. Sie kaufen bei Amazon. Nutzen Microsoft-Systeme. Posten auf Facebook. Konsumieren US-amerikanische Netflix-Serien. ...


Quotepero-2 #50

Auch die deutsche Regierung brauchte fast 3 Monate um auf Corona zu reagieren, auch bei uns gibt es nicht genügend Schutzkleidung und offenbar war es der deutschen Regierung auch nicht möglich sich an die Szenarieren der Risikobewertung des RKI aus dem Jahr 2013 zu erinnern.
Auch bei uns werden die (gleichen) Fakten aus der Wissenschaft jeden Tag anders bewertet, so werden Masken die im März falsch waren heute vorgeschrieben.
Und auch bei uns fordert die Autoindustrie massive Steuergeschenke während gleichzeitig Millionen Dividenden ausgezahlt werden sollen. Die Kultur geht durch die restriktiven Schutzmassnahmen den Bach runter, genauso wie Hotels, Gaststätten und Restaurants. Auch bei uns gibt es keine wirklich offenen Diskussionen um die Massnahmen. Spielplätze werden gesperrt während tausende um die Alster joggen, dabei nachweisslich Viren in der Luft hinterlassen und damit die anderen Fussgänger gefährden. Wo ist da der gesunde Menschenverstand?

Das einzige was wir nicht haben ist ein "Fake-News" verbreitender Präsident, wobei die deutsche Regierung bisher auch nicht über das eigene Versagen spricht.

Also ich sehe da schon erhebliche Parallelen, ...


QuoteFrau. Huber #50.2

Was Deutschland auch nicht hat, sind zehntausende Tote, überlastete Krankenhäuser und Verwandte von Frau Merkel in zentralen politischen Ämtern.


Quotegenrik #58

Ungeheuerlich: Todesurteil, Vollstreckung und Obduktion zugleich. Es hat mich erschreckt, in dieser expliziten Form über den Kollaps des eigenen Jugendtraums "USA" zu lesen. Ich habe (Jahrgang 1939) das Ende des 2. Weltkrieges schon bewußt erlebt, und alle neue Hoffnung schien damals "von drüben", jenseits des Atlantik, zu kommen.
Wir Deutschen müssen uns, vor allen anderen, zurückhalten, wenn es darum geht, Unverständnis zu äußern für die momentane Führung und den Zustand der USA.
Haben wir doch der Welt vor 90 Jahren gezeigt, daß und wie es möglich ist, ein von einem Psychopathen geführtes System zu betreiben. Schließlich waren mit Stalin, Mao, Pol Pot und anderen auch weitere Massenmörder und Egomanen am Werk.
Erstaunlich und erschreckend ist in der Gegenwart, daß alle diese Verbrecher noch beziehungsweise wieder Anhänger haben und finden. Welche Forscher- oder Wissenschaftler-Zunft wird wohl einmal zu klären versuchen, aus welchen toxischen Quellen solche Gefolgschaft strömt?


QuoteCarlitoJ #89

Danke für diese präzise Analyse der sozialen und politischen Verhältnisse in den USA, die einem die Tränen in die Augen treiben. Das Beste, was ich in deutschen Medien in letzter Zeit gelesen habe.


Quote123Stadtmusikant123 #92

Was beklagt der Autor sich, hat er nicht mitbekommen, dass dieses Amerika keine andere Politik will? ...


QuoteOh Yeah Goodie Goodie #92.1

Der Autor beklagt nicht, er analysiert. Eigentlich kein allzu feiner Unterschied ...


Quotesictransitgloria #93

Hier wettert ein linksliberaler Autor gegen eine Regierung, die er schon immer gehasst hat. Also nichts neues.


QuoteOh Yeah Goodie Goodie #93.1

Genau. Schlafen sie weiter.


QuoteHBausOS #99

,,500000 Menschen protestieren in Washington gegen die Politik von Präsident Trump"

Warum eigentlich habe ich nie diese Schlagzeile gelesen? Ein Volk von 330 Millionen sediert?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] In Italien leben derzeit laut Schätzungen 670.000 Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere; ein beträchtlicher Teil von ihnen schuftet für einen Hungerlohn auf den Tomaten-, Früchte- und Zitrusplantagen in Süditalien, oft bis zu zwölf oder vierzehn Stunden pro Tag. Bei den meisten Erntehelfern handelt es sich um Bootsflüchtlinge aus Afrika. Sie wohnen unter menschenunwürdigen Zuständen in Barackensiedlungen. Weitere rund 200.000 ausländische Arbeitskräfte sind als Dienst- und Kindermädchen bei wohlhabenden Familien oder in der Altenpflege angestellt, rund 70 Prozent von ihnen ebenfalls in Form von Schwarzarbeit. Sie stammen wiederum größtenteils aus Asien.

Für Teresa Bellanova ist klar, dass die heutigen Zustände nicht mehr geduldet werden können: "Wenn wir die Migranten nicht legalisieren, dann macht sich der Staat zum Komplizen der Illegalität, der Schwarzarbeit, der Sklaverei und der Mafia", betont die Landwirtschaftsministerin. Hinzu kommt, dass der italienischen Landwirtschaft wegen der Corona-Pandemie und der geschlossenen Grenzen derzeit rund 200.000 reguläre Saisonarbeiter aus Rumänien, Bulgarien und Polen fehlen: Der Kleinbauernverband Coldiretti hatte sich schon vor einem Monat mit einem entsprechenden Hilferuf an die Regierung gewandt. Es wäre durchaus naheliegend, die fehlenden Osteuropäer durch Arbeitskräfte zu ersetzen, die sich bereits im Land befinden.

Bellanova nennt aber auch noch einen weiteren Grund, warum die Legalisierung der "Clandestini" vordringlich sei: Mitten in der Corona-Krise könne es sich Italien nicht leisten, ein Heer von "Unsichtbaren" im Land zu haben, die durch sämtliche Maschen des Gesundheitssystems fallen. Allein in den besonders berüchtigten Ghettos von Borgo Mezzanone in Apulien und San Ferdinando in Kalabrien leben während der Erntesaison jeweils bis zu 3.000 Menschen: Aus Angst vor einer möglichen Ausweisung wagt es kaum einer von ihnen, zu einem staatlichen Arzt zu gehen, wenn er erkrankt. Die über das ganze Land verteilten Elendssiedlungen könnten leicht zu neuen, unkontrollierbaren Infektionsherden für das Coronavirus werden.

Die genaue Zahl der illegal eingereisten Immigranten, die nun Papiere erhalten sollen, steht noch nicht fest. Zunächst sollten nach den Plänen von Innenministerin Luciana Lamorgese lediglich 200.000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhalten; ihre Kollegin Bellanova – und mit ihr die Regierungsparteien PD, Italia Viva und LEU – drängen indessen darauf, allen "Illegalen", die eine Arbeitsstelle vorweisen können, die entsprechenden Papiere auszustellen. Dies würde rund 600.000 Personen betreffen. Die größte Regierungspartei, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, tritt wie Lamorgese noch auf die Bremse. Die rechtsradikale Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini will von der "Sanatoria" für die Migranten ohnehin nichts wissen. Doch den seuchenpolitischen Überlegungen werden sich in der heutigen Situation aber weder die Grillini noch die Lega verschließen können.

Dass es Teresa Bellanova ist, die sich für eine möglichst umfassende Regelung einsetzt, ist kein Zufall. Die heute 61-jährige Süditalienerin stammt aus einfachen Verhältnissen und hatte nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit als junge Frau selbst jahrelang auf den Tomatenfeldern und in den Olivenhainen Apuliens als Erntehelferin gearbeitet. Dann hat sie sich in der Landarbeiter-Gewerkschaft engagiert, absolvierte ein Fernstudium und gelangte schließlich in die Politik. "Ich habe auf den Feldern viele Freundinnen verloren, die auf dem Arbeitsweg oder an Überarbeitung gestorben sind. Sie hatten nicht so viel Glück wie ich", sagte Bellanova bei ihrer Vereidigung zur Landwirtschaftsministerin im vergangenen September. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Erntesklaven ist für Bellanova ein durch ihre Biografie bedingtes Herzensanliegen. (Dominik Straub aus Rom, 5.5.2020)


Aus: ""Clandestini" - Italien will bis zu 600.000 illegale Migranten legalisieren" (5. Mai 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117294330/italien-will-bis-zu-600-000-illegale-migranten-legalisieren

Textaris(txt*bot)

Quote[...] In den letzten Tagen ist die Fleischindustrie in den Fokus der Coronaviruskrise gerückt: In mehreren Bundesländern wurden bei Beschäftigten vermehrt Infektionen festgestellt, etwa bei Mitarbeitern eines Schlachthofs im nordrhein-westfälischen Landkreis Coesfeld. Kritikerinnen und Kritiker machten die Arbeitsbedingungen sowie die Sammelunterkünfte, in denen die meist osteuropäischen Arbeiter untergebracht sind, als Ursache aus.

Diese Kritik hat die deutsche Schlachtindustrie nun zurückgewiesen. Die Arbeitsbedingungen der vorwiegend osteuropäischen Angestellten seien nicht der Grund für die Verbreitung des Erregers in den Firmen, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Deutschen Fleischwirtschaft, Heike Harstick der Süddeutschen Zeitung.

Die Verbandschefin wehrte sich gegen Forderungen nach härteren Auflagen für die Schlachtindustrie: Wenn etwa die Einzelunterbringung von Mitarbeitern vorgeschrieben und damit höhere Wohnungsmieten verursacht würden, seien viele Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig. Teile der Branche würden dann abwandern.

Harstick verwies auch auf die besondere Rolle der Fleischindustrie, die die Produktion nicht wie etwa die Autoindustrie einfach stoppen können. Die Branche habe weitergearbeitet, um die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.



Nichsdestotrotz verlangte etwa der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) strengere Arbeitsschutzgesetze für die Branche. Die Betreiber müssten insbesondere mehr Verantwortung für ihre Werkvertragsarbeiter übernehmen, sagte Laumann im Deutschlandfunk.

Auch Gewerkschaften kritisierten die Zustände in den Unterkünften für Arbeiter. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Bayern, Mustafa Öz, warf den Fleischunternehmen vor, die deutschen Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen bewusst zu unterlaufen. Dazu stellten sie ausländische Arbeitnehmer nicht direkt an, sondern über Zwischenunternehmen, sagte Öz im BR.

Die Grünen-Fraktion im Bundestag beantragte für die laufende Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. "Es kann nicht sein, dass sich Chefetagen von Schlachtkonzernen über Subunternehmensgeflechte aus der Verantwortung stehlen", sagte Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. Sie forderte ebenfalls schärfere Kontrollen und besseren Arbeitsschutz.


Aus: "Fleischindustrie wehrt sich gegen Kritik" Imre Balzer (11. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-05/coronavirus-aktuell-covid-19-nachrichten-deutschland-welt-live

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Quote[...] Peter Kossen kämpft seit Jahren gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen. Dass sich viele Leiharbeiter nun infiziert haben, überrascht ihn nicht. ...

Peter Kossen: Plakativ gesagt: das System. Im Konkreten geht es um die Arbeitsbedingungen, weil diese Menschen in der Regel nicht im Unternehmen, also beispielsweise von den Schlachtereien, angestellt sind, sondern über Personaldienstleister. Sie werden also nicht nur beschäftigt, um Produktionsspitzen abzufedern, sondern sie stellen bis zu 80 Prozent der Arbeiterschaft. Faktisch arbeiten sie 60 Stunden die Woche, sind total erschöpft – und dadurch auch besonders anfällig für Krankheiten. ... Der Wohnungsmarkt ist in Deutschland sehr eng. Arbeitsmigranten, die keine sozialen Kontakte hier haben und oft die Sprache nicht können, müssen nehmen, was sie bekommen – und das ist oft das, was die Firma, die einen verleiht, anbietet. Das sind dann Sammelunterkünfte, Schrottimmobilien, Bruchbuden, die vollgestopft werden. ... In meiner Nachbarschaft in Lengerich gibt es ein ehemaliges Hotel, an dessen Postkasten 55 Namen stehen. So viele Zimmer hat das Gebäude aber bestimmt nicht – die Räume müssen mehrfach belegt sein. Sicherheitsabstände kann da niemand einhalten. Zudem ist es ein altes Haus. Hygienische Fragen stellen sich also bestimmt auch. Das ist im ganzen Bundesland so. Deswegen will die Landesregierung Nordrhein-Westfalen diese Unterkünfte jetzt kontrollieren. ... Ich bin seit acht Jahren an dem Thema dran, und die Landkreise und Kommunen schieben die Verantwortlichkeiten hin und her. Niemand fühlt sich zuständig und eigentlich will auch keiner das Problem am Bein haben.

...


Aus: "Coronavirus in Schlachthöfen: "Die Leute haben große Angst"" Interview: Wenke Husmann (10. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/coronavirus-schlachthoefe-arbeitsschutzgesetz-fleischwirtschaft-abstand-hygiene


Textaris(txt*bot)

#1060
Quote[...] Die Mehrheit der Besserverdiener in Deutschland arbeitet momentan im Homeoffice. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) jetzt in einer Studie nachgewiesen. Der Bericht liegt ZEIT ONLINE exklusiv vor. Fast 60 Prozent der Erwerbstätigen im oberen Drittel der Einkommensverteilung geben an, momentan von zu Hause aus zu arbeiten. Im untersten Einkommensbereich sind es nur 17 Prozent. Bei den mittleren Einkommen fast 30 Prozent. Die Studie bestätigt, was viele bereits vermutet hatten.

"Dies legt nahe, dass Erwerbstätige mit höheren Bruttoerwerbseinkommen häufiger eine Tätigkeit ausüben, die auch im Homeoffice erbracht werden kann", schreiben die Autoren. Solche Erwerbstätige besäßen darüber hinaus wohl auch die größeren materiellen Ressourcen sowie größere räumliche und technische Möglichkeiten, um sich zu Hause einen Arbeitsplatz einzurichten. "Damit können sie auch eher Kontakte zu Kollegen und Kolleginnen reduzieren und so sich und ihre Familien schützen." Über alle Erwerbstätigen hinweg berichteten rund 35 Prozent, aktuell teilweise oder vollständig im Homeoffice zu arbeiten, schreibt das DIW weiter in der Untersuchung.

...


Aus: "Privilegiert heißt nicht unbedingt produktiv" (11. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-05/deutsches-institut-fuer-wirtschaftsforschung-studie-besserverdiener-homeoffice

QuoteFormatforist #2

Na, besonders spektakulär oder überraschend sind die Ergebnisse jetzt nicht...


Quotedocfloe #3

""Allerdings geben zugleich rund 40 Prozent an, am heimischen Schreibtisch weniger produktiv zu sein", und später im gleichen Absatz "Nicht berücksichtigt werden konnte in der Studie allerdings, ob die Befragten jüngere Kinder haben oder in einer systemrelevanten Branche tätig sind."

Dann ist der Begriff "Studie" aber mit Verlaub etwas hoch gegriffen, denn es bleiben dann im Wesentlichen "Erkenntnisse" wie "Dies legt nahe, dass Erwerbstätige mit höheren Bruttoerwerbseinkommen häufiger eine Tätigkeit ausüben, die auch im Homeoffice erbracht werden kann ..."

Wer hätte das gedacht?


QuoteDer_Logiker #16

Ergebnisse der weltbewegenden Studie für alle, die wenig Zeit zum Lesen haben:

- Besserverdiener können eher zu Hause arbeiten, als die Arbeiter, die am Produktionsstandort gebraucht werden. (Überraschung Nr. 1)

- Wer Homeoffice macht, ist wahracheinlich produktiver, wenn er/sie es A) gerne sein möchte B) keine kleinen Kinder zu Hause runlaufen hat. (Überraschung Nr. 2)


...

-

Quote[...] Flüchtlingsheime waren nie besonders schöne Orte, um dort zu leben. Oft ist wenig Platz, viele Menschen teilen sich Bad und Küche, Privatsphäre gibt es kaum. Unannehmlichkeiten, die durch das Coronavirus zur Lebensbedrohung werden. Social Distancing ist nicht möglich. Besonders in großen Unterkünften, sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen, haben sich überall in Deutschland teils besorgniserregend viele Menschen mit dem Coronavirus angesteckt.

Viele Medien berichteten über die Landeserstaufnahmestelle Ellwangen, in der sich von etwa 600 Bewohnerinnen und Bewohnern zeitweise um die 400 infiziert hatten. Aber auch in anderen Unterkünften kam es zu krassen Anstiegen, in München starb ein Geflüchteter aus Afghanistan wohl am Coronavirus. Inzwischen wurden in ganzen Einrichtungen Ausgangssperren oder Quarantäne verhängt, oft viel zu spät. Drinnen leben weiterhin Infizierte mit Nicht-Infizierten zusammen.

Geflüchtetenorganisationen kritisieren das. Sie fordern, man solle negativ getestete Menschen schnell in kleine Gruppen aufteilen und in andere Unterkünfte bringen. Zwingt man sie, weiter mit positiv getesteten Menschen zusammenzuleben, teilweise im selben Zimmer, würden sie unausweichlich erneut zu Kontaktpersonen und erneut unter Quarantäne gestellt. Das ginge so lange, bis schließlich alle Bewohner infiziert sind.

Unsere Gespräche mit Betroffenen haben gezeigt, wie groß die Frustration ist. Weil das Durchschnittsalter in den Unterkünften niedrig ist, zeigen nur wenig positiv Getestete Symptome. Gleichzeitig wird ihnen oft nicht erklärt, warum die Gegenmaßnahmen dennoch so drastisch sein müssen.

Hier erzählen Geflüchtete aus Ellwangen, Bremen und Giengen, wie katastrophal die Zustände in ihren Unterkünften teilweise sind.
Issatou, 17, aus Gambia, lebt seit zwei Monaten in der Zentralen Aufnahmestelle Lindenstraße in Bremen. Ende April waren dort 146 von 310 Bewohnerinnen und Bewohner positiv getestet

"Die Menschen hier leben in Angst. Die bestätigten Fälle werden immer mehr. In einem Gang auf meinem Stockwerk wurden einige positiv getestet und ins Krankenhaus gebracht. Vor ein paar Tagen haben sie die dann aufs selbe Stockwerk zurückgebracht – zu den Negativen. Wir haben Angst, dass in unserem Gang dasselbe passieren wird.

Es ist hart, die ganze Zeit drinnen eingesperrt zu sein und nicht zu wissen, wie lange es dauern wird. Wir stehen seit einer Woche unter Quarantäne und ich habe Angst, dass es noch lange dauern wird. Für manche Stockwerke wurde die Quarantäne gerade um eine weitere Woche verlängert. Auch wenn wir die meiste Zeit nicht mal unseren Gang verlassen dürfen, müssen wir doch zum Essen oder zur Toilette gehen. Dabei ist es unmöglich, nicht mit positiv getesteten Menschen in Kontakt zu kommen. Alle teilen sich die Putzutensilien, nutzen dieselben Toiletten, dieselben Treppenhäuser. Und selbst wenn du aufpasst, tut es dein Mitbewohner vielleicht nicht. Du bist immer gefährdet. Am Ende werden wir alle Infiziert sein.

Das Camp-Management informiert uns nicht. Sie sagen dir dein Testergebnis nicht mal persönlich. Sie verlesen nur eine Liste der positiv und negativ Getesteten. Sie haben Bewohnern auch schon fälschlicherweise gesagt, sie seien negativ. Dann kamen sie zurück und sagten: 'Sorry, ihr seid leider doch positiv.' Und andersrum ist es genauso passiert. Wegen solcher Vorfälle vertrauen wir den Verantwortlichen nicht mehr.

Wenn sie uns noch länger hier behalten wollen, wird es sehr schwierig. Einige Mütter haben zu wenig zu essen und produzieren nicht genug Milch für ihre Babys. Sie brauchen Babynahrung, aber bekommen sie nicht. Das Camp verlassen, um neue zu kaufen, geht auch nicht. Je länger die Mütter hier bleiben müssen, desto mehr sind die Babys in Gefahr.

Manchmal bin ich hoffnungslos, aber dann fühle ich, dass ich nicht alleine bin, dass andere Menschen hinter mir stehen. Nicht alle behandeln uns schlecht. Es gibt ein paar Deutsche von draußen, die uns mit Lebensmitteln sehr unterstützen.

Wir wünschen uns, dass wenigstens die negativen Leute evakuiert werden. Man sollte sie an einen Ort verlegen, an dem es möglich ist, den Abstand zu anderen einzuhalten. An dem sie keine Angst haben müssen, sich zu infizieren. Und die Infizierten sollten eine richtige Behandlung erhalten. Denn manchmal, wenn man sich hier beschwert, sagen sie, du hast nur leichte Symptome, also brauchst du keine medizinische Versorgung."

Lucky, 45, aus Nigeria, ist mit seiner Familie in der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen eingesperrt

"Es begann am 5. April. Es hieß, einige Leute seien positiv, also verschlossen sie die Eingangstore. Seitdem sind wir hier alle miteinander eingesperrt und es ist unmöglich, voneinander Abstand zu halten. Jetzt in diesem Moment schaue ich aus dem Fenster und sehe Kinder, die draußen miteinander spielen. Negativ und positiv gemischt. Und alle leben im selben Haus, benutzen dieselbe Toilette, dasselbe Bad. Was auch immer hier angeblich getan wird, um die Verbreitung des Virus zu verhindern, hat keine Wirkung.

Manche Negativen wurden jetzt teilweise viermal negativ getestet. Man sollte sie in eine neue Unterkunft schicken, wo sie in Frieden leben können. Denn wenn wir, die als positiv gelten, mit ihnen Kontakt haben – und das lässt sich wie gesagt kaum vermeiden –, werden sie wieder unter Quarantäne gestellt. Das geht dann immer so weiter, bis alle hier positiv sind. Erst wenn du die negativ Getesteten weg bringst, kannst du dieses Camp hier zum Quarantäne-Camp erklären.

Ich habe das Management mehrmals gefragt, warum die Situation im Camp so ist, wie sie ist. Sie konnten mir keine gute Antwort geben. Alles, was sie mir gesagt haben, ist: 'Wir haben die Kontrolle.' Kontrolle über was bitte? Meine Frau hat gerade ein Kind zur Welt gebracht und dabei Blut verloren. Ein Arzt, der ihren Blutdruck nahm, sagte, sie müsse jetzt gut auf sich aufpassen, gut essen. Aber es gibt hier kein gutes Essen. Man hat uns hier vergessen. Wir haben Hunger, wir wollen protestieren. Die Leute sind wütend, viele haben geschrien. Also haben sie sie schnell in ein anderes Camp gesteckt.

Das Management fährt keine klare Linie. Ja, sie haben ein paar Soldaten hergebracht und die sollten uns dann sagen, was wir zu tun haben. Aber ich möchte der Öffentlichkeit sagen: Kommt hier her, sprecht mit uns und hört euch an, was hier wirklich passiert."

Daniel, 41, aus Nigeria, wurde gerade aus Ellwangen in die Landeserstaufnahme-Außenstelle in Giengen verlegt

"Ich war etwa drei Monate in Ellwangen. Dort war es nicht so, wie man es in den Nachrichten gesehen hat. Nachdem einige Leute aus meinem Gebäude positiv getestet worden sind, stellten sie sie in einem anderen Gebäude unter Quarantäne. Nach etwa zwei Tagen kamen die Mitarbeiter zurück und sagten uns, dass nun fast jeder im Gebäude positiv sei. Das war am 8. April. Das Eingangstor hatten sie schon einige Tage davor zugesperrt.

Danach war es unmöglich, sich von infizierten Leuten fernzuhalten. Alle konnten sich weiterhin frei bewegen. Wir stellten uns zum Beispiel in derselben Reihe für Essen an. Erst am Eingang der Küche wurden die Positiven und Negativen getrennt. Auch in den Zimmern lebten, so lange ich da war, Positive und Negative zusammen. Am Anfang waren über 200 positiv, dann über 300. Die restlichen Leute lebten weiterhin zusammen, aßen zusammen, spielten zusammen. Jetzt sind es dort wohl schon über 400.

Ich wurde positiv getestet, aber hatte keine Symptome. Etwa drei Wochen später war mein Test negativ. Am nächsten Tag kam kurz vor drei Uhr jemand in mein Zimmer und sagte mir, dass ich verlegt werde. Der Bus würde in fünf Minuten fahren. In fünf Minuten! Ich dachte, das wäre ein Scherz. Aber die meinten das ernst. Ich schaffte es natürlich nicht rechtzeitig. Aber dann haben sie mich in einen späteren Bus gesteckt und hier hergebracht. Sie gaben uns einen Zettel, der bestätigt, das wir jetzt negativ sind.

Hier im neuen Camp fühle ich mich besser. In Ellwangen gab es viele Probleme. Was die Sauberkeit angeht, aber auch mit Corona.

Ich weiß nicht, wie es in anderen deutschen Unterkünften zugeht. Aber in Ellwangen wurde das Coronavirus sehr schlecht gemanagt. Es war seltsam, dass nicht gleich jeder getestet wurde, sondern nur die mit Symptomen. Und viele von den positiv Getesteten hat nie ein Arzt besucht, ihnen Medizin verschrieben.

Vor Corona gab es gutes Essen – Salat, Obst. Aber danach wurde das Essensangebot dramatisch reduziert. Wir bekamen nur noch etwas Abgepacktes. Genug für ein fünfjähriges Kind, aber nicht für einen Erwachsenen. Ich dachte mir, wollen die unser Immunsystem ruinieren? Aber was soll man tun? Einige Leute wollten demonstrieren. Und genau in dem Moment, kurz vor drei Uhr, wurden wir verlegt.

Ich bin jetzt negativ und danke Gott für mein Leben. Ich glaube, in den meisten Fällen bringt die Angst vor der Krankheit die Menschen um. Wenn du positiv getestet bist und keine Symptome hast, machen dich Angst und Sorgen erst richtig krank. Aber zum Glück musste keiner aus meiner Gruppe ins Krankenhaus, keiner ist gestorben."


Aus: "Corona in deutschen Flüchtlingsheimen: "Am Ende werden wir alle infiziert sein."" Tim Geyer (08 Mai 2020)
Quelle: https://www.vice.com/de/article/k7qex9/coronavirus-in-gefluchtetenunterkunft-ellwangen-bremen

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Quote[...] Um Punkt zehn Uhr tritt der Mundschutz tragende Soldat zur Seite und macht den Weg frei. Die Karawane setzt sich in Bewegung. Langsam rollen die Autos heran, die Chevrolets, Hondas, Jeeps, Toyotas. Immer paarweise fahren sie an der Reihe der Helfer in gelben Schutzwesten vorbei, bis das vorderste aufgefordert wird anzuhalten. Wie in einer Choreografie öffnen sich die Kofferräume gleichzeitig, die meisten automatisch. Während die Motoren weiterlaufen, laden die Helfer die bereitstehenden Kisten ein, immer drei Kartons pro Auto. Inzwischen hat der Regen eingesetzt, aber hier stört das kaum einen. Wer fertig beladen hat, hebt einen Arm und reckt den Daumen in die Luft. Dann rollen die Autos weiter. Keine Hektik, kaum Lärm, die Abfertigung dauert nur wenige Sekunden, dann geht das Ganze von vorne los.

Zwei Stunden wird das an diesem regnerisch-kalten Freitag so gehen, dann hat sich die Karawane aufgelöst, und nur noch einzelne Autos fahren vor. Der große Andrang ist vorbei, auch wenn die Food Bank noch bis 13 Uhr geöffnet hat. 803 Fahrzeuge werden dann Essensrationen erhalten haben, 2409 Kartons mit ungefähr 27 Tonnen an Lebensmitteln. Gereicht hätte es auch für 1000 Fahrzeuge. Die Greater Pittsburgh Community Food Bank hat ganze Arbeit geleistet. Und diese Arbeit wird dringend benötigt. Denn die Folgen der Coronavirus-Pandemie treffen die USA härter als viele andere Länder.

Mehr als 33 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten haben seit Beginn der Krise einen Neuantrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt. Die Arbeitslosenquote ist auf mittlerweile 14,7 Prozent hochgeschnellt. Jeder siebte erwerbsfähige Amerikaner hat derzeit keinen Job. Es könnten noch viel mehr sein, heißt es – die Systeme arbeiten langsam, da die Daten aus den Einzelstaaten zusammengetragen werden müssen. Viele Betroffene haben nicht vorgesorgt: Schon vor der aus der Epidemie folgenden Wirtschaftskrise wären vier von zehn Erwachsenen laut der US-Notenbank aufgrund fehlender Rücklagen von unerwarteten Ausgaben in Höhe von 400 Dollar überfordert gewesen.

Dazu kommt, dass es immer noch Probleme bei der Auszahlung der staatlichen Unterstützung geht. So warten viele immer noch auf ihr Arbeitslosengeld, obwohl es ihnen zusteht. Auch beim Versand der vom Kongress beschlossenen Schecks in Höhe von 1200 Dollar hakt es. Auf einmal sehen sich viele Amerikaner erstmals mit der Frage konfrontiert, wo sie das Geld hernehmen sollen, um ihre Familien und sich selbst zu ernähren – und das in einem der reichsten Länder der Welt.

In einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Studie der Washingtoner Brookings Institution gaben 17,4 Prozent der Mütter mit Kindern im Alter von bis zu zwölf Jahren an, ihnen fehle derzeit das Geld, um ihren Nachwuchs ausreichend zu ernähren. Studienleiterin Lauren Bauer beschrieb in der ,,New York Times", dass jetzt in vielen Familien kleinere Portionen auf den Tisch kämen und viele Kinder Mahlzeiten ausfallen lassen müssten. Mit den Schulschließungen fallen zudem für viele Kinder Frühstück und Mittagessen weg, Essen, das sie zuvor gratis oder subventioniert erhalten haben.

So sind die Food Banks auf einmal ins Zentrum der amerikanischen Gesellschaft gerückt. In den USA gibt es sie seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts: karitative Verteilzentren, in denen gespendete Lebensmittel gesammelt und aufbewahrt werden. Diese Lebensmittel werden lokalen Essensausgaben zur Verfügung gestellt, Tafeln etwa, bei denen bedürftige Familien sich mit Essen versorgen können.

Das erste dieser Zentren gründete John van Hengel 1967 mit St. Mary's Food Bank in Phoenix, Arizona. Ihm hatte eine Frau erzählt, dass sie hinter Supermärkten genügend entsorgte Lebensmittel fände, um ihre zehn Kinder zur ernähren. Van Hengel kam die Idee, ein System zu schaffen, mit dem überschüssige Lebensmittel an Bedürftige weitergegeben werden könnten. Der Bedarf war groß, immer mehr Food Banks wurden eröffnet. Van Hengel schuf ein landesweites Netzwerk, das 1979 den Namen ,,Feeding America" erhielt. Weiter wuchs es in der Rezession der 1980er Jahre, zu einer Zeit, als unter Präsident Ronald Reagan Sozialausgaben massiv gekürzt wurden. Heute ist ,,Feeding America" mit mehr als 200 Food Banks und 60.000 Tafeln das größte Tafel-Netzwerk in den USA.

Der Bedarf ist groß, auch ohne Pandemie: Im Schnitt wendet sich der Organisation zufolge jeder siebte Amerikaner an das Netzwerk. 2019 waren nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums 37 Millionen Menschen im Land von Hunger bedroht; ,,Feeding America" stellte insgesamt 4,2 Milliarden Mahlzeiten zur Verfügung. Seit Beginn der Corona-Krise im März haben 98 Prozent der Food Banks einen gestiegenen Bedarf gemeldet. Das Netzwerk hat seitdem mehr als 42 Millionen Kilogramm Essen ausgegeben – fast 80 Millionen Mahlzeiten. Es ist auch für krisenerprobte Einrichtungen eine völlig neue Situation.

Lisa Scales, Präsidentin der Greater Pittsburgh Community Food Bank, steht an diesem grauen Freitagmorgen unter einer Zeltplane auf der Parkplatzanlage der Pittsburgh Penguins. Vor der Skyline der Stadt parken normalerweise die Fans des Teams, das 2017 den Stanley Cup holte, die wichtigste Eishockeytrophäe der Welt. Die rund 10,5 Hektar großen Parkflächen der Arena stehen derzeit leer, die Corona-Schutzmaßnahmen haben auch den Profisport lahmgelegt.

Scales beobachtet, wie ihre 50 Freiwilligen die Autos befüllen. Jedes Auto erhält die gleiche Menge an Lebensmitteln, egal wie viele Menschen drin sitzen oder zuhause warten: einen Karton mit gefrorenen Lebensmitteln (Fleisch, Geflügel und Fisch), einen mit trockenem Essen wie Pasta, Saucen, haltbare Milch, Bohnen, Thunfisch, Reis sowie einen mit frischem Gemüse und Obst. Das Essen aus den drei Kartons soll für 30 bis 40 Mahlzeiten reichen, also fünf bis sieben Tage bei drei Mahlzeiten am Tag für eine dreiköpfige Familie.

Einen Großteil der Produkte kaufe man selbst, erklärt Brian Gulish, stellvertretender Sprecher der Food Bank. ,,In normalen Zeiten geben wir dafür alle zwei Monate 500.000 bis 600.000 Dollar aus." Im März und April waren es 1,7 Millionen Dollar, rund dreimal so viel. Der Bedarf sei gestiegen, gleichzeitig würden Supermärkte weniger Nahrungsmittel spenden. Dafür hat das Agrarministerium Mitte April ein 19 Milliarden Dollar schweres Hilfsprogramm aufgelegt, von dem drei Milliarden verwendet werden, um Lebensmittel zu bezahlen, die über Food Banks und andere Hilfsorganisationen verteilt werden.

Der übliche Nachweis, dass jemand bedürftig ist, wird dabei nicht verlangt – wie im Fall von Naturkatastrophen. Das macht es für Betroffene leichter, Hilfe anzunehmen. ,,Sie müssen keine Fragen beantworten, wenn sie hierher kommen", sagt Gulish. Immerhin seien 75 Prozent der Menschen, die auf der Website der Organisation nach Essensausgaben suchten, das erste Mal auf der Seite. Nicht jeder spricht gerne über seine Notlage. Ein älterer Mann, der auf dem Parkplatz wartet, bis er dran ist, wiegelt ab: ,,Ich will nicht reden. Ich bin nur hier, um Essen zu bekommen."

Auch Dorothy will weder ihren Nachnamen nennen noch fotografiert werden. Aber sie kurbelt ihr Fenster herunter und erzählt, warum sie hier in der Schlange parkt. Die 34-Jährige sagte, sie habe im Januar ihren Job verloren und derzeit keine Chance, einen neuen zu finden. Als gelernte Biochemikerin weiß sie, wie schwierig auch die nächsten Monate sein werden. ,,Es wird noch eine Weile dauern, bis ein Impfstoff entwickelt sein wird." Sie lebe mit ihren Eltern, die beide bereits in den 70ern und damit besonders gefährdet seien. Dorothy versorgt sie mit Lebensmitteln, geht zur Apotheke oder in die Drogerie, wenn das sein muss. Da das Geld knapp wird, nutzt die Afroamerikanerin nun erstmals eine Essensausgabe. Scham empfinde sie dabei nicht. ,,Jeder braucht mal Hilfe, dafür reihe ich mich hier gerne ein."

Zwei Reihen weiter wartet auch Ron Alvarez geduldig auf den Moment, wo er losfahren kann. Der 49-Jährige, der Mitte der 80er Jahre aus Guatemala in die USA kam und schon lange amerikanischer Staatsbürger ist, fuhr bis zur Krise für Uber Fahrgäste durch den Großraum Pittsburgh. Seit dem 20. März ist er arbeitslos – aber bis jetzt habe er noch keinen Dollar Arbeitslosengeld erhalten. ,,Immerhin ist der Scheck über 1200 Dollar bereits angekommen", sagt Alvarez. Das habe eine Weile geholfen, und von Reis und Bohnen könne man sich ja auch ernähren, sagt er lachend. Aber jetzt sei das Geld aus. ,,Ich habe gerade noch 20 Dollar auf dem Bankkonto. Gott sei Dank gibt es die Food Banks." Auch er nimmt diese Hilfe zum ersten Mal in Anspruch.

Alvarez' Situation ist gleich aus mehreren Gründen angespannt. Er selbst habe Diabetes, erzählt er, seine Frau habe erst im Januar eine Krebsbehandlung beendet, und der ältere seiner beiden Söhne habe Asthma. Eine Risikofamilie. Auch wenn die Wirtschaft wieder anlaufe, wird es für ihn wohl zu gefährlich sein, wieder Uber zu fahren. Aber jetzt, in dieser Krise, einen neuen Job finden? Und dann auch noch einen, den er von Hause erledigen kann? Alvarez ist skeptisch, aber er will optimistisch bleiben. ,,Ich habe gesehen, dass IBM Leute sucht, die für Cybersecurity ausgebildet werden sollen. Das werde ich mir mal anschauen."

Sein Vorteil sei, sagt er, dass er schon öfter dramatische Umbrüche erlebt habe. ,,In Guatemala sind sehr viele Menschen arm. Dagegen geht es uns hier in Amerika doch gut. Und das Wichtigste: Hier habe ich die Wahl, mir auszusuchen, was ich machen will." Der Motor des Nachbarautos startet, es geht los. In aller Ruhe verabschiedet sich Alvarez, ungeduldig wirkt hier keiner.

Das liegt wohl auch an dem ausgetüftelten System. Es ist das dritte Mal, dass auf dem Gelände der Eishockey-Arena Essen ausgegeben wird. Beim ersten Mal Ende März kamen 1300 Autos, sagt Food-Bank-Sprecher Gulish, 400 weitere mussten wieder weggeschickt werden. Inzwischen läuft es runder. Die wartenden Fahrzeuge – zu Fuß darf man nicht kommen – wurden auf drei Parkflächen verteilt, so dass es nicht zu größeren Staus kommt. Den Verkehr regelt die Polizei, und auf dem Parkgelände hilft die Pennsylvania Army National Guard. Bis zu 1000 Fahrzeuge können am Tag abgefertigt werden.

,,Am Anfang tauchten die ersten bereits um 6 Uhr morgens auf, vier Stunden, bevor die Ausgabe begann", erzählt Gulish. Das hat sich verändert, es hat sich wohl herumgesprochen, dass genug für alle da ist. Auch hat sich die finanzielle Lage teilweise entspannt, weil staatliche Hilfen eingetroffen sind.

Die Not ist groß – und die Hilfsorganisation bereitet sich darauf vor, dass es so schnell keine Entspannung geben wird. Chefin Scales geht davon aus, dass der gestiegene Bedarf sich auch noch in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zeigen wird. ,,Selbst wenn die Wirtschaft jetzt wieder hochgefahren wird, wird es nicht so sein wie zuvor." So würde etwa das Gastgewerbe auch weiterhin betroffen sein, weil weniger Menschen reisen oder essen gehen, und damit weniger Angestellte gebraucht werden.

Seit Anfang März hätten sie sich darauf vorbereitet, ,,dass da etwas Großes kommt", sagt Scales. Die ersten Covid-19-Fälle in Pittsburgh wurden in der Woche ab dem 16. März registriert. Die erste große Essensausgabe der Food Bank fand zwei Tage später statt – auf dem Parkplatz des eigenen Verteilzentrums. Die Bilder des kilometerlangen Rückstaus an Fahrzeugen entlang des Monongahela River gingen um die Welt. Eine Million Menschen haben sich die Drohnenaufnahmen im Netz angeschaut, die so gar nicht zu dem Bild der ,,großartigsten Nation der Erde" passen wollte, die Präsident Donald Trump immer beschwört. ,,Am nächsten Tag stattete der lokale Polizeichef mir einen Besuch ab", erzählt Scales. ,,Ich dachte, er wollte schimpfen. Aber er sagte: ,Wir wollen euch helfen, mit dem Verkehr fertig zu werden. Wir wissen, wie groß die Not ist.'"

Die Food Bank gehört schon lange zu Pittsburgh: seit 1980, seit der Stahlkrise, als Hunderttausende ihre Jobs verloren und nicht mehr wussten, wie sie ihre Familien versorgen sollten. Krisen sind nichts Neues in der Stadt, die malerisch zwischen drei Flüssen liegt.

Auch Scales selbst hat viel Leid gesehen: Sie war 2005 in New Orleans, nachdem Hurrikan Katrina die Stadt so fürchterlich getroffen hatte. Und sie war in New York nach den Terroranschlägen am 11. September 2001. ,,Food Banks sind für Katastrophen geschaffen." Aber die jetzige Situation sei einzigartig, eine weltweite Krise. ,,Normalerweise nehmen die Food Banks ihre Arbeit auf, nachdem etwas passiert ist. Hurrikane, Erdbeben oder Waldbrände sind regional begrenzte Katastrophen, Hilfe kann dann rasch von außen ins Krisenzentrum geschickt werden. Hier sind wir im Einsatz, während die Krise sich überall gleichzeitig entwickelt und immer größer wird – und mit begrenzten Ressourcen."

Gerade habe sie erfahren, berichtet Scales, dass 21 Lkw-Ladungen mit Lebensmitteln verspätet seien, teils bis zu vier Wochen. ,,Für die nächsten zwei bis vier Wochen haben wir noch genügend Lebensmittel, aber ich mache mir Sorgen für die Zeit danach." Außerdem gingen zum Beispiel die Preise für Fleisch nach oben. Die Berichte darüber, dass die Lebensmittelversorgung Amerikas an Grenzen komme, kann Scales aus erster Hand bestätigen.

Trotz allem ist die Stimmung auf dem Parkplatz gut. Manche Autofahrer hupen, wenn sie die Freiwilligen passieren, ein Zeichen der Dankbarkeit für die unkomplizierte Hilfe. Das Lächeln der Helfer kann man unter ihrem Mundschutz nur erahnen.


Aus: "Millionen hungern in den USA – Food Banks müssen Lebensmittel verteilen" Juliane Schäuble (11.05.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/coronakrise-verschaerft-die-armut-millionen-hungern-in-den-usa-food-banks-muessen-lebensmittel-verteilen/25819798.html

QuoteMeckerameise 11.05.2020, 21:56 Uhr
Das ist in Deutschland nicht wirklich anders. Hier heißen die Food Banks Tafeln und anstatt in einer Autokarawane stehen die Menschen selbst in der Schlange. Eine Schande für beide Länder, weil beide seit Jahrzehnten immer mehr Zulauf bekommen und sich die Regierungen auf solche Organisationen verlässt anstatt selbst den Missstand zu beheben.


Quote2010ff 11.05.2020, 21:34 Uhr

Reich genug ist die Volkswirtschaft der USA. Das BIP weist die USA - coronabereinigt -  als globale Nummer 1 aus.

Wenn es solch ein enormes BIP gibt - und dann Dutzende Millionen Bürger öffentlich gefüttert werden müssen, dann stimmt die Verteilung des Erwirtschafteten - des BIP - nicht.
Das ist aber nicht neu. ...


...

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Quote[...] Nein, ein soziales, gerechtes Land waren die USA auch schon vor der Coronaviruskrise nicht. Dem grotesken Reichtum der oberen zehn Prozent, die knapp 64 Prozent des Privatvermögens besitzen, stehen eine schrumpfende Mittelschicht und knapp 38 Millionen Menschen gegenüber, die unter der nationalen Armutsgrenze leben. Weder existiert eine allgemeine Krankenversicherung noch eine dauerhafte Grundsicherung für Arbeitslose.

Während sich in den urbanen Zentren für Technologie, Finanzmarkt und Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten wohlhabende Akademikerenklaven bildeten, leidet ein erheblicher Teil des Landes unter dem strukturellen Verfall von Wirtschaft und Infrastruktur. Dann brach die Coronaviruspandemie aus.

Ab Mitte März kam das öffentliche Leben in weiten Teilen der Vereinigten Staaten zum Erliegen. Zwei Monate später zeigen Zahlen das soziale Ausmaß der Pandemie: Für die meisten Reichen und Büroangestellten ist die Krise höchstens ein Ärgernis, für Arme und Arbeiter dagegen eine Katastrophe.

Eigentlich hat man sich an die "Breaking News"-Balken auf den Nachrichtenseiten schon gewöhnt. Jeden Donnerstag, wenn das US-Arbeitsministerium die Neuanträge auf Arbeitslosenhilfe veröffentlicht, wird der Öffentlichkeit das Ausmaß der Wirtschaftskrise erneut ins Bewusstsein gerufen. Auch an diesem Donnerstag waren die Zahlen ernüchternd: Fast drei Millionen Menschen meldeten sich in den vergangenen Wochen arbeitslos. Seit Mitte März haben insgesamt knapp 36,5 Millionen Menschen staatliche Unterstützung beantragt. Eine derart hohe Arbeitslosigkeit hat das Land seit der Großen Depression der Dreißigerjahre nicht mehr erlebt.

Dem Aktienmarkt geht es dagegen erstaunlich gut. Seit der US-Kongress Ende März knapp zwei Billionen Dollar Wirtschaftshilfen für die Unternehmen des Landes bereitstellte, schossen die zuvor eingebrochenen Aktienkurse wieder nach oben. Der S&P-500-Aktienindex, der Mitte März noch auf knapp 2200 Punkte gesunken war, kletterte bis zum Donnerstag wieder auf knapp 2900 Punkte. Das gleicht zwar nicht den Wertverlust seit Februar (Stand am 18. Februar: knapp 3400 Punkte) aus, doch die Absicherung der Wirtschaft durch den Kongress und die Zentralbank Federal Reserve ermöglicht Aktionären in der Corona-Krise einen außerordentlich weichen Fall. Die Milliardäre des Landes haben laut einer Studie des liberalen Institute for Policy Studies ihr Vermögen sogar um zehn Prozent vermehrt.

Ähnlich weich wie für Aktionäre und Milliardäre gestaltet sich die Krise auch für Beschäftigte in der Finanzindustrie. Dort hat sich die Arbeitslosenquote im April im Vergleich zum Vorjahr zwar mehr als verdoppelt, liegt aber noch immer weit unter allen anderen Wirtschaftssegmenten. Generell zeigt sich: Wer einen Bürojob hat, ist weit weniger vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht als Beschäftigte in einfachen Dienstleistungstätigkeiten oder etwa im Baugewerbe.

Eine Katastrophe ist die Corona-Krise jedoch vor allem für Beschäftigte im Gastgewerbe. Hier betrug die Arbeitslosenquote im April fast 40 Prozent. Dabei handelt es sich vor allem um Arbeitnehmer mit Jobs, die ohnehin schlecht bezahlt sind. Mitarbeiter im Gastgewerbe verdienten im April durchschnittlich ohnehin nur 18  Dollar pro Stunde, das sind etwa zwölf Dollar weniger als der mittlere Lohn in den USA.

Bei den Farmarbeitern, oft Hispanics und illegale Einwanderer, hat sich die Arbeitslosenquote dagegen kaum erhöht. Die Lebensmittelversorgung muss schließlich aufrechterhalten werden.

Aufgrund der niedrigen Löhne haben vor allem untere Einkommensschichten kaum Rücklagen, um die Folgen des Stillstands abzufedern. Während 75 Prozent der oberen Einkommensschichten laut einer Umfrage des Pew Research Centers angaben, dass sie mit ihrem Ersparten mindestens drei Monate lang ihre Ausgaben finanzieren können, sind es im unteren Einkommensdrittel nur 23 Prozent. Prekär Beschäftigte verlieren leicht ihre Jobs, leben oft von Gehaltscheck zu Gehaltscheck und können in der Krise oft nicht mal mehr ihre Miete bezahlen.

Einen Mietzahlungsstopp hat der Kongress nicht verabschiedet, allerdings haben viele Bundesstaaten beschlossen, während der Krise keine Räumungsverfahren durchzuführen. In den kommenden Wochen öffnen allerdings in großen Teilen der USA wieder die Gerichte. Es droht eine Welle von Räumungen und eine Massenobdachlosigkeit. Denn selbst wer nach der Wiedereröffnung der Wirtschaft einen Job findet: Ein Mietrückstand von mehreren Monaten ist mit einem geringen Gehalt kaum mehr auszugleichen.

In den Vereinigten Staaten existiert keine allgemeine Krankenversicherung. Nur alte und besonders arme US-Amerikaner sind über staatliche Gesundheitsprogramme abgesichert. Die meisten Beschäftigten beziehen ihre Krankenversicherung über ihren Arbeitgeber. Doch gerade im unteren Einkommensbereich zahlen Arbeitgeber oft nicht für den Versicherungsschutz. Als Alternative bleiben nur selbst finanzierte Obamacare-Policen, die teils überteuert sind und teils keinen umfassenden Schutz gewährleisten. Schon vor Ausbruch der Coronaviruskrise waren knapp 28 Millionen Menschen im Land nicht krankenversichert.

In der Pandemie verlieren nun weitere Millionen Menschen mit ihrem Arbeitsplatz auch ihren Versicherungsschutz: eine Katastrophe vor allem für chronisch Kranke. Sie bleiben auf hohen Behandlungskosten sitzen. Die Robert Woods Johnson Foundation hat errechnet, dass bei einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent mehr als 33 Millionen Menschen über keinen Versicherungsschutz mehr verfügen werden. Im April lag die Arbeitslosenquote schon bei 14,7 Prozent. Steigt die Arbeitslosigkeit weiter, werden laut den Expertenberechnungen zusätzlich mehrere Millionen Menschen ihre Krankenversicherung verlieren. Auf dieses Problem hat der Kongress bisher keine zufriedenstellende Antwort gefunden.

Die Parteispitze der Demokraten und deren designierter Präsidentschaftskandidat Joe Biden wollen private Krankenversicherungen staatlich subventionieren und auch Arbeitslosen erlauben, besagte Obamacare-Policen zu kaufen. Gerade letzteres dürfte für Menschen ohne Einkommen jedoch aus Geldmangel unmöglich sein. Den Vorschlag des linken Senators Bernie Sanders, die staatlichen Gesundheitsprogramme zumindest für die Dauer der Krise allen US-Amerikanern zugänglich zu machen, stieß bei der Führungsspitze der Demokraten auf wenig Interesse.

Zu den Opfern der Krise in den USA gehören auch die Mittelständler. Zwar stellte der Kongress knapp 670 Milliarden Dollar bereit, um Firmen mit weniger als 500 Mitarbeitern zu unterstützen, doch greifen laut Recherchen der Nachrichtenagentur Bloomberg auch große Unternehmen dieses Geld ab. Restaurant- und Hotelketten konnten für jeden Standort eigene Anträge stellen. Anfang April gelang es nach Recherchen der Associate Press sogar 94 an der Börse gehandelten Unternehmen, Gelder aus dem "Paycheck Protection Program" zu beziehen.

Zwei Monate nach Beginn des Corona-Stillstands sind die Mittelstandsunternehmen pessimistisch. Mehr als jedes fünfte fürchtet laut einer Erhebung der US-Handelskammer, innerhalb der kommenden zwei Monate den Betrieb dauerhaft einstellen zu müssen. Laut Angaben der Washington Post haben mehr als 100.000 Kleinunternehmen schon jetzt aufgegeben. Sollte die Entwicklung andauern, dürfte sich die Wirtschaftsstruktur der USA noch weiter zugunsten von Großunternehmen verschieben. Seit Jahrzehnten nimmt der Anteil von Mittelstandsunternehmen am Bruttoinlandsprodukt ab. Die Coronaviruskrise könnte diese Tendenz noch verstärken.


Aus: "Pandemie der Ungleichheit" Eine Analyse von Jörg Wimalasena, New York (16. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/coronavirus-krise-usa-pandemie-soziale-ungleichheit-wirtschaft/komplettansicht

Quoteachwashallo. #1.11

Die USA wurden in Europa, besonders in Deutschland zu einem geeigneten Ablenkungsobjekt entwickelt, um hiesige Probleme auszublenden. Für alle ist etwas dabei. Wer keine Lust zum Denken hat, schließt sich einfach dem beliebten, meist unreflexiven Trump-Bashing an. Das hilft über den Tag ...


QuoteJR71 #1.12


Docupy: Die Vermögensverteilung in Deutschland
WDR . 30.01.2018. 01:24 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. WDR.
Wie weit weg sind die Reichsten von den Ärmsten in Deutschland? Das erklärt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung anhand eines DIN-A4-Blattes. #ungleichland
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/video-docupy-die-vermoegensverteilung-in-deutschland-100.html

Ich fürchte, auch bei uns sind die oberen 10% fein raus. Pleite gehen Kleinstbetriebe in der Krise.
Wahr ist: bei uns gibt es eine Krankenversicherung für alle. Oder vielmehr zwei Systeme.

Und ja, liebe Redaktion: Thema des Artikels ist die Ungleichheit in den USA. Dazu muss man aber auch Vergleichsgrößen haben. Und wo das Thema Ungleichheit angesprochen wird, darf man auch einmal allgemein darüber nachdenken.


Quote
polarapfel #6

"Dem grotesken Reichtum der oberen zehn Prozent, die knapp 64 Prozent des Privatvermögens besitzen,..."

Das mag den Autor und viele Leser ueberraschen, aber auch in Deutschland sind 60% der Vermoegenswerte im Besitz von 10% der Haushalte.

Deutschland und die USA haben im OECD Vergleich eine sehr identische Ungleichverteilung der Vermoegen. In Deutschland liegt das Medianhaushaltsvermoegen niedriger unter dem Durchschnittshaushaltsvermoegen als in jedem anderen OECD Land - mit Ausnahme der USA.

Man sollte sich also in Deutschland mit Analysen zur sozialen Gerechtigkeit nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen - vor allem auch deswegen nicht, weil Deutschland kaum Steuern auf Vermoegen und Vermoegensverkehr erhebt, das in den USA aber der Fall ist. Was meinen Sie, was in Deutschland los waere, wenn Immobilienbesitzer jedes Jahr 1% des Immobilienwerts als Grundsteuer abdruecken muessten! Das ist in den USA nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Beste Gruesse aus Washington State.

[ ... [Es] wird seit Jahren von der Tatsache abgelenkt, dass Deutschland kaum soziale Mobilitaet bietet und Erfolgschancen in Deutschland massgeblich von Herkunft und Wohlstand des Elternhauses bestimmt werden.

Es wird im Zusammenhang mit den typischen USA Bashing Beitraegen auch immer wieder auf die Ungleichverteilung der Einkommen hingewiesen (was tatsaechlich ein Problem in den USA ist) - in erster Linie dient das in Deutschland aber dazu, davon abzulenken, dass in Deutschland das Vermoegen wie in den USA in den Haenden weniger ist.

Die Kehrseite des deutschen Sozialstaats ist, dass man in Deutschland schon mit dem 1,3 fachen des Durchschnittseinkommen anfaengt den Spitzensteuersatz zu zahlen, waehrend der Erbe auf das leistungslose Einkommen seiner Erbschaft oder Schenkung so gut wie gar keine Steuern zahlt. Bund und Laender weigern sich seit Jahren das Urteil aus Karlsruhe zur Reform der Grundsteuer umzusetzen. Ein Blick auf www.bundeshaushalt.de und die Einnahmenseite des Bundes reicht auch, um zu verstehen, warum dieses Ablenkungsspiel laeuft. Der deutsche Sozialstaat ist auf das Schroepfen der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstaetigen angewiesen, denn mit Abstand die meisten Einnahmen hat der Bund aus Lohnsteuern und Soli. Vermoegenssteuern tauchen in der Aufstellung gar nicht auf, so klein sind deren Beitraege. Und die Erbsschaftssteuer steht den Laendern zu. Die Zahlen dazu liegen bundesweit bei weniger als 8 Milliarden EUR. ...]


Quotemamounia #18

"Geringverdienern und Mittelständlern droht der Ruin, der Finanzbranche geht es gut"

Warum über den großen Teich gehen, das trifft doch weitestgehend auch bei uns zu.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Eigentlich infiltrieren sie Schlachthöfe, um Misshandlungen von Rindern und Schweinen aufzudecken. Doch was seine Mitstreiter und er bei ihren Undercover-Recherchen in deutschen Schlachthöfen Schockierendes erlebten, gehe weit darüber hinaus, sagt Friedrich Mülln.

Da seien zum Beispiel die Arbeiter afrikanischer Herkunft, die für 16-Stunden-Schichten, sechs Tage die Woche, im Monat knapp 700 Euro erhielten. Einer verletzte sich, hatte eine tiefe Schnittwunde an der Hand und erklärte seinem Vorarbeiter, er brauche Hilfe. Der Vorarbeiter schickte ihn blutend zurück auf seinen Posten. Er sagte nur: ,,Arbeiten! Arbeiten! Zeit ist Geld!"

... Nun sind Deutschlands Schlachthöfe Corona-Hotspots. Bundesweit haben sich mehrere Hundert Arbeiter mit dem Virus infiziert. Am Sonntagabend wurde der jüngste Fall bekannt: In einem Zerlegebetrieb in Dissen bei Osnabrück, der zu 50 Prozent dem Konzern ,,Westfleisch" gehört, haben sich 92 Mitarbeiter angesteckt. Immer deutlicher wird, dass es sich nicht um Zufälle handelt, sondern um Symptome einer Branche, in der prekäre Beschäftigungsverhältnisse und das Unterlaufen von Mindeststandards System haben.

... Um die eigene Ausbeutung, aber auch die Misshandlungen des Viehs zu ertragen, flüchteten sich viele in massiven Alkoholkonsum. In einem großen Schlachthof in Bayern werde der Kopfschlächter, also derjenige, der für das Betäuben der Tiere und Durchtrennen der Hauptschlagader verantwortlich ist, von seinen Kollegen ,,Weißbier" genannt. ,,Der Mann erscheint schon morgens alkoholisiert zur Arbeit, und zwar täglich."

In einem anderen Betrieb entdeckte Mülln ein verstecktes Lager an Schnapsflaschen. Auch der Tierschutzbeauftragte des betreffenden Unternehmens sei stets betrunken gewesen.

... Die dokumentierten Misshandlungen seien erschütternd, aber nicht überraschend, sagt Sandra Franz. ,,Sie sind eine Folge des Drucks, unter dem die Arbeiter stehen – auch des Tempos, das sie aufrechterhalten müssen, damit der Betrieb mit den Preisen des Markts mithalten kann." Die Menschen ließen die Frustration und Wut über ihre eigene Ausbeutung an den Tieren aus.  ...




Aus: "Das Schweinesystem: Was Insider über die Ausbeutung in der Fleischindustrie verraten" Sebastian Leber (19.05.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/das-schweinesystem-was-insider-ueber-die-ausbeutung-in-der-fleischindustrie-verraten/25840872.html

QuoteLeitstelleZossen 09:19 Uhr

Das ist doch seit Jahrzehnten bekannt - und jetzt geht das große Gejammer los wegen Corona? Vor kurzem wurde man als Vollidiot abgestempelt, wenn man den Konsum von viel billigem Fleisch kritisiert hat - das ist das Problem - in Deutschland muß immer noch viel Fleisch auf den Teller, und das saubillig - ein Land voller Barbaren, die Haustiere halten und gar nicht wissen, was sie da essen. ...


Quotelovejoy 09:18 Uhr

Man muss schon Augen und Ohren fest verschließen um zu glauben, dass dies ein Land ist, in dem WIR gut und gerne leben.


QuoteStefan31 09:13 Uhr

Und wieder ein wunderbares Beispiel dafür, dass der Mensch das schlimmste Tier von allen ist, sich aber gern moralisch über allen stehend fühlt.

Warum nun ausgerechnet jetzt etwas getan werden soll, wo alle Missstände unlängst bekannt waren und fleißig ignoriert wurden, erschließt sich mir zwar nicht, aber ich hoffe inständig, dass sich etwas tut, für Tier und Mensch.


QuoteSenf67 09:01 Uhr
Richtig, die Zustände sind seit mind. 12 Jahren  bekannt, Qual von Mensch und Tier. Aber das ist politisch toleriert und vor allem eingepreist. Jetzt muss man halt leider wieder so tun, als sei man empört. ...


QuoteWisente 08:24 Uhr

Hier wird ja nun wirklich alles zusammengeschmissen was zusammengehört.... Fängt damit an, dass mancher meint, dass es eine humanere Form des Schlachthofs gibt. Das ist leider Unfug, weil der Aufbau und Ablauf des Schlachtens Elemente wie Kälte, Feuchtigkeit, Zeitdruck, Blut und Darminhalt enthält, was es für Mensch und Tier unangenehm macht. Darum gehört Fleischer heute in Deutschland auch zu den unbeliebtetsten Ausbildungsberufen. Dazu kommt, dass man für das Schlachten und die anschließende Grobzerlegung kein derartig ausgebildeten Handwerker braucht, es ist lediglich Spezialwissen für wenige Arbeitsschritte nötig, weshalb die tarifliche Einstufung als Hilfs- und Anlerntätigkeit erfolgt, mit entsprechend niedriger Bezahlung.Trotzdem ist diese für viele Bürger aus Osteuropa so attraktiv, dass sie teilweise seit Jahrzehnten diese Arbeit ausüben! Das Image von Zwang und Sklaverei ist darum unredlich. Genauso ist es merkwürdig, wenn hier Zwei-, Vier- und Achtbettzimmer als unzumutbar empfunden werden. Der Hintergrund ist lediglich, dass die Arbeiter die so möchten, um möglichst wenig zu zahlen. Der Standard entspricht dort Hostels und allgemeinen Gemeinschaftsunterkünften. Wer daran Kritik übt, kennt scheinbar nicht das Arbeitsleben vieler Berufe von Leute mit Berufen im Bau.

Das Hauptproblem vom "billigen Fleisch" ist erstmal der Druck durch die Erzeuger. Diese klagen zwar, aber es stehen Hunderte Konkurenten bereit, weiter "schnelles Fleisch" zu erzeugen, wenn es Preissteigerungen von wenigen Cent gibt. Eben auch, weil es genügend preiswerte Futtermittel gibt. Angebot und Nachfrage könnte man hier nur mit regulativen Eingriffen in den Markt beeinflussen. Was aber z.B. dem Grundgedanken der EU als gemeinsamen Markt widerspricht. Lediglich in Deutschland die Fleischindustrie zu gängeln wird nur dazu führen, dass Parallelstrukturen in Ost- und Südosteuropa entstehen. Wo die Hygiene noch schlechter ist, und Arbeit unter noch schlechteren Bedingungen arbeiten mussten.


Quotesocialkairos 18.05.2020, 21:34 Uhr

Was für ein Albtraum. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland hatten vor der Krise einen Minijob, also eine sogenannte geringfügige Beschäftigung. Geringfügig, ein Begriff, der laut Duden für unbedeutend, nicht ins Gewicht fallend oder belanglos steht. Und die Belanglosen hat es nun offenbar in der Corona-Krise als eine der ersten erwischt. Bereits im März wurde 224.000 Minijobbern spontan gekündigt. Die Kündigungsfrist von sechs Wochen, die auch für Minijobs gilt, wurde in vielen Fällen ignoriert. Die Minijob-Zentrale spricht von einem "erheblichen Rückgang" und erwartet in einigen Wochen eine zweite Kündigungswelle. Die Minijobs zeigen sich als nicht krisenfest. Es ist höchste Zeit, sie abzuschaffen. 

Wer einen Minijob hat, darf bis zu 450 Euro verdienen, ohne darauf Steuern zahlen zu müssen. Auch Abgaben für Kranken-, Pflege- oder Arbeitslosenversicherung fallen nicht an. Und in die Rentenkasse muss nur einzahlen, wer will. Für Arbeitnehmer hat das einen entscheidenden Vorteil: Bruttogehalt ist oft gleich Nettoverdienst. Ursprünglich sollten die Minijobs – im Jahr 2003 von der Regierung Schröder grundlegend reformiert – Schwarzarbeit in privaten Haushalten eindämmen, beispielsweise durch Putzkräfte oder Nachhilfe.

Heute arbeiten die meisten Minijobber in Deutschland allerdings nicht in Privathaushalten, sondern in Hotels, Werkstätten und im Gesundheitswesen. Für viele ist der 450-Euro-Job kein kleiner Nebenverdienst, auf den sie locker mal verzichten können. 4,4 Millionen Deutsche sind auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen, sie haben keine andere Arbeit als ihn. Darunter viele Studierende, Alleinerziehende und Rentnerinnen und Rentner.

Doch in der Krise wird der große Vorteil der Minijobs zum Nachteil: Weil die Minijobber keine Abgaben zahlen, haben sie kein Recht auf Sozialleistungen, weder auf Arbeitslosengeld noch auf Kurzarbeitergeld. Verlieren sie ihren Job, wie es gerade Hunderttausende tun, bleibt ihnen nur die Grundsicherung. Und die Krise zeigt auch: Für Arbeitgeber ist der Minijob letztlich doch nicht lukrativ, nicht umsonst werden diese Stellen nun als erste aufgegeben. Denn entgegen der weitverbreiteten Annahme ist der Minijob für Arbeitgeber keineswegs günstiger als normale Beschäftigungsverhältnisse. Für eine normale Stelle fallen für den Arbeitgeber rund 20 Prozent Steuern und Abgaben an, bei Minijobs mehr als 30 Prozent, weil Arbeitgeber Pauschalabgaben für die Jobs bezahlen müssen. Und das, obwohl der geringfügig Beschäftigte keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat.

Gleichzeitig haben etliche Arbeitgeber das Konstrukt ausgenutzt. Unternehmen hätten ihre Vollzeitstellen durch mehrere Minijobs ersetzt, um flexibler zu sein, kritisiert der Sozialwissenschaftler Stefan Sell der Hochschule Koblenz. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht davon, dass viele Minijobs letztendlich Vollzeitbeschäftigte ersetzen. Schon lange stehen die Minijobs deshalb in der Kritik. Anstatt sichererer Jobs entstehen immer mehr unterbezahlte Ministellen. Statt einer fest angestellten Kassiererin, arbeiten vielerorts nun drei Minijobber. Statt Kellner richtig anzustellen, beschäftigen Restaurants lieber drei Studierende, die sich nicht gewerkschaftlich organisieren, keinen Betriebsrat gründen und auch keine Lohnerhöhungen fordern.

Diese Flexibilität nutzen Arbeitgeber nun in der Krise, um Personal schnell abzubauen. Vor allem für die Menschen, für die der Minijob nicht nur ein netter Zuverdienst ist, ist das existenzbedrohend.

Und die Minijobs haben noch einen weiteren Nachteil: Steigen irgendwo die Tariflöhne, müssen die Angestellten dennoch unter der 450-Euro-Grenze bleiben. Das geht nur, indem sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Aus diesem Grund forderten beispielsweise etliche Unternehmen der Gebäudereinigung Anfang des Jahres, die Minijobs abzuschaffen. Zum 1. Januar hatte sich der Tariflohn für Reinigungskräfte erhöht. Doch weil niemand mit einem Minijob mehr als 450 Euro verdienen darf, mussten mehr als 100.000 Reinigungskräfte ihre Arbeitsstunden reduzieren. Wäre allein ihr Lohn gestiegen, hätten sie die 450-Euro-Grenze überschritten und müssten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Dann aber würde von der Lohnerhöhung durch Steuern und Abgaben kaum etwas übrig bleiben. Auch in der Gastronomie mussten viele Angestellte aus diesem Grund ihre Arbeitszeit verkürzen, nachdem der Mindestlohn angehoben wurde.

Minijobs können also unterm Strich Lohnerhöhungen verhindern. Sie verdrängen reguläre Arbeitsplätze und sind in der Krise für Arbeitgeber eine Belastung. Es ist an der Zeit, das Arbeitsmodell aufzugeben. Experten wie Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und auch die Grünen schlagen beispielsweise vor, Minijobs durch sozialversicherungspflichtige Arbeit zu ersetzen. Und das ist auch der einzig richtige Weg.

Damit die Menschen in Zukunft besser abgesichert sind, müssen sie in die Sozialkassen einzahlen und dadurch Anspruch auf Leistungen haben. Es braucht Arbeitsplätze, die Altersarmut verhindern, weil man mit ihnen die Rentenkasse füllt. Und es braucht eine andere Art von Nebenverdiensten, die ebenfalls steuerfrei und damit attraktiv für Rentnerinnen, Studierende und Alleinerziehende sind.

Um das zu ermöglichen, sollte jede Arbeitsstunde in die Sozialversicherungen einfließen. Gleichzeitig sollte der Staat die Abgaben für geringe Verdienste subventionieren und auf Steuern verzichten, ähnlich wie er das bei den sogenannten Midijobs macht. Dadurch sind seit 2019 Hinzuverdienste zwischen 450 und 1.300 Euro monatlich möglich – mit geringen Abgaben und Steuern, die mit dem Gehalt aufwärts steigen. Im Gegensatz zu den Minijobs sind diese Arbeitsplätze krisenfest: Die Unternehmen können bei den Midijobs Kurzarbeit beantragen, statt Kündigungen auszusprechen. Davon profitieren letztlich alle.


Aus: "Der Minijob ist gescheitert" Ein Kommentar von David Gutensohn (18. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/arbeit/2020-05/arbeitsmarkt-coronavirus-krise-minijobs-450-euro-jobs

Quoteartefaktum #1

>> Es braucht Arbeit, die vor Armut schützt. <<

Genau das wollte man mit der Agenda 2010 nicht.

>> ,,Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. <<

Gerhard Schröder 2005 in Davos. Die Sache hat System. Das war so gewollt.


QuoteEmmas linke Klebe #1.1

Gut bezahlte Jobs lassen sich halt auch nicht so einfach herzaubern, vor allem wenn der Staat sparen muss. Der Niedriglohnsektor war die Alternative zu hoher Arbeitslosigkeit und zum gewaltigen Haushaltsdefizit, die es vor der Agenda 2010 gab. Wir standen damals immerhin bei rund 10% Arbeitslosen.

Die Agenda war eine Verbesserung, wenn auch freilich nicht der ideale Zielzustand. Es hat Staat und Arbeitsmarkt aber immerhin Luft verschafft. Ohne Corona hätten wir daher jetzt mal die Möglichkeit gehabt, mehr zu investieren...das wird nun leider ein paar Jahre aufgeschoben.


Quoteartefaktum #1.3

@Emmas linke Klebe

>> Die Agenda war eine Verbesserung, wenn auch freilich nicht der ideale Zielzustand. <<

Klar. Für Lohndrücker. Das Erpressungspotiental ist deutlich höher. Deshalb muss man Schröder dankbar sein, dass er da mal die Wahrheit gesagt hat. Die sagt man natürlich nicht laut. Stattdessen wird eine schöne Ideologie drumrumgestrickt, warum das angeblich ach so toll und notwendig war. War es ja auch: Für Menschen mit bestimmten Interessen.


QuoteJagelsonn #1.8

"Die Agenda war eine Verbesserung, wenn auch freilich nicht der ideale Zielzustand. "
Fragt sich halt nur für wen?
Alle, diese Politik flankierenden Maßnamen, wie z.B: die Einführung eines Mindestlohnes, sind nicht ungesetzt worden.

Das war beste mögliches Umsetzen von Maximalvorderungen der Wirschaftslobby.
Auf alle Anderen hat man gepfiffen.

Die Ergenisse fallen uns jetzt mit Altersarmut und (Schein)Arbeitsverhältnissen auf die Füsse.

....


Quotegrafschaft1 #1.17

Emmas linke Klebe
nützlicher Niedriglohn
schlichtweg nein:

flächendeckende Lohnsenkungen schädigen den Binnenmarkt und führen fast immer zu mehr Arbeitslosigkeit:
Griechenland, Südeuropa, Tatcherengland, Deutschland 1932....
Ausnahme 1: Irland mit einem fast ausschliesslichen Exportmodell
Ausnahme 2: Deutschland nach 2000: bei einer gemeinsamen Währung vernichtet man im EU Ausland Arbeitsplätze, sichtbar am extremen Exportüberschuss
Früher wurde der Franc, Lira, Drachme abgewertet und es gab wieder ein Handelsgleichgewicht
Deutschland hat sich auf Kosten seiner EU Nachbarn "saniert".
das wird seit Jahren im angelsächsischen Raum, aber auch in Italien heftig kritisiert
Beschäftigen Sie sich einmal mit "beggar by neigbour"... den Nachbarn arm machen Wirtschaftspolitik:
Erfindung Ludwig XIV: Merkantilismus: F produzierte mit Lohndrückerei in Manufakturen günstiger, die Deutschen Lande verarmten, waren auf "Hilfsgelder" angewiesen und verkauften am Schluss pleite ihre Untertanen als Soldaten...


Quotepicealupusiana #1.18

Sozialisten bekennen sich immerhin zur Ideologie.
Neoliberale erzählen immer von Pragmatismus, Logik, Vernunft und Naturgegebenheiten ("Evulotion, der Mensch handelt von Geburt an so").


QuoteRomanu #1.31

Die Verantwortung trägt natürlich die aktuelle Regierung mit. Aber es ist immer wieder wichtig zu erinnern wie SPD und Grüne handelten. Die SPD ist im Übrigen teil der jetzigen Regierung ...


QuotePolitische Mitte #18

Das deutsche Minijobsystem ist ein Unding. Nur Deutschland leistet sich ein solches System in dem Arbeitszeiten geleistet werden ohne dass diese jemals für die soziale Sicherung zählen. Daneben dient es als "Spatz in der Hand" gegenüber der "Taube auf dem Dach" in der Schwarzarbeitsbekämpfung.


QuotePeter Meyer HH #21

Sowas kommt von sowas. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Das Strafverfahren wegen möglicher Marktmanipulation gegen VW-Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch in der Diesel-Affäre soll gegen eine Zahlung von neun Millionen Euro eingestellt werden. Ein Sprecher des Kontrollgremiums von Volkswagen bestätigte am Dienstag eine entsprechende Einigung zwischen den beiden Angeklagten und der Justiz. Zuvor hatte das ,,Manager-Magazin" darüber berichtet.

,,Der Aufsichtsrat der Volkswagen AG begrüßt die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht Braunschweig", hieß es. Diess und Pötsch waren im September vergangenen Jahres angeklagt worden - die Ermittler warfen ihnen vor, im Zusammenhang mit dem Auffliegen des Abgasskandals im Herbst 2015 in den USA Anleger nicht rechtzeitig über das Ausmaß der finanziellen Folgen und drohenden Strafen informiert zu haben.

Rechtsberater des Unternehmens sähen sich nun in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Vorwürfe gegen den Vorstandsvorsitzenden und den Chefkontrolleur nicht begründet seien.

Die Kanzlei Gleiss Lutz, die VW in dem Fall beriet, sei überdies überzeugt, dass Diess und Pötsch auch zivilrechtlich ,,keine Pflichten gegenüber der Volkswagen AG verletzt" hätten. Beide hätten dem Vorhaben, das Verfahren gegen eine Geldzahlung von 4,5 Millionen Euro pro Person einzustellen, zugestimmt. Dies sei auch im Interesse von VW, man habe ,,nach umfassender Prüfung und Abwägung" entschieden.

Aus dem Landgericht Braunschweig, das über die Zulassung der Anklage noch nicht entschieden hatte, gab es am Dienstagabend zunächst keinen Kommentar zu der Einigung.

Auch der frühere VW-Chef Martin Winterkorn ist wegen Marktmanipulation angeklagt, in seinem Fall soll es bisher aber keine Einigung über ein Verfahrensende unter Auflagen geben. Am Tag der Anklage hatte Winterkorns Anwalt Felix Dörr die Vorwürfe ,,mit aller Entschiedenheit" zurückgewiesen: ,,Herr Prof. Dr. Winterkorn hatte keine frühzeitige Kenntnis von dem gezielten Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware in US-Diesel-Pkw", erklärte der Jurist.

,,Wesentliche Informationen, die ihn in die Lage versetzt hätten, bereits bekannte Probleme mit den US-Dieselmotoren zutreffend einzuordnen, erreichten ihn damals nicht." (dpa)


Aus: "Verfahren gegen VW-Spitze soll eingestellt werden" (19.05.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/gegen-zahlung-von-neun-millionen-euro-verfahren-gegen-vw-spitze-soll-eingestellt-werden/25844922.html

QuoteS.Ranke 09:49 Uhr
Eine vertrauensbildende Maßnahme - damit sich Konzerne und ihre Vertreter wieder sicher fühlen können in unserem Land.


Quotecervo 09:53 Uhr
Nur ein Gerichtsverfahren von vielen. Für Konsequenzen ist Deutschland viel zu sehr Geisel der Autoindustrie, leider.

Zur Erinnerung, die deutsche Autoindustrie hat Käufer betrogen und die globale Umwelt kaputt gemacht. BMW, VW und Daimler haben Kartelle gebildet, siehe Spiegel-Titelgeschchte "Das Autokartell". Und alleine VW hat 400 Millionen Euro in Form von Subventionen von der EU erhalten, um einen umweltfreundlichen Dieselmotor zu entwickeln. Und musste das Geld nicht mal
zurückzahlen. "Es sei festgestellt worden, "dass der von der Europäischen Behörde OLAF im Juli 2017 mitgeteilte Sachverhalt nach deutschem Strafrecht nicht strafbar ist und auch nicht mehr verfolgbar gewesen wäre"
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-abgasskandal-diesel-1.4288507


QuoteViehdoktor 07:26 Uhr
Da zeigt sich doch, wie dringend diese norleidenden Konzerne Staatshilfen in der Coronakrise brauchen. wie sollen die solche Spezialisten sonst bezahlen.


Quoteantizyklisches_Kaufverhalten 19.05.2020, 21:30 Uhr

Aha, der Vorwurf, die Amerikaner nicht rechtzeitig über den Dieselbetrug informiert zu haben, ist also ausgeräumt. Bedeutet also demzufolge, die wurden rechtzeitig informiert.
In Deutschland existiert dagegen offenbar noch nicht mal ein derartiger Vorwurf (zumindest im rechtlichen Sinne). Dem deutschen Michel darf der Konzern mit Hilfe und Unterstützung der Behörden die größten Dreckschleudern verkaufen, deren Abgasmessungen nicht das Papier wert sind, auf dem die Werte ausgedruckt werden, ohne irgendwelche rechtlichen Folgen fürchten zu müssen. Im Gegenteil fährt man immer weiter immer höhere Gewinne ein und Niedersachsen als Miteigentümer freut sich. Wen stört es schon, dass dabei ein paar Kinder Zukunftsängste kriegen?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Das Graffito fand sich lange vor der Corona-Krise überall: An Straßenlaternen, Pflanzkübeln, Sicherheitsbarrieren und sogar an einen Bagger wurde es gesprüht. "THE RiCH KiLLD NYC" – die Reichen haben New York getötet.

Wer dahintersteckt, ist unklar. Aber das Gefühl teilten viele. Wohlhabende Zuzügler verdrängten in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Luxusapartements Menschen, die sich die teuren Mieten nicht mehr leisten konnten. Altbekannte Läden mussten den Ablegern internationaler Ketten weichen, verrauchte irische Pubs verschwanden zugunsten von In-Lokalen im Instagram-Look.

Am Südrand des Central Parks, den sein Schöpfer Frederick Law Olmsted einst als "demokratischen Ausdruck von höchster Bedeutung" entworfen hatte, erhebt sich nun eine Steilwand aus Wohntürmen. New Yorks Normalverdiener nennen sie "Billionaires Row", die Straße der Milliardäre. Der 90 Stockwerke hohe One57 ist so massiv, dass er im Winterhalbjahr die Mittagssonne blockiert und die Schaukeln des Spielplatzes dahinter in einen tiefen Schatten versenkt.

Die steigende Transparenz der Finanzbehörden in Steueroasen wie der Schweiz hatte New Yorks Immobilienmarkt noch attraktiver gemacht. "New Yorks schickste Wolkenkratzer sind die neuen Nummernkonten", ätzte einmal die New York Post. "If I can make it here, I can make it anywhere", hatte Frank Sinatra einst gesungen, doch zuletzt galt: Wer es in New York nach oben schaffen wollte, musste schon woanders erfolgreich gewesen sein. Der Boom der Ultra-Luxus-Immobilien hatte direkte Folgen für den Rest der Stadtbewohnerinnen und -bewohner.

Doch kaum hatte Covid-19 im März die Stadt erreicht, flohen die Wohlhabenden. 420.000 New Yorker, etwa fünf Prozent der Bevölkerung, packten zwischen Anfang März und Anfang Mai ihre Koffer – vor allem Menschen aus den Postleitzahlgebieten mit den höchsten mittleren Einkommen, wie die New York Times feststellte: Dort wurden Smartphones seltener genutzt und weniger Müll produziert.

Mehr als 40 Prozent der Bewohner verließen demnach die noble Upper East Side, wo Banker und Hedgefonds-Manager ihre Apartments haben. Auch das West Village, wo Entertainment-Größen zu Hause sind, leerte sich. Was sie einst anzog – die vielen Menschen aus aller Welt, die auf engstem Raum zusammenleben –, versetzt sie nun in Panik.

Sie fürchte sich davor, während einer Epidemie auf so einer dicht besiedelten Insel zu bleiben, gab eine Investmentberaterin zu, bevor sie sich auf unbestimmte Zeit verabschiedete. Die Mitarbeiterin eines Vermögensverwalters ging ins waldige Vermont, "der Kinder wegen". Er sehe keinen Grund zurückzukehren, ließ ein Börsenhändler wissen, der sich bis zur Corona-Krise ein Leben woanders gar nicht vorstellen konnte.

Viele der Geflohenen sehen das offenbar ähnlich. Während der Immobilienmarkt in New York City praktisch zum Erliegen gekommen ist, überbieten sich die Interessenten in den grünen Vorstädten und den Hamptons, der Goldküste am Atlantik, zwei Autostunden entfernt. Villen mit Swimmingpool sind besonders begehrt.

Für die Zurückgebliebenen wurden die Sirenen der Krankenwagen zum neuen Soundtrack der City. Die Bilder der Kühlwagen, in denen sich Leichen stapelten, waren weltweit zu sehen. 23.700 New Yorker sind inzwischen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Die Zahl der neuen Ansteckungen und der täglichen Toten mag abgenommen haben, die ökonomischen Folgen haben gerade erst begonnen. 900.000 Jobs sind allein seit Anfang März vernichtet worden. Einer von vier Einwohnern leidet Hunger.

Während die Not täglich schlimmer wird, fehlen der Stadt die Mittel, sie zu bekämpfen. Der Steuerausfall über die kommenden zwei Jahre werde sich auf mehr als neun Milliarden Dollar belaufen, prognostizierte Bürgermeister Bill de Blasio. Der U-Bahn, auf die vor allem Bewohner in den bezahlbareren Gegenden angewiesen sind, drohen ebenfalls die Mittel auszugehen, sollte eine Kapitalspritze von 7,8 Milliarden Dollar aus Bundesmitteln ausbleiben.

Jetzt wären die Reichen nötiger denn je, ihre Steuern, ihre Spenden. Bereits ihre bloße Anwesenheit würde helfen. Schon einmal, in den Siebzigerjahren, erlebte New York die Folgen eines ähnlichen Exodus. Die Stadt wurde auf Jahrzehnte von Armut und Kriminalität heimgesucht. Erst Ende der Achtzigerjahre begann die Erholung.

Nicht zuletzt durch Donald Trump, der mit dem Bau seines Trump Tower mit dem viel geschmähten rosa Marmor in der Empfangshalle wieder Glanz und Glitzer an die Fifth Avenue brachte. Doch der Präsident, in seiner Heimatstadt unbeliebt wie sonst kaum irgendwo, hat seinen offiziellen Wohnsitz bereits letztes Jahr nach Palm Beach verlegt, der Reicheninsel Floridas. "THE RiCH KiLLD NYC" war als Kritik gedacht. Nun droht es zur Prophezeiung zu werden.


Aus: "Die Reichen haben New York getötet" Eine Kolumne von Heike Buchter (1. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-05/new-york-coronavirus-krise-wirtschaft-gentrifizierung-immobilien

QuoteLisa Maier #1

Seltsamer Kommentar. Will man Menschen wirklich zum Vorwurf machen, dass sie sich vor einer Pandemie in Sicherheit gebracht haben?


QuoteBinane #1.17

Es ging darum herauszustellen das "Stadt" und insbesondere die Identität einer Stadt vor allem ein soziales Konstrukt ist. Aber das werden Sie und viele Ihrer "Unterkommentatoren" nicht begreifen.


QuoteSpökenkieker #1.7

Es geht im Artikel um die Folgen extremer Gentrifizierung. Die Hyperreichen, die maßgeblich dazu beitragen, dass New York außer für gute Geschäfte ein zunehmend lebensfeindlicher Ort ist, ein städtebauliches Desaster, ein Ort dessen Mieten sich die Masse der Armen, die aber auf die Arbeit im Umfeld der Geschäfte der Reichen angewiesen sind, kaum leisten können. Die Folge: Die Reichen ziehen an ihre 2.-Wohnsitze weiter, die Armen bleiben hängen in einer lebens-, familienfeindlichen überbevölkerten steinernen Masse, sind maßgeblich von der Pandemie betroffen, gegen die der empathielose Trump-Staat der Reichen keine ausreichenden Maßnahmen getroffen hat, haben großteils ihre Arbeit verloren, können ihre Miete nicht mehr zahlen, geschweige denn "sich vor der Pandemie in Sicherheit bringen". Man muss halt den ganzen Kommentar lesen, ohne einen Aspekt aus dem Zusammenhang zu reißen.


QuoteSommerrolle #2

Wir befassen uns gerade - aus gegebenem Anlass - sehr intensiv mit den USA und vergessen dabei, dass fast alle dort existierenden Probleme auch bei uns angelegt sind.


Quoterudolf s #2.22

Jup, passt auch super auf Hamburg


QuoteKati Du #4.7

Schuld sind nicht Individuen, sondern eine Gesellschaft, die nicht erkennt, dass man manchmal besser lebt, wenn man auch leben lässt.
Unter Eisenhower hatten die USA einen heute unvorstellbaren Sozialstaat. Dessen Demontage hat unter Reagan eingesetzt und wurde seither von jedem Präsidenten voran getrieben. Besonders bemerkenswert: Bill Clinton. Dessen Programm war im Prinzip "Agenda 2010 am Potomac" (unter anderem Beschränkung der Wohlfahrtsbezüge auf 5 Jahre).

Genauso wie es keinen Sozialismus mit menschlichem Antlitz gibt, gibt es auch keinen menschlichen Kapitalismus.
Und es eine "marktkonforme Demokratie" gibt es auch nicht, es gibt nur einen demokratiekonformen Markt.
Aber da in der Politik das Image des Botschafters und nicht der Inhalt der Botschaft zählen, merken wir vermutlich erst, wenn es zu spät ist.


QuoteEasyReiter #4.12

Das ist mir zu dünn. Bevor sie fleißige Steuerzahler wurden, haben diese 5% sämtliche fundamentalen Regeln gemacht, die ausschließlich ihnen selbst dienlich waren und nebenbei die schönsten Schollen erworben. Sie waren lediglich durch den Umstand, dass sie anschließend Geld in die Stadtkasse gezahlt haben, plötzlich systemrelevant. Jetzt sind sie weg und haben offensichtlich keinerlei tragfähige Struktur hinterlassen, die auch ohne sie funktioniert. Den restlichen 95% traue ich schon zu, dass sie sich untereinander einig werden können und sich gegenseitig versorgen. Wenn es nur am Geld hängt, ist etwas fundamental kaputt. Eigentlich wünsche ich mir, dass diese Personen noch lange in den Hamptons, Vermont, Montana, Folorida oder sonstwo bleiben. Das würde sich nämlich auch ohne Investmentberater wieder eingrooven, es käme tatsächlich auf einen Versuch an. Aber diese "Helden/Heldinnen" können meiner langjährigen Erfahrung nach nicht lange die Füße stillhalten, spätestens vor Weihnachten wollen die wieder ihr busy Business machen und sich vom Rest der Bevölkerung feiern lassen. Sie haben ja auch nichts anderes gelernt... Und wie mein Vor-Kommentar bereits treffend feststellte: "Same Deal in Germany", wenn auch zum Glück nicht ganz so krass wie "drüben".


QuoteCarlitoJ

Literaturtipp - Jeremiah Moss: Vanishing New York

Eine großartige präzise und dabei sehr gut zu lesende Analyse des Wandels der Stadt.
Zum Artikel passender Untertitel: How a Great City lost Its Soul.


Quoteeurobaer #11

NYC in der corona-Zeit als Bilderbuchbeispiel wie grenzenloser Kapitalismus eine Gesellschaft spaltet. Aber gerade NYC kennt das ja seit über 100 Jahren.


QuoteHebenstritz #16

Wo liegt denn das Problem? Ok, die Reichen haben bestimmte Stadtteile zu teuren und auffälligen Gegenden gemacht. Wenn 5% der Bevölkerung erstmal weggezogen sind und das zu einem Thema gemacht wird, scheint das aber kein großer Anteil an der Gesamtbevölkerung zu sein.

Was erwartet man denn? Eine Stadt mit verrauchten Kneipen und Billigläden mit 99% Durchschnittsverdienern, während das übrige 1% Gutverdiener hier und da mal eine Luxuswohnung zwischendrin bewohnt, aber gerne dem Einkommen angemessene Steuern zahlen und fleißig spenden soll?

Das klingt eher stark nach Sozialneid und Frust über das eigene Leben, als dass die Reichenviertel die Stadt töten. Wie kann man denn die finanziellen Vorteile durch Wohlhabende für das städtische Sozialwesen wollen, aber gleichzeitig verlangen, dass die Reichen auf ihre speziellen Vorlieben wie In-Lokale verzichten?

Der Artikel zeigt wohl eher eine ziemlich peinliche Doppelmoral. Was würde denn positiv verbessert, wenn die schicken Luxus-Wohntürme zu Wohntürmen für zuziehende Geringverdiener würden? Die In-Lokale zu Pommesbuden?

Eine Stadt ohne Reiche, also ohne Subventionsmittel, geht finanziell zugrunde, ist die Aussage des Artikels. Aber Hauptsache, man kann wieder in der verrauchten Kneipe sitzen?


QuoteEinerderganzgroßenTourenklassiker #19

"Die Reichen haben New York getötet"

Nicht, dass ich besonders links wäre, es ist der hemmungslose Kapitalismus, der New York und andere Städte zerstört hat. Die Reichen sind ein Symptom. Es ist hemmunglose Gier, die die Gentrifizierung antreibt und ein System das es zulässt.

Unterstützt von den Notenbanken, die eine Geldschwemme erzeugen, von denen die profitieren, die sowieso schon viel haben. In kleinerem Maßstab sieht man auch hier, wie die Immobilienpreise und in Folge Mieten seit "what ever it takes" (2012) durch die Decke gegangen sind und die Gesellschaft gespalten wird in Leute die eine Immobilie haben und solche, die sich keine mehr leisten können und den hohen Mieten ausgeliefert sind.

Die USA sind da natürlich sehr viel weiter auf dem Weg. ...


Quotegerhen #20

NY hat schon immer von den reichen gelebt, ohne sie gäbe es kein NYC. Daher ist diese Aussage etwas sinnlos, dass der Reichtum NY getötet hätte.
Wer es vorzieht, nicht mit Reichen in der Nachbarschaft zu leben, der kann nach Detroit ziehen, da hat er diese Probleme ganz sicher nicht.
Ohen das Geld der reichen Bürger wäre NYC niemals das geworden, was es ist, das scheint die Autorin völlig zu übersehen.


Quotedeep_franz #21

Der Markt regelt alles zum Besten. War nicht so das Credo und die Lobpreisung? ...


QuoteRentierhund #24

...man muss es vielleicht nicht als "vorwurf" lesen, sondern als empirisch belastbare zustandsbeschreibung: die reichen und superreichen verlassen das sinkende schiff, derweil die armen verrecken.
das sind im übrigen keine neue erkenntnisse, sondern so etwas ist auch hinsichtlich der ökologischen krise zu beobachten. die reichen kaufen weltweit land, teilweise sogar ganze inseln, schaffen sich da ihre eigenen refugien - und wenn die klimakatastrophe über die menschheit hereinbricht und dieselbe hinwegrafft, dann werden sie dort noch einige generationen lang überleben. und was corona anbelangt, so ist die lage geradezu dystopisch. ein new yorker arzt merkte jüngst an: ,,Es sind nicht die Reichen – diese Krankheit tötet die Armen. Sie nennen es ,wahllos'. Das ist es aber nicht. Die Armen sterben, weil sie ihr Haus verlassen und zur Arbeit gehen müssen."
und all das sind keine vorwürfe, sondern schlicht wirklichkeits-beobachtungen und ihre wiedergabe. wenn man die aber nun als vorwurf begreift, dann sollte man einmal darüber nachdenken, was es mit diesen beobachtungen auf sich hat, wenn man sie bewerten würde...


QuoteSabine K. #27

Das ist ein Phänomen, das leider weltweit ststtfindet. Hier kann nur gute Städtebaupolitik sowas verhindern. Ich lebe in München. Auch hier wird ein Stadtteil nach dem anderen von Investoren übernommen, luxussaniert und hochpreisig vermietet. Es fing mit Schwabing an (ehemals Künstlerviertel), Haidhausen, Glockenbachviertel, jetzt sind Westend und Untersendling dran. Arbeiterviertel, Künstlerviertel. Die durch genau ihre Mitbewohner einen besonderen Charme bekommen haben und dadurch interessant wurden für Investoren.
Und die wenig - aber auch normal Verdienenden werden inmer weiter an den Rand gedrängt, die Viertel verlieren ihren Charme. ...


QuoteTertius #29

All jene hier im Forum, die die Reichen verteidigen, die Verständnis dafür äußern, dass sie sich vom Acker machen und während der Corona-Krise lieber gesund und ungefährdet am Pool in den Hamptons liegen, als sich der Gefahr New Yorks auszusetzen, haben natürlich recht.
Wer könnte schon erwarten, dass jemand mit viel Kohle aus Solidarität mit der armen Unterschicht in NY bleibt und sich freiwillig ansteckt.
Und dennoch haben die Verteidiger hier im Forum nichts verstanden.
Es geht nämlich garnicht darum, von den Reichen zu fordern, dass sie sich gefälligst genauso anzustecken hätten, wie die Armen.
Es geht (1.) um eine Analyse, was geschieht, wenn man es ohne Kontrolle und politische Regulierung zulässt, dass Finanz-Heuschrecken über eine Stadt herfallen, sich alles einverleiben und sie sich bei drohender oder eintretender Gefahr einfach wieder selbst überlassen.
Und es geht (2.) darum, dass diese Leute von ihren politischen Fürsprechern davon befreit sind, sich an den Kosten des Gemeinwesens angemessen zu beteiligen.
Wenn hier in unserem Land von der Finanzelite und ihren politischen Unterstützern gegen Mietendeckel polemisiert wird, geht das in exakt dieselbe Richtung. ...


QuoteSo denke ich dazu #29.2

Ja, den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf...

Jeder ist seines Glückes Schmied. Und sucht sich selbst den Ort seines Glückes.

Warum können Investoren/Finanz-Heuschrecken über eine Stadt herfallen, sich alles einverleiben und sie sich bei drohender oder eintretender Gefahr einfach wieder selbst überlassen?
Was passiert wenn dort wo "gentrifiziert" wird keiner hin will?
Das Problem ist Angebot und Nachfrage.

Sie präferieren sozialistische Strukturen.
Nur - dann gibt es keine Investoren und Reiche. Und keine neuen Häuser.
Nur graue zerfallene Bauten.
Hatten wir schon.
'49- '89.


QuoteBenjaminWoxbrandt #41

Erstaunlich, wie gering hier im Kommentarbereich die Kompetenz zum Erkennen von sozialpolitischen und ökonomischen Zusammenhängen ist. Dass die Eigner großer Kapitalmengen erst durch überflüssige Bullshit-Jobs wie Vermögensberater oder Investmentbanker zu diesem Kapital geworden sind, ist doch einfach zu sehen, dass sie mit diesem Kapital Menschen verdrängen, deren Arbeitsinhalt nicht Bullshit ist (Krankenschwestern, Handwerker, Lehrerinnen), ebenso, und dass das alles mit einer hochproblematischen instrumentellen Ökonomisierung unserer Gesellschaft zusammenhängt, ist auch ganz gut zu erkennen.
In welcher Welt leben Sie denn, dass Sie für Menschen sympathisieren, die auf abstruse Weise Geld vermehren und mit ihren Hochhäusern den anderen die Mittagssonne wegnehmen können?


QuoteU. Hermes #50

Wenn die Strukturen so kaputt sind, dass die Reichen auf ungesteuerte Weise die Armen ausbeuten, dann ist das so. NY war nie anders und genau das wurde international als besonders hipp gefeiert.

Ich war 2014 das letzte Mal da und habe diverse soziale Einrichtungen besucht, u.a. einen Shelter für Obdachlose in Harlem. Gewohnt habe ich in Chinatown.
Das war absehbar und die Reaktion der Reichen, denen alles egal ist, auch.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Chiles Gesundheitsminister scheint sein eigenes Land nur schlecht zu kennen. ,,Ich hatte keine Ahnung vom Ausmaß der Armut und der Enge, in der diese Menschen zusammenleben", sagte Jaime Mañalich vor wenigen Tagen.

Er sprach jüngst über die Armenviertel am Rande der Hauptstadt Santiago de Chile. Sie erweisen sich derzeit als eines der großen Probleme beim Versuch, das Coronavirus einzudämmen.

Denn rund 15 Prozent der Chilenen, die infiziert sind, gehen mindestens einmal pro Woche arbeiten, wie eine Studie der Universidad de Chile zeigt. Es sind Menschen, die im informellen Sektor beschäftigt sind und ohne ein wenig Einkommen nicht überleben könnten.

Ihre Wohnverhältnisse wiederum sind so beengt, dass sich das Coronavirus in ihren Vierteln explosionsartig ausbreitet. Wegen der prekären Situation kam es Ende Mai bereits zu Protesten in einigen Armensiedlungen an der Peripherie Santiagos. Es gab Plünderungen und Festnahmen.

Sie zögen es vor, am Coronavirus zu sterben als zu verhungern, sagten die Demonstranten der spanischen Zeitung ,,El País". Wie in anderen Ländern Lateinamerikas zeigt sich auch in Chile, dass die Armut eins der größten Hindernisse ist, um die Kurve der Covid-Infektionen abzuflachen.

Derzeit verzeichnet Chile mehr als 105.000 Covid-19-Fälle und fast 1200 Tote. Es sind zwar Zahlen, die weit unter denen Brasiliens liegen, das in Südamerika die Statistik der Kranken und Toten anführt. Dennoch zählt auch Chile zu einem der Krisenherde der Pandemie, weil die Rate der Ansteckungen immer noch stark steigt.

Es wird nun befürchtet, dass Chiles Gesundheitssystem mit der Zunahme gravierender Fälle ans Limit geraten könnte.

Gesundheitsminister Mañalich hat zugegeben, dass man mit diesem Szenario nicht gerechnet hatten. ,,Unsere Projektionen sind wie ein Kartenhaus zusammengefallen", sagte er. Chiles Regierung hatte eigentlich schon Ende April damit beginnen wollen, die strengen Quarantänemaßnahmen zu lockern und die ,,sichere Rückkehr" zu einer ,,neuen Normalität" zu verkünden. Diese ,,Normalität" will sich jedoch bis heute nicht einstellen.

Wegen der Krise hat der konservative Präsident Sebastián Piñera nun die Opposition trotz großer Animositäten zur Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans eingeladen. Wie überall in Südamerika hat die Pandemie auch Chiles Wirtschaft besonders hart getroffen.

Der Zentralbank zufolge schrumpfte sie im April um 14 Prozent, ein ,,einmaliger" Negativwert, wie die Regierung geschockt betonte. Sie hat bereits ein Paket zur Stimulierung der Wirtschaft in Höhe von 17 Milliarden Dollar präsentiert, das Kredite für Kleinunternehmer vorsieht sowie finanzielle Hilfen für die Arbeiter im informellen Sektor.

Außerdem sollen 2,5 Millionen sogenannte Lebensmittelkörbe verteilt werden.

Präsident Piñera ist offenbar bemüht, eine Wiederholung des Szenarios von Ende 2019 zu verhindern. Damals gingen Millionen Chilenen wochenlang für eine gerechtere Nation auf die Straße. Das Land zählt zu den wirtschaftlich stärksten Ländern Südamerikas, doch der Reichtum ist extrem ungleich verteilt.

Selbst Angehörige der Mittelklasse müssen ums Überleben kämpfen, weil die Lebenshaltungskosten unverhältnismäßig hoch sind. Auch für Bildung und Gesundheit müssen sie enorme Summen aufwenden, weil beide privatisiert worden sind.

Die Demonstrationen mündeten in teils extremer Gewalt, zwei Dutzend Menschen starben, mehr als Tausend wurden verletzt. Schließlich einigte sich Präsident Piñera mit der Opposition auf ein Referendum über eine neue Verfassung, in der auch soziale Rechte verankert werden sollten.

Sie sollte die alte Verfassung ersetzen, die noch aus der Zeit des Diktators Augusto Pinochet stammt. Das Referendum war für den 26. April angesetzt. Dann kam Corona – und stellte das Land vor eine neue Herausforderung, ohne dass das Verfassungsproblem gelöst war. Die Volksabstimmung ist nun für Oktober geplant

Der Wirtschaftsrat für Lateinamerika und die Karibik warnt davor, dass sich durch die Coronakrise weiterer sozialer Sprengstoff in Chile ansammeln dürfte, weil sie die strukturellen Defizite des Staates offenbare. Selbst Chiles Gesundheitsminister wird offenbar auf diese gerade aufmerksam.


Aus: "Pandemie in Chile: ,,Wir sterben lieber am Virus als zu verhungern"" Philipp Lichterbeck (04.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/pandemie-in-chile-wir-sterben-lieber-am-virus-als-zu-verhungern/25887060.html

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Quote[...] 18 Etagen, 400 Wohnungen – Göttingens Iduna-Zentrum gilt als Infektionsherd. Und ist ein idealer Nährboden für Vorurteile.

... Ein Virus befällt, wen es kriegen kann. Trotzdem haben Seuchen einen Klassencharakter. Zwar verbreitete sich das Coronavirus offenbar zunächst mit heimkehrenden Après-Ski-Feiernden aus Ischgl quer durch Europa.

Seit einigen Wochen aber trifft es die reiseaffinen Mittelständler seltener, sondern infiziert diejenigen, die oft als einkommensschwach und kinderreich, als am gesellschaftlichen Rand lebend bezeichnet werden. ...  In geschlossenen Räumen ist die Gefahr deutlich größer als in einem Garten. Wo enger zusammengehockt, diskutiert, gelacht, gesungen, geweint wird, da überträgt sich das Virus eher.

... Auch in Deutschland gilt, das beobachtet Sozialmediziner Trabert, dass die eigene Familie für arme Menschen, für diejenigen, die nicht über anerkannte Jobs und vielfältige Kontakte verfügen, oft einen höheren Stellenwert hat. In ihr träfe man diejenigen, die noch zu einem hielten. Sperrstunden und Kontaktverbote erschwerten das Leben sozial Benachteiligter stärker, als sie das von besser Verdienenden beeinträchtigten.

...


Aus: "Corona-Ausbruch in Göttingen – ein Virus mit Klassencharakter" Hannes Heine (11.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/die-burg-der-beschuldigten-corona-ausbruch-in-goettingen-ein-virus-mit-klassencharakter/25905638.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Da ist also der Vater, ein Hilfsarbeiter und Proletarier, der säuft, schlägt und prügelt – seine Kinder, die Frau, der er in der Schwangerschaft in den Bauch tritt, wie später auch seiner Tochter, die daraufhin mit ihm bricht und in die USA flieht.

Die Mutter, sie ist vielleicht die eigentliche Heldin in dieser erschütternden wie erbauenden Geschichte, ergibt sich weitgehend diesem Leben aus Erniedrigung und Gewalt, sie ist depressiv, zeigt in einigen Momenten aber eine entwaffnende Empathie und Liebe.

Man ahnt, warum sie einst den Wunsch hatte, Dichterin zu werden. Die Lyrik, die Literatur, das Schreiben sind der Schlüssel in dieser wuchtigen und herzzerreißenden Erzählung von Christian Baron, in der es um nichts anderes geht als um sein Aufwachsen, sein Leben in einer Familie, die manche wohl als "asozial", abgehängt" und "unterschichtig" bezeichnen würden.

Denn der Autor lernt von dieser Empathie, sie zerrt ihn heraus aus diesem Horror in der deutschen Stadt Kaiserslautern – in ein anderes Leben. Er studiert, er schreibt, er wird Journalist. In seinem Buch Ein Mann seiner Klasse (Ullstein) versucht er, zu begreifen, wo er eigentlich herkommt, wie er geworden ist, was er ist – schreibend und nachfühlend.

Anders als Didier Eribons Rückkehr nach Reims lotet Baron, der bei der Berliner Wochenzeitung Freitag arbeitet, sein Aufwachsen ausschließlich erzählend aus. Es gibt keine soziologische Erklärungsmodelle und kaum Reflexionsanstrengungen, auch keinen politisch-ideologischen Überbau, der auf eine allzu klare, womöglich allzu eindimensionale Botschaft und irgendwie eindeutige und erlösende Erklärung hinauslaufen würde.

Die Literatur ist das richtige Mittel der Wahl, um Zwischentöne, Widersprüche und Ambivalenzen deutlich zu machen. Die muss man aushalten können, wenn man sich auf Barons Lebensspuren begibt.

Da gibt es beispielsweise die Szene, als der kleine Christian, nachdem seine Geschwister und er tagelang nichts zu essen bekommen haben, verzweifelt mit den Fingernägeln den Schimmel von der Wand im Kinderzimmer kratzt und isst, um den Hunger zu stillen, während sein Bruder ihn ängstlich beobachtet, weil er befürchtet, Christian könne daran sterben.

Als die Mutter wieder einmal zum Opfer eines Gewaltanfalls ihres Mannes wird, sitzt sie tagelang apathisch auf der Couch. Ihr Sohn Christian tut nichts anderes, als sich zu ihr zu legen, sie schweigend zu umarmen, um sie aus ihrem Zustand wieder erwecken zu können. Was ihm auch gelingt: "Sekunden später kraulte mich eine Hand. Ich hob den Kopf und blickte in Mamas lächelndes Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen, stand sie auf, begleitete mich händchenhaltend ins Bett und drückte mir einen Gutenachtkuss auf die Stirn."

An einer anderen Stelle wird Christian ins Krankenhaus gebracht, er spuckt Blut, er wird siebenmal operiert, die Ärzte geben ihn schon fast auf.

Und wer ist es, der bei seinem todkranken Sohn wacht und nicht von seiner Seite rückt? Der Vater, dieses vermeintliche Monster und Scheusal: "Mein Vater war da. Er hatte mir das Leben gerettet. Seine sich mit Rasierwasser vermengende Alkoholfahne duftete für mich tausend Mal besser als jeder Teller Spaghetti Bolognese."

Es sind diese Momente im Buch, die den Leser sprachlos zurücklassen, die einen wütend machen, die aber auch von beschwichtigender Kraft sind. Neben der empathischen Aufschlüsselung eines Lebens hat das Buch noch andere Erzählstränge, die nur angedeutet werden.

Christian Baron versucht, sie in seinen vielen Interviews auszuformulieren: So gebe es in Deutschland nur wenige Empathieanstrengungen, sich mit anderen Milieus gesellschaftspolitisch adäquat auseinanderzusetzen. Stattdessen herrschten Vorbehalte und die Tendenz zur sprachlichen Abkanzelung, was sich mitunter Parteien wie der AfD zunutze machen.

Überhaupt sei das Klassen- oder Milieubewusstsein ausgeprägter als man zugeben würde, was Baron an seiner eigenen schmerzhaften Zerrissenheit erklärt. Dann ist da die geringe soziale Durchlässigkeit und die fehlende Unterstützung von Kindern aus sozialschwachen Familien, die seit vielen Jahren in Deutschland kritisiert wird.

Im Deutschlandfunk Kultur sagte Baron: "Ich sehe mich eher als Ausnahme. Ich hätte Einstein sein können und hätte es ohne fremde Hilfe trotzdem nicht geschafft. Wer annimmt, dass jeder, der möchte und sich anstrengt, in Deutschland es schaffen kann zu studieren, der muss ja angesichts der Zahlen annehmen, dass man automatisch oder von Natur aus dümmer ist, wenn man in einem nicht-akademischen Elternhaus geboren wird, als wenn man in einem Haus voller Bücher aufwächst. Das ist eine biologische Argumentation von Erblichkeit von Intelligenz." (Ingo Petz, 13.6.2020)


Aus: "Der Vater, das Scheusal und die Zerissenheit des Sohnes" Ingo Petz (14. Juni 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000118028303/der-vater-das-scheusal-und-die-zerissenheit-des-sohnes

Quote
braz1

Ich habe das Buch heute fertig gelesen. Erschütternd was manche Kinder ertragen müssen...


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RobHoc

Der Artikel zum Vatertag! Schön, wie positiv Mannsein hier präsentiert wird. Ich hoffe auf Ähnliches zum nächsten Muttertag. Großen Bericht bitte, was Mütter alles anstellen!


Quotepsychon.aut

Es gab zum Muttertag einen Artikel, in der auch die Mutter nicht besonders gut wegkam. Es gibt also keinen Grund sich benachteiligt zu fühlen.
https://www.derstandard.at/story/2000117309313/kaffeehausbesitzerin-susanne-widl-ich-habe-meiner-mutter-verziehen


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Susanne_B

Wow! Sie fühlen sich von einem Bericht über das Buch EINES Mannes, in dem dessen triste Kindheit geschildert wird, angegriffen. Wenn Sie von einem Mann auf alle schließen, ist das bitte Ihr Problem, dessen Sie sich dringend annehmen sollten. ...


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RobHoc

Wenn Sie die Meta-Ebene meines Kommentares nicht verstehen, dann macht eine Diskussion mit Ihnen keinen Sinn und ist vergeudete Zeit. In diesem Sinne, schönen Tag Ihnen.


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Susanne_B

Ah, die Metaebene... Sie meinen die, auf der Sie Ihren offensichtlichen Frust und Ihre offensichtliche Aggressivität ausleben?


...

Textaris(txt*bot)

Der Hansaplatz ist ein Platz im Berliner Ortsteil Hansaviertel des Bezirks Mitte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hansaplatz_(Berlin)

Quote[...] ,,Ich versteh dich voll, Mann, so geht's einfach nicht." Der hagere Mann presst je eine Flasche Klaren und Cola an sich und nickt dem Sicherheitsdienst zustimmend zu. Der hat gerade S. von seinem Stammplatz vor dem Supermarkt verwiesen. Lautstark zieht S. ab, wo er saß, hinterlässt er einen Teppich aus Essensresten und Müll. Auch die anderen Obdachlosen, die eben noch in der Passage auf dem Hansaplatz in Mitte um ein paar Cent bettelten, verlassen das Gelände. ,,Immer wieder werden wir hier vertrieben", erzählt Arwi M., der seit drei Jahren mit seiner Frau auf der Straße lebt.

Wieder der Bezirk Mitte, wieder geht es um Obdachlose, wieder geht es um den Vorwurf der Verdrängung. Bereits seit Jahren lässt der Bezirk im Tiergarten und anderen Parks immer wieder entstehende Camps räumen und erntet dafür teils heftige Kritik von Ak­teu­r*in­nen der Obdachlosenhilfe. Diesmal schlagen die Straßensozialarbeiter von Gangway Alarm: Seit einigen Wochen gibt es am Hansaplatz eine Platzordnung, die obdachlose Menschen verdrängen soll.

Der Skandal aus Sicht der Streetworker: Das von einem Sicherheitsdienst kontrollierte Gebiet, auf dem die Platzordnung gilt, umfasst sowohl Privatgelände als auch den öffentlichen Platz; der Bezirk beteiligt sich zu 40 Prozent an den Kosten. ,,Das verstößt gegen das Grundgesetz", sagt Andreas Abel, seit acht Jahren Straßensozialarbeiter im Bereich des nahe gelegenen Bahnhofs Zoo und immer wieder vor Ort auf dem Hansaplatz. Vor zwei Wochen schrieb Gangway eine Beschwerde an den Bezirk.

Auf Nachfrage meldet sich der Bezirksbürgermeister persönlich zu Wort. ,,Kennen Sie den Platz?", fragt Stephan von Dassel (Grüne). ,,Wissen Sie, was da los ist?"

Der Hansaplatz entstand Ende der 1950er Jahre im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Interbau als Zen­trum einer Mustersiedlung, der ,,Stadt von morgen", damals State of the Art. Nach Verlassen der U-Bahn-Station befindet man sich auch heute noch direkt im sogenannten Einkaufszentrum, einem Ensemble aus einem Dutzend niedrig überdachter Läden.

Alles hier ist seit 1995 denkmalgeschützt – jede Gehwegplatte, auf der man steht, das abblätternde Türkis an den Metallträgern, die dunkelbraunen Holzpaneelen an der Decke, die das Licht jedes noch so hellen Tages schlucken. Linker Hand sind die Türen des Grips Theaters wegen Corona seit Wochen verschlossen, geradeaus befindet sich die Filiale einer Bäckereikette. Hier hängen sie im Schaufenster: die Platzregeln. Ein weiteres Exemplar prangt vor dem verrammelten Späti, der wohl wegen krummer Geschäfte schließen musste, ein dritter Aushang klebt am Schaufenster der Apotheke.

Die Platzordnung untersagt unter anderem das Trinken von Alkohol, Betteln, Hausieren, Nächtigen, Urinieren und unnötigen Aufenthalt. Eine Karte verzeichnet das Gebiet, auf dem die Platzordnung gilt. Ende letzten Jahres gab es eine Testphase, in der ein Sicherheitsdienst an 6 Tagen in der Woche vor Ort war. Seit einigen Wochen sind es nun regelmäßig 3 Tage, an denen die Männer das Gebiet überwachen.

Die Federführung hat der Eigentümer des Einkaufszentrums, unterstützt wird er vom Bezirk. ,,Es gibt hier eine sehr aktive Gruppe von Gewerbetreibenden und Anwohnern", sagt Streetworker Andreas Abel, ,,die wollen die obdachlosen Menschen vom Hansaplatz vertreiben." Früher sei der Hansaplatz tatsächlich einmal ein sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort gewesen. ,,Aber das ist er schon lange nicht mehr. Es handelt sich um ein persönliches Unsicherheitsempfinden und verfestigte Vorurteile", sagt Abel.

Ulrich Greiner betreibt mit seiner Frau seit 30 Jahren die Apotheke im Einkaufszentrum. ,,Wir hatten hier immer schon Obdachlose, das war kein Pro­blem, die haben wir mit durchgefüttert", sagt er. Aber seit fünf, sechs Jahren gebe es eine so massive Aggressivität, dass man im Alltag einfach nicht damit zurechtkomme. Greiner ist Mitglied im Bürgerverein Hansa­viertel, der sich 2004 gründete, um die Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum des Hansaviertels 2007 vorzubereiten.

Eigentlich ging es dem Verein um die Wahrung des Bau- und Gartendenkmals, man strebt die Anerkennung als Weltkulturerbe an. Doch seit Jahren, so erzählt Vorsitzende Brigitta Vogt, geht es immer wieder auch um die Obdachlosen am Hansaplatz. Gerade die älteren Bewohner, von denen viele in den 90ern hier Eigentumswohnungen gekauft haben, hätten Angst, in das Einkaufszentrum zu gehen. Der Grund seien vor allem obdachlose Menschen aus anderen EU-Ländern, die kein Deutsch sprächen und von denen einzelne extrem aggressiv auftreten. ,,Es gibt ein Fremdheitsgefühl", sagt Vogt. ,,Warum kann man die, die hier Stress machen, nicht zurückschicken?", fragt der Apotheker.

Ladenbesitzer, Anwohner und der Bürgerverein berichten von Fäkalien, von Müll, von Pöbeleien und Drohungen, von eingeschlagenen Scheiben, auch von Gewalttätigkeit. Von einzelnen Obdachlosen, die alte Leute vor dem Supermarkt so lange auf den Kieker nehmen, bis diese ihnen Geld geben. Die Menschen anspucken, ihre Genitalien entblößen und Kindern Angst machten. Auf diese Erfahrungen beruft sich auch der zuständige Bezirksbürgermeister von Dassel und verteidigt die Entscheidung, dass der Sicherheitsdienst neben den privaten auch öffentliche Flächen kon­trol­liert. Der sogenannte Platzdienst sei geschult, mehrsprachig, kultursensibel. Es gehe nicht um Verdrängung, sondern um Gewaltprävention.

,,Platzdienst im Auftrag des Bezirksamts", steht auf dem Schild an der Brust von Pete H. Er ist es, der an dem Nachmittag auf dem Hansaplatz S., Arwi M. und die anderen Obdachlosen zum Gehen auffordert. Er spricht Russisch und Polnisch und arbeitet auch auf einem anderen Platz im Bezirk. ,,Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir hier Respekt erarbeitet habe, aber jetzt hören sie auf mich." Er erzählt, wie er einem Alkoholiker geholfen habe, der auf Krücken lief, mit einem ,,völlig vergammelten Bein". Der sei zu allen aggressiv gewesen. ,,Aber ich habe zu ihm gesagt, wenn du wirklich willst, helfe ich dir." Die Sozialarbeiter des Bezirks habe er gerufen, die hätten sich um Entgiftungskur und alles gekümmert. Neulich sei der Mann gekommen, keine Krücken mehr, ordentliche Klamotten, trocken, wollte sich bedanken. ,,Ich habe gesagt, bedank dich bei dir selbst."

Aber es gebe ein paar, nicht viele, die machten immer wieder Stress. Und wegen denen dürfe leider nun auch der ,,total höfliche Straßenzeitungsverkäufer" hier nicht mehr stehen. Bis zu 10 Mal, erzählt Pete H., schicke er zum Beispiel S. von seinem Platz vor dem Supermarkt fort. Der habe schon über 200 Anzeigen, sei im Gefängnis und in der Psychiatrie gewesen. ,,Aber da wollen sie ihn auch nicht, zu aggressiv." Nur morgens, wenn er noch nüchtern sei, könne man mit S. reden, erzählt der Apotheker. Jetzt ist es Nachmittag. ,,Komm her oder ich komm zu dir", brüllt S. durch die Passage, als er die Reporterin sieht, wie sie mit zwei der obdachlosen Menschen spricht. Es klingt nicht einladend. ,,Lieber nicht", sagt auch Arwi M. und schüttelt den Kopf.

,,Ja, es gibt hier ernste Probleme, aber Vertreibung war die denkbar schlechteste Lösung", sagt Philipp Harpain, Leiter des Grips Theaters, vor dessen Türen die Zone der neuen Platzordnung beginnt. Harpain hat vor 18 Jahren sein erstes Stück am Grips Theater inszeniert – über Obdachlosigkeit. Bei der Feier zum 50-jährigen Jubiläum des Hansaviertels hätten am Ende die Obdachlosen den Platz gefegt. ,,So sauber war der noch nie", erzählt Harpain. Man habe doch nicht immer wieder mit Politik, Polizei und Gewerbetreibenden zusammengesessen, damit diese Menschen jetzt alle über einen Kamm geschert und vertrieben werden. ,,Kontakte und Schnorren sind doch nicht das Problem", sagt Harpain und wünscht sich Begegnung auf diesem Platz, der einst genau dafür gestaltet wurde.

Das wünschen sich auch die Streetworker von Gangway, die das Vorgehen des Bezirks juristisch prüfen lassen wollen und denen der Bezirksbürgermeister mangelnde Kooperation vorwirft. ,,Wir lassen uns nur nicht für Sicherheitszwecke instrumentalisieren", sagt Abel. Man prüfe die Bedenken von Gangway, verspricht der Bezirksbürgermeister.

Wenn der Platzdienst da ist, sei Ruhe, freuen sich dagegen die Ladenbesitzer und fordern noch mehr Engagement vom Bezirk. Denn sobald Pete H. und seine Kollegen verschwinden, kommen die Menschen zurück, die auf dem Hansaplatz um ein paar Cent betteln, schlafen, hausen. ,,Was sollen wir auch sonst machen", sagt Arwi M.


Aus: "Verdrängung von Obdachlosen in Berlin: Betteln und hausieren verboten" Manuela Heim, Berlin (18. 6. 2020)
Quelle: https://taz.de/Verdraengung-von-Obdachlosen-in-Berlin/!5689870/

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Quote[...] Mehr als 250 Millionen Kinder weltweit haben nach Angaben der Unesco keinen Zugang zu Bildung. Das geht aus dem Weltbildungsbericht der UN-Organisation hervor, der an diesem Dienstag veröffentlicht wird. Demnach besuchten im Jahr 2018 geschätzte 258 Millionen Kinder, Heranwachsende und Jugendliche keine Schule. Die Zahl ist seit der Jahrtausendwende zurückgegangen. Damals lag sie noch bei mehr als 350 Millionen.

,,Armut wirkt sich auf Anwesenheit, Abschluss und Lernchancen aus", heißt es in dem Bildungsbericht. Trotz Fortschritten bei der Reduktion extremer Armut, besonders in Asien, sei jeder zehnte Erwachsene und jedes fünfte Kind davon betroffen - in Afrika südlich der Sahara sogar jedes zweite Kind.

In dem Bericht kommt die der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation außerdem zu dem Schluss, dass neben den vielen Kindern ohne Bildungszugang auch ,,Millionen andere (...) aufgrund ihrer Herkunft, Identität oder einer Behinderung innerhalb des Bildungssystems ausgegrenzt" und von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen seien. So sei beispielsweise in einem Viertel aller Länder weltweit getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben. Auch Minderheiten und Geflüchteten werde der Zugang zu hochwertiger Bildung in vielen Ländern der Welt nicht hinreichend gewährt.

,,Im Krisenkontext, wie der aktuellen Covid-19-Pandemie, verschärfen sich bestehende Ungleichheiten weltweit", sagte die deutsche Entwicklungsstaatssekretärin Maria Flachsbarth anlässlich der Veröffentlichung des Berichts laut einer Mitteilung. In Deutschland habe man bereits viel erreicht, sagte Walter Hirche, Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission. ,,Aber die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf lernt noch immer separiert, statt den Unterricht an allgemeinen Schulen zu besuchen", so Hirche. ,,Das müssen wir ändern."


Aus: "Mehr als 250 Millionen Kinder ohne Zugang zu Bildung" (23.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/folgen-der-armut-mehr-als-250-millionen-kinder-ohne-zugang-zu-bildung/25941042.html

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Quote[...] Dass Menschen auf seine Worte, empfindlich reagieren, ist Peter Kossen gewöhnt. Diese Woche war es wieder soweit. Da war der Pfarrer in der Talksendung ,,hart aber fair" zugeschaltet. Thema: Die Zustände in der Fleischindustrie.

Kossen mit seinem weißen Pastoren-Kollar sprach in Bezug auf die Subunternehmer, die sich in der Branche tummeln, von ,,organisierter Kriminalität" und ,,moderner Sklaverei". Der Vertreter der Ernährungsindustrie konnte es nicht fassen: ,,Der Sklavereivergleich ist ja wieder typisch. Entweder es kommt ein Nazi-Vergleich oder ein Sklavereivergleich", empörte er sich.

Doch Kossen hat Gründe für seine Wortwahl. Der Pfarrer, Jahrgang 1968, kämpft seit Jahren gegen die miserablen Bedingungen für Arbeitsmigranten, speziell in der Fleischindustrie.

Jetzt in der Coronakrise ist das Thema so stark in den Fokus gerückt wie noch nie. Nachdem sich Schlachthöfe und Fleischkonzerne wie Tönnies zu Corona-Hotspots entwickelt haben, wird plötzlich genau hingeschaut: Warum hat das Virus gerade dort leichtes Spiel?

Kossen ist Pfarrer in Lengerich, einem Ort in der Nähe von Osnabrück in Nordrhein-Westfalen. Die Gegend ist bekannt dafür, dass dort besonders viele Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien tätig sind. Allein in Lengerich mit seinen 22.000 Einwohnern arbeiten laut Kossen 1100 von ihnen.

Der Pfarrer ist häufig in Kontakt mit den Betroffenen, aber auch mit Gewerkschaften und Verbänden. Sein Bruder, der Arzt ist, behandelt immer wieder Arbeiter. In seinen Gesprächen bietet sich Kossen ein düsteres Bild.

Angestellt sind die Arbeitsmigranten meist als Werkvertragsarbeiter – das heißt, die Firma lagert einen Teil der Produktion an einen Subunternehmer aus, der dafür wiederum die Arbeiter zur Verfügung stellt. ,,Oft arbeiten sie sechs Tage die Woche, zehn bis zwölf Stunden", sagt Kossen am Telefon.

Höchstarbeitszeiten würden ignoriert. Die Arbeit sei nicht nur körperlich schwer, auch psychisch sei es belastend, wenn pro Tag in der Fabrik 20 000 Schweine getötet und zerlegt werden müssten. ,,Die Leute haben keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen, und sind abhängig vom Vorarbeiter", berichtet Kossen.

Von seinem Bruder erfährt er, dass die Arbeiter, die zum Arzt gehen, unter Schnittverletzungen, Haltungsschäden und Verätzungen durch Reinigungsmittel litten, weil es nur unzureichend Schutzkleidung gebe.

Dazu kämen die Lebensumstände. Oft seien die Arbeiter in Sammelunterkünften untergebracht, wo sie in überbelegten und zum Teil verschimmelten Zimmern hausten. Die sanitären Anlagen seien häufig dürftig oder defekt. Trotzdem müssten die Arbeiter für einen Schlafplatz nicht selten 250 Euro im Monat zahlen – auch wenn sie sich eine Matratze im Schichtbetrieb mit anderen teilten.

Anfangs hätten viele erst mal Schulden, weil sie für Transport nach Deutschland, Schutzkleidung oder Vermittlung Geld zahlen müssten. ,,Sie müssen das dann abarbeiten und bekommen über Monate nicht den Lohn, der ihnen zusteht", sagt Kossen. Wenn er davon erzählt, verwendet er Worte wie ,,Schuldsklaverei", aber sein Ton bleibt ruhig.

Auch wenn die Arbeitsumstände kein Geheimnis sind, ist Kossens Öffentlichkeitsarbeit manchen ein Dorn im Auge. Früher, als er noch auf einer ,,repräsentativeren Stelle" in der Kirchenhierarchie angestellt war, da hätte auch die Wirtschaft versucht, über seine Vorgesetzten Druck auf ihn auszuüben, sagt er.

Der Bischof war wenig begeistert. Seitdem er nicht mehr so wichtig ist, lässt man ihn laufen. Aber aus Kossens Sicht müssten sich die Kirchen viel deutlicher zugunsten der Arbeitsmigranten politisch positionieren. ,,Auch auf die Gefahr hin, dass man Kirchensteuerzahlern auf die Füße tritt."

Wenn Kossen manchmal in seinen Predigten von den Bedingungen spricht, unter denen Leiharbeiter oder Beschäftigte in Werkverträgen leiden, dann gebe es viele, die sein Engagement richtig fänden, sagt er. ,,Andere fragen, ob das in meinen persönlichen Kompetenzbereich fällt."

Er hat auch den Fall erlebt, da sei nach der Predigt ein sehr ärgerlicher Unternehmer zu ihm gekommen. Dieser hätte in seiner Produktion im Baugewerbe auch viele Arbeiter von einem Personaldienstleister angestellt. ,,Der fühlte sich persönlich angegriffen", sagt Kossen.

Dass mittlerweile über ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischbranche nachgedacht wird, begrüßt Kossen. Er glaubt aber, dass das nicht reicht. Erstens sei die Fleischindustrie nicht die einzige Branche, in der es so laufe.

Im Versandhandel gebe es ähnliche Tendenzen. Zweitens gehe es aber auch um eine grundsätzliche Haltung. ,,Wie schauen wir diese Leute an: Als Billiglöhner, die froh sein sollen, dass sie bei uns überhaupt einen Job finden? Oder als Mitmenschen, denen wir die Möglichkeit geben sollten, die deutsche Sprache zu lernen?"

Es habe auch mit Rassismus zu tun, wenn man denke, die Arbeitsmigranten könnten froh sein, überhaupt einen Job zu haben.

Kossen glaubt, dass viele Menschen bislang vor den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie die Augen verschlossen, weil sie geahnt haben, dass sie sonst auch ihre Art von Konsum infrage stellen müssen. ,,Konsum, der auf dem Rücken von Natur, Mensch und Tieren ausgetragen wird und wo der Wert eines Produktes nicht im Kaufpreis abgebildet ist", sagt Kossen.

Ob die Coronakrise auch diesen Bewusstseinwandel fördert, wird sich zeigen. Erst mal findet Kossen, dass der Staat menschenwürdige Wohnungen für die Arbeiter bauen müsste – so wie einst die Zechensiedlungen im Ruhrgebiet.



Aus: "Wut auf Tönnies: Was ein Pfarrer erlebt, der sich mit der Fleischindustrie anlegt" Maria Fiedler (27.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/wut-auf-toennies-was-ein-pfarrer-erlebt-der-sich-mit-der-fleischindustrie-anlegt/25954436.html

Quote
ford_perfect 09:56 Uhr

Clemens Tönnies ist halt ein "guter Katholik"

    Auch wenn die Arbeitsumstände kein Geheimnis sind, ist Kossens Öffentlichkeitsarbeit manchen ein Dorn im Auge. Früher, als er noch auf einer ,,repräsentativeren Stelle" in der Kirchenhierarchie angestellt war, da hätte auch die Wirtschaft versucht, über seine Vorgesetzten Druck auf ihn auszuüben, sagt er. Der Bischof war wenig begeistert.

Clemens Tönnies ist das, was man in Ostwestfalen für einen "guten Katholiken" hält. Er dürfte regelmäßig in die Kirche gehen, zahlt von seinem hohen Einkommen Kirchensteuer, und zudem ist er vermutlich auch sonst "spendabel".

...


QuoteWeberkarde 09:46 Uhr

Keine Ahnung, aber davon ganz viel: Die "verdienen" offiziell den Mindestlohn, müssen aber meist 2-4 Stunden länger pro Tag arbeiten, an 6 Tagen in der Woche. Für eine ranzige Bettstatt, das u.U. im Schichtbetrieb belegt ist, in einem Schimmelzimmer und abgewrackten Sanitäranlagen werden ihnen gleich bis zu  250 € vom Lohn abgezogen, ebenso müssen sie die Fahrt zu ihrer Arbeit bezahlen, ebenso ihre Arbeitskleidung, Schutzkleidung wird ihnen kaum gestellt. Für die Einreise nach Deutschland müssen sie auch bezahlen und wie man diese Typen kennt, zahlen sie keine Flixbuspreise, sondern ihnen werden horrende Fahrtkosten in Rechnung gestellt (das kennt man auch vom Menschenhandel mit Frauen), so dass sie monatelang überhaupt kein Geld bekommen.
Man kann mit Fug und Recht von Sklaverei reden.


QuoteKarlJuni 09:40 Uhr

Wurum unterhält dieser Staat Gewebeaufsichtsämter? Warum gibt es Berufsgenossenschaften oder Gewerkschaften? Oder kann man diesen Pseudovereinen Totalversagen unterstellen und sie dienen lediglich der Versorgung von verdienten Parteikadern. Seit Jahren sind angeblich Mißstände bekannt  ...


QuoteCaliGuy 08:42 Uhr

Die Rumänen und Bulgaren, die ein der westfälischen Fleischindustrie arbeiten, sind in ihrer überwiegenden Mehrheit orthodox. Pfarrer Kossmer ist für deren Seelenheil gar nicht zuständig.
Aber die Kirche kümmert sich ja gerne um die für die sie nicht zuständig ist, kein Wunder, dass ihr darüber die Kirchensteuerzahler verloren gehen.
Sicherlich sind die Zustände in der deutschen Fleischindustrie nicht  schön. Gleich die Sklaverei-Karte auszuspielen ist bisschen billig. In Rumänien oder Bulgarien verdienen Metzger 500 Euro pro Monat. Bei Tönnies dürfte es auch im Werkvertrag das Doppelte und Dreifache sein.
Die Unterkunft kostet bis zu 250 Euro. Wo gibt es denn Monteurszimmer für 8,30 Euro pro Nacht?
Die Grünen haben in Deutschland je nach Zeitpunkt von Umfragen einen politischen Marktanteil von zehn bis zwanzig Prozent.
Biofleisch hat in Deutschland einen Marktanteil von unter zwei Prozent.
Würden allein die, die grün reden, grün handeln, sähe die Fleischindustrie anders aus. Kossmer wäre besser beraten, seinem verlogenen grünen Publikum die Leviten zu lesen, als die Fleischindustrie madig zu machen.


Quotepinke 10:20 Uhr
Antwort auf den Beitrag von CaliGuy 08:42 Uhr

Monteurzimmer?

    Die Unterkunft kostet bis zu 250 Euro. Wo gibt es denn Monteurszimmer für 8,30 Euro pro Nacht?

ist das noch Zynismus oder schon reine Menschenverachtung?

    In Rumänien oder Bulgarien verdienen Metzger 500 Euro pro Monat. Bei Tönnies dürfte es auch im Werkvertrag das Doppelte und Dreifache sein.

Doppelschichten, für 1500€ ? das bezeichnen Sie als gerecht? Das ist harte Arbeit!


QuoteHasstroll1 10:24 Uhr
Antwort auf den Beitrag von CaliGuy 08:42 Uhr

Die Kirche ist die letzte institutionelle Säule der Solidarität und wenn der Pfarrer nicht müde wird Unrecht anzusprechen, dann ist das gut so. Sie relativieren hingegen kleingeistig alles. Pfarrer nicht zuständig, Prima, ein Monteurszimmer für 8,30 (... aber es stehen 4 Hochbetten drin, also 2000.- mntl). Und  dann wieder der aus der Luft gegriffene Vergleich mit bulgarischen Löhnen, die eben nicht vergleichbar sind. Nichts als Existenznot treibt Menschen in knochenharte und mies bezahlte Jobs, bei denen man sich in Sammelunterkünften noch die Matratze teilen muss.


Quotekleopatra 07:44 Uhr

Das hat sich über längere Zeit entwickelt. Es war schon unter der rot-grünen Koalition ein politisches Ziel, einen ausgedehnten Niedriglohnsektor zu schaffen (Schröder hat das als einen großen politischen Erfolg gesehen), und auch Leiharbeit galt als Wunderwaffe gegen Arbeitslosigkeit. Dass in Deutschland die "Preissensibilität" der Konsumenten bei Lebensmitteln besonders hoch ist, ist ein unter Kaufleuten bekanntes nationales Spezifikum.
Solange in der EU die Arbeitskräftemobilität gilt, kann man Osteuropäern nicht verwehren, in der deutschen Schlachtbranche zu Bedingungen zu arbeiten, die sich ein deutscher Arbeiter nicht bieten lassen wollen würde. Das extreme Gefälle der Lohnhöhen sorgt dafür, dass für die vielzitierten Rumänen und Bulgaren auch ein schlechtbezahlter Arbeitsplatz in Deutschland die bessere Alternative ist.
Es gibt viele Bereiche, in denen wohlhabende Bürger der ehemaligen Weststaaten der EU von der Arbeitswilligkeit (zu Niedriglöhnen) der Menschen aus Osteuropa oder dem Balkan profitieren. Gemüseanbau ist ein weiteres Beispiel, privat organisierte Altenpflege ebenfalls. Das soziale Gefälle ist entsprechend, aber in diesen Feldern regt der grüne Bobo sich nicht so sehr auf, denn hier geht es um die eigenen Interessen bzw. den eigenen Edelkonsum (Stichwort Spargel!), während Tönnies für die von echten Grünen verachteten einheimischen Proletarier produziert.


QuoteGarzauer 27.06.2020, 18:54 Uhr

Wenn die Pfarrer und die Kabarettisten wieder anfangen den Job der Presse und der Verwaltung zu machen und gesellschaftliche Mißstände offenzulegen und anzuprangern, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür dass die BRD im Jahre 2020 dort steht, wo die DDR im Jahre 1988 stand. Nämlich kurz vor dem wirtschaftlichen, politischen und sittlichen Offenbarungseid. 


QuoteRalf196019 27.06.2020, 17:57 Uhr

Es wir wieder einmal eine verlogene Diskussion, wir sprechen bei der Veränderung in der Fleischindustrie von höheren Fleischpreisen. In Maßen gerne! Aber wir sollten bedenken das Herr Tönnies Milliardär geworden ist mit der Ausbeutung von Menschen. Er ist doch für die Verhältnisse in seinem Betrieb verantwortlich. Es sind einzelne Schuld durch Gier und nicht der Verbraucher und die Mitarbeiter.


QuoteBabsack 27.06.2020, 18:51 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Ralf196019 27.06.2020, 17:57 Uhr

So ist es. Aber Politiker haben mit Milliardären ihre Probleme, da die es meist verstehen ihre Trümpfe auszuspielen in Form von Arbeitsplatzerhaltung ect. ...


Quote
Boandlgramer 27.06.2020, 16:41 Uhr

Nicht davon ist neu, das weiß man seit es diese Werkvertragskonstruktionen gibt. Es ist auch bekannt, dass Deutschland unter anderem wegen dieser Branchen Exportweltmeister ist.
Es hat nur bisher keinen interessiert, weil's halt Bulgaren und Rumänen sind und sich der deutsche Bürger gerne sagt, dass die doch froh sein sollen, dass sie überhaupt eine Arbeit haben.
Bei den Schlachtern wirkt das jetzt ein wenig eklig, aber die Saisonarbeiter, etwa beim Spargel, arbeiten unter ähnlichen Bedingungen. Die Pflegekräfte aus Osteuropa - vor allem die, die hier dann von vermeintlich seriösen Pflegediensten vermittelt werden - arbeiten auch unter extrem schlechten Bedingungen.
Amazon karrt die Packer in der Weihnachtszeit aus Osteuropa heran - und bringt die in Gemeinschaftsunterkünften unter. Und dann wären da noch die zwangsprostituierten Mädchen in den All-you-can-fuck-Puffs...

Das ist alles da - und ein Teil des Wohlstands. Deswegen gab' es da nie Resonanz, wenn das mal wieder irgendwo aufpoppte... Weil wir hier in Deutschland so tun, als könnte jeder richtige Entscheidungen treffen. Aber das stimmt schon für unsere eigenen Armen nicht, erst recht nicht für die auswärtigen Armen.

Ernstgemeinten Humanismus gibt es nicht umsonst. ...


...

Textaris(txt*bot)

WDR Investigativ @WDRinvestigativ
Exklusiv: 10 Jahre lang lag dem Bundeszentralamt für Steuern eine Liste mit hunderten möglichen Cum-Ex-Steuerbetrügereien vor. Doch die Finanzbehörde hat erst kürzlich die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft übersandt. Fälle könnten verjährt sein. #CumExListe #CumEx @Buon_Anni
6:00 PM · Jun 29, 2020·Twitter
https://twitter.com/WDRinvestigativ/status/1277633012054863873

Marianne Blum @blum_marianne 11h Replying to @WDRinvestigativ and @Buon_Anni
Kein Wunder: 15 Ermittler in Sachen Cum Ex, 70 Ermittler für die Stuttgarter Krawallnacht. Zufall?! #ZweierleiMaß

sir edward @Newsreader67 2h
Nicht zu vergessen: ein Prüfer der zuständigen Stelle im Fall Wirecard... :)

Elsvegre @elsvegre 11h Replying to @WDRinvestigativ and @Buon_Anni
War man zu sehr damit beschäftigt, sozialbetrug bei h4 Empfängern in Höhe von drei Mark fuffzig aufzudecken?

konghongpongping @konghongpongpi1 4h
Replying to @WDRinvestigativ and @Buon_Anni
"Betrügereien" ist ja mal ein nettes Wörtchen für den größten Raubzug in der Geschichte der Bundesrepublik.

begl @begl2 13h Replying to @WDRinvestigativ @annalist and @Buon_Anni
subversive Arbeitsverweigerung oder Sabotage?

Streitschlichter @Schlichtstr8er 7h Replying to @WDRinvestigativ and @Buon_Anni
Organisierte Kriminalität

Staythefhome Gaston @GastonStuttgart 20m Replying to @WDRinvestigativ and @Buon_Anni
Wird es Konsequenzen haben?

...

Quote[...] Zehn Jahre lang lag dem Bundeszentralamt für Steuern eine Liste mit Hunderten möglichen Cum-Ex-Steuerbetrügereien vor. Doch die Finanzbehörde hat nach Recherchen von WDR und SZ erst kürzlich die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft übersandt. Fälle könnten verjährt sein.

Landgericht Bonn, der 19. November 2019. Im ersten großen Cum-Ex-Strafprozess ist an diesem 16. Verhandlungstag ein Referatsleiter des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt) als Zeuge geladen. Er soll erklären, wie genau er und seine Kollegen nachfassten, als Banken und andere Finanzfirmen in den Jahren um 2009 Steuererstattungen in Millionenhöhe anforderten. Steuern, wie sich später zeigte, die Banker, Aktienhändler und Berater in Wahrheit nie gezahlt hatten. Der Staat wurde mit den Cum-Ex-Aktienkreisgeschäften wohl um zweistellige Milliardensummen geprellt. Steuerzahlergeld.

Der Vorsitzende Richter bohrt bei seinen Fragen an einer Stelle besonders nach: Schließlich habe der Gesetzgeber doch schon im Mai 2009 die Cum-Ex-Gefahr erkannt, jede Bank und jeden Fonds dazu verdonnert, dem Bundeszentralamt für Steuern zu melden, wenn sie verdächtige Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag betrieben. Was denn mit diesen Meldungen geschehen sei?

Die Antwort des Referatleiters überraschte. Tatsächlich gebe es eine Liste mit 566 Einträgen. "Wir haben diese Liste zusammengestellt und an die betreffende Stelle im Finanzministerium weitergegeben. Was die damit gemacht haben, weiß ich nicht."

Die Aussage erstaunte nicht nur das Publikum bei Gericht. Sie warf auch Nachfragen bei Ermittlern auf. Ihnen war die Liste bis dato nicht bekannt. Niemand vom BZSt hatte sie wohl darauf hingewiesen.

Staatsanwälte, Steuerfahnder und Kriminalbeamte hatten seit 2013 in jahrelanger Kleinstarbeit nach Cum-Ex-Akteuren gefahndet. Banken und Privatwohnungen durchsucht, Millionen von Dokumenten gesichtet, Kronzeugen befragt. Und nun sollte es seit dem Frühjahr 2010 eine Liste geben, auf der 566 potentielle Verdachtsfälle fein säuberlich festgehalten sind? Und das auch noch in jener Bundesbehörde, die von Amts wegen zur Hilfe bei der Ermittlung verpflichtet ist und die mit der Staatsanwaltschaft Köln seit 2013 eng zusammenarbeitet?

Nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" hat das Bundesamt die Liste mit den Hunderten potentiellen Cum-Ex-Verdächtigen erst vor wenigen Wochen, im Juni dieses Jahres, an die Strafverfolger geschickt. Zehneinhalb Jahre, nachdem das Dokument angelegt wurde. Mehr als sieben Jahre nach dem Start der Kölner Cum-Ex-Ermittlungen. Und mehrere Monate, nachdem der erste Strafprozess wegen Cum-Ex-Geschäften mit Bewährungsstrafen gegen zwei frühere Investmentbanker zu Ende gegangen war.

In der Excel-Tabelle, die schon im November 2009 angelegt wurde, finden sich nachweislich kriminelle Cum-Ex-Geschäfte. So sind in dem Dokument, das WDR und SZ vorliegt, unter anderem jene beiden Fonds festgehalten, wegen derer zwei britische Aktienhändler im ersten Cum-Ex-Verfahren verurteilt worden sind. Gegen zahlreiche weitere Akteure auf der Liste waren im Laufe der Zeit Ermittlungen eingeleitet worden. Wäre die komplette Liste in den Händen der Strafverfolger gelandet, wären zahlreiche Verdächtige wohl schon Jahre früher auf dem Radar der Fahnder erschienen.

Noch schwerwiegender sind jedoch die bis lang unbekannten Namen auf der Liste: nicht erkannte Verdachtsfälle. Viele Hinweise erreichten die Fahnder womöglich zu spät. Besonders schwere Fälle verjähren bei Steuerhinterziehung nach zehn Jahren. Werden innerhalb dieser Frist keine Ermittlungen eingeleitet, kommen Betrüger straflos davon.

Das Bundesfinanzministerium (BMF) räumte auf Nachfrage ein, man habe den Ermittlungsbehörden die Liste im Juni 2020 "auf gesonderte Anforderung" zur Verfügung gestellt. Tatsächlich habe das Bundeszentralamt für Steuern die Liste auch schon früher eigenständig geprüft, jedoch der Staatsanwaltschaft nur "fallbezogen, also im Zusammenhang mit konkreten Fällen, Informationen aus der Liste übermittelt".

Die Staatsanwaltschaft Köln kritisiert das Vorgehen. Dass es eine Liste gebe, habe das BZSt nie mitgeteilt, geschweige denn sie mit den zuständigen Behörden geteilt. "Im Rahmen der geführten Ermittlungen lag die hier in Rede stehende Liste bis Juni 2020 - auch auszugsweise - nicht vor", erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Aus diesem Grunde habe die Behörde die Liste ja angefordert. Das Dokument sei in jedem Fall ermittlungsrelevant. "Diese Liste, die für die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Bedeutung ist, wird derzeit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgewertet."

Entstanden ist die Liste seinerzeit wegen einer Vorgabe des Gesetzgebers aus dem Jahr 2009. Durch einen Whistleblower hatte das Bundesfinanzministerium erstmals von der Cum-Ex-Masche erfahren. Alle Banken und Fonds, die jetzt noch eine Steuererstattung im Zusammenhang mit bestimmten Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag beantragten, mussten eine Erklärung abgeben. Mit diesen "Berufsträgerbescheinigungen" versicherten sie, dass  sie sich für die Erstattung nicht illegal mit anderen abgesprochen hatten. Das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn erstellte damals eine Liste mit allen Meldungen. Jene Liste, die erst jetzt bei den Ermittlern eingegangen ist.

Das Bundesfinanzministerium pocht heute darauf, dass die auf der Liste festgehaltenen Berufsträgerbescheinigung "kein taugliches Mittel" seien, um Cum-Ex-Gestaltungen erkennen zu können. Dies gelte auch für den Fall, "dass diverse Bescheinigung in einer Liste zusammengefasst sind".

Nicht nur die Staatsanwaltschaft Köln, die momentan in 68 Ermittlungskomplexen gegen 880 Beschuldigte in Sachen Cum-Ex ermittelt, sieht das anders. Laut Christoph Spengel, dem einstigen Sachverständigen im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss, wäre die gesamte Aufarbeitung des Skandals anders verlaufen, hätte die Liste frühzeitig vorgelegen. Neben den Berufsträgerbescheinigungen hätten die Finanzakteure nämlich andere wichtige Informationen preisgegeben, die sie zu potentiell Verdächtigten machten.

    "Auf der Liste wurden frühzeitig erstmals Akteure sichtbar, die Leerverkäufe über den Dividendenstichtag tätigten und dabei Steuererstattungen in Millionenhöhe anforderten. Das war so etwas wie eine 'Smoking Gun.'"

Spätestens 2010, als der erste Fall aufgegriffen worden sei, hätte jedem klar sein müssen, wie wichtig die Liste sei, so der Wirtschaftsprofessor der Uni Mannheim.

Wer die Liste offenbar früher hätte sehen können, sind die Bundestagsabgeordneten, die 2016 den Cum-Ex-Skandal in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet haben. Ihnen will das Bundesfinanzministerium das Dokument ebenfalls zur Verfügung gestellt haben.

Gerhard Schick, damals für die Grünen im Bundestag, sagt, dass er die Liste zwischen den vielen Dokumenten nie gesehen habe. "Es gab damals Dutzende Ordner mit unsortierten Dokumenten, die wir in der Geheimschutzstelle des Bundestages unter hohem Zeitdruck einsehen konnten. Diese Liste haben wir damals nicht wahrgenommen. Hätten wir sie gesehen, wäre sie uns direkt ins Gesicht gesprungen", so der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen und heutige Geschäftsführer der Organisation "Finanzwende".

Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, zeigt er sich fassungslos. "Ich erwarte von einem Bundesamt, dass es alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzt, um einen Milliarden-Skandal wie Cum-Ex aufzuklären", so Schick. "Man kann die Bedeutung dieser Liste für die Aufarbeitung von Cum Ex gar nicht überschätzen."


Aus: "Eine verschollene Liste und viele Fragezeichen" Massimo Bognanni, WDR (29.06.2020)
Quelle: https://www.tagesschau.de/cum-ex-135.html

https://www.tagesschau.de/thema/cum_ex/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Obdachlose, sozial schwache Menschen oder solche, die kein regelmäßiges Einkommen vorweisen konnten, hatten früher einen außerordentlich schweren Stand bei den Banken. Als Kunden sind sie für Banken unattraktiv, eher lästig. Früher blieb vielen deshalb der Zugang zu einem Girokonto verschlossen. Vor vier Jahren reagierte der Gesetzgeber auf diesen Missstand. Seit Mitte 2016 sind alle Banken gesetzlich dazu verpflichtet, jedem zumindest ein sogenanntes Basiskonto anzubieten. So sollen auch sozial Schwache die Möglichkeit haben, Bankgeschäfte zu tätigen.

Die Gebühren für ein solches Basiskonto müssen laut Gesetz "angemessen" sein. Und genau das sind sie in vielen Fällen offenbar nicht. Vor einem halben Jahr hatte die Stiftung Warentest herausgefunden, dass die Inhaber von Basiskonten meist mehr zahlen müssen als diejenigen, die ein regelmäßiges Gehalt oder Rente bekommen. Nun hat der Bundesgerichtshof zum ersten Mal entschieden, was unter dem Begriff "angemessen" zu verstehen ist. Dabei müsse man sich am Ziel des Gesetzgebers orientieren, so der Vorsitzende des 11. Zivilsenats, Jürgen Ellenberger. "Der Gesetzgeber hat eine spürbare Begrenzung der Entgelte für erforderlich gehalten, um das sozialpolitische Ziel zu erreichen, einen Kontozugang für bisher hiervon ausgeschlossene Personen zu gewährleisten."

Die hohen Gebühren haben die Banken bisher damit gerechtfertigt, dass die Inhaber von Basiskonten intensiver betreut werden müssten als andere Kunden. Doch das lässt der BGH so nicht gelten. Auch bei den Gebühren müsse berücksichtigt werden, dass ein Basiskonto für einkommensschwache Verbraucher gedacht sei, so Dietlind Weinland, Presserichterin beim BGH. "Dieser Zweck darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Banken besonders hohe Gebühren für diese Personengruppen verlangen. Daher dürfen sie nicht den Mehraufwand, der mit einem Basiskonto verbunden ist - beispielsweise durch Hilfe beim Ausfüllen von Formularen - allein auf die Inhaber von Basiskonten umwälzen."

Im konkreten Fall hatten Verbraucherschützer die Deutsche Bank verklagt und Recht bekommen. Die Deutsche Bank verlangt bisher für ein Basiskonto bisher 8,99 Euro im Monat. Für das Einlösen von Schecks in einer Filiale oder das Einrichten eines Dauerauftrags bei einem Bankmitarbeiter müssen die Kunden nochmal jeweils 1,50 Euro zahlen. Solche Gebühren seien unangemessen hoch, so der BGH.

Seine Mandantin werde zügig reagieren, so der Anwalt der Deutschen Bank, Reiner Hall. Das Geldinstitut werde "selbstverständlich" die Vorgaben des BGH-Urteils umsetzen.

Alle Banken und Sparkassen sollten das Urteil samt Begründung sorgfältig studieren. Sehr wahrscheinlich werden auch andere Institute ihre Gebühren für ein Basiskonto senken müssen.

Aktenzeichen: XI ZR 119/19


Aus: "BGH-Urteil Basiskonto der Deutschen Bank zu teuer" Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion (30.06.2020)
Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/bgh-basiskonto-103.html


Textaris(txt*bot)

QuotePinned Tweet
Nov 26, 2019

Ab einem gewissen Preisniveau kann man Sexarbeit nur noch mit zwei Worten zusammenfassen.

OK BOOMER


Quotejolanda

Ich bin immer wieder überrascht, wofür Leute Geld bezahlen.


Quotejolanda

Der Kunde will für den einen Kilometer vom Restaurant zum Hotel ein Taxi nehmen. Seit Stuttgart traut er sich als wohlhabender Mann nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr raus.


Quotejolanda

,,Der Staat will mir mein Geld wegnehmen"
,,Ich verstehe nicht, warum ich so viele Steuern zahlen muss"
,,Ich ziehe um, ich fürchte mich vor den Protesten"

Guter Mann, du zahlst einen 4stelligen Betrag, damit eine Frau mit dir essen und in die Oper geht und ein bisschen Sex hat???


Quotejolanda 10:10 PM · Jul 6, 2020

Je länger ich als escort arbeite, desto lächerlicher finde ich reiche Menschen.


https://twitter.com/jolanda29274043

Textaris(txt*bot)

Quote[...] [Severin Schwan ]  ...  2018 mit seinem Salär von 11,8 Millionen Franken (11 Millionen Euro) ...


Aus: "Er klingt so nett"  Barbara Achermann (6. Juli 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/2020/28/severin-schwan-roche-image-corona-krise-tests-pharmabranche

QuoteMariaIris #2

Für dieses Jahresgehalt darf ich als Fachkrankenschwester für Intensivmedizin 382 Jahre arbeiten.


QuoteTezcatlipoca #4

> Severin Schwan gilt also nicht mehr als "Abzocker", als der er beschimpft
> wurde, weil er 2018 mit seinem Salär von 11,8 Millionen Franken
> (11 Millionen Euro) der bestbezahlte CEO in ganz Europa war.

Ja, war echt unfair.

Gut ... der man zwar das 35fache der Bundeskanzlerin verdienen ... aber als bestbezahlter CEO Europas nicht einmal die Hälfte von Messis oder Ronaldos Salär zu bekommen, ist echt erniedrigend. ...


QuoteRahel Gershwin #7

21 Mrd Gewinn und der CEO kriegt nur 11 Mio?

Der wird ausgebeutet - meine ich ernst. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Vor allem Beschäftigte im Einzelhandel und Reinigungskräfte verdienen so wenig, dass sie zusätzlich zu ihrem Lohn Anspruch auf Arbeitslosengeld II – umgangssprachlich Hartz-IV genannt – haben. Das hat eine Sonderauswertung der Bundesarbeitsagentur ergeben, die die Arbeitsmarktexpertin der Linkspartei, Sabine Zimmermann, angefordert hat.

"Betroffen sind auch ausgerechnet diejenigen, die eben noch als Helden des Alltags gefeiert wurden", sagte Sabine Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur. Insgesamt rund eine Million Menschen in Deutschland müssen ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken, weil es so niedrig ist, dass es nicht zum Leben reicht. Das sei nicht hinnehmbar, sagte Zimmermann.

Unter den 656.000 Reinigungskräften der unteren Qualifikationsstufe "Helfer" müssen demnach 10,1 Prozent aufstocken. Das ist doppelt so viel wie der Durchschnitt aller Berufe. In der Kategorie Helfer, also den ungelernten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, müssen im Schnitt fünf Prozent ihren Lohn aufstocken.

Aber auch den gelernten Fachkräften zahlen Reinigungsfirmen offensichtlich sehr wenig. 7,8 Prozent der Reinigungsfachkräfte beziehen ergänzend Hartz IV – verglichen mit 1,6 Prozent bei Fachkräften aller Berufe.

Auffällig hohe Anteile mit zusätzlichen Hartz-IV-Zahlungen gab es laut der Auswertung auch bei Helferinnen im Lebensmittelverkauf (13,5 Prozent) und in der Speisenzubereitung (9,9 Prozent). Im Bereich Körperpflege waren es sogar 22,7 Prozent. Die Zahlen beziehen sich dabei nicht auf die aktuelle Situation während Corona, für die Auswertung nutzte die Arbeitsagentur Angaben aus dem Jahr 2018.

Zimmermann sagte, betroffen seien Menschen in allen Lebensformen, auch Alleinstehende und Paare ohne Kinder. "Gute tarifliche Bezahlung muss endlich zum Standard werden." Nötig seien zudem etwa ein höherer Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde und ein Rechtsanspruch auf eine Mindestwochenarbeitszeit, verbunden mit strikten Zeitkontrollen.

"Denn zu viele Beschäftigte werden unfreiwillig mit Teilzeitverträgen abgespeist, um sie flexibler einsetzen zu können, arbeiten aber faktisch dann doch unbezahlt länger", kritisierte Zimmermann. Gerade in der Pandemie werde auch klar, dass Minijobs nicht existenzsichernd seien. "Sie müssen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden."


Aus: "Eine Million Menschen müssen ihren Lohn "aufstocken"" (12. Juli 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-07/mindestlohn-hartz-iv-aufstocker

Quoteingharad #8

Billig im Discounter einkaufen und auf jeden Cent achten, schwarz die Putze beschäftigen und dann voller Bedauern sein.


Quote
Studierendenvertretender #5

"Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert.
Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."

(Quelle: heise.de/Gerhard Schröder, Davos 2005)

Evtl. eine kleine Aufmerksamkeit von SPD/Grünen an die "Helden des Alltags"?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wer zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in den USA zur Welt kam, konnte dem statistischen Durchschnitt nach erwarten, 49 Jahre alt zu werden. Seine Urenkel, geboren zu Beginn des 21. Jahrhunderts, durften schon von 77 Jahren bis zu ihrem Tod ausgehen. Abgesehen von kurzzeitigen Ausnahmen, etwa während des Ersten Weltkriegs und infolge der Spanischen Grippe, sei es stetig aufwärts gegangen, konstatieren die Ökonomen Angus Deaton und Anne Case.

Vor zwei Dekaden habe sich der Trend für eine bestimmte Gruppe, für weiße Amerikaner mittleren Alters, dramatisch umgekehrt. Nicht nur, dass ihre Lebenserwartung nicht mehr stieg. Sie fiel sogar, "nach einem Muster, wie man es fast nirgends sonst auf der Welt erlebte".

Deaton wurde 2015 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Auch Case, seine Frau, ist Ökonomin. Beide forschen an der Universität Princeton. Sie wollten das Phänomen Trump verstehen. Antworten auf die Frage finden, warum der milliardenschwere Geschäftsmann ausgerechnet von so großen Teilen der weißen Arbeiterschaft gewählt wurde. Das Buch, mit dem das Ehepaar für Furore sorgt, handelt von der Krankheit, deren Symptom Donald Trumps Präsidentschaft ist und die auch im Falle seiner Abwahl noch lange nicht geheilt sein wird.

"Deaths of Despair" lautet der Titel. Tode der Verzweiflung, erläutern Deaton und Case, das habe sich angeboten als Sammelbegriff. Gemeint ist die wachsende Zahl von Suiziden, von Überdosen an Drogen, von Alkoholismus und seinen Folgeerkrankungen. Am stärksten betroffen ist das, was die beiden die "white working class" nennen, immerhin 70 Prozent aller Amerikaner mit heller Haut. Es sind Leute, die kein College besucht haben und heute oft nur schlecht bezahlter Tätigkeit nachgehen, sich häufig von einem Job zum nächsten hangeln, häufig ohne die Krankenversicherung, die meist der Arbeitgeber für seine Beschäftigten abschließt. Die Fabriken, in denen sie arbeiteten, gibt es nicht mehr.

Am stärksten trifft es die 45- bis 54-Jährigen. Seit Ende der Neunziger ist die Sterblichkeitsrate in dieser Altersgruppe um ein Viertel gestiegen, aber eben nur bei weißen Amerikanern ohne Uni-Abschluss, während sie für jene mit Hochschuldiplom um 40 Prozent zurückging. "Wenn die Arbeit zerstört wird, kann die Arbeiterklasse nicht überleben", bringen es die Autoren auf den Punkt. "Es bedeutet den Verlust von Würde, von Stolz, von Selbstachtung. Ehen zerbrechen, die Gemeinschaft leidet. Das, und nicht nur oder nicht einmal in erster Linie der Verlust von Geld, führt zur Verzweiflung." Politisch war es Donald Trump, der von der Untergangsstimmung profitierte. "Dass er gewählt wurde, ist mit Blick auf die Umstände verständlich. Es ist aber auch ein Ausdruck eines Frusts und einer Wut, die nichts besser machen, sondern alles nur schlimmer."

Der Trend fällt zusammen mit der inflationären Verschreibung von Schmerzmitteln, die Millionen von Menschen abhängig werden ließ. Opioide aber, betonen Deaton und Case, stünden allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße zur Verfügung. Auch der Ansatz, es mit um sich greifender Armut zu begründen, greife zu kurz. Schwarze und Latinos seien im Durchschnitt noch immer ärmer als Malocher mit weißer Haut, auch wenn die Lücke kleiner werde. Und während Bundesstaaten am unteren Ende der Einkommenspyramide, Arkansas oder Mississippi, eine flachere Kurve beim Anstieg der Überdosis-Toten zu verzeichnen haben, zeigt sie in wohlhabenderen Staaten steiler nach oben, beispielsweise in Florida, Maryland, New Jersey und Maine.

Was also sind die Ursachen sinkender Lebenserwartung, wenn das Überangebot an Schmerzmitteln oder Armut allein noch nichts erklären? Folgt man dem Duo aus Princeton, hat es damit zu tun, dass Weiße, die kein College besucht haben, am ratlosesten auf die radikalen Veränderungen reagieren, die ihre Lebenswelt aus den Angeln heben. Weiße Arbeiter hätten den Wandel psychologisch am schlechtesten verkraftet, weil ihre Erwartungen anfangs so viel höher gewesen seien als die von Schwarzen oder Hispanics. Der Niedergang der Gewerkschaften hatte bei Gehaltsverhandlungen eine Position der Schwäche zur Folge – was das Realeinkommen von 1979 an sinken ließ. Und überhaupt, die Institutionen, die der "white working class" Halt gaben, das Gewerkschaftslokal oder die Kirche, hätten sich als weitgehend ineffizient erwiesen angesichts der tektonischen Plattenverschiebungen der globalen Wirtschaft.

Hatten Ende der Sechziger bis auf fünf Prozent alle erwerbsfähigen Männer zwischen 25 und 54 einen Job, so ging nach dem Absturz der Finanzkrise ein Fünftel keiner Erwerbstätigkeit nach. Im Jahr 2018, in Zeiten, in denen der Wirtschaftsmotor brummte, waren es in dieser Altersgruppe noch immer 14 Prozent, die keine Arbeit hatten. Viele hatten aufgegeben, danach zu suchen.

(Frank Herrmann, 14.7.2020)


Aus: "Rasanter Niedergang der amerikanischen Mittelschicht"  Frank Herrmann aus Washington (14. Juli 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000118687185/rasanter-niedergang-der-amerikanischen-mittelschicht

Quote
Oberst_Stein

Die USA ist wirklich das perfekte Beispiel wie man ein Wirtschaftssystem nicht aufbauen sollte. Ein paar wenige leben im größten Luxus, der Rest schleppt sich von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck.


Quote
vaping duck

Nennen wir es einfach Kapitalismus.


Quote
Ausgeflippter Lodenfreak

... hier im Artikel [wird] der Begriff Arbeiter verwendet, was auf die falsche Fährte führt, denn es geht um die frühere Mittelschicht. Früher gab es eine nivellierte Mittelschicht aus Facharbeitern und (Staats-)Angestellten. Diese dominierte gesellschaftlich, kulturell und wirtschaftlich. In Gesellschaft und Kultur hat aber die neue akademische Mittelschicht heute das alleinige Sagen und wirtschaftlich wurde die klassische Mittelschicht durch die Globalisierung schwer angeschlagen. Folge: Abstieg und Verlusterfahrung.


Quote
hohoh

Da lacht das Herz der USA-Hasser.


Quote
Practica

Nein. Das ist eher traurig. Und steht uns auch ins Haus, der Neoliberalimus bringt's.


Quote
Berg der Weisheit

"was das Realeinkommen von 1979 an sinken ließ"

Geht's der Finanzwirtschaft gut, geht's der Finanzwirtschaft gut.


Quote
Rohling

Und viele von ihnen wählen rechts, weil sie dem Versprechen, den ärmeren etwas wegzunehmen, mehr Befriedigung abgewinnen als sozialer Gerechtigkeit.
Weltweite Verblödung.


Quote
Jupidupidu

leider wurde diese über jahrzehnte andauernde entwicklung unter linken regierungen kein bisschen gebremst. oder wie würden sie die politik blairs und schröders bewerten? ...


Quote
Chri_Kn

Das Schema Rechts und Links funktioniert in Amerika nur sehr bedingt. Die Demokraten sind jetzt auch nicht wirklich Links. Populisten versprechen halt einfache Antworten auf komplexe Probleme.
Wesentlich dürfte hier aber ein Wir gegen Die sein und Hauptsache Uns geht's besser als Denen.

Man schaue im Übrigens aufs eigene Land und wie gewisse Bevölkerungsgruppen hier gewählt haben. Und dann schaue man sich für welches Klientel die Parteien tatsächlich Politik machen. Das passt häufig auch nicht so wirklich zusammen.


Quote
anton-aus-tyrol

Die Scheren - Im Laufe der Geschichte, bis ins alte Rom, gibt es ein paar Indikatoren, die immer auftreten, bevor es zu einem Umsturz/Revolution etc gekommen ist. Einer davon ist, wenn die Mittelschicht ausdünnt, vor allem in Richtung einer wachsenden Armutsschicht. Ein zweiter ist die Bildungsschere, zwischen sehr hochgebildet und kaum Zugang zu hoher Bildung. Die gehen meist gleichzeitig einher und hängen natürlich zusammen. In den USA ist dieses Problem mittlerweile enorm. In Europa drängt es sich auch langsam auf.


Quote
maexl

Die Neoliberalen/Konservativen der Welt verstehen es perfekt die untersten 90 % gegeneinander auszuspielen, Ängste zu schüren, Hass zu streuen und den Fluß von unten nach oben zu wahren.


QuoteAndreas Bogeschdorfer1

"Niedergang" - Sehr nette Umschreibung für einen hemmungslosen Raubzug der Superreichen, die vor (Steuererleichterungen für Reiche) in der Coronakrise (wie in vielen Krisensituationen -siehe Finanzkrise, siehe Hurricans) mit Hilfe der Regierung Milliarden auf ihre Konten verschoben haben. Auch bei den Gewerkschaften ist es nicht einfach ein "Niedergang", sondern gewollte Zerstörung.


Quote
Günther Aigner

... Danke für den Artikel. "Schön" zu lesen, und zu kombinieren, auch wenn der Inhalt sehr deprimierend ist. Aber was nützt es, es ist nun mal die Realität. Als ehemals in den USA wohnhafter Mensch pflege ich häufig zu sagen: Die USA sind uns zwischen 10 und 20 Jahre voraus. Die Trends kommen auch zu uns. Auch bei uns wird die Mittelschicht versinken. Ich sage das nicht aus Schadenfreude, sondern ich fürchte einfach, dass das ein Teil unserer Zukunft ist.


Quoteallergische Reaktion, 14. Juli 2020, 09:13:33

Die Gewerkschaften waren nicht ineffizient. Die Neocons und Neoliberalen führen seit Jahrzehnten einen Krieg gegen die Gewerkschaftsbewegung, der in den U.S.A. (Reagan) und GB (Thatcher) sehr erfolgreich war. An dieser Stelle sei wieder Warren Buffet zitiert: "There's class warfare, all right, but it's my class, the rich class, that's making war, and we're winning."


QuoteRohling, 14. Juli 2020, 09:19:22

Und viele von ihnen wählen rechts, weil sie dem Versprechen, den ärmeren etwas wegzunehmen, mehr Befriedigung abgewinnen als sozialer Gerechtigkeit.
Weltweite Verblödung.


Quote
Janus Wien

Die Reichen besitzen exklusiv
* Hoheit über Belohnung/Bestrafung bei gefälligem/ungefälligem Verhalten
* Hoheit über Bildung, Abschlüsse, Berechtigungen
* Hoheit über Manipulation (Marketing, Medien)
* Hoheit über Vermögen und Ertragsverteilung


Quote
ka-tse

Es sieht so aus als lebten wir in einer dystopischen Realityshow, mit allem Drum und Dran.


Quote
Rum Tum Tugger

Wahnsinn, dass die Verlierer in den USA ausgerechnet einen Multimillardär als Heilsbringer sehen und den zum Präsidenten wählen. Das, obwohl vorherzusehen ist, dass dieser die Steuern massiv senken wird, und dadurch wiederum nur die Reichen profitieren. ...


Quote
Oceanside

Meines Erachtens nach wird hier der Begriff ,,Mittelschicht" einfach noch so verwendet, wie er eben in den 50er/60er Jahren ausgesehen hat

Seit den 80er Jahren hat sich die Mittelschicht verändert, weil man mittlerweile in den USA für fast alles schon ein College absolviert haben muss und es kaum noch Leute gibt, die der Mittelschicht zugeordnet werden, die keinen Desk Job /Bürojob haben

Arbeiter, also Personen, die entweder in Fabriken, wo es noch welche gibt, oder Service tätig sind, sind seit Jahrzehnten in den USA nicht mehr Teil der Mittelschicht, denn ihnen fehlen grundlegende Mittel wie Versicherung, Eigenheim, Leistbarkeit der Erziehung der Kinder (Bildung etc), Urlaubsmöglichkeiten

Die Beschrieben sind working poor oder jobless.


Quotelou cyphre

vor kurzem lief auf ZDF info eine doku über die stadt dayton (sehr sehenswert), in der genau das oben beschriebene passierte: ein unternehmen nach dem anderen wanderte in länder ab, in denen arbeiter billiger produzierten. dort gibts in manchen stadtteilen nicht mal mehr einen supermarkt. wer kann, zieht weg. wer sich allerdings in dayton ein eigenheim geschaffen hat, kommt nicht mehr weg: keiner will dort ein haus kaufen, also kann man seines auch nicht verkaufen. eine abwärtsspirale, aus der man kaum raus kommt...

Im sogenannten Rust Belt rund um Dayton, Ohio, zeigen sich die Folgen der Rezession nach dem Niedergang der US-amerikanischen Autoindustrie: Fast 35 Prozent der Menschen leben in Armut.

Dabei war Dayton noch vor wenigen Jahrzehnten der Inbegriff von Reichtum, Wohlstand und Erfindergeist. In Dayton sind aus Erfindungen Unternehmen entstanden wie General Motors, Delco und National Cash Register. "Von den 1930er bis in die 1970er Jahre war der Wohlstand breit verteilt. Die Einkommen der Mittel- und unteren Schicht stiegen schneller an als die an der Spitze. Zehn, hundert Millionen Amerikaner konnten sich erstmals ein eigenes Haus leisten", beschreibt der Politikwissenschaftler Professor Jacob S. Hacker von der Yale University den damaligen Boom Daytons.
Doch mit Steuersenkungen für Reiche und einer regelrechten Deregulierungswelle unter US-Präsident Ronald Reagan und mit der zunehmenden Globalisierung in den 1980er und 1990er Jahren wendete sich das Blatt. International agierende Unternehmen machten Fertigungsstandorte in den USA dicht, Arbeitslosigkeit und Armut folgten.
"Banker und Unternehmensvorstände trafen Entscheidungen fernab von den Menschen, hielten Arbeitskräfte für überflüssig. Leider herrscht der Irrglaube, was gut sei für die Wall Street, sei gut für alle. Die Wall Street hat viele Unternehmen gezwungen, ihre Arbeitskosten aus den Bilanzen zu streichen und Jobs ins Ausland zu verlegen", analysiert Rana Foroohar, Mitherausgeberin der "Financial Times". 1993 unterzeichnet Bill Clinton das Freihandelsabkommen NAFTA. Die Herstellung von Autoteilen wandert nach Mexiko ab. Besonders folgenreich für die US-Industrie ist der Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation 2001. Dieses Problem hallt bis heute im Handelskrieg zwischen den USA und China nach.
Ironie der Geschichte, dass im ehemaligen General-Motors-Werk in Dayton heute ein chinesischer Autoglas-Hersteller produziert.
// Beitragslänge: 44 min, Datum: 16.07.2020, Verfügbarkeit: Video verfügbar bis 30.07.2020, in Deutschland
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/das-vergessene-amerika-eine-stadt-kaempft-ums-ueberleben-102.html



QuoteHier ist der Link zu einer ausgezeichneten Doku über Schmerzmittelmissbrauch und die Machenschaften des Pharmakonzerns Sackler in den USA
Erschütternd, was sich da abspielt. Ganze Städte werden vernichtet.

Überdosen an Schmerzmitteln sind für knapp 200.000 Todesfälle in den USA verantwortlich – allein in den letzten fünf Jahren.  Diese Schmerzmittel enthalten Opioide – künstliches Morphin. Sie wirken schnell, zuverlässig und machen süchtig. Die Opioid-Epidemie zerstörte Familien und ganze Gemeinden, legte in vielen Regionen die Wirtschaft lahm. Das Phänomen betrifft alle Altersgruppen und sozialen Schichten.
Zwar sind die meisten Arztpraxen und Kliniken, in denen Jahre lang millionenfach Opioide verschrieben wurden, mittlerweile geschlossen, und eine Welle von Klagen hat Ärzte, Apotheker, Großhändler und Hersteller der Pharma-Industrie überzogen. Doch seitdem floriert der Schwarzmarkt auf der Straße und im Darknet.
Das opioidhaltige Schmerzmittel OxyContin brachte dem Pharmakonzern Purdue über 35 Milliarden Euro Gewinn. Als völlig unbedenklich wurde es vermarktet. In Wirklichkeit kann OxyContin wie auch weitere in den USA massiv verschriebene Schmerzmittel, wie Fentanyl, schon nach kurzer Zeit abhängig machen.
Mittlerweile lässt sich die Opioid-Krise nicht mehr als rein amerikanisches Phänomen verdrängen. Auch in Deutschland hat die von Ärzten verschriebene Menge an opioidhaltigen Schmerzmitteln zwischen 2006 und 2015 um knapp ein Drittel zugenommen. Und auch in Frankreich weist die Kurve der Verordnungen von starken Opioiden steil nach oben.
Die Dokumentation rekonstruiert die Hintergründe der Gesundheitskatastrophe in den USA aus erster Hand und schildert die Situation in Deutschland und Frankreich.

Regie: Carmen Butta, Land:  Deutschland, Jahr: 2018, Herkunft: ZDF
https://www.arte.tv/de/videos/083585-000-A/suechtig-nach-schmerzmitteln/


Quote
Ritter Trenk

Im Artikel wird es nochmal deutlich! Trump ist das Symptom und nicht die Ursache der gesellschaftlichen Probleme in den USA!


Quote
Marq

Dieser Artikel zeigt sehr schön auf, wie wichtig ein Sozialstaat und Gewerkschaften sind.


QuoteCommunity-Name

Sanders war der einzige Kandidat, der diese Probleme und ihre Ursachen erkannt hat und ändern wollte.
und deshalb durfte er nicht ins Rennen gegen Trump gehen. ...


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Textaris(txt*bot)

Quote[...] [ ... "MillionärInnen unter dem Mikroskop: Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen – Konzentration höher als bisher ausgewiesen" (DIW Wochenbericht 29 / 2020, S. 511-521), https://www.diw.de/de/diw_01.c.793802.de/publikationen/wochenberichte/2020_29_1/millionaerinnen_unter_dem_mikroskop__datenluecke_bei_sehr_ho___geschlossen______konzentration_hoeher_als_bisher_ausgewiesen.html, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.793785.de/20-29-1.pdf, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.793783.de/20-29.pdf ...]

Die Reichen sind verschwiegen. Deshalb weiß man wenig über sie. Erst recht nichts darüber, wie groß ihr Besitz tatsächlich ist. Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) haben nun erstmals verlässliche Daten über die Reichsten der Deutschen auswerten können. Das Ergebnis: Die Vermögen sind noch ungleicher verteilt als angenommen. Für die Politik ist das ein Weckruf.

Schließlich leben wir in einem Land, das seinen Bürgern einst ,,Wohlstand für alle" versprochen hat. Heute sind wir davon weit entfernt. Inzwischen sind die Vermögen in der Bundesrepublik so ungleich verteilt wie in kaum einem anderen Land der EU. Laut DIW vereinen die oberen zehn Prozent der Deutschen zwei Drittel des gesamten Nettovermögens auf sich – während die untere Hälfte der Bevölkerung im Schnitt gerade einmal 3700 Euro besitzt.

[...] Verschärft wird die Ungleichheit nämlich auch durch den großen Niedriglohnsektor. Viele Deutsche verdienen so wenig Geld, dass sie schlicht kein Vermögen aufbauen können. In einem reichen Land wie Deutschland aber ist es kaum hinnehmbar, dass noch immer so viele Menschen von ihrem Einkommen kaum leben können. Ohne höhere Löhne wird sich daran wenig ändern.

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Aus: "Große Lücke zwischen Arm und Reich: Was die Politik gegen die Ungleichheit tun sollte" (15.07.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/grosse-luecke-zwischen-arm-und-reich-was-die-politik-gegen-die-ungleichheit-tun-sollte/26007258.html

QuoteWilhelm_Wuerzburg 15.07.2020, 17:20 Uhr

Verstehe das Anliegen. Jedoch: Jetzt fehlt noch die Antwort, warum "die Politik die Ungleichheit im Land nicht länger ignorieren" darf? Warum denn nicht? Klappt doch ganz gut! Und: Wer ist jetzt noch mal die Politik? ...


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"Vermögensverteilung: Das obere Prozent" (14. Juli 2020)
Bisher waren die Vermögen der reichsten Deutschen eine Blackbox. Forscher haben sie nun geöffnet. Ihre Daten zeigen: Die Vermögen sind ungleicher verteilt als gedacht. ... Die DIW-Forscher hoffen darauf, dass ihre Studie eine neue Debatte über Vermögenspolitik in Deutschland anstößt. Dank der neuen Daten sei es nun möglich, die Vermögenden jedes Jahr zu befragen und zu beobachten – und damit auch die Vermögenskonzentration in Deutschland. Vermutlich im Herbst wird die Untersuchung Teil des sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.  ...
Von Fabian Dinklage, Annick Ehmann, Philip Faigle, Vanessa Vu, Paul Blickle und Julian Stahnke
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/vermoegensverteilung-deutschland-diw-studie-ungleichheit

QuoteChrisWalker #28.1

"Dass die Verteilung noch drastischer ist als angenommen."

Naja die letzten belastbaren Daten stammen aus dem Jahr 2010. Schaut man sich die Entwicklung seit 1995 an und bedenkt 1. Zinseffekte und 2. die explodierenden Wertigkeiten von Anlagevermögen, sind die Ergebnisse alles andere als verwunderlich. ...



Quotelife_is_short #8

"50 Prozent der Erwachsenen in Deutschland besitzen rund 1,4 Prozent des Gesamtvermögens"

Immer noch 1,4 Prozent zuviel...


QuoteMadMarvin #8.1

"Immer noch 1,4 Prozent zuviel..."

Genau, was bilden die Sklaven sich ein?


QuoteDwayne Elizondo Mountain Dew Herbert Camacho #9

... Als einer, der mit Sicherheit zum untereren Drittel gehört, sage ich: Man muss auch gönnen können. ... [Ja, ich arbeite für meinen Lebensunterhalt. Ich bin nicht an einen Tariflohn gebunden, sondern kann im Spiegel dessen, was ich ich für das Unternehmen leiste, meinen Lohn selber aushandeln. Es gibt Personen, die das nicht können, oder wollen. Die erhalten dann unter Umständen einen absurd hohen Lohn (wie z.B in der Autoindustrie, Airbus), oder einen absurd niedrigen Lohn (Friseur, Backverkaufstand).]


QuoteSuperkommentator #36

Eigentum und insbesondere Reichtum wird politisch erst möglich. Genau diese Verteilung ist also in unserem Land politisch auch genau so gewollt, sonst wäre nicht so. ...


Quotetakeroftime #24

Wie ist es eigentlich möglich, dass in einer Demokratie Politik gegen den Vorteil der großen Mehrheit gemacht wird?


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Quote[...] In Hannover mussten aus Bulgarien stammende Beschäftigte in einem früheren Hotel schlafen. Sie hatten nicht einmal Toiletten.

GÖTTINGEN taz | Überbelegung, Schimmelpilz, undichte Dächer, Brandschutzmängel und nicht tragbare hygienische Zustände: Über die katastrophalen Bedingungen in vielen Behausungen für Mitarbeitende in der Fleischindustrie – nicht nur im Tönnies-Imperium – ist in den vergangenen Wochen häufig berichtet worden.

Dass es in anderen Branchen auch nicht immer besser aussieht, stellten Mitarbeitende der Gewerbeaufsicht und der Gesundheitsbehörde in Hannover am Dienstag bei einem nicht angemeldeten Besuch auf der Baustelle des ehemaligen ,,Maritim"-Hotels fest. Rund 50 überwiegend aus Bulgarien stammende Beschäftigte, die mit der Entkernung des Gebäudes beauftragt sind, hausten dort ohne Trinkwasser, ohne sanitäre Einrichtungen und ohne Waschmöglichkeiten.

Bei dem Termin fanden die Behördenleute wohl auch keine kompetenten Ansprechpartner vor. Der Leiter des Gewerbeaufsichtsamtes, Bernd Reese, sagte der Hannoverschen Allgemeine Zeitung (HAZ), die am Mittwoch zuerst über die Zustände auf der schwer mit Schadstoffen belasteten Baustelle berichtet hatte, es sei ,,kein Bauleiter, der der deutschen Sprache mächtig war", angetroffen worden. Lediglich ein Mitarbeiter solle gebrochen gedolmetscht haben.

Für Mittwochnachmittag wurde deshalb erneut eine Kontrolle angesetzt – der Termin dauerte bei Redaktionsschluss noch an. Das Gewerbeaufsichtsamt habe die Zusage erhalten, dass dann ein Bauleiter vor Ort sein werde, sagte Reese zur taz. Themen des Treffens sollten unter anderem Fragen des Arbeitsschutzes und vorgegebene Corona-Hygienemaßnahmen sein.

Das Übernachten in den Räumen wurde bereits am Dienstag mit sofortiger Wirkung untersagt. Grundsätzlich sei es aber nicht unüblich, dass Arbeiter auf Baustellen übernachteten, so Reese – dann allerdings meistens in extra dafür aufgestellten Containern. Wenn entsprechende Bedingungen hergestellt werden könnten, gelte das auch für das ,,Maritim".

Beschäftigte aus umliegenden Büros hatten Ende vergangener Woche die Polizei über vermutete Missstände im früheren ,,Maritim" informiert. Die Anrufer hätten sich darüber gewundert, dass die Abbrucharbeiter in dem maroden Gebäude übernachten mussten, hieß es. Deutlich sichtbar seien Schuhe, Hosen und andere Wäschestücke zum Trocknen auf die äußeren Fenstersimse gelegt worden.

Das Hotel wurde in den 1960er-Jahren am Friedrichswall im Zentrum der niedersächsischen Landeshauptstadt errichtet. Es war der erste Großhotelbau in Hannover nach dem Zweiten Weltkrieg. 1995 erwarb die Hotelkette ,,Maritim" das Gebäude für rund 35 Millionen D-Mark. Im Expo-Jahr 2000 wurde das Vier-Sterne-Haus erstmals saniert.

Nachdem weder das Land Niedersachsen noch die Stadt Hannover für eine weitere Sanierung Bürgschaften übernehmen wollten, verkaufte die Hotelkette das Gebäude im Jahr 2014. Besitzer ist seitdem die Berliner ,,Intown"-Gruppe, ein Finanzinvestor inmitten eines unübersichtlichen Geflechts aus zahlreichen Unterfirmen und Beteiligungen. Strategie des Unternehmens ist es, Immobilien in schlechtem Zustand an gut gelegenen Standorten zu erwerben, um diese dann zu sanieren und teuer zu vermieten und zu verkaufen.

Seit Anfang 2019 gehört die ,,Intown"-Gruppe zur ,,Lianeo Real Estate GmbH". Diese versteht sich laut Eigenwerbung als ,,übergreifende Plattform für Asset Management, Property Management, Facility Management und Leasing Management". Sie verwaltet Vermögen und Immobilien mit einer Gesamtfläche von drei Millionen Quadratmetern. Im vergangenen Jahr waren mehr als 130 Firmen unter diesem Namen registriert.

Der neue Eigentümer kündigte zunächst den Beginn der Totalsanierung und den Umbau zu einem modernen Hotel für 2018 an. Es passierte dort aber erst mal lange Zeit gar nichts. Erst kürzlich begann die Entkernung und die Beseitigung der mit Schadstoffen belasteten Altlasten.

In der Zwischenzeit hatte die Stadt Hannover das Haus für mehrere Millionen Euro angemietet, um dort geflüchtete Menschen unterzubringen. Zeitweise lebten dort bis zu 550 Geflüchtete. Betreiber der damals größten Flüchtlingsunterkunft in Hannover war das Deutsche Rote Kreuz.

Auftragnehmer für die Bauarbeiten ist angeblich die ,,Manufortis Construction GmbH" aus dem brandenburgischen Zossen. Sie musste am Dienstag dafür sorgen, dass die Beschäftigten an anderen Orten untergebracht werden. Ob das erfolgt ist, sollte bei der gestrigen Begehung überprüft werden. Das Unternehmen hat zwar einen Eintrag im Handelsregister, aber keinen eigenen Internetauftritt.


Aus: "Unterbringung von Bauarbeitern: Bruchbude für Arbeiter" Reimar Paul (15. 7. 2020)
Quelle: https://taz.de/Unterbringung-von-Bauarbeitern/!5696060/


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Quote[...] António Guterres, der Generalsekretär der Vereinigten Nationen, hatte seine Rede im New Yorker UN-Hauptquartier aufgezeichnet – was deren Wucht indessen keinen Abbruch tat. Der portugiesische Sozialist nahm den Termin zum Anlass, der aus den Fugen geratenen Welt den Spiegel vorzuhalten – oder, um in seinem Bild zu bleiben, deren "Röntgenbild".

Nach den Worten des Geschäftsführers der Staatenfamilie bietet die Corona-Pandemie einen unverdeckten Einblick in den Zustand der Menschheit: Die Seuche bringe "die Brüche im fragilen Skelett der von uns gebildeten Gemeinschaften" zum Vorschein. Verursacht würden diese Brüche von einer immer krasser werdenden Ungleichheit: Sie drohe jetzt "unsere Ökonomien und unsere Gesellschaften zu zerstören".

Das Missverhältnis wird nirgendwo deutlicher als in der Heimat Nelson Mandelas: Südafrika gilt als einer der ungleichsten Staaten der Welt. Auch deshalb wird das Kap der guten Hoffnung derzeit besonders gnadenlos vom Virus heimgesucht: Der 55 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählende Staat steht mit 350.000 Infizierten mittlerweile an fünfter Stelle der makabren Weltrangliste – gleich nach viel bevölkerungsreicheren Ländern wie den USA, Indien oder Russland. Südafrikas Gesundheitssystem steuert auf den Kollaps zu: In Armenregionen wie der Ostkap-Provinz ist es bereits zusammengebrochen. Für Guterres der Beweis, dass die Behauptung, "der freie Markt könne Gesundheitsvorsorge für alle bieten, eine Lüge ist"

Dabei ist der vom Virus selbst angerichtete Schaden noch nicht einmal die schlimmste Folge der Pandemie: Er wird – vor allem in Afrika – von der wirtschaftlichen Verheerung noch übertroffen. Wegen des Lockdowns haben weit über drei Millionen Südafrikaner ihren Job verloren, die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 50 Prozent. Die Hälfte aller Kapbewohner haben nicht mehr genug Geld, um sich aus eigener Tasche über Wasser zu halten: Eine oder einer von fünf Befragten gab einem Umfrageinstitut zufolge kürzlich an, mindestens einmal in der Woche hungrig zu Bett zu gehen.

Südafrika steht an einsamer Spitze der afrikanischen Corona-Charts: Mancher Politiker des Kontinents schlägt sich schon anerkennend auf die Schulter. Möglicherweise etwas voreilig: Denn die Ziffern steigen auch in anderen afrikanischen Staaten an, die wirkliche Welle kann noch kommen, auch ist den offiziellen Angaben wegen der wenigen Tests nicht unbedingt zu trauen. Auch Südafrika dachte zunächst, noch einmal mit dem Schrecken davon zu kommen. Aber das Virus, sagt Guterres, "entblößt jeden Irrtum.

Die ökonomischen Folgen der Pandemie wirken sich auch im Rest Afrikas wesentlich verheerender als das Virus selbst aus: Der Tourismus kam zum Erliegen, der Handel bricht ein, mehr als 100 Millionen Menschen könnten bald zusätzlich auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein, rechnete das Welternährungsprogramm aus. "Die Vorstellung, dass wir alle im selben Boot sitzen, ist ein Mythos", sagt Guterres: "Manche sitzen in Luxusyachten, während sich andere an im Wasser treibenden Trümmern festhalten.

Afrika wurde nach den Worten des Generalsekretärs in doppelter Weise zum Opfer: Einerseits durch den Kolonialismus, dessen Auswirkungen noch heute zu spüren seien. Andererseits sei der Kontinent in den nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Institutionen unterrepräsentiert. "Die Ungleichheit beginnt ganz oben bei den globalen Institutionen: Um ihr zu begegnen, muss man der Reform dieser Institutionen beginnen." Guterres schlägt nichts Geringeres als die Umgestaltung der gesamten globalen Architektur vor: Ein "neuer Sozialvertrag" sei nötig sowie ein "neuer globaler Deal", der auf einer "fairen Globalisierung" basiere. Zumindest einen Vorteil habe die derzeitige "menschliche Tragödie": Dass sie eine Möglichkeit biete, die Welt auf "gleichere und nachhaltigere Weise" wieder aufzubauen.

In der ökologischen Klima- und der antirassistischen "Black Lives Matter"-Bewegung sieht Guterres immerhin zwei Lichtblicke: "Sie lehnen die Ungleichheit ab und vereinen junge Menschen, die Zivilgesellschaft, den privaten Sektor, Städte und Regionen hinter einer Politik für Frieden, unseren Planten, Gerechtigkeit und Menschenrechte für alle." Die Welt drohe zu zerbrechen, schloss der Chef des Staatenbunds: "Wir wissen jedoch, auf welcher Seite der Geschichte wir stehen." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 19.7.2020)


Aus: "Covid-19 - UN-Chef Guterres: Nicht alle sitzen im selben Boot, manche sitzen in der Yacht" (19.7.2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000118848475/un-chef-guterres-nicht-alle-sitzen-im-selben-boot-manche

Textaris(txt*bot)

#1082
QuoteNico Semsrott @nicosemsrott

Jeff Bezos hat am Montag innerhalb von 24 Stunden 13 Milliarden Dollar verdient.

Für mich ist das kein Grund für irgendeine Debatte, sondern eher Anlass anzuerkennen, dass er sich an dem Tag einfach richtig reingehängt hat.


https://twitter.com/nicosemsrott/status/1285933308799586307

QuoteSchlag Sahne @NeuImNeuland Replying to @nicosemsrott

Die eigentliche Frage ist doch, weshalb Elon Musk so eine faule Socke ist.

Tesla-Chef Elon Musk darf eine etwa 2,1 Milliarden US-Dollar hohe Vergütung beziehen, weil der Börsenkurs seines Unternehmens eine vorher vereinbarte Zielmarke über längere Zeit gehalten hat. Im Mittel von sechs Monaten belief sich die Marktkapitalisierung des Automobilbauers auf mehr als 150 Milliarden US-Dollar ...
https://www.golem.de/news/zielvereinbarung-elon-musk-bekommt-2-1-milliarden-us-dollar-2007-149801.html


https://twitter.com/NeuImNeuland/status/1285942604035653632


QuoteToxo77 @Toxo77 Replying to @NeuImNeuland and @nicosemsrott

Der is halt kiffer


https://twitter.com/Toxo77/status/1286175947130052609

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mit zwei Lastwagen-Korsos durch Berlins Zentrum wollen am Freitag ab 9.00 Uhr mehrere Initiativen und Verbände der Transportbranche gegen Dumpinglöhne und unfaire Frachtpreise protestieren. Wie schon bei einer vorigen Aktion vor rund einem Monat sollen die Fahrzeuge von der Raststätte Avus im Berliner Westen über die Straße des 17. Juni bis zum Brandenburger Tor rollen.

Ein weiterer Korso wird sich im Süden an der Raststätte Michendorf über den Tempelhofer Damm und die Wilhelmstraße in Bewegung setzen. Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte dem Tagesspiegel am Freitagmorgen, es würden rund 500 Sattelzüge und Lkw erwartet. In einer vorigen Meldung hatte es geheißen, es würden wie bei der Aktion vor einem Monat rund 100 Fahrzeuge erwartet.

Die Demo ist laut Polizei bis 18 Uhr angemeldet und trägt den Titel "Demo gegen mangelnde Kontrollen im Transportgewerbe sowie unfairen Wettbewerb, Wettbewerbsverzerrung und Dumpingpreise in diesem Segment".

[...] Der Protest der Fahrer richtet sich gegen Dumpinglöhne vor allem osteuropäischer Subunternehmen, von denen auch deutsche Auftraggeber profitierten. Sie führten zu Frachtpreisen, bei denen andere europäische Wettbewerber nicht mithalten könnten, erläuterte der Veranstalter bei der vorigen Kundgebung im Juni.

Dazu trügen auch die unterschiedlichen Mindestlohnniveaus in den einzelnen EU-Staaten bei. (dpa/Tsp)


Aus: "Transportbranche demonstriert mit Lkw-Korsos in Berlin gegen Dumpinglöhne" (24.07.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/strasse-des-17-juni-gesperrt-transportbranche-demonstriert-mit-lkw-korsos-in-berlin-gegen-dumpingloehne/26033686.html

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Quote[...] Die Gehaltsunterschiede zwischen Arbeitnehmern in Ost- und Westdeutschland sind auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch groß. Wie RND.de berichtet, verdienten Vollzeitbeschäftigte mit Sozialversicherungspflicht in den alten Bundesländern im Jahr 2019 im Mittel 699 Euro mehr als in den neuen Bundesländern. Quelle dafür ist eine Regierungsantwort auf eine AfD-Anfrage.

Lag der mittlere monatliche Bruttolohn im Westen bei 3526 Euro im Monat, waren es im Osten nur 2827 Euro, wie dem Bericht zufolge aus der Regierungsantwort weiter hervorgeht. Das entspricht einem Lohnunterschied von rund einem Fünftel.

Ein Vergleich mit den Zahlen von 2018 zeigt demnach, dass der Entgeltunterschied zwischen Ost und West im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen ist. Das mittlere Entgelt stieg dem Bericht zufolge in den neuen Bundesländern um 120 Euro monatlich, die alten Länder verzeichneten ein Plus von 92 Euro.

Bundesweit lag demnach das mittlere Bruttoarbeitsentgelt der Vollzeitbeschäftigten mit Sozialversicherungspflicht im vergangenen Jahr bei 3401 Euro im Monat, was einem Anstieg von 2,9 Prozent oder 97 Euro im Vergleich zum Jahr 2018 (3304 Euro) entspricht.

Der größte Entgeltunterschied zwischen den Bundesländern besteht zwischen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, heißt es weiter. Lag das mittlere Entgelt in Hamburg im vergangenen Jahr bei 3820 Euro brutto im Monat, waren es demnach in Mecklenburg-Vorpommern nur 2608 Euro.

Die Bundesregierung berief sich in ihrer Antwort auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Das mittlere Einkommen, der Median, ist ein statistischer Wert, der robuster gegenüber Ausreißern ist als der klassische Durchschnittswert. Das Medianentgelt bezeichnet jenes Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Lohn gibt.

Quelle: ntv.de, vpe/AFP


Aus: "Noch immer großer Unterschied: Osten holt leicht bei Gehaltslücke auf" (Samstag, 01. August 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Osten-holt-leicht-bei-Gehaltsluecke-auf-article21946992.html