[...] Die russische Künstlerin Julia Zwetkowa soll wegen der Zeichnung weiblicher Geschlechtsorgane nach dem Willen der Staatsanwaltschaft für drei Jahre und zwei Monate ins Straflager.
Vorgeworfen wird der 29-Jährigen die Herstellung und Verbreitung von Pornografie, wie ihre Mutter Anna Chodyrewa am Dienstag bei Facebook mitteilte. Das Gericht in Komsomolsk am Amur im äußersten Osten Russlands will nach dem Schlusswort Zwetkowas am 17. Juli das Urteil verkünden.
Maximal drohen der Feministin in dem von internationalen Menschenrechtsorganisationen als Justizwillkür kritisierten Strafverfahren bis zu sechs Jahre Haft. Die bekannte Aktivistin Zwetkowa kassiert in Russland seit Jahren Strafen, weil sie etwa gleichgeschlechtliche Paare mit Regenbogen-Motiven malt. Und sie erhält massenhaft Morddrohungen, wie sie der Deutschen Presse-Agentur vor Prozessauftakt gesagt hatte.
Die nun beanstandeten Bilder gehören zu einer Sammlung mit dem Titel „Eine Frau ist keine Puppe“, die sie in sozialen Netzwerken verbreitet hatte. Viele prominente Russen aus dem Show- und Mediengeschäft, Menschenrechtler und Politiker hatten das Vorgehen der Justiz gegen die Künstlerin verurteilt. Bei Straßenprotesten kam es immer wieder zu gewaltsamen Festnahmen.
Ihre Zeichnungen sieht Zwetkowa wie auch viele Kunstexperten, die auf Gemälde großer Meister von nackten Frauen in den Museen der Welt verweisen, nicht als Pornografie. Die Aktivistin aus der Region Chabarowsk ist auch für ihren Einsatz für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) landesweit bekannt.
Es gebe viel Hass gegen sie und ihre Mutter, hatte sie der dpa einmal gesagt. „Das ist schwer auszuhalten. Gedroht wird, uns zu erschießen oder zu verbrennen.“
Die Menschenrechtsorganisationen Memorial und Amnesty International haben Julia Zwetkowa offiziell auf die Liste der politisch Verfolgten gesetzt.
Das Verfahren läuft bereits seit November 2019. Rund vier Monate hatte sie in Hausarrest verbringen müssen, bevor sie unter der Auflage, die Stadt nicht zu verlassen, aus der Wohnung gehen durfte. Zu Prozessauftakt im vergangenen Jahr hatte Zwetkowa sich auch in Hungerstreik begeben. (dpa)
Aus: "Russischer Künstlerin droht wegen Zeichnung das Straflager" (14.06.2022)
Quelle:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/verdacht-auf-verbreitung-von-pornografie-russischer-kuenstlerin-droht-wegen-zeichnung-das-straflager/28425958.html-
Yulia Tsvetkova: Briefe gegen das Vergessen – April 2020
Die russische Aktivistin und Künstlerin Yulia Tsvetkova wird strafrechtlich verfolgt und schikaniert, weil sie für die Rechte von Frauen und LGBTI eintritt. Seit dem 22. November 2019 stand sie wegen ihrer Zeichnungen des weiblichen Körpers unter der unbegründeten Anschuldigung, "pornografisches Material hergestellt und verbreitet" zu haben, unter Hausarrest. Seit dem 16. März 2020 befindet sie sich zwar nicht mehr unter Hausarrest, und auch eine dringend benötigte zahnärztliche Untersuchung wurde ihr nun gestattet. Dennoch laufen nach wie vor strafrechtliche Ermittlungen gegen Yulia Tsvetkova. Am 11. Dezember 2019 wurde eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Rubel (etwa 730 Euro) gegen sie verhängt, weil sie die Administratorin zweier Online-LGBTI-Plattformen ist. In der Begründung heißt es, dies sei "Werbung für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen" – obwohl die Plattformen wie im russischen Recht vorgeschrieben mit dem Hinweis versehen sind, dass sie nur für Volljährige zugänglich sind. ...
https://www.amnesty.de/mitmachen/brief-gegen-das-vergessen/yulia-tsvetkova-
[...] Die Künstlerin Julia Zwetkowa kassiert in Russland Strafen, weil sie etwa gleichgeschlechtliche Paare mit Regenbogen-Motiven malt. Und sie erhält massenhaft Morddrohungen. Der Fall der 27-Jährigen steht beispielhaft für ein System.
Moskau/Komsomolsk am Amur (dpa) - Monatelang hat die junge russische Künstlerin Julia Zwetkowa wegen ihrer Zeichnungen nackter Frauen schon im Hausarrest verbracht. «Mir wird vorgeworfen, im Internet Pornografie verbreitet zu haben», sagt die 27-Jährige. Sie sitzt zu Hause in ihrer Heimatstadt Komsomolsk am Amur im äußersten Osten Russlands in einem Video-Chat mit der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Zeichnungen sieht sie wie auch viele Kunstexperten, die auf Gemälde großer Meister von nackten Frauen in den Museen der Welt verweisen, nicht als Pornografie. Aber in Russland setzt bisweilen schon ein gemalter Regenbogen den Staatsapparat in Gang.
Weil sie gleichgeschlechtliche Paare - Frauen und Männer - mit Kindern malt, eckt Julia Zwetkowa immer wieder an. «Familie ist das, wo Liebe ist», steht auf ihrem Bild mit Regenbogenfarben. Eine Richterin verurteilte sie deshalb Anfang des Monats zu 75 000 Rubel (926 Euro) Strafe. Gut zwei Monatsgehälter sind das in der Region. Viel Geld für die arbeitslose Theatermacherin, die wegen der Anklage auch ihren Posten als Direktorin eines Begegnungszentrums verloren hat. Sogar mit dem sonst für die Sicherheit des Landes zuständigen Inlandsgeheimdienst FSB hatte sie es schon zu tun.
«Sexuelle Orientierung ist keine Idee, keine Überzeugung», sagte Zwetkowa vor Gericht. «Und mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem ein Junge beim Anblick einer Regenbogenfahne schwul wurde.» Die Richterin sah das anders. Sie verurteilte Zwetkowa, weil sie Kinder in ihrer Entwicklung schade. Dabei hatten die Bilder im Netz die Altersangabe 18+. In einem anderen Verfahren lag die Strafe bei 50 000 Rubel, ein drittes steht noch aus.
Längst ist die Feministin aus der Region Chabarowsk, wo es acht Stunden später als in Deutschland ist, für ihren Einsatz um die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) landesweit bekannt. Auch die Europäische Union schaut auf den Fall. Doch das Schlimmste steht Julia Zwetkowa noch bevor. Weil sie Bilder von nackten Frauen gemalt hat, muss sie sich nun bald noch wegen Verbreitung von Pornografie verantworten. Bis zu sechs Jahren Straflager drohen ihr deshalb.
Die Bilder gehören zu einer Sammlung mit dem Titel «Eine Frau ist keine Puppe». Viele prominente Russen aus dem Show- und Mediengeschäft, Menschenrechtler und Politiker verurteilen das Vorgehen der Justiz gegen die Künstlerin. «Freiheit für Julia Zwetkowa!», fordern Aktivisten mit Plakaten bei Straßenprotesten. Immer wieder kommt es dabei zu gewaltsamen Festnahmen.
Auch das Internet - Facebook, Telegram, Instagram, Youtube - ist voll mit beißender Kritik an den Behörden. Auch Julia Zwetkowa selbst informiert und mobilisiert über die sozialen Netzwerke. Feministinnen landauf, landab demonstrieren gegen Gewalt an Frauen - und für mehr Rechte. «Mein Körper, meine Sache» ist inzwischen der Leitspruch einer ganzen Bewegung. Die Frauen wollen sich nicht vom Staat vorschreiben lassen, was gezeigt werden darf.
«Diese Unterstützung tut gut, weil ich mich dann nicht allein fühle», sagt Zwetkowa. «Es gibt aber auch viel Hass gegen mich und meine Mutter. Das ist schwer auszuhalten. Gedroht wird, uns zu erschießen oder zu verbrennen. Und es gibt genaue Beschreibungen, wo ich wohne.» Auch die Polizei selbst habe anfangs von ihren Vernehmungen Videos ins Netz gestellt mit Kommentaren. Die Absender der Hassbotschaften gegen Homosexuelle sind namentlich bestens bekannt. Eine Verfolgung aber wie die Zeichnerin Zwetkowa müssen sie kaum befürchten.
Die Menschenrechtsorganisationen Memorial und Amnesty International haben Julia Zwetkowa offiziell auf die Liste der politisch Verfolgten gesetzt. «Sie wurde zur Zielscheibe einer langen, diskriminierenden und klar homophoben Kampagne», heißt in einem Memorial-Dossier. «Die Behörden haben ihr einen Schlag nach dem nächsten versetzt, indem sie sie willkürlich verhafteten, verhörten und einschüchterten.»
Julia Zwetkowa weiß, dass sie einen langen und gefährlichen Kampf vor sich hat. «Wenn ich keine Angst hätte, wäre das schon seltsam.» Immer wieder hat die Künstlerin, die in London und Moskau studiert hat, daran gedacht, der Provinz den Rücken zu kehren. Doch die Stadt darf sie wegen der Verfahren nicht mehr verlassen.
«Für die LGBTI-Bewegung wird sich die Lage im Land weiter verschärfen», sagt sie. Zum einen wird das international umstrittene Gesetz 2013 zum Verbot von «Homo-Propaganda» breit angewendet. Es verbietet, sich in Gegenwart von Kindern positiv über gleichgeschlechtliche Liebe zu äußern. Zum anderen ließ Präsident Wladimir Putin gerade erst eine neue Verfassung mit konservativen Werten verabschieden. Sie schließt die gleichgeschlechtliche Ehe aus.
Als die Botschaften der USA und Großbritanniens im Juni in Moskau aus Solidarität mit der LGBTI-Bewegung Regenbogenfahnen hissten, kritisierte der Kreml das als Verstoß gegen russische Gesetze. Das Riesenreich mit seiner einflussreichen russisch-orthodoxen Kirche sieht sich zunehmend im Kampf mit dem Regenbogen, dem internationalen Symbol für Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten.
Gerade erst hörte sich Kremlchef Putin bei einem Treffen mit Funktionären an, dass die beliebte Eiscreme Raduga eine Gefahr für Kinder sei. Raduga ist Russisch für Regenbogen - die Eisverpackung entsprechend bunt. Kinder würden so an das Regenbogen-Motiv gewöhnt, warnte die Politikerin Jekaterina Lachowa. Putin widersprach nicht. Er regte vielmehr mit Blick auf das Eis des Anstoßes sogar eine «gesellschaftliche Kontrolle» rund um den Regenbogen an.
Aus: "«Mein Körper, meine Sache» - Junge Russin kämpft um nackte Tatsachen" Ulf Mauder (Fr, 17.07.2020)
Quelle:
https://www.greenpeace-magazin.de/ticker/mein-koerper-meine-sache-junge-russin-kaempft-um-nackte-tatsachen-von-ulf-mauder-dpaZEIT ONLINE @zeitonline 10:13 PM · Jul 16, 2020
Weil sie Vulven zeigt, soll die russische Künstlerin Julia #Zwetkowa ins Gefängnis. Seit Wladimir #Putin die neue Verfassung verabschieden ließ, erfasst eine Repressionswelle das Land.
https://twitter.com/zeitonline/status/1283857413922226177-
"Nach Pornografie-Vorwurf Freispruch für russische Künstlerin" (15. Juli 2022)
Julia Zwetkowa stand wegen Zeichnungen weiblicher Geschlechtsteile vor Gericht. "Es ist klar, dass das noch nicht endgültig ist", kommentierte sie das Urteil
Chimki bei Moskau – Die russische Künstlerin Julia Zwetkowa ist nach eigenen Angaben von einem Gericht im Osten des Landes vom Vorwurf der Verbreitung von Pornografie freigesprochen worden. "Ein seit drei Jahren dauernder Prozess ist mit einem Sieg der Verteidigung zu Ende gegangen", teilte die 29-Jährige am Freitag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Zugleich schränkte sie ein: "Es ist klar, dass das noch nicht endgültig ist."
Die Staatsanwaltschaft habe zehn Tage Zeit, Berufung gegen das Urteil des Gerichts in Komsomolsk am Amur einzulegen. Die Anklage hatte drei Jahre und zwei Monate Straflager beantragt, weil die Künstlerin und Aktivistin weibliche Geschlechtsteile gemalt hatte. ...
https://www.derstandard.at/story/2000137472455/nach-pornografie-vorwurf-freispruch-fuer-russische-kuenstlerin