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[Notizen zur Geschichten der Literatur Rezeption... ]

Started by Link, January 22, 2025, 05:05:15 PM

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Es gibt literarische Werke, da ist die Rezeptionsgeschichte noch spannender als das Werk selbst. Sabine Haupt (14.11.2014)

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Quote[...] Rezeption (von lateinisch receptio ,Aufnahme') bezeichnet in der Kunst die verstehende Aufnahme eines Werks durch die Rezipienten (Betrachter, Leser oder Hörer). Der Begriff umfasst vielfältige Arten der Wahrnehmung und Verarbeitung von Werken und reicht von der Lektüre und dem Verstehen des Einzelnen bis zu den Reaktionen der Kritiker, des Kulturbetriebs und der Öffentlichkeit.

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Aus: "Rezeption (Kunst)" (11. Januar 2025)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rezeption_(Kunst)

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Quote[...] Leser nehmen die Bedeutung eines Textes weder passiv auf, noch erfassen sie lediglich eine vorgängig existierende Textstruktur; vielmehr erzeugen oder konkretisieren sie die Bedeutung eines Textes erst im Prozess der Lektüre. Obwohl ein grundsätzliches Interesse am Leser und der Rezeption von Literatur in den Philologien bis heute anhält – die kognitionswissenschaftlich ausgerichtete Literaturwissenschaft sei hier exemplarisch genannt –, ist das Wissen über die Prozesse literarischer Bedeutungskonstituierung und ihres Wandels circa 50 Jahre nach den angesprochenen theoretischen Einsätzen begrenzter als man angesichts einer verhältnismäßig elaborierten innerdisziplinären Ausdifferenzierung in Rezeptionsästhetik, -geschichte und –forschung zunächst erwarten könnte.

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Aus: "Praktiken der Interpretation und Rezeption von Literatur (PIRL)" (Stand 01/2025)
Quelle: https://www.srcts.uni-stuttgart.de/forschung/forschungsnetzwerk-interpretation-und-rezeption/

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Quote[...] Jauß kritisiert den traditionellen Ansatz der Literaturgeschichte, stets nur Epochen aneinanderzureihen, ohne diese untereinander in Beziehung zu setzen. ...  verändere sich das Verständnis der ersten Leser über die Generationen und entscheide so über Bedeutung und ästhetischen Rang des Werks.

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Aus: "Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft" (17. August 2023)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Literaturgeschichte_als_Provokation_der_Literaturwissenschaft

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Quote[...] Die Rezeptionsästhetik fragt nach der gedanklichen und emotionalen Wahrnehmung künstlerischer Werke und inwieweit sie bereits im Gegenstand angelegt ist bzw. erst im Prozess der Rezeption entsteht.

... Die Rezeptionsästhetik ist im größeren Kontext eine Antwort auf die in das 20. Jahrhundert hineinwirkende Literaturinterpretation des 19. Jahrhunderts. Gemeinsam war deren Strömungen ein starkes Interesse am Autor und seinen Intentionen sowie die Zielsetzung, das Kunstwerk als Artefakt einer Zeit und Nation zu interpretieren, es als Schlüssel zum Verständnis anderer Epochen und Kulturen zu lesen.

Im 20. Jahrhundert stellten sich besonders die textimmanenten Interpretationsansätze gegen diese Lektüreangebote. Im Interesse daran, die Forschung wieder auf den Gegenstand, das Kunstwerk auszurichten, wurde in Strömungen, wie beispielsweise dem New Criticism [https://de.wikipedia.org/wiki/New_Criticism], die Frage gestellt, was diesem Kunstwerk seinen besonderen ästhetischen Wert verleiht und worin genau seine Kunst liegt gegenüber weniger vollendeten Artefakten.

Die Rezeptionsästhetik bricht mit diesen Interpretationsansätzen – indes nicht vollständig. Sie drängt Fragen nach dem Werk zurück gegenüber Fragen nach der Wahrnehmung, die es auslöst, und sie öffnet sich damit Fragen nach dem Prozess, in dem die Wahrnehmung geschieht, nach den Informationen, die in sie einfließen, auch nach Verständnishorizonten, die das Kunstwerk stillschweigend oder in offenen Anspielungen voraussetzt.

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Aus: "Rezeptionsästhetik" (25. Juni 2024)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rezeptions%C3%A4sthetik

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Quote[...] Als Moral getarnte Rechtschaffenheit und Dummheit verstehen sich gut. Man kann das vor allem in diversen Werken der Weltliteratur nachlesen. ...

Preußler war in Bayern ab 1955 Lehrer und später bis 1970 Schuldirektor – und er begann, pädagogisch durchaus wertvoll, seine Geschichten von Außenseitern zu entwickeln. Die Themen kreisten zeitlos um den Kampf zwischen Gut und Böse, das Hochhalten der Freundschaft, die Auflehnung gegenüber Autoritäten, um Mut und Selbstbestimmung.

Ausgerechnet die im Alter von 17 Jahren verfassten literarischen Jugendsünden, die er sehr wahrscheinlich aus Scham zeitlebens verschwiegen hat, sind Preußler nun posthum zum Verhängnis geworden. Auf Bestreben des Direktors des erst 2014 so benannten Otfried-Preußler-Gymnasiums im bayerischen Pullach wird im Einvernehmen mit dem Elternverein und dem Gemeinderat der Ehrentitel der Schule aberkannt. Zu allem Übel habe Preußler, so der Vorwurf, in seinen Büchern immer wieder auch Hexerei und Magie beschrieben sowie Gewalt als Konfliktlösungsmodell dargestellt. Seine Bücher seien deshalb für Gymnasiasten nicht geeignet. In deutschen Medien gehen die Wogen hoch. Da hat die Cancel-Culture wohl über das Ziel geschossen. Möge sie der böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann holen!


Aus: ""Hotzenplotz"-Autor Otfried Preußler wird posthum ein Cancel-Opfer" Christian Schachinger (6.3.2024)
Quelle: https://www.derstandard.de/story/3000000210451/hotzenplotz-autor-otfried-preussler-wird-posthum-ein-cancel-opfer

QuoteSyphogrant P.
Halbtagsutopist

"Zu allem Übel habe Preußler, so der Vorwurf, in seinen Büchern immer wieder auch Hexerei und Magie beschrieben"

Ja und das ist jetzt etwas "Böses"?
Dann schaffen wir am besten das ganze Fantasygenre ab. Weg mit Michael Endes "Die unendliche Geschichte", hinfort mit J.R.R. Tolkiens "Mittelerde", Aufnimmerwiedersehen Bibi Blocksberg!

Seine "Jugendsünden" im NS als primären Grund anzuführen, ist halt auch ein wenig kleingeistig. Als 17jähriger im Jahr 1940 wurde er quasi die ganze Kindheit über von dieser Ideologie indoktriniert. ...


QuoteFelsbrandung

Schiller

Schillers Räuber geben auch Anlass, Schulen, die seinen Namen tragen, umzubenennen.


Quotesdx

Fantasygenre abschaffen - und bei der katholischen Kirche bitte anfangen.


QuoteMurmeletier

Das Forum ist wieder einer Meinung

und grunzt auf wegen dem Canceln. Ich kann nicht sagen, daß ich es genieße, wie das Standard Forum wie im Höhlengleichnis die Welt überhaupt nicht versteht, aber es ist eine Genugtuung für alle, die die Glorifizierung des NS Regimes ächten wollen. Es ist halt Zeit für neue woke Helden für Kinder. ... Nebenbei ist ja nicht alles zu canceln- Erich Kästner hatte nie ein Problem mit den Woken, benennt die Schule doch nach ihm!


QuoteYudhishthira1

Ich möchte lieber nicht wissen, wie sich ein Kleingeist wie Sie als Jugendlicher unter dem NS-Regime verhalten hätte.


QuoteIt´s Tooltime!

Erich Kästner hatte nie ein Problem mit den Woken Naja. Vorsicht. In den 20ern und frühen 30ern waren sicher keine Klimaaktivisten oder Gendersensible woke. Sondern Freikorps und Nazis und vllt. noch Spartakisten und die Rotfront. Sie fühlten sich ebenfalls "erweckt", durch Hitler oder Stalin.


QuoteIlsy

Ein Trauerspiel

Ich werde es nie verstehen, wie das Wirken eines ganzes Menschenlebens nichts mehr zählt, sobald ein (in der Nachschau) fehlerhaftes oder fragwürdiges Verhalten in der Vergangenheit auftaucht. Unsere Zeit ist derartig unbarmherzig, dass es ein Graus ist.


Quotevertifx

Nein, es ist eh wie immer - die am Lautesten schreien und auf andere zeigen, haben selbst die größten Leichen im Keller...


Quoteel vronzo1

Ich hatte den Räuber Hotzenplotz als Kind auf Vinyl und auch so manches Buch hat mir gut gefallen. Ich kann mich an eine Sendung in Ö1 über Preußler - was für ein überaus interessanter und liebevoller Mensch mit welch unglaublichen Phantasie er doch war.
Was für ein Kleingeist, der dem entgegen spricht. Was ist los mit dieser Zeit? Die Dummheit treibt ihre schönsten Blüten. Ich verstehe es nicht.


QuoteMal so gesehen

Dass er sich von der NS-Ideologie verabschiedet hat, in deren Fänge er als Jugendlicher geriet, sollte doch gut geheißen werden. Was ist das für eine Ansage an die Schüler? Vergebung ist nicht, auch wenn man als junger Mensch einer perfiden Propagandamaschinerie zum Opfer gefallen ist?
Wichtig ist doch, welche Wandlung man danach vollzogen hat.
So ist man auch mit Horst "Derrick" Tappert umgegangen, hat ihn posthum vom Bildschirm verbannt.

Das Beispiel mit Herrn Tappert zeigt, dass es schon länger "moralische Sieger" gibt, deren Weltbild kein abwägen zulässt. In der Neuzeit kommt hinzu, dass der Hass einen immer größeren Faktor in der Beurteilung spielt.
Mitdiskutanten werden geschmäht, als seien sie Feinde, wenn einem deren Meinung nicht passt, dubiose Kräfte übernehmen den öffentlichen Diskurs und entern Foren, bis sie unter sich sind, weil die Gemäßigten sich zurückgezogen haben.
Vergebung erfordert Größe. Groß zeigt man sich allerdings immer mehr nur noch in seinen Forderungen, nicht im Zuhören, nicht im Abwägen. Eine böse Entwicklung.

[Horst Tappert (* 26. Mai 1923 in Elberfeld; heute Wuppertal; † 13. Dezember 2008 in Planegg) war ein deutscher Schauspieler und Regisseur. Seine bekannteste Rolle war die des Oberinspektors Derrick in der gleichnamigen TV-Krimiserie, in der er in mehreren Folgen auch die Regie führte. ... Nachdem 2013 Tapperts Zugehörigkeit zur Waffen-SS bekannt geworden war, beschloss das ZDF 2016, keine Wiederholungen von Derrick-Folgen mehr auszustrahlen. ... https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Tappert]


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Quote[...] Der 89-jährige Otfried Preußler [https://de.wikipedia.org/wiki/Otfried_Preu%C3%9Fler] gehört seit seiner ,,Räuber Hotzenplotz"-Trilogie (1962 bis 1973) und ,,Krabat" (1971) zu den ganz Großen der Kinderliteratur. Wie die Erben von Astrid Lindgren hat auch er sich lange gegen jede Änderung seines Kinderbuchklassikers ,,Die kleine Hexe" gestemmt, der 1958 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet und seitdem in 47 Sprachen übersetzt sowie weltweit mehr als 4,3 Millionen Mal verkauft wurde. ,,Mit der Zeit ist aber die Einsicht gewachsen, dass die Authentizität des Werks der sprachlichen Weiterentwicklung untergeordnet werden muss", sagt Klaus Willberg.

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Aus: "Die Kleine Hexe, ohne Rassismus" (4.1.2013)
Quelle: https://taz.de/Diskriminierende-Sprache-bei-Preussler/!5076053/

"Sprachkampf um die "Hexe"" Stefan Kuzmany (20.02.2013)
Darf man das Wort "Negerlein" heute noch drucken? Der Name des nun verstorbenen Autors Otfried Preußler stand im Mittelpunkt einer Debatte um veraltete Sprache im Kinderbuch. Leidenschaftlich geführt wurde die Auseinandersetzung vor allem aus einem Grund: Alle lieben "Die kleine Hexe".
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/otfried-preussler-und-die-debatte-ueber-veraltete-sprache-im-kinderbuch-a-884511.html

QuoteUlf, 24.01.2013, 03:04 Uhr

Ich finde das Wort "Hexe" absolut diskriminierend, dieses sollte sofort mit "Person alternativer Religionszugehörigkeit" oder vergleichbarem ersetzt werden. Wie kann man nur Kinder dem Worte Hexe aussetzen, das ist unverantwortlich.


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Quote[...] Das Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach in Bayern benennt sich nach Diskussionen um seinen Namensgeber um. Ab dem 1. März soll die Schule Staatliches Gymnasium Pullach i. Isartal heißen, teilte das Bayerische Kultusministerium mit. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) habe dem Antrag der Schule stattgegeben.

Nach eingehender Prüfung habe das Ministerium festgestellt, dass "eine nachhaltige Identifikation der Schulgemeinschaft des Otfried-Preußler-Gymnasiums mit ihrem Namensgeber, die aus unserer Sicht eine wichtige Voraussetzung für das Tragen eines Schulnamens ist", nicht mehr gegeben sei, teilte die stellvertretende Pressesprecherin des Bayerisches Kultusministeriums Carolin Schackert ZEIT ONLINE mit.

Das Gymnasium hatte sich seit einigen Jahren mit ihrem Namensgeber beschäftigt. Bei der Diskussion um Preußler, der 2013 gestorben war, ging es vor allem um den Vorwurf, Preußler habe sich nie öffentlich für seine NS-Vergangenheit entschuldigt. Er soll zudem einen Hitlerjugend-Roman, den er als 17-Jähriger geschrieben hatte, verschwiegen haben.

Nach längerer Diskussion einigte sich die Schulgemeinschaft, bestehend aus Kollegium, Schüler- und Elternvertretung, den Namen ablegen zu wollen. Nach Zustimmung des Gemeinderats und des sogenannten Zweckverbands im März 2024 stellte die Schule schließlich den Antrag auf Rückbenennung beim Ministerium.

Das Staatsministerium habe nach einer ersten Prüfung im September 2024 um weitere Informationen gebeten und auch noch einmal mit den schulischen Gremien gesprochen. Diese hätten sich im Herbst erneut für die Umbenennung ausgesprochen und im Dezember den Antrag erneuert. "Auch aus dem erneuten Antrag wird eine zunehmende Entfremdung zwischen der Schule und ihrem Namensgeber deutlich", schreibt das Ministerium.


Aus: "Otfried-Preußler-Gymnasium in Bayern legt seinen Namen ab" (22. Januar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2025-01/otfried-preussler-gymnasium-name-ablegen-bayern-kritik

QuoteJ.P._Merz

Mein Sohn liest gerade Krabat in der Schule. Eine Schande so etwas. Ich werde mich beim Direktor wegen der seelischen Grausamkeit beschweren.

Die Bücher unserer Jüngsten – Die kleine Hexe, Der Räuber Hotzenplotz, Das kleine Gespenst, Hörbe mit dem großen Hut und Der kleine Wassermann, fliegen jetzt aus dem Bücherregal. Was habe wir als Eltern nur verbrochen. Ich schäme mich. Einige Geschichten haben wir auch noch als Tonies. Schrecklich, das Zeug ist überall!


QuoteBundesbürger4711
@J.P._Merz

117 Zon-Leser halten Ihren Beitrag für lustig, aber naja, mit irgendwem müssen Mario Barth oder Dieter Nuhr ja die Hallen füllen...


QuoteAnnitala

Sie unterschlagen, dass es die Entscheidung der Schüler war. Aus dem Lesekanon soll Preusler nicht verschwinden, als Namenspatron ist er ungeeignet.



Quoteingaginga

Solange Kinder die Geschichten mögen, finde ich sie in Ordnung. Aber mit Krabat habe ich selbst als erwachsene Person ein Problem. ...


Quoteschmodddermonster
Antwort auf @ingaginga

Was ist denn an krabat falsch?


Quoteschmodddermonster
Antwort auf @ingaginga

In krabat wird uebrigens sehr schoen die verfuehrung der schwachen oder unbedarften durch eine uebergriffige, kontrollierende und besitzergreifende macht vorgefuehrt.

Klingt nicht, als hätte er das gut gefunden.


QuoteSusanne Sto Helit

Ich verstehe das nicht. Schaut sein Werk an, und würdigt es. Was ist mit Schiller, Goethe, Lessing u.v.a.m? Ist Ihr Leben so untadelig, dass nur sie würdig sind, in den Analen der Geschichte zu überleben? ...


QuoteTordenskjold

Vielleicht sollte man sich mal mit Otfried Preußlers HJ-Roman "Erntelager Geyer" etwas näher beschäftigen, bevor man sich hier mit Meinung austobt.

Blut-und-Boden-Ideologie, Antisemitismus, nationalistischer Revanchismus - die ganze Bandbreite der nationalsozialistischen Ideologie findet sich in diesem Buch.

Das spätere "Krabat" war seine sehr persönliche Abrechnung mit seinen Jugenderlebnissen.

,,Es ist ... meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken".

Wenn man Kindern und Jugendlichen die ganze Geschichte, die komplette Biographie des Namensgebers präsentiert und sein Lebenswerk zeithistorisch kontextiert, dann bin ich der Auffassung, dass man den Namen durchaus auch hätte behalten können.


QuoteSegge

Ist natürlich klar, dass die Antiwokekrieger auf diesen Zug aufspringen, aber letztlich sind es Schüler, Eltern und Lehrer der Schule, die mit dem Namen umgehen müssen. Und wenn man dort nach langer Beschäftigung mit dem Thema zu dem Schluss kommt, eine Namensänderung zu beantragen, dann kann man das auch durchaus mal so akzeptieren.


QuoteStudi1898

Es gibt währenddessen noch immer Schulen, die nach Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg benannt sind, welche ihre Feindschaft zu Demokratie und Parlamentarismus nicht mit 17, sondern im Erwachsenenalter und in vollem Bewusstsein lebten und propagierten.


QuoteSegge
Antwort auf @Studi1898

Ja, und auch da obliegt es letztlich den Schulen, es ändern zu lassen. Was haben andere Schulen, die nach Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg benannt sind, mit dieser Schule zu tun, die nach Ottfried Preußler benannt war? Dürfen Schüler, Lehrer und Eltern keine Namensänderung veranlassen wegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg? Müssen erst alle Karl-Liebknecht- und Rosa-Luxemburg-Schulen umbenannt werden, bevor eine Ottfried-Preußler-Schule umbenannt werden darf?


QuoteVeggie Runner

Er ist als Jugendlicher in einer Zeit groß geworden, die so stark ideologisch geprägt war, dass man sich das heute kaum mehr vorstellen kann. Jetzt hier wohlfeil 90 Jahre später so eine Debatte loszutreten, finde ich extrem anmaßend. Er hat sich reuevoll geäußert und auch keine direkten Verbrechen im Namen des NS begangen. Irgendwann ist auch mal gut. Lasst OP einfach in Frieden ruhen!


QuotePhanta

Mir scheint, dass hier zu viele Foristen nicht gut dazwischen differenzieren können, ob eine Schule einen bestimmten Namen trägt oder ob man Bücher eines gewissen Autoren lesen und gut finden kann/darf/soll. Man kann die literarische Qualität Preußlers anerkennen, man kann die Werke auch in der Schule behandeln. Da kann man dann ja zumindest am Rande drüber sprechen, inwiefern der Mensch dahinter eine problematische Vergangenheit hatte (und Uropa vielleicht auch). Trotzdem muss der Name nicht über dem Schultor prangen, oder?


Quotegregor03

Die Bücher von Ottfried Preußler finde ich großartig. Zuletzt habe ich die Flucht nach Ägypten gelesen- wohl die schönste Weihnachtsgeschichte, die ich je gelesen habe. Den Moralfuror finde ich scheinheilig. Wie hätten wir uns verhalten, wenn wir 1923 geboren und als Kind und Jugendliche fortwährender faschistischer Indoktrination ausgesetzt gewesen wären.


QuoteMeinMuzzel

Die Familie Preußlers hat richtig gehandelt und den Namen entzogen. Die Schule hätte kritisch mit seiner Biographie arbeiten können. Wer in den prägenden Jahren im Alter zwischen 10 und 22 Jahren in einer Diktatur indoktriniert wurde, kann das schwer ablegen. Günter Grass z.B. hat lebenslang gelogen. Leider eine versäumte pädagogische Chance. Flieg weiter, Abraxas!


QuoteM.Aurelius

Eine weitere "Georg-Elser-Schule" wäre sicherlich wünschenswert, nur sollte man die Bedeutung von Pamphleten, die 17-Jährige schreiben, nicht überbewerten. Wenn man sich anschaut, was unsere sogenannten politischen Führungskräfte – also Erwachsene, von denen man wenigstens aufgrund ihres Alters annehmen muss, dass sie sich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden – so veröffentlichen, dann wird man bald nur noch zwischen der 'Geschwurbel Gesamtschule' und der 'Hohle-Phrasen-Realschule' wählen können.


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"Otfried-Preußler-Schule will sich umbenennen – Der Roman, über den er nicht mehr sprach" Patrick Guyton (08.04.2024)
,,Erntelager Geyer" erschien 1944. Der Schule geht es aber nicht um das Wirken des Autors als NS-verblendeter junger Mensch. Sondern darum, so steht es in dem Antrag, dass sich Otfried Preußler ,,nach dem Krieg nie zu diesem Werk bekannt und erst recht nicht von seinem Inhalt in konkreter Form distanziert" hat. ...
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/otfried-preussler-schule-will-sich-umbenennen-der-roman-ueber-den-er-nicht-mehr-sprach-92869735.html

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""Rufschädigend": Familie entzieht Otfried-Preußler-Gymnasium das Namensrecht" (21. Oktober 2024)
Quelle: https://www.news4teachers.de/2024/10/rufschaedigend-familie-entzieht-otfried-preussler-gymnasium-das-recht-auf-namensnutzung/

QuoteDr. Specht

Wenn eine Schule nicht mehr nach Otfried Preußler benannt werden soll, dann steht bei den zahlreichen Rudolf-Steiner-Schulen der dann folgerichtige Schritt zur Namensänderung noch aus.


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"Kultusministerin benennt Otfried-Preußler-Gymnasium (auf eigenen Wunsch) um" (22. Januar 2025)
Quelle: https://www.news4teachers.de/2025/01/kultusministerin-benennt-otfried-preussler-gymnasium-auf-eigenen-wunsch-um/

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Quote[...] Um Otfried Preußlers Verhältnis zum Nationalsozialismus ist pünktlich zum Preußler-Jahr 2023 eine intensive Debatte entbrannt, die sowohl massenmedial reflektiert als auch innerhalb der Kinder- und Jugendmedienforschung ausgetragen wird. Angetrieben wird diese Debatte zum einen durch medienwirksame Vorgänge wie den Versuch eines bayerischen Gymnasiums, den Namen seines Patrons auf Grund seiner Affinität zum Nationalsozialismus während seiner Jugendzeit abzulegen, zum anderen durch aktuelle Forschungsarbeiten, die zum Teil konträre Positionen zu einzelnen Lebensstationen und dem Frühwerk Preußlers einnehmen.

Die Wissenschaftlerinnen Petra Josting und Caroline Roeder haben eine Internetpräsenz erstellt, auf der sie einerseits die Debatte aus ihrer Perspektive kommentieren, andererseits zahlreiche Aufsätze und Literaturverweise zusammentragen, die einen eigenen Blick auf den Diskurs ermöglichen. ...

[https://www.ph-ludwigsburg.de/hochschule/einrichtungen/zentrum-fuer-literaturdidaktik-kinder-jugend-medien-zeld/debatte]


Quelle: https://www.kinderundjugendmedien.de/aus-der-redaktion/7125-die-preussler-kontroverse-2023

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"Debatte um Kinderbuchautor wegen NS-Vergangenheit: Trotz Nazi-Roman: Otfried-Preußler-Schule im Remstal will Namen behalten" Olga Henich, Markus Frank (13.3.2024)
Mehrere Schulen sind bundesweit nach Otfried Preußler benannt. Wegen eines NS-Romans möchte ein Gymnasium in Bayern den Namen nun ablegen. Eine Schule in Schorndorf will den Weg nicht gehen.
Quelle: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/otfried-preussler-schule-in-schorndorf-zur-umbenennung-100.html

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Quote[...] Rassismus, Literatur und Literaturvermittlung: Eine Lehrerin wehrt sich gegen Wolfgang Koeppens Roman ,,Tauben im Gras" als Abiturstoff.

Bewusstseinsstrom – ich musste kurz nachdenken, was Stream of Consciousness eigentlich auf Deutsch heißt, jene Erzähltechnik, die eng mit James Joyce' ,,Ulysses" verknüpft ist, eines der herausragenden Werke der literarischen Moderne. Es hat Schule gemacht, der Bewusstseinsstrom wurde adaptiert, abgewandelt, kopiert, weitergetrieben.

,,Frau Behrendt trank Maxwell-Coffee. Sie kaufte den Kaffee beim Juden. Beim Juden – das waren schwarzhaarige, gebrochenes Deutsch sprechende Leute, Unerwünschte, Ausländer, Hergewehte, die einen vorwurfsvoll aus dunkelschimmernden, nachtverwehten Augen ansahen, von Gas und Grabengräben wohl sprechen wollten und Hinrichtungsstätten im Morgengrauen, Gläubiger, Gerettete, die mit dem geretteten Leben nichts anderes zu beginnen wussten, als auf den Schuttplätzen der zerbombten Städte (warum mit Bomben beworfen? Mein Gott, warum geschlagen? für welche Sünde bestraft? (...)"

Weil es endlos so weiterzugehen scheint, fällt es schwer, das Zitat abzuschließen. Es stammt aus Wolfgang Koeppens 1951 erschienenen Roman ,,Tauben im Gras", dessen Handlung mutmaßlich in München angesiedelt ist, etwa um 1950.

Es waren jedoch nicht diese unschwer als judenfeindliche Stereotype zu erkennenden Sätze, die die junge Lehrerin Jasmin Blunt aus Ulm unlängst dazu bewogen haben, sich in Gestalt einer Petition gegen ,,Tauben im Gras" als Abiturstoff an baden-württembergischen Schulen einzusetzen. Vielmehr wehrt sie sich gegen das vielfach vorkommende N-Wort. Das Romanpersonal sucht sogenannte ,,Negerklubs" auf und Frau Behrendt, eine der Figuren des vielstimmigen Textes, lässt der Autor räsonieren: ,,Was brachten einem die Amerikaner? Es war schimpflich, dass Carla sich mit einem Neger verbunden hatte; es war fürchterlich, dass sie von einem Neger geschwängert war; es war ein Verbrechen, dass sie das Kind in sich töten wollte. Frau Behrendt weigerte sich, weiter darüber nachzudenken."

Jasmin Blunt hat dies unmissverständlich als Ausdruck von Unterdrückung und Entmenschlichung verstanden und den Schuldienst quittiert, um sich der rassistischen Sprache nicht weiter aussetzen zu müssen. Was man sich bewusst machen müsse bei dem Thema, wird sie vom Sender SWR zitiert, sei, dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiere – und zwar in ihre Lebenswelt hinein. Das sei nicht abstrakt, sondern betreffe sie direkt. ,,Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde."

Ganz sicher sind derart starke Empfindungen ein Indiz für die Wirkung von Literatur. Aber folgt aus der Wucht der Emotionen einer für literarische Vermittlung zuständigen Lehrerin bildungspolitischer Handlungsbedarf? Baden-Württembergs grüne Kultusministerin Theresa Schopper weist die Vorwürfe zurück. Sie hält an der Pflichtlektüre von ,,Tauben im Gras" fest. Es gehe darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. ,,Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig", so Schopper gegenüber der Südwest Presse.

Sie widerspricht damit den rund 3000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner einer von Jasmin Blunt initiierten Petition, die darin ihre Ansicht artikulieren, dass das Buch für den Unterricht ungeeignet sei, weil betroffene Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte während dessen Besprechung immer wieder rassistischer Diskriminierung ausgesetzt würden, ,,indem rassistische Begriffe, in diesem Fall das N-Wort, laut in der Unterrichtssituation vorgelesen werden". Ist die Petition bloß eine Petitesse oder steht sie für einen Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung von Literatur und Kunst?

Ich bin Wolfgang Koeppen Ende der 80er Jahre begegnet, der FU-Germanist Hartmut Eggert hatte mir mit Hilfe des Berliner Literaturhauses in der Fasanenstraße einen Kontakt vermittelt. Koeppen war damals bereits über 80 Jahre alt, er trat nur noch selten in der Öffentlichkeit auf. Der Termin im Literaturhaus war eine Ausnahme. Ohnehin wurde mehr über das Schweigen des Autors gesprochen und in langen Feuilletonartikeln geschrieben.

Seit jener in kurzer Folge erschienenen Romantrilogie in den 50er Jahren, deren Auftakt ,,Tauben im Gras" bildet, hatte Koeppen nur wenig veröffentlicht. Jahrzehnte lang war von einem großen Romanprojekt die Rede, aus dem jedoch nichts wurde. Der Schriftsteller Koeppen, ein Phantom. Er lebe in einem Roman, hatte er wiederholt gesagt, was ihn daran hindere, einen anderen zu schreiben. Manche deuteten das als Ausflucht.

Zum Interview hatte Koeppen sich bereiterklärt, weil es gar nicht um sein Schreiben gehen sollte. Ich hatte um Auskunft gebeten über seinen ersten Verleger Bruno Cassirer, der Koeppens Romane ,,Eine unglückliche Liebe" und ,,Die Mauer schwankt" 1934 und 1935 herausgebracht hatte, kurz bevor er seinen Verlag aufgrund seiner jüdischen Herkunft schließen musste. ,,Die Mauer schwankt" war, wie Cassirers Cheflektor Max Tau berichtete, erst durch massiven Druck entstanden, den Cassirer auf Koeppen ausgeübt hatte. Damit der schreibgehemmte junge Autor sein bereits mit einem stattlichen Vorschuss versehenen Roman beende, hatte der Verleger ihn kurzerhand in eine Berliner Wohnung einsperren lassen, die er erst mit einem abgeschlossenen Manuskript wieder verlassen durfte.

Mir war Koeppen als reizend-schüchterner Mensch begegnet, dem es ein Anliegen war, über den in Deutschland weitgehend vergessenen Bruno Cassirer zu sprechen. Zu Beginn der 30er Jahre hatte Koeppen Cassirer auf dessen Gestüt bei Templin und auf der Rennbahn in Mariendorf besucht. Der Verleger und leidenschaftliche Kunstsammler war ein bedeutender Pferdesportfunktionär und Züchter, über den ich ein Hörfunkporträt anzufertigen beabsichtigte.

Wolfgang Koeppen war für dieses Vorhaben eine aufschlussreiche O-Ton-Quelle. Es bereitete ihm spürbar Freude, über Cassirer Auskunft geben zu können. Im Verlauf des Gesprächs beschrieb er ihn als deutschnationalen Juden. Als Koeppen bemerkte, dass ich ob der Formulierung stutzte, fügte er erläuternd hinzu, diesen Typus habe es vielfach zu jener Zeit gegeben. Cassirer sei ein Herr gewesen. Koeppen sprach dabei mit einer Betonung, von der er sogleich zu ahnen schien, dass die Bedeutung des Wortes in ihrem vollen Umfang bereits verlorengegangen sei. Es fiel das Wort Patriot, aber Koeppen war sicher, dass es nun wohl missverstanden werden würde.

Cassirer war ein angesehenes Mitglied der Berliner Gesellschaft, hochrangige Wehrmachtsoffiziere zählten zu seinen Freunden. Nicht zuletzt deshalb sei es ihm und seiner Familie wohl gelungen, 1938 noch nach den Novemberpogromen nach Oxford zu emigrieren. Cassirer habe es lange nicht für möglich gehalten, dass es so weit kommen würde.

Das Gespräch mit Koeppen ist mir vor allem deshalb unvergesslich geblieben, weil mir damals auf emphatische Weise bewusst wurde, wie persönliche Erinnerung und authentische Erfahrung sich von Texten und Materialien unterscheiden, die sich in Form von Dokumenten und Aufzeichnungen nachlesen lassen. Koeppens Schilderungen haben mir auf nachhaltige Weise, so bilde ich es mir ein, dabei geholfen, mein Bild von Bruno Cassirer und natürlich auch das des Autors abzurunden.

,,Tauben im Gras" ist ein furioses, aus vielen Stimmen bestehendes Werk. In diesen Stimmen schießen Vergangenes und Gegenwärtiges zusammen, Assoziationen, Phrasen, philosophische Entwürfe. Nicht immer scheinen die rund 20 Figuren trennscharf voneinander geschieden. Wer spricht? War es Koeppen, der die Stimmen orchestrierte oder gingen sie durch ihn durch? Die Gewaltverhältnisse der nationalsozialistischen Gesellschaft sind in ,,Tauben im Gras" ebenso präsent wie der Rassismus, der Koeppens Protagonisten Odysseus und Washington Price entgegenschlägt, zwei Soldaten der amerikanischen Besatzungsarmee, die sich damit abfinden müssen, nicht als Befreier begrüßt zu werden. Aber waren sie nicht auch Stellvertreter einer unterdrückten Sehnsucht nach Jazz und Literatur, den Ausdrucksformen künstlerischer Freiheit?

In ihrem Bestreben, ,,Tauben im Gras" als Unterrichtsstoff zu löschen, hat Jasmin Blunt Unterstützung durch die Literaturwissenschaftlerin Magdalena Kißling von der Universität Paderborn gefunden. Diese kritisiert den Mangel an Sensibilität für die Macht von Sprache. Und deren Kollegin Andrea Geier konstatiert einen Mangel an Unterrichtsmaterialien für den Umgang mit rassistischer Sprache.

Ähnlich sehen es Vertreter und Vertreterinnen der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Amadeu-Antonio-Stiftung. Deren Sprecherin Rosa Fava gab zu Protokoll, dass eine häufige Nennung erniedrigender Fremdbezeichnungen auf junge Menschen ,,überwältigend" wirken könne. Fragwürdig sei überdies, dass für die Behandlung des Themas Rassismus in Abiturprüfungen Literatur eines nichtschwarzen Autors ausgewählt worden sei.

Es ist im Umgang mit Erzeugnissen der Kunst und Literatur zweifellos richtig und wichtig, Fragen der Repräsentanz aufzuwerfen und darüber hinaus zu bemerken, wie sich Wahrnehmungen im Verlauf der Rezeption eines Werkes verändern. Aber erweisen sich die Versprechen der Aufklärung nicht als fatale Illusion, wenn Akademiker und Akademikerinnen, die mit der Vermittlung von Kunst und Literatur betraut sind, vor einer zeitgenössischen Rezeption lieber kapitulieren, anstatt einen Ansporn darin zu sehen, das Handwerkszeug zu schärfen und es zur Geltung zu bringen? Anlass zur Sorge bereitet die anhaltende Diskussion um ,,Tauben im Gras" auch deshalb, weil selbst erfahrene Vertreterinnen der Literaturwissenschaft scheinbar nur bedingt Zutrauen in die Fähigkeit von jungen Menschen vor dem Abitur haben, eigene Antworten auf derlei Fragen zu finden.

Keineswegs unerheblich scheint mir in diesem Zusammenhang, dass die eingangs zitierten antisemitischen Stereotypen, die in ,,Tauben in Gras" zwar von rassistischen unterschieden, inhaltlich und hinsichtlich der Erzählstruktur des Romans jedoch nicht von diesen abgetrennt werden können, in der Debatte um die Abiturtauglichkeit des Stoffes bislang unerwähnt geblieben sind.

Wolfgang Koeppen hat in ,,Tauben im Gras" in atemberaubender Gegenwärtigkeit und Intensität die Dämonen der zeitgenössischen Gesellschaft zum Tanzen gebracht, während sich deren Akteure bereits wohlig wieder daranmachten, in die gediegene Langeweile der Zivilität einzukehren, die sie kurz zuvor zum Bersten gebracht hatten. Der Unruhe dieses Romans nachzuspüren, sollte nicht nur Lehrstoff für junge Erwachsene sein. Geboten ist vielmehr, durch direkte und vergleichende Lektüre die Temperatur der gegenwärtigen Gesellschaft zu ermitteln, die der Empfindsamkeit und Sensibilität aus vielen guten Gründen einen hervorgehobenen Rang einräumt, den Sinn für das Andere vorangegangener Gesellschaften aber zu verlieren droht.


Aus: ",,Tauben im Gras" und das N-Wort: Wer spricht? Und mit wem?" Harry Nutt (27.03.2023)
Quelle: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/wolfgang-koeppens-tauben-im-gras-und-das-wort-wer-spricht-und-mit-wem-92174950.html

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Quote[...] ,,Sie gehören hier nicht hin!" So wie Marcel Reich-Ranicki 1984 beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt reagierten viele Literaturkritiker auf den Schriftsteller Jörg Fauser, der am 16. Juli 2019 75 Jahre alt geworden wäre. Den Kultautor der 80er-Jahre, der mit Romanen wie ,,Rohstoff" oder ,,Der Schneemann" eine Underground-Berühmtheit geworden war – und dessen Leben und Sterben genauso wild, unangepasst und rebellisch war wie seine Literatur: In der Nacht nach seinem 43. Geburtstag 1987 war Fauser, vermutlich betrunken, zu Fuß auf der Autobahn A94 unterwegs und wurde von einem Lastwagen überfahren.

Nach seinem Tod wurde Fauser zum Mythos und zum vielgelesenen Autor, dessen Werk eine wechselhafte Rezeptionsgeschichte erlebt: ,,Je nachdem, wie unsere Gesellschaft gerade aufgestellt ist, was uns heute bewegt, werden Fragen an Jörg Fauser gestellt", sagt die Autorin und Journalistin Katja Kullmann.
,,Zum Beispiel Anfang der Nullerjahre, als das Wort Popliteratur so ein bisschen ein Marketing-Begriff war, auch Benjamin von Stuckrad-Barre Fauser gerade wiederentdeckte", erklärt Kullmann. ,,Da wurde er eben als Urahn der Popliteratur gefeiert, weil er zum Beispiel mit Songtexten und mit vielen Zitaten aus der Werbeindustrie und der Politik arbeitete."

Eine weitere Renaissance erlebte Fauser dann anlässlich seines Geburtstages 2009, da wäre er 65 Jahre alt geworden. ,,Da war dann Deutschland als Hartz-IV-Republik zu sich selbst gekommen", so Kullmann. ,,Die ,Bild'-Zeitung benutzte das Wort Sozialschmarotzer, und auf einmal schrieben sehr viele Leute auch wieder über Fauser. Und vor allen Dingen über seinen Blick auf Abgehängte, Arbeitslose, Dealer, Leute in der Gosse."
Zu Fausers 70. Geburtstag 2014 fielen dann erste Schatten auf das Bild des Autors:
,,Da war gerade so ein bisschen der digitale Feminismus, Genderdebatten nahmen neue Fahrt auf, und auf einmal wurde ganz stark nochmal in Frage gestellt, inwieweit Fauser eigentlich ein Macker war, ein Sexist vielleicht sogar in seiner Zeit", sagt die Autorin.

Und auch jetzt gebe es wieder einen neuen Dreh in der Fauser-Rezeption. Denn der Autor werde von der Neuen Rechten entdeckt:
,,Es gibt zum Beispiel das rechtsnationale Blatt, die ,Junge Freiheit', die gerade sehr stark Fauser loben für sein vermeintliches Rebellentum, sein Dissidententum", sagt Kullmann.


Tatsächlich ließen sich bei Fauser gewisse Anknüpfungspunkte finden in dem Sinne, dass dieser etwa recht fasziniert von Ernst Jünger gewesen sei. ,,Und Fauser hat auch Begriffe wie Gesinnungsdiktatur oder Kulturkampf in seiner Zeit, in seinen politischen Essays und Kommentaren verwendet. Das sind alles Wörter, die heute zum Beispiel die Identitären in einer ganz anderen politischen Schlagrichtung benutzen", sagt Kullmann.
,,In diesem neurechten Diskurs und wer vereinnahmt welche Helden für sich, unterliegt Fauser gerade einer Zwangsumarmung von dieser Seite, gegen die er sich, ich denke, sicherlich gewehrt hätte mit guten Argumenten."

(uko)



Aus: "Von der Neuen Rechten zwangsumarmt" Katja Kullmann im Gespräch mit Timo Grampes (16.07.2019)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/kultautor-joerg-fauser-von-der-neuen-rechten-zwangsumarmt-100.html