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[Politische Mythologie (Notizen) ... ]

Started by Link, September 30, 2020, 04:22:58 PM

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Quote[...] Der Mensch, so Ernst Jünger, sei nun einmal ein Bildertier. Er hungert nicht, wie die Linke glaubt, nach Gerechtigkeit. Er hungert nach mythischem Stoff.


Aus: "Donald Trump: Der Geist des Kapitalismus" Thomas Assheuer (10. November 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-11/donald-trump-kapitalismus-max-weber-georg-simmel/komplettansicht

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Quote[...] 732. 1571. 1683. Bei der »Identitären Bewegung« finden sich viele Bezüge zu historischen Ereignissen. Einige der Daten hatte auch der Christchurch-Attentäter auf seine Waffen gezeichnet. Über die Funktionalisierung von Geschichte durch die Identitären als extrem rechte Legitimationsideologie. ... Die historischen Anleihen der Identitären lassen sich als politische Mythen begreifen. Demnach dienen historische Ereignisse einem politischen Zweck wie der Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit und Identität. Politische Mythen sind diskursive Gebilde, die eine wirksame Aura erzeugen und damit nicht in erster Linie kognitive, sondern emotional-affektive Potenziale entfalten. (Speth 2000) Diese hohe Affektivität findet sich auch insgesamt bei der sogenannten Neuen Rechten und ihrer Vorstellung »des Eigenen«, das nie genauer gefasst wird, sondern immer im Ungefähren bleibt. Auch wenn politische Mythen in der Regel Narrative sind, werden diese nicht zwangsläufig ausbuchstabiert, sondern auch über politische Ikonographie vermittelt. Der Ideengehalt des politischen Handelns wird in ein Bildprogramm umgesetzt: »Das Entweder-oder, die plakative Gegenüberstellung, die Benennung des Gegners, die Dualisierung in Freund und Feind, die Moralisierung von Handlungsalternativen, die Emotionalisierung von Entscheidungen und überhaupt die Reduktion politisch komplexer Sachverhalte lassen sich durch ikonische Gestaltung besser und wirkungsvoller ins Werk setzen als durch umständliche Erzählungen.« (Speth 2000:124) ...

Aus: "»Zwischen der ewigen Vergangenheit und der ewigen kommenden Zukunft« - Das instrumentelle Verhältnis der Identitären zur Geschichte" Vera Henßler (Rundbrief monitor Nr. 82 vom Juli 2018)
https://www.apabiz.de/2019/zwischen-der-ewigen-vergangenheit-und-der-ewigen-kommenden-zukunft/


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Quote[...] Ein politischer Mythos ist eine intellektuelle und emotionale Erzählung über eine historische Person, einen politischen Sachverhalt oder ein politisches Ereignis mit einem kollektiven, sinn- und identitätsstiftenden Wirkungspotential. Sein integratives Potential entfaltet dieser Mythos dabei über soziale und kulturelle Gräben hinweg, wobei er eine selbstverständlich-fraglose Geltung erlangt. Seine Wirkung ist komplexitätsreduzierend; unüberschaubare Zusammenhänge werden mit Hilfe einfacher Wahrnehmungsschemata in geordnete Strukturen gebracht. Charakteristisch für einen politischen Mythos ist, dass das kommunizierte politisch-soziale Geschehen nicht gemäß den empirisch überprüfbaren Tatsachen interpretiert wird, sondern auf eine erzählerisch selektive und stereotypisierte Weise. ... Im Gegensatz zum religiösen Mythos fehlt dem politischen Mythos der Bezug zu einer transzendenten, jenseitigen Welt.

... Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler unterscheidet drei Erscheinungsformen politischer Mythen, die stets eng aufeinander bezogen seien: Erzählung, Bild und Inszenierung. Die Erzählung mache den eigentlich Wesensgehalt des Mythos aus; er müsse immer wieder neu und auch immer wieder anders erzählt werden. Diese narrative Variation sei die eigentliche ,,Arbeit am Mythos" im Sinne Hans Blumenbergs, ohne die der Mythos zum Dogma erstarre. Im Gegenzug dazu stelle seine Verbildlichung in der Historienmalerei oder im Denkmal eine Verfestigung dar: Im einmal geschaffenen Bild lege sich der Künstler auf eine für verbindlich erklärte Variante der mythischen Erzählung fest. Die dritte Erscheinungsform sei die rituelle Inszenierung, etwa in Form von jährlich begangenen Gedenk- und Feiertagen mit ihren Festreden, Umzügen und Paraden.

... Unter dem Eindruck seiner politischen Erfahrungen in den 1940er Jahren legte sich Ernst Cassirer auf eine Neubestimmung des Staates unter dem Aspekt des politischen Mythos fest. Nunmehr differenzierte er zwischen einem Mythos im Sinne einer unbewussten Symboltätigkeit und einem Mythos, der auf dem Hintergrund eines politischen Interesses bewusst erzeugt wird. In seinem 1949 posthum herausgegebenen Werk Vom Mythos des Staates beschrieb er eine besondere Gefahr, die von modernen politischen Mythen ausgehen würde, im direkten Vergleich mit menschlichen Affekten, Zwang und Unterdrückung; eben so, wie sich diese Phänomene in der Geschichte der Politik und Geschichte der Religion gezeigt hätten:

    ,,Sie unternahmen es, die Menschen zu wandeln, um imstande zu sein, ihre Taten zu regulieren und zu beherrschen. Die politischen Mythen handelten auf dieselbe Weise wie eine Schlange, die versucht, ihre Opfer zu lähmen, bevor sie angreift. Die Menschen ... wurden besiegt und unterworfen, bevor sie sich klar gemacht hatten, was eigentlich geschah."


... Gegen eine Perspektive, die den politischen Mythos ausschließlich im Licht der Unwahrheit, Geschichtsklitterung, Täuschung und des Betruges auffasst und daraus eine Politik der Aufklärung ableitet, wendete 2004 der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in einem Aufsatz zum Thema ,,Der Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR" ein, dass in diesem Diskurs häufiger mit polemischen als mit analytischen Begriffspaaren gedacht werde. Bei seiner Untersuchung nahm er sich vor, in Anlehnung an den Philosophen Hans Blumenberg politische Mythen danach zu befragen, ,,inwieweit sie durch sinnhaft strukturierte Erzählungen Sinn verbürgen, dadurch Vertrauen in die eigene Handlungsmächtigkeit stiften und somit politisches Handeln im Sinne eines Zusammenhandelns von Menschen überhaupt erst ermöglichen." Dabei erwog er zugleich, dass dem Nutzen von politischen Mythen fast immer auch Kosten gegenüber stünden – ,,und die Kosten der politischen Mythen sind zumeist hoch". Da Münkler allerdings den politischen Mythos, den er begrifflich als eine ,,riskante Erzählung" fixierte, als Bedingung für politisches Handeln auffasste und den von ihm diagnostizierten positiven Aspekten des Mythos etwas abgewinnen wollte, folgerte er: ,,Erst eine Welt ohne Politik würde eine Welt ohne politische Mythen sein. Aber das heißt bei weitem nicht, daß Mythos gleich Mythos ist." Erforschung des politischen Mythos könne deshalb auch bedeuten, dass sie als ,,Suche nach Erklärungen für das Gelingen und Scheitern politischer Gemeinschaften [...] im Bereich des ihnen jeweils zugrundeliegenden Orientierungswissens" begriffen wird. ...



Quelle: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Politischer_Mythos&oldid=197966008 (21. März 2020)
// https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Mythos

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Quote[...] ,,In allen kritischen Augenblicken des sozialen Lebens des Menschen sind die rationalen Kräfte, die dem Wiedererwachen der alten mythischen Vorstellungen Widerstand leisten, ihrer selbst nicht mehr sicher. In diesen Momenten ist die Zeit für den Mythus wieder gekommen." So schrieb der Philosoph Ernst Cassirer in seinem Buch ,,Vom Mythus des Staates", das 1946, ein Jahr nach seinem Tod, in den USA erschien.

...  ,,Es war, im entgeisterten Blick auf die nationalsozialistische Herrschaft in Europa, auf den Vernichtungskrieg und den Völkermord an den Juden, als Erklärungsansatz gemeint für das Denken, das dem totalitären Staat zugrunde liege." Und diese Grundlage erkenne Cassirer im ,,mythischen Denken", auf das die Menschen in Krisenzeiten leichter zurückfielen: Das mythische Bewusstsein sei ,,durch die Intuition unmittelbarer Beziehungen zwischen Mensch und Dingen charakterisiert", so Recki, ,,und damit gibt es auch keine Abstraktions- und keine Reflexionsdistanz. Mythisches Bewusstsein ist besessen von der Macht der Bilder, der Macht der Namen und von der Macht der von ihren Eindrücken ausgelösten Emotionen."
Im Ahnenkult und der Rassenideologie des Nationalsozialismus aktualisiere sich für Cassirer dieses ,,archaische Denken".


Für Recki ist Cassirers Ansatz auch heute noch aufschlussreich, nicht zuletzt im Hinblick auf die Mythenbildung in zahlreichen Verschwörungserzählungen während der Corona-Krise. Ebenso erkennt sie Spuren mythischen Denkens aber auch im ,,Erstarken identitärer Diskursstrategien", so zum Beispiel ,,in der Vorstellung, wer sich auf sein Gefühl beruft – das Gefühl, benachteiligt, beleidigt, nicht genügend beachtet zu sein – hätte diesseits aller Argumentation schon per se recht."
Und was hilft gegen das Wiedererstarken des ,,Mythus"? Mit Cassirer gesehen jedenfalls sicher keine ,,Ausgrenzung", sagt Recki, sondern: ,,Durch Befragen und Argumentieren weiterarbeiten an dem großen Projekt der Aufklärung."
(ch)

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Aus: "Mythisches Denken in Zeiten der Krise" Birgit Recki (10.10.2021)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/philosophische-flaschenpost-ernst-cassirer-mythisches-100.html

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Quote[...] [Nils Markwardt - Redakteur des "Philosophie Magazins", freier Autor von ZEIT ONLINE - geboren 1986 in Grevesmühlen, studierte Literatur- und Sozialwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist Redakteur des "Philosophie Magazins" und schreibt unter anderem für ZEIT ONLINE und die "taz".]

Es gab in den vergangenen Jahren kaum einen Begriff, der politisch so steil Karriere machte wie "postfaktisch". Das lag daran, dass er eine prägnante Erklärung für den globalen Aufstieg des Rechtspopulismus zu liefern schien. Und einerseits stimmt es ja auch: Der Erfolg von etwa Donald Trump und der AfD hat auch mit deren flexiblen Verhältnis zur Wahrheit zu tun. Andererseits verstellt die Fokussierung auf das Postfaktische den Blick auf einen anderen, möglicherweise zentralen Aspekt des Rechtspopulismus. Im Kern ist dieser nämlich weniger postfaktisch als präfaktisch.

Das reaktionäre Denken greift die pluralistische Demokratie vor allem an einem Punkt an. Und zwar an der Tatsache, dass diese nur über eine relativ abstrakte "Wir"-Erzählung verfügt. Garantiert die pluralistische Demokratie die freie Entfaltung des Einzelnen, unabhängig von Herkunft, Glauben oder sexueller Orientierung, überlässt sie Identitätsfragen weitgehend dem Individuum. Anders gesagt: Die Grundlage des demokratischen "Wir" ist allein die Verfassung, nicht das Teilen einer Abstammung, einer Religion oder weltanschaulichen Haltung.

Was auf der einen Seite die fundamentale Voraussetzung für Freiheit und Gleichheit ist, zeigt sich in Krisenzeiten zuweilen als systemischer Wettbewerbsnachteil. Im Moment, in dem Identitäten vermehrt brüchig werden, sei es durch wirtschaftliche Krisen oder technologischen Wandel, verfügt die pluralistische Demokratie nicht über die ideologische Füllmasse einer "höheren Idee", um diese Brüche zu kitten.

Genau an dem Punkt setzt das reaktionäre Denken an. Schon seit der Gegenaufklärung des 18. Jahrhunderts zeichnet es sich durch eine radikale Kritik am kalten, zersetzenden Rationalismus der Moderne aus. Von Edmund Burke über Joseph de Maistre bis Carl Schmitt besteht die Grundidee, grob gesagt, darin, dass der Mensch, dieses sündhafte Mängelwesen, vom dekadenten anything goes bedroht wird. Dort, wo sich Universalismus und Humanismus ungehindert Bahn brechen, wo Autorität, Tradition und Hierarchie schwinden, verfalle der Mensch der Hybris und gleiten Gesellschaften ins Chaos. Deshalb brauche das Subjekt eine höhere, schicksalhafte Idee, der es sich buchstäblich unterwerfen kann.

Ein aktuelles Beispiel dieses Denkens konnte man jüngst in der ZEIT lesen. In einem Essay beklagte sich der Dramatiker Botho Strauß über den "Kitsch der Menschenrechte" und die "billige Rationalität" der Gegenwart, denen man den Glauben an das "Unerreichliche" entgegensetzen müsse. Dementsprechend gipfelt der Essay in der raunenden Forderung: "Was der Romantiker gegen die beginnende Industrieepoche war, muss der poetische Myste gegen die amusische Intellektualität der Wissensgesellschaft sein."

Bei Strauß wird deutlich, dass reaktionäres Denken zuvorderst eine Art reflexiver Irrationalismus ist. Das heißt: Ein Irrationalismus, der sich nicht einfach aus Unwissen oder Verblendung speist, sondern aus dem Bedürfnis nach der Erklärung durch das Unerklärliche. Es ist der Glaube an etwas Höheres, das rational eben nicht zu fassen sei. Oder anders gesagt: Es ist politische Mythologie. Während dieses Höhere bei Strauß jedoch noch im Ungefähren bleibt, wird es im rechtspopulistischen Diskurs sehr konkret.

Das zeigt sich etwa bei Götz Kubitschek, dem hierzulande vielleicht einflussreichsten Denker der neuen Rechten. Der Historiker Volker Weiß schildert in seinem jüngst veröffentlichten Buch Die autoritäre Revolte, dass Kubitschek ganz offen zugibt, dass ihn Nebensächlichkeiten wie Wirtschafts- oder Sozialpolitik überhaupt nicht interessieren. Kubitschek sagte: "Das ist mir völlig egal, wenn ich über den Zustand der deutschen Seele nachdenke oder den Zustand der Tiefenstruktur unserer Psyche unseres kulturellen Dasein. [...] Das ist die eigentliche Substanz des Volkes."

Hier verdeutlicht sich der erste Aspekt reaktionärer Mythologie: Der Glaube an Völkerpsychologie und nationale "Substanzen". Dementsprechend wird im neurechten Denken bisweilen auch Nazijargon reanimiert und von "Trägervölkern" oder, so etwa Alexander Gauland, "Volkskörper" gesprochen. Der Begriff des Volkes wird nicht im demokratischen Sinne des Staatsvolkes verwendet, sondern als Träger eines ethnischen Gemeinwillens mystifiziert.

Der zweite Aspekt zeigt sich in einer Art national-mythischem Geschichtsverständnis. Das ist Björn Höckes Spezialdisziplin. Im Jahr 2015 grüßte er in einer Rede vor dem Magdeburger Dom nicht nur demonstrativ den 973 verstorbenen Kaiser Otto I., sondern beschwor daraufhin auch eine "tausendjährige Zukunft" Deutschlands. Im Jahr 2016 trafen sich Höcke und Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD, wiederum mit rund 200 AfD-Mitgliedern höchst symbolisch am Kyffhäuser-Denkmal. Geradezu komisch wird die Re-Mythisierung der Gegenwart in einem 2015 veröffentlichten Gesprächsband zwischen Walter Spatz und Martin Sellner, beide führende Köpfe der "Identitären Bewegung". Dort heißt es: "Wir wollen die Herzen in Brand setzen [...]. Die geistige Unruhe, der schlafende Furor teutonicus, das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber, das uns aus germanischen Urwäldern wie aus gotischen Kathedralen entgegenstrahlt, versammelt sich in uns."

Bei Stephen Bannon, dem einflussreichen Berater Donald Trumps, findet sich strukturell ähnliches, gleichwohl mit anderem Akzent. Der Ex-Chef von "Breitbart News" pflegt ein gleichermaßen zyklisches wie apokalyptisches Geschichtsverständnis. Wie er selbst mehrfach betonte, folge er darin dem 1997 von Neil Howe und William Strauss veröffentlichen Buch The Fourth Turning, das behauptet, die US-Geschichte verlaufe in 80 Jahre währenden Zyklen, deren Enden stets im Krieg münden. Nach der amerikanischen Revolution (1763), dem Bürgerkrieg (1861) und dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) stehe nun bald wieder ein historischer Showdown an, auf den es die Amerikaner einzuschwören gelte. Allein gegen wen es da genau gehen soll, weiß Bannon offensichtlich selbst noch nicht. So sieht er die USA zwar einerseits schon in einem "Krieg gegen den radikalen Islam", bemerkte im letzten Jahr aber auch: "In den nächsten fünf bis zehn Jahren ziehen wir in den Krieg im Südchinesischen Meer."

Schließlich zeigt sich das reaktionäre Mythologisieren in einer bisweilen obskuren wie historisch verdrehten Bezugnahme zum "Abendland". Schon deshalb, so bemerkt Historiker Volker Weiß in seinem Buch, weil der Begriff ursprünglich weniger einen Widerspruch zwischen Okzident und Orient noch zwischen Christentum und Islam formulierte – er entstand vielmehr im Zuge der römisch-byzantinischen Spaltung der katholischen Kirche. Die sogenannte identitäre Bewegung bedient sich symbolisch bisweilen aber auch direkt in der Antike. Ihr an den griechischen Buchstaben Lambda angelehntes Symbol soll an die Schilder jener spartanischen Hopliten erinnern, die in der Schlacht bei den Thermophylen gegen das persische Heer Xerxes I. kämpfte.   

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die anhaltenden Diskussionen über Postfaktizität am Selbstverständnis des reaktionären Denkens zumindest teilweise vorbeigehen. Denn im Kern zeichnet dieses sich weniger durch das Postfaktische als das Präfaktische aus: Der aus Völkerpsychologie, Geschichtsmythologie und Abendlandkitsch zusammengeschraubte Glaube an die identitäre Wesenhaftigkeit von Völkern und Nationen. Es ist die Sehnsucht nach einer völkischen, verzauberten Welt, in der sich Interessen aus der Abstammung ableiten.

In der Hardcore-Variante mag sich dieses Denken auf die identitäre Bewegung und Teile der AfD-Anhängerschaft beschränken. Setzen die Neurechten um Kubitschek stark auf das, was sie Metapolitik nennen, also den Kampf um kulturelle Hegemonie, so geht es bei dieser Mythologisierung des Politischen auch darum, Stück für Stück gesellschaftliche Debatten zu verändern. Diskursive Anschlussmöglichkeiten gibt es schließlich viele, allen voran die publizistisch zuletzt wieder häufig diskutierte Frage nach der Bedeutung von Heimat. Und das betrifft nicht nur das bürgerlich-konservative, sondern auch das linke Lager, wie kürzlich eine Spiegel-Online-Kolumne von Jakob Augstein zeigte.

In dem Unsere Heimat betitelten Text fordert Augstein das Recht auf Identität gegen die Migration zu verteidigen. Da, so Augstein, jeder wisse, dass Zuwanderer erst einmal Probleme machen und schließlich "Konkurrenten im Lebensstil" seien, sollte es hierzulande keine Schulklassen mit mehr als 25 Prozent Nicht-Muttersprachlern geben. Was als sogenannter Klartext daherkommt, ist allerdings die selbstbewusste Ausstellung eines Denkfehlers. Denn ganz abgesehen davon, dass unklar bleibt, ob Augsteins Obergrenze dann bedeutete, dass einem ausländischen Kind hierzulande im Zweifelsfall die Schulbildung versagt werden sollte, unterstellt er ein Zusammenfallen von Heimat und nationaler Identität.

Wie wenig das sowohl praktisch als auch theoretisch miteinander zu tun hat, zeigt eine eingängige Passage aus Robert Menasses 2012 erschienenem Essay Der europäische Landbote. Der österreichische Schriftsteller erzählt, wie er nach einer Diskussionsveranstaltung mit einer deutschen Journalistin ins Gespräch kommt, worin diese bekennt, wie wichtig es für sie sei, eine nationale Identität zu haben. Menasse bittet sie daraufhin, ein konkretes Beispiel für etwas zu nennen, das Teil ihres Wesens ist und sie gleichzeitig mit allen anderen Deutschen verbindet.

Menasse fährt fort: "Aber sagen Sie bitte nicht, die schöne Landschaft, das finde ich schon in Österreich lächerlich, außerdem ist Landschaft nie national, national an Landschaft ist höchstens je eine besondere Art ihrer Ästhetisierung und ideologischen Aufladung, und sagen Sie bitte nicht, die Sprache, es gibt Deutschsprachige in anderen Nationen, und sagen Sie bitte nicht, der Rechtszustand, das Deutsche Grundgesetz, oder können Sie sich keinen europäischen Verfassungspatriotismus vorstellen? Und sagen Sie bitte nicht, die deutsche Kultur, Sie als Rheinländerin sind doch nicht im geringsten von bayrischer oder hanseatischer Kultur geprägt worden, Sie sind geprägt worden von regionaler Lebenskultur und dann von Ihrem Interesse an der kulturellen Vielfalt der Welt."

Natürlich kann, muss man über Heimat nachdenken, aber wie Menasse pointiert zeigt, hat diese mit nationaler Identität wenig zu tun. Heimat ergibt sich vielmehr aus einer Mischung regionaler und transnationaler Faktoren. Dementsprechend lässt sie sich auch weniger als Ort denn als soziale – genauer: kommunikative – Situation beschreiben. Als ein Gefühl der Vorverständigung, eines Sich-Nicht-Erklären-Müssens. Deshalb, da hat Augstein wiederum recht, ist das Erlernen von Sprache ungemein wichtig. Dies jedoch mit einem geraunten Recht auf Identität und dem Aufruf zur Verteidigung "unserer Heimat" zu verknüpfen, ohne sich dafür zu interessieren, was letzteres denn eigentlich genau sein soll, ist die Vorstufe jenes Identitätskitsches, den die politische Mythologie des reaktionären Denkens produziert.

Dass es notwendig ist, über Heimat ohne Identitätskitsch nachzudenken, zeigt im Übrigen auch der Schluss der Passage aus Menasses Essay. Nachdem dieser die Reporterin nun also gefragt hatte, was ihr denn konkret eine beglückende nationale Identität verleihe, antwortet diese entnervt: "Da gibt es vieles. Kleinigkeiten vielleicht, aber sie sind wichtig. Deutsches Brot zum Beispiel." Daraufhin beendet Menasse den Absatz wie folgt: "In diesem Moment stellte der Kellner Brotkörbchen auf den Tisch. Sie warf einen Blick darauf und – ich dachte: Dieses deutsche Brot nennt man Baguette!"


Aus: "Politische Mythologie: Im Geisterreich des Völkischen" Nils Markwardt (15. April 2017)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2017-04/politische-mythologie-rechtspopulismus-identitaere-bewegung-heimat-volk-fakten/komplettansicht

QuoteDogwalker #26  —  15. April 2017, 14:29 Uhr

Es gibt keinen Grund für die mythologische Überhöhung des "Nationalen " - ins besondere weil sie zwangsläufig mit der Herabwürdigung anderer Nationen verbunden ist.
Eine Fluchtreaktion schwacher Persönlichkeiten.


Quotevincentvision #3  —  15. April 2017, 13:53 Uhr

Eine furchtbare Erkenntnis des Jahres ist, dass selbst gebildete Menschen gegen offizielle Fakten immun zu sein scheinen.
Dabei haben wir so leichten Zugang zu Fakten wie noch nie zuvor. Wir können uns online in Statistiken, Daten und sonstige Fakten einwählen und nach Herzenlust daraus lernen.
Aber selbst promovierte, gebildete Nationalsozialisten waren nicht immun gegen Massensuggestion, Rassenwahn und der Billigung des von ihnen verursachten Genozids...
Für uns muss das bedeuten, dass wir massiver die Errungenschaften der Aufklärung einfordern, in den Schulen lehren und sie positiv zu verkaufen lernen.
Denn Vernunft kommt nicht von alleine. Sie muss in jeder Generation neu erarbeitet werden.
Und niemand der noch bei rationalem Verstand ist, kann bezweifeln, dass sich die Menschheit fairer und weniger brutal entwickelt hat, wenn Entscheidungen oder Meinungen mit einem Mindestmaß an faktischer Vernunft getroffen wurden.
Dann wären wir nämlich schnell wieder mental im Mittelalter, wo Hexen verbrannt wurden, Scharlatanen alles geglaubt wurde und Hunderttausende durch Aberglauben ums Leben kamen.
Und in Zeiten, wo diese Verzerrungen der Wirklichkeit wieder salonfähig geworden sind, gilt es für denkende Menschen gegenzusteuern und die Postfaktiker vorerst dorthin zu schieben, wo sie sich selbst durch ihr Verhalten hinschoben:
In die Ecke derer, die ssich selber ins intellektuelle Aus geschossen haben und deren Bauchgefühl keinesfalls schweigend gebilligt werden darf.


QuoteBetta-Splendens #30  —  15. April 2017, 14:37 Uhr

Der Autor ignoriert die (vorgetäuschte?) Religiosität sehr vieler führender westlicher Politiker. Egal ob George W. Bush, Barack Obama, Winfried Kretschmann, Katrin Göring-Eckardt, Joachim Gauck, Angela Merkel und unzählige andere Politiker die nicht als Rechtspopulisten gelten - sie alle geben sich sehr christlich. Und reden sehr gern von christlichen Werten und vom Beten.

Da ist nichts mit Aufklärung. Natürlich streben sie alle mit kalter Rationalität nach Macht und Geld aber zugleich beschwören sie die Lügengeschichten von höheren göttlichen Idealen.

"""Deshalb brauche das Subjekt eine höhere, schicksalhafte Idee, der es sich buchstäblich unterwerfen kann."""

Dieser Vorwurf des Autors an die "bösen Rechten" sie würden der Furcht vor dem sittlichen Verfall eine Mythologie entgegensetzen trifft 1zu1 auf alle sich christlich gebenden Politiker zu. Und das sind fast alle außer den Kommunisten - die ein anderes höheres Ideal vor Augen haben. ...


Quotetulliusnixalsverdruss #33  —  15. April 2017, 14:42 Uhr

Die weitverbreitete Ablehnung einer "deutschen Kultur" oder "Nation" in weiten Kreisen der linksliberalen Mehrheitsgesellschaft speist sich meiner Meinung vor allem aus der Scham und dem Selbsthaß der Deutschen seit dem Ende der 12 Jahre des " tausendjährigen Reiches". Selbstauslöschung oder Unkenntlichmachen des ursprünglichen Staatsvolkes durch " Bunt statt braun" etc -scheint erstrebenswerter zu sein als eine neue Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten. Die eigene dunkle Geschichte wird in den noch dunkleren Keller verbannt. Identität oder Identifikation über die eigene Geschichte wird zum Tabu. Das erledigen dann die neuen Rechten die im Umgang mit der Geschichte auf aktive Verdrängung durch Glorifizierung setzen. Bei den Linken funktioniert die Verdrängung durch Abspaltung und Projezierung der eigenen Schuld auf die bösen neurechten Prügelknaben AfD, Pegida und Co, durch deren Verdebtheit man sich moralisch reinwaschen und schuldfrei fühlen darf. Das ganze ist ein oberflächliches Trauerspiel- so oder so. Und die daraus resultierende Oberflächlichkeit der Debatte lässt daran zweifeln ob das " Volk der Dichter und Denker" jemals existierte.


QuoteGlobuli gegen Pest #35  —  15. April 2017, 14:46 Uhr

Die Kritik trifft. Trotzdem ist der linke Materialismus nicht weniger lächerlich. Homo oeconomicus und mündiger Bürger sind auch mythologische Konstrukte, die mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben. Kultur macht einen Unterschied. Deshalb bricht Demokratie an einem Mangel an Homogenität zusammen. Am deutlichsten wird das in Nordirland. Da geht es nicht um Klassengegensätze, nicht mal um Sprache, es geht um religiös geprägte Mentalität. Im Unterschied zu Deutschland, wo das von extremistischen Schreihälsen von links und rechts unisono behauptet wird, ist Wählen in Nordirland tatsächlich sinnlos, denn wer auch immer eine Mehrheit bekommt, muss mit der Minderheit im Hinterzimmer irgendeinen Kuhhandel finden, weil die Minderheit sonst Bomben legt. Die Situation ist in Belgien zwischen Flamen und Wallonen ähnlich, nur legt da niemand Bomben, weil sich alle irgendwie mit der konstitutionellen Lähmung abgefunden haben. In Afrika führt diese Art Tribalismus regelmäßig zu Gewalt und ist mit der Machete, wie wir gesehen haben, nicht weniger blutig als mit der Kalaschnikow.
Die multikulturelle Gesellschaft bedeutet Zerfall und wir sind bedroht. Bis jetzt beschränkt sich das auf einelne Terrorakte, die wir als Gesellschaft wegstecken - brennende Flüchtlingsheime, NSU gegen Breitscheid-Platz und die gescheiterten Vorläufer. Wir brauchen mehr gesellschaftliche Homogenität, nicht rechte Rassereinheit, sondern soviel Wir-Gefühl, dass nur Individuen, nicht aber Gruppen herausfallen.


QuoteGlobuli gegen Pest #35.1  —  15. April 2017, 14:55 Uhr

Wie sollen wir dieses Wir-Gefühl herstellen? Das weiß niemand so recht. Der papierne "Verfassungspatriotismus" eines Habermaß wärmt nicht mal Volljuristen das Gemüt. Wann immer die Linke ein Wir-Gefühl erzeugt hat, entstand es auch aus der extremen Homogenität eines Milieus, ob nun unter streikenden Bergarbeitern, oder in der sektiererischen Enge der vom eigenen revolutionären Avantgardismus besoffenen RAF.
Ansonsten ist da die große Leere, in die selbst ein putziger Wagner-Epigone wie Botho Strauß stoßen kann.


QuoteStaatsei Nr.1 #36  —  15. April 2017, 14:47 Uhr

"eigenwilliger Umgang mit Fakten"

Diesen eigenwilligen Umgang mit Fakten pflegen aber genau so gut die Popolist in Parlament und Regierung. Also ist das kein Alleinsteilungsmerkmal des außerparlamentarischen Popolismus.


QuoteZeit-zeichen #37  —  15. April 2017, 14:48 Uhr

"Selig die Armen im Geiste!" So steht es schon in der Bergpredigt. Der Glaube setzt einfach unterentwickelte Netzwerke im Hirn voraus. Daher ist ja auch der Kinderglaube der reinste. Die Machtelite nutzt systematisch das Dumm-(Naiv-)Halten des dann umso gläubigeren Stimmviehs. Die Kirchen machen vor, wie man schon in frühester Kindheit die Autoritätsgläubigkeits prägt, die dann elegant im Hirten- resp. Führerkult mündet! Seit Jahrtausenden erprobte und bewährte Konzepte der Eliten!


Quoteberlin-rustikal #41  —  15. April 2017, 14:57 Uhr

"Das reaktionäre Denken greift die pluralistische Demokratie vor allem an einem Punkt an. Und zwar an der Tatsache, dass diese nur über eine relativ abstrakte "Wir"-Erzählung verfügt. Garantiert die pluralistische Demokratie die freie Entfaltung des Einzelnen, unabhängig von Herkunft, Glauben oder sexueller Orientierung, überlässt sie Identitätsfragen weitgehend dem Individuum."

Und was wird hier anders gemacht als politische Mythologie, nur in einer anderen Form?

Dies fängt schon mit dem Begriff der pluralistischen Demokratie an, die gar nicht näher definiertn, nur über eine schöne Geschichte über die "freie entfaltung des Einzelnen" umschrieben wird, von vornherein schon als letzte Wahrheit der Demokratie hingestellt wird, alternativlos.

Die "pluralistische Demokratie" gehört zur Mythologie der Deutschen, genau wie die "republikanischen Werte" und die "Laicité" bei den Franzosen. Beides sind nationale Mythologien, die die gleich Funktion erfüllen, staatlich forcierte Entwicklungen, wie die der Zuwanderung und ihrer Folgerscheinungen, zu tabuisieren.


QuoteGabriele MM #49  —  15. April 2017, 15:13 Uhr

"Treffen zwei Gruppen aufeinander, die zuviele konkurrierende und gleichzeitig nicht verhandelbare Positionen haben, so ist Demokratie nicht (mehr) möglich."

Danke! Das ist ein hervorragendes Statement.


QuoteKapaster d.J. #55  —  15. April 2017, 15:29 Uhr

Ja, es ist Kitsch.

Aber er erzeugt Brutalität und Dominanzwillen gegen alle, die diesen Kitsch nicht teilen.
Und weil sich immer auch ein gegenläufiger Kitscher findet, führt er letztlich und zwangsläufig zu Krieg.

Und man muss den Erzählungen dieser völkischen Esoteriker (mE nicht Mystiker) auch nur eine kurze Weile zuhören, um zu bemerken, dass sie ganz scharf (man könnte auch sagen: geil) auf diesen Krieg sind. Denn so richtig sichtbar ist der "Volkskörper" erst im Krieg.


Quotetime4democracy #60  —  15. April 2017, 15:56 Uhr

Ein wirklich guter Artikel. Es stimmt, dass es der Demokratie zuweilen an einem übergeordneten moralischen Konzept fehlt mit dem man sich identifizieren kann. Nichtsdestotrotz kann die Antwort darauf nicht sein diese Lücke mit irrationalen Ideologien oder stumpfsinnigen Nationalismus mit bewusster Ignoranz gegenüber von Fakten zu füllen. Es wundert mich ehrlich gesagt dass Menschen die so etwas propagieren nicht schon beim Sprechen merken wie merkwürdig das klingt.


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Quote[...] Düsseldorf - Seit Jahrzehnten gibt es in der Türkei eine gewalttätige, ultranationalistische und rassistische Bewegung, die sich türkischer Mythologie bedient. ...


Aus: "Graue Wölfe: Gewaltbereite Erdogan-Fans wollen in die NRW-Stadträte - und das nicht mit offenen Karten" (13.09.2020)
Quelle: https://www.merkur.de/politik/nrw-kommunalwahl-2020-stadtrat-erdogan-graue-woelfe-rechtsextremismus-gewalt-duisburg-bonn-cdu-zr-90043074.html

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Quote[...] Dass unter der schieren Vielzahl existierender Verschwörungserzählungen ausgerechnet QAnon in Deutschland so erfolgreich ist, hängt auch mit einem bekannten Fürsprecher zusammen: Im April 2020 sorgte der Sänger und Verschwörungsideologe Xavier Naidoo mit einem Video für Aufsehen. Weinend und sichtlich um Worte ringend erzählt er darin, dass ,,in diesen Momenten in verschiedenen Ländern der Erde Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit" würden. Auch diese Befreiungserzählung ist Teil der QAnon-Mythologie. Von den angeblich befreiten Kindern war seitdem nichts zu hören. Doch Naidoo outete sich immer weiter als ,,Q"-Gläubiger, veröffentlichte zahlreiche Videos und gab mehreren Influencern der rechtsextremen deutschen Verschwörungsszene Interviews. ...

... ,,Die Reichsbürgerszene zeigt einen ähnlich starken Realitätsverlust und eine ähnliche Faktenresistenz wie QAnon", sagt Miro Dittrich von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Dittrich beobachtet Rechtsextreme und Verschwörungsideologen im Internet. ,,Außerdem passen mehrere Erzählungen von QAnon mit denen der Reichsbürger sehr gut zusammen", erklärt er. Die Erzählung vom ,,Tiefen Staat" auf der einen Seite und jene von der illegitimen Regierung einer angeblich gar nicht existenten Bundesrepublik auf der anderen.

Lange haben weite Teile der deutschen Rechtsextremen in den USA vor allem ihren Feind gesehen. Den Reichsbürgern gelten sie als ,,Besatzer", die das deutsche Volk unterjochen. Doch dann kam Trump. Auch viele Reichsbürger sehen in dem amerikanischen Präsidenten einen potenziellen Heilsbringer. Er müsse nur einen ,,Friedensvertrag" für Deutschland unterschreiben, dann seien ,,Besatzung" und Bundesrepublik Geschichte, und dann erstehe das Kaiserreich wieder auf – so lässt sich ihr Glaube zusammenfassen. Einen solchen ,,Friedensvertrag" fordern am 29. August auch die Demonstranten vor den Botschaften in Berlin.

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Aus: "QAnon: Wie eine gefährliche Verschwörungserzählung in Deutschland Fuß fassen konnte" Felix Huesmann (Dienstag, 29. September 2020)
Quelle: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/09/qanon-wie-eine-gefaehrliche-verschwoerungserzaehlung-in-deutschland

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Quote[...] ,,Gott war so gnädig, dass er uns Hydroxychloroquin geschenkt hat, um denen zu helfen, die krank sind", rief er der jubelnden Menge zu, die sofort einen Sprechchor anstimmte: ,,Mito, Mito!" Es heißt Mythos und ist der Name, den Bolsonaro-Fans gerne für ihr Idol verwenden. ...


Aus: "Was die Corona-Infektionen bei Bolsonaro und Johnson bewirkt haben"  Sebastian Borger Philipp, Lichterbeck (02.10.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/trumps-brueder-im-geiste-was-die-corona-infektionen-bei-bolsonaro-und-johnson-bewirkt-haben/26239628.html

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Quote[...] Oliver Rathkolb hat mit "Schirach" eine aufwendig recherchierte und lesenswerte Biografie über den Reichsjugendführer und Gauleiter Wiens vorgelegt

... Mit zahllosen Gedichten, Broschüren, Büchern und Events trägt von Schirach sowohl zum Führermythos wie auch zur nationalsozialistischen Verführung der deutschen Jugend bei. ... Nach internen Machtkämpfen löst von Schirach 1940 den in Wien unbeliebten Josef Bürckel als Reichsstatthalter ab. Im engsten Hitler-Umfeld sinkt zwar von Schirachs Stern, da er bald als "verwienert" gilt, wie Goebbels in seinem Tagebuch notiert. Zu diesem Eindruck kommt es auch deshalb, weil von Schirach in Wien eine aufwendige Kulturpolitik betreibt, um auf diese Weise die NS-Herrschaft – etwa mit Mozart- oder Grillparzer-Wochen – hochkulturell abzusichern. Parallel dazu werden fast 50.000 Juden aus Wien deportiert.

Von deren systematischer Vernichtung will von Schirach erst spät erfahren haben – eine Lüge, wie Rathkolb anhand von Dokumenten im kürzlich digitalisierten Gaupressearchiv nachweist. Wenig heroisch sind von Schirachs weitere Lebensstationen: seine feige Flucht aus Wien in den letzten Kriegstagen, seine Ausflüchte beim Nürnberger Prozess, seine teuer verkauften Erinnerungen nach der Haft und sein Tod 1974 als verarmter Alkoholiker.

Auch wenn die Psychologie von Schirachs ein wenig im Dunkeln bleibt, so ist Oliver Rathkolb mit diesem aufwendig recherchierten und üppigst illustrierten Band ein großer Wurf gelungen: Schirach ist nicht nur eine beeindruckende politische Biografie eines führenden Nationalsozialisten. Das Buch bietet am Beispiel dieses "NS-Influencers" auch gute Einblicke in die raffinierte Propagandamaschinerie der Nazis und zeigt eindrücklich, wie Hochkultur und NS-Terror in Wien koexistierten – mit Nachwirkungen bis in die Zweite Republik.


Aus: "Ein adeliger Bildungsbürger als Hitlers Jugendverführer" Klaus Taschwer (4. Oktober 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000120475509/ein-adeliger-bildungsbuerger-als-hitlers-jugendverfuehrer

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cybernaut

Das Buch zur These George Steiners, der immer wieder darauf hinwies, Weimar und Buchenwald liegen nicht nur geographisch nebeneinander. Bildung ist kein Schutzwall vor dem Absinken in die Barbarei. Die ärgsten Schwergen waren hochgebildet und äußerst kunst- und kulturbeflissen.


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Quote[...] Wer hat euch wehgetan, Männer? Das darf doch echt nicht wahr sein, dass ihr da draußen immer noch rumlauft und faschistische Milizen gründet. Habt ihr sonst keine Hobbys? Wie wärs mal mit Backen?

Nehmen wir die ,,Proud Boys" als Beispiel. Diese Schlägertruppe, die in den Nachrichten ist, weil sie in Portland bewaffnet aufläuft und sich der US-Präsident nicht von ihnen distanzieren wollte. Diese ,,Stolzen Jungs" sind zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil Familienväter in der Midlife-Crisis, denen Bartpflege und männlich-weiße Weltherrschaft wichtig sind. [https://taz.de/US-Praesident-Trump-und-die-Proud-Boys/!5713246/], [https://taz.de/Antifeminismus-in-Nordamerika/!5524323/]

Gegründet hat sie 2016 ebenfalls ein Familienvater in der Midlife Crisis; als eine Art Deppenwitz der Geschichte, und das sind sie auch geblieben, außer, dass sie eben eine unkontrollierte Miliz sind, denen der Präsident diese Woche zugerufen hat, sie sollen sich bereithalten – auch wenn er später angeblich nichts mehr von ihnen wissen wollte. [https://www.fr.de/politik/proud-boys-neonazis-donald-trump-usa-tv-debatte-bereithalten-joe-biden-90056880.html]

Aber lassen Sie sich gar nicht erst in ihren ,,Ach, die USA ..."-Lehnstuhl fallen. Hier drüben im Heiligen Römischen Reich haben wir die rechtsextremistischen ,,Identitären", die sich im Sommer in einem Sägewerk in der Lausitz getroffen haben, um nach antikem olympischen Vorbild Nahkampf zu trainieren und sich im Lagerfeuerschein gegenseitig ihre gestählten Herrenrasse-Waden zu bewundern. [https://twitter.com/ibdoku/status/1297125565519060992]

Die ,,Identitären", ebenso wie die ,,Proud Boys", Prepper und andere Iterationen der maskulinistischen Neuen Rechten, versuchen ihr Tun mit Historie, mit Mythos aufzuladen, mit Rückgriffen auf projizierte alte Ideale und angebliche Former Glory – dabei geht es bloß um Sport, Minderheitenhass und homoerotische Spannung. Also nichts weiter als deutsches Vereinswesen. [https://taz.de/Neue-Rechte/!t5020823/]

Sich selber und uns, die Beobachter*innen und Analyst*innen, wollen sie überzeugen, dass da noch mehr ist: eine Tradition, ein inneres Narrativ. Die ,,Proud Boys" pflegen deshalb Rituale (oder behaupten es) wie die Einschränkung des Masturbationsverhaltens, um daraus angebliche innere Stärke und Ruhe zu generieren. Das ist übrigens christlich-abendländischer Unsinn – bei der Kontrolle von Sexualität geht es immer nur um Kontrolle, nichts weiter. Und die ,,Identitären" geben sich gerne Spitznamen aus Zach Snyders Sparta-Softporno-Blockbuster ,,300".

Ich frage mich dann oft: Wie kann man euch heilen? Worum geht es euch wirklich? Vielleicht ist es ja doch diese Zukunfts-, diese Globalisierungsangst oder die Furcht vorm Machtverlust. Adressierbare, bearbeitbare Themen also. Maybe you should talk to someone?

Aber erstens würde ich alle diese Typ-A-Klemmschwestern nur therapieren, wenn man mich so richtig obszön dafür bezahlt (Honorar im Bereich Luxus-Ledermantel müsste das schon sein). Und zweitens ist dies ja genau Teil des Spiels. Bedeutung suggerieren, wo es bloß um infantile Instinkte geht: erniedrigen, einschüchtern, verängstigen, herrschen.

Man tut aber so, als ginge es um männliche Identität, Nationalstolz, Bruderschaft und Anti-Globalisierung. Mag sein, dass alle diese Dudes ihre individuellen biografischen Gründe haben, Dicks geworden zu sein. Der eine ist vielleicht wirklich einfach ganz doll gegen entgrenzten Kapitalismus. Der nächste hatte einen cholerischen Dad, der dritte hat Erektionsprobleme und noch einer ein leicht behandelbares, aber bislang undiagnostiziertes psychisches Problem.

Mag ja alles sein. Aber nichts davon führt unweigerlich dazu, dass Leute Arschlöcher, Chauvis und Schläger werden. Sorry aber, baby, we ain't born this way. Arschlöcher, Chauvis und Schläger sind Arschlöcher, Chauvis und Schläger, weil sie sich entschieden haben, Arschlöcher, Chauvis und Schläger zu sein. Da gibt es nichts hineinzudeuten. Und diesen Gefallen sollten wir ihnen auch nicht tun.


Aus: "Rechtsextremismus und Midlife-Crisis: Die Infantilität des Bösen " Kolumne von Peter Weissenburger (4. 10. 2020)
Quelle: https://taz.de/Rechtsextremismus-und-Midlife-Crisis/!5718223/

QuoteCoriolis - 04.10.2020, 20:23

Proud Boys, Identitäre, Graue Wölfe, Schwarzer Block, Wehrsportgruppe Hoffman usw.

Es gibt in jedem Alter und in jeder Gruppe Menschen, die beim Denken nicht so viel Glück haben. Damit müssen wir wohl leben....



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#7
Quote[...] Anthony Scaramucci war 2017 Donald Trumps Kommunikationsdirektor – und musste nach elf Tagen wieder gehen. Heute kämpft er als Republikaner für Joe Biden. ...

... Scaramucci: Trump ist eine demografische Anomalie. Die Wut der alten weißen Wähler hat ihn getragen, die längst die Minderheit sind. Und Fox News hat den Rahmen erschaffen für das, was wir heute erleben. Fox zeigt ein heiles, weißes Amerika, das es so auch früher nie gegeben hat, und Fox erzählt Geschichten, die unseren Großmüttern Angst machen: Wir dürften in diesem Land bald nicht mehr 'Frohe Weihnachten' sagen, all diesen Unsinn, ...

... ZEIT ONLINE: Wie war es im Weißen Haus in diesen elf Tagen?

Scaramucci: Niemand außer dem Präsidenten darf dort drinnen für irgendetwas gelobt werden, niemand darf im Scheinwerferlicht stehen. Klar, er sagte, er würde die besten Leute anheuern, aber mit den Besten kann er nicht umgehen. Verstehen Sie, wie albtraumhaft das ist? Der Mann kann kein Problem definieren, keinen Konsens bilden, er hat nur seinen Twitter-Feed und schreit. Wir alle versuchten, das schönzureden, weil wir Respekt vor diesem Amt haben, vor Abraham Lincoln und Thomas Jefferson und George Washington, aber was dort geschieht, ist pathologisch instabil.

ZEIT ONLINE: Wird nach Trump automatisch alles gut und besser werden?

Scaramucci: Nein, nein, nein, nein, nein. Ich sage zwar voraus, dass die Republikaner sich nach Trump ein wenig normalisieren und weniger aggressiv gegenüber Medien oder Fremden sein werden, aber wir haben es mit systemischen Problemen zu tun. Trump ist nur ein Symptom. [...]  Man darf die Trump-Wähler nicht einfach weiße Nationalisten nennen. Diese Leute wollen Arbeitsplätze. Gute Schulen für ihre Kinder. Chancen für sich selbst. Wenn man etwas erreichen will, muss man das Narrativ verändern und anders mit den Menschen sprechen. Man darf nicht in einer elitären Blase leben.

Ich weiß schon auch: Vieles im globalisierten Kapitalismus funktioniert bestens, ich profitiere selbst davon, aber leider funktioniert es nicht für alle. Es ist gar nicht so schwer: Man muss sich mit schlauer Steuerpolitik und schlauer Sozialpolitik um Menschen kümmern, denen es nicht so gut geht wie einem selbst.

ZEIT ONLINE: Und wenn man all das nicht tut?

Scaramucci: Dann bekommt man Donald Trump.

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Aus: "Anthony Scaramucci: "Nein, nein, nein, nein, nein"" Interview: Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby (8. Oktober 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-10/anthony-scaramucci-republikaner-fuer-joe-biden-us-wahl/komplettansicht

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Quote[...] Im gepanzerten Wagen lässt sich der mutmaßlich hochinfektiöse Präsident an jubelnden Sympathisanten vorbeichauffieren. Aus dem Wagen heraus winkt der 74-Jährige, der eine Stoffmaske trägt. Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie er beide Daumen nach oben reckt. Dann kehrt der Konvoi zum Krankenhaus zurück. Unmittelbar vor dem Kurzausflug hatte Trump die Stippvisite via Twitter angekündigt. ,,Ich verrate es niemandem außer Ihnen, aber ich mache gleich einen kleinen Überraschungsbesuch", sagt er in einem Video, das er an seine knapp 87 Millionen Twitter-Abonnenten schickt. ... Zur Unterstützung Trumps hat sich vor dem Krankenhaus auch John Maxwell eingefunden. Der 46-Jährige trägt ein Plakat mit der Aufschrift ,,Donald Trump ist der beste Präsident in der Geschichte der USA". Was er - wie die meisten seiner Mitstreiter hier - nicht trägt: eine Maske. Ob Trumps Erkrankung nicht ein Umdenken erfordere? ,,Ich will keine Maske tragen, Punkt. Wenn du denkst, dass ich dich anstecken werde, dann hast du das Recht, nicht in meiner Nähe zu sein", sagt Maxwell. Seine Freiheit gehe ihm über alles und schließe die Freiheit auf Maskenverzicht ein. ,,Und wenn ich Covid habe und es jemandem weitergebe, dann ist das Amerika, Mann. Das ist Amerika." ...


Aus: "Trumps Corona-Infektion: Verschwörungstheorien und Legendenbildung"  Can Merey, dpa (5.10.2020)
Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/trumps-corona-infektion-verschwoerungstheorien-und-legendenbildung-li.109510

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Quote[...] Nesrine Malik | The Guardian

Wären die vergangenen Tage in der US-Politik ein Theaterstück, würde man die Handlung für zu unglaubwürdig halten. ... Trotz aller Lügen wird die Realität sich am Ende durchsetzen.


Aus: "Wirklichkeit sticht" Nesrine Malik (05.10.2020)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/wirklichkeit-sticht

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WuMing | Community

Wirklichkeit sticht leider nicht, ... !

Irrationalismus wirkt, Trump wirkt, leider...



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Quote[...]  Er verhält sich, als wäre diese Phase des Wahlkampfs eine ,,Soap Opera". Hauptsache, er verbreitet mit Tweets und Bildern den Eindruck eines gesunden und tatkräftigen Präsidenten, selbst wenn die in auffälligem Widerspruch zu den Fakten stehen.

Schon im Walter Reed Hospital war er auf seine Außenwirkung bedacht. Er setzte 18 Tweets binnen einer Stunde ab, ließ sich kurz im Auto herumfahren, um sich seinen Anhängern hinter den Panzerglasscheiben zu zeigen – und inszeniert seine Ankunft im Weißen Haus wie ein Heldenepos. ...


Aus: "Realität schlägt ,,Soap Opera"" Christoph von Marschall (06.10.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/gelingt-trump-ein-comeback-realitaet-schlaegt-soap-opera/26248310.html

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Quote[...] Was seine Patientenakte angeht, folgt Donald Trump demselben Muster wie zuletzt bei seiner Steuererklärung: mauern, täuschen, weglächeln. Noch immer gibt es keine offizielle Auskunft darüber, wann Trump zuletzt negativ getestet wurde, ob er also wirklich erst seit Donnerstagabend von seiner Erkrankung weiß oder ob er über seinen Gesundheitszustand täuschte und andere gefährdete. Auch weigern sich die Ärzte weiterhin, mitzuteilen, wie genau es um Trumps Verfassung steht, in welchem Zustand etwa seine Lunge ist. Expertinnen und Experten warnen, dass er sich jetzt in einer kritischen Phase der Erkrankung befindet; sein Befinden könnte sich plötzlich verschlechtern und Notfallmaßnahmen nötig machen, für die er wieder ins Krankenhaus geflogen werden müsste.

Trump aber scheint fest entschlossen, seine gesundheitliche Verfassung seinem Image unterzuordnen anstatt umgekehrt. "Ich werde bald wieder auf Wahlkampftour sein", twitterte der Präsident am Montag. Mehr noch: Seine vermeintliche Genesung instrumentalisiert er als Teil seiner Kampagne, unterstützt von ihm loyalen Republikanern wie der Senatorin Kelly Loeffler aus Georgia. Sie verbreitete auf Twitter eine Videomontage des Präsidenten, der bei einem Boxkampf ein stilisiertes Virus zu Boden ringt, und schrieb dazu: "Covid hatte gegen Donald Trump KEINE Chance!"

Nach dem Auftritt auf dem Balkon veröffentlichte Trump ein Video, in dem er mehrfach seine Aussage wiederholt, man solle sein Leben nicht durch das Virus dominieren lassen, und unter anderem sagte: "Vielleicht bin ich ja immun, ich weiß es nicht." Das ist eine deutlich verschärfte Fortsetzung von Trumps verharmlosender Rhetorik zur Pandemie. Es wirkt, als sei sein Motto: 'Man muss nur wollen' – eine Haltung, die im Zweifelsfall Menschenleben gefährden könnte, wenn sie von seinen Anhängerinnen und Anhängern übernommen werden sollte. Trump markiert den Unbesiegbaren, geht damit aber auch vier Wochen vor der Wahl ein politisches Risiko ein.

... Donald Trump setzt darauf, mit der Illusion einer mit politischer Durchsetzungsstärke bezwingbaren Virusinfektion Präsident zu bleiben. Dabei hätte seine Erkrankung die Chance sein können, sich empathisch gegenüber den Betroffen und demütig gegenüber den Folgen des Virus zu zeigen, nachdem seine Zustimmungswerte in den Umfragen gesunken sind, je weiter die Pandemie voranschritt. Stattdessen – und, so heißt es, zum Unmut seiner Berater – lässt der Präsident sich selbst dann nicht von seinem bisherigen Kurs abbringen, wenn er nicht mehr richtig atmen kann.

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Aus: "Donald Trump: Inszeniert wie eine Auferstehung"  Johanna Roth, Nashville (6. Oktober 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-10/donald-trump-coronavirus-erkrankung-usa-krankenhaus-entlassung/komplettansicht

QuoteFormSinn #3

Hollywood lässt grüßen - Insziniert wie der billigste Schmierenstreifen. Aber ein Teil der US-Bürger wollen das so und wählen ihn genau deshalb. ...


QuoteDekonstrukteur #3.19

Ach ja, viele Menschen scheinen das Echauffieren über Trump zu lieben. Genau das gibt ihm Macht. ...


QuoteHauptsache Haltung zeigen #3.24

In Amerika leben nun mal sehr viele Menschen, denen das Verständnis dafür fehlt, dass Trump nicht gut für sie ist.
Auf diese Leute geht man auch seit Jahrzehnten überhaupt nicht zu, man blickt einfach auf sie herab. Wir machen hier genau das Gleiche.

O-Ton auf ZON : Wie können diese dummen dummen Amerikaner nur diesen dummen Trump wählen.

Wenn sie so wollen, ist es mMn nur legitim wenn dumme Menschen sich einen dummen
Präsidenten wählen.
Darüber hinaus kann ich den Wunsch der vielen Abgehängten in den USA verstehen, die einfach keinen Bock mehr haben die schweigende Unterschicht und der verschmähte Bodensatz zu sein.

Ich kann verstehen, dass die unterste Schicht einer Mannschaft nach Jahren der Herablassung, der fehlenden Anerkennung und des Plankenschrubbens, das Schiff, auf dem sie segelt, nur noch anzünden will und eine letzte Nacht die Vorratskammer plündern will.


QuoteN-Mode #4

Das ist ganz mieses Theater, das selbst einem nordkoreanischen Diktator die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.


QuoteRespublicaforever #4.1

Theater hin, Theater her, es ist Wahlkampf, aber dem lustigen dicken Mann in Nordkorea würde es ein Lächeln auf die gestrengen Mundwinkel zaubern und tut es bestimmt auch. ...


QuoteFalubor #9

Trumps Freund Bolsonaro hat aber COVID-19 bedeutend souveräner ,,besiegt". Das wird Trump schon wurmen.


QuoteEs_saugt_und_bläst_der_Heinzelmann #9.1

Ja, und viel früher als der gesalbte!


QuoteKarf #11

The show must go on – die Essenz Amerikas.


Quotedeepblueheaven #11.1

Brot und Spiele war das Mittel der alten Diktatoren. ...


Quotes062012 #20

Dass Trump die Infektion instrumentalisieren wird dürfte jetzt nicht überraschend sein. Ist ja Wahlkampf. Also so what.


QuoteRaymond Luxury-Yacht #22

Man verkennt in meinen Augen, dass die Maske selbst zum Symbol für den Umgang mit der Erkrankung geworden ist. Das Trump jetzt nach der Erkrankung nicht umdenken würde war absolut klar.
Der Umgang mit dem Virus lässte eben auch Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Reaktionsweise und damit Charaktäre der Menschen auf Bedrohungen zu.

Bin ich eher defensiv, vermeide Risiken, verschanze mich und bin eher ängstlich, nenne es aber "verantwortungsvoll".

Oder bin ich eher offensiv und bereit das Risiko in Kauf zu nehmen. Mit der Hoffnung, dass es mich schon nicht erwischt. Als Symbol dafür, dass ich mich nicht "unterkriegen" lasse. Werde dafür aber als "verantwortugslos" gebrandmarkt.

Da wir objektiv erstaunlich wenig über die Infektionswege sowie die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen wissen, wird diese ganze Erkrankung tatsächlich auch die Wahlentscheidung beeinflussen.

Auf der einen Seite Trump, der das Schicksal vielleicht mutwillig herausgefordert hat, aber eben vielleicht auch weggesteckt, also auch "Stärke" gezeigt, hat. Und auf der anderen Seite Biden, der brav allen Vorsichtsmaßnahmen folgt, seine Maske zeigt und behauptet er hätte alle gerettet.

Beide Kandidaten sprechen zwei vollkommen unterschiedliche Lebensvorstellungen an. Finde ich hochinteressant, wie sich das alles auswirken wird...


Quotemuepf #27

Ich hätte vom Drehbuchautor etwas weniger Vorhersagbares erwartet. Die erste Staffel endet recht langweilig. Da braucht es wirklich keine zweite. Der Hauptdarsteller sollte ausgewechselt werden.


QuoteAutonomie #28

"Habt keine Angst vor Covid. Lasst es nicht Euer Leben bestimmen."

Das Leben von 210.181 Amerikanern wurden von Covid19 nicht bestimmt, aber ihr Tod.


Quotedocaffi #30

Die Botschaft ist eindeutig: Sieht mal, diese Krankheit ist so harmlos wie eine Erkältung und vergisst die Regeln dagegen und die, die daran gestorben sind waren einfach schwach. ...


QuoteGoldfuchs #37

""Habt keine Angst vor Covid. Lasst es nicht Euer Leben bestimmen." Fragwürdige Sätze..."

Nichts daran ist fragwürdig. Recht hat er.


Quotejut-jut #37.5

ist ja gut.


Quotetgamank #41

Vor der ersten TV Debatte hatte Trump noch Biden unterstellt, er würde sich mit Drogen oder Medikamenten dopen, jetzt nimmt Trump selbst Stereoide. Kein Wunder, dass er einmal mehr manisch agiert. Steroide können fatale Folgen haben; zu Anfang fühlt man sich noch großartig, aber dann wird es schwierig. Unkontrollierte emotionale Ausbrüche, Angstzustände, psychische Irritationen können die Folgen sein, wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß. ...


QuoteFrau. Huber #44

Demut und das Zugeben von Fehlern sind für Menschen wie Donald Trump nur etwas für Loser. Trump hat das Selbstverständnis eines absolutistischen Herrschers, Fehler machen andere und er selbst ist von Gott auserwählt, um über dem Rest der Menschheit zu stehen und natürlich über dem Gesetz.


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Quote[...] Seine Tweets sind berüchtigt, seine Reden bissig: Obwohl US-Präsident Donald Trump nicht unbedingt als sprachgewandt gilt, erreicht er mit seiner Rhetorik Millionen Amerikaner. Die beiden Mainzer Linguisten Ulrike Schneider und Matthias Eitelmann haben in Zusammenarbeit mit Sprachwissenschaftlern aus der ganzen Welt einen Sammelband herausgegeben, der die rhetorischen Tricks und besonderen Eigenheiten in der Sprache des Republikaners aufdeckt. Im Interview mit ntv.de erklären sie aber auch, was er mit seinem Körper sagen will.

Judith Görs: Kurze Sätze, einfache Sprache, viele Wiederholungen - das ist bekannt über Trumps Redestil: Was macht seine Rhetorik darüber hinaus noch aus?

Matthias Eitelmann: Trumps Sprache wurde oft betitelt als die eines Fünft- oder Sechstklässlers. Diese Annahme beruht auf einem Test, der vor allem die Lesbarkeit von schriftlichen Texten misst. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist gesprochene Sprache aber nicht vergleichbar mit geschriebener. Insofern sind solche pauschalen Annahmen mit Vorsicht zu genießen.

Judith Görs: Also ist Trumps Rhetorik besser als ihr Ruf?

Eitelmann: Nicht unbedingt. Man kann schon sagen, dass sich Trump einer einfachen Sprache bedient und zu wiederholenden Mustern neigt. So kann er seine Botschaft sehr einfach ans Publikum vermitteln - auch wenn sie oftmals eher inhaltsleer ist.

Judith Görs: Wer Trumps Wahlkampfauftritte verfolgt, könnte meinen, er rede einfach drauflos - ohne roten Faden. Wie überlegt ist denn seine Sprache?

Ulrike Schneider: Oft hat er einen Teleprompter. Dann ist der Text von seinen Mitarbeitern vorbereitet und natürlich sehr überlegt. Er weicht aber gern mal davon ab. Wenn er das tut, wiederholt er sich stärker. Vieles, was wie Drauflosreden wirkt, hat er aber in seinen Wahlkampfreden erprobt.

Judith Görs: Trumps Interviews sind - wortwörtlich aufs Papier gebracht - oft kaum lesbar. Warum hören ihm seine Anhänger trotzdem so gern zu?

Schneider: Das funktioniert ein bisschen wie eine Unterhaltung unter Freunden. Da gibt's ja oft einen Moment, wo man lachen muss und sagt: "Wenn das jetzt einer von außen hören würde!" Im Freundeskreis sind wir alle eingeweiht. Wir wissen, wovon wir reden und wie etwas gemeint ist. Ein Außenstehender kann dem oft nicht mehr folgen. Wenn ein Präsident so mit mir redet, schafft das Nähe - ein Gemeinschaftsgefühl.

Judith Görs: Sie meinen, es macht ihn nahbarer.

Schneider: Genau. Das ist ein spannender Effekt. Bis vor 100 Jahren haben Politiker versucht, eine sehr eloquente Syntax zu benutzen - gerade in den großen, wichtigen Reden. Diese Transkripte waren unglaublich komplex. Das ist etwas, was wir heute eher in geschriebener Sprache erwarten würden. Früher redeten Präsidenten vor geladenen Gästen - also der gebildeten Elite. Erst als das Radio kam, hat man gemerkt, dass man zum Volk sprechen muss. Die Reden wurden also auf das Volk zugeschnitten. Es ging nicht mehr vorrangig darum, Kompetenz, sondern eher Volksnähe zu vermitteln. Dieser Trend hat sich mit dem Fernsehen fortgesetzt. Donald Trump ist mit seinen Tweets heute die extremste Weiterführung dieses Wandels. Er versucht, seine Volksnähe über ein Medium auszudrücken, das scheinbar ungefiltert seine Botschaften sendet, und über eine Sprache, die der aus der Kneipe näher ist als dem, was man sonst von Politikern gewöhnt ist.

Judith Görs: Im Buch gehen Sie auf Trumps inflationären Gebrauch des bestimmten Artikels "the" ein. Auch "very" sagt er achtmal öfter als andere Politiker. Was bezweckt er damit?

Schneider: Das sind zwei ganz unterschiedliche Prinzipien. Bei "the" geht es darum, dass er den Definitartikel in Kombination mit Gruppen benutzt. Es macht einen Unterschied, ob ich sage: "Moslems feiern kein Weihnachten" oder "Die Moslems feiern kein Weihnachten". Letzteres suggeriert viel stärker, dass es sich um eine homogene Gruppe handelt, zu der man selbst nicht gehört: Im Fall von "die Moslems" sind alle gleich. Sie sind die anderen. Trump macht das nicht nur häufig bei ethnischen Minderheiten (wie etwa "the Hispanics" oder "the African-Americans"), sondern er sagt auch "the Democrats". Was er aber selten sagt, ist "the Republicans". Er benutzt den Artikel also nicht zufällig. Dahinter steckt ein linguistisches System.

Eitelmann: Intensivierer wie "very" werden in der Regel eingesetzt, um eine Botschaft zu unterstreichen. Was Trumps Gebrauch des Wortes so ungewöhnlich macht, ist, dass er es mit quantifizierenden Adjektiven verwendet - zum Beispiel mit "many" für "very many people" - oder mit nicht steigerbaren Adjektiven: "dishonest" oder "true". Die Begriffe "unehrlich" und "wahr" kann ich eigentlich nicht noch weiter überhöhen. Dass Trump es trotzdem macht, zeigt die besondere Emotionalität seiner Sprache. Auch andere Intensivierer wie "totally" nutzt er gern zusammen mit negativen Adjektiven, um seine Haltung zu Personen oder Institutionen zu unterstreichen.

Judith Görs: Des Öfteren wurde Trump vorgeworfen, Menschen mit seiner Gut-Böse-Rhetorik zur Gewalt gegen Andersdenkende anzustacheln. Für wie gerechtfertigt halten Sie das?

Eitelmann: Dieses Abgrenzen in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, erkennt man sehr deutlich in seiner Rhetorik. Das ist typisch populistisch: Trump betont den Gegensatz zwischen Elite und Volk, wobei er das sehr stark auf sich selbst bezieht. Er sei derjenige, der gegen die Elite kämpft - als Retter des Volks.

Schneider: Für Trump ist die Elite eine politische, keine finanzielle - denn der gehört er ja selbst an. Sie attackiert er nicht, sondern er verschafft ihr Steuererleichterungen. Und auch der Bildungselite steht er eher skeptisch gegenüber, gerade wenn es um Corona-Befunde geht. Dieses System ist aber durchlässig. Einzelne Journalisten, die er anfangs sehr positiv bewertet hat, brachten einen Bericht, der ihm nicht passte - und plötzlich bekamen sie einen negativen Spitznamen und wurden der Elite zugerechnet. Wer Freund und wer Feind ist, kann sich sehr schnell ändern.

Judith Görs: Trotzdem halten Sie Trump nicht für einen lupenreinen Populisten. Wieso nicht?

Schneider: Trump bedient sich zwar dieser standardrhetorischen Muster von einem klaren Gut und Böse. Er sagt zum Beispiel, dass dringendes Handeln erforderlich sei, um einen früheren, nicht näher benannten gloriosen Zustand wieder herzustellen. Aber er tut das alles nicht vordergründig für das Volk, sondern für den eigenen Wahlerfolg.

Judith Görs: Wenn Sie auf die aktuelle Wahlkampfphase schauen: Haben Sie den Eindruck, dass Trump seine Sprache noch einmal weiterentwickelt hat?

Eitelmann: Er bleibt eher bei seinen bewährten Strategien - und führt sie in neue Extreme. Diese starken Abgrenzungen, seine Spitznamen für Gegner, das Ablehnen von wissenschaftlichen Meinungen zugunsten des anekdotischen Erzählens sind immer noch seine Mittel der Wahl.

Judith Görs: Sie beschreiben ihn als Geschichtenerzähler.

Eitelmann: Das zeigt sich immer wieder im Diskurs um Umweltpolitik. Trump leugnet, dass es den Klimawandel gibt. Er diskreditiert sämtliche wissenschaftliche Befunde dazu und redet stattdessen darüber, was er mit eigenen Augen gesehen hat. Er sei zum Beispiel selbst in brennenden Wäldern gewesen und habe festgestellt, dass schlechtes Forstmanagement die Ursache für die Feuer war. Er verpackt das in nette Anekdoten und ersetzt damit die Wissenschaft in ihrem Elfenbeinturm.

Judith Görs: Was halten Sie davon, wie er seine Anhänger in der Corona-Pandemie anspricht? Er bezeichnet das Virus ja häufiger auch als "China Virus"...

Schneider: Neben der politischen Elite können "die anderen", von denen Trump sich abgrenzen will, natürlich auch Leute von außen sein. Das Coronavirus "China Virus" zu nennen, ist da nützlich. Das macht das Virus zu etwas fremdem, unamerikanischem. In Trumps Umgang mit der eigenen Corona-Erkrankung steckt auch ein interessantes Symbolbild: Als Führerfigur muss er sich einerseits als außergewöhnlich präsentieren, weil er gewählt werden will. Andererseits führt die starke Trennung zwischen Elite und Volk dazu, dass er gewöhnlich wirken muss, um nicht der falschen Seite zugerechnet zu werden. Trump präsentiert sich teils sogar als eine Art Inkarnation des Volkes. Sein physischer Körper steht quasi für das Volk. Nach seiner Corona-Infektion stellt er es in seinen Reden jetzt so dar, als habe er die Erkrankung mit minimalen Symptomen hinter sich gebracht und das bedeute für ganz Amerika: Es ist gar nicht so schlimm. Nach dem Motto: Wenn es mir gut geht, geht es allen anderen auch gut.

Judith Görs: Das erinnert ein bisschen an seinen Auftritt auf dem Balkon des Weißen Hauses, als er sichtlich nach Luft rang. Was sagt denn sein Körper, wenn Trump nichts mehr sagt?

Schneider: Als Linguisten schauen wir natürlich in erster Linie auf seine Wortwahl. Aber Trump spricht ja über seinen Körper - auch vor Corona schon. Die früheren Debatten um die Größe seiner Hände oder über seine Frisur wirkten zwar erst einmal lächerlich, aber sie passen in das Bild von seinem physischen Körper als Symbol für seine Politik: Wenn sein Körper schwach ist, ist auch seine Politik schwach. Er muss also argumentativ erreichen, dass er als stark empfunden wird. Deshalb lässt er sich auch auf diese Körperdiskussion ein.

Judith Görs: Und es hilft ihm dabei, nicht inhaltlich werden zu müssen.

Eitelmann: Inhaltliches ist nicht Trumps Stärke. Er argumentiert nicht sachlich oder empirisch. Von daher sind solche Debatten für ihn eher eine Steilvorlage, auf emotionale Themen überzuschwenken.


Aus: "Sprache entlarvt US-Präsidenten: "Trump sieht sich als Inkarnation des Volkes"" Mit Ulrike Schneider und Matthias Eitelmann sprach Judith Görs (Sonntag, 25. Oktober 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Trump-sieht-sich-als-Inkarnation-des-Volkes-article22120318.html

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Quote[...] Wenige Tage nach einer aufsehenerregenden Pressekonferenz zum angeblichen Wahlbetrug hat US-Präsident Donald Trump die Zusammenarbeit mit der Anwältin Sidney Powell beendet. Sie hatte in den vergangenen Wochen immer wieder krude Verschwörungstheorien verbreitet.

Powell war zuletzt gemeinsam mit Trumps Privatanwalt Rudy Giuliani aufgetreten und hatte zu erklären versucht, wie Trumps Gegenkandidat Joe Biden zu Unrecht die Wahl zum Präsidenten gewonnen habe. So behauptete Powell, Biden habe seinen Erfolg durch Manipulation erwirkt – finanziert von südamerikanischen und asiatischen Kommunisten. »Womit wir es hier wirklich zu tun haben, ist ein massiver Einfluss kommunistischen Geldes über Venezuela, Kuba und vermutlich China.«

Powells These war dabei, dass der 2013 verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chávez die Software zur Auszählung der Stimmen habe manipulieren lassen. So seien für Biden abgegebene Stimmen das 1,25-Fache wert gewesen und einige Stimmen für Trump automatisch in Stimmen für seinen Gegenkandidaten umgewandelt worden. Für ihre Behauptungen führte sie keinerlei Belege an. Sie sind widerlegt.

Außerdem sollen sich Powell zufolge hochrangige Republikaner in Georgia – der dortige Gouverneur und ein Minister – als Teil des Wahlbetrugs haben bestechen lassen, sagte sie dem Nachrichtenkanal Newsmax. In Georgia hatte Biden mit einer hauchdünnen Mehrheit von 14.000 Stimmen die Wahl gewonnen. Traditionell regieren die Republikaner den Bundesstaat – sie zweifeln das Ergebnis teilweise an.



Aus: "Wirre Verschwörungstheorien: Trump-Team trennt sich von Anwältin Powell" (23.11.2020)
Quelle: https://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-juristen-team-trennt-sich-von-umstrittener-anwaeltin-sidney-powell-a-cf1943c8-885e-4442-9fbb-e79d67df50d1

QuoteAndreas

>> Das war selbst den Juristen des US-Präsidenten zu viel. <<

Und das will - weiß Gott - was heißen!


Quote42_bo

Soweit ich mich erinnere hat Giuliani persoenlich diese Biden-Venezuela-Kuba-China-Alien Geschichte selbst vorgetragen. Als er gemerkt hat, dass das eine der groessten Lachnummern wurde, hat er Schuldige gesucht und Frau Powell gefunden. Grosser Gag des groessten Juristenteams ever. Die Frau wurde gefeuert, es trifft nicht unbedingt die Falsche. Und dann wird bekannt, dass die gar nicht zum Team gehoert und scheinbar keiner weiss wieso die ueberhaupt bei der Pressekonferenz dabei war. Wenn ich Richter bei den anhaengigen Verfahren waere, wuerde ich mir von jedem Einzelnen eine durch Donald unterzeichnete Verfahrensvollmacht zeigen lassen um sicher zu sein, dass er den Anwalt/Anwaeltin ueberhaupt kennt.


QuoteUlli

Die Reps gehen jetzt auf Distanz zu Trump. Aber auch nur, weil sie sehen, dass das ganze aussichtslos ist. Würde eine Chance bestehen, würden sie alles mitmachen, jede Lüge unterstützen. ...


QuoteSamothrake

Das ist natürlich Unfug, was die liebe Dame da erzählt. Weiß doch jeder, dass das in Wirklichkeit die Echsenmenschen waren, die Stimmzettel aufgegessen haben. ...


QuoteIdalp2020

Wenn wir hier über die Escapaden eines unter Medikamenteneinfluss stehenden Häuptling einer versprengten Südsee Insel sprechen würde könnte ich dem Ganzen etwas Witziges abgewinnen. Leider sprechen wir über den Präsidenten der Weltmacht USA, der zumindest noch ein paar Wochen den Code zu den Nuklearwaffen hat.


QuoteWmeinberg

Dieser Auftritt von Giuliani und Powell hatte wirklich etwas von einer unfreiwilligen Groteske ...


QuoteStephan

Gerüchte besagen er hat nur eine Attrappe des Koffers. Kann das bitte, bitte jemand bestätigen. Das würde mich sehr beruhigen...


QuoteEberhard

Guillani, Powell und natürlich Trump schaden den USA schon jetzt auf viele Jahre. Denn wo immer Biden aucn hinkommt, zunächst muss er das Verhalten von Trump korrigieren. Viele werden skeptisch sein,ob Biden auch wirklich die Wahl gewonnenen hat. Bei solchen Fragen kann es kein entspanntes Gespräch geben. Trump hatdie USA nachhaltig beschädigt.


QuoteJörn

Das Trump-Lager glaubt nun also auch nicht mehr an die bisher von ihnen verbreiteten Lügen, für die es keinerlei Beweise gab oder gibt. Das ist eine Zäsur.


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#8
Quote[...] Zu:  Roman: Christian Kracht "Die Toten" (Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2016, ISBN 9783462045543, Gebunden, 224 Seiten)

Klappentext
"Die Toten sind unendlich einsame Geschöpfe, es gibt keinen Zusammenhalt unter ihnen, sie werden alleine geboren, sterben und werden auch alleine wiedergeboren." Christian Krachts "Die Toten" führt uns mitten hinein in die gleißenden, fiebrigen frühen dreißiger Jahre, als die Moderne, besonders die Filmkultur, ihre vorerst letzte Blüte erlebte. In Berlin, "dem Spleen einer unsicheren, verkrampften, labilen Nation", versucht ein Schweizer Filmregisseur, euphorisiert durch einen gewissen Siegfried Kracauer und eine gewisse Lotte Eisner, den ufa-Tycoon Alfred Hugenberg zur Finanzierung eines Films zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Dort, auf der anderen Seite des Globus, bereitet zur selben Zeit der geheimnisvolle Japaner Masahiko Amakasu ein Komplott gegen die internationale Allmacht des Hollywoodfilms vor.


Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.09.2016
Zum "raffinierten Realismus" adelt Moritz Baßler die kontrastreiche Prosa Christian Krachts, der komplex und doch süffig Fakten und Fiktion mische, den "Glauben ans Unechte" mit der Liebe zum obskuren Detail verbinde und dabei auch noch alle Gegenstimmen zu Wort kommen lasse. Für Baßler ist das große Kunst und vor allem ein Kontrapunkt zu dem, was er als den "banalen Realismus" der Nachkriegsliteratur brandmarkt. Wem dagegen der literaturgeschichtlich und popkulturell aufgeladene Plot um Nazis und Film, Japan und Seppuku in den dreißiger Jahren nicht geheuer ist, der verwechsele Literatur mit Identitätspolitik, bescheidet Baßler möglichen Verächtern. Kracht nämlich verweigere dem Wirklichen das Anrecht auf die Sprache, stellt der Kritiker klar, der dies auch "links-politisch-korrekten" oder "pegidesk-empörten" Lesern empfiehlt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.09.2016
Rezensent Philipp Theisohn hat Christian Krachts neuen Roman verstanden. Der Autor schafft das in der Literatur, was die Band Laibach in der Popmusik vermochte: eine Analyse der Selbstinszenierung des Totalitarismus'. Das ist radikal politisch, findet Theisohn, nicht literarisch-faschistisch. Das Risiko, das der Autor eingeht, indem er mit "ästhetisch-apathischem" Gestus vom Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme erzählt, scheint dem Rezensenten beachtlich. Doch indem Kracht mit Kracauer auf den Stummfilm und das stumme Grauen des aufziehenden Nazi-Terrors blickt, meint Theisohn, bringt er die Barbarei zum Sprechen.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 10.09.2016
Für den Autor und Kritiker Carl von Siemens ist dieser Roman vor allem vom Buddhismus und Hinduismus geprägt: Nichts ist wirklich. Und weil es für den Autor keine Gewissheiten gibt, oszilliert er ebenso wie seine Protagonisten, meint Siemens. Real sei nur das Leiden und der Schmerz. Deshalb finde Kracht auch jede Ästhetisierung der Gewalt fragwürdig und lote sie in seinem Roman bis an die Grenze aus, spüre dabei auch noch den kulturellen Unterschieden in der Darstellung von Gewalt nach. Ob es dem Rezensenten wirklich gefallen hat? Fasziniert und beeindruckt ist er auf jeden Fall.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.09.2016
Was für ein ärgerlicher Stuss, schimpft Rezensentin Sabine Vogel über Christian Krachts neuen Roman. Von wegen großer Stilist! Nichts als maniriert, meint sie. Die blutrünstige Geschichte um eine fiktive cinematografische Achse zwischen Berlin und Tokio im Jahr 1933, angeleiert von einem deutschen Regisseur, sagt ihr nichts oder nichts Sinnvolles. Und warum reitet der Autor so insistierend auf dem Deutschtum herum und lässt Lotte Eisner über den deutschen Wald raunen? Für Vogel ein Rätsel bzw. verquerer deutschnationaler Mythenmuff.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.09.2016
Warum bloß muss es immer ums ganz große Ganze gehen in einer Kracht-Kritik, fragt sich Rezensent Jens-Christian Rabe. Warum Christian Kracht wieder in allen Medien rumpost, ob er damit die Kritik eventuell aufs Glatteis führen möchte, ob der Autor durch und durch Popist oder doch bloß Pop-Literat ist und was all die rästelhaften Instagram-Fotos sollen? Symbolik? Unbedingt, unbedingt, ruft Rabe und rät dem Leser, lieber am besten zu oszillieren zwischen Ohrensesselgemütlichkeit und alerter Leserakribie, um doch noch Freude zu haben an diesem Buch, an seinen erzählerischen Kapriolen, seinem Herumeiern zwischen Historie und Klamauk und seinem prätentiösen Stil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.09.2016
Jan Wiele macht gleich klar, dass es bei dem neuen Roman von Christian Kracht für den Leser wiederum darum geht, Autor und Erzähler fein säuberlich voneinander zu trennen. Anderenfalls dürfte Kracht irrigerweise erneut als Gewaltverherrlicher dastehen, meint Wiele. Denn was der Autor in seiner neuen "Historien-Farce", die sich um den Clash von westlicher und japanischer Kultur im verhängnisvollen Jahr 1933 dreht und in der u. a. Chaplin, Heinz Rühmann, Lotte Eisner, ein diabolischer UFA-Boss und ein Schweizer Filmregisseur auftreten, an Gewaltszenen auffährt, reicht laut Wiele gut für mehrere Bücher. Oder Filme. Anspielungs- und fantasiereich und mittels einer reich überzuckerten Sprache setzt der Autor das um, erklärt Wiele weiter. Krachts Dandy-Stil könnte Kopfzerbrechen bereiten, meint er, doch zum Glück spricht ja nicht Kracht, sondern sein Erzähler.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.09.2016
"Jetzt will er's wirklich wissen!", jubelt Ijoma Mangold nach der Lektüre von Christian Krachts neuem Roman, den er als ganz "außerordentliches Kunstwerk" würdigt. Da ist zum einen die Sprache, "preziös und präzise", Eleganz mit Spielereien, weit weg vom Wirklichkeitswahn der Gegenwartsliteratur, schwärmt der Kritiker. Und dann die Handlung, kunstvoll und von virtuoser Exzentrik, so Mangold, der sich von Kracht mit ins Berlin, Tokio und Hollywood der dreißiger Jahre nehmen lässt und die parallele Eroberung von Welt und Kino durch den Nationalchauvinismus erlebt. Allein, wie Kracht Geschichte und Fiktion verknüpft, einen Kulturkampf imaginiert, in dem der Film über die Deutungshoheit der Bilder entscheidet, einmal mehr Mut zum Betreten von "vermintem Terrain" aufbringt, wenn er seine Figuren über die "Bedrohung des kulturell Eigenen" sinnieren lässt, ringt dem Rezensenten Anerkennung ab. Wenn Mangold schließlich noch die Beschreibungen von japanischen Interieurs liest, kann er nur noch rufen: Was für ein Wunder von einem Roman!

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Aus: "Roman: Christian Kracht "Die Toten"" (2016)
Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/christian-kracht/die-toten.html

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#9
Quote[...] On August 31 President Trump told Fox News host Laura Ingraham that people in "dark shadows" were controlling Joe Biden. When pressed by Ingraham, Trump elaborated, "We had somebody get on a plane from a certain city this weekend and in the plane it was almost completely loaded with thugs wearing these dark uniforms, black uniforms with gear and this and that."

The president's ravings might have seemed psychotic had they not fit a Zeitgeist of paranoid, conspiratorial, and even magical thinking that has arced across our land over the last four years. Earlier this year, Trump praised Stella Immanuel, a Houston minister and pediatrician who believes, among other things, that ovarian cysts are caused by sexual intercourse with demons. A swell of right-wing voters have taken to the QAnon conspiracy, the belief that a cabal of left-wing politicians and Hollywood elites lead an international child sex ring. In response to the swelling number of deaths caused by COVID-19, Vice President Mike Pence told the Republican National Convention, "America is a nation of miracles," and that there would be a COVID-19 vaccine "by the end of this year." Trump has also recommended injecting sunlight and bleach as possible COVID cures.

While such thinking is undoubtedly on a tear among right-wing Americans, the left too has indulged in its share of conspiratorial and mystical thought. The anti-vaxxer movement started among well-to-do liberals. High concentrations of unvaccinated children are to be found in some of the country's wealthiest cities and suburbs, and Democrats are more likely to believe in astrology than the average American.

This preponderance of the mystical, the miraculous, and the conspiratorial may seem at odds with our supposedly rational, modern democracy. Yet a new book by historian Monica Black suggests that the irrational was never absent from the postwar order—and, moreover, that florid eruptions of mystical thinking often accompany periods of extreme political upheaval. Black's A Demon-Haunted Land makes this case by examining the spasm of magical thinking that convulsed West Germany in the decade after World War II. During this time, the Federal Republic of Germany, which today stands as a beacon of liberal democracy, was beset by witch scares and false messiahs. Painting a portrait of a land unable to come to terms with its violent past—and with the crimes of Nazism in particular—Black also suggests troubling parallels between the young republic and our own.

Black is an evocative writer, and, as befits her subject, she describes Germany at the cataclysmic end of World War II in epic terms. As it became clear that the Allies would win, Nazi leaders, many of whom had long held an interest in the occult, began to hold out hope for "wonder weapons" that might save the collapsing country. Meanwhile, ordinary Germans turned to magical thinking:

People did what human beings have long done when faced with a void of understanding: they scanned nature for portents. . . . In fall 1944, in the Sudetenland, people reported an enormous cloud of smoke in the eastern sky, and a bloody fist, shaking threateningly. In Lower Silesia, people saw the sun 'dance' and look as though, at any moment, it would collide with the earth. Those who witnessed it believed that the world would soon 'sink in flames and death.' A fiery sword materialized over the Bohemian Forest. Someone witnessed an immense cross in the heavens, with the full moon at its center. In Friesoythe, in Lower Saxony, a local man with the gift of second sight had a vision: his whole town consumed in flames.

Apocalyptic portents abated with the war's end in 1945, but belief in the supernatural remained alive and well. Between 1947 and 1956, there were seventy-seven recorded trials that involved accusations of witchcraft in West Germany, a number that does not account for the scores more accusations of witchcraft that never ended up in court. At the time of West Germany's founding in 1949, the new country's newspapers and tabloids were full of reports of witches and medicine men roaming the countryside. Black asks readers to consider how it changes our perspective of the young German democracy—and its relationship to the Nazi past—if we treat these incidents not as fringe occurrences, but as moments when something true about its culture was revealed.

Scholars long painted West Germany as a success story: in the ruins of National Socialism, the country forged a stable parliamentary democracy. While the land was devastated in 1945—Allied firebombing had reduced some 80 percent of all urban buildings to rubble—the West German economy rebounded aggressively in the late 1940s and through the 1950s, a period of growth that contemporaries termed "the economic miracle." In 1955, restored to most of its sovereign rights, West Germany remilitarized and joined NATO as a partner in the Western globalist project.

But over the last twenty years or so, historians have increasingly cast doubt on these simplified success narratives, especially as they relate to West Germany's first decade. Scholars now point to the country's extreme misogyny and patriarchal structures as well as its persecution of gay men (over 50,000 men were convicted under Nazi-era homosexuality statutes before they were abolished in 1969). The idea that a "zero hour" starkly separated the Nazi era from the postwar seems now to have been primarily a product of midcentury optimism.

For Black, who shares this skepticism, it is of paramount importance that West Germany did little to purge itself of Nazism. Most historians today agree that denazification efforts in West Germany were failures. Few Nazis were put on trial and even fewer were convicted. Most of those convicted were released in the 1950s under new amnesty laws. The government of Konrad Adenauer, West Germany's first chancellor, allowed many former Nazi bureaucrats to reclaim their pensions and their jobs, leading to what some have called a "renazification" of the civil service and the judiciary.

At the same time, a profound silence hung over the crimes of the Nazi era, a tacit understanding that one simply did not speak of those years. "Silence," writes Black, "was what allowed a society riven by the knowledge that it contained all sorts of people—those who had worked to support the Nazis, those who had actively opposed them, and everyone in between—to rebuild a country together." But the repression of one kind of memory, Black contends, is precisely what gave rise to another. "The past often slipped into view," in the form of witches, wonder doctors, and miracle workers, "like a ghost that wants to remind the living that its work on earth is not done."

Black's narrative is chock-full of colorful anecdotes and charismatic figures. One of its chief protagonists is Bruno Gröning, a miracle worker who roved West Germany for a decade, from 1949 until 1959. He first surfaced in the Westphalian city of Herford, where he had allegedly cured Dieter Hülsmann, a nine-year-old boy who had never been able to walk properly. When the Hülsmann family brought Gröning to see their son, in March of 1949, "the boy suddenly had feeling back in his legs. . . . There was a burning sensation in his legs and back. His cold limbs had suddenly warmed. The next morning, however unsteadily or hesitantly, Dieter, who had spent much of that bleak postwar winter in bed, got up and walked."

News of the "messiah of Herford" spread like wildfire across the land. Black recounts how West German media eagerly began covering the new "wonder doctor" and how crowds ravenous for salvation flocked to the small hamlet in northwest Germany. Over the next several years, Gröning traveled around the country, falling in with different businessmen and ne'er-do-wells looking to profit off his mystical powers. Lawsuits too trailed Gröning wherever he went, as well as accusations that he had violated German medical law. Eventually, Gröning stood trial in Bavaria, accused, among other things, of negligent homicide. Before the court cases and appeals were wrapped up, though, he died of stomach cancer in 1959.

Gröning was only the most prominent of the many West German wonder doctors in the 1950s. Black's approach to these events is psychoanalytic: in her estimation, these faith healers represent a "vertical" form of "the haunting of postwar West German society." That is, "individuals who felt afflicted, guilty, or damned looked up to a savior, who just happened to show up in the moment of their direst need." The salvation that figures such as Gröning offered was not purely physical, it was a salve on the conscience of those who knew themselves to be guilty of complicity in the crimes of National Socialism.

Belief in wonder doctors was not the only way that this "haunting" manifested. In the same years that Gröning worked his magic in front of large crowds, accusations of witchcraft rocked West Germany, especially in small communities in the country's northern marches. Black transports her reader to the far reaches of Dithmarschen, "one of the more rural parts of an overwhelmingly urbanized country, a singular and sometimes uncanny landscape of tidal flats and heaths and bogs." In October 1952, Hans and Erna, who were innkeepers in a Dithmarschen village, asked Waldemar Eberling, a cabinetmaker endowed with certain magical abilities, to heal their sick baby. "Eberling came to the family's home and treated the baby with Besprechen, medicine that relied on charms, gestures, and words," Black reports. Later on, Eberling informed the family that they "were in the clutches of an evil force," and identified the former mayor, Claus, as well as one Frau Maassen as witches.

While these sorts of accusations did not lead to torture, trials by fire, or executions, they did tear communities apart. Frau Maassen in Dithmarschen became physically ill after hearing the allegations. Claus filed suit against the rumormongers. The accusations intersected in complex ways with denazification. Another of Eberling's patients in the town was the daughter of the former Nazi-era mayor. She said that people had treated her father "very badly" after "the 'downfall'," and buttressed the claims that Claus—who had been installed as mayor under the Allied occupation and overseen the redistribution of seized property—was an "evil force."

Such allegations—dozens of them in the years after West Germany's founding—rippled across northern Germany in the early 1950s. They had been "stirred up by unresolved grievances, fears of exposure, and suppressed hostilities related to the Nazi era and to denazification."

A Demon-Haunted Land not only offers a brilliant rethinking of postwar German history, but also asks us to see the irrational as an integral part of modernity. Black urges us to understand that such eruptions of magical thinking were not only real to West Germans at the time, but gave their lives and actions meaning. Without them, we miss something critical about the period.

It's a good lesson for understanding our current politics as well. Magical thinking and witchcraft, Black tells us, "are more likely to surface in moments of instability, insecurity, and malaise." She might as well be writing about the present-day United States. In a country hollowed out by decades of neoliberal policies—with a yawning wealth gap that separates the very privileged from the rest—it seems little surprise that Americans have turned to irrational and conspiratorial explanations, from QAnon to fears of poisonous vaccinations, for all that ails them.

Present economic and political woes may only tell part of the story, though. As Black argues throughout A Demon-Haunted Land, a lingering sense of guilt for the Holocaust and other Nazi crimes helped to inspire both the rapturous reception of wonder doctors such as Gröning and frenetic accusations of witchcraft. Hermann Zaiss, another of the 1950s messiahs who roamed West Germany, told his followers: "We knew that . . . the Jewish people among us were despised, mocked, beaten, and robbed—one only has to think of Kristallnacht—everyone knows what happened then. . . . Six million Jews were killed, and our people did that." His mass healing sermons held out hope for redemption.

Just as Germans were forced to reckon with their own complicity in murder, so too Americans have begun to reckon with our country's centuries-long legacy of racist violence and dispossession. "Tales of hauntings express an otherwise unspoken and sublimated terror at the center of white American life," Black suggests, "that vengeful ghosts will come back and reclaim what's theirs." Magical thinking offers a way of refracting responsibility for such evils—either by seeking spiritual salvation or by sublimating guilt into a mysterious and demonic other.

How do societies that commit monstrous atrocities recover from them? An escape into the realm of the mystical was, as Black shows, one of the answers West Germans had recourse to in the late 1940s and early 1950s. To say that these avenues were irrational is not necessarily the same as saying they were ineffective: for West Germans, they may well have functioned as part of the healing process, an escape valve for those things that could not be admitted, could not be discussed, could not even be whispered.

But for us Americans, it is difficult to arrive at the same conclusion. Magical thinking does not look like a release valve. Rather it looks like a way to turn on one another, to undermine our political, medical, and social systems. In the person of Donald Trump, and the Republican Party that enables him, such magical thinking is a tool for toppling the liberal, democratic order. For those who follow the pied pipers of the extremist right, this effect may indeed be part of the appeal. Many Americans evidently prefer to believe in conspiracy theories and apocalyptic prophecies than to confront our country's racism or its social inequities: perhaps it is easier for them to believe in magic than to accept that they live in an unjust society.


From: "Politics: When Democracy Ails, Magic Thrives" Samuel Clowes Huneke (October 29, 2020)
Source: https://bostonreview.net/politics/samuel-clowes-huneke-when-democracy-ails-magic-thrives

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"A Demon-Haunted Land: Witches, Wonder Doctors, and the Ghosts of the Past in Post-WWII Germany" - by Monica Black (Video Uploaded Oct 26, 2020)
A panel discussion on Monica Black's new book, "A Demon-Haunted Land: Witches, Wonder Doctors, and the Ghosts of the Past in Post-WWII Germany"  (Holt, Henry & Company, Inc., 2020)
https://youtu.be/EzqFw6YXGBk

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Quote[...] Es gibt Momente, da haben sogar Republikaner einen Moment der Wahrheit. Bei Chris Christie war es am gestrigen Sonntag so weit, bei Ted Cruz schon am 3. Mai 2016.

Christie und Cruz gehörten 2016 zu den Bewerbern um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Christie stieg früh aus, Cruz als einer der letzten. Beide waren in den letzten vier Jahren treue Trump-Unterstützer - Cruz im Senat, Christie, Ex-Gouverneur von New Jersey und heute ohne politisches Amt, als informeller Berater.

Doch während Cruz noch zu Donald Trump hält, hat Christie deutlich gemacht, was er von dessen Versuchen hält, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu delegitimieren. Das Verhalten der Trump-Anwälte sei eine "nationale Peinlichkeit", sagte er im Sender ABC. "Wahlen haben Konsequenzen, und wir können nicht so weitermachen, als sei hier etwas passiert, das nicht passiert ist."

Er meinte damit Trumps offenkundig erlogene Behauptung, bei der Wahl am 3. November habe es relevanten Betrug gegeben. Beweise dafür haben weder Trump noch seine Rechtsanwälte vorgelegt, wie Christie richtig anmerkte. "Außerhalb der Gerichte unterstellen sie Betrug, aber wenn sie in den Gerichtssaal gehen, dann klagen sie nicht auf Betrug." Das könne nur bedeuten, dass es keine Beweise gebe.

Das ist alles richtig - mit einer Ausnahme: Die nationale Peinlichkeit sind nicht Trumps Rechtsanwälte, es ist der Mandant, den sie vertreten. Und das nicht erst jetzt, sondern seit vier Jahren, seit er zum Präsidenten gewählt wurde und aus dem Weißen Haus heraus Lügen, Hetze und Unfug verbreitet.

Ja, es gibt Gründe, warum Trump gewählt wurde. Das ändert nichts daran, dass Trump für die USA eine Schande ist. Seine stumpfe Weigerung, Fakten anzuerkennen, seine absolute Indifferenz für alles, was außerhalb seiner eigenen Welt stattfindet, seine Skrupellosigkeit, wenn es um die Folgen seines Handelns geht, machen ihn zu mehr als einer Blamage. Trump war und ist eine Bedrohung für die älteste Demokratie der Welt.

Damit wären wir bei Ted Cruz, der politisch mindestens so weit rechts steht wie Trump. Im Vorwahlkampf 2016 war er von Trump schwer beleidigt worden, er nannte ihn den "Lügenden Ted" und behauptete, Cruz' Vater sei an der Ermordung von John F. Kennedy beteiligt gewesen. Er drohte zudem damit, "mal ein bisschen was über deine Frau zu erzählen", und verbreitete auf Twitter ein unvorteilhaftes Bild von Heidi Cruz neben einem Foto seiner eigenen Frau. Cruz reagierte darauf mit einer Schimpfkanonade vor laufenden Kameras. [https://www.n-tv.de/politik/Trump-hat-ein-Problem-mit-Frauen-article17316661.html]

"Dieser Mann ist ein pathologischer Lügner", sagte Cruz damals, am 3. Mai 2016. "Er kennt den Unterschied zwischen Wahrheit und Lügen nicht. Praktisch jedes Wort, das aus seinem Mund kommt, ist eine Lüge. Das ist ein Muster, das direkt aus einem Psychologie-Lehrbuch kommen könnte: Seine Reaktion ist, jedem anderen Lügen vorzuwerfen."

Die Analyse trifft den Nagel bis heute auf den Kopf. "Was immer er tut, wirft er jedem anderen vor", sagte Cruz. Trump und die Republikaner haben versucht, die Wahl mit Tricks und Betrugsvorwürfen zu gewinnen - also wirft er jetzt den Demokraten vor, betrogen zu haben. "Der Mann kann nicht die Wahrheit sagen, aber das kombiniert er damit, ein Narzisst zu sein. Ein Narzisst auf einem Niveau wie es dieses Land noch nicht gesehen hat." Trump sei außerdem "vollkommen amoralisch". Moral existiere für ihn nicht.

Vier Monate nach diesem Auftritt erklärte Cruz seine Unterstützung für Trump. Wie Cruz, Christie und andere Republikaner sich von Trump hat korrumpieren lassen, zeugt von grenzenlosem Opportunismus. Aber das ist nur ein Nebenstrang der eigentlichen Geschichte. Die lautet: Trump war und ist eine nationale Schande. Solange die Republikaner das nicht offen einräumen, wird er seine Macht über diese Partei behalten.


Aus: "Ein Lügner und eine Schande: Zwei Mal die Wahrheit über Trump" Ein Kommentar von Hubertus Volmer (Montag, 23. November 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Zwei-Mal-die-Wahrheit-ueber-Trump-article22187266.html

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Quote[...] Am Rande von Kundgebungen der Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump sind mindestens fünf Menschen verletzt worden. In der Stadt Olympia im Bundesstaat Washington sei es in der Nähe des Kapitolgebäudes zu einer Schießerei mit einem Verletzten gekommen, teilte die Polizei auf Twitter mit. In der Hauptstadt Washington wurden nach Angaben der Feuerwehr vier Menschen niedergestochen. Unklar ist bislang, ob die Verletzten an den Protesten beteiligt waren und die Taten mit diesen in Zusammenhang stehen.

Die Opfer der Stichattacke lägen "mit schweren Verletzungen" im Krankenhaus, sagte der Kommunikationschef von Washingtons Feuerwehr, Doug Buchanan, der Nachrichtenagentur AFP. Die "New York Times" berichtete von 23 Festnahmen im Laufe des Tages. In Olympia sei ein Verdächtiger festgenommen worden, twitterte die Polizei.

Tausende Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump protestierten am Samstag erneut gegen dessen Wahlniederlage. Dabei kam es in mehreren Städten der USA zu Zusammenstößen zwischen Anhängern des Präsidenten und Gegendemonstranten. Bei der Kundgebung in Washington beklagten sie einen angeblichen Betrug bei der Präsidentschaftswahl Anfang November. Die Unterstützung für den Amtsinhaber, der seine Niederlage gegen den Demokraten Joe Biden nach wie vor nicht eingeräumt hat, fiel aber deutlich geringer aus als vor einem Monat, als 10.000 Demonstranten zur Freedom Plaza nahe dem Weißen Haus geströmt waren.

Die Teilnehmer der Kundgebung forderten "vier weitere Jahre" für Trump im Weißen Haus. "Wir werden nicht aufgeben", sagte der Demonstrant Luke Wilson, der aus dem Bundesstaat Idaho angereist war. Trump-Fan Dell Quick nannte Trumps Abwahl eine "große Ungerechtigkeit" und schwenkte eine Fahne zur Verteidigung des Rechts auf Waffen. Unter den Demonstranten waren auch Mitglieder der rechtsradikalen Gruppierung "Proud Boys". Sie waren an ihrer schwarz-gelben Kleidung zu erkennen, einige von ihnen trugen schusssichere Westen. Teilnehmer einer Gegenkundgebung in der Nähe skandierten "Nazis raus!".

Zu den Rednern, die zu den Trump-Anhängern sprachen, war auch der ehemalige Sicherheitsberater Michael Flynn, der sich in der Russland-Affäre schuldig bekannt hatte und Ende November von Trump begnadigt worden war. Die Kundgebungsteilnehmer beharrten darauf, dass es umfassenden Betrug bei der Wahl gegeben habe. Einige deuteten eine "Einmischung von außen" an, andere behaupteten, dass Millionen Stimmen für den Präsidenten durch Software vernichtet worden seien. Dell Quick sagte AFP, ein Wahlsieg Bidens sei "unmöglich". Die 62-jährige Trump-Anhängerin Susan Bowman aus Hampton, Virginia, sagte: "Dies ist keine Bananenrepublik. Wir müssen die Wahl in Ordnung bringen."

"Wow! Tausende Menschen versammeln sich in Washington (D.C.), um zu verhindern, dass die Wahl gestohlen wird", kommentierte Trump die Kundgebung auf Twitter. "Wusste nichts davon, aber ich werde sie sehen!" Wenig später flog Trump - auf dem Weg zu einer Sportveranstaltung in New York - in seinem Hubschrauber über die Menge hinweg. Viele seiner Anhänger stimmten daraufhin die Nationalhymne an.

Trump spricht seit Wochen von "Wahlbetrug", der seinem Herausforderer Biden angeblich zum Sieg verholfen habe. Das Trump-Lager ist allerdings mit einer Reihe von Klagen gegen die Wahl gescheitert. Auch vor dem Obersten Gerichtshof der USA erlitt er zwei Niederlagen. Inzwischen haben alle Bundesstaaten die Wahlergebnisse zertifiziert. Biden hatte sich bei der Wahl 306 von insgesamt 538 Wahlleuten gesichert, die am Montag den Präsidenten wählen. Für einen Wahlsieg brauchte der frühere Vizepräsident mindestens 270 Wahlfrauen und -männer. Am 20. Januar soll Biden als 46. Präsident der US-Geschichte vereidigt werden.

Quelle: ntv.de, jhe/AFP


Aus: "Schießerei und Verletzte bei Trump-Demo" (Sonntag, 13. Dezember 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Schiesserei-und-Verletzte-bei-Trump-Demo-article22232320.html

Link

The witty Briton stands up to the European bully. How a populist myth helped the British Eurosceptics to win the 2016 EU referendum
Imke Henkel - In Politique européenne Volume 66, Issue 4, October 2019, pages 72 to 94
The British press has been reporting a uniquely distorted image of European affairs and institutions for decades. This article argues that the twisted narrative some British media offered about the relationship between the United Kingdom and mainland Europe was as influential as were the discursive strategies which they employed. Using Critical Discourse Analysis (CDA) to investigate three sample texts, and drawing on Jack Lule's and Roland Barthes' theories of myth, I find that two of these texts construct a populist myth of a witty British people eternally alien to the EU. This narrative ultimately contributed to the vote for Brexit.
https://www.cairn-int.info/article.php?ID_ARTICLE=E_POEU_066_0072#

"Europe's dream? It crumbled and died" ( By TONY PARSONS, Sun on Sunday Columnist, 1st November 2015)
25 years after The Sun's famous message to Jacques Delors, our columnist predicts migrant crisis will finally finish EU
https://www.thesun.co.uk/archives/politics/116590/europes-dream-it-crumbled-and-died/

"Brussels chuckles as reality hits mythmaker" Sarah Helm (Sunday 23 October 2011)
... Officials are clearly frustrated by their inability to respond effectively to the British right-wing press. "We answer them but the trouble is our answers aren't funny," said a senior Eurocrat.
Whether Boris Johnson changed the course of European history is debatable. What is sure is that the EU is now readier to reply, with a whole office dedicated to countering Euro-myths. A spokesman said: "We put out 134 press releases this year and killed two myths this week." ...
https://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/brussels-chuckles-reality-hits-mythmaker-1592828.html

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Quote[...] Die Wende kam mit Kommissionspräsident Jacques Delors und der von ihm betriebenen Reform des europäischen Projekts in den Maastrichter Verträgen. Maastricht schuf die EU mit gemeinsamer Währung und Staatsbürgerschaft und insgesamt mehr Integration, als die damals in Großbritannien regierende konservative Partei mitvollziehen wollte. Den Streit um die Ratifizierung der Verträge gewann der damalige britische Premier John Major nur knapp und mit Tricks. Zugleich begannen die "Maastrichter Rebellen" den zunehmend erbittert geführten Grabenkrieg innerhalb der konservativen Partei, den David Cameron durch ein Referendum zu beenden hoffte und der stattdessen Großbritannien aus der EU trieb. Die britische Euroskeptis ist im Wesentlichen eine englische Europhobie der Tories. Wie der Economist kürzlich vorschlug, kann die britisch-europäische Entfremdung auch als Streit zwischen einem sozialdemokratisch ausgerichteten Kommissionspräsidenten – Delors war Mitglied der Parti Socialiste Frankreichs – und einer konservativen britischen Regierungspartei verstanden werden. Doch Europa ist nicht schuldlos an dieser Entfremdung. Zum Beispiel waren die Bedenken der Briten gegen den Euro keineswegs nur unberechtigt. Es hätte dem europäischen Projekt gut getan, wenn die Briten nicht vorschnell belächelt und als Sonderlinge ohne europäisches Verständnis abgetan worden wären.

Die schrillen national-patriotischen Töne aus Großbritannien erleichterten es freilich, britische Euroskeptiker in diese Ecke zu stellen. Der Tory-Traum von uneingeschränkter Souveränität hat hier seinen Anfang. Margaret Thatchers berüchtigte Rede vor dem Europakolleg in Brügge formulierte 1988 das konservative Verständnis nationaler Souveränität, das Delors' Europavision für eine Horrorvorstellung hielt: Ihre Regierung, sagte Thatcher, habe nicht die Rolle des Staates zurückgefahren, nur um jetzt einem europäischen "Superstaat" dabei zuzuschauen, wie er den Briten eine neue Oberherrschaft von Brüssel aus aufzwänge. Dieses konservativ-libertäre Staatsverständis mündete in den erfolgreichen Brexit-Kampfruf "take back control".

Es fand Unterstützung durch eine zunehmend rabiat-europhobe Presse, die britische Patrioten aufforderte, per Megaphon von der englischen Küste aus über den Kanal Jaques Delors das englische Äquivalent des Götz-von-Berlichingen-Spruchs zuzuschreien und die zugleich über Jahrzehnte durch Falschmeldungen den nationalistischen Mythos einer tyrannischen EU pflegte, wenn sie behauptete, die EU verbiete gekrümmte Bananen oder schriebe britischen Männern vor, ihre Pracht in zu kleine Kondome einzuzwängen. Dass dergleiche Desinformationen zugleich lustig waren, gehörte zum Programm, zeigte der Humor doch, wie sehr die Briten der EU und ihren tyrannischen Vorschriften überlegen waren.

Das Souveränitätsverständnis, das Johnsons Regierung dazu gebracht hat, das wirtschaftliche Wohl des Landes einer vermeintlichen Unabhängigkeit zu opfern, wurzelt in den Verzerrungen und Unwahrheiten solch nationalistisch-antagonistischer Wahrnehmung der EU. Es ist kein Zufall, dass Johnson in den späten Achtzigern als Europakorrespondent des Telegraphs in Brüssel mit seiner Berichterstattung zu den Unwahrheiten beigetragen hat. Ebenso wenig wie es ein Zufall ist, dass die Brexit-Kampagne mit Lügen wie dem 350-Millionen-Pfund-in-der-Woche-Bus warb. Denn das Verständnis nationaler Hoheit, auf dem Radikal-Brexiter wie Johnson ihre Vision eines von der EU vermeintlich unabhängigen Königreichs aufbauen, hält den Fakten nicht stand.

... Demokratische Rechenschaft fehle der EU, hatten die Brexiter einst behauptet. Großbritannien müsse wieder souverän werden, damit die britische Regierung direkt Verantwortung für ihre eigenen Bürger übernehmen könne. Die Realität des neuen souveränen britischen Staates straft auch dieses Versprechen Lügen. Das Parlament wurde am Mittwoch gezwungen, in wenigen Stunden den Handelsvertrag mit der EU durchzupeitschen – für eine demokratische Kontrolle reicht das nicht. Als vor 30 Jahren euroskeptische Tories gegen den Maastricht-Vertrag rebellierten, durften sie noch an 41 Debattentagen ihre Einwände vorbringen.


Aus: "Brexit: Großbritannien wird die EU nicht los" Eine Analyse von Imke Henkel (31. Dezember 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-12/brexit-grossbritannien-eu-wirtschaft-souveraenitaet-handelsabkommen/komplettansicht

QuoteAm Anfang war Vernunft #3

Ich habe lieber "meckernde" Briten als Nachbarn als heimliche Diktatoren in der EU. Ich wünsche den Briten, dass sie die Realität einholt ... und dass das dann positive Auswirkungen auf die beiderseitigen Nachfolgeverhandlungen hat. Wer in der noch globalisierten Welt seine Rechnungen ohne die anderen macht, hat bald erhebliche Schwierigkeiten. Leider bestimmen wirtschaftliche und nicht ethische Richtlinien die Weltpolitik ... und das ist unser gemeinsames Übel, das es eigentlich zu bekämpfen gilt.

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Quote[...] Lenk will sein Kunstwerk mit dem Titel "S 21. Das Denkmal - Chroniken einer grotesken Entgleisung" nun aber zunächst in seinem Skulpturengarten in Bodman-Ludwigshafen am Bodensee aufstellen. Unzufrieden zeigte er sich nicht: "Den Vorschlag finde ich sehr gut. Ich will keinen Streit, ich akzeptiere die demokratische Entscheidung", sagte er der Deutschen Presse-Agentur nach der Ausschusssitzung. In der Debatte mit den Mitgliedern des Ausschusses hatte das noch ganz anders, fast trotzig geklungen. "Das ist das Pathos der Fremde", hatte er dort zur Kritik am Werk gesagt. "Woanders ist alles tipptopp. Hier regen sie sich über ein paar Pimmele auf und wenn sie in Florenz sind, dann machen sie ihre Selfies vor'm Michelangelo."

Das neun Meter hohe "Lenkmal" zeigt insgesamt rund 150 Figuren, die an Akteure rund um das milliardenschwere Großprojekt erinnern sollen. Herzstück des Satire-Kunstwerks ist eine Figur, die an Laokoon aus der griechischen Mythologie angelehnt ist. Dieser hatte versucht, den Einzug des hölzernen Pferdes nach Troja zu verhindern, und wurde daraufhin von Schlangen umwunden und getötet. Lenks "schwäbischer Laokoon" trägt die Züge von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und ringt mit ICE-Waggons statt mit Schlangen.

Lenks Stuttgart-21-Skulptur, ihre exzentrischen und teils nackten Figuren hatten in den vergangenen Monaten die Gemüter in der Landeshauptstadt ordentlich erhitzt.

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Aus: "Bildhauer Lenk nimmt Stuttgart-21-Skulptur wieder mit" (16. Juni 2021)
Quelle: https://www.rtl.de/cms/bildhauer-lenk-nimmt-stuttgart-21-skulptur-wieder-mit-4778801.html

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Quote[...] Schuppener erläutert, dass der Bezug auf Germanen, Wikinger und die nordisch-germanische Mythologie in den ersten Jahrzehnten der rechtsextremen Szene in Westdeutschland noch eher selten eine Rolle spielte. Erst ab den 1980er und verstärkt ab den 1990er Jahren wurde der Germanen-Kult zum einen zu einer Art subkulturellem Pop der braunen Szene. Zugleich, schildert der Autor, ist die in der Szene verbreitete nordisch-germanische Mythologie elitär und ideologisch aufgeladen.

Die Welt des Kampfes und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigene Ideologie sind elementare Bestandteile im Faschismus und waren es auch im Nationalsozialismus. Dem in der Szene verbreiteten Bild über die Germanen und Wikinger, über die alles verwüstenden Vandalen, über die Götter und ehrenhaft Gefallenen (,,Walhall") kommt das sehr nahe. Ideologie und Mythologie werden so laut Schuppener zum Kitt im Krieg gegen die Moderne und gegen die Globalisierung, gegen Demokratie, Pluralismus und Multikulturalität. Nicht zuletzt begründet es auch den Kampf gegen das als schwächlich angesehene Christentum sowie gegen ,,die Juden". ,,Odin statt Jesus" klingt flappsig – deutlicher formulierte die Band ,,Landser", die Jesus im Lied ,,Walvater Wotan" ein ,,Judenschwein" nannte.

Georg Schuppener schildert nicht nur ausführlich, wie vielfältig sich (klassische) Rechtsextremisten heute auf die Germanen als ihre Ahnen beziehen und sich auf die nordisch-germanische Mythologie berufen. Er weist auch darauf hin, dass es derzeit die wohl einzige politische Bewegung Europas ist, die so weit in die Vergangenheit zurückschaut auf ihre – angeblichen! – Wurzeln und dem quasi völkisch aufgeladenen Genpool. Das hat sicher mit dem Nationalsozialismus zu tun. Gleichwohl erinnert der Autor daran, dass im NS – abgesehen von Teilen der Bewegung – der Germanen- und Wikinger-Kult weitaus weniger exzessiv zelebriert wurde, als im aktuellen Rechtsextremismus.

Schon die Nationalsozialisten haben, schildert Schuppener, weniger mit Fakten als vielmehr mit nordisch-germanischen Mythen und Sagen gearbeitet. Alles wurde passend zur NS-Ideologie vermischt – eine bis heute gängige Praxis in der brauen Szene. Obschon historisch wenig dazu überliefert ist, ob und wie Germanen Sonnenwendfeiern begangen haben, zelebriert die rechtsextreme Szene solche Feiern heute wie im Dritten Reich als emotionale Events. Den eigenen Anhängern bietet man eine Erlebniswelt, in manchen Dörfern sind Sonnenwendfeiern heute überdies Bestandteil des dörflichen, vermeintlich normalen Brauchtums.

Auf diesem Wege, warnt Schuppener, sickert völkische Ideologie in einer Mischung aus Popevent, Extremismus light und Brauchtum in die Gesellschaft ein. Auch die Externsteine im Teutoburger Wald wurden von den Nationalsozialisten geschichtsverfälschend als germanische Kultstätte inszeniert. Derlei setzt sich, schreibt Schuppener, heute im Rechtsextremismus fort. Und über den Umweg der Germanen und deren Mythologie hat sich die Szene zudem eine Welt voller Codes und Chiffren erschaffen, die es ihr erlaubt ,,zentrale Botschaften rechtsextremer Ideologie zu vermitteln, ohne unmittelbarer juristische Folgen befürchten zu müssen".

... [Georg Schuppener] selbst stellt fest, das von ihm dargestellte Wechselspiel zwischen Rechtsextremismus und Germanentum sei aber oft noch in Lokalpolitik, Pädagogik und Kultur zu wenig bekannt. Ferner plädiert er dafür, historische Inhalte authentisch in Schule und Kultur zu vermitteln. So könne man letztlich auch die Mythen der Szene entzaubern und als ideologisch inspirierte und instrumentalisierte Fake-News entlarven.

Georg Schuppener: Die Schatten der Ahnen. Germanenrezeption im deutschsprachigen Rechtsextremismus. Edition Hamouda, Leipzig. Mai 2021. 214 Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-95817-058-2


Aus: "Die nordisch-germanische Mythologie als Kitt für die rechte Szene" Michael Klarmann (18.06.2021)
Quelle: https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/die-nordisch-germanische-mythologie-als-kitt-f-r-die-rechte-szene

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Quote[...] In die Welt der alten nordischen Götter entführt Ulf Angerer die Leser in seinem Buch ,,Ulan Lokison – Überall ist Asgard". Es ist der erste Roman des 56-Jährigen aus Wermsdorf, doch die Verbundenheit zur Natur und zu den heidnischen Germanen fühlt er schon seit Langem. Immerhin ist er Sänger der Mittelalter-Band Viscum – und auch als Tai-Chi-Lehrer hat er viel mit Spiritualität zu tun. ...


Aus: "Reise in die Welt der Götter von Asgard: Wermsdorfer Ulf Angerer schreibt Roman" (24.06.2020)
Quelle: https://www.lvz.de/Region/Oschatz/Reise-in-die-Welt-der-Goetter-von-Asgard-Wermsdorfer-Ulf-Angerer-schreibt-Roman-Ulan-Lokison-Ueberall-ist-Asgard

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Quote[...] Ulf Angerer verbindet in "Ulan Lokison" eine spannende fiktive Geschichte mit alltagstauglichen Lebensweisheiten. In den schattigen Wäldern seiner urgermanischen Heimat lebt der Waldläufer Ulan. Mystische Begebenheiten in seiner Kindheit lassen ihn eine tiefe persönliche Nähe zu den Göttern spüren. Noch ahnt er nicht, dass es die Götter selbst sind die den Weg zu ihm suchen. Doch das Band zwischen ihm und den Bewohnern Asgards verdichtet sich. Vertrauensvoll gewähren die Götter ihm Einblick in ihre Welt und lassen ihn Teil haben an ihrer göttlichen Weisheit. Fortan dient er ihnen als Medium. Sie geben ihm den Ehrennamen "Lokison/Lokis Sohn". Er ist ihre Regenbogenbrücke "Bifrösti", ihre Straße in die Herzen der Menschen.

Die Leser begleiten den Helden in "Ulan Lokison" von Ulf Angerer auf seinem abenteuerlichen Weg durch Mitgard. Sie besuchen mit ihm Iduna, Freyja, die drei Nornen und viele Götterwesen mehr. Sie teilen mit ihm die Weisheit Asgards und staunen, wie harmonisch sich dieses Wissen in ihren eigenen Alltag integrieren lässt. Bei diesem Buch handelt es sich um eine spannende Verbindung nordischer Mythologie mit alltagstauglicher Sinnsuche ohne politische Inhalte. Der Autor spannt mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit eine Brücke zwischen einer im "Neuheidentum" angelegten Story mit einer mit dem aktuellen Alltag kompatiblen Weisheit.

"Ulan Lokison" von Ulf Angerer ist ab sofort im tredition Verlag oder alternativ unter der ISBN 978-3-347-26409-0 zu bestellen. Die tredition GmbH ist ein Hamburger Unternehmen, das Verlags- und Publikations-Dienstleistungen für Autoren, Verlage, Unternehmen und Self-Publishing-Dienstleister anbietet. tredition vertreibt für seine Kunden Bücher in allen gedruckten und digitalen Ausgabeformaten über alle Verkaufskanäle weltweit (stationärer Buchhandel, Online"Stores) mit Einsatz von professionellem Buch- und Leser-Marketing.

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Aus: "Ulan Lokison - Roman voller nordischer Mythologie und Sinnsuche" (02.07.2021, 18:16 | Kunst & Kultur)
Quelle: https://www.openpr.de/news/1213576/Ulan-Lokison-Roman-voller-nordischer-Mythologie-und-Sinnsuche.html

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Quote[...] In der ersten isländischen Netflix-Produktion, der Science-Fiction-Serie "Katla", wird ein Dorf nach einem Vulkanausbruch von mythischen Gestalten heimgesucht.

Gletscher haben ein langes Gedächtnis: Auf Island lassen sich in den Schichten des Eises noch heute die Spuren von Vulkanausbrüchen finden, die Hunderte von Jahren in der Vergangenheit liegen. Der Klimawandel, der die Gletscher teilweise um Dutzende Meter im Jahr zurückgehen lässt, löscht nicht nur das vermeintlich ewige Eis, sondern auch dieses Gedächtnis mit aus. 2019 erschien das Buch "Wasser und Zeit" des Autors Andri Snær Magnason über die Veränderungen Islands und der Welt in nur wenigen Generationen. Es wurde ein internationaler Bestseller und viel diskutiert, denn, so die Idee Magnasons, das Island, in dem seine Enkel leben werden, könnte ein ganz anderes sein, als das, in dem seine Großmutter geboren wurde.

Die erste isländische Netflix-Produktion wirkt nun wie ein finsterer Kommentar zu dieser Debatte über Umweltkatastrophen, Generationenwechsel und den politischen Umgang damit. In der Science-Fiction-Serie Katla bricht der gleichnamige Vulkan im Süden Islands aus, das Städtchen Vík an seinem Fuß wird unter einer dicken Ascheschicht begraben und ein Fluss aus Gletscherschmelzwasser hat die ganze Region von der Hauptstadt Reykjavík abgeschnitten. In dem eingeaschten Ort harrt nur noch eine Handvoll Bewohner aus, darunter ein Polizist, eine Ärztin und ein Vulkanforscher. Lange bleiben sie aber nicht alleine: Erst eine einzelne Frau, dann immer mehr Menschen, bedeckt mit einer Schicht aus Asche und Schlamm, kommen herunter von dem Vulkan und dem Gletscher. Manche der Gäste sind längst Verstorbene, andere Doppelgänger von Menschen aus der Gegend. Was ist da los? Die alte abergläubische Hotelbetreiberin meint, es handele sich bei den Besuchern um Gestaltwandler, Mitglieder des verborgenen Volkes aus der altnordischen Mythologie. Aber warum wissen diese Neuankömmlinge nichts über ihre eigene Herkunft und sind ansonsten aber völlig identisch mit Menschen, die es gibt oder schon einmal gab?

Die isländische Mythologie kennt tatsächlich solche Gestalten, sie werden Fylgia genannt, was etwa mit "Folgewesen" übersetzt werden kann. Eigentlich tauchen sie in Träumen auf, treten sie real in Erscheinung, sind sie meist Vorboten des Todes, können aber auch Beschützer sein. Die Serie spielt sehr geschickt mit solchen Symbolen aus der nordischen Mythologie, lässt sie aber nicht zum Selbstzweck werden. Denn mehr noch als an altnordische Überlieferungen erinnert Katla an die französische Serie Les Revenants von 2012, in der ebenfalls die Verstorbenen wiederkehrten, als wäre nichts geschehen.

Gemeinsam ist den beiden Serien, dass dem sanften Grusel und dem Thema der Trauer implizit etwas Politisches beigemischt ist. Die unheimlichen Wiederkehrer fordern die Menschen heraus und zwingen sie zur Auseinandersetzung mit Tod und Verlust, mit der eigenen Herkunft und ihrer Identität, vor allem aber mit der Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft, für Gesellschaft und Umwelt. Kurz: Für die Welt, in der sie leben möchten. Langsam, als würde ein Gletscher abschmelzen, legt Katla in einer kleinen Welt die großen Fragen der Gegenwart frei.

Katla, auf Netflix


Aus: "Besucher aus Asche und Schlamm" Nicolas Freund (18. Juni 2021)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/medien/netflix-katla-science-fiction-vulkanausbruch-1.5326036

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#13
Quote[...] Archaischer Folk erfreut sich schon seit einiger Zeit wieder großer Beliebtheit. Bands wie Wardruna und Heilung haben einen regelrechten Hype ausgelöst, Myrkur hat für ihr Akustik-Album ,,Folkesange" exzellente Kritiken erhalten und auch BYRDI zeigen mit ihrer neuen Platte ,,Byrjing", wie berührend alte Musik auch heute noch klingen kann. Im folgenden Interview erklären Nash Rothanburg und Andreas Paulsen, warum Chorgesang ein essentieller Teil ihres Ausdrucks ist, weshalb sie Persönliches gerne in Form von mythologischen Archetypen verarbeiten und welcher weitverbreitete Irrtum über den nordischen Glauben sich anhand ihres neuen Albums aufklären lässt.

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Ihr spielt eine archaisch anmutende Form von Folk. Wie hat sich eure Vorliebe für diese spezielle Musikrichtung entwickelt?

Andreas: Wir haben beide schon Folk Metal gehört, bevor wir uns vor 20 Jahren kennengelernt haben, Bands wie Vintersorg, Thyrfing, Åsmegin, Enslaved und solche Sachen. Wir sind beide riesige Blind Guardian-Fans, auch wenn wir heutzutage nicht mehr viel Zeit damit verbringen, ihre Musik zu hören, und als junge Männer waren wir sehr inspiriert von Tolkiens literarischem Universum und dem verlockenden Sog der nordischen Mythen.
Obwohl ich also nicht an der ersten BYRDI-LP ,,Eventyr" beteiligt war, spielten Nash und ich zusammen in einer Folk-Metal-Band, bevor BYRDI gegründet wurde. Wir haben also schon vor BYRDI Folk-Musik gemacht, aber keine ganzen Alben. Aber als wir anfingen, die Musik für ,,Ansur:Urkraft" zu machen, ging es darum, die Musik auf den Punkt zu bringen, nicht zu kompliziert, und was wir zu diesem Zeitpunkt fühlten, war Musik, die unser spirituelles, tiefes Eintauchen in unser nordisches Erbe begleitet.

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Urtümlicher Folk spricht seit einiger Zeit viele Menschen an. Viele dieser Fans scheinen einen Wunsch nach Ursprünglichkeit zu hegen. Wie kann man eurer Meinung nach mehr im Einklang mit der Natur leben, ohne in den Eskapismus abzudriften?

Andreas: Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke, und es würde wahrscheinlich einen Abend dauern, das Thema auch nur anzukratzen. Nash und ich haben in den letzten zehn Jahren darüber gesprochen. Ich denke, dass es vielen jungen Menschen auf der ganzen Welt an einer direkten Verbindung zu einer übergreifenden spirituellen Erzählung fehlt, oder anders ausgedrückt – es fehlt ihnen an Wissen über die Geschichte und Kultur ihres Landes oder ihrer Umgebung. Vielleicht auch an einer Verbindung zur Natur, die ihre eigentliche Umgebung ist – wenn es überhaupt noch etwas davon gibt. Das schafft eine riesige Leere und ist sehr schwer zu beheben, weil es so eng mit den Bausteinen der Identität zusammenhängt, und es braucht viel Zeit, Hingabe, Disziplin und den Willen zu akzeptieren, dass man über eine ganze Menge Dinge überraschend falsch liegen kann, wenn man versucht, seine Verbindung zur Natur neu zu lernen. Die Natur ist so vieles, es ist schwer zu begreifen, wovon wir ein Teil sind und was passiert, wenn wir von der Verbindung zur Natur abgeschnitten sind.
Normalerweise würden wir nicht auf politische Themen eingehen, aber dieses Mal machen wir eine Ausnahme, wegen der Schwere der Situation, in der wir uns befinden: Nietzsche prophezeite das Chaos, das über uns hereinbrechen würde, wenn wir den christlichen Gott töten, und dass es keine Möglichkeit gäbe, all das Blut wegzuwaschen, das in der Folge vergossen werden würde. Kommunismus, Nazismus und Faschismus haben die menschliche Rasse durch den Fleischwolf gedreht, und heute sehen wir, wie die ,,Woke"-Krankheit die Universitäten, die Politik und jetzt auch die Unternehmen wie eine unterdrückende ideologische Geisteskrankheit auffrisst. Cancel-Culture und die tollwütigen Anschuldigungen, dass jeder, der sich den ständig wechselnden Forderungen der absoluten Minderheiten, die mit diesem absoluten Dreck hausieren gehen, nicht beugt, als Teufel der Unterdrückung abgestempelt wird. Das klingt sehr danach, als würde sich die Geschichte wiederholen. Meine Hypothese ist, dass diese wahnsinnigen Unterströmungen letztlich aus einer Abkopplung von der Natur und in der Folge als Überkorrektur aus einer Quelle der Postmoderne stammen und durch ein Prisma der verlorenen kulturellen Identität bewaffnet werden. Dies ist keine pro-christliche Haltung, aber historisch gesehen hat sich das Christentum den Kulturen, mit denen es in Europa in Kontakt kam, übergestülpt und sie mehr oder weniger usurpiert. Wenn also heute die meisten Menschen überwiegend Atheisten sind oder sich selbst als leicht agnostisch bezeichnen – da gibt es eine große Leere des spirituellen und kulturellen Selbstbewusstseins und unsere heidnische kulturelle Vergangenheit ist nicht nur mit der Natur verbunden – sie ist von der Natur selbst diktiert. Auf jeder Ebene. Daher denke ich, dass es aus norwegischer oder europäischer Sicht nur natürlich ist, dass das, was seit Tausenden von Jahren in der Vergangenheit unsere natürliche Lebensweise war, in unseren Genen sitzt und unsere Vorfahren durch unser eigenes Wesen wirken. Wenn man sich zu sehr von dem entfernt, was uns vertraut ist, muss man mit Konsequenzen rechnen. Kümmere dich um deine Umgebung und hinterlasse sie in einem besseren Zustand, als du sie selbst geerbt hast.
Mein Tipp: Leg routinemäßig dein verdammtes Smartphone weg, log dich aus dem Internet aus, lies nicht jeden Tag die Nachrichten, lies zehn Klassiker pro Jahr, erforsche deine Familiengeschichte, plane Wanderungen mit Freunden oder Familie – und lies Bücher über Geschichte, Religion, Mythologien, Kunst, Biologie, Musik und all die fantastischen Dinge, die es da draußen gibt, an denen wir uns erfreuen können. All diese Weisheit! Und versuche gleichzeitig, dich über alles zu freuen, was in deinem Leben gut ist. Denn es ist bald zu Ende und wird sich nie wiederholen.
Gehe hinaus in die Natur und spüre den Wind auf deiner Haut, das Salz des Meeres, den Fels unter deinen Füßen und suche die Schönheit der Natur dort, wo du lebst. Oder in Reiseentfernung zu deinem Wohnort. Die Suche nach einer heidnischen Verbindung zur Natur ist in uns, aber wir müssen die Natur tatsächlich aufsuchen, um den Geruch, den Geschmack, die Berührung und den animistischen Zugang zu dem, was Natur ist, zu erleben. Bringe das Opfer.
Nash: Was Andreas gesagt hat! Die Menschheit ist aus den Fugen geraten und ich persönlich entscheide mich dafür, mich so weit wie möglich von den verrückten Linken und den Spinnern auf der rechten Seite fernzuhalten. Jede Seite schreit nach Entwicklung, Freiheit und Wohlstand, aber nichts scheint zu passieren. Sie bewerfen sich gegenseitig mit Anschuldigungen, anstatt zu versuchen, Frieden zu finden.
Also, lege dein Telefon weg, halte dich von der westlichen und östlichen Mainstream-Nachrichten-Propaganda fern und suche nach Abenteuern, die etwas anderes als medieninduzierte Angst vermitteln können. Durchstreife die Natur und komme wieder in Kontakt mit ihr. Die Menschheit hat eines ihrer wichtigsten Güter verloren, indem sie Betonstädte um sich herum gebaut hat. Wir sind ein Teil der Natur, nein, eigentlich haben wir eine Symbiose mit ihr. Irgendwann dachte jemand, wir stünden über allem und jedem, aber für mich, der ich das lächerliche Verhalten um mich herum sehe, ist es offensichtlich, dass wir, indem wir uns selbst entfernen, auch uns selbst und die wahre Magie, die in uns lebt, und unsere Symbiose mit der Natur zerstören.

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Aus: "Interview mit Nash Rothanburg & Andreas Paulsen von Byrdi" (Dieses Interview wurde per E-Mail geführt. ... Geschrieben am 13. Juli 2021 von Stephan Rajchl)
QUelle: https://www.metal1.info/interviews/byrdi/

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Quote[...] Rousseaus Vorstellungen von Erziehung sind eng mit seiner Gesellschaftskritik verknüpft. Er wirft der Pariser Gesellschaft Dekadenz und Ungerechtigkeit vor, sie ist für ihn entartet und nicht mehr zu retten. Durch sein Erziehungskonzept will er zumindest dem Einzelmenschen die Perspektive auf ein glückliches Leben ermöglichen.

,,Immer wieder zeigt sich, wie Rousseau seine Vorstellung von Kindheit aus seiner Gesellschafts-kritik ableitet. Die Bezugsgrösse Natur kann als Gegenbegriff zu Gesellschaft gesehen werden, die inhaltlichen Aspekte Gutheit und Wahrhaftigkeit können dem gesellschaftlichen Laster und der Verstellung entgegengesetzt werden. Kindheit ist damit blosse Illustration eines gelungenen, wenn auch basalen Lebensprinzips." (Tremp, S. 77)

Rousseau hält zwei Erziehungsmethoden für sinnvoll um der Entartung durch die Hand des Menschen[1] vorzubeugen. Zum einen gibt es die öffentliche Bildungsform, welche aber nur innerhalb eines gut funktionierenden Staatssystems[2] realisierbar ist und für ihn deshalb nicht mehr in Frage kommt: ,,Eine öffentliche Erziehung existiert nicht mehr und kann auch nicht mehr existieren. Denn wo kein Vaterland mehr ist, kann es auch keine Staatsbürgerschaft mehr geben." (Rousseau, S. 114) So bleibt lediglich noch ,,die häusliche oder natürliche Erziehung" (Rousseau, S. 115), welche so oft als ,,Zurück zur Natur!" missverstanden wurde. Zunächst hört es sich jedoch tatsächlich so an, als wolle Rousseau eben dies mit der ,,natürlichen Erziehung" ausdrücken:

,,Die Stadt ist der Schlund, der das Menschengeschlecht verschlingt. Nach einigen Generationen geht die Rasse zugrunde oder entartet. Sie muß sich erneuern, und immer ist das Land, das dazu beiträgt. So schickt eure Kinder dorthin, wo sie sich sozusagen selbst erneuern und wo sie inmitten der Felder die Kräfte gewinnen, die man in der ungesunden Luft einer übervölkerten Stadt verliert." (Rousseau, S. 151)

Die Natur soll als regulierendes Ordnungssystem dienen, welches den Menschen zu Sittlichkeit und Moral führt. Nur ,,wer aus der Ordnung heraustritt, verliert seine Natürlichkeit und damit seine Güte, er entartet und wird böse." (Inversini, S. 53) In den Städten wurde diese natürliche Ordnung bereits unwiderruflich zerstört und das System ist aus den Fugen geraten. Rousseau hält es deshalb für wichtig, sich für die Primärerziehung auf das Land zurückzuziehen um den Zögling vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Wenn dieser erst einmal in sich selbst gefestigt ist, kann und muss er auch wieder in der Gesellschaft leben, denn die Stadt kann ihm nun nicht mehr schaden.

,,Emile ist nicht dazu geschaffen, immer einsam zu leben; da er ein Mitglied der Gesellschaft ist, hat er auch deren Pflicht zu erfüllen. Geschaffen, mit den Menschen zu leben, muß der sie kennenlernen. ... Er wird sie nicht mehr mit der blöden Bewunderung eines jungen, gedankenlosen Menschen betrachten, sondern mit dem Unterscheidungsvermögen eines geraden und scharfen Geistes. Gewiß können ihn seine eigenen Leidenschaften täuschen; wann täuschen sie nicht die, die sich ihnen hingeben? Er wird jedoch wenigstens nicht durch die der anderen getäuscht. Sieht er sie, so wird er sie mit dem Auge des Weisen sehen, ohne durch ihre Beispiele hingerissen und durch ihre Vorurteile betört zu sein."

(Rousseau, S. 665f)

Die Gesellschaft kann dem Menschen also nichts mehr anhaben, aber Rousseau geht sogar noch weiter, indem er es zu dessen Pflicht erklärt, sich bei Bedarf in den Dienst des Staates zu stellen. Es würde allerdings zu weit führen, Rousseau zu unterstellen, so die Gesellschaft revolutionieren zu wollen, denn es geht ihm lediglich um eine Immunisierung des Einzelmenschen. Alles was dieser in seinem Leben erreichen soll, ist seine persönliche Insel des Glücks in Form der Familie und nicht etwa die Reinigung der Menschheit aus ihrer Entartung.

... Natur ist einer der zentralen Begriffe in Rousseaus Schriften, dabei ist es jedoch wichtig zu beachten, dass es sich dabei, ähnlich wie bei dem Menschen, nicht immer um den gleichen Sinn handelt. ,,In der Philosophie Rousseaus ist zu unterscheiden zwischen der ungebrochenen, heilen Natur des edlen Wilden, zwischen der durch Vergesellschaftung, also durch Normen, gebrochenen gefesselten Natur und zwischen der Natur als Norm selbst." (Kraft, S. 22) Es gilt also, innerhalb des Naturbegriffes eine weitere Einteilung vorzunehmen.

Zum einen gibt es die Natur des Wilden. Sie drückt sich ,,zum einen in der Abwesenheit bestimmter kultureller Errungenschaften, andererseits (aber damit zusammenhängend) in der Abwesenheit bestimmter moralischer Mängel." (Tremp, S. 49) aus. Diese Natur bezeichnet einen Zustand vor der Entartung. Es handelt sich dabei um eine ursprüngliche, vergangene Natur, die in dieser Form nicht mehr existieren wird.

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Aus: "Zurück zur Natur: Rousseaus Begriff der natürlichen Erziehung und seine ideengeschichtlichen Folgen" (Studienarbeit  von Maria Benz (Autorin), 2004, 29 Seiten)
Pädagogik - Wissenschaft, Theorie, Anthropologie
Quelle: https://www.bachelor-master-publishing.de/document/297771


Link

#14
Quote[...] Noch immer treffe ich auf die längst überholte Mythentheorie, nachdem es sich bei Mythen einfach um unwahre, überholte, vielleicht gar betrügerische Erzählungen handele, die "früher einmal" zur "Erklärung von Phänomenen wie Donner" gedient hätten. Aber auch heute noch genießt kein Mensch etwa das komplexe Universum von Star Wars oder spielt Fantasy-Rollenspiele wie Dungeons & Dragons oder Shadowrun, um physikalische Phänomene zu erklären. Warum aber dann? Zu den interessantesten Forscherinnen und Forschern, die genau das erkunden, zählen Kathrin Fischer und Björn Herzig, die dazu nun auch einen hörenswerten Podcast ins Leben gerufen haben: "Ungeheuer vernünftig" auf podigee. Sie stellen in einem lockeren und verständlichen Ton die neuere, interdisziplinäre Wissenschaft vom Rollenspiel (Game Studies) vor.
https://vernunftgeheuer.podigee.io/

Nach starken Einführungs-Folgen vertiefen sich die beiden in Episode 3 in die kürzlich bereits hier auf dem Blog thematisierte Medien- und Mythentheorie von Hans Blumenberg (1920 – 1996). Sie benennen die Funktion des Mythos als "Entängstigung". Und tatsächlich hatte Blumenberg in seiner "Arbeit am Mythos" ausdrücklich betont, "daß Angst immer wieder zur Furcht rationalisiert werden muss, sowohl in der Geschichte der Menschheit wie in der des Einzelnen." Wir könnten die "absolute Wirklichkeit" eines entgrenzten Horizontes, sicheren Todes und drohender Hilfs- und Sinnlosigkeit als Menschen ohne Mythen gar nicht ertragen. Deswegen sei die Benennung und Erzählung höherer, sowohl böser wie guter Mächte für Menschen sogar überlebensnotwendig: "Was durch den Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen in dem, was es mit ihm auf sich hat." (S. 11 bis 12, suhrkamp 1979 / 2017)

Um die Bedeutung dieser Entdeckung zu verdeutlichen, übernahm Blumenberg als Kapiteltitel ein Zitat von Franz Rosenzweig (1886 – 1929) über das "Einbrechen des Namens in das Chaos des Unbenannten". Und es sei mir hier gestattet zu ergänzen, dass der Name Schem wie in Semitismus und Antisemitismus eben genau das bedeutet: Name. Der Alphabet-Lehrer ist der Verwalter oder gar Geber der Namen! Und wer sicher sein möchte, den Gottesnamen selbst nicht zu missbrauchen, spreche einfach von "HaSchem" – der Name. https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/antisemitismus-semitismus-der-kampf-der-mythologien/ Ja, auch die Ermordeten behalten Denkmal und Name, so die wörtliche Übersetzung von Yad va Schem bei Jerusalem.

In seiner erst nach seinem Tode veröffentlichten Auseinandersetzung mit der abgründigen Moses-These von Siegmund Freud (1856 – 1939) und dem umstrittenen Eichmann-Buch von Hannah Arendt (1906 – 1975) warnte Blumenberg daher auch vor einem "Rigorismus der Wahrheit" (so der Buchtitel, suhrkamp 2015). Wer wie Freud den biblischen Moses-Mythos oder wie Arendt den Staat Israel per "Wahrheit" widerlegen wolle, treffe doch reale Menschen. Es sei nicht entscheidend, ob Mythen im empirischen Sinne "wahr" seien, sondern dass sie menschliches Leben erst ermöglichen. "Es gibt keine Liebe zur Wahrheit. Vielleicht weil es sie nicht geben kann." (S. 13)

Immer mehr Befunde der Psychologie und insbesondere der sog. Game Studies weisen darauf hin: Erst durch Fantasie, Spiele und Mythen kann es uns Menschen gelingen, in der kalten "absoluten Wirklichkeit" zu bestehen, ja heimisch zu werden. Es geht also nicht nur um eine Erklärung des Donners – sondern um Namen und Geschichten für den Umstand, dass es überhaupt Bewußtsein in einer – manchmal donnernden – Welt gibt.

Warum von UNGEHEUERN erzählen? | ungeheuer vernünftig – ROLLENSPIEL und WISSENSCHAFT # 3 | PODCAST (08.07.2021)
In der letzten Folge haben wir versucht, unsere Begriffe zu klären und die Herkunft der Worte ,Ungeheuer', ,Monster' und ,Dämon' zu ergründen. Heute wollen wir grundsätzlicher fragen: Was sind Ungeheuer eigentlich? Gibt es sie überhaupt – und wenn ja, in welchem Sinn? Warum erzählen wir Geschichten von Ungeheuern? Welche Funktion und Bedeutung haben sie für den Menschen? Und was sagen die Monster, denen wir im Rollenspiel begegnen, über unser Verständnis der Wirklichkeit aus? Nach ein paar theoretischen Überlegungen unter Bezug auf die Kulturtheorie Hans Blumenbergs berichtet Kathrin von ihren praktischen Erfahrungen als therapeutische Spielleiterin für Kinder und Jugendliche und deren eigentümlichem Umgang mit Monstern. Zum Schluss stellen wir - dank der kundigen Tipps unserer Hörer! - drei Indie-RPGs vor, in denen Ungeheuer eine tragende Rolle spielen und auf originelle Weise inszeniert werden. ...
https://youtu.be/vc_a3JRUu_4

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Aus: "Die Funktionen von Fantasy – Ungeheuer vernünftiges Podcasten" Veröffentlicht von Michael Blume (12. Jul 2021)
Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) & "Verschwörungsmythen". Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren wöchentlich, um Religionswissenschaft zugänglich und diskutierbar zu machen.
Quelle: https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-funktionen-von-fantasy-ungeheuer-vernuenftiges-podcasten/

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"Mythen ergänzen die Vernunft. Kulturelle Evolution bei Karl Popper und Hans Blumenberg" Michael Blume (27. Jun 2021)
Weder Wissenschaft noch Kunst könnten aus dem Nichts erschaffen, was Jahrzehntausende kultureller Evolution hervorgebracht hätten. "Der Glaube, die Phantasie müsse in einem Wurf leisten können, was die Selektion der langen Nächte einmal und einmalig geleistet hatte, ist eine Illusion.", genau genommen sogar "eine von der Vernunft erzeugte Illusion." ...
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/mythen-ergaenzen-die-vernunft-kulturelle-evolution-bei-karl-popper-und-hans-blumenberg/

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Quote[...] Isolde Charim ist eine österreichische Philosophin, zuletzt erschien ihr Buch "Ich und die Anderen" (Zsolnay, 2018).

Unser demokratisches Universum hat in letzter Zeit zwei massive Erschütterungen erfahren. Die eine Erschütterung teilen wir mit dem Rest der Welt – nämlich die Pandemie samt den sogenannten "Querdenkern" in ihrem Schlepptau. Die zweite Erschütterung aber gehört uns ganz exklusiv: das harte Aufprallen des sogenannten "Systems Kurz" an der Öffentlichkeit. Diese demokratischen Notfälle, oder um mit Angela Merkel zu sprechen: diese demokratischen Zumutungen ereilen uns nahezu zeitgleich.

Es gibt da eine berühmte Geschichte über den Physiker Niels Bohr: Ein Kollege, der ihn in seinem Landhaus besuchte, stellte überrascht fest, dass ein Hufeisen an der Tür hing. Erstaunt fragte er den Physiker: Glauben Sie denn daran, dass so ein Hufeisen die bösen Geister vertreibt und Glück bringt? Der Naturwissenschaftler Bohr antwortete: "Natürlich glaube ich nicht daran. Aber es hängt da, weil man mir gesagt hat, dass es auch wirkt, wenn man nicht daran glaubt."

Einer, der diese Geschichte besonders liebt, ist Slavoj Žižek. Žižek zieht diese Anekdote heran, um darzustellen, wie Demokratie heute funktioniert: "Kein Mensch nimmt Demokratie oder Gerechtigkeit mehr ernst, wir alle wissen um deren Korruptheit, dennoch praktizieren wir sie, weil wir annehmen, dass sie auch wirken, wenn man nicht an sie glaubt." Das ist pointiert, aber hat Žižek da recht?

Demokratie ist zweierlei: eine Regierungsform und ein Mythos. Demokratie ist eine Regierungsform: mit ihren Verfahren, ihren Institutionen und ihren Regeln. Die Realität einer Regierungsform also. Demokratie aber braucht noch etwas anderes – nämlich einen Glauben. Den Glauben an Souveränität, an Legitimität, an eine Vorstellung von Gerechtigkeit und von gerechter Herrschaft. Dieser Glaube ist der Mythos der Demokratie. Damit ist kein falscher Mythos gemeint, den es aufzuklären gilt – sondern ein notwendiger Mythos. Ein Mythos, der sie stützt, der sie bestimmt. In diesem Sinne ist Demokratie also Realität und Mythos zugleich.

Was nun die Realität der Regierungsform anlangt, so haben wir hier in Österreich unmittelbar erlebt: Die demokratische Regierungsform kann auch bloß instrumentell gebraucht werden – als Fassade, als PR-Tool, als Machtinstrument. Demokratie wird dann zum Schattenspiel, bei dem wir verwandelt werden: Aus Bürgern werden wir zum Publikum. Ein Schattenspiel hinter dem Machtmissbrauch und Manipulation, die Realität der Demokratie korrumpieren kann.

Einerseits. Andererseits haben wir auch gesehen, dass die Justiz intervenieren kann. Dass solches Folgen haben kann, sogar zu Rück- oder Seitentritten führen kann. Dass also die Gewaltenteilung funktioniert. Auch wenn dann die Justiz ungewollt in die Situation kommt, politische Funktionen zu übernehmen. Wir haben auch gelernt: Wenn nichts mehr hilft, kann immer noch von irgendwo ein Video herkommen – und zum Wächter der Demokratie werden.

Wenn Demokratie also die Realität einer Regierungsform ist (mit all ihren Defiziten) – was aber hat es dann mit dem Glauben auf sich? Ist es so, wie Žižek sagt: Keiner glaubt mehr an sie, weil jeder sie ohnehin für korrupt hält? Genau da muss man Žižek widersprechen.

Demokratie ist einer unserer zentralen Mythen. Demokratie ist heute unantastbar. Unantastbar aber ist das, was einer Gesellschaft heilig ist. Demokratie ist der Horizont unserer Moral – sie bestimmt unsere Werteskala zwischen demokratisch und undemokratisch. Sie ist unser Maßstab. Vor allem aber ist sie unsere Formel für Recht, für Ordnung. Die Formel zur Abwehr undemokratischer Schatten. Die Formel zum Einspruch gegen das Nichtdemokratische. Kurzum: Demokratie ist unsere Beschwörungsformel für alles Gute. Man könnte auch sagen: Die Rede von der Demokratie ist unser Fetisch.

Gleichzeitig aber gibt es den ständigen, nicht verklingenden, drängenden Chor jener, die uns zurufen: Die Souveränität des Volkes ist entleert. Dieser Inbegriff unserer Gesellschaft wird immer blasser. Demokratie – das ist eine ausgehöhlte Form. Inhaltsleer. Vage. Eine leere Formel, ein leeres Zeichen. Also was nun – Fetisch oder leer? Ausgehöhlte Form oder Heiligtum? Oder gar: Ist sie heilig, weil sie leer ist? Ein Fetisch, weil sie ausgehöhlt ist? Dann wäre Demokratie nur eine tote Form. Dann würde sie nicht funktionieren – auch nicht in Žižeks Sinn.

Tatsächlich muss man sehen: Dass sie unbestimmt ist, bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Demokratie ausgehöhlt sei. Es bedeutet vielmehr, dass um ihre Bedeutung gerungen wird. Das heißt: Ihre Bedeutung ist veränderbar. Und genau das ist es, was wir derzeit feststellen können: Demokratie hat ihre Bedeutung verändert. Die Bedeutung des demokratischen Mythos hat sich verändert. Denn dieser meint heute: individuelle Freiheit. Der demokratische Mythos bedeutet heute individuelle Freiheit. Das ist weder eine völlige Entleerung noch eine völlige Absage – es ist vielmehr eine Verschiebung der Bedeutung: ein Ersatz-Mythos gewissermaßen. Demokratie als Mythos meint heute nicht mehr den Glauben an Gleichheit oder an Volkssouveränität. Es meint nur noch den Glauben an individuelle Freiheit. Individuelle Freiheit ohne das Versprechen einer Herrschaft des Volkes. Individuelle Freiheit ohne die Vorstellung einer Selbstgesetzgebung. In all diesen Konzepten einer kollektiven Macht findet man sich nicht wieder. Aber in der individuellen Freiheit schon. Darin besteht heute ihr Mythos: Demokratie wird zu einem Kurzschluss zwischen dem Ich und einem imaginären Demos.

Individuelle Freiheit – das ist unser Fetisch. Daran glauben wir. Es ist das, was heute für Demokratie steht. Wir mögen nicht an Demokratie im Sinne einer Regierungsform glauben. Wir mögen völlig abgeklärt darin nur Korruption sehen. Da hat Žižek recht. Aber dennoch glauben wir an den Mythos Demokratie. Dieser Mythos funktioniert nicht ohne Glauben. Wir glauben an unser demokratisches Hufeisen. Unabhängig von oder sogar gegen jede Realität.

Wir glauben an die Demokratie als Garant, als Gütesiegel unserer individuellen Freiheit. Sie ist es, die wir beschwören. Und genau das führt uns zur zweiten derzeitigen Erschütterung der Demokratie: der Pandemie.

Die Pandemie hat das Politische verändert. Sie hat eine verdeckte Schicht demokratischer Politik zutage gefördert: Das, was sonst von Debatten und Kompromissen überlagert war, das trat unverhüllt hervor – nämlich die Entscheidung. Die Pandemie hat eine sichtbare Rückkehr des Staates gebracht. So wie die Korruption die Demokratie von einer Seite angreift, greift die tatsächliche Entscheidung die Demokratie von einer anderen Seite an. So scheint es zumindest. Aber Entscheidung ist immer der Kern des Politischen. Auch in einer Demokratie. Sie ist nicht die Fratze der Demokratie, sondern deren Grundlage. Aber üblicherweise ist sie eine gezähmte Entscheidung. Eine gezähmte Entscheidungsgewalt. In der Pandemie aber trat diese blank in Erscheinung. Das war neu.

Lange Zeit galt etwa die Zivilgesellschaft als wichtiger politischer Player – als Hort und Garant der Demokratisierung. Aber ein Totalereignis wie eine Pandemie – also ein Ereignis, das alle Menschen, in allen Bereichen, das die ganze Gesellschaft in solch einer Wucht und in solchem Ausmaß und Gleichzeitigkeit betrifft –, solch ein Totalereignis lässt sich nicht mehr zivilgesellschaftlich regeln. Das erfordert einen Staat – dem somit neue Bedeutung zuwächst (nicht zuletzt weil das nächste Totalereignis schon da ist: der Klimawandel). Das ist eine heikle Veränderung.

Ein Credo der Neoliberalen besagt, dass es keiner 100 Prozent Konformität bedarf. Dass also die politischen Verhältnisse nicht von 100 Prozent der Bevölkerung getragen werden müssen. Aber dieses liberale Konzept versagt bei einem Totalereignis. Das erleben wir jetzt.

Genau da treten jene auf den Plan, die die politischen Verhältnisse nicht mittragen. Jene, die sich anfangs "Querdenker" nannten und nun als "Impfgegner" firmieren. Jene mit ihren Verschwörungstheorien. Hier soll es aber nicht um ihre Irrationalitäten gehen. (Obwohl das mit den Verschwörungstheorien verlockend ist – sind sie doch eine verzerrte Form, an das zu glauben, woran man kaum mehr glauben kann. In die Verschwörungstheorien hat sich der verlorene Glauben gerettet. Der Glaube an die Lenkbarkeit des Weltgeschehens, an die großen Subjekte, die wilde Pläne durchziehen können. Der Glaube an die eigene Kraft, solches zu "durchschauen". Ein verzerrter Glaube an die Aufklärung also.)

Darum soll es hier nicht gehen. Hier soll es darum gehen, dass diese "Querdenker" noch etwas anderes sind – nämlich ein Symptom. (Jedenfalls dort, wo sie über den Rechtsextremismus hinausgehen.)

Sie treten im Namen der Demokratie auf gegen das, was sie eine "Diktatur" nennen. Diktatur, eben weil der Staat als Entscheidungsgewalt derart sichtbar geworden ist. Weil sich dessen Entscheidungsgewalt in Vorschriften wie Masken und in Aufforderungen zum Impfen manifestiert. So werden Masken und Impfungen zum Inbegriff, zum verhassten Inbegriff dieser Gewalt, die – in ihren Augen – eben nicht demokratisch sein kann. Warum? Weil diese Entscheidungsgewalt eben den demokratischen Mythos attackiert. Weil sie den Mythos der individuellen Freiheit antastet.

Der organisatorische, der medizinische Umgang mit einem Naturereignis ist das eine. Der politische Umgang damit aber ist etwas anderes. Die sogenannten Corona-Maßnahmen mögen effizient sein – oder nicht. Vernünftig – oder nicht. Chaotisch – oder nicht. Das ist nicht der Punkt. Den "Querdenkern" geht es darum, ob diese Maßnahmen demokratisch sind – oder nicht.

Und damit zeigen diese Verweigerer unbeabsichtigt eines: Undemokratisch sind die sogenannten Maßnahmen nicht im politischen Sinn, sondern im mythologischen Sinn. Eben weil sie den Mythos der individuellen Freiheit verletzen. Sie, die "Querdenker", lehnen die Realität der demokratischen Praxis im Namen des demokratischen Mythos ab. Und genau da wird dieser Wahn zum gesellschaftlichen Symptom. Zum Symptom, in dem etwas, eine Wahrheit, in verzerrter Form zum Ausdruck kommt: dass nämlich demokratische Realität und demokratischer Mythos kollidieren. Dass sie nicht mehr zusammengehen. Die neue Realität einer staatlichen Entscheidungsgewalt und der Mythos von der individuellen Freiheit weisen auseinander.

Und diese Kollision weist in zwei Richtungen: Zum einen zeigt dieser Aufprall, dass die Regierungsform der Realität der Pandemie oft nicht angemessen ist. Zum anderen aber wirft diese Kollision auch die Frage auf: Taugt die individuelle Freiheit heute noch als zentrales Kriterium des demokratischen Mythos? Verwandelt sich in dieser Situation nicht die Bedeutung des Mythos, kippt nicht dessen Wert: aus einem ehemals demokratischen in einen nunmehr un-demokratischen? Verkehrt sich in solch einer Kollision nicht die Funktion des Mythos: aus einer Stütze der Demokratie in deren Hindernis?

An dieser Stelle muss man aufpassen: Der Ausgang aus der "Mythenhöhle", die Befreiung daraus, ist nicht dort, wo alle Schatten als Schatten entlarvt sind. Er ist nicht dort, wo alle Mythen enttarnt sind. Das ist nicht mit Aufklärung zu leisten. Denn Demokratie braucht einen Mythos. Die "Querdenker" zeigen uns in der verzerrten Form eines Symptoms deshalb etwas Entscheidendes. Sie zeigen uns: Demokratie braucht heute einen anderen Mythos. Nur von einem neuen Mythos aus lässt sich auch die neue Realität der Regierungsform beeinspruchen. Nur von einem neuen Mythos aus lässt sich die neue staatliche Entscheidungsgewalt befragen. Kritisieren. Kurzum: Demokratie braucht einen neuen Glauben, der sich nicht auf die individuelle Freiheit beschränkt. Einen Glauben, der dem harten Aufprall auf der unentrinnbaren gesellschaftlichen Realität jedes Einzelnen Rechnung trägt. Anders gesagt: Wir brauchen ein neues Hufeisen. (Isolde Charim, 13.11.2021)


Aus: "Isolde Charims Buch-Wien-Rede: Die Querdenker als Symptom" (14. November 2021)
Quelle: https://www.derstandard.de/story/2000131104276/isolde-charims-buch-wien-rede-die-querdenker-als-symptom

Quote
Alfred J. Noll

Ich habe selten einen derart antiaufklärerischen Schrott gelesen: Was ist denn Charims Aufruf zum "Glauben" anderes als eine religiöse Sehnsucht? Der in diesem religiösen Text zum Ausdruck gebrachte "Hufeisen-Gedanke" ist nichts anderes als "der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist" (Marx' Kennzeichnung der Religion) - so als ob wir das geforderte Hufeisen nur nach oben offen ans Parlamentstor nageln müssten, auf dass es uns das demokratische Glück einfangen werde. ...


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Fürchtet euch nicht!

Vielleicht ist aber auch die Aufklärung als absolut Anzustrebendes nichts weiter als ein Fetisch...

Glauben wir nicht alle an irgendwas? Was bleibt uns denn auch übrig, bei allem was wir nicht wissen?
Schweigen im wittgensteinschen Sinne können wir ja doch nicht. ...


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Joseph Grand

Ich habe etwas mit Ihrem etwas scharf formulierten Kommentar gerungen und muss Ihnen in Anbetracht Ihrer weiter Ausführungen weiter unten zustimmen. Der Mythos ist ja etwas was die Sache, ein Ding, das Denken, die Wahrnehmung ect. von ihrem Ursprung erhellt und ein sinnstiftendes Element sein kann. Doch meist um etwas schwer fassbares fassbar zu machen.
In Kombination mit dem Konzept der Demokratie, geht die Verwendung des Mythos, wie Sie, im Sinne der Aufklärung, gedacht , fehl. In Zeiten wie diesen bedürfen wir dem rationalen Denken und eben nicht "dem wilden Denken". Der Mythos knüpft [ ... ] [an den] Glauben [an] - und zu wenig an das Wissen.



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Alfred J. Noll

Der von Charim postulierte "Glauben an die Demokratie" ist genau das, was Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" am Glauben zurecht denunziert hat: Es handelt sich dabei immer nur um "subjektive Gründe des Fürwahrhaltens", die "keinen Beifall verdienen, da sie sich frei von aller empirischen Beihülfe nicht halten, noch in gleichem Maße andern mitteilen lassen". Der geforderte Glauben ist beliebig. Wer heute in Demokratiefragen an den Glauben appelliert (wo es doch darum ginge, Wissen zu vermitteln und in Folge tatkräftig für mehr Demokratie sich einzusetzen), der zeigt nur, dass "sein Glaube selbst in seinem eigenen Urteile bloß zufällig (ist)". - Bei der Demokratiefrage geht es um Interessenskämpfe - nicht um Glaubensfragen.


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critica diabolis

Das harte an der aktuellen Lage ist die völlige Abwesenheit von Ambivalenz und die Sucht nach Eindeutigkeit – darin treffen sich oft die Querdenker und ihr Gegenüber.


Quote
Charme_Offensive

"Der demokratische Mythos bedeutet heute individuelle Freiheit."

Unsere Freiheit ist die Unfreiheit vieler Menschen auf dieser Welt. Siehe Ausbeutung ganzer Kontinente. Bis heute. Vor allem im Aspekt des Green Deal tun sich da noch viele Aspekte auf.
Unsere Freiheit ist die Kontrolle der Nationalstaaten über die Bürger (Stichwort Gläserner Bürger; Staatstrojaner etc.).

Demokratie als Mythos zu bezeichnen deute ich als Mythos der politischen Elite, die sich im autoritären Denken heute wieder findet. ...


Quote
Karin Himmelbauer

Es ist einer der großen Irrtümer unserer Zeit
zu glauben, dass ein "weniger an Freiheit" für uns automatisch ein "mehr an Freiheit" für andere bedeutet. Oder dass das eine mit dem anderen überhaupt in einem zwingenden Kausalzusammenhang steht. Freiheit ist kein endliches Gut. Ich gehe sogar so weit, dass die Art und Weise, wie wir unsere individuelle Freiheit suchen und ausleben, der beste Motor und die beste Motivation für all jene ist, die diese Freiheit (noch) nicht leben können.


Quote
Charme_Offensive

Nudging. Nur ein Stichwort. In unserer überegulierten/übernormierten Welt sehe ich die individuelle Freiheit in der Freiheit der Elite. Unterhalb dieser Schicht wird es eng. Enger.

Sie dürfen Freiheit nicht mit Wohlstand verwechseln.


Quote
Non mee eemporte un katzo

Demokratie lebt von Einmischung in politische Diskurse, die nicht nur IHM vorbehalten sein sollte, sondern auch IHR.


Quote
Complexxx

Spannender Text. Insbesonders der Teil über Entscheidungen, weil es ja wirklich fast immer so ist, dass politische Entscheidungen durch Kompromiss "verwässert" und zivilgesellschaftlich abgeklopft werden, und nur mit langer Vorlaufzeit und sehr wenig direkt spürbar beim Individuum ankommen.

Beim "Totalereignis" geht das halt nicht. Und man sollte nicht vergessen: für unsere Demokratien in Mitteleuropa ist die Pandemie tatsächlich das erste Totalereignis. Damit haben wir keine historischen Erfahrungswerte, im Gegensatz zu zB GB, das den 2. WK ja als Demokratie durchgemacht hat.

Wir haben für so einen Fall eben noch keinen Plan, was möglich ist, unter welchen Bedingungen, etc. finden wir für unsere Gesellschaft derzeit gerade noch heraus.


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#16
ein bequemer Mythos, um die eigene Macht zu rechtfertigen

Quote[...] Haben die russischen Putin-Anhänger inzwischen ihre "eigene" Wahrheit, die sie je nach Belieben manipulieren? In einem längeren Beitrag für die "Berliner Zeitung" verweist Slavoj Žižek (72), der in Ljubljana, London und New York Germanistik und Philosophie lehrt, auf den "Hofphilosophen" des Kreml, den einflussreichen Politologen und rechtsextremen Denker Alexander Geljewitsch Dugin (60). Der sei überzeugt davon, dass die Wahrheit auch nur eine "Frage des Glaubens" sei. So habe Dugin behauptet: "Wir glauben also an das, was wir tun, wir glauben an das, was wir sagen. Und das ist die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu definieren. Wir haben also unsere spezielle russische Wahrheit, die Sie akzeptieren müssen."

Dazu passe, so Žižek, dass Putin den monarchistischen Denker Iwan Alexandrowitsch Iljin (1883 - 1954) in den Rang eines "offiziellen Philosophen" erhoben habe, also einen Mann, der "seine eigene Version des russischen Faschismus vertrat: den Staat als organische Gemeinschaft, die von einem väterlichen Monarchen geführt" werde. Insofern richte sich Putins Vorwurf, in der Ukraine seien "Faschisten" am Ruder, gegen ihn selbst, zumal er Marine le Pen in Frankreich, die Lega in Italien und andere neofaschistische Bewegungen unterstützt habe: "Die Vorstellung, dass jede 'Lebensform' ihre eigene Wahrheit hat, macht Putin bei der neuen populistischen Rechten so beliebt."

Bemerkenswert sei jedenfalls, dass Russland jede Gegenmaßnahme sofort "militarisiere" und den Ausschluss aus dem SWIFT-System als "kriegerischen Akt" bezeichnet habe: "Vergessen Sie die 'russische Wahrheit', das ist nur ein bequemer Mythos, um die eigene Macht zu rechtfertigen."

Gleichzeitig appellierte Žižek an den Westen, viel stärker auf die Unterstützung der ärmeren Länder im Süden zu setzen, um den Kampf gegen den russischen Neo-Imperialismus zu gewinnen. Diese Nationen sei bisher lediglich "Beobachter" im aktuellen Ukraine-Konflikt: "Um ihm also wirklich etwas entgegenzusetzen, sollten wir Brücken zu den Ländern der Dritten Welt bauen, von denen viele eine lange Liste völlig berechtigter Beschwerden gegen die westliche Kolonialisierung und Ausbeutung haben."

Die "einzige Möglichkeit, dies zu erreichen", bestehe darin, "uns weit über den politisch korrekten Postkolonialismus hinaus zu verändern und Formen des Neokolonialismus rücksichtslos auszurotten".

Nebenbei zeigte sich Žižek als Slowene beschämt darüber, dass sein Land bereit sei, "Tausende ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen, die vor der russischen Besatzung fliehen", jedoch deutlich zurückhaltender war, als es darum gegangen sei, Flüchtlinge aus Afghanistan zu beherbergen: "Die Rechtfertigung war, dass die Menschen, anstatt zu fliehen, dort bleiben und die Taliban mit Waffen bekämpfen sollten."


Aus: "Autor Slavoj Žižek: "Vergessen Sie die russische Wahrheit"" (27.02.2022)
Quelle: https://www.br.de/nachrichten/kultur/autor-slavoj-zizek-vergessen-sie-die-russische-wahrheit,SydBtzK

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Quote[...] [Juliane Fürst, Historikerin] ... Putin ist in einer Welt sozialisiert worden, in der Macht und Größe als etwas rein Positives bewertet wurden.  ...  Ihm ist klar, dass es für die nächsten Generationen keinen Frieden zwischen den Ukrainern und den Russen geben wird. Allerdings denkt Putin mittlerweile in Jahrhundert-Dimensionen. Er will irgendwann, in hundert, zweihundert Jahren, als Wiedervereiniger des russischen Volkes dastehen.
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Aus: "Historikerin über Kriegsmotive "Putin denkt in Jahrhundert-Dimensionen"" (03.03.2022)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Putin-denkt-in-Jahrhundert-Dimensionen-article23169633.html

Kontext: Russischer Überfall auf die Ukraine 2022
https://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_%C3%9Cberfall_auf_die_Ukraine_2022

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... Die "russische Wahrheit" ist lediglich ein bequemer Mythos ...

Quote[...] Slavoj Žižek ist Professor für Philosophie an der European Graduate School, Internationaler Leiter des Birkbeck Institute for the Humanities an der Universität von London und Verfasser von "The Sublime Object of Ideology" (Verso Books, 1989). ...

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die slowenische Regierung umgehend bereiterklärt, tausende ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Als slowenischer Bürger war ich allerdings nicht nur stolz, sondern ich schämte mich auch.

Immerhin hat sich dieselbe Regierung, als vor sechs Monaten Afghanistan an die Taliban fiel, geweigert, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen – mit dem Argument, sie sollten in ihrem Land bleiben und kämpfen. Und vor einigen Monaten, als Tausende von Geflüchteten – meist irakische Kurdinnen und Kurden – versuchten, von Belarus aus Polen zu erreichen, behauptete die slowenische Regierung, Europa werde angegriffen. Sie bot Militärhilfe an, um Polen zu unterstützen, diese Menschen draußen zu halten.

So gibt es in der Region nun zwei Arten von Flüchtlingen. Ein Tweet der slowenischen Regierung vom 25. Februar erklärt den Unterschied: "Die Geflüchteten aus der Ukraine kommen aus einem Umfeld, das in kultureller, religiöser und historischer Hinsicht völlig anders ist als jenes, aus dem die Afghanen kommen." Nach einem Aufschrei wurde der Tweet schnell wieder gelöscht, aber die obszöne Wahrheit war enthüllt: Europa muss sich gegen Nicht-Europa verteidigen.

Im Rahmen der ständigen globalen Bemühungen um geopolitischen Einfluss wird dieser Ansatz für Europa katastrophal sein. Unsere Medien und Eliten interpretieren diesen Konkurrenzkampf als Konflikt zwischen einem westlichen "liberalen" Einflussbereich und einer russischen "eurasischen" Sphäre. Dabei ignorieren sie allerdings die viel größere Gruppe von Ländern in Lateinamerika, im Nahen Osten, in Afrika und in Südostasien, die uns genau beobachten.

Sogar China ist nicht bereit, Russland komplett zu unterstützen, obwohl es seine eigenen Pläne hat: In einer Botschaft an den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-un sagte der Präsident Xi Jinping, China sei bereit, an seinen freundlichen und kooperativen Beziehungen zu Nordkorea "im Rahmen einer neuen Lage" zu arbeiten. Zu fürchten ist, China könnte diese "neue Lage" dazu nutzen, Taiwan zu "befreien".

Sorge sollte es uns auch bereiten, dass die momentan sichtbare Radikalisierung – am deutlichsten diejenige des russischen Präsidenten Wladimir Putin – nicht nur rhetorischer Natur ist. Viele auf der Seite der liberalen Linken waren überzeugt, beide Seiten wüssten, dass sie sich einen tatsächlichen Krieg nicht leisten könnten, und dachten, Putin habe, als er Truppen an der ukrainischen Grenze zusammenzog, nur geblufft. Sogar als er die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als "Bande von Drogenabhängigen und Neonazis" bezeichnete, erwarteten die meisten, Russland werde lediglich die beiden abtrünnigen, von Kreml-freundlichen Separatisten kontrollierten "Volksrepubliken" besetzen – oder schlimmstenfalls die Besatzung auf die gesamte ostukrainische Donbass-Region ausweiten.

Und jetzt beschuldigen einige, die sich als Linke bezeichnen, den Westen für die Tatsache, dass US-Präsident Joe Biden Putins Absichten richtig eingeschätzt hat. Das Argument ist gut bekannt: Die Nato habe Russland langsam eingekreist, in seiner Nachbarschaft Farbrevolutionen angefacht und die berechtigten Sorgen eines Landes ignoriert, das im letzten Jahrhundert vom Westen angegriffen wurde.

Natürlich findet sich hier auch ein Stück Wahrheit. Dies aber als die ganze Wahrheit zu bezeichnen wäre gleichbedeutend damit, Hitler dabei zu unterstützen, dem ungerechten Versailler Vertrag die Schuld zu geben. Schlimmer noch, es würde der Ansicht zustimmen, dass Großmächte das Recht auf Einflussbereiche haben, um die globale Stabilität zu bewahren. Putins Annahme, internationale Beziehungen seien ein Wettbewerb zwischen Großmächten, wird durch seine wiederholte Behauptung verdeutlicht, er hätte keine andere Wahl gehabt, als militärisch in der Ukraine zu intervenieren.

Ist das wahr? Ist das Problem wirklich der ukrainische Faschismus? Da hilft es, Russland selbst zu betrachten: Putins intellektueller Leitstern ist Iwan Iljin, dessen Werke wieder gedruckt und an die staatlichen Apparatschiks und Militärs verteilt werden. Nachdem er Anfang der 1920er-Jahre aus der Sowjetunion verbannt worden war, vertrat Iljin eine russische Version des Faschismus: des Staates als einer organischen Gemeinschaft, die von einem paternalistischen Monarchen regiert wird und wo die Freiheit zurückstehen muss. Für Iljin (und auch Putin) hat Wählen nicht den Zweck, den Staatschef zu legitimieren oder zu bestimmen, sondern den, kollektive Unterstützung für ihn auszudrücken.

Putins Hofphilosoph Alexander Dugin tritt in Iljins Fußstapfen und fügt eine postmoderne Verzierung in Form eines historistischen Relativismus hinzu: "Jede sogenannte Wahrheit ist eine Sache des Glaubens. Also glauben wir an das, was wir tun, und an das, was wir sagen. Und dies ist die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu definieren. Wir haben also unsere besondere russische Wahrheit, die man akzeptieren muss. Wenn die Vereinigten Staaten keinen Krieg beginnen wollen, sollten sie akzeptieren, dass [sie ...] keine Alleinherrscher mehr sind. Und was die Lage in Syrien und der Ukraine betrifft, sagt Russland: ,Nein, ihr seid nicht mehr der Chef.' Das ist die Frage, wer die Welt regiert. Nur Krieg kann wirklich entscheiden."

Aber was ist mit den Menschen in Syrien und der Ukraine? Können sie sich auch ihre Wahrheit aussuchen, oder sind sie nur ein Schlachtfeld für Möchtegernweltherrscher?

Die Idee, jede "Lebensweise" habe ihre eigene Wahrheit, ist das, was Putin für Rechtspopulisten wie den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der Russlands Invasion in der Ukraine als Tat eines "Genies" bezeichnete, so attraktiv macht. Und dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit: Wenn Putin über die "Entnazifizierung" der Ukraine spricht, sollten wir uns an seine Unterstützung für Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich, Matteo Salvinis Lega in Italien und andere wirklich neofaschistische Bewegungen erinnern.

Die "russische Wahrheit" ist lediglich ein bequemer Mythos, um Putins imperiale Vision zu rechtfertigen. Und die beste Art, wie Europa sie widerlegen kann, besteht darin, Brücken zu Entwicklungs- und Schwellenländern zu bauen, von denen viele eine lange Liste gerechtfertigter Beschwerden über westliche Kolonialisierung und Ausbeutung haben. "Europa zu verteidigen" ist nicht genug. Die wirkliche Aufgabe besteht darin, andere Länder davon zu überzeugen, dass der Westen ihnen bessere Möglichkeiten anbieten kann als Russland oder China. Und der einzige Weg, dies zu erreichen, besteht darin, uns selbst zu ändern, indem wir den Neokolonialismus, auch wenn er sich als humanitäre Hilfe verkleidet, unbarmherzig ausrotten.

Sind wir bereit zu beweisen, dass wir, indem wir Europa verteidigen, für die Freiheit in der ganzen Welt kämpfen? Unsere schändliche Weigerung, Flüchtlinge gleich zu behandeln, sendet der Welt eine sehr andere Botschaft. (Slavoj Žižek, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 23.3.2022)


Aus: "Was bedeutet es, Europa zu verteidigen?" (23. März 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000134322507/was-bedeutet-es-europa-zu-verteidigen

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Quote[...]  "Nostalgie und Nationalismus sind eng miteinander verbunden, insbesondere in alternden Gesellschaften, in denen ein großer Anteil der Bevölkerung sowieso dazu neigt, die Vergangenheit zu idealisieren."

Vor der Pandemie war Nostalgie weltweit eine starke politische Kraft. Donald Trump kam mit dem Versprechen an die Macht, "Amerika wieder groß zu machen", und die Brexit-Befürworter gewannen ihre Schlacht zum Teil auch durch die Idealisierung des verflossenen britischen Weltreichs. Der chinesische Präsident Xi Jinping forderte eine "große Verjüngung des chinesischen Volkes", der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolgte neo-osmanische Ambitionen und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán trauerte den Gebietsverlusten des Königreichs Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg hinterher.

Als die Pandemie die Welt in eine dringendere Krise stürzte, kam die Bewegung kurz zum Stillstand. Jetzt aber kehrt die Nostalgie mit aller Macht zurück. Russlands Präsident Wladimir Putin hat diese Form der Politik nun auf die Spitze getrieben. Er rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der falschen Behauptung, Russlands Nachbar sei "ein untrennbarer Teil unserer gemeinsamen Geschichte, Kultur und unseres spirituellen Raums".

Wie in allen nostalgischen Narrativen gibt es bei Putin ein "Goldenes Zeitalter", gefolgt von einer großen Katastrophe, die schließlich zum aktuellen misslichen Zustand führt. Das Goldene Zeitalter war das russische Zarenreich, in dem die Ukraine eine vollständig integrierte Provinz war. Die Katastrophe kam, als Wladimir Iljitsch Lenin aus der ethnischen Vielfalt des russischen Reiches eine Föderation aus nationalen sowjetischen Republiken formte. Daraus ergibt sich in Putins Interpretation, dass "die moderne Ukraine allein durch Russland, oder um genauer zu sein, durch das kommunistische Russland der Bolschewiken geschaffen wurde". Die aktuelle missliche Lage schließlich ist auf diese Trennung zurückzuführen. Dementsprechend erklärte Putin im März 2014: "Kiew ist die Mutter aller russischen Städte. Die Kiewer Rus ist unser gemeinsamer Ursprung, und wir können ohne einander nicht leben."

In vielerlei Hinsicht ist nostalgischer Nationalismus das politische Übel unserer Zeit. Die Brexit-Befürworter wollten nicht akzeptieren, dass Großbritannien nach Jahrhunderten der imperialen Herrlichkeit heute nur noch ein normales Land mittlerer Größe ist. Und die Auflösung der liberalen Hegemonie der USA bietet postimperialen Mächten wie China, Russland, der Türkei und sogar Ungarn die Möglichkeit, ihrem verlorenen Status auf der Weltbühne wieder Geltung zu verschaffen, wenn auch mit unterschiedlicher Überzeugung und Entschlossenheit. Trump hat versucht, diese Zentrifugalkräfte mit seiner "America First"-Agenda einzufangen – sein Geist spukt noch immer durch die US-amerikanische Politik.

Vergangenen Zeiten hinterherzutrauern ist alles andere als harmlos. Die sentimentale, historisch einseitige Verklärung einer romantisierten Vergangenheit gehört zum kleinen Einmaleins chauvinistischer Politiker. Nostalgie wird eingesetzt, um den Blick eines Gemeinwesens auf die Gegenwart zu verzerren und so radikalen und oft gefährlichen politischen Umwälzungen den Weg zu bereiten. Der Appell an vergangene Größe kann ein Gemeinwesen dazu verleiten, Grenzen zu überschreiten, Risiken einzugehen und sich über die herrschende Weltordnung hinwegzusetzen. Nostalgie und Nationalismus sind eng miteinander verbunden, insbesondere in alternden Gesellschaften, in denen ein großer Anteil der Bevölkerung sowieso dazu neigt, die Vergangenheit zu idealisieren.

Die russisch-amerikanische Kulturtheoretikerin Svetlana Boym unterscheidet zwei Formen der Nostalgie: die reflexive und die restaurative. Reflexive Nostalgie ist in der Regel harmlos. Sie prüft die Vergangenheit kritisch und erkennt an, dass zwar ein paar gute Dinge verschwunden sind, aber im Laufe der Zeit auch vieles besser geworden ist. Die heute vorherrschende restaurative Nostalgie dagegen will die Vergangenheit wieder auferstehen lassen.

Trotz aller offensichtlichen Unterschiede zwischen dem Brexit und dem russischen Angriff auf die Ukraine stellen beide den Versuch dar, die Zeit zurückzudrehen, um einer unangenehmen Gegenwart zu entfliehen. Die Brexit-Befürworter wollen zurück in das Zeitalter Eduards VII. oder zumindest in die 1970er-Jahre, als Großbritannien sich noch nicht dem europäischen Projekt angeschlossen hatte, und Putin will zurück in die Zarenzeit.

Allerdings funktioniert eine Politik der Nostalgie in demokratischen Staatsformen ganz anders als in autoritären. Anders als Putin mussten die Brexit-Befürworter die Mehrheit der Wähler von ihrer Sache überzeugen. In Demokratien können die Parteien der Mitte die Versuche nostalgischer Populisten, die Geschichte des Landes zu monopolisieren, vereiteln. Sie können der restaurativen Nostalgie eine reflexive Nostalgie entgegensetzen und zum Beispiel darauf hinweisen, dass das britische Kolonialreich reichlich Blut an den Händen hatte. Die technokratische Hier-und-jetzt-Strategie der EU-Freunde hat stattdessen versucht, einen Kampf um die Herzen der Wähler mit Grafiken und Tabellen zu gewinnen.

In autoritären Systemen, in denen die Opposition – wenn es sie überhaupt gibt – das Geschichtsbild des Regimes nicht offen kritisieren kann, ist Nostalgie noch gefährlicher. In solchen Fällen besteht eine der wenigen Lösungen in der internationalen Einbindung der entfremdeten Macht. Dieser Ansatz empfiehlt sich möglicherweise auch für eine wieder erstarkende Macht wie China, die das Gefühl hat, dass die Welt sie ständig marginalisiert und ihre lange Geschichte nicht ausreichend würdigt.

Eine aufsteigende Macht kann aus dem Versprechen, ein verlorenes Vaterland wiederherzustellen, spirituelle Kraft ziehen. Aus diesem Grund betont Xi häufig die Kontinuität der chinesischen Geschichte und verknüpft die Volksrepublik mit dem untergegangenen Kaiserreich. Das Konzept einer großen Verjüngung zeichnet den Weg in eine bessere Zukunft, der ohne Bruch mit der Gegenwart auskommt. (Edoardo Campanella, Project Syndicate, 10.5.2022)


Aus: "Nostalgischer Nationalismus ist das politische Übel unserer Zeit" (10. Mai 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000135553332/nostalgischer-nationalismus-ist-das-politische-uebel-unserer-zeit

Quote
Orjares

Ich habe den Eindruck, gewonnen, viele Reaktionäre sehnen sich nach der idealisierten Welt ihrer Kindheit, die es so nie gegeben hat.

Das macht sie zu einer gefährlichen Bewegung, die glaubt man müsse nur alles was falsch gelaufen ist korrigeren - mit allen Mitteln - und es wird wieder gut. Und wer nicht in dieses idealisierte Weltbild passt wird bekämpft.


Quote
Barrayar

Dies tun nicht nur Reaktionäre sondern auch viele andere, zum Beispiel jene die vom "einfachen Leben von früher schwärmen", im Grunde blendet jeder aus was ihm/ihr nicht in den Kram passt. Reflexive Nostalgie & restaurative Nostalgie trifft es mMn sehr gut.


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Jene Grüne Straßenkatze

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob etwas ein Übel "unserer Zeit" ist, wenn es sich als Konstante durch die gesamte Geschichte zieht: Restitutio Imperii, Rückeroberung Konstantinopels, Wiedererlangung der Adler der Legionen, Rückgewinnung der Ostgebiete, Eretz Israel, Triest-Fantasien, Elsass/Alsace, Mare Nostrum, Gebietsansprüche der Republik Taiwan ... mir fallen da kurz nach dem Aufstehen schon eine Menge Beispiele für Wiederherstellungs-Fantasien ein.


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Quote[...] Vielleicht hat das alles mit einer Drehbuch- oder Regie-Entscheidung begonnen, die, handwerklich durchaus nachvollziehbar, die politische Moral der DDR-Erinnerung nachhaltig veränderte. Bei der Verfilmung von Thomas Brussigs autofiktionalem Roman Am kürzeren Ende der Sonnenallee, einer lockeren Aneinanderreihung von Episoden einer mehr oder weniger rebellischen Jugend in der späten DDR, sollte ursprüngich am Ende eine Szene vom Tod an der deutsch-deutschen Grenze stehen.
Das hätte freilich den leichten Ton zwischen Groteske und ironischer Romantik schockhaft zerstört, der den Film Sonnenallee 1999 zu einem großen Publikumserfolg im einigermaßen wiedervereinigten Deutschland machte – und zum Modell für eine trotzig-unlarmoyante Spielart der gescholtenen "Ostalgie". Kein Tod am Ende von Sonnenallee, sondern das Bekenntnis, dass auch die DDR ein Paradies sein konnte, wenn man jung, verliebt und schuldlos war.

Mit Sonnenallee war eine cineastische Methode und zugleich eine Mythologie zur Post-DDR-Erzählung geboren, die, wie es so ist, ihre Vorteile und ihre Nachteile hat. Beinahe könnte man von einem eigenen Genre der Ostalgie für Ossis und Wessis sprechen, denn die Filme des Schöpfers dieser Mythologie, Leander Haußmann, führen nicht in die DDR, wie sie war, sondern in ein Traumland, in dem das Graue, das Heruntergerockte und das Verengte zur perfekt malerischen Kulisse für eine Peter-Pan-Fantasie werden konnte: Wo, wenn nicht in dieser DDR, die alle Facetten von Korruption, Gewalt und Groteske der Erwachsenenwelt so militant ausstellte, konnte man so sehr den Wunsch hegen, nie erwachsen zu werden? Nach NVA, der etwas zu klamottig geratenen Militärsatire, und Seitenstücken wie Hotel Lux (mit Auftritten von Walter Ulbricht und Clara Zetkin) könnte jetzt mit Stasikomödie das Haußmann-Genre seinen Höhepunkt (schon von den Produktionswerten her), vielleicht aber auch seinen Abschluss finden. Als Dekonstruktion dieser ironisch-romantischen Erinnerungsrevuen zwischen Mythos und Verdrängung.

Das zumindest legt erst einmal der Plot nahe: Ein ergrauter Herr holt sich in einer Papiertüte seine Stasi-Akten ab, doch daheim nimmt nicht nur die turbulente Familie, sondern auch ein hinzugeladener Journalist die dokumentierte Lebensgeschichte auf. Die könnte enthüllen, dass der vermeintliche Boheme-Rebell vom Prenzlauer Berg in Wahrheit von der Staatssicherheit ins Milieu geschleust wurde und sich danach, nur selten Herr der Lage, zwischen Liebesgeschichten, Stechapfel-Cocktails und Dichterlesungen (gar eine, halb real, mit Allen Ginsberg) in den Labyrinthen der absurden Parallelwelt ebenso wie in den noch absurderen Welten der politischen Macht verheddert. Zum Happy End im Übrigen hat seine Familie glücklicherweise Wichtigeres zu tun, als sich mit seiner Stasi-Vergangenheit zu beschäftigen.

Der Plot ist freilich nur roter Faden für eine Reihe von mehr oder weniger autonomen Szenen, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des Spitzelsystems. Das eben ist die Methode Haußmann: Es geht nicht um die Widerspiegelung von Geschichte in einer Story oder deren Charakteren, sondern um szenische Reigen, in denen sich Assoziationen und Rekonstruktionen, Traumkulisse und Detailrealismus umkreisen. Jede einzelne Nummer dieser Reigen hat einen eigenen Ton, eine eigene Gefühlslage, eine eigene Position. Sehr oft ist man bis hin zur Raum- und Lichtgestaltung dem Theater näher als dem Film. Dazu gehört es, dass auf intensive Szenen andere folgen, die eher an der Oberfläche funktionieren, groteske Überbietungen – wie Erich Mielke als lebendes Reiterdenkmal in einem bizarren Maskenball – folgen auf hübsche Reduktionen. Etwa die Eingangssequenz mit der Ampel vor menschen- und autoleerer Allee, die der Held nicht zu ignorieren wagt, die Wartezeit stattdessen mit subversiver Lektüre verbringt, bis eine Katze und ein Straßenreinigungsfahrzeug doch eine Entscheidung erzwingen. Doch wer hat diese Szene inszeniert als Probe für unseren Helden? Man hat die Stasi ja gern als ungeheure "Erzählmaschine" charakterisiert, und das wird hier fast schon wörtlich genommen, da man zwischen einem Bespitzelungsbericht und einem Romanentwurf nicht mehr unterscheiden kann. Oder eben zwischen einer Ampelmanipulation und einem Filmdreh.

Eine Reihe von Motiven verbinden Sonnenallee und Stasikomödie: die wiederkehrende Metapher der Ampel, die Off-Narration durch einen ironisch-unzuverlässigen Erzähler, die heillose Verquickung von Liebe und Politik, das spezifische DDR-Rauschgetränk, die Charakterisierung des Helden in der Ambivalenz von Beobachten und Mitmachen, das Wandeln am Rand des Kontrollverlustes, der "Obermeister" von der Volkspolizei, der nie so recht weiß, ob er zum System oder doch zu den Leuten gehört (gespielt von Detlev Buck, der vor und hinter der Kamera zu Haußmann-Filmen beiträgt), die ungebrochen männliche Perspektive und nicht zuletzt das Zurückschrecken vor dem Punkt, an dem das Komische sich nicht mehr vollständig dem Wohlfühl-Ansinnen unterwirft. Es ist am Ende aber vielleicht doch kein durch und durch gutes Gefühl, wenn man zum Komplizen einer viel zu einfachen Versöhnung gemacht werden soll. Die DDR ist in der Leander-Haußmann-Mythologie vom surrealen Neverland unter der Oberfläche von Macht und Alltag auf die angenehmste Art aufgehoben. Auf die wahrhaftigste Art eher nicht.


Aus: ""Stasikomödie": Bloß nicht erwachsen werden" Eine Rezension von Georg Seeßlen (19. Mai 2022)
Quelle: https://www.zeit.de/2022/21/stasikomoedie-leander-haussmanns-film-ddr

QuoteB42Fisch #2

Ich habe regelmäßig mit Patienten zu tun, die aus politischen Gründen in der DDR Psychiatrie ,,verschwunden" sind. Deren Sicht auf die Alltagsrealität der DDR war und ist eine ganz Andere. Firma Horch und Kuck sass bei jedem ,,Arztgespräch" mit am Tisch. Und tut es gefühlt heute noch, drum brauchen die Patienten heute eine echte Psychiatrische Behandlung.

Wer zu klar und gesund denken konnte, um sich dem Wahnsinn des Alltags hinzugeben, musste in der DDR in die Psychiatrie.


QuoteSerafez #2.1

Öhm, und alle anderen? Ich glaube nicht, dass man Ihre Aussage in dieser Allgemeinheit stehen lassen kann.


QuoteCastlepool #2.2

Eine sehr einseitige, zugespitzte und seltsame Betrachtung des Alltags im Osten. Nach meiner Erfahrung.


QuoteBurgundy #2.4

,,Wer zu klar und gesund denken konnte, um sich dem Wahnsinn des Alltags hinzugeben, musste in der DDR in die Psychiatrie."

Im Umkehrschluss würde diese absurde These bedeuten, dass 99,5 Prozent der DDR-Bürger*innen nicht klar (und gesund? wie denkt man gesund?) denken konnten.

Das ist westdeutsche Arroganz und Naivität in absoluter Reinform.


Quotehalt.mal.kurz #2.6

Das kann ich nur bestätigen..., als "Betroffener", Anfang der 70er in Ostdeutschland geboren, empfand ich den Humor in "Hotel Lux" (Walter Ulbricht übt schon mal mit Würfelzucker den Mauerbau) als irgendwie befreiend, schließlich geschah das alles deutlich vor meiner Geburt und der Abstand zu den Ereignissen war da. Bei "Sonnenallee" und "NVA" dagegen ist mir das Lachen doch häufig im Hals stecken geblieben. Vermutlich verarbeitet Leander Haußmann seine Erlebnisse als Jugendlicher in der DDR auf diese Weise (dass er es kann, darum beneide ich ihn), mir kamen zum Teil ganz andere Erinnerungen und Gefühle wieder hoch, die waren weniger lustig.
Trotzdem werde ich mir sicher auch die "Stasikomödie" ansehen.



Zitat:"Im Umkehrschluss würde diese absurde These bedeuten, dass 99,5 Prozent der DDR-Bürger*innen nicht klar (und gesund? wie denkt man gesund?) denken konnten.
Das ist westdeutsche Arroganz und Naivität in absoluter Reinform."

Das muss keine westliche Arroganz sein... Es gab in der DDR ganz unterschiedliche Biographien (die Mehrheit hatte sich irgendwie mit dem Regime arrangiert und mit Trabi, Schrebergarten und Rotkäppchen Sekt einfach ihr Leben gelebt. Manche sind deutlich darüber hinaus gegangen, haben Freunde im Auftrag der Stasi bespitzelt (gelegentlich übrigens erst nach psychischer "Überredung" durch Letztere), Kinder haben Eltern verraten und umgekehrt. Wer etwas erreichen wollte, ist dann eben Mitglied der SED geworden, aus Überzeugung oder Opportunismus (das hätten sicher viele Westdeutsche, die anschließend den Stab über solche Zeitgenossen gebrochen haben, nicht anders gemacht).
Und dann gab es noch die, die aufbegehrt haben gegen ein System, welches sie als ungerecht, gewalttätig, verlogen und einengend empfunden haben. Natürlich waren auf den ersten Montagsdemos vorrangig jüngere Menschen, die, die noch keine Familie hatten, für deren Sicherheit sie verantwortlich gewesen wären...



QuoteSerafez #3

Ich finde ja, gerade darin liegt die Genialität der Filme, dass sie zeigen, wie sehr die Repression dazugehörte, aber der Alltag eben vor allem Leben war und da, in dem was man hatte, auch durchaus intensiv und auskostend.
Mir kommt es manchmal so vor, als müsste zur DDR immer am lautesten und zuerst und überhaupt am besten nur gesagt werden, dass es ein Unrechtsstaat war, alles andere mag vielleicht auch gewesen sein, aber ist Verklärung. Mir ist das zu wenig differenziert. Vielleicht muss man auch an dieser Stelle mit einer größeren Ambiguität leben.


QuoteFrüherwarsauchmist #4

Ich freue mich auf die ,,Dritte Reich"-Wohlfühlfilme. Denn auch dort war ja nicht alles schlecht.
/s


QuoteFlorian Schwanitz #4.1

Wo stand dann ihrer Meinung nach das Vernichtungslager mit Gaskammern in der DDR? Und wieviele Millionen Tote gab es denn nach dem Weltkrieg, den die DDR angefangen hat?

Vielleicht sollten sie "Drittes Reich" und die "DDR" nicht implizit gleichsetzen?


Quote*-* #4.3

Im Privaten sicher nicht. Auch während dieser Zeit gab es junge verliebte Menschen, über die man sehr romantische Liebesfilme drehen könnte :) Und diese Filme wurden sicher auch gedreht.


Quotehalt.mal.kurz #4.6

Ich stimme insofern mit Ihnen überein, dass das alternative Ende mit dem Maueropfer ein realistischeres gewesen wäre. (sicher, es war nicht alles schlecht, aber eben doch vieles sehr schlimm)
Mit dem Nazi-Deutschland zur Zeit des 3. Reichs kann man die ehemalige DDR allerdings tatsächlich nicht vergleichen. Die DDR war sicher alles Andere als ein Rechtsstaat, aber doch weit entfernt vom faschistischen Hitlerdeutschland.


QuoteSuperfrau #5

Ostalgie-Film für Freitag-Leser.


QuoteBurgundy #5.1

Was unterscheidet Freitag-Leser*innen denn von ZEIT-Leser*innen?


Quoteelfotografo #6

Leander Haußman wird mit diesem Film nicht mehr gelungen sein als oberflächlicher Brachial-Klamauk.

Ihm fehlt jegliches Gespür fürs Feinsinnige, die Fähigkeit vielschichtige Charaktere zu zeichnen und vor allen Dingen die Begabung, das Grauen hinter den oft lächerlichen Typen der Stasi mitklingen zu lassen.

Und wenn dann auch noch Detlev Buck darin herumfuhrwerkt ... Oh je ...


Quotepourquoi pas #6.1

Man muß eben ein feines ästhetisches Gespür haben, um das Groteske im vermeintlich Tragischen zu erkennen.


Quoteelfotografo #6.2

"....um das Groteske im vermeintlich Tragischen zu erkennen."

Überragend gut gelungen in einem meiner Lieblingsfilme überhaupt:

"Sein oder Nichtsein" von Ernst Lubitsch.


Quotepourquoi pas #7

Klingt großartig. "Sonnenallee" war die bisher gelungenste künstlerische Verarbeitung der DDR-Ära, und diese Fortsetzung rundet Haußmanns differenzierenden Blick auf die deutsche Geschichte ab. Niemand, der nicht damals dort gelebt hat, kann beurteilen, wie vielfältig ein Leben in Licht und Schatten sein kann.


QuoteBurgundy #7.1

,,Sonnenallee" war die bisher gelungenste künstlerische Verarbeitung der DDR-Ära"

Nein, m.E. war das ganz klar ,,Gundermann".

Aber ich werde mir den neuen Haußmann-Film auch ansehen und bin auch der Meinung, dass ,,Sonnenallee" ein sehr guter Film war, der eine neue Ära der Betrachtung der DDR eingeleitet hat.


Quotereader59 #8

Viel zu kompliziert. Hausmann hat es auf den Punkt gerbracht in der DDR durfte man die Stasi nicht humorvoll betrachten eins war klar, die Jungs waren absolut humorlos. Und jetzt darf man wieder nicht mit Humor an die Geschichte rangehen? Wann dann? Die Lächerlichkeit Ihres Tuns darzustellen ist jedenfalls besser als nur bedeutungsschwanger über sie zu reden und Sie damit wichtiger zu machen als sie waren. Hat auch nichts mit Wohlfühlnostalgie zu tun. Jetzt endlich darf man über sie lachen, das ist der echte Sieg. Man ist endlich angstfrei. Putin hat es geschaft die Angst vor seinen Kumpanen zu konservieren. Er ist auch deshalb so begierig zu siegen (was offensichtlich in weiter Ferne liegt) weil die Ukraine das System Angst überwunden hat
und stellen Sie sich mal vor das passiert in Russland.


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