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[Politische Mythologie (Notizen) ... ]

Started by Link, September 30, 2020, 04:22:58 PM

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#20
Quote... Trump weigert sich bis heute, seine Niederlage bei der Wahl 2020 anzuerkennen. Ohne Belege behauptet er weiterhin, er sei durch Wahlbetrug um einen Sieg gebracht worden. ...

Aus: "Vor US-Zwischenwahlen: Biden besorgt über mögliche Wahlleugnung und politische Gewalt" (3. November 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000140491463/vor-us-zwischenwahlenbiden-besorgt-ueber-moegliche-wahlleugnung-und-politische-gewalt

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67 Minuten dauerte das Telefonat, und Trump klingt in Teilen so wirr, dass im Saal immer wieder mal gelacht wird – trotz der Monstrosität der geschilderten Vorgänge. Aber es ist eben auch bizarr, wie der Ausschuss einmal mehr darlegt, dass eigentlich jeder um Trump herum und auch er selber wusste, dass die ,,big lie" vom Wahlbetrug Quatsch ist.

Quote[...] Diese Anhörung endet zutiefst menschlich. Anders als an den bisherigen drei Tagen nehmen die neun Ausschussmitglieder nicht den Ausgang rechts hinter dem Podium, auf dem sie stets wie auf einer Richterbank nebeneinandersitzen und der Öffentlichkeit ihre gesammelten Beweise präsentieren.

Am Dienstag erheben sie sich von ihren Plätzen und laufen zu der Tischreihe, an der jeweils die Zeugen sitzen. Der demokratische Ausschussvorsitzende Bennie Thompson, seine republikanische Stellvertreterin Liz Cheney, ihr Parteikollege Adam Kinzinger, Adam Schiff, der an diesem Tag durch die Anhörung geführt hat: Einer nach dem anderen bedanken sie sich mit innigen Umarmungen bei den beiden Frauen, die gerade ausgesagt haben, bei der Wahlhelferin aus Georgia, Shaye Moss, und ihrer Mutter Ruby Freeman.

Was die beiden Afroamerikanerinnen in der Sitzung des Untersuchungsausschusses berichtet haben, zeigt, mit welchem wahnhaften Eifer Donald Trump versucht hat, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 zu kippen – und welche Konsequenzen das auch heute noch für diejenigen hat, die sich dem entgegenstellten.

Im Fall der beiden Frauen geschah dies einfach nur, weil Shaye Moss ihren Job machte. Sie erzählt, wie Trump auf einmal behauptete, dass sie eine professionelle Wahlfälscherin sei und wie sie daraufhin von dessen Anhängern rassistisch beschimpft und mit Gefängnis und Tod bedroht wurde. So sehr, dass sie wie alle anderen Wahlhelfer, mit denen sie damals in Wahlbezirk Fulton zusammengearbeitet habe, diesen Job nicht mehr wahrnehmen will.

Auch ihre Mutter, Inhaberin eines Modegeschäfts, die sich selbst ,,Lady Ruby" nennt, wurde mit hineingezogen. ,,Ich habe meinen guten Namen verloren, mein Sicherheitsgefühl."

Wenn sie essen bestelle, habe sie Angst ihren Namen anzugeben, schildert sie ihr Trauma. ,,Es gibt keinen Ort mehr, an dem ich mich sicher fühle. Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten Sie ins Visier nimmt?"

Der vierte Tag der Anhörung des Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses ist ganz der Kampagne gewidmet, wie Trump, Rudy Giuliani und andere Helfershelfer Verantwortliche in jenen Bundesstaaten unter Druck setzten, die für den Wahlausgang entscheidend waren – und das, obwohl ihm Anwälte und Berater immer wieder versichert hatten, dass seine Wahlbetrugsvorwürfe haltlos seien. Dies wurde in den zurückliegenden Ausschusssitzungen deutlich.

Besonders für Georgia habe Trump eine ,,besondere Obsession" gehabt, sagt der Vorsitzende Thompson am Dienstag. Hier hat er es so weit getrieben, dass der Wahlleiter Gabriel Sterling, ein Republikaner, damals vor laufender Kamera einen Wutanfall hatte.

Das müsse sofort aufhören, rief Sterling erregt bei einer Pressekonferenz am 1. Januar 2021 in Atlanta, nachdem Trump schon wochenlang auf mit der Wahl befasste Personen Druck ausübte. Es werde Verletzte, möglicherweise Tote geben, wenn der Präsident dies nicht einstelle.

Wie recht er mit seinen düsteren Warnungen hatte, zeigte sich fünf Tage später, als ein Mob das Kapitol in Washington stürmte, um den Kongress davon abzuhalten, den Wahlsieg von Joe Biden offiziell zu zertifizieren. Heute sagt Sterling: ,,Ja, ich habe die Fassung verloren. Aber es erschien mir damals notwendig, weil es immer schlimmer wurde."

Auch sein ebenfalls republikanischer Chef, der für die Wahlorganisation in Georgia zuständige Innenminister Brad Raffensperger, ist nach Washington gekommen, um öffentlich auszusagen. Ihn hatte Trump damals in einem Telefonat unverhohlen aufgefordert, genügend Stimmen für seinen Wahlerfolg in Georgia zusammenzubringen.

Eine Aufnahme des Gesprächs wurde damals an Medien weitergegeben, Teile davon werden nun vorgespielt. Da kann man zum Beispiel hören, wie Trump sagt: ,,Ich will nur 11.780 Stimmen finden" – genau eine Stimme mehr, wie er gebraucht hätte, um anstelle von Biden in Georgia zum Sieger gekürt zu werden.

Raffensperger, der Trump in dem Telefonat mehrfach widerspricht, betont am Dienstag, es gebe keinerlei Zweifel, dass Biden die Wahl in Georgia mit einem Abstand von rund 12.000 Stimmen gewonnen habe. Das hätten auch mehrere Neuauszählungen bestätigt. ,,Die Zahlen sind die Zahlen, und die Zahlen lügen nicht", sagt er.
67 Minuten dauerte das Telefonat, und Trump klingt in Teilen so wirr, dass im Saal immer wieder mal gelacht wird – trotz der Monstrosität der geschilderten Vorgänge. Aber es ist eben auch bizarr, wie der Ausschuss einmal mehr darlegt, dass eigentlich jeder um Trump herum und auch er selber wusste, dass die ,,big lie" vom Wahlbetrug Quatsch ist.

Auch sein Ex-Justizminister William Barr ist am Dienstag wieder auf der Leinwand über den Ausschussmitgliedern zu sehen, in dem gezeigten Video sagt er über Georgia: Trumps Vorwürfe hatten keine Grundlage, ,,wir haben niemals irgendeinen Beweis für Betrug gesehen". Gestoppt hat das Trump bekanntlich nicht.
Besonders eindrücklich ist auch die Live-Aussage des (republikanischen) Sprechers des Repräsentantenhauses von Arizona, Rusty Bowers, der ebenfalls enorm viel Druck aushalten musste, weil er den Behauptungen entgegentrat, in seinem Bundesstaat sei bei der Wahl am 3. November geschummelt worden. ,,Niemand hat mir je Beweise für Wahlbetrug vorgelegt."

Als er Trump und Giuliani um solche gebeten habe, habe Trump das Giuliani aufgetragen. Aber der habe nicht geliefert. Giuliani habe dann später erklärt: ,,Wir haben viele Theorien, aber wir haben keinen Beweis." Er habe nicht Trumps Bauernopfer sein, sagt Bowers.

Das Trump-Team sei auf ihn auch mit der Theorie zugekommen, dass die Wahlmänner Bidens einfach ausgetauscht werden könnten und dass er dazu die Macht habe. ,,Ich hatte das noch nie gehört", beschreibt Bowers seine damalige Reaktion. Man habe ihn nach etwas gefragt, was ,,komplett gegen seinen Eid" verstoße.

Aber der Druck hörte nicht auf, im Gegenteil: 20.000 Emails, Zehntausende SMS und Anrufe hätten sein Büro arbeitsunfähig gemacht, erzählt Bowers. Und: Es wurde persönlich.

Wochenlang seien Protestierende vor seinem Wohnhaus aufmarschiert, berichtet Bowers, der selbst mal Trump-Fan war. Diese hätten ihn als pädophil, pervers und korrupt beschimpft, ihn bedroht und seine Nachbarschaft tyrannisiert. Besonders bitter: Seine Tochter war damals schwer krank und starb wenige Wochen später.
Die Zeugen des Untersuchungsausschusses haben wohl selbst nicht gedacht, dass ihr Widerstand gegen Trump sie mal zu einer Art moderner Helden machen würde. Ähnlich ergeht es Liz Cheney, die wegen ihrer Kritik an dem ehemaligen Präsidenten inzwischen in ihrer Partei ziemlich isoliert dasteht.

Ihre Schlussworte an diesem Tag sind eine Mahnung, auch, weil die Gefahr für die amerikanische Demokratie alles andere als vorbei ist. ,,Institutionen verteidigen sich nicht selbst. Das tun einzelne Menschen."


Aus: "Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol Im Visier von Trump – weil sie ihren Job machten" Juliane Schäuble (22.06.2022)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/untersuchungsausschuss-zum-sturm-auf-das-kapitol-im-visier-von-trump-weil-sie-ihren-job-machten/28443942.html

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Quote[...] Gegen Trumps falsche Anschuldigungen vorzugehen sei wie der Versuch gewesen, mit einer Schaufel den Ozean zu leeren, sagte Sterling. Trump verteidigte das Telefonat mit Raffensperger in sozialen Medien und beschrieb es als "perfekt".

... Bowers beschrieb, wie der Wahlverlierer Trump ihn nach einem Kirchenbesuch am Sonntag anrief und vorschlug, die Wahlleute des US-Staats durch Gefolgsleute Trumps zu ersetzen. "Ich sagte: Schau mal, du verlangst von mir, etwas zu tun, was meinem Eid widerspricht", sagte Bowers dazu. Er habe darauf gepocht, Belege für den von Trump unterstellten Wahlbetrug zu sehen. Diese habe das Team des Ex-Präsidenten jedoch niemals erbracht. Einmal habe Trumps Anwalt Rudy Giuliani zu ihm gesagt: "Wir haben viele Theorien, uns fehlen nur die Beweise."

... Die Demokraten sehen in Trumps Verhalten bis hin zu seiner Rede am 6. Januar 2021, mit der er seine Anhänger mutmaßlich zum Sturm aufs Kapitol aufstachelte, einen versuchten Putsch. Viele, die sich gegen ihn stellten, sind bis heute Drohungen ausgesetzt.


Aus: ""Wir haben viele Theorien, uns fehlen nur die Beweise"" (22. Juni 2022)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/2022-06/usa-donald-trump-wahl-untersuchungsausschus-kapitol?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

QuoteK. W. #3

"Trump behauptet bis heute ohne Belege, er sei durch Wahlbetrug um den Sieg bei der Präsidentenwahl 2020 gebracht worden."

Donald Trump sollte 2024 eine zweite Chance bekommen.
Dann kann der Wähler entscheiden.


QuotekleinerDrache #3.1

Das ist alles was ihnen zu diesem Staatsstreich einfällt. ...


Quoteweiterwursteln #3.6

/// Donald Trump sollte 2024 eine zweite Chance bekommen. Dann kann der Wähler entscheiden. ///

Kann man fordern wenn man mit Demokratie nicht so wirklich was am Hut hat.


QuoteDogwalker #8

Das Problem ist nicht Trump.
Das Problem sind Menschen mit einem unterentwickelten politischen Verstand.
Ohne die wäre er lediglich ein politischer Clown.


Quotedelekhan #8.1

Ich glaube nicht dass es ein unterentwickelter politischer Verstand ist.

Ich würde es in drei Sorten Menschen einteilen:

-diejenigen, die bereits macht und geld haben, sich aber davon noch mehr versprechen wenn Trump an die Macht kommt und das ausbeuten erleichtert.

-diejenigen die immer an jeder blöden situation (arbeitslos, inflation, etc. ) anderen die schuld geben und auf den ersten anspringen der sagt "die sind daran schuld, und das mit absicht" (nazideutschland lässt grüßen)

-und erst als letzte gruppe die leute die tatsächlich einfach nicht den geistigen horizont haben das zu überschauen und halt zu demjenigen gehen der die leichteste "lösung" verspricht

...


QuoteCurze #8.3

Ich würde noch eine weitere Gruppe hinzufügen, wobei die irgendwo in Punkt 3 überschneidet:
Diejenigen, wo der "Fußballfan"-Effekt eintritt - also eben solche, die immer für ihre Partei sind, unabhängig der Politik, wie man eben auch seine Lieblingsmannschaft anfeuert, selbst wenn sie schlecht spielt.

Ich würde dieses Phänomen noch erweitert sehen - dies führt eben in seinen extremeren Zügen auch dazu, dass die Wahrheit oder Verfehlungen über den eigenen Kandidaten nicht akzeptiert werden können/heruntergeredet werden müssen, anstatt seine eigene Meinung zu ändern.

Siehe z. B. Trumps Unterstützung unter strengläubigen Christen trotz seinem extrem unchristlichen Lebenswandel.

In zu großen Kreisen ist das dann effektiv die Mehrheitsdiktatur, zumindest innerparteilich: Was nicht seien darf, ist nicht. Der populärste Kandidat darf alles, Kritik an ihm darf nicht sein, denn das ist wahltaktisch unklug. Selbst wenn er absolut schuldig ist, muss man ihn schützen. Erneut, normal, wenn Parteigrößen so denken, problematisch, wenn das auch die Wähler sind.


QuoteBlackout291 #11

Zynische und grausame Menschen sind sehr beliebt beim einfachen Volk. Die Menschen wollen ein Feind und Sicherheit. Die Zeit der Demokratie und Toleranz geht zu Ende.


Quoter.schewietzek #11.1

Nein.


QuoteZeitloch #20

...leider wurden zu viele Republikaner während der Präsidentschaft unter Trump von den von ihm verteilten Giftpillen drogenabhängig und manipuliert. Da sehe ich eine Entziehungskur eher aussichtslos.

...


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QuoteDer türkische Actionstar Cüneyt Arkın ist gestern gestorben. Zeynep Tuna und Nino Klingler haben bei uns vor einigen Jahren eine Erkundungstour durch seine Historienfantasmen unternommen, in denen Arkın selbst Nonnen zum Islam konvertieren lässt ...

5:50 nachm. · 29. Juni 2022


Quelle: https://twitter.com/criticde/status/1542173687679418368?t=7d2pCQ2tkp26NZDgVLhQCg&s=03

Quote... bei vielen Menschen in der türkischen Community in Deutschland ist Arkın beliebter Filmheld, dessen Abenteuer etwa bei gemeinsamen Familienabenden liefen. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu erinnerte sich einmal, dass sein Vater besonders für »jene Hauwegfilme mit Cüneyt Arkın in der Hauptrolle« schwärmte. ...


Aus: "Schauspieler Cüneyt Arkın gestorben" (28.06.2022)
https://www.spiegel.de/kultur/kino/cueneyt-arkin-ist-tot-tuerkischer-filmstar-mit-84-jahren-gestorben-a-1c1922d2-9a70-4013-bbc9-cb67ef90b0f8

Cüneyt Arkın (bürgerlich Fahrettin Cüreklibatır[1]; * 8. September 1937 in Karaçay, Bezirk Alpu in der Provinz Eskişehir; † 28. Juni 2022 in Istanbul) war ein türkischer Schauspieler, Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent.
https://de.wikipedia.org/wiki/C%C3%BCneyt_Ark%C4%B1n

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Quote[...] Schaut man sich Arkıns Filme heute an, wirken sie auf verwirrende Weise unzeitgemäß. Einerseits sind sie in ihrer billigen Verkleidungsästhetik meilenweit weg von den aktuellen, sleaken Film- und Serienproduktionen im türkischen Kino und Fernsehen. Für Europäer mag vor allem ihr chauvinistischer, hemmungsloser Anti-Christianismus und die fast unterschiedslos extrem negative Zeichnung westlicher historischer Figuren und Kulturfacetten eigenartig wirken. Die Art allerdings, wie sie frei von historischen Fakten anatolische Sehnsüchte auf eine (prä-)osmanische Glanzzeit projizieren, bildet gleichzeitig eine interessante Kontrastfolie für die derzeit enorm populären Telenovelas mit Osman-Setting – allen voran natürlich der Exportschlager Muhteşem Yüzyıl (der dank Netflix endlich auch einer englisch- und deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich ist und von dem in der Türkei gerade die erste Staffel einer Neuauflage abgeschlossen wurde) oder die kraftmeiernde Kriegersaga Diriliş Ertuğrul (die als Produktion des von der Regierungspartei AKP vereinnahmten Staatssenders TRT unverblümte Nationalpropaganda betreibt). ...

Aus: "Freezeframe zwischen Lamm und Löwe – Der türkische Actionstar Cüneyt Arkin" Nino Klingler, Zeynep Tuna (12.04.2017)
Quelle: https://www.critic.de/special/freezeframe-zwischen-lamm-und-loewe-4115/

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Quote[...] Die Impfungen gegen Covid-19 dürften nach Modellrechnungen, die in der führenden Medizinzeitschrift "The Lancet" publiziert wurden, allein im Jahr 2021 gut 14 Millionen Menschen das Leben gerettet haben. Ganz grob und anteilsmäßig auf Österreich umgelegt käme man auf rund 15.000 Personen, die womöglich an Covid-19 gestorben wären, wenn sie sich nicht hätten impfen lassen.

Mögen diese Zahlen auf den ersten Blick etwas hoch erscheinen, so gilt umgekehrt, dass sich etliche CoV-Tote hätten verhindern lassen, wäre die Impfbereitschaft größer gewesen. Doch die Impfangstmache durch bestimmte Parteien und Personen sorgte auch in Österreich dafür, dass unser Land bei der Impfquote unter dem westeuropäischen Durchschnitt blieb.

Genaue Zahlen für die Auswirkungen der FPÖ-Antiimpfpropaganda existieren für Österreich zwar nicht. Für Deutschland gibt es immerhin Daten, wonach in Regionen, in denen die AfD am stärksten vertreten ist, 40 Prozent der Menschen noch nicht geimpft sind. Man darf annehmen, dass Ähnliches für Hochburgen der FPÖ und der MFG gilt.

Eine neue Studie aus den USA, wo die Impffrage von den Republikanern noch stärker politisiert wurde als in Österreich durch die Rechtspopulisten, wartet nun mit Schätzungen auf, wie viele Menschen dieser organisierten Impf- und Wissenschaftsskepsis zum Opfer fielen. Empirische Grundlage der Berechnungen sind die Sterblichkeitsraten von registrierten Republikanern und Demokratinnen in den US-Bundesstaaten Florida und Ohio. Das erschreckende Ergebnis lautet: Bis zu 60.000 Tote hätten sich in den USA vermeiden lassen.

Wie das Forschertrio um Jacob Wallace (Yale School of Public Health) in einem Arbeitspapier für das angesehene National Bureau of Economic Research ermittelte, nahm die Übersterblichkeitsrate von registrierten Demokraten im Lauf des Jahres 2021 – also in jenem Jahr, als die CoV-Impfstoffe verfügbar wurden – nur um zehn Prozent zu, während die entsprechende Rate bei Republikanerinnen um bis zu 33 Prozent nach oben schnellte. Wiesen die Übersterblichkeitskurven vor der Pandemie kaum Unterschiede auf, ging die rot-blaue Schere während der Pandemie auseinander – und ganz besonders ab der Verfügbarkeit der Impfstoffe ... Während die Wissenschaft mit den CoV-Impfungen ein gutes Schutzschild zumindest gegen schwere Verläufe bereitstellte, wollten viele Republikanerinnen und Republikaner nicht daran glauben: Im Mai 2021, als alle Erwachsenen in den USA geimpft werden konnten, hatte weniger als die Hälfte der Anhänger der Grand Old Party (GOP) das Impfangebot angenommen, verglichen mit 82 Prozent der Demokraten. In Kerngebieten der GOP haben sich bis heute mehr als 55 Prozent noch immer nicht impfen lassen.

Das hat Folgen: Seitdem es CoV-Impfstoffe gibt, ist die Rate bei den Covid-Todesfällen in republikanischen Gebieten fast dreimal so hoch wie in demokratisch dominierten Gebieten. Diese republikanische Impfskepsis hat auch mit dem dramatisch schwindenden Vertrauen in die Wissenschaft bei den GOP-Anhängern zu tun, wie die "Financial Times" im Zusammenhang mit der neue Studie nahelegt. (Ähnliche Zusammenhänge lassen sich wohl auch für Europa und Österreich angesichts der Eurobarometerumfrage vermuten.): https://www.derstandard.at/story/2000131037835/oesterreichs-fatale-wissenschaftsskepsis

Noch im Jahr 1982 sagten 50 Prozent der Personen, die sich als Republikaner bezeichneten, in einer großen Umfrage, dass sie "großes Vertrauen" in die Wissenschaft hätten. Zwanzig Jahre später waren aus 50 Prozent 40 geworden, und im letzten Jahr vertrat nur noch ein Drittel der Republikaner diese Ansicht, verglichen mit zwei Dritteln der Demokraten. (Zum Vergleich: Vor vierzig Jahren waren diese beim Wissenschaftsvertrauen noch fast zehn Prozentpunkte hinter den republikanischen Parteigängern gelegen. In Österreich wiederum ermittelte eine aktuelle Umfrage, dass bescheidene 47 Prozent "großes oder sehr großes Vertrauen in Wissenschaft und Forschung" haben.): https://www.derstandard.at/story/2000139875561/oesterreichisches-vertrauen-in-wissenschaft-ist-stark-verbesserbar

Wie es zu diesem Vertrauensverlust bei den Republikanern kam, ist nicht ganz klar. Der Siegeszug der Evangelikalen und christlichen Rechten innerhalb des konservativen Lagers trug wohl nicht unwesentlich dazu bei.

Wissenschaftsskepsis und impfkritische Einstellungen sind natürlich keine alleinige Domäne der Rechten in den USA. Aber die Ausmaße der dortigen Polarisierung übertreffen alles, was in anderen reichen Industrieländern beobachtbar ist. Die Folgen davon zeigen sich nicht zuletzt auch in neuen Daten zur Verkürzung der Lebenserwartung durch die Pandemie und in einem eindeutigen Zusammenhang mit der Impfquote.

Laut einer neuen Studie im Fachblatt "Nature Human Behaviour" ging die Lebenserwartung unter den 29 untersuchten Ländern von 2019 bis 2021 nur in Bulgarien und der Slowakei stärker zurück als in den USA, wo die Reduktion 28,2 Monate betrug. Österreich liegt laut dieser Studie mit 7,6 Monaten im Mittelfeld. (tasch, 18.10.2022)



Aus: "Tödliche Ignoranz - Was Wissenschaftsskepsis mit bis zu 60.000 Covid-Toten in den USA zu tun hat" Klaus Taschwer (18. Oktober 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000140037153/wissenschaftsskepsis-mitschuld-an-bis-zu-60-000-vermeidbarencovid-toten-in

QuoteSarkasmus ist (k)eine Lösung

Nur mal so gefragt...

Warum sollte man einzig der Wissenschaft nicht skeptisch gegenüberstehen? Oder sind wir schon so weit, dass Wissenschaft zu einem Dogma geworden ist? Meist stellt sich nämlich erst im Nachhinein heraus, ob die Ergebnisse der Forschung auch tatsächlich korrekt waren. Und eines sollte man auch nicht vergessen, es gibt sehr viele Wissenschaftler, die für Geld und Ruhm so ziemlich alles machen. Ich erinnere ans die Studie über die Schädlichkeit von Fett, die von der amerikanischen Zuckerindustrie finanziert wurde und völlig falsch war.


Quoterollingpebbles

Die FPÖler sind genetisch vor Corona geschützt dafür haben sie ein Wurmproblem.


QuoteFrei_Denker

...der Hr. T. sollte sich langsam entscheiden, ob er politischer Kommentator, oder "Wissenschaftspublizist".
Diesen Ausfluss unter "Wissenschaft" zu publizieren ist einem "Qualitätsblatt" unwürdig ...
Und wers nicht kapiert, dem ist eh nicht zu helfen...


QuoteKlaus Taschwer, DER STANDARD

Hätten Sie - nur für den Fall - auch inhaltliche Argumente? Oder Beispiele dafür, wo ich die Erkenntnisse der zitierten wissenschaftlichen Studien falsch reproduziert oder interpretiert haben könnte? Danke!


Quotegradwhan

Mutig das zu fragen! Sie haben es nicht kapiert! Weltverschwörung und so.


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#23
Manche Regierungen haben Corona verharmlost, manche dramatisiert. Und manche Politiker haben ihre Meinung gar im Wochentakt geändert.

Quote[...] Donald Trump versuchte während der Hochphase der Corona-Pandemie immer wieder, das Virus zu verharmlosen. Ein Bericht aus dem US-Repräsentantenhaus legt nun nahe, dass Gehilfen des Ex-Präsidenten Beamte im Gesundheitswesen dazu gebracht haben, Informationen über die Pandemie zu beschönigen.

Unter der Regierung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sind laut einem Untersuchungsbericht Beamte des Gesundheitswesens genötigt worden, exakte Informationen über den Verlauf der Corona-Pandemie zu unterschlagen oder zu beschönigen. Der am Montag veröffentlichte Bericht eines Unterausschusses des US-Repräsentantenhauses zur Corona-Krise kommt aufgrund von Zeugenaussagen zu dem Schluss, dass auf diese Weise die verharmlosende Darstellung der Pandemie durch den damaligen Präsidenten unterstützt werden sollte.

Ranghohe Mitarbeiter der CDC-Gesundheitsbehörde (Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention) berichteten demnach, dass sie von Trump-Gehilfen schikaniert wurden und dass diese versuchten, ihre Berichte über die Ausbreitung des Coronavirus umzuschreiben. Es seien ,,beispiellose Schritte" unternommen worden, um den Veröffentlichungsprozess zu beeinflussen und die wissenschaftlichen Berichte der CDC zu widerlegen, heißt es in dem Bericht.

Für den 91 Seiten umfassenden Bericht befragten die Ermittler aktuelle und ehemalige CDC-Beamte sowie hochrangige Vertreter der Verwaltung. Der Bericht beschreibt, wie von Trump ernannte Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums (HHS) etwa versuchten, die wöchentliche wissenschaftliche Zeitschrift der CDC zu übernehmen und Artikel zu überarbeiten, von denen sie glaubten, diese könnten Trump schaden.

Ein CDC-Mitarbeiter wird mit den Worten zitiert, ein Trump-Verbündeter habe ein ,,schikanöses Verhalten" an den Tag gelegt, durch das sich CDC-Beamte ,,bedroht fühlten".

Die Untersuchung habe gezeigt, dass die Trump-Regierung ,,eine beispiellose Kampagne politischer Einmischung in die Pandemiebekämpfung der Bundesregierung betrieben hat, welche die öffentliche Gesundheit untergrub, um die politischen Ziele des ehemaligen Präsidenten zu fördern", sagte der Ausschussvorsitzende Jim Clyburn.

Trumps Republikanische Partei wies den Bericht als parteiisch zurück. Sie kündigte an, einen eigenen Bericht vorzulegen, sollte sie bei den Zwischenwahlen im November einen Sieg einfahren.


Aus: "Trump-Helfer sollen Informationen über Corona-Pandemie unterdrückt haben" (18.10.2022)
Quelle: https://www.welt.de/politik/ausland/article241646585/USA-Trump-Helfer-sollen-Informationen-ueber-Corona-Pandemie-unterdrueckt-haben.html

QuoteMarie H.

Soll haben....... Den Rest des Artikels habe ich mir erspart


QuoteTaus Le

"die wissenschaftlichen Berichte der CDC zu widerlegen"

Welche wurden konkret zwischenzeitlich noch nicht widerlegt?


QuoteMirko M.

Manche Regierungen haben Corona verharmlost, manche dramatisiert. Und manche Politiker haben ihre Meinung gar im Wochentakt geändert.


QuoteDaniel H.

Liebe Welt Redaktion,
Sie sind leider zwei Jahre zu spät mit diesem Artikel. ...


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#24
...  Kränkungsmythen ...

Quote[...] In seinem Bestseller Die Macht der Kränkung hat der Kriminalpsychiater Reinhard Haller 2015 eindringlich dargestellt, wie stark das Gefühl der Demütigung Menschen beeinflussen und zu furchtbaren Taten verleiten kann. Skrupellose Politiker wissen das schon lange: Wenn es ihnen gelingt, ein ganzes Volk davon zu überzeugen, dass es von anderen Ländern erniedrigt worden ist, können sie die eigene Macht im Inneren ausbauen und dann Aggressionen nach außen lenken.

Derzeit spielt Wladimir Putin auf dieser Klaviatur: Er sieht sich in einem Krieg mit dem Westen und begründet den Angriff auf die Ukraine vor allem mit den Demütigungen, die Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zugefügt worden seien.

Auch in der nationalistischen Ideologie von Xi Jinping stellt die Geschichte der Erniedrigung Chinas ein Leitmotiv dar. Diese reicht 180 Jahre zum Ersten Opiumkrieg zurück, durch den die Engländer Hongkong annektiert und die Öffnung der chinesischen Märkte erzwungen hatten. Er sieht es als seine Aufgabe an, die von den USA geführte Weltordnung zu demontieren und so China seinen rechtmäßigen Platz in der Welt zurückzugeben – beginnend mit der Rückgewinnung Taiwans.

Ebenso war die serbische Aggression in den Jugoslawienkriegen von nationalen Kränkungsmythen getrieben – von der Niederlage gegen die Osmanen in der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 bis zur Begrenzung der serbischen Dominanz in Titos Jugoslawien. Auch Mussolini und Hitler schürten und nutzten für die Machtergreifung den Zorn über Demütigungen, die ihren Ländern in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg angetan worden seien.

Dieses Narrativ wird oft nicht nur im eigenen Land, sondern auch im Ausland geglaubt. So wie der Westen einst Hitler lange gewähren ließ, fordern lautstarke Stimmen in Europa und den USA, dass man auf die Gefühle der Russen Rücksicht nehmen müsse, die durch die Arroganz der USA und die Erweiterung der Nato in ihrem Stolz verletzt worden seien. Und hätte nicht China das Recht, wieder als ebenbürtige Weltmacht anerkannt zu werden, die sich von den scheinheiligen Moralaposteln im Westen nichts sagen lassen muss?

Solche Meinungen fördern eine Appeasement-Politik, die brutalen Diktatoren in die Hände spielt. Und der Mythos der nationalen Kränkung befeuert den Revanchismus, seit Jahrhunderten eine Quelle von Konflikten und Kriegen.

Deshalb ist es wichtig, dass im europäischen Diskurs diesen Thesen entgegengetreten wird: Einzelne Menschen können erniedrigt werden und werden es auch allzu oft – ein Volk oder ein Staat aber nicht. Kein Russe hat unter dem Nato-Beitritt Polens und des Baltikums gelitten, keine Chinesin ist heute Opfer des Opiumkriegs oder des Taiwan-Besuchs der US-Kongresspräsidentin Nancy Pelosi. Verantwortungsvolle Politiker zählen nicht historische Demütigungen auf, sondern vermitteln in ihren Reden Visionen und Hoffnung. Selbst in früheren Kolonien, wo Demütigungen Teil des Systems waren, ist die Beschäftigung damit politisches Gift, das Autokratie und Korruption fördert.

Es ist Putin, der anständige Russen erniedrigt, und Xi, der China in einen Sklavenstaat verwandelt. Ihre Bürgerinnen und Bürger können sich gegen den Missbrauch der Geschichte schlecht wehren. Wir im Westen müssen es tun.


Aus: "Russland und China: Der Mythos der nationalen Kränkung" Ein  Kommentar von Eric Frey (1.11.2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000140454079/russland-und-china-der-mythos-der-nationalen-kraenkung

QuoteMeineLetzteMeinung

... ich [halte] wenig von der Psychologisierung von Konflikten. Es geht m.M.n. nicht um narzistische Kränkung des "Führers" sondern um wirtschaftliche und machtpolitische Interessenslagen.
Und das die Bevölkerung manipuliert wird um Gefolgschaft zu erreichen ist kein Alleinstellungsmerkmal Chinas oder der Russischen Föderation. Polen? Ungarn? Österreich? USA, GB? ....


Quotemang

Damit: "Einzelne Menschen können erniedrigt werden und werden es auch allzu oft – ein Volk oder ein Staat aber nicht." wäre somit die Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg nur die Summe einzelner Fälle?

Vorsicht vor verallgemeinernden Aussagen.


Quoteamoischaun

hmm...

... lese ich so nicht heraus.

Es wurden ja Millionen Juden ermordet, aber der "jüdische Staat" oder das "jüdische Volk" ist ja kein Lebewesen dass man ermorden kann.


QuoteSimya

Wenn wir ständig mit der Kränkung argumentieren würden, die wir durch die Zerschlagung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erlitten haben...
(Gekränkter) Nationalstolz, vor allem wenn die Ursachen Jahrzehnte zurückliegen, ist nichts als heiße Luft.
Das sind alles feine Ausreden oder Ego-Tripps von größenwahnsinnigen Machthabern, sonst nichts.


QuoteHeliocentrix

Die Seele (vulgo Psyche), sagt in Arthur Schnitzlers "Das weite Land" der Hotelier Aigner, die Seele ist ein weites Land. Immerzu suchen wir in ihr Ordnung zu schaffen, doch herrscht in ihren vielen dunklen Ecken das Chaos unserer Triebe. Das Ich ist nicht mehr Herr im eignen Haus. Hat schon Sigmund Freud gewusst, der Zeitgenosse Schnitzlers war und der neidlos anerkannt hatte, dass da einer auf literarischem Weg zu ähnlichen Einsichten gekommen ist. In Putins triebgesteuerten Seelenhaushalt scheint es viele dunkle Ecken zu geben, die seine machtpolitischen Interessen steuern.


Quotefriedensvolksbegehren.jetzt

Man muss Russland verstehen: Schuld ist die Nato, überhaupt jede Osterweiterung und die EU, außerdem Irak und Kosovo, andere haben doch auch, und erst die Saudis...

Wir haben die Chancen zur Zusammenarbeit nicht genutzt, es war unsere Schuld...

Die Ukraine ist kein echter Staat, innerlich zerrissen, Russland hat die Ostrukraine nicht überfallen, die Krim nicht annektiert, alles rechtmäßig...

Russland hat legitime Sicherheitsinteressen...

Wo habe ich all das gehört?

In den Öffentlich Rechtlichen von Ö und D, nicht im russischen Fernsehen!

Der Überfall auf die Ostukraine wurde mit "Sicherheitsinteressen" schöngeredet. Eine perfide Propaganda, die nichts mit Sicherheit zu tun hat, sondern Terror.

Im russischen Interesse wäre es gewesen gutnachbarschaftliche Beziehungen anzustreben. Bringt wirtschaftlichen Vorteil und Friedensdividende. Macht sich aber nicht so, wenn ein Regime mit militaristischen Rassismus expansiv wird, also andere Völker brutal erobern will.

Hinter diesem brutalen Überfall 2014 irgendetwas Legitimes herbeizufabulieren war dümmliche selbstbeschädigende Kremlpropaganda. Jetzt zahlen wir ob dieser Dummheit die Zeche.


QuoteSiegfried Scheibenkleister

Die Paläste, Denkmäler, Sportstätten, und Raketen die sich die Diktatoren bauen lassen, während das eigene Volk verhungert, oder im Krieg verheizt wird.
Das sind die eigentlichen Kränkungen.


Quotezhangxueyou

Aufarbeitung der Geschichte ja. Gerade in China gibt es ja viel aufzuarbeiten. Anstatt dessen haben wir patriotische Erziehung. Wir die Chinesen waren immer die Guten und so toll und alles Leid wurde von den Auslaendern gebracht.


QuoteJJB-Standard

Die "Kränkung" und Niederhaltung von Deutschland nach dem 1. Weltkrieg war eine bedeutende Keimzelle für den Aufstieg Hitlers und die folgende Katastrophe des 2. Weltkriegs. ...


QuoteTemporaMutanturEtNosMutamurInIllis

Mir kommt das so ähnlich vor wie die Demütigung mancher Männer durch den Feminismus. Wenn Russland durch eine freie Ukraine gedemütigt sein will, muss es auch damit leben.


QuoteStefan4321

Wir müssen diese Kräfte auch abwählen!
25% würden derzeit FPÖ wählen, Wechselwähler wechseln zwischen einer korrupten ÖVP und einer in jeglicher Hinsicht indiskutablen FPÖ. Egal was passiert.
Der Wahnsinn ist mitten unter uns, nicht irgendwo bei Putin, Orban oder Trump.


QuoteKohlbussler 1.4

Vorsicht...

Wenn man sich mit der chinesischen Geschichte der letzten 200-250 Jahre beschäftigt und mal ein oder zwei Minuten aus der Perspektive eines Chinesen über diese nachdenkt sieht das schon etwas anders aus. China wurde damals von deutlich überlegenen Ländern überrannt und in Kolonien aufgeteilt.
Natürlich gegen ihren Willen. ... auch bei uns wird die Geschichte manchmal falsch dargestellt und deshalb von den Menschen falsch interpretiert.


QuoteFontainbleu

Die Kränkung spielt schon auch eine Rolle.


QuoteBortolino

Die Diktatoren, die ihre Völker durch ihre totalitäre Herrschaft erniedrigen sprechen von nationaler Kränkung.


QuoteDer Gummibaumtroll

"Mythos der nationalen Kränkung" ist eines der klassischen Merkmale faschistischer Ideologien.


Quoteriesenhirsch

Im Fall Chinas dauerte das Ganze bis zum Zweiten Weltkrieg, wo die Japaner ebenfalls einen recht brutalen Angriffskrieg gegen China geführt haben. Inklusive Massaker von Nanjing und mit biologischen Experimenten an Chinesen.
Über die Opfer Hitlers, etwa über Polen, würde wohl niemand schreiben, dass es sich um einen Mythos der Erniedrigung handelt, oder dass es sinngemäß eh schon so lange in der Vergangenheit liegt und die gegenwärtig lebenden Menschen ohnehin kaum oder gar nicht betroffen sind.
Wieso kann man das dann über China schreiben? Es wirkt ja schon so, als ob wieder einmal zweierlei Maß angewendet wird, wenn es dem Autor ins Konzept passt


QuoteTemporaMutanturEtNosMutamurInIllis

China wurde auch im Opiumkrieg wirklich erniedrigt. Die wirkliche Frage ist, welches Narrativ man daraus für heute macht.
Frauen wurden noch vor viel kürzerer Zeit von Eherecht etc. in Österreich erniedrigt. Ich muss trotzdem nicht alle meine Interaktionen mit Männern danach ausrichten.


QuoteRohling

Der deutsch-französische Konflikt hat mit Unterbrechungen nur gut tausend Jahre gedauert, darunter waren zwei Weltkriege und der dreißigjährige Krieg.

Man sollte sich vertragen.


QuoteDer Gummibaumtroll

???? Bitte den Artikel oben lesen, statt hier die gleiche Sorte Humbug zu verbreiten.
Das Tausendjährige Reich hat nicht mal 13 Jahre gedauert.
Die 1.000 Jahre gehen sich also sicher nicht aus.

Deutschland gab es nicht mal, bevor es 1871 nach einem Krieg mit Frankreich gegründet wurde.

Oder wollen Sie vielleicht den Engländern den liebsten Feind aus dem 100jährigen Krieg absprechen?

Und welchen Startpunkt vor über 1.000 Jahren Sie meinen könnten ist auch nicht wirklich klar.
Charlemagne = Karl der Große.
Aix-la-Chapelle = Aachen
Damals war das alles eins.


QuoteFontainbleu

Beruhigen Sie sich.
Nehmen wir 843 bis 1957!


QuoteTemporaMutanturEtNosMutamurInIllis

Schuld sind die Enkel von Karl dem Großen, die alles versemmelt haben.


QuoteRiesenfaultier

Das stimmt halt beispielsweise für das Selbstverständis der USA und etwa Isreal überhaupt nicht - gerade als angeblicher US Kenner und Politologe ist Freys Analyse einfach falsch. Aus Sicht der US Amerikaner und der Politiker der USA;
oder eben auch Israels gibts natürlich so etwas wie kollektive Traumata, oder ein kollektives Selbstverständnis.

Nicht ohne Grund schwört praktisch jeder US Präsident seinen Amtseid auf die Bibel und spricht von "Gods own country"; und davon dass die USA "the leader of the free world" sind.

Der US Soziologe Bellah hat in seinen berühmten Studien minutiös dieses Selbstverständnis der amerikanischen Zivilreligion ausgearbeitet. Von Washington, Lincoln bis hin zu Kennedy.

Angefangen vom Gründermythos der USA als gelobtes freies Land, aus der Knechtschaft der freien Bürger in Europa; über den traumatischen Bürgerkrieg bis hin zum Kampf als auserwähltes Volk gegen den Kommunismus.

Hartford Institute for Religion Research
http://www.robertbellah.com/articles.html


QuoteSarah NX01

Es fällt wirklich niemandem in diesem Ländern auf, dass ganz starke Männer eigentlich ziemliche Heulsusen mit Minderwertigkeitskomplex markieren. Egal ob Xi, Putin, Kickl, Trump oder Salvini, alle dieselbe Doppeldenk-Leier.


Quotekanawasweribin

Minderwertigkeitskomplex und eitel wie die Pfäue

- Der Xi, der das Vergleichen von ihm mit Winnie Poo unter Strafe stellt.
- Der Vladimir, der als abz'wickter 60-Jähriger oben-ohne auf einem Pony reitet (weil ihm ein Pferd zu groß ist) und sich dabei photographieren lässt und das Bild der gesamten int. Presse zukommen lässt
- Der Donald, der jeden Hirnfurz twittern muss weil er sich selbst für so genial hält


QuoteNach reiflicher Ueberlegung

Das macht Kaczynski in Polen auch.
Immer wenn man von eigenen Unzulaenglichkeiten ablenken will.

Ebenso Erdogan. Orban.
Und man koennte jeglichen populistischen Politiker mit Hang zur Vereinfachung und Feindbildern auffuehren.

Was ist jetzt neu an der Erkenntnis?


QuoteMartin7

Wenn diese senilen Starrköpfe mit dem Selbstbemitleiden fertig sind, können sie darüber nachdenken, wie sehr sich die Welt in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Geht aber nicht, da man für den eigenen Machterhalt das gemeine Volk zu unterdrücken hat. Die Mehrheit der Bevölkerungen hätte sicher lieber Demokratien.


QuoteTemporaMutanturEtNosMutamurInIllis

Das "senil" können Sie sich wirklich sparen. Narzissten sind in jedem Alter gleich.


QuoteTamsriwuzd

Wieder einer der wenigen Kommentare bei denen ich mit Eric Frey einer Meinung bin. Die Unabhängigkeit v.a. von Russland wäre schon viel früher nötig gewesen, Warnhinweise gab es seit 20 Jahren genug. Aber das viele Geld und billige Gas war halt ein bisserl wie Crystal Meth.


QuoteCh_Ma

Kleines Selbstwertgefühl, wegen jedem Scheiß beleidigt. Das Hauptmerkmal autoritärer Charaktere, vom Wirtshausproleten bis zum Diktator. Der sinnvollste Fortschritt der Menschheitsgeschichte wäre ein Mechanismus, um solche deformierten Charaktere von jeglicher Macht fernzuhalten, leider kommen die aber vor allem deshalb so weit, weil die Mehrheit der Menschen in den jeweiligen Staaten genau so ist...


Quoteamoischaun

Ein ganz wichtiger Punkt ist mMn auch die Amtszeit.

Man sieht ganz deutlich, dass eine Amtszeit von mehr als 2 Amtsperioden (8-10 Jahre) dazu führt, dass nur noch ja-sager und Abnicken um die führenden Persönlichkeiten sitzen.
Ganz egal ob das die politischen Säuberungen von Xi sind, Putins Verfassungsänderung oder auch Merkels Kurs vorbei an jedweder Vernunft bei gewissen Themen.
Nur ein Wechsel garantiert dass sich hier nicht dauerhaft etwas festsetzt und einem einzelnen die Macht zu Kopf steigt.


QuoteAmaro Gran Sasso

Sie müssen das verstehen.

Der kleine Wladimir musste 1989 in Dresden und kurz darauf in Leningrad miterleben, wie sein geliebtes Sowjetreich den verdienten Bach runter ging.
Wenn das kein Grund ist, heutzutage junge Männer in den Tod zu schicken...


QuoteWilfried Apfalter

"Skrupellose Politiker wissen das schon lange: Wenn es ihnen gelingt, ein ganzes Volk davon zu überzeugen, dass es von anderen Ländern erniedrigt worden ist, können sie die eigene Macht im Inneren ausbauen und dann Aggressionen nach außen lenken."

Leider Gottes.

Dagegen helfen kann politischer Mut und politische Bildung, beides sowieso unabdingbar für eine gute demokratische Entwicklung ...


QuoteRobert67

Ich stimme dem Kommentar im Wesentlichen voll zu, jedoch mit einer kleinen Ausnahme: dass ein Volk oder ein Staat nicht erniedrigt werden kann, stimmt meines Erachtens in dieser Pauschalität nicht! Die gesamte Kolonialgeschichte ist voll von Erniedrigungen ganzer Völker bis hin zum Völkermord. Ob das die indigenen Völker Amerikas oder Afrikas betrifft, oder etwa die Armenier. Und was denn sonst als Erniedrigungen eines Volkes sind die zahlreichen Pogrome an Juden? Aber Frey hat natürlich völlig Recht, dass in den von ihm genannten Beispielen (Hitler, Putin, Xi und Milosevic) diese angeblichen Erniedrigungen als blanke Ausreden und Rechtfertigungen für Gewalt und Aggression herangezogen wurden und werden.


...

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#25
Quote[...]

Frank Schuhmacher: Benito Mussolini – Konsens durch Mythen

Eine Analyse der faschistischen Rhetorik zwischen 1929 und 1936
Der Diktator Benito Mussolini suchte die Zustimmung und den Beifall der Italienerinnen und Italiener. Seine Rhetorik war aber weniger die eines Manipulators als die eines profunden Kenners der Sehnsüchte und Wünsche seiner Zeit.In der Nachkriegszeit setzte sich das Narrativ durch, dass die italienische Bevölkerung seiner verdeckten Manipulation hilflos erlegen, gleichzeitig aber schon immer gegen den Faschismus und Mussolini gewesen sei. Dass dem nicht so war, Mussolini eine hohe Zustimmung inner- und außerhalb Italiens genoss – auch und gerade weil er in seinen Reden geschickt auf die Meinungen und Wünsche seiner Zeitgenossen einging –, das wird in dieser breit angelegten Propaganda-Analyse detailreich gezeigt. Die Studie geht dezidiert der Frage nach, wie Mussolini Mythen rhetorisch einsetzte, um gesellschaftlichen Konsens zu erlangen und aufrecht zu erhalten.


    Verlag: Brill | Fink
    Genre: keine Angabe / keine Angabe
    Seitenzahl: 416
    Ersterscheinung: 21.10.2022
    ISBN: 9783770567478




Quelle:  https://www.lesejury.de/frank-schuhmacher/buecher/benito-mussolini-konsens-durch-mythen/9783770567478

"Vor hundert Jahren erfolgte in Italien die Machtergreifung der Faschisten" Rolf Wortmann (28. Oktober 2022)
... Vor hundert Jahren, am 28. Oktober 1922 erfolgte mit dem ,,Marsch auf Rom" die Machtergreifung durch eine neuartige politische Bewegung, die sich ,,fascismo" nannte. Ihr Führer, der ,,duce" Benito Mussolini, wurde zwei Tage später vom italienischen König Vittorio Emanuele III. mit der Regierungsbildung beauftragt. Er herrschte bis zu seinem Sturz am 25. Juli 1943 und überwinterte in einem Restteil des faschistischen Italiens noch bis zum 25. April 1945. Am 28. April wurde er von Partisanen erschossen. Wie der Faschismus ideell auf die Kraft des Mythos baute, so wurde auch die Machtergreifung vor hundert Jahren zum Mythos stilisiert. ...
https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/rolf-wortmann/vor-hundert-jahren-erfolgte-in-italien-die-machtergreifung-der-faschisten/

Link

#26
Quote[...] Das russische Narrativ, demzufolge man im Nachbarland den ,,Satan" sowie ,,Neonazis und Drogensüchtige" bekämpfe, wiederholte auch Wladimir Solowjow schon mehrfach. Die Gäste seiner Fernsehsendung unterstützten den Chef-Propagandisten in seinen Behauptungen: Während russische Männer früher von Tag zu Tag gelebt hätten, hätten sie jetzt ,,ein höheres Ziel" – und dafür lohne sich auch der Tod. (nak)

Aus: ",,Leben ist überbewertet": Putins Stimme glorifiziert Krieg und Tod" Nail Akkoyun (03.01.2023)
Quelle: https://www.fr.de/politik/russland-propaganda-ukraine-krieg-mobilisierung-soldaten-staatsfernsehen-wladimir-solowjow-92007626.html

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Quote[...] Seit dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine zeichneten sich Wladimir Putins öffentliche Reden vor allem dadurch aus, dass der russische Präsident dabei buchstäblich Abstand hielt. In der Regel sah man ihn entweder allein oder in gebührender Entfernung zu seinen Ministern. Selbst als er Ende September auf einer Art Rockkonzert vor dem Kreml die Annexion der vier ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson verkündete, wurde er auf der riesigen Bühne erstaunlich isoliert inszeniert.

Umso bemerkenswerter erscheint es, dass Putin seine Neujahrsansprache nun vor einer Gruppe von Soldatinnen und Soldaten hielt. Inhaltlich wurde auch schnell klar, warum der Kreml dieses Setting wählte. Denn selbst wenn der russische Präsident in seiner rund achtminütigen Rede weiterhin von einer "militärischen Spezialoperation" sprach, wurde unmissverständlich klar, dass er Russland nun offiziell auf einen langen Krieg gegen die Ukraine einschwört. Mehr noch: Putin trat vielleicht das erste Mal vollends als Kriegspräsident auf.

In seiner Rede spulte er nämlich nicht nur die üblichen Propagandastanzen vom vermeintlich betrogenen Russland ab, das sich gegen einen dekadenten Westen und ukrainische Nazis zur Wehr setzte, sondern adressierte zumindest indirekt auch die immensen russischen Kriegsverluste. So wendete er sich etwa an die Soldatinnen und Soldaten an der Front sowie an die Verletzten in den Krankenhäusern. Ebenso dankte er den Ärzten und Krankenschwestern, die um das Leben der Truppen kämpften und sprach schließlich sein Mitgefühl für die Familien der "gefallenen Kameraden" aus.

Doch bemerkenswert an Putins Rede war nicht nur dieses De-facto-Eingeständnis, einen verlustreichen Krieg zu führen, sondern ebenso die inszenatorische Art und Weise. Mehr als je zuvor schlüpfte Putin dabei in eine Rolle der russischen Politmythologie: in die des Zar-Batjuschka, des Väterchen Zar.

In seinem kürzlich erschienenen Buch Eine Geschichte Russlands hat der renommierte Osteuropahistoriker Orlando Figes eindrücklich nachgezeichnet, wie sehr die russische Historie von bestimmten mythischen Narrativen geprägt ist. Auch wenn Geschichte sich bekanntlich nicht wiederholt, offenbart sie dennoch gewisse Muster. In Russland ist dies laut Figes etwa das in Abständen wiederkehrende Bewusstsein, wonach Moskau – nach dem Fall des römischen und byzantinischen Reiches – eine Art "drittes Rom" bilde, also der letzte Bewahrer traditioneller Werte und christlicher Heiligkeit sei. Ebenso in dieses mythologische Repertoire gehört das Gefühl, Russland opfere sich im Kampf gegen die Barbaren – die Mongolen, Napoleon oder die Nazis – für die christliche Zivilisation auf, bekomme das aber von Europa nicht gedankt.

Finden sich Versatzstücke beider Narrative immer wieder in Putins Ausführungen (der Kampf gegen die "LGBTQ-Ideologie", der verräterische Westen), zeigt sich in seiner Neujahrsansprache nun auch die inszenatorische Bezugnahme auf einen dritten Mythos. Am prägnantesten ist dieser vielleicht in einem russischen Sprichwort zusammengefasst: "Der Zar ist gut, aber seine Bojaren sind schlecht." Die Vorstellung, wonach der Herrscher nichts für soziale Ungerechtigkeiten oder politischen Fehler im Land könne, sondern es allein seine sinistren Berater sind, die für Armut und Gewalt Verantwortung tragen, prägte sowohl die Zarenzeit als auch die Sowjetunion. Aufgrund dieses Mythos wendeten sich beispielsweise immer wieder Menschen mit Petitionen an die Zaren, hoffend, dass der Herrscher nur von den Missständen im Land erfahren müsse, um die Aktionen seiner Berater zu korrigieren. Ebenso konnte – der im heutigen Russland wieder vielfach respektierte oder gar bewunderte – Stalin ob dieser Vorstellung den Eindruck erwecken, er selbst habe mit dem Großen Terror und den Massensäuberungen gar nicht viel zu tun. Vielmehr sei es der – dann später liquidierte – Geheimpolizeichef Nikolai Jeschow, der die Schuld für Millionen Tote trage.

Diese Vorstellung vom guten Väterchen Zar beruht dabei auf einem spezifischen Konzept des politischen Körpers. Im mittelalterlichen Europa hatte sich die Fiktion der zwei Körper des Königs herausgebildet, wonach der Regent sowohl einen natürlich-sterblichen als auch einen übernatürlich-unsterblichen Körper besitze. Dieses Prinzip machte es möglich, zwischen Person und Amt, zwischen leiblichem Herrscher und abstraktem Staat zu unterscheiden. Nach dem Motto: Der König ist tot, lange lebe der König.

In Russland jedoch, so zeigt Orlando Figes in seinem Buch, hatte dieses Konzept nie wirklich Fuß gefasst. Vielmehr hat der Zar den Staat nicht nur stellvertretend verkörpert, sondern er selbst war gleichbedeutend mit dem Staat – weshalb er etwa Adligen ihre Ländereien auch nach Gutdünken wieder wegnehmen konnte, nicht unähnlich der heutigen Abhängigkeit der Oligarchen von Putins Gnade. Aber gerade weil der Zar eben der Staat war, musste er im Grunde gut und fürsorglich sein. Das zeigte sich etwa auch darin, dass bis ins 19. Jahrhundert soziale Revolutionen und Aufstände in Russland oft dadurch legitimiert wurden, dass sie sich auf den Zaren selbst beriefen – oder aufständische Anführer sich als "echter Zar" ausgaben, der nur totgeglaubt war und nun zurückkehre.

Wenn Putin in seiner Neujahrsansprache die Russen nicht nur auf einen langwierigen Krieg  einschwört, sondern gleichzeitig auch von Liebe, Loyalität, Fürsorge, Freundlichkeit oder Großzügigkeit spricht, von der "Freude in Kinderaugen" sowie den "Momenten des Glücks", die vor allem die "ältere Generation" zu schätzen wisse, wird deutlich, wie sehr der russische Präsident hier in die Rolle des Väterchen Zars schlüpft. In gewisser Weise hat er diese schon immer bedient. Wenn er regelmäßig in einer groß inszenierten Fernsehshow Fragen von Bürgerinnen und Bürger beantwortete, war das etwa die moderne Form der Petitionsübergabe an den Zaren.

Dass er die Rolle des sorgenden Väterchen Zars nun bei seiner Neujahrsansprache vor dem Soldatenvolk noch stärker betont, darf man wohl als inszenatorisches Gegengewicht zu seinem De-facto-Eingeständnis eines verlustreichen Kriegs verstehen. Putin spielt Väterchen Zar, weil er sich gleichzeitig auch als Kriegspräsident gibt. Wobei die Frage bleibt, ob er sich die Rolle als fürsorglich-geliebter Herrscher tatsächlich selbst glaubt. So haben etwa Olexandra Matwijtschuk, Leiterin des jüngst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Center for Civil Liberties, oder der Journalist Jason Jay Smart darauf hingewiesen, dass eine der hinter Putin befindlichen Soldatinnen auch in früheren Bildern des Kreml zu sehen ist – jedoch in anderen Rollen. Womöglich handelt es sich bei den vermeintlichen Truppen in Putins Ansprache also tatsächlich um Schauspieler. Das würde zumindest in aller Deutlichkeit noch einmal unterstreichen, dass die Vorstellung vom Zar-Batjuschka vor allem eins ist: ein Mythos.   


Aus: "Väterchen Zar ruft zum Krieg" Eine Analyse von Nils Markwardt (1. Januar 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2023-01/wladimir-putin-neujahrsansprache-russland-krieg

QuoteMedianwähler #5

"Ebenso in dieses mythologische Repertoire gehört das Gefühl, Russland opfere sich im Kampf gegen die Barbaren – die Mongolen, Napoleon oder die Nazis – für die christliche Zivilisation auf, bekomme das aber von Europa nicht gedankt."

Schön und gut, aber selbst wenn es wahr wäre, dass der Westen im "antichristlichen" versinken würde - inwiefern sind denn bitte sehr seine neuen dicken Freunde, der Iran und China, christlicher? Da ist doch schon auch irgendwie der Wurm drin, in diesem Mythos.

Nicht einmal das kommunistisch-atheistische Venezuela oder Nordkorea sind bekannt als Hochburgen der christlichen Minne.


QuoteEgBruemmer #5.1

Was hat das bitte mit Minne, der Verehrung in der mittelalterlichen Hierarchie höherstehender Frauen, zu tun?


QuoteMedianwähler #5.2

Soviel Ironie muss der christliche Ost-Römer Putin dann schon aushalten.
Doch, es hat sogar was damit zu tun: denn die Minne hatte eben mit dem LGBTQIA+ Spektrum nicht viel am Hut.


QuoteEgBruemmer #5.3

Ist wohl eher eine Bildungslücke als Ironie.


QuoteMedianwähler #5.4

Wenn Sie so gebildet sind, dass Sie das begründen können, nur zu. Ich höre. ...


QuoteNoKoloris #8

Vielleicht ist es auch viel einfacher: möglicher Weise ist Putin klar geworden, daß ein Kriegsende mit seinem eigenen Ende zusammen fallen könnte. Dem folgend wünscht er sich einen möglichst langen Krieg.


QuoteOhOhOhj #8.2

Hatte ich auch schon im Hinterkopf, aber ich glaube eher, der will für Russland ein unsterblicher Held werden. ...


QuoteCala 2 #12

"Putin trat vielleicht das erste Mal vollends als Kriegspräsident auf. "

Wladi, mir graut vor Dir.


QuoteUnterlinner #21

,, Russland opfere sich im Kampf gegen die Barbaren – die Mongolen, Napoleon oder die Nazis – für die christliche Zivilisation auf,"

Welche christliche Zivilisation? Das Haus des Bruders überfallen und zerstören, den Bruder massakrieren, die Schwägerin vergewaltigen und die Nichten und Neffen verschleppen hat weder etwas mit christlich noch mit Zivilisation zu tun!


QuoteDum spiro -spero #22

Das Schlimme ist, befürchte ich, dass Putin selbst glaubt, was er da von sich gibt. Realitätsverlust hat schon oft in die Katastrophe geführt.


QuoteMirFaelltKeinerEin #28

Macht wird eigentlich immer legitimiert. Entweder durch Wahlen oder durch ein patriarchalisches Verhältnis zum Volk - der fürsorgliche Herrscher. Ein machtbewusster Herrscher schart einerseits Gefolgsleute um sich, auf deren Loyalität er baut, Das war beim Zaren so, bei Stalin und bei Putin auch. Wenn die Gefolgsleute Anzeichen von Illoyalität zeigen müssen sie entmachtet werden, bevor sie nach der Krone greifen. Das tat Iwan der Schreckliche, Peter der Große, Stalin, Putin. Putin lässt diese Leute sterben, auf verschiedene Art und Weise. Dass Russland Nachfolge Roms zu sein glaubt zeigt sich an der Bezeichnung "Zar", die von "Cäsar" abgeleitet ist. ...


QuoteRGFG #37

Eigenartig, dass er keine 'diplomatische Lösung' in Aussicht gestellt hat.
Das hätte man doch erwarten müssen, wenn es ihm so wichtig ist.
Gell, Herr Mützenich, Herr Precht, Frau Schwarzer?!


QuoteZON weiß nicht wie das Partizip I genutzt wird #39

"Aufgrund dieses Mythos wendeten sich beispielsweise immer wieder Menschen mit Petitionen an die Zaren, hoffend, dass der Herrscher nur von den Missständen im Land erfahren müsse, um die Aktionen seiner Berater zu korrigieren."

Wenn das der Führer wüsste!

[Die umgangssprachliche Redewendung ,,Wenn das der Führer wüsste" stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus und beschrieb den Glauben vieler Deutscher während dieser Zeit, dass unangenehme Dinge vor allem von Vertretern der NSDAP und Beamten absichtlich vor dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler verschwiegen wurden und dass der Führer, wenn er denn nur von diesen Vorgängen erführe, diese sicher schnell in Ordnung bringen würde. ... https://de.wikipedia.org/wiki/Wenn_das_der_F%C3%BChrer_w%C3%BCsste]


Quotelennon68 #41

,,...Stalin ob dieser Vorstellung den Eindruck erwecken, er selbst habe mit dem Großen Terror und den Massensäuberungen gar nicht viel zu tun. Vielmehr sei es der – dann später liquidierte – Geheimpolizeichef Nikolai Jeschow, der die Schuld für Millionen Tote trage."

Richtig, wobei es nicht nur Jeschow traf. Erst starb OGPU-Chef Menschinsky. Nachfolger Jagoda wurde von Jeschow eingebuchtet und ,,gestand" Menschinsky umgebracht zu haben. Wurde erschossen. Jeschow wurde wiederum von Nachfolger Beria eingebuchtet und auch erschossen. Nach Stalins Tod schliesslich liess Chruschtschow Beria erschiessen. So fanden die Bestien wenigstens ihr verdientes Ende. Der schlimmste von allen aber, Stalin, wälzte alle Schuld auf sie ab.


QuoteAusterlitz-1805 #43

Dieser Artikel über Putin wird sicherlich auch das eine oder das andere mehr oder minder zutreffend beschreiben, aber für die praktische Nutzung ist der ohne Bedeutung. Außer man will sich selbst vorgaukeln:

a) Den Putin ganz verstanden zu haben
b) Den Putin als Schurken überführt zu haben

Es ist eine nutzlose Analyse. Sie drückt eher den westlichen Schmerz und Verblüffen aus, dass die Entwicklung Russlands nicht nach unseren Vorstellungen verläuft, sondern andere Kräfte am Werk sind.


QuoteVater von drei Kindern #46

Einfach nur traurig ...


Quotehorstimann #54

Es ist ein tragischer Zirkus


QuoteLeserin40 #56

Wie es mit dem Zaren und er Zarenfamilie ausging, weiß man ja...


...

Link

Quote[...] Die jährliche Kür des Unwortes hat insofern eine moralische Aufladung; sie impliziert ein Urteil anhand der Unterscheidung von ,,gut" und ,,schlecht" aus einer zumeist linksliberalen Perspektive – wie die Unwörter der letzten Jahre belegen: ,,Lügenpresse", ,,Gutmensch", ,,Volksverräter".

Diese Worte stammen erkennbar aus dem Kampf-Vokabular der Rechten; sie alle haben etwas Niederträchtiges, sind aber, neutral betrachtet, hochwirksame politische Reizbegriffe.
Die ,,Alternativen Fakten" gehören nur bedingt in diese Reihe. Falls Kellyanne Conway die Formulierung spontan eingefallen ist, könnte man die Trump-Beraterin für Geistesgegenwärtigkeit oder sogar satirischen Wortwitz loben – wäre da nicht der Kontext.

Denn die von Conway verteidigte Behauptung Sean Spicers, (ehemaliger) Pressesprecher des Weißen Hauses, Trump habe bei der Amtseinführung das ,,größte Publikum" überhaupt gehabt, war schlicht faktenwidrig. Es war eine Unwahrheit, oder – wenn man Absicht unterstellt – eine Lüge, und ist als solche weltweit gerügt und lächerlich gemacht worden.
Man darf allerdings bezweifeln, ob irgendetwas gewonnen wäre, wenn Conway das Wort alias Unwort gar nicht benutzt hätte. Denn tatsächlich hatte die Formulierung entlarvenden Charakter. Sie legte frühzeitig offen, dass nicht nur Donald Trump, sondern auch sein Stab willentlich gegen Grundregeln des rationalen Diskurses und der Redlichkeit verstoßen.

Von ,,Alternativen Fakten" zu sprechen, war insofern eine vernichtende intellektuelle Selbstbezichtigung – weshalb der Begriff auch kaum Verteidiger gefunden hat. Allein die rechtspopulistischen ,,Breitbart News" bemühten sich um Rechtfertigung, indem sie ,,Alternative Fakten" als neuen Ausdruck für die je persönliche Perspektive auf ein Ereignis definieren wollten.

...



Aus: ",,Ein miserables Flötenspiel von Rattenfängern"" Arno Orzessek (16.01.2018)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/unwort-des-jahres-2017-alternative-fakten-ein-miserables-100.html

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Quote[...] Verrückt! Das ist eine naheliegende Reaktion, wenn man von der durch eine Großrazzia aufgedeckten Verschwörung der sogenannten Reichsbürger hört, die den Umsturz geplant hatten. Eine AfD-Astrologin, ein enttäuschter Prinz, ein Sänger, der auch "Pforzheimer Caruso" genannt wurde und im Schattenkabinett offenbar als Reichskulturminister vorgesehen war - all das, was nach und nach über den vereitelten Coup bekannt wird, lässt sich leicht als nicht normal einordnen.

Der Bremer Soziologe Nils C. Kumkar warnt indes davor, die Beschuldigten vorschnell zu pathologisieren. Nicht bloß, weil die Ermittlungen noch am Anfang stehen und viele Details noch nicht offenliegen. Sondern auch wegen der Gefahr der politischen Verharmlosung. Rechtsextreme, sagt Kumkar im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, seien "qua Ideologie eigentlich immer Verschwörungstheoretiker". Denn bei allen Unterschieden der kursierenden Mythen gebe es stets ein gemeinsames Motiv: "Schuldige dafür zu suchen, dass die Welt nicht so ist, wie sie eigentlich wäre, wenn sie wäre, wie sie eigentlich ist." Das heißt: Meint man zum Beispiel, dass natürlicherweise das wahre Volk, die Herrenrasse oder ein Monarch herrschen müsste, wenn alles mit rechten Dingen zuginge, dann stehen logischerweise hinter dem derzeitigen System irgendwelche bösen Kräfte, die dies verhindern.

Die Verschwörer, die die Ermittler seit der Razzia in der vergangenen Woche beschäftigen, scheinen daher die Grundüberzeugung geteilt zu haben, dass die Bundesrepublik kein rechtmäßiger Staat und gegen einen anderen zu ersetzen sei. Um aber einen gewissen Organisationsgrad zu erreichen und beispielsweise den Aufbau von Milizen zu planen, brauche es noch mehr als solche Überzeugungen, so Kumkar. Darum "sollte man die Bedeutung von Glaubensinhalten auch nicht zu hoch veranschlagen", sagt der Soziologe, der gerade ein Buch über "Alternative Fakten" veröffentlicht hat. Die einzelnen Beteiligten mögen ihr jeweiliges Weltbild aus ganz unterschiedlichen wirren Versatzstücken zusammengesetzt haben, als gemeinsamer Nenner seien letztlich ihre politischen Absichten entscheidend. Politische Mythen hätten immer auch eine taktische Funktion, so Kumkar. Mit purem Wahnsinn kriegt man ein bundesweites Geheimnetzwerk jedenfalls nicht mobilisiert.

Dennoch ist vieles an der Selbstverwalterszene mit ihren Fantasieausweisen, Kleinfürstentümern und Waffenarsenalen so abwegig, dass sich nun verschärft die Frage stellt: Wie wird man dafür anfällig? Die Sozialwissenschaft versucht, darauf Antworten zu finden, seit ein Reichsbürger im Jahr 2016 erstmals einen Polizisten erschoss.
Oft berichteten Sympathisanten der Szene "von biografischen Brüchen und gefühlten Kontrollverlusten", sagen die Soziologin Carolin Amlinger und ihr Kollege Oliver Nachtwey. Zwar wird nicht aus jedem persönlichen Problem ein versuchter Staatsstreich. Aber für jene Menschen, die die Forscher in ihrer Studie "Gekränkte Freiheit" dem Typus "regressive Rebellen" zuordnen, wird mit der Zeit tatsächlich "der Ausnahmezustand zu einem grundlegenden Muster der Realitätswahrnehmung". Wie immer die Anteile von privaten Krisen und politischer Paranoia verteilt sind - von einem gewissen Punkt an erwächst aus dem ständige Misstrauen gegen Staat und Eliten eine Obsession. Auch ein bürgerlicher Beruf schützt davor nicht unbedingt.

Wenn die Entrüstung solcher Leute über die Einwanderung, über Rundfunkbeiträge, Impfungen, Steuerpflichten und vieles mehr sie dazu bringt, in eine organisierte Parallelwelt einzusteigen, dann fällt ein Merkmal dabei oft auf: die Fixierung auf rechtliche Fragen. Nicht selten beginnt sie mit paper terrorism, also dem Zumüllen von Behörden mit endlosen Anträgen oder Beschwerden. Dabei hilft der digitale Austausch mit Gleichgesinnten.

Das Juristenpaar Sophie und Christoph Schönberger hat in seinem Sammelband "Die Reichsbürger" deren zentralen Glauben an ein alternatives Rechtssystem so beschrieben: Er sei "eine laienhafte Selbstermächtigung durch Recht, die es erlaubt, Ohnmachtserfahrungen gegenüber dem staatlichen Recht in imaginäre Macht zu verwandeln". Der Zweifel an der Legitimität der herrschenden Ordnung, und der Generalverdacht, dass alles, was die staatliche Verwaltung oder die etablierten Medien so behaupten, irgendwie nicht stimmen könne, finden ihre scheinbare Lösung in einer neuen Legitimität.
Und die speist sich aus der Vergangenheit: Beispielsweise fühlen sich die "Sovereign Citizens" in den USA, die Steuerzahlungen verweigern, durch einen vermeintlich immer noch gültigen älteren Zustand der amerikanischen Verfassung legitimiert. Ganz ähnlich funktioniert es bei den Reichsbürgern, die sich auf den angeblichen Fortbestand des Deutschen Reiches berufen.

Der Leipziger Soziologe Thomas Schmidt-Lux spricht bei den Reichsbürgern von "Räumen eigenen Rechts", die sie sich im Zuge einer "radikalisierten Nostalgie" erschließen. Dieser Übergang, einer Konversion ähnlich, sei für manche attraktiv, weil er "wieder Sicherheit, Verlässlichkeit und Orientierung verspricht". Wenn aber der Rückzug in kleine rebellische Enklaven wie etwa "autonome" Mini-Königtümer auf lange Sicht nicht genug zu bewirken vermag, dann sei es nach der inneren Logik der Bewegung leider nur folgerichtig, dass sie die angeblich richtige Ordnung letztlich mit Waffengewalt im ganzen Land durchsetzen will. Den Beteiligten an der Verschwörung kommt diese Schlussfolgerung denn auch gar nicht verrückt vor, sondern als rationales Mittel zur Erreichung ihrer Ziele.

[...]


Aus: "Der Verschwörung auf der Spur" Johan Schloemann (18. Dezember 2022)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/reichsbuerger-ideologie-motive-1.5717136

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Quote[...] Alternative Fakten und Fake News sind zwar neue Begriffe, aber als Phänomene existieren sie viel länger. Sie sind seit jeher Grundlage rassistischer und antisemitischer Verschwörungstheorien. Dass sie heute wieder Wirkungsmacht entfalten, wie etwa bei der Wahl Donald Trumps und rechtspopulistischer Parteien in Europa, mag erschrecken. Nils Kumkar will dennoch nicht von einem ,,Boom" der Alternativen Fakten sprechen. Auch wenn sie weit verbreitet sind: Geglaubt werden sie deswegen noch lange nicht.

Mit Verweis auf Theodor W. Adorno und seine Kritische Theorie erklärt Kumkar die Wirkweise Alternativer Fakten: Wer sich damals der Nazi-Propaganda angeschlossen hatte, tat dies in der Regel nicht aus Einsicht in ihren Wahrheitsgehalt, sondern aus Angst oder einem Nützlichkeitskalkül. In der Regel geht es ganz einfach nur um Konfliktverschiebung, um die Verdrängung und Verneinung des Unausweichlichen.

...


Aus: "Nils C. Kumkar – Alternative Fakten. Zur Praxis der kommunikativen Erkenntnisverweigerung" Gerhard Klas (6.3.2023)
Quelle: https://www.swr.de/swr2/literatur/nils-c-kumkar-alternative-fakten-zur-praxis-der-kommunikativen-erkenntnisverweigerung-swr2-lesenswert-kritik-2023-03-13-100.html

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Quote[...] Alternative Fakten, so Kumkars Fazit, schaffen keine Basis, aufgrund derer man sich eine Überzeugung über einen empirischen Sachverhalt bilden könnte. Ganz im Gegenteil soll eine eindeutige Überzeugungsbildung zugunsten eines unbestimmten Zweifelns unterbunden werden. Alternative Fakten haben deshalb keinen konkreten Inhalt, sondern ihr gemeinsamer Bezugspunkt ist stets dasjenige, wogegen sie sich richten: Hauptsache, gegen den «Mainstream», die «Lügenpresse», das «wissenschaftliche Establishment» oder die «Schlafschafe».

Spätestens hier entpuppt sich der Begriff eigentlich als Etikettenschwindel, denn alternative Fakten liefern keine alternativen Deutungen eines umstrittenen Sachverhalts. Ihre Funktion erschöpft sich in der Behauptung, dass etwas nicht ist. Das nimmt Kumkar als Anlass zur Entwarnung: Eine allgemein geteilte Wirklichkeit gibt es noch, allen Befürchtungen zum Trotz. Alternative Fakten seien auch gar nicht in der Lage, diese zu zerstören. Das gilt selbst für die berüchtigten «Filterblasen»: Man muss nämlich mit ausreichender Sicherheit wissen, was überhaupt der «Mainstream» über den Klimawandel oder die Pandemie weiss, um sich davon abgrenzen zu können.

Weil sich Realitäten wie die Klimakatastrophe mit einer solchen Vehemenz aufzwingen, sehen sich gewisse Akteur:innen genötigt, diese nicht bloss zu ignorieren, sondern aktiv zu verdrängen. Stets jedoch werden alternative Fakten auf jene Realität zurückgeworfen, von der sie sich abzuwenden versuchen. So gesehen, liesse sich der Rekurs auf alternative Fakten mit etwas Vorsicht auch als verzweifeltes Rückzugsgefecht deuten – das eigentlich bereits verloren ist.

Nils C. Kumkar: «Alternative Fakten. Zur Praxis der kommunikativen Erkenntnisverweigerung». Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 336 Seiten.


Aus: "Auf allen Kanälen: Das grosse Rauschen" Jonas Stähelin (Nr. 42 – 20. Oktober 2022)
Quelle: https://www.woz.ch/2242/auf-allen-kanaelen/auf-allen-kanaelen-das-grosse-rauschen/!Y99FJGGEVWRT