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[Forschender Blick nach rechts... ]

Started by Link, February 28, 2019, 10:02:08 AM

Link

#140
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"Make Germany White again": "Macht Deutschland wieder weiß" "Better dead than red", also "Besser tot als rot". "Weiß ist bunt genug" - diese Neonazi-Parolen stehen unter anderem auf den Aufklebern, die Alina J. auf ihrem privaten Instagram-Account gepostet haben soll. Das Profil kommentierte das Foto der Aufkleberstapel mit "geile Aufkleber" - kein Einzelfall.

Auch Propaganda der rechtsextremen Partei "Die Heimat" - ehemals NPD - teilte das Profil, das mutmaßlich Alina J. gehört. Dort beschrieb sie sich augenscheinlich als "assimiliert". Versehen war das Profil mit dem Neonazi-Code "1161". Die Zahlen 1 und 6 stehen dabei für den ersten und sechsten Buchstaben im Alphabet - A und F. Daraus ergibt sich AAFA, eine Abkürzung für "Anti-Antifa". Doch Alina J. ist weit mehr als eine weitere Thüringer Neonazi-Aktivistin - der Fall ist komplizierter.

Im Dezember 2023 gab die gebürtige Litauerin einem Moderator des rechtsextremen Kanals "Compact TV" ein Interview - in Trainingsjacke mit Bundesadler auf dem Rücken. Titel des Clips: "Wir sind die Höcke-Jugend". Auf die Frage, ob sie als "Ausländerin" in der "Jungen Alternativen" (JA) bestätigen könne, dass die Organisation ausländerfeindlich sei, erklärte sie, die JA und die AfD seien "nicht ausländerfeindlich, sondern heimatliebend und patriotisch". Sie selbst sei auch Ausländerin, liebe aber "das Land, die Sprache die Nationalhymne und die Fahne. Wenn man sich integriert, dann ist er willkommen, herzlich willkommen", ergänzte die junge Frau.

Im Januar hatte die antifaschistische Website "Rechercheportal Jena-SHK" Fotos von J. beim mutmaßlichen Besuch eines Rechtsrock-Konzerts sowie bei einer rechtsextremen Demonstration veröffentlicht. Bei dem Aufmarsch hielt die auf den ersten Blick völlig unscheinbar wirkende junge Frau ein Banner mit der rechtsextremen Parole "Remigration".

Trotz ihrer Integration in die rechtsextreme Szene Thüringens hielt Alina J. enge Verbindungen in die Heimat, genauer gesagt zu der Ultra-Gruppierung Pietų-IV aus dem Umfeld des Fußballvereins Zalgiris Vilnius. Derzeit spielt der Club in der höchsten litauischen Spielklasse "A lyga". Das Emblem des Vereins trägt sie als Tätowierung auf dem Unterarm. Erst im Juni postete die junge Frau ein Foto von sich im Vereinsshirt, vermummt mit einem schwarzen Totenkopfschlauchschal auf Facebook. Im Stadion hissten die Ultras im Frühjahr 2023 ein Solidaritätsbanner für das umstrittene, in Teilen rechtsextreme ukrainische Azov-Bataillon. Auf dem Logo war auch die Wolfsangel-Rune zu sehen, die unter anderem von mehreren nationalsozialistischen Organisationen genutzt wurde, etwa der Hitlerjugend.

Alina J., die nach Informationen von MDR Investigativ erst im Februar 2024 an der sogenannten "Winterakademie" des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda in Sachsen-Anhalt teilgenommen haben soll, arbeitete bis vor Kurzem als Karate-Trainerin im Kampfkunst- und Fitnessstudio "Laqua-Sports" in Erfurt. Dort war sie als Teil des Trainerteams für die Kurse mit Kindern und Jugendlichen zuständig.



Gebeten um ein Statement, antwortete Alina J. auf eine Anfrage Anfang Juli, die Mitgliedschaft in JA und AfD habe sie gerade gekündigt. Die Posts habe sie nicht selbst verfasst - ihr Account sei gehackt worden, sie habe seit einem Monat keinen Zugriff mehr darauf. Tatsächlich hatte die junge Frau noch Ende Juni Fotos von sich und ihren Eltern in Vilnius gepostet. Diesen Umstand begründet sie auf Nachfrage damit, dass sie an diesem Tag Zugriff auf ihren Account gehabt habe, vorher und nachher allerdings nicht. Tage später meldet sie sich erneut, schrieb, sie sei nicht rechtsradikal und habe einen Fehler gemacht. Ihre Accounts habe sie gelöscht.

Auf Anfrage von MDR Investigativ distanziert sich der "Laqua-Sports" Erfurt deutlich von seiner Trainerin. Man verstehe sich als ein Ort der Neutralität mit dem Fokus auf der Freude zum Sport und wertschätzender Gemeinsamkeit, antwortet der Inhaber. Von den politischen Aktivitäten der Trainerin habe man bisher nichts gewusst. Alina J. sei diesbezüglich zu keinem Zeitpunkt auffällig gewesen. "Das nun bekannt gewordene Ausmaß der Aktivitäten ist für uns als Sportstätte untragbar. (...) Mit der sofortigen Kündigung und dem erteilten Hausverbot für Alina J. setzen wir ein klares Zeichen, uns von einem solchen Verhalten zu distanzieren."

Dürfen Rechtsextreme Kinder in Sportvereinen trainieren? Ist die Mitgliedschaft in der "Jungen Alternative" Privatsache? Der Landesssportbund Thüringen (LSB) antwortete auf Anfrage von MDR Investigativ, "Laqua-Sports" sei kein eingetragener Verein und damit auch kein LSB-Mitglied, deshalb könne man in diesem Fall auch nicht aktiv eingreifen. Für den Landessportbund stelle sich die grundsätzliche Frage nach Fällen mit der "Jungen Alternative" nicht. Der LSB sei parteipolitisch neutral, eine Mitgliedschaft in einer Partei oder deren Jungendorganisation allein sei nicht das Kriterium, solange sie nicht verboten sei. Entscheidend sei, wie eine Person aus dem organisierten Sport durch Taten oder Äußerungen auffalle. Im Umgang mit Rechtsextremismus habe der LSB einen Handlungsleitfaden erarbeitet und unterstütze betroffene Verein.

Alina J. ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass sich ein Migrationshintergrund und rechtsextremes Gedankengut keineswegs ausschließen. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass sich Rechtsextreme, auch durch die radikalisierte JA, mittlerweile vielen Bereichen der Gesellschaft finden, ohne aufzufallen. Für Felix Steiner von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) ist das auch Teil einer größeren Strategie. "Björn Höcke hat schon vor Jahren das strategische Ziel formuliert: Es geht um die Prägung des Zeitgeistes als Vorbedingung der politischen Machtergreifung", so Steiner.

Man wolle quasi die ideologische Hoheit erringen, dabei spiele die Junge Alternative eine zentrale Rolle. "Sie soll mit ihrem bürgerlichen Auftreten vor allem in den Sozialen Netzwerken die Jugend zur AfD ziehen oder mit Demonstrationen anlocken. Daneben werden Wanderungen durchgeführt oder Vortragsabende organisiert." Außerdem würden viele JA-Aktivisten in die Strukturen der Mutterpartei eingebunden, um so einen Nachwuchs auf Linie heranzuziehen. Ein solches Beispiel dafür ist der Fall Alexander Töpfer.



"Alexander Töpfer - Schüler - geb. 2001" hieß es unter dem Foto des unscheinbaren jungen Mannes im Anzug auf Listenplatz 15 auf der Internetseite der Erfurter AfD zur Kommunalwahl im Mai 2024. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte dort noch "Soldat" statt "Schüler" gestanden - denn Töpfers freiwilliger Wehrdienst hätte erst am 31. August 2024 geendet. Doch den Vorgesetzten des ehemaligen Hauptgefreiten fiel schon wenige Wochen nach dessen Eintritt in die Truppe im Oktober 2022 Töpfers politische Betätigung auf.

Der junge Soldat des Logistikkommandos Erfurt war demnach ab Ende November 2022 aktives Mitglied im Vorstand der Jungen Alternative Thüringen, hatte an JA-Stammtischen und Demonstrationen teilgenommen und war Mitglied in der AfD. Deren Thüringer Landesverband wird vom Amt für Verfassungsschutz mittlerweile als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. Die AfD-Jugendorganisation galt zu diesem Zeitpunkt als Verdachtsfall.

Die Vorgesetzten des heute 23-Jährigen stellten nach Recherchen von MDR Investigativ zu Jahresbeginn 2023 einen Antrag auf Entlassung wegen einer möglichen "Gefährdung der militärischen Ordnung/Sicherheit der Truppe". Auf Basis von Erkenntnissen des Militärischen Abschirmdienstes habe der hinreichende Verdacht einer Dienstpflichtverletzung nach Paragraf 8 Soldatengesetz "Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung" bestanden. Kurzum: Die Vorgesetzten hatten Zweifel, dass Töpfer hinter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Nach mehreren Anhörungen und Vernehmungen wurde Töpfer nach Informationen von MDR Investigativ Anfang März 2023 fristlos aus dem Wehrdienst entlassen.

Der Vorsitzende der AfD-Stadtratsfraktion Erfurt, Stephan Möller, teilte auf MDR Investigativ-Anfrage Ende Mai mit, man schätze den Kandidaten. Mit Blick auf die Entlassung durch die Bundeswehr sagte Möller - neben Björn Höcke auch einer der beiden Landessprecher der AfD in Thüringen: Wer aus "amtlicher Funktion heraus die berufliche Existenzvernichtung gegen Menschen wie Alexander Töpfer betreibt, die sich in einer regierungskritischen Partei oder Jugendorganisation friedlich engagieren, greift selbst verfassungsfeindlich in den Kernbereich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein."

Die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) sagte dem MDR, Verfassungsfeinde hätten im öffentlichen Dienst nichts verloren, insbesondere nicht in der Bundeswehr, in der Eingriffsverwaltung oder als Lehrkräfte an Schulen. "Einfallstore für Bestrebungen gegen die Verfassung, die sie tragenden Grundwerte oder für Obstruktionen gilt es, wo immer möglich zu schließen. Das Vorgehen der Bundeswehr war daher absolut folgerichtig. Aus der Einstufung der AfD Thüringen als erwiesen rechtsextrem müssen jetzt Konsequenzen für den Landesdienst folgen." Mittlerweile sitzt Töpfer, den die Bundeswehr wegen seiner Aktivitäten in der rechtsextremen AfD und ihrer Jugendorganisation so als Gefahr für die Truppe einschätzte, dass man ihn fristlos entließ, im Erfurter Stadtrat und darf über die Geschicke der Stadt mitentscheiden.



Was unterscheidet die JA von anderen rechtsextremen Jugendorganisationen? Über welche Aktionsmöglichkeiten und Ressourcen verfügt die Parteijugend im Gegensatz zu anderen rechtsextremen Gruppen? Ist sie anschlussfähiger für die gesellschaftliche Mitte als vorherige rechtsextreme Akteure und wenn ja, wie groß ist die Gefahr, die von ihren Mitgliedern in Bereichen wie Uni, Schule und Sportverein ausgeht? Das hat MDR Investigativ beim Amt für Verfassungsschutz in Thüringen angefragt. Doch die Behörde lässt die Fragen unbeantwortet und verweist lediglich auf den Verfassungsschutzbericht 2022 und die eigene Pressemitteilung aus dem Mai 2024, in der die Einstufung der "Jungen Alternative" als rechtsextrem begründet wird.

Von Mobit heißt es, Akteure der JA seien in Thüringen vor allen Dingen auf Tiktok und Instagram aktiv. Die Inszenierung sei recht schlicht und ziele auf eine Normalisierung extrem rechter Positionen ab. "Das harmlos inszenierte Bild voller Weichzeichner und Filter birgt die Gefahr, dass junge Menschen über die JA und ihre Online-Propaganda in die extrem rechte Szene geraten. Und damit schlussendlich in die Netzwerke der AfD, die sich in Thüringen zwischen Neonazis, "Neuer Rechte" und "Reichsbürgern" bewegen", sagte ein Mobit-Sprecher MDR Investigativ auf Anfrage.

Die JA trete dabei deutlich weniger radikal nach außen auf als die Jugendorganisationen der neonazistischen Parteien. "Die Inhalte sind dabei aber nicht weniger radikal. Auch hier wurde in den letzten Monaten der Begriff "Remigration" popularisiert, dem in seiner extrem rechten Deutung schlussendlich ein völkisches Weltbild zugrunde liegt und der im Kern auf die Deportation von Tausenden von Menschen abzielt", so der Mobit-Sprecher.


Aus: "AfD-Jugend "Junge Alternative": Bürgerlich auftreten, rechtsextreme Ideologie verbreiten"
Johanna Hemkentokrax, MDR THÜRINGEN (16. Juli 2024)
Quelle: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/afd-ja-junge-alternative-rechtsextremismus-102.html

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Quote[...] Berlin – Bei Razzien gegen die rechtsextreme Partei Dritter Weg sind in Berlin, Brandenburg und Sachsen neun mutmaßliche Gewalttäter festgenommen worden. Die Verdächtigen im Alter von 17 bis 21 Jahren sollen der "Nationalrevolutionären Jugend (NRJ)" angehören, der Jugendorganisation des Dritten Wegs. Sie sollen an brutalen Angriffen auf politische Gegner im Jänner und Juli beteiligt gewesen sein, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag in Berlin mitteilten.

Die Kleinstpartei Dritter Weg ist nach Einschätzung des Berliner Verfassungsschutzes in der Hauptstadt "die aktivste Gruppierung innerhalb des traditionellen Rechtsextremismus". Sie vertrete offen neonazistische und migrationsfeindliche Positionen und sei Auffangbecken für "aktionsorientierte Rechtsextremisten", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2023 weiter. Die seit 2021 aktive NRJ organisiere "öffentlichkeitswirksame Aktionen", unter anderem gegen Geflüchtete.

Den jetzt festgenommenen Verdächtigen werden konkret zwei Taten vorgeworfen. Zum einen geht es um einen Angriff am 6. Juli am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz. Zehn bis 15 vermummte Männer, teilweise mit Schlagringen und Schlagstöcken bewaffnet, sollen dabei fünf Personen im Alter von 15, 32 und 39 Jahren attackiert haben. Ferner werde den Verdächtigen die Beteiligung an einem Raub im Jänner vorgeworfen.

Bei den Razzien am Donnerstag mit 130 Beamten seien zehn Objekte durchsucht worden, teilten die Behörden mit. Es seien mobile Endgeräte, digitale Speichermedien, Kleidung, ein Fahrzeug sowie gefährliche Gegenstände wie Schreckschusswaffen, Schlagwerkzeuge, Handschuhe und Elektroschocker sichergestellt worden. Auch Propagandamaterial sei gefunden worden.

Haftbefehle sollen jedoch nicht beantragt werden, wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft auf Anfrage sagte. Vielmehr würden die Tatverdächtigen nach Abschluss der Polizeimaßnahmen entlassen. Die Ermittlungen führt der polizeiliche Staatsschutz, der für politische Taten zuständig ist. (APA, 18.7.2024)


Aus: "Neun Verdächtige nach Razzia gegen Neonazi-Partei festgenommen" (18. Juli 2024)
Quelle: https://www.derstandard.de/story/3000000228995/razzia-gegen-neonazi-partei-neun-verd228chtige-festgenommen

QuoteSoko LinX - kernpanik

Während man in Sachsen mutmaßliche Linksextreme wie Lina E., gegen die man trotz eigens eingerichteter Sonderkommission bis heute keinerlei handfeste Beweise vorlegen konnte, mit dem Helikopter zum Bundesgerichtshof flog und anschließend ohne Verurteilung drei Jahre in U-Haft steckte, werden gewalttätige Rechtsextreme, bei denen man schon bei der ersten Durchsuchung zahlreiche Waffen und Propagandamaterial fand, nach Aufnahme der Personalien wieder in die Freiheit entlassen. ...


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QuoteBERLIN (AFP) | Die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten ist auch im ersten Halbjahr 2024 stark angestiegen. Wie die ,,Frankfurter Rundschau" nach Angaben vom Mittwoch berichtete, registrierten die Behörden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 9.802 Taten. Verglichen mit dem ersten Halbjahr 2023 ist das ein Anstieg von knapp 3.000 Fällen. Bereits damals wurde den Angaben zufolge ein Höchststand erreicht.

Die Zahlen gehen dem Bericht zufolge aus der Antwort des Innenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Pau hervor. ,,Wir wissen, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher ist", sagte Pau der ,,Frankfurter Rundschau". Sie beklagte ,,zunehmende Hetze und Menschenfeindlichkeit auf Social Media, aber auch in den Parlamenten". Diese übertrage sich auf die Straße. ,,Die AfD und ihre neurechte Ideologie dienen als Motor rechter Gewalt", so Pau.

Die Zahl der Gewaltdelikte blieb dem Bericht zufolge auf dem gleichen hohen Niveau wie 2023. Sie summierten sich im ersten Halbjahr 2024 auf 318 Taten – exakt dieselbe Zahl wie im ersten Halbjahr 2023. Verletzt wurden dabei 166 Menschen – auch dies entsprach der Zahl aus dem Vorjahreszeitraum.

Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im vergangenen Jahr 60.028 politisch motivierte Straftaten registriert. Damit wurde ein Höchststand verzeichnet. Knapp die Hälfte davon – 28.945 – wurden dem Bereich Rechtsextremismus zugeordnet. Hier registrierten die Behörden einen Anstieg von 23,21 Prozent. Bei linksextremistisch motivierten Straftaten verzeichnete die Polizei eine Zunahme um 11,48 Prozent auf 7777 Delikte.


Aus: "Mehr rechtsextreme Straftaten" (22.8.2024)
Quelle: https://taz.de/Rechte-Gewalt/!6031827/

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#141
"Razzia bei Rechtsextremisten: Innenministerium verbietet Elsässers Compact-Magazin" Alexander Fröhlich (16.07.2024)
Polizeieinsatz im brandenburgischen Falkensee und an anderen Orten: Das Bundesinnenministerium verbietet das Medienunternehmen des Rechtsextremisten Jürgen Elsässer. ... Das Magazin richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, heißt es in der Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums. Das Verbot untersage jede Fortführung der bisherigen Tätigkeiten, Verstöße dagegen sind Straftaten. ...
https://www.tagesspiegel.de/berlin/razzia-bei-rechtsextremisten-innenministerium-verbietet-elsassers-compact-magazin-12029774.html

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Quote[...] Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat das vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte ,,Compact"-Magazin sowie die Conspect Film GmbH verboten.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums durchsuchen Einsatzkräfte seit den frühen Morgenstunden Räumlichkeiten der Organisation sowie Wohnungen führender Akteure, der Geschäftsführung und von Anteilseignern in Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Auch Räume der ,,Compact"-Magazin GmbH in Falkensee bei Berlin werden durchsucht. Mit dem Verbot wird jede Fortführung der bisherigen Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Organisationen untersagt. Verstöße dagegen seien Straftaten, teilt das Bundesinnenministerium am Dienstagmorgen mit.

Über das ,,Compact"-Magazin sagt Faeser: ,,Es ist ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene. Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie." Das Verbot sei ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene.

Das Ministerium würde damit gegen die geistigen Brandstifter vorgehen, die ,,ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen", führt Faeser fort. ,,Unser Signal ist ganz klar: Wir lassen nicht zu, dass ethnisch definiert wird, wer zu Deutschland gehört und wer nicht."

Die ,,Compact"-Magazin GmbH wird von dem Rechtsextremisten Jürgen Elsässer geleitet. Sie wurde bereits 2021 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert extremistisch, völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich eingestuft. Das monatlich erscheinende Magazin hat laut Bundesinnenministerium eine Auflage von 40.000 Exemplaren. In dem aktuellen Jahresbericht des Verfassungsschutzes wird Elsässer wie folgt zitiert: ,,Wir wollen dieses Regime stürzen."

Teil der Organisation ist auch der Videokanal ,,Compact-TV" auf Youtube. Er hat 345.000 Abonnenten. In der Mitteilung des Bundesinnenministeriums heißt es, es sei zu befürchten, dass Rezipienten der Medienprodukte ,,zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert werden". Conspect Film gehört ebenfalls zu dem ,,Compact"-Medienunternehmen und wird von Elsässers Ehefrau Stephanie Elsässer betrieben.

Das Ministerium begründet das Verbot der ,,Compact"-Magazin GmbH mit antisemitischen, rassistischen, minderheitenfeindlichen, geschichtsrevisionistischen und verschwörungstheoretischen Inhalten. Die Publikationen würden zudem ,,offensiv den Sturz der politischen Ordnung propagieren". Die Organisation sei außerdem ein zentraler Akteur bei der Vernetzung der ,,Neuen Rechten". Sie habe etwa enge Verbindungen zur rechtsextremistischen ,,Identitären Bewegung", so das Bundesinnenministerium in der Mitteilung von Dienstag.

Demzufolge unterhalte die Organisation auch enge Kontakte zum ,,rechtsextremistischen Parteienspektrum". Laut dem Verfassungsschutz gibt es Verbindungen zwischen Jürgen Elsässer und dem völkischen Flügel der AfD und der rechtsextremen Partei ,,Freie Sachsen". Für ein ,,Compact"-Sommerfest Ende Juli wurden der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner und der AfD-Spitzenkandidat bei der Europawahl Maximilian Krah als Gäste angekündigt.

Die AfD Brandenburg reagierte am Dienstag bereits auf das Verbot des Magazins. ,,Nachdem die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auch viele private Medien mit Geld und Druck auf Linie gebracht hat, sind nun die oppositionellen Medien dran. Das sind Methoden wie in einem autoritären Polizeistaat", teilte der Landesverband mit. Faeser lasse pünktlich zum Beginn des Wahlkampfes in drei ostdeutschen Ländern ,,das für die Regierenden unbequeme Compact-Magazin" verbieten. ,,Die AfD-Brandenburg steht weiter solidarisch zu Compact."


Aus: "Razzien nach Verbot von rechtsextremem ,,Compact"-Magazin" (16.07.2024)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/compact-magazin-nancy-faeser-verbietet-rechtsextreme-publikation-19858898.html

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Quote[...] Das Verbot richtet sich gegen die Compact-Magazin GmbH, die das Magazin veröffentlicht, sowie die mit ihr verbundenen Unternehmungen. Davon sind nicht nur das gedruckte Heft, sondern auch alle Websites und Social-Media-Kanäle, etwa auf YouTube, Telegram, WhatsApp, dem russischen VKontakte und Facebook betroffen.

Mit dem Vereinigungsverbot wird auch das Vermögen von Compact eingezogen. In Zukunft dürfen das Logo und der Name des Magazins nicht mehr öffentlich verwendet werden. Auch der Verkauf von Merchandiseartikeln wie Fahnen und Warnwesten sowie Compact-Veranstaltungen sind betroffen. Das Unternehmen kann sich juristisch gegen dieses Verbot wehren. Verleger Jürgen Elsässer war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

[...] Prägend für Compact war eine boulevardeske Aufmachung mit knalligen Covern. Das Medium setzte antiamerikanische Slogans und antisemitische Chiffren ein oder wärmte Verschwörungsideologien auf, etwa zum vermeintlichen Einfluss Satans in der Musikindustrie. Außenpolitisch positionierte sich das Magazin aufseiten Russlands. "Ich bin kein Putinversteher – ich bin ein Putinunterstützer!", sagte Elsässer im Frühjahr während einer Veranstaltung. Vor einigen Tagen lud die Redaktion auf YouTube ein kremlfreundliches "Exklusiv"-Interview mit der Sprecherin des russischen Außenministeriums hoch, in dem der Compact-Korrespondent bekundete, die deutsche Regierung führe "faktisch Krieg gegen Russland". Auch die vermutlich vorerst letzte Ausgabe des Magazins las sich wie ein Werbeheft für die Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats und für autoritäre Regime. Man werbe nicht für eine "bestimmte Partei", war im Juli-Heft zu lesen, "sondern für eine grundsätzliche politische Wende".

Seit 2010, als die erste Magazinausgabe erschienen war, hatte Elsässer rund um die Zeitschrift eine Community aufgebaut, die sich nicht nur digital, sondern auch im realen Leben vernetzte. Förderer konnten für 500 Euro im Jahr "goldenes Clubmitglied" werden und an Veranstaltungen und Konferenzen teilnehmen. Elsässers Team organisierte Tagungen und Feste. Der YouTube-Kanal hatte zuletzt rund 345.000 Abonnenten, die Printauflage des Magazins lag nach Verlagsangaben bei ungefähr 40.000 Exemplaren. 

Der Verfassungsschutz Brandenburg warnte in seinem aktuellen Jahresbericht, das Magazin könne "zu gesellschaftlichen Verwerfungen und zur politischen Destabilisierung in Deutschland" beitragen. Die Behörde forderte unmissverständlich: Die Reichweite von Compact müsse weiter minimiert werden.

Seit Compact vor 14 Jahren als "Querfront"-Projekt gegründet wurde, ist es zu einem zentralen Scharnier zwischen dem völkischen Rechtsaußen-Flügel der AfD und dem politischen Vorfeld avanciert. Jürgen Elsässer schaffte es, rechtsextreme Aktivisten aus der NPD (heute: Die Heimat) und der Identitären Bewegung wie Mario Müller, Paul Klemm oder Martin Sellner als Redakteure und Autoren an sein Blatt zu binden. Aber auch AfD-Politiker schrieben für sein Heft. Elsässer selbst war nicht nur Redner auf AfD-Kundgebungen und bei rechtsextremen Demonstrationen, sondern auch Gast auf dem Szeneanwesen Villa Adlon in Potsdam, auf dem sich Vertreter von AfD, CDU und extrem rechte Aktivisten trafen, um Geldgeber für die rechte Szene zu finden.

Zudem wechselten Redakteure des Magazins als Mitarbeiter zur AfD in den Bundestag. Im vergangenen Jahr trat das Magazin als Kooperationspartner eines Rechtsrockkonzerts der Jungen Alternative in Brandenburg auf. Ende Juli sollten der Rechtsextremist Martin Sellner und der in der AfD in Ungnade gefallene Europaabgeordnete Maximilian Krah auf dem Compact-Sommerfest auftreten, bis zu 50 Euro hätte ein Ticket dafür gekostet. Das Sommerfest kann nun wohl nicht mehr stattfinden.

[...] Jürgen Elsässer hat im Laufe seiner politischen Karriere seit den Achtzigerjahren einen weiten Weg genommen. Zunächst engagierte sich der Berufsschullehrer aus Pforzheim bei den Grünen und beim Kommunistischen Bund. Elsässer habe damals Streit innerhalb der Linken gesucht, erinnerten sich Weggefährten, er habe schon als junger Mann eine Massenbewegung schaffen, eine Revolution beginnen wollen. Mit der Wiedervereinigung wurde er zum Mitbegründer der antideutschen Strömung innerhalb der radikalen Linken, sie richtete sich gegen den neu erwachten deutschen Nationalstolz. Anfang der Neunziger zog Elsässer nach Berlin und startete seinen Marsch durch die Redaktionen: Meist kürzer als länger arbeitete er für linke Blätter wie junge Welt, Jungle World, konkret, Freitag und Neues Deutschland.

Spätestens 2010 wurde der Kommunist Elsässer zum Kapitalisten: Zusammen mit dem Verleger Kai Homilius gründete er das Compact-Magazin. Mittlerweile ist Elsässer Gesellschafter der Compact-Magazin GmbH, die die Zeitschrift herausgibt, und der Conspect Film GmbH, die für die Videoformate verantwortlich zeichnet. Elsässer, der Mails auch mal mit einem Che-Guevara-Zitat beendet, hat sich über die Jahre unterschiedliche Finanzquellen erschlossen. Neben Anzeigen und Werbespots betreibt er einen "Compact Shop". Dort gibt es DVDs der Konferenzen zu kaufen, aber auch "Höcke-Taler" aus Silber für 74,95 Euro.

Der Aufstieg des Magazins war aber nicht allein Elsässers Werk. Schon vor mehr als zehn Jahren hatten stille Gesellschafter als Starthilfe mehr als 100.000 Euro in das Magazin investiert. Einer davon war der Rechtsextremist und Bauunternehmer Hans-Ulrich Kopp aus Stuttgart. Er war 2012 als stiller Teilhaber in das Unternehmen eingestiegen. Mittlerweile ist er mit einer fünfstelligen Anlagesumme an der Conspect Film GmbH beteiligt, das bestätigte Kopp ZEIT ONLINE. Vor fünf Jahren machte die Compact-Magazin GmbH erstmals Gewinn, laut Handelsregister verdiente die Firma seitdem mehrere Hunderttausende Euro pro Jahr.

Es passiert nicht oft, dass der Staat eine Zeitung oder Zeitschrift verbietet. Denn das Grundgesetz garantiert die Pressefreiheit. Ein Vereinsverbot diente dem Innenministerium schon früher als eine Art Hintertür. Im Januar 2016 wurde auf diese Weise die Neonazi-Website Altermedia vom Netz genommen. Im August 2017 traf es die linksradikale Website linksunten.indymedia. Im Februar 2019 verbot das Bundesinnenministerium so einen Verlag und eine Musikproduktionsfirma, die der bereits verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zugerechnet wurden. Auch dieser Verlag war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung – so wie jetzt die Compact-Magazin GmbH.


Aus: "Verbot durch Bundesinnenministerium: Redaktionsschluss für Compact"
Christian Fuchs, Astrid Geisler, Christina Schmidt, Holger Stark, Martín Steinhagen und Fritz Zimmermann (16. Juli 2024)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-07/compact-magazin-verbot-juergen-elsaesser-durchsuchungen

QuoteZakath87

"Jürgen Elsässer hat im Laufe seiner politischen Karriere seit den Achtzigerjahren einen weiten Weg genommen. Zunächst engagierte sich der Berufsschullehrer aus Pforzheim bei den Grünen und beim Kommunistischen Bund. Elsässer habe damals Streit innerhalb der Linken gesucht, erinnerten sich Weggefährten, er habe schon als junger Mann eine Massenbewegung schaffen, eine Revolution beginnen wollen. Mit der Wiedervereinigung wurde er zum Mitbegründer der antideutschen Strömung innerhalb der radikalen Linken, sie richtete sich gegen den neu erwachten deutschen Nationalstolz."

So weit ist der Weg gar nicht, wenn man über die Lücke im Hufeisen hüpft...


QuoteGarfield & Garfunkel

Und wenn jetzt wieder einer "Meinungs- und Pressefreiheit!" ruft: Niemand hat das Recht, Hetze und Lügen zu verbreiten und unsere Demokratie zu untergraben.

Propaganda ist keine Meinung, sie ist Gift für die wirkliche Freiheit. ...


QuoteWeltuntergang die 150.

Entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Redaktion/tba


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"Rechtsextremes Magazin von Elsässer: Compact wird verboten" Konrad Litschko (16.7.2024)
Seit Jahren verbreitet das Compact Magazin rechtsextreme Verschwörungsmythen und Russland-Propaganda. Nun wird es verboten. ...
https://taz.de/Rechtsextremes-Magazin-von-Elsaesser/!6023528/

QuoteO.F.

Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Compact war zweifellos ein ekelhaftes Blatt, hat sich aber in einem strafrechtlich nicht relevanten Rahmen bewegt. Ein Verbot – auf Zuruf des Verfassungsschutzes (zu dem Linke ja aus guten Gründen ein eher distanziertes Verhältnis haben) – auf dem Umweg über das Vereinsrecht ist jedenfalls höchst problematisch und gibt dem Innenministerium (nota bene: dem Ministerium, nicht den Gerichten!) eine bedenkliche Machtfülle in dem für eine funktionierende Demokratie essentiellen Bereich der Pressefreiheit. Es gab vor noch nicht langer Zeit in linken und liberalen Kreisen den guten Grundsatz, dass man Demokratie nicht verteidigt, indem man Grundrechte schleift. ...


QuoteJanix

Ich bin eigentlich ausdrücklich für Meinungsvielfalt, selbst für leicht Verwirrte. ... Meine anekdotische Wahrnehmung ist allerdings hier, dass sich jemand von Putin-Russland komplett hat verdrehen lassen und eigentlich gar nicht mehr ernstzunehmen war, doch leider dank der massiven Gelder Schaden anrichtete.


Quotewintermute

Der Schritt ist gerechtfertigt und überfällig. Zu den Gründen hat der Autor das Wesentliche zusammengetragen.

Aber einigermaßen lächerlich nutet der Vorwurf an, Elsässer schrecke "auch vor Demonstrations- und Widerstandsaufrufen nicht zurück." Ist das ernst gemeint? An anderer Stelle wird in der taz auch noch die brutalste Pro Hamas-Demo mit der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt.


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QuoteExilholsteiner

16.07.2024 13:01

Gemischte Gefühle

Auf der einen Seite weine ich den Elsässer-Medien keine Träne nach. Es mag ja sein, dass man mit diesem Verbot das wirre Gedankengut von Elsässers Anhängern nicht aus deren Köpfen bekommt. Aber wenigstens erschwert man Elsässer und Konsorten, ihr Gedankengut weiter zu verbreiten und neue Opfer zu finden.

Auf der anderen Seite bin ich strikt dagegen, so etwas über das Vereinsrecht zu lösen. Der Fall linksunten.indimedia zeigt, dass so etwas nicht nur gegen rechts benutzt werden kann, um missliebige Meinungen mit autoritären Mitteln zu unterdrücken. Die Autoren des Grundgesetzes haben dem Bund bewusst keine Kompetenz im Presserecht gegeben, um zu verhindern, dass eine autoritäre Zentralregierung die Opposition zum Schweigen bringt. Solche "Vereinsverbote" sind der bewusste Versuch, diese wichtige Grundentscheidung des Verfassungsgebers zu umgehen. Wenn die Gerichte das nicht korrigieren, könnte ein hypothetischer AfD-Innenminister in einer Horrorzukunft mit ein paar Federstrichen jegliche Opposition zum Schweigen bringen.

Das Bundesinnenministerium sollte deshalb überhaupt kein Recht haben, gegen Medien vorzugehen, insbesondere nicht nach dem Vereinsrecht.


https://www.heise.de/forum/heise-online/Kommentare/Nach-Verbot-durch-Innenministerin-Magazin-Compact-nicht-mehr-online/Gemischte-Gefuehle/posting-44208782/show/

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"Reaktionen auf Compact-Verbot: AfD fühlt sich direkt betroffen" Gareth Joswig (16.7.2024)
Während die Linke weitere Aufklärung über die Finanzierung von Compact fordert, entdeckt die extrem rechte AfD auf einmal die Pressefreiheit für sich. ... Dass die AfD, die gerne Journalist*innen von Parteitagen oder Pressegesprächen ausschließt, sich einmal vorgeblich für die Pressefreiheit stark macht, kommt erst mal überraschend. Auf ihren Demos wird ,,Lügenpresse" geschrien, Medienvertreter*innen werden dort regelmäßig angegriffen und bedroht. In der Regel feindet die extrem rechten Partei die Medienlandschaft an, vorzugsweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder fordert den Bundestag auf, einzelne Beiträge von Journalisten zu verurteilen.
Mehrfach hat sie auch schon den Umbau der Medienlandschaft im Falle einer Machtübernahme angekündigt, Höcke will als Ministerpräsident direkt den Medienstaatsvertrag kündigen. Zuletzt kündigte der Bundestagsabgeordnete Martin Hess (AfD) auch im Bundestag an, in Regierungsverantwortung direkt die ,,linksextremistische Plattform indymedia.org" abschalten zu wollen. ,,Wir werden eine klare Null-Toleranz-Strategie mit maximaler Robustheit umsetzen", so Hess.
Doch nachdem das rechtsextreme Medienunternehmen Compact am Dienstag verboten wurde, spielt sich die Partei plötzlich zum Retter der Pressefreiheit auf. Alice Weidel und Tino Chrupalla sprachen am Dienstag von einem ,,schweren Schlag gegen die Pressefreiheit". ...
https://taz.de/Reaktionen-auf-Compact-Verbot/!6024362/

https://taz.de/AfD-Antrag-zu-Deniz-Yuecel/!5486949/

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Quote[...] Bei Diskussionen um das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins hilft ein Blick in die Verbotsverfügung des Innenministeriums. Der taz liegt sie vor. Inhaltswarnung: Zur Dokumentation enthält dieser Text ausführliche Zitate, die Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze belegen. ... Mit 59 Seiten den längsten Teil der Verbotsverfügung nehmen Ausführungen ein, die den völkischen Rassismus, Antisemitismus sowie die rechtsextreme Vernetzung von Compact belegen. Es geht um Zitate zu ,,Remigrations"-Plänen, zu Hass auf Jüdinnen und Juden, auf Araber, Muslim*innen und Migrant*innen.
Eine zentrale Forderung von Compact sei demnach laut Verbotsverfügung ,,der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand". Das BMI sieht einen völkischen Rassismus, und zitiert dazu Aussagen aus verschiedenen Ausgaben. Darin ist etwa von ,,fremdländischen Passdeutschen" die Rede, davon, dass ,,richtige Deutsche" nur sogenannte ,,Bio- Deutsche" seien oder dass es keine Frage der Staatsangehörigkeit sei, ob jemand Deutscher ist oder nicht: ,,Der Staat schafft nicht das Volk, er findet es bei seiner Entstehung vor und setzt seine Existenz als soziologische, nicht rechtliche Gegebenheit voraus", heißt es demnach bei Compact.
Ein Zitat aus einer anderer Stelle eines Compact-Heftes lautet: ,,Der Begriff Volk bewahrt den ethnischen Kern unserer Gemeinschaft". Das wird von Compact weiter ausgeführt: ,,Ausländer, Fremde: Dient der klaren Unterscheidung zwischen Menschen, die dieses Land mit aufgebaut und hier Wurzeln geschlagen haben, und bloßen Zugewanderten und Passdeutschen."

Der Rassismus paart sich bei Compact dabei mit antisemitischen Verschwörungsideologien wie dem ,,Großen Austausch", der hinter Migrationsbewegungen einen vermeintlich zerstörerischen Plan finsterer Geheimmächte fantasiert.


Aus: "Verbotsverfügung gegen ,,Compact-Magazin": Hass-Belege auf über 50 Seiten"
Christian Rath, Jean-Philipp Baeck (19.7.2024)
https://taz.de/Verbotsverfuegung-gegen-Compact-Magazin/!6024670/

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Das Compact-Magazin darf vorerst weiter erscheinen, entschied das BVerwG. Nun liegt die Beschlussbegründung vor. Dass Compact eine verfassungsfeindliche Ideologie vertritt, ist demnach klar. Doch retten die "unbedenklichen Inhalte" Compact?

Vor einer Woche hatte das Gericht den Plan von Bundesinnenministerin Nancy Faeser durchkreuzt, das rechtsextreme Compact-Magazin sofort zu verbieten. Bundesgerichte können ihren Entscheidungen Leitsätze voranstellen, in denen die zentralen rechtlichen Aussagen eines Urteils oder Beschlusses zusammengefasst werden. Da wäre es naheliegend gewesen, einen Leitsatz zu wählen, der den Grund für die Erfolglosigkeit des Sofortvollzugs des Verbots widerspiegelt. Doch der 6. Senat des BVerwG formulierte einen Leitsatz, der sich so liest, als habe das Bundesinnenministerium (BMI) gewonnen: "Ein Vereinsverbot (...) kann als Instrument des 'präventiven Verfassungsschutzes' auch gegenüber (...) Medienorganisationen erlassen werden."

Abgesehen davon, dass diese Frage nach Auffassung des Gerichts bereits höchstrichterlich geklärt ist, scheint dieser Leitsatz nicht den Aussagekern der Entscheidung wiederzugeben. Gibt der 6. Senat mit dem Leitsatz einen Hinweis darauf, dass das BMI im Hauptsacheverfahren noch gute Erfolgsaussichten hat. Dafür spricht nicht nur der Leitsatz selbst; auch die nähere Begründung des Beschlusses. Das Verbot scheitert bislang nämlich nur an einer Voraussetzung – und das BMI darf weitere Argumente sammeln. Aber der Reihe nach:

Viele Anhaltspunkte für Verletzung der Menschenwürde

Das Gericht bejaht zunächst die Vereinseigenschaft von Compact und die umstrittene grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung des Vereinsrechts auch zum Verbot von Medienorganisationen. Dann prüft es den eigentlichen Verbotsgrund nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Vereinsgesetz (VereinsG) i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 Grundgesetz (GG): dass sich das Magazin gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet.

BVerwG bestätigt die vom BMI angebrachten Anhaltspunkte für eine Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung durch Compact-Veröffentlichungen, vor allem für eine die Menschenwürde verletzende, demütigende Ungleichbehandlung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund.

In den Publikationen von "Compact" scheine ein an einer ethnischen "Volksgemeinschaft" orientiertes völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept auf. Dies zeige sich daran, dass von "ethnisch Fremden" die Rede sei, die als "Pass-Deutsche" bezeichnet werden. Diesen werde im Unterschied zu "Bio-Deutschen" bzw. "richtigen Deutschen" abgesprochen, vollwertige Teile des deutschen Volkes zu sein. Somit werde die Zugehörigkeit zum deutschen Volk nach ethnischen Kriterien bewertet. Dies sei mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen. Denn dieses kenne keinen an ethnischen Kategorien orientierten Volksbegriff, sondern stellt allein auf die Staatsangehörigkeit ab.

Deutschen mit Migrationshintergrund werde etwa in Videobeiträgen des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner auf den Internetseiten von Compact nur ein rechtlich abgewerteter Status zugebilligt. Nach der von Sellner vorgestellten "Politik der Deislamisierung" würden fremde Kulturen im öffentlichen Raum, fremde Speisenangebote, fremde Feiertage, fremde Sprachen sowie fremde Flaggen verboten und den "Fremden" auch untersagt, sich politisch im Land zu betätigen oder zu demonstrieren. "Im Grunde soll jegliches Fremdsein unterdrückt und verwehrt werden", resümiert das BVerwG. Ein derartiger Anpassungsdruck mit dem Ziel der "Remigration" als "freiwilliger Heimkehr" bedeute nicht nur eine "demütigende Ungleichbehandlung", sondern auch eine "Rechtsverweigerung für einen Teil der deutschen Staatsangehörigen". Diesem Teil der Bevölkerung seien anknüpfend an ihre Herkunft oder "Rasse" Rechte wie Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit versagt. Das spreche für eine aus der Vorstellung einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ableitende Missachtung der Menschenwürde. Compact orientiere sich an den Plänen Sellners, die es offensiv unterstütze.

Indizien für eine Missachtung der Menschenwürde ergäben sich auch dadurch, dass Ausländern und Migranten pauschal negative Eigenschaften und ein Hang zur Kriminalität zugeschrieben werden. Dabei greift das Gericht etwa die Formulierungen in Compact heraus, wonach die "Massenzuwanderung" in einem "unfassbaren Abgrund sexueller Gewalt", das ganze Land verwandele sich "in eine große Vergewaltigungszone, in der Frauen nunmehr Freiwild sind" ende. Solche pauschalen Zuschreibungen gegenüber Asylbewerbern und Migranten in ihrer Gesamtheit seien auch nicht mehr mit überspitzter oder polemischer Kritik an der Einwanderungspolitik zu rechtfertigen, sondern die drastische Sprache sei unmittelbar an Ausländer und Migranten adressiert und mache diese als nach ethnischen Kriterien ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe verächtlich.

Kämpferisch-aggressive Haltung

Das BVerwG betont die ständige Rechtsprechung, dass es für ein Verbot nicht ausreicht, wenn ein Verein sich kritisch oder ablehnend gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wendet oder für eine andere Ordnung eintritt. Selbst die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen überschreite als solche nicht die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung. "So wie das Grundgesetz die Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit garantiert, vertraut es mit der Vereinigungsfreiheit im Grundsatz auf die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs." Allerdings rechtfertige der Gedanke des "präventiven Verfassungsschutzes", Organisationen zu verbieten, die kämpferisch-aggressiv darauf ausgerichtet sind, wesentliche Elemente der verfassungsmäßigen Ordnung zu zerstören.

Daran, dass Compact kämpferisch-aggressiv auftritt, hat das BVerwG keine Zweifel. Der 6. Senat stellt fest, dass bei Compact die bewusste Radikalisierung der Rezipienten angestrebt und die Tätigkeit auf ein Wirksamwerden der verfassungsfeindlichen Ideologie in der Gesellschaft gerichtet ist. Zur Untermauerung führt das Gericht an, dass die gegen die Achtung der Menschenwürde verstoßenden demütigenden Äußerungen fortwährend aufgegriffen würden und Compact mit wiederkehrenden Schlagworten und Begriffen arbeite. Compact räume dabei etwa in einer Aufforderung zum Auswendiglernen selbst ein, dass Wiederholungen stattfänden, "um die Leute auf die richtigen Gedanken zu bringen".

Für das Gericht spielt dabei auch die Emotionalisierung der Leser:innen eine entscheidende Rolle. So werde die für erstrebenswert gehaltene "Volksgemeinschaft" in Compact-Artikeln ständig mit emotionalisierenden Formulierungen als in ihrer Existenz bedroht beschrieben. Die Formulierungen würden auch eine besondere Dringlichkeit des Handelns aufzeigen (etwa "Asyl-Bombe", "Tsunami", "Flut", "Invasion"). Zugleich betone Compact in drastischen Worten die Notwendigkeit der angeblich gezielten "Umvolkung" durch das "Regime", das "System" bzw. durch die "Volksfeinde" etwas entgegenzusetzen. Als zentrales Stilmittel dienen Compact personifizierte Feindbilder; parallel hierzu würden den Rezipienten Handlungsoptionen in verbaler Militanz aufgezeigt ("Kampf", "Umsturz", "Krieg").

Bei einer Gesamtbetrachtung offenbare die Rhetorik vom Compact die Tendenz, das Vertrauen zu den Institutionen und Repräsentanten des demokratischen Staates in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern. "Dadurch wird die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben.", so das Gericht.
Prägung und Verhältnismäßigkeit

Stellt das Gericht eben noch fest, dass Compact "fortwährend" die Menschenwürde demütigende Äußerungen aufgreift, kommt es im nächsten und letzten Prüfungspunkt sodann zu einer nach der bisherigen Logik überraschenden Annahme: Es bestünden Zweifel daran, ob die die Menschenwürde verletzenden Passagen derart prägend sind, dass sie dem Vereinsverbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerecht werden. Für die Voraussetzung der "Prägung" sei nicht das Verhältnis von Verfassungsverstößen zum Gesamtinhalt einer Zeitung ausschlaggebend, sondern es komme auf eine Bewertung der gesamten Aktivitäten des Vereins an.

Dabei ergibt sich für das BVerwG schon beim Compact-Magazin für sich betrachtet, also ohne auf die Organisation als Ganzes zu schauen, kein eindeutiges Bild. Von außen gesehen ähnele es anderen Nachrichtenmagazinen. In den reißerischen Titeln könnten, anders als das BMI meint, noch keine Delegitimierung des demokratischen Systems gesehen werden. Dies gehe vielmehr vor dem Hintergrund der Presse- und Meinungsfreiheit deutlich zu weit, da auf einem zum Kauf animierenden Cover auch zugespitzte, plakative Bilder und polemische Überschriften erlaubt seien.

Inhaltlich gebe es neben Beiträgen, die eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die verfassungsmäßige Ordnung offenbarten, auch eigenständige andere Schwerpunkte im Magazin. Um das zu verdeutlichen, sind die Richter tiefer in die Lektüre eingestiegen: Als Beispiele finden sich in den Entscheidungsgründen etwa die Zeitschriftenressorts "Dossier"und "Leben". Hier werden laut BVerwG allgemeingesellschaftliche Themen erörtert wie Filmkritiken, Buchbesprechungen, sportliche Ereignisse und "sogar" archäologische Funde. Selbst wenn auch in diesen Beiträgen gelegentlich Formulierungen auf den ethnischen Volksbegriff hindeuteten, seien sie in weiten Teilen nicht zu beanstanden. Hat das Gericht eingangs noch gesagt, dass es gerade nicht auf das Verhältnis zwischen unbedenkliche Textangeboten zu den verfassungsverletzenden Passagen ankommt, werden nun unbedenkliche Rubriken als Argument gegen eine verfassungswidrige Prägung herangezogen.

Insgesamt reichen dem 6. Senat wohl schlicht die ihm vorliegenden Informationen nicht aus. Er beanstandet, dass das BMI andere Print- und Onlinepublikationen des Compact-Verlags nur in Auszügen vorgelegt habe. Was die sonstigen Aktivitäten der Vereinigung (Konferenzen, Sommerfeste, Spendengala) angeht, seien Erkenntnisse erst nach Auswertung der sichergestellten Asservate zu rechnen, so das BVerwG. Im Übrigen dürfe das BMI auch noch weiter ermitteln, um weitere Beweismittel im Anfechtungsprozess vorlegen zu können.
Prägung wird entscheidend sein

Mithin sieht sich das Gericht nicht in der Lage, die Frage der Rechtmäßigkeit verlässlich zu prognostizieren. Diese sei damit offen. Die im Eilverfahren vorzunehmende Folgenabwägung spräche im konkreten Fall dafür, dass Compact weitermachen darf.

Das Interesse von Compact (Aussetzungsinteresse) sei hoch, da die spätere Wiederaufnahmedes Geschäftsbetriebs außerordentlich erschwert würde, weil sich die Angestellten, Kunden und die Werbepartner unterdessen anderweitig gebunden haben könnten. Da die sofortige Vollziehung des Vereinsverbots zu der sofortigen Einstellung des gesamten Print- und Onlineangebots führt, das den Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 ausmacht, kommt ihr auch im Hinblick auf die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ein besonderes Gewicht zu.

Das Interesse des BMI (Vollziehungsinteresse) trete dahinter zurück. Die Sicherung der Beweismittel sei möglich durch die Bestimmung des Gerichts, dass diese eine Woche lang ausgewertet werden dürften. Zudem seien "presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen, unabhängig davon, ob solche Maßnahmen im Vereinsrecht selbst, im sonstigen Sicherheits- und Ordnungsrecht oder auch im Strafrecht verankert sind" denkbar.

Welche "medienrechtlichen Maßnahmen" in Betracht kommen und wie das BMI über diese – mangels Zuständigkeit für die Medienaufsicht – verfügen könnte und wie sich dies für dieFrage der Verhältnismäßigkeit des eigenen Handelns auswirkt, erläutert das Gericht nicht.

Nach der Begründung des BVerwG ist nun klar: Im Hauptsacheverfahren wird sich alles um die Frage der "Prägung" drehen. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es hier mehr Belegmaterial benötigt. Ebenfalls hat es deutlich gemacht, dass es die Frage der Prägung nicht arithmetisch durch ein quantitatives Inverhältnissetzen zwischen verfassungsfeindlichen und unbedenklichen Artikeln klären will. Wie genau aber die Prägung letztlich zu beurteilen ist, dazu lässt der Beschluss des BVerwG klare Worte erstmal vermissen.

Doch sie werden wohl schneller folgen als von Compact erwartet. Das BVerwG wird bereits am 12. und 13 Februar 2025 in der Hauptsache in Leipzig verhandeln. Die Hoffnung des Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer zwei bis drei Jahre in Ruhe weiterzuarbeiten, könnte sich als Irrtum herausstellen.


Aus: "Entscheidend wird die Prägung" Dr. Felix W. Zimmermann (21.08.2024)
Quelle: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/6vr124-bverwg-compact-bmi-verbot-pressefreiheit-rechtsextremismus

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Quote[...] Wien – Nachdem der deutschen Fernsehsender RTL eine Reportage zur rechtsextremen Identitären-Bewegung ausgestrahlt hatte, in der unter anderem bei einer Feier in Wien gewaltverherrlichende und den Holocaust relativierende Aussagen fallen, hat das Innenministerium laut einer Stellungnahme vom Donnerstag Ermittlungen eingeleitet. "Es waren keine sechs Millionen Juden", behauptet eine Teilnehmerin im Beitrag, sondern höchstens 175.000. Den Mord an Jüdinnen und Juden bezeichnet sie als "geil" [https://www.derstandard.at/story/3000000234186/deutschland-braucht-srebrenica-20-rtl-undercover-bei-identitaeren-treffen-in-wien].

Auch ein "Srebrenica 2.0" wird gefordert. Bei der bosnischen Stadt Srebrenica wurden bei einem Genozid im Juli 1995 über 8000 Muslime ermordet. "Deutschland braucht ein Srebrenica 2.0", wünschte sich eine Frau. Ein anderer Teilnehmer sah 1995 wegen des Massakers als "gutes Jahr". Das Team von RTL soll für die Reportage über Monate undercover recherchiert haben, unter anderem bei einer Demo der Identitären in Wien, wo Aufnahmen etwa klar rechtsradikale Tattoos wie die Schwarze Sonne auf dem Arm eines Teilnehmers zeigen sollen. Einige der beobachteten Personen haben laut RTL auch Kontakte zur rechten Alternative für Deutschland (AfD).

Aktuell laufen laut Innenministerium Ermittlungen gegen mehrere Personen wegen des Verdachts gerichtlich strafbarer Handlungen. Um welche Straftatbestände es dabei genau geht – etwa Verhetzung oder Verstoß gegen das NS-Verbotsgesetz –, war am Donnerstag noch nicht klar. Die Ermittlungen würden jedenfalls "umfassend" geführt.

Die Identitären stehen in Österreich ebenso wie ihre Ableger und Splittergruppierungen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht wurde ein "erhöhtes Gefahrenpotenzial für den demokratischen Rechtsstaat" durch die "Neue Rechte" festgestellt, sei deren Ziel doch die "Überwindung der herrschenden demokratischen, rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Ordnung". (APA, 29.8.2024)


Aus: ""Srebrenica 2.0" gefordert: "Umfassende" Ermittlungen nach RTL-Reportage zu Identitären" (29. August 2024)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000234347/srebrenica-20-gefordert-umfassende-ermittlungen-nach-rtl-reportage-zu-identitaeren

https://www.tt.com/artikel/30890261/deutschland-braucht-srebrenica-2-0-aufregung-ueber-rtl-reportage-zu-identitaeren

QuoteIng. Pospischil Karl

Wenn RTL die Arbeit der Polizei und DSN macht...


Quotekakaduman1337

Sowas darf man doch heute wohl noch sagen.


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Quote[...] Wiesbaden – Nach einem kurzzeitig bei Tiktok zu sehenden martialischen Video des hessischen AfD-Landtagsabgeordneten Maximilian Müger hat dessen Fraktions- und Parteispitze seinen Rückzug aus mehreren Ämtern mitgeteilt. Müger habe den Innenausschuss des Landtags verlassen, teilten die AfD-Landesvorsitzenden Robert Lambrou und Andreas Lichert auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Auch als Vizelandeschef der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) sei Müger zurückgetreten. Lambrou und Lichert sind auch Vorsitzender und Vize der AfD-Landtagsfraktion. Sie äußerten sich nach einer Landesvorstands- und einer Fraktionssitzung.

Wie es in einer Mitteilung der hessischen AfD-Spitze hieß, sei Müger zudem nicht mehr Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Offenbach-Land und des Ortsverbandes der AfD in Neu-Isenburg. "Über weitere Konsequenzen wird der Landesvorstand sowie die AfD-Fraktion Anfang der kommenden Woche beraten. Wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem unsäglichen Video", ergänzten Lambrou und Lichert.

Der AfD-Opposition im hessischen Landtag in Wiesbaden gehört Müger nach Angaben der Fraktion weiterhin an. Der 31-Jährige war vorerst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Mügers gelöschtes Video, das der dpa vorliegt, zeigt ihn mit einem Sturmgewehr im Anschlag. Er fordert dabei "freie Waffen für freie Bürger!" und schießt dreimal in die Luft. Mit Blick auch auf das Messerattentat von Solingen mit drei Toten sagt der AfD-Abgeordnete: "Man ist in deutschen Städten nicht mehr sicher und muss Angst haben, auf einem Fest oder auf dem Heimweg erstochen oder anderweitig ermordet zu werden."

Müger erklärte dazu vor mehreren Tagen nach Angaben eines AfD-Sprechers, das Video sei "versehentlich" für wenige Minuten auf Tiktok veröffentlicht worden. Es sei für den Privatgebrauch gedacht gewesen. "Das Video wurde auf einem offiziellen Schießplatz in Polen unter der Supervision eines Schießleiters gedreht, und die Leihwaffe unterliegt allen Regularien polnischer Gesetze", teilte Müger weiter mit. Er sei angehender Sportschütze.

Das Video schlug hohe Wellen. Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sagte jüngst dazu: "Offensichtlich soll hier der Einsatz von Waffengewalt in der Migrationspolitik legitimiert werden. Und das ist fürchterlich." Er betonte: "Von solchen Aktionen geht ein hohes Risiko aus, dass es eben auch tatsächlich zu Gewaltausbrüchen kommt."

Lambrou erklärte kürzlich: "Wer über politische Inhalte mit einer Waffe im Anschlag spricht, die er dann abfeuert, überschreitet eine Grenze. Das ist ein Politikstil, den ich scharf ablehne." Laut dem Hessischen Rundfunk (HR) hatte Lambrou allerdings zuvor auch gesagt, Müger bringe inhaltlich vieles auf den Punkt. Seine Aussagen über ein unterschiedliches Sicherheitsempfinden in Polen und Deutschland etwa spiegelten die Sicht vieler Bundesbürger. Er selbst hätte ein solches Video aber nie veröffentlicht, teilte Lambrou dem HR weiter mit.


Aus: "AfD-Politiker Müger gibt nach Video mit Sturmgewehr mehrere Ämter auf" (APA, dpa, 3.9.2024)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000235072/afd-politiker-mit-sturmgewehr-aufgabe-mehrerer-196mter

QuoteSilberrückenpfeilgiftninja

Wer kennt es nicht, ein Video das über WhatsApp an Gleichgesinnte verschickt werden sollte ladet man plötzlich, natürlich unbeabsichtigt, auf TikTok hoch. Hoppala.


QuoteFomalhaut-b

Wer hat sich noch nie gedacht beim heimgehen vom Volksfest jetzt wäre ein Sturmgewehr super. Weil man weis ja nicht wer da so alles herumrennt. Bei Verdacht das was sein könnte kann man ja mal etwas herumballern, das schadet sicher nicht. Vielleicht trifft man ja was "Passendes".


QuoteHugh G. Rections

Ein Einzelfall?


QuoteFlorence79

Na das geht ja schon früh los. Mit den AfD Einzelfällen.


Quoteanton-aus-tyrol

Liebe Deutsche! Wir kennen das! Ist nur ein Einzelfall.

Wieder einmal halt, am laufenden Band. Bei uns ist die FPÖ der Grund warum das Wort Einzelfall überhaupt einen Plural braucht, bei Euch die AfD.


QuoteUljanovnig

So sehen also die Alternativen für Deutschland aus.


QuoteThe Ministry of Silly Talks

Und da soll noch einer sagen, die "Remigration" von Gefährdern nach Ruanda oder Madagaskar würde keine Probleme lösen.
Vorsicht, dieses Posting kann Spuren von Sarkasmus enthalten.


QuoteFranz vom Adel

Das war natürlich nur ein Versehen. Uff......


QuoteJohannes Rottensteiner

Die Maske rutscht immer weiter runter ... nicht wirklich überraschend bei diesen politischen Akteuren.


Quoteschuldschwund

die Spitze des Eisberges ... die AFD tut entrüstet, weil das vor den Wahlen gerade nicht passt. Aber hinter den Kulissen ist Müger sicher gut vernetzt in seiner Partei, alles Gleichgesinnte


QuoteSolace

Wir werden uns noch wundern...
Wisst ihr noch?

Tja.


QuoteRitter Trenk

Seit wann ist sowas für die AfD ein Problem?


QuoteLügenpresser

Seit sie in eine Regierung will wahrscheinlich. Da muss man sowas besser bedeckt halten.


QuoteSelfmadedilettant

Man muss auch heute damit rechnen, dass jede rechtsextreme Partei, die es in irgendein Parlament schafft, auch gewaltbereite Splittergruppen mit zieht, die sich an den Schlägertrupps der SA vor 90 Jahren orientieren ...


QuoteZaungast8

Die braune Schlägertruppe

ist btw der Partei übern Kopf gewachsen ... weswegen der SA Führungsstab unter einem Vorwand abgemurkst wurde.

Allerdings trau ich solchen aktuellen Splittergruppen nicht das Mindestmaß an Disziplin zu, dass die SA (waren größtenteils Weltkriegsveteranen) zusammengehalten hat.


Quotehaschtrafikant

"Wer über politische Inhalte mit einer Waffe im Anschlag spricht, die er dann abfeuert, überschreitet eine Grenze. Das ist ein Politikstil, den ich scharf ablehne."

Richtig. Das ist ein "Politikstil", wie ihn sonst Leute wie Ramsan Kadyrow, Osama Bin Laden oder IS-Kämpfer betreiben.


Quotetaudorinon

Vielleicht hat er auch zu viele Werbespots der Republikaner gesehen. Von denen lassen sich die Rechtsextremen auch gerne mal inspirieren.


QuotePressespiegelung

Huch Nazis sind also Nazis und gefährlich, wer hätte das gedacht?


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Quote[...] Nach der Landtagswahl in Sachsen hat die Polizei in Dresden wegen manipulierter Stimmzettel Ermittlungen eingeleitet. Nach Angaben der Polizei hatten Unbekannte bei mehreren Briefwahl-Stimmzetteln das gesetzte Kreuz überklebt und stattdessen die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen angekreuzt. Etwa 100 Stück sind nach jetzigem Stand gefälscht. Das Dezernat Staatsschutz übernahm die Ermittlungen und stellte den Angaben zufolge zwei manipulierte Stimmzettel sicher.

Zuvor hatte die "Sächsische Zeitung" berichtet. Entdeckt wurden die manipulierten Stimmzettel dem Bericht zufolge in zwei Wahlbezirken. "Dieser Verdacht ist uns in Bezug auf die Wahlbezirke 36011 und 36012 bekannt geworden", sagte ein Sprecher der Stadt Dresden der Zeitung. Die beiden Wahlbezirke befinden sich in Langebrück im Norden von Dresden. Im Wahlbezirk 36012 schnitten die Freien Sachsen auffallend gut ab. Dort erreichten sie mit 59 Direktstimmen und 60 Listenstimmen jeweils 10,2 Prozent. Insgesamt kam die Kleinstpartei bei der Landtagswahl auf 2,2 Prozent.

Die Freien Sachsen werden vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.

Der aufgedeckte Wahlbetrug in Dresden ist womöglich noch viel größer als zunächst angenommen. Inzwischen ist auch der Landeswahlleiter aktiv geworden. Laut "Bild" würden jetzt alle Wahlbezirke überprüft, in denen die Freie-Sachsen-Kandidaten überproportional viele Stimmen holten. So gibt es bereits erste Hinweise, dass der Betrug auch in anderen Wahlkreisen stattgefunden hat, berichtet die deutsche Zeitung.

"Das kann noch mal heiß werden", sagte ein Ermittler gegenüber "Bild". Sollten auch in anderen Wahlbezirken entsprechende Betrügereien aufgedeckt werden, könnte dies etwa für die FDP dramatische Folgen haben. Den Liberalen fehlen nämlich nur einige Dutzend Stimmen bis zur 1-Prozent-Marke, die für die Erstattung von Wahlkampfkosten wichtig ist.


Aus: "Neonazi-Wahlbetrug in ganz Sachsen?" (04.09.2024)
Quelle: https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/neonazi-wahlbetrug-in-ganz-sachsen/ar-AA1pUx8R?ocid=socialshare&pc=U531&cvid=97b8fea7c1c34db8aeba9f36cc2b08fd&ei=53

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Quote[...] In den USA sind zwei Anführer einer rechtsextremen Gruppe festgenommen und angeklagt worden, die einen ,,Rassenkrieg" und Anschläge auf Juden, Einwanderer, Schwarze und die LGBTQ-Community geplant haben sollen. Wie die US-Behörden am Montag (Ortszeit) mitteilten, waren der 34-jährige Dallas H. aus dem kalifornischen Elk Grove und der 37-jährige Matthew A. aus Boise im Bundesstaat Idaho bereits am Freitag in Gewahrsam genommen worden.

Die beiden Männer, die sich über ein unter dem Namen ,,Terrorgram" bekannten Online-Forum austauschten, sollen wegen der Führung einer ,,transnationalen Terrorgruppe" vor ein Bundesgericht gestellt werden, wie US-Justizminister Merrick Garland erklärte. Ihre Gruppe, die von der Überlegenheit von Weißen überzeugt ist, wollte demnach Angriffe auf Behördenvertreter und kritische Infrastruktur in den USA sowie ,,tödliche Hassverbrechen" verüben.

Konkret werden H. und A. Vergehen wie Aufruf zu Hassverbrechen und Mord an Regierungsvertretern, Verbreitung von Anleitungen zum Bombenbau und Verschwörung zur Lieferung von Material zur Unterstützung von Terroristen zur Last gelegt.

Der Anklageschrift zufolge hatten die beiden eine verschlüsselte Plattform des Messengerdienstes Telegram genutzt, um ihre Ideologie von einer weißen Vorherrschaft zu verbreiten und in einem Forum namens ,,Terrorgram Collective" mit Anhängern zu kommunizieren. Dort wurden nicht nur die Namen und Fotos, sondern auch die Adressen möglicher Zielpersonen von Anschlägen, darunter ein US-Senator und ein Staatsanwalt, weitergegeben.

Die beiden Beschuldigten sollen die Überzeugung verbreitet haben, dass Gewalt und Terror notwendig seien, ,,um einen Rassenkrieg zu entfachen und den Zusammenbruch der Regierung und den Aufstieg eines Staates der Weißen zu "beschleunigen',,, heißt es in der Anklageschrift weiter. Die beiden Männer sollen Terrorgram 2019 beigetreten sein und 2022 nach der Festnahme eines Anführers die Führung übernommen haben.

Mit der Gruppe werden mindestens zwei Gewalttaten in Verbindung gebracht: der live im Internet übertragene Messerangriff eines 18-Jährigen vor einer türkischen Moschee am 12. August, bei dem der Täter fünf Menschen verletzte und dann festgenommen wurde, sowie die Erschießung von zwei Männern in einer Schwulen-Bar in der slowakischen Hauptstadt Bratislava im Oktober 2022. Der 19-jährige slowakische Attentäter hatte A. sein Manifest zu der Tat geschickt, bevor er den Anschlag verübte und Suizid beging.

A. und H. droht wegen der gegen sie erhobenen 15 Anklagepunkte nun eine Verurteilung zu bis zu 220 Jahren Haft. (AFP)


Aus: "Antisemitismus, Rassenkrieg und Mord an Politikern: Anführer von transnationaler rechtsextremer Gruppe in den USA angeklagt" (10.09.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/internationales/antisemitismus-rassenkrieg-und-mord-an-politikern-anfuhrer-von-transnationaler-rechtsextremer-gruppe-in-den-usa-angeklagt-12345623.html

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Quote[...] Die Polizei geht seit den frühen Morgenstunden am Dienstag mit einer großangelegten Razzia gegen den Neonazi-Nachwuchs vor. Betroffen sind Mitglieder der ,,Nationalrevolutionären Jugend" (NRJ), die Jugendorganisation der rechtsextremistischen Splitterpartei ,,Der Dritte Weg", aber auch der Gruppen ,,Jung und Stark" (J&S) und ,,Deutsche Jugend voran!" (DJV).

Mehr als 100 Beamte rückten am Morgen in Berlin und Brandenburg aus. Zuerst
berichtete die BZ. Bei der Razzia suchen Ermittler Beweismittel in Verfahren zu schweren Straftaten wie räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Durchsuchungen. Betroffen sind neun Tatverdächtige.

Nach den bislang vorliegenden Informationen sollen zwölf Durchsuchungsbeschlüsse vorliegen. Betroffen seien zehn Aufenthaltsorte von insgesamt neun Tatverdächtigen. Zwei der Einsätze laufen in den Brandenburger Landkreisen Barnim und Märkisch-Oderland, während in Berlin der Fokus auf Stadtteilen liege, die zur Polizeidirektion 3 gehören, darunter Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick.

Die Ermittlungen richteten sich gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der rechtsextremen Jugendorganisation, die als besonders gewaltbereit gilt. Über mögliche Festnahmen oder Beschlagnahmungen gibt es bisher noch keine offiziellen Angaben.

Anhänger des ,,Dritten Wegs" fallen in Berlin seit Monaten durch brutale Angriffe und Machtdemonstrationen auf. Am 6. Juli haben etwa 15 vermummte Neonazis am Ostkreuz Anreisende zu einer Demonstration gegen rechts angegriffen.

Mitglieder des ,,Dritten Weges" sind auch wiederholt durch öffentliche Kampfsport-Trainings aufgefallen: Dabei trugen sie erkennbar Partei-Kleidung. In Parks und Schulen hat die Gruppe gezielt Jugendliche angesprochen, um sie zu rekrutieren. Zudem schüchterten sie mehrfach Jugendclubs ein.

Michael Fischer, Leiter der Verfassungsschutzabteilung in der Senatsinnenverwaltung, ist besorgt über Auftrieb der Truppe. Deren Mitglieder seien seit 2023 mehrfach in körperlichen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern verwickelt gewesen. ,,Junge Leute in erklecklicher Zahl werden an rechtsextremistische Ideologie übelster Sorte herangeführt mit Sport und Kampftraining", sagte Fischer. Eine ,,solche Zugkraft" habe keine rechtsextreme Gruppe in den vergangenen Jahren gehabt.

80 Personen rechnet der Nachrichtendienst in Berlin der gesamten Partei III. Weg zu. ,,Der III. Weg hat sich in den vergangenen Jahren zur aktivsten Gruppierung des traditionellen Rechtsextremismus in Berlin und zum Auffangbecken für aktionsorientierte Rechtsextremisten entwickelt", heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht. (axf/Tsp)


Aus: "Gewalt, Erpressung, Waffen: Razzia gegen Neonazi-Nachwuchs in Berlin und Brandenburg" Alexander Fröhlich, Lionel Kreglinger (23.10.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/gewalt-erpressung-waffen-razzia-gegen-neonazi-nachwuchs-in-berlin-und-brandenburg-12580094.html

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#147
... apokalyptischen Vorstellungen ...

Quote[...] Die Bundesanwaltschaft hat acht mutmaßliche Mitglieder einer militanten rechtsextremen Gruppierung festnehmen lassen. Die Verdächtigen stünden im Verdacht, eine inländische terroristische Vereinigung namens ,,Sächsische Separatisten" gebildet zu haben, teilte die Behörde am Dienstag in Karlsruhe mit.

Die Festnahmen erfolgten demnach an verschiedenen Orten in Sachsen sowie in einem Fall in Polen. Gleichzeitig begannen dort an rund 20 Orten Durchsuchungen.

Die Vereinigung ,,Sächsische Separatisten" sei eine aus 15 bis 20 Personen bestehende militante Gruppierung, deren Ideologie von rassistischen, antisemitischen und in Teilen apokalyptischen Vorstellungen geprägt sei, teilte die Anklagebehörde mit. Ihre Mitglieder verbinde eine tiefe Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Aus Sicht der Vereinigung stehe außer Zweifel, dass Deutschland vor dem ,,Kollaps" stehe und an einem zeitlich noch unbestimmten Tag der staatliche und gesellschaftliche Zusammenbruch erfolge.

Bei dieser Gelegenheit wolle die Gruppierung mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und gegebenenfalls auch in anderen ostdeutschen Ländern erobern, um dort ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu errichten. Unerwünschte Menschen sollen den Vorwürfen zufolge notfalls durch ethnische Säuberungen entfernt werden.

Die Ermittlungen richten sich den Angaben nach auch gegen weitere sieben Beschuldigte. Zudem würden Räumlichkeiten von nicht verdächtigen Personen, teils auch in Österreich, durchsucht. (AFP/epd)


Aus: "Rechtsextreme wollten ostdeutsche Gebiete erobern: Mutmaßliche Mitglieder von Terrorgruppe ,,Sächsische Separatisten" festgenommen" (05.11.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextreme-wollten-ostdeutsche-gebiete-erobern-mutmassliche-mitglieder-von-terrorgruppe-sachsische-separatisten-festgenommen-12646832.html

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QuoteSie trafen sich zu paramilitärischen Trainings in Kampfausrüstung, übten Häuserkampf und bereiteten sich auf eine "Eroberung" von Gebieten vor. Acht mutmaßliche Mitglieder einer rechtsterroristischen Vereinigung, die sich "Sächsische Separatisten" ("SS") nennt, sind jetzt festgenommen worden. Die Gruppe soll allerdings noch größer sein. Was bisher bekannt ist:

Ein junger Mann aus der sächsischen Kleinstadt Brandis gilt als Rädelsführer. Er soll die Gruppe, auf die der Verfassungsschutz im November 2020 aufmerksam wurde, gegründet haben. Die Vereinigung besteht laut Generalbundesanwalt aus 15 bis 20 Mitgliedern, die eine rassistische, antisemitische Ideologie verfolgen, die sich am Nationalsozialismus orientiert.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erklärte: "Bei zentralen Protagonisten dieser Gruppierung handelt es sich um teils sehr junge Rechtsextremisten, die Bezüge zu einer insbesondere im virtuellen Raum aktiven Szene aufweisen." Es geht um die sogenannte "Siege-Szene".

Unter den Festgenommenen befindet sich nach Informationen von "Spiegel" und Redaktionsnetzwerk Deutschland auch der sächsische AfD-Politiker Kurt Hättasch. Seit Oktober fungiert er demnach als Schatzmeister des sächsischen AfD-Jugendverbands "Junge Alternative", zudem sitzt er im Stadtrat von Grimma und ist Mitglied im Kreisvorstand der AfD im Landkreis Leipzig. Seine Verteidigung war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.

"Siege" (Englisch für Belagerung) bezieht sich auf eine Sammlung von Schriften aus den 1980er Jahren des Rechtsextremisten James Nolan Mason. Darin finden sich unter anderem Gedankenspiele hinsichtlich eines rassistisch-terroristischen Guerillakrieges, der sich primär gegen Infrastruktur und politische Führungspersonen richten soll, um die Gesellschaft in einen "Rassenkrieg" zu stürzen. Anhänger dieser Szene glorifizierten Taten bekannter Rechtsterroristen und verfolgten das Ziel, an einem erwarteten gewaltsamen Umsturz - "Tag X" - mitzuwirken, sagt Haldenwang.

Handelt es sich um typische Neonazis?

Teilweise. Dem Verfassungsschutz sind mehrere der Beschuldigten laut Haldenwang aus dem Spektrum der sogenannten Neuen Rechten beziehungsweise rechtsextremistischen Parteien bekannt. Gemeinsames Ziel der Mitglieder der Gruppe sei es gewesen, ein System nach dem Vorbild des Nationalsozialismus zu errichten, auch unter Anwendung von Gewalt.

Sind die Ermittlungen jetzt abgeschlossen?

Nein. Bei den Festnahmen wurden Beweismittel gesichert, die nun ausgewertet werden und womöglich noch weitere Erkenntnisse bringen. Diese könnten womöglich auch Hinweise auf weitere Beschuldigte liefern. So war es beispielsweise bei der "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, wo der Kreis der Beschuldigten in den Wochen und Monaten nach dem ersten Zugriff immer größer wurde.

Gab es auch polizeiliche Maßnahmen im Ausland?

Ja. Deshalb mussten sie mit den Sicherheitsbehörden in Polen und Österreich koordiniert werden. Insgesamt waren bei den Festnahmen und Durchsuchungen in Deutschland über 450 Sicherheitskräfte und Polizeibeamte des Bundeskriminalamts (BKA), Spezialkräfte der Bundespolizei und des Landeskriminalamts Sachsen im Einsatz. Die Festnahmen der jungen Männer erfolgten bis auf eine Ausnahme alle in Sachsen, genauer gesagt im Raum Leipzig, in Dresden und im Landkreis Meißen. Der mutmaßliche Rädelsführer hielt sich zum Zeitpunkt des Zugriffs zwar in Polen auf. Doch auch er stammt aus Sachsen. In Österreich - in Wien und im Bezirk Krems-Land - durchsuchte die Polizei zwar zwei Objekte. Festgenommen wurde dort aber niemand.

Was wird den Festgenommenen genau vorgeworfen?

Sie sind laut Mitteilung des Generalbundesanwalts dringend verdächtig, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, geplant zu haben, an einem zeitlich noch unbestimmten "Tag X" in Sachsen und gegebenenfalls auch in anderen ostdeutschen Bundesländern ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Gemeinwesen zu etablieren und "unerwünschte Menschengruppen" notfalls "durch ethnische Säuberungen" aus diesen "eroberten" Gebieten zu entfernen.

Quelle: ntv.de, Anne-Beatrice Clasmann, dpa


Aus: "Rechtsextremisten übten in Kampfmontur für "Tag X"" (05.11.2024)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Rechtsextremisten-uebten-in-Kampfmontur-fuer-Tag-X-article25337904.html

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#148
Quote[...] Niemand hat in der norwegischen Nachkriegsgeschichte so schwere Verbrechen begangen wie Anders Behring Breivik. Nun will der 45-Jährige vorzeitig auf freien Fuß kommen.

Mit einer Bombe im Osloer Regierungsviertel und einem Massaker unter jungen Menschen auf der Insel Utøya riss der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik ein tiefes Loch in die norwegische Seele. Mehr als 13 Jahre später ringen Überlebende und Angehörige der 77 Todesopfer noch immer mit den Folgen der Anschläge, während der Täter nordwestlich von Oslo im Gefängnis sitzt.

Dort lässt Breivik heute und in den kommenden beiden Tagen erneut prüfen, ob er vorzeitig unter Auflagen auf freien Fuß kommen kann. Worum geht es – und wie stehen Breiviks Chancen, wirklich freizukommen?

Für die schwersten Gewalttaten, die Norwegen in seiner bisherigen Nachkriegsgeschichte erlebt hat. Am 22. Juli 2011 zündete der damals 32-Jährige zunächst eine Autobombe im Regierungsviertel von Oslo und tötete dabei acht Menschen. Danach fuhr er auf die nahegelegene Insel Utøya, wo er ein Massaker unter den Teilnehmern des jährlichen Sommerlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei anrichtete. 69 überwiegend jüngere Menschen wurden auf Utøya getötet.

Breivik, der heute 45 Jahre alt ist und sich Fjotolf Hansen nennt, begründete seine Taten mit rechtsextremen und islamfeindlichen Motiven. Im Sommer 2012 wurde er zu der höchsten Strafe verurteilt, die die norwegische Rechtsprechung damals kannte: 21 Jahre Sicherheitsverwahrung mit einer Mindestdauer von zehn Jahren.

Die 21 Jahre Verwahrung mögen zwar den Eindruck erwecken, dass Breivik spätestens nach ebendiesen 21 Jahren aus dem Gefängnis kommen wird. Doch gemäß der norwegischen Gesetzgebung bedeutet Verwahrung im Gegensatz zu einer normalen Haftstrafe, dass seine Zeit hinter Gittern immer wieder um fünf Jahre verlängert werden kann, sofern Gerichte Sorge tragen, dass von dem Verurteilten weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgeht.

Theoretisch könnte Breivik also bis zu seinem Tod hinter Schloss und Riegel bleiben. Nach Ablauf der Mindestdauer hat er aber auch die Möglichkeit erhalten, seine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zu beantragen – wird sein Antrag abgewiesen, darf er es theoretisch ein Jahr nach dieser Ablehnung direkt wieder versuchen.

Breivik hat bereits Anfang 2022 – nach Ablauf der besagten Mindestdauer – gerichtlich prüfen lassen, ob er vorzeitig freikommen kann. Die Richter des damals zuständigen Amtsgerichts Telemark wiesen das einstimmig ab und begründeten dies damit, dass sie Breivik weiterhin für gefährlich halten. Er habe Verbrechen begangen, die in der norwegischen Rechtsgeschichte beispiellos seien, und vertrete weiterhin dieselben ideologischen Standpunkte wie 2011, urteilten sie. Das Gericht sah keine Zweifel daran, dass er immer noch in der Lage ist, neue schwere Verbrechen zu begehen.

Nun versucht es Breivik erneut. Dabei steht vor Richtern des Amtsgerichts von Ringerike, Asker und Bærum genau dieselbe Frage im Zentrum wie 2022: Stellt der verurteilte Massenmörder nach wie vor eine Gefahr für die Gesellschaft dar und besteht das Risiko, dass er auf freiem Fuß erneut schwere Straftaten begeht?

 Wie stehen Breiviks Erfolgsaussichten?

Nach wie vor schlecht. Staatsanwältin Hulda Olsen Karlsdottir hält Breivik für genauso gefährlich wie vor und während der Terroranschläge vom 22. Juli 2011. Die Leitung des Gefängnisses Ringerike, in das er 2022 verlegt wurde, vertritt denselben Standpunkt wie sie.

Alles beim Alten also? Nicht unbedingt: Erstmals seit seinem Prozess 2012 wurde Breivik von neuen rechtspsychiatrischen Sachkundigen untersucht, die vor Gericht am Mittwoch ihren mehr als 100 Seiten langen Bericht vorlegen werden. Breiviks Verteidiger Øystein Storrvik setzt seine Hoffnungen darauf, dass dieser Bericht diesmal nicht von internen Psychiatern und Psychologen des Vollzugswesens stammt, sondern von externen Sachkundigen.

Bei früheren Gerichtsauftritten war es Breivik um Aufmerksamkeit und Beachtung gegangen. Immer wieder hatte er vor Gericht den Hitlergruß und andere rechtsextreme Gesten und Botschaften gezeigt und von sich gegeben. Anfang 2024 hatte er in einem anderen Fall, in dem er den norwegischen Staat wegen Verstoßes gegen seine Menschenrechte verklagt hat, dann im Zeugenstand plötzlich geweint. Und diesmal? Bleibt abzuwarten. Sein Verteidiger Storrvik sagte der Nachrichtenagentur NTB, dass er weder wisse noch voraussagen könne, wie Breivik am Dienstag vor Gericht erscheinen werde.

 Wann fällt ein Urteil?

Das ist noch unklar. Nach dem ersten Breivik-Antrag auf vorzeitige Haftentlassung hatte es fast zwei Wochen gedauert, bis das zuständige Gericht sein Urteil verkündet hatte. (dpa)


Aus: "Massenmörder will freikommen: Utøya-Attentäter Breivik erneut vor Gericht" (19.11.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/internationales/massenmorder-will-freikommen-utoeya-attentater-breivik-erneut-vor-gericht-12729716.html

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Quote[...] Konservative und rechte Organisationen mobilisieren in Deutschland gegen Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte.

Jährlich im September startet ein Kreuzzug in Berlin-Mitte. Noch vor wenigen Jahren trugen die stumm marschierenden Demonstrierenden weiße Holzkreuze vor sich her. Mittlerweile lassen sie rote und gelbe Luftballons flattern, halten hellgrüne Plakate und Transparente mit Fotos von lachenden Babys in die Höhe. "Marsch für das Leben" heißt die Veranstaltung, an der Tausende teilnehmen. Sie soll einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen – und gegen Schwangerschaftsabbrüche mobil machen. Diese sind hierzulande seit rund 150 Jahren illegal, in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs geregelt und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich und straffrei.

Organisiert wird der "Marsch" vom Bundesverband Lebensrecht, der eine "biblisch-christliche" Positionierung für sich beansprucht. Seine Verbindungen zu konservativen und rechten Parteien und Organisationen sind jedoch eng. Der frühere Unionsfraktionschef Volker Kauder sandte Grußworte, der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe stand schon am Rednerpult. Die den Unionsparteien nahestehenden "Christdemokraten für das Leben" organisieren Busfahrten zur Demonstration.

Auch die AfD macht mobil: Die "Christen in der AfD" rufen immer wieder zum "Marsch" auf, die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch trug 2014 das Fronttransparent. Ein Jahr später führte sie den Marsch zusammen mit Martin Lohmann an, ehemals Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht. Der wiederum publiziert regelmäßig in der rechtskonservativen Zeitung Junge Freiheit. 2018 forderte die rheinland-pfälzische AfD-Fraktion gar ein "Lebensschutzinformationsgesetz", um staatlicherseits über das "Lebensrecht Ungeborener" aufzuklären.

Der Begriff "Lebensschutz" ist ein antifeministisches Schlagwort. Es nimmt historisch Bezug auf den vermeintlich zu schützenden "organischen Volkskörper" und wird heute unter anderem von völkischen Gruppierungen genutzt, schreibt der Soziologe und Autor Andreas Kemper in dem im März erschienenen Diskursatlas "Antifeministische Narrative" des grünennahen Gunda-Werner-Instituts. Damit gehen weitere Begriffe einher: "Gender-Ideologie" greift Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik an. Das Schlagwort "Frühsexualisierung" wendet sich gegen Sexualaufklärung von Kindern. "Homo-Lobby" brandmarkt die Queer-Bewegung als Verschwörung. All diese Begriffe transportieren den Antifeminismus im deutschsprachigen Raum, schreibt Kemper.

Bis in die frühen 1970er Jahre ging es beim Antifeminismus schlicht um einen "Kampf gegen Feminismus, für die Vorherrschaft des Mannes in der Familie aus Mutter, Vater und Kind", sagt Kemper. "Heute tritt Antifeminismus als Opferideologie auf", das Opfer sei die wehrhafte Männlichkeit, Feminismus und Queer-Feminismus seien bedrohlich und müssten bekämpft werden.

"Für uns als Organisation ist der Begriff Antifeminismus noch recht neu", sagt Katharina Masoud, Expertin für Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International. "Antifeministische Bewegungen richten sich gegen geschlechtliche Gleichstellung und Emanzipation." Frauen und LGBTI würden dabei von vornherein zu Menschen zweiter Klasse gemacht. Dies sei ein genereller Angriff auf Menschenrechte.

Tobias Ginsburg beschreibt die hiesige Szene antifeministischer Männerbündler in seinem Buch "Die letzten Männer des Westens", für das er undercover etwa in Burschenschaften, unter Incels, die ihre fehlende Beziehung zu Frauen dem Feminismus anlasten, und in religiös-faschistischen Organisationen recherchierte. "Frauen werden abstrahiert, sie werden zur Verkörperung für den Verlust tatsächlicher oder vermeintlicher Privilegien", sagt der Autor. Manchmal werde daraus wahnhafter Frauenhass: "Je tiefer im rechten Milieu, desto klarer hat die Frau die Funktion als Brutkasten und Haussklavin."

Die Angst davor, dass der westliche Mann ausstirbt, und der Hass gegen die Emanzipation von Frauen und LGBTI steckt in so ziemlich allen rechtsterroristischen Manifesten der vergangenen zehn Jahre.

Tobias Ginsburg, Autor des Buches "Die letzten Männer des Westens"

Das zeige sich am deutlichsten in rechtsextremen Anschlägen wie in Utoya, Christchurch und Halle. "Die Angst davor, dass der westliche Mann ausstirbt, und der Hass gegen die Emanzipation von Frauen und LGBTI steckt in so ziemlich allen rechtsterroristischen Manifesten der vergangenen zehn Jahre", sagt Ginsburg.

Der Attentäter von Halle etwa streamte seine Tat im Netz, das Video eröffnete er mit den Worten: "Feminismus ist schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen." Die wiederum sei die Ursache für Massenimmigration. Das folgt der Verschwörungsideologie des "großen Austauschs", einem wirkmächtigen Konzept der Neuen Rechten. Aufgrund von hohen Geburtenraten unter nicht-weißen und niedrigen unter weißen Frauen stehe ein "Genozid" der europäischen Gesellschaften bevor. Schuld daran trage auch der Feminismus.

Frauen und ihre Körper nehmen in einem solchen Weltbild eine passive Rolle ein: Sie sind Hüllen für das Ziel, die "Volksgemeinschaft" zu erhalten. Eine selbstbestimmte Sexualität oder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch stehen diesem Weltbild diametral entgegen.

Dieses Denken spiegelte auch ein Plakat der AfD im Bundestagswahlkampf 2017 wider: Es zeigte den Torso einer weißen Schwangeren. Darunter stand: "Neue Deutsche? Machen wir selber". 2020 definierte die Partei in einem Konzept zur Sozialpolitik 2,1 Kinder pro Frau als Zielgröße und "Bestandsniveau" für den deutschen Volkserhalt. Gleichzeitig wertet die AfD Familienentwürfe jenseits der sogenannten traditionellen Familie aus Vater, Mutter und Kind ab, schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Die Partei verweigere die Rechtsgleichheit aller Menschen und propagiere ein nationalvölkisch definiertes Volk – Stichwort "Lebensschutz".

Jüngst entzündete sich die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche wieder neu. Im April stellte eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission für reproduktive Rechte ihren Bericht vor. Darin hatte sie geprüft, ob und wie Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden sollten. Für die ersten drei Monate einer Schwangerschaft ist der Bericht eindeutig: Völkerrechtlich und verfassungsrechtlich sei die Kriminalisierung von Abbrüchen "nicht haltbar".

Es ist unbedingt nötig, dass die politischen Konsequenzen aus den Empfehlungen der Kommission gezogen und Abbrüche legalisiert werden.

Katharina Masoud Expertin für Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International


Unionsfraktionsvize Dorothee Bär, die selbst schon ein Grußwort an die radikalen Abtreibungsgegner*innen des "Marschs für das Leben" schickte, bezeichnete den Bericht als "hochgefährlich". Die AfD warnte, die Empfehlungen der Kommission dienten "als der erste Schritt eines langfristigen Vorhabens, Abtreibungen als ein natürliches 'Menschenrecht' zu etablieren". Das müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Katharina Masoud von Amnesty International fordert hingegen genau das: Der UN-Frauenrechtsausschuss habe Deutschland bereits vor einem Jahr dazu aufgerufen, Schwangerschaftsabbrüche gemäß der Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation vollständig zu entkriminalisieren. "Es ist unbedingt nötig, dass die politischen Konsequenzen aus den Empfehlungen der Kommission gezogen und Abbrüche legalisiert werden", sagt sie. Eine menschenrechtsbasierte Politik müsse sich auch gegen antifeministische Diskurse stellen.

Patricia Hecht arbeitet als Redakteurin bei der taz sowie als freie Autorin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.


Aus: "Der Wahn vom Volkskörper" Patricia Hecht (12. Juli 2024)
Quelle: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/deutschland-antifeminismus-der-wahn-vom-volkskoerper

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Quote[...] Der für viele schockierende Wahlsieg Donald Trumps wurde nach 2016 als Anomalie behandelt. Um seine permanente Medienpräsenz überhaupt ertragen zu können, half häufig Galgenhumor und herablassendes Belächeln; in der Hoffnung, nach vier Jahren wäre der Spuk wieder vorbei. War er nicht, ist er nicht. Allen internen Machtkämpfen und Warnungen zum Trotz darf Trump für vier Jahre im Weißen Haus planen. Er hat viel vor.

Ach, werden manche sagen, das haben wir auch beim ersten Mal überlebt? Das mag stimmen, aber die ersten zwei Wochen nach dem Wahlsieg des Republikaners legen nahe: Es wird nicht wie nach seinem Wahlsieg 2016. Es wird viel schlimmer [https://www.n-tv.de/politik/US-Kongress-in-republikanischer-Hand-Donald-Trump-bekommt-alle-Macht-und-das-hat-er-damit-vor-article25346637.html].

Das kündigte sich schon Ende 2022 an, als Trump in Mar-a-Lago seine erneute Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur bekanntgab. Die "eiternde Fäulnis" in Washington D.C. müsse "gesäubert" werden, verschärfte er vor Gästen seinen Ton [https://www.n-tv.de/politik/USA-Donald-Trump-kandidiert-macht-erste-Wahlversprechen-und-haelt-die-Rede-die-er-nie-halten-konnte-article23721067.html]. Während seines Rachewahlkampfs blieb er bei diesem Duktus. Seine politischen Gegner sind darin keine Konkurrenten, sondern "Feinde im Innern". Das Land werde gesteuert von "Verrückten, Faschisten, Marxisten, Kommunisten." Nun, nach der gewonnenen Wahl, sind seine bisherigen Nominierungen für Berater- und Ministerposten mehr als fragwürdig: ein halbes Horrorkabinett. Dieses Mal will sich Trump nicht von renitentem Personal bremsen lassen.

Tulsi Gabbard, sie soll künftig die Geheimdienste koordinieren, verbreitete russische Propaganda. Robert Kennedy Junior ist für das Gesundheitsministerium vorgesehen; er hält unter anderem Impfungen für schädlich und wittert an jeder Ecke eine Verschwörung. Fernsehmoderator Pete Hegseth soll das Pentagon leiten und stünde damit gemeinsam mit Trump an der Spitze der US-Streitkräfte; er trägt Tattoos mit rechter Symbolik, ihm werden Verbindungen zu Extremisten nachgesagt. Und da wäre Matt Gaetz, vorgeschlagen als Justizminister und oberster Staatsanwalt. Der Trump-Loyalist soll den kommenden Präsidenten überzeugt haben, weil er ihm ankündigte, im Ministerium "Köpfe abschlagen" zu wollen, um es auf Linie zu bringen. Die anderen Bewerber hätten den kommenden Präsidenten mit Jura gelangweilt, heißt es.

Zunächst steht ein historischer Machtkampf mit dem Senat bevor. Minister und andere hohe Posten müssen in der Kongresskammer bestätigt werden; trotz der kommenden republikanischen Mehrheit gibt es dort einige, die nicht von Trumps Nominierungen begeistert sind. Sie würden den Kandidaten unangenehme Fragen stellen. Trump fordert von den Senatoren, sie sollten in manchen Fällen auf die Anhörungen verzichten. Geben sie nach, hätte der Präsident so viel Macht wie nie bei einer Regierungsbildung.

Gaetz dürfte das gefallen: Im Repräsentantenhaus, wo er als Abgeordneter saß, liefen jahrelang Ermittlungen gegen ihn; wegen Vorwürfen über Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen, Gruppensex-Partys und Drogen. Gaetz zettelte deshalb eine Revolte gegen Mehrheitsführer Kevin McCarthy an - und gewann [https://www.n-tv.de/politik/Fruehere-rechte-Hand-von-Donald-Trump-Geschasster-Kevin-McCarthy-fuehrt-Rachefeldzug-gegen-MAGA-Juenger-Matt-Gaetz-article25094251.html]. Nun zieht ihn Trump weiter nach oben, um mit ihm das Justizressort unter Kontrolle zu bekommen, und damit unter anderem auch das FBI. Gaetz' bedingungslose Loyalität wäre dem Präsidenten sicher.

Tech-Milliardär Elon Musk und Vivek Ramaswamy, Trumps Berater für Regierungseffizienz, werden die Axt am Staat anlegen, wo sie nur können. Musk hat angekündigt, mit seiner Hilfe könne Trump ein Drittel des Haushalts einsparen. Millionen Menschen würden darunter leiden, dafür braucht niemand eine Glaskugel. Musk, Ramaswamy und andere Reiche werden dafür von Trump womöglich mit Steuersenkungen belohnt, die ihnen viele Milliarden Dollar einbringen. Bezeichnend, wie Musk "hochintelligente Revolutionäre" sucht, die - unbezahlt und aus Vaterlandsliebe - mit mindestens 80 Wochenarbeitsstunden beim Rückbau des Staates helfen sollen.

Das wird sich enorm auf den Alltag auswirken, ebenso die Besetzung der offiziellen Posten. Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung etwa verteufelte Trump ständig. "Die größte Abschiebung in der Geschichte der USA" begründete er im Diktatorenstil: "Sie vergiften das Blut unseres Landes." Ein andermal bezeichnete er Migranten als "Tiere" oder "Ungeziefer". Zwar lässt sich darüber streiten, wie ernst Trump dies meint und welche Migranten genau. Aber die Sprache ist faschistisch. Die wird von manchen auch so gehört: Vor wenigen Tagen marschierten Vermummte mit Hakenkreuzfahnen durch die Straßen im Bundesstaat Ohio und skandierten Hassparolen gegen Schwarze und Juden.

Trump mag und duldet keinen Widerspruch, schart Ja-Sager um sich, den demokratischen Prozess konkurrierender Ideen hält er für hinderlich. Der Republikaner hat mit seiner ersten Amtszeit schon die Grenzen dessen verschoben, was Präsidenten dürfen. Das Immunitätsurteil hat ihm die Tür in die Schreckenskammer geöffnet. Das permanente Sperrfeuer seiner Vorschläge dröhnt laut und übertönt den möglichen Widerstand. Je schneller die Schüsse, desto mehr müssen sich die Verteidiger in Deckung werfen. Es wird chaotisch werden, wenn die Schlachten vor den Gerichten geschlagen werden, während Menschen darunter leiden.

Um die Migranten loszuwerden, würde Trump nach seiner Vereidigung den Ausnahmezustand verhängen und das Militär einsetzen, bestätigte er. Man muss nicht schwarzmalen, um sich die Auswirkungen vorzustellen: Migranten ziehen in von Demokraten regierte Bundesstaaten und Städte, die bislang nicht mit der Einwanderungsbehörde zusammenarbeiten. Trump baut dort finanziellen oder anderweitigen Druck auf, die Bevölkerung wird unruhig - und die Verantwortlichen setzen bisherige Schutzmechanismen für Millionen Menschen aus.

Neben gesellschaftlichem Aufruhr könnte das zu Preissprüngen bei Lebensmitteln führen. Rund 40 Prozent der landesweiten Erntehelfer sind Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Doch Stephen Miller, Trumps zukünftiger Berater für Migrationsangelegenheiten im Weißen Haus, hatte vor der Wahl auf größtmöglicher Bühne getönt: "Amerika den Amerikanern. Und nur den Amerikanern!" Miller soll sich um die Südgrenze zu Mexiko kümmern und daran mitwirken, die massenhaften Abschiebungen zu organisieren.

Zugleich hat Trump bereits Klagen wegen unliebsamer Berichterstattung eingereicht, dazu kommen Einschüchterungsversuche und Druck auf Journalisten, Zeitungen, Fernsehsender und die großen sozialen Medien. All das ist nur ein Teil der Innenpolitik. International dürften diplomatische Volten hinzukommen, etwa mit Drohungen an andere Regierungen, mit radikalen Einfuhrzöllen oder den Militärhilfen an die Ukraine als Verhandlungsmasse.

Ja, überleben wird man auch die nächsten vier Jahre. Doch wer dachte, durch Trumps erste Amtszeit abgehärtet und vorbereitet zu sein, könnte sich getäuscht haben. Schließlich ist die Anomalie keine mehr, die Grenzen des Sagbaren sind längst verschoben. Jetzt knöpft sich Trump die des Machbaren vor.


Aus: "Faschosprache und Horrorkabinett Ja, Trumps zweite Amtszeit wird viel schlimmer"
Ein Kommentar von Roland Peters, New York (19.11.2024)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Faschistensprache-und-Horrorkabinett-Donald-Trumps-zweite-Praesidentschaft-wird-viel-schlimmer-article25371014.html


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Quote[...] Der frühere brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat Ermittlern zufolge nach seiner Wahlniederlage im Jahr 2022 aktiv an einem versuchten Staatsstreich mitgewirkt, um im Amt zu bleiben. Bolsonaro sei sich des Komplotts vollkommen bewusst gewesen und habe dazu beigetragen, heißt es in einem Bericht der brasilianischen Bundespolizei, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Er habe ein Ende der Rechtsstaatlichkeit in Brasilien herbeiführen wollen, sei aber letztlich gescheitert.

Die Bundespolizei hatte in der vergangenen Woche eine Anklage gegen Bolsonaro und 36 weitere Personen empfohlen und einen 884-seitigen Bericht an den Obersten Gerichtshof weitergeleitet, der den Bericht nun öffentlich machte.

Demnach soll der rechtsgerichtete Bolsonaro im Dezember 2022 ein Treffen mit den drei Befehlshabern der Streitkräfte einberufen haben. Dabei soll er ihnen Putschpläne vorgelegt und sie zur Beteiligung aufgefordert haben. Die Befehlshaber des Heeres und der Luftwaffe lehnten ab, während der Befehlshaber der Marine den Staatsstreich unterstützen wollte. Laut dem Polizeibericht kam es letztlich deshalb nicht zu dem Putsch, weil der damalige Militärchef Marco Antônio Freire Gomes und andere ranghohe Vertreter der Streitkräfte nicht mitziehen wollten.

Laut dem Untersuchungsbericht war Bolsonaro auch für einen Dekretentwurf für den Staatsstreich verantwortlich, der den Wahlsieger und jetzigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva an der Übernahme des Amtes hindern sollte. Die Ermittler stellten außerdem fest, dass Bolsonaro von einem Plan zur Ermordung von Lula und seinem Vizepräsidenten Geraldo Alckmin wusste. In der vergangenen Woche waren vier Soldaten festgenommen worden, die an dem mutmaßlichen Anschlagsplan auf Lula beteiligt gewesen sein sollen.

Der Bericht wurde der Staatsanwaltschaft übergeben. Generalstaatsanwalt Paulo Gonet muss entscheiden, ob er Bolsonaro anklagen wird. Der Ex-Präsident hat bestritten, ein Verbrechen begangen zu haben. 

Bolsonaro wies die Anschuldigungen zurück und bezeichnete sie als "absurd". "Das Wort 'Putsch' stand noch nie in meinem Wörterbuch", sagte Bolsonaro in der brasilianischen Hauptstadt Brasília.

Nach Einschätzung des Juraprofessors Rodrigo Rios von der PUC-Universität in Curitiba könnte Bolsonaro im Falle einer Verurteilung eine Haftstrafe von 15 Jahren oder mehr drohen. "Bolsonaros Zukunft sieht düster aus", sagte Rios der Nachrichtenagentur AP.

Der linksgerichtete Lula hatte im Oktober 2022 die Präsidentschaftswahl gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Bolsonaro gewonnen und am 1. Januar 2023 sein Amt angetreten. Eine Woche später wurde Brasilien von gewaltsamen Ausschreitungen erschüttert, als Bolsonaro-Anhänger den Kongress, den Amtssitz des Präsidenten sowie das oberste Gericht stürmten und dort stundenlang schwere Verwüstungen anrichteten.


Aus: "Jair Bolsonaro wollte Armeespitze laut Bericht zu Putsch überreden" (27. November 2024)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-11/bolsonaro-brasilien-kongress-sturm-bericht-putsch-armee

QuoteNieder mit der Monarchie

Same shit, different toilet.


QuotePerspektiv

Sein Sohn, der unter Trumps erster Präsidentschaft auch als Botschafter in den USA zur Debatte stand, und auch bei Trumps Siegesfeier der diesjährigen Wahl zu Gast war. behauptete bereits ein Jahr vor der damaligen verlorenen Wahl, dass sie manipuliert sein wird.

Da hat einer von dem anderen gelernt, in jeglicher Form. Diese Brüder sind aus einem Holz geschnitzt und das letzte was sie wollen, ist das allgemeine Wohl der Bürger ihres Landes.


QuoteRyrksnglynks

Die Parallelen zu Trump sind so offensichtlich. ...


...

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Quote[...] Das Polizeipräsidium Frankfurt am Main hat Disziplinarklagen gegen vier Polizisten wegen der Teilnahme an rechtsextremen Chats erhoben. Wie das Innenministerium in Wiesbaden mitteilte, sollen sie aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Darüber muss nun das dortige Verwaltungsgericht entscheiden. Die rechtsextremen Chats innerhalb der hessischen Polizei waren vor etwa sechs Jahren bekannt geworden.

Im Juli hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt entschieden, fünf Polizisten nicht vor ein Strafgericht zu stellen. Damit wies es eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens durch das Frankfurter Landgericht ab, weil kein hinreichender Tatverdacht für die angeklagten Äußerungsdelikte vorliege.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Polizisten vorgeworfen, in der Gruppe verbotene Inhalte verbreitet zu haben. Dabei habe es sich vor allem um Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und volksverhetzende Inhalte gehandelt.

Ein Beamter hat nach Angaben des Innenministeriums mittlerweile seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt. Aus diesem Grund richtet sich die Disziplinarklage in Wiesbaden nun nur noch gegen vier Polizisten.

In der hessischen Polizei waren bei internen Ermittlungen seit 2018 verschiedene Chatgruppen entdeckt worden, über die Beamtinnen und Beamte sowie Menschen außerhalb der Polizei rechtsextremistische Nachrichten teilten.

Noch im selben Jahr wurden Disziplinarverfahren gegen fünf Polizisten eingeleitet. Allen wurde die Führung der Dienstgeschäfte verboten, drei von ihnen wurden zudem vorläufig des Diensts enthoben. Wegen der seitdem laufenden strafrechtlichen Ermittlungen waren die Disziplinarverfahren zunächst jedoch ausgesetzt worden.


Aus: "Disziplinarklagen gegen Polizisten wegen rechtsextremer Chats" (26. November 2024)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2024-11/hessel-polizei-rechtsextreme-chats-2018

QuoteGEWALTistDUMMHEIT

Bei autoritären Berufen, wie Polizei, Bundeswehr etc. gehe ich mal davon aus, dass dies nur die Spitze des rechtsradikalen Eisbergs ist...


Quotefeelillibet

Hilfreich wäre es gewesen, wenn der Artikel die Rechtsgrundlage genannt hätte, aufgrund derer die Beamten entfernt werden sollen. Die Strafverfolgung hat ja nachgewiesen, dass nichts davon strafbar war. Gegen welche konkrete Regel des Dienstverhältnisses haben die Beamten also in ihrer Freizeit verstoßen? Nicht dass der Antrag am Ende wieder nur aus heisser Luft besteht.


QuoteWild-Bill-Kelso

Verstehe ich das richtig? Die sitzen jetzt seit 6 Jahren zu Hause rum und beziehen ihre vollen Bezüge? Sollten die jetzt aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden, müssen die dann zurück gezahlt werden?


Quotefeelillibet

Nein, aber sie könnten ihre Pensionen verlieren.


QuoteJ. Baum

Nicht ganz.

Laut Artikel wurden immerhin drei Beamte vorläufig des Dienstes enthoben. Da werden die Bezüge gekürzt (in Hessen um bis zu 50%, § 43 Hessisches Disziplinargesetz).


QuoteBazon
vor 11 Stunden

Es ist unfassbar, dass diese ,,Polizisten" nicht verurteilt wurden. Wer sich eine aufbereitete Version des Chatverlaufs geben will: https://itiotentreff.chat/chat/

Selbst die Bildbeschreibungen sind unerträglich. Hervorzuheben ist auch nochmals der Frauenhass. Das ist nicht bloß ,,Sexismus".


QuoteMedium Well

Was ist mit der Vergewaltigungs-Verherrlichung in dieser Gruppe, wird deswegen nicht ermittelt? Eigentlich war das fast schlimmer als der Rechtsextremismus.


QuoteSteletoj

Frustrierend, wie langsam unsere Justiz arbeitet.


QuoteQuaerentibus
Antwort auf @Judge-Mental

Ja, auf der einen Seite - aber leider ist das Interesse an der Strafverfolgung von Polizisten nicht sehr hoch


...

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Quote[...] Die Alternative für Deutschland (AfD) will das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche stark einschränken. Dies geht aus dem Entwurf zum Wahlprogramm hervor, den die Partei veröffentlichte. Demnach sollen Schwangerschaftsabbrüche nur noch "bei kriminologischer oder medizinischer Indikation" erlaubt sein, heißt es dort – also etwa nach Vergewaltigungen oder in Fällen, in denen die Gesundheit der Mutter gefährdet ist. Stattdessen will die AfD eine "Willkommenskultur für Kinder" etablieren.

Im Entwurf heißt es, Schwangerschaftsabbrüche müssten die absolute Ausnahme bleiben. Begründet wird die anvisierte Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche damit, dass das Recht auf Leben "ein fundamentales Menschenrecht" sei. Bei der derzeitigen Praxis in Deutschland sei "weder das Lebensrecht der Kinder ausreichend geschützt, noch kann davon ausgegangen werden, dass die Schwangeren hinreichend über schwere Abtreibungsfolgen und über Hilfsangebote aufgeklärt wurden".

Die AfD kritisierte vor allem die Schwangerschaftskonfliktberatung, die laut derzeitiger Rechtslage eine Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ist. Die Beratung sei "in vielen Fällen zu einem formalen Verwaltungsakt verkümmert und befördert eine Bagatellisierung dieses schwerwiegenden Eingriffs".

Nach der Vorstellung der AfD soll das Beratungsgespräch werdende Mütter von einem Schwangerschaftsabbruch abbringen – auch mit drastischen Mitteln. "Während der Schwangerschaftskonfliktberatung sollen den Müttern Ultraschallaufnahmen des Kindes gezeigt werden, damit diese sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind", heißt es in dem Entwurf.

Das Wahlprogramm soll bei einem Bundesparteitag am 11. und 12. Januar 2025 im sächsischen Riesa verabschiedet werden. Die AfD will mit der Ko-Vorsitzenden Alice Weidel als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl ziehen.

Gegenwärtig sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig. Eine Beratung vorausgesetzt, bleiben Abbrüche innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen aber straffrei. Das gilt auch, wenn der Abbruch aus medizinischen Gründen oder nach einer Vergewaltigung erfolgt. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hatte Anfang des Jahres eine Liberalisierung der Regelung empfohlen. 

Abgeordnete aus mehreren Bundestagsfraktionen hatten zuletzt angekündigt, vor der Bundestagswahl eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu erreichen. 236 Abgeordnete reichten bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) einen Gesetzesentwurf ein, der noch vor den Neuwahlen am 23. Februar beschlossen werden soll und der ZEIT ONLINE vorlag. Die aktuelle Rechtslage sei "eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung und der körperlichen Autonomie", heißt es in einer Pressemitteilung der interfraktionellen Gruppe, der Abgeordnete von SPD, Grünen, Linken und der schleswig-holsteinischen Partei der dänischen Minderheit SSW angehören.


Aus: "AfD will Schwangerschaftsabbrüche weitgehend einschränken" (29. November 2024)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/wahlprogramm-afd-schwangerschaftsabbrueche-kritik

QuoteDer Unsichtbare

Ich verstehe nicht, warum die Rechten es immer mit dem Thema Schwangerschaftsabbrüche haben. Bei den Trumpanhängern in USA mag das ja funktionieren, weil da viele christliche Fundamentalisten dabei sind, aber in Deutschland?


QuoteOnlyOnePlanet

Wir haben uns als Gesellschaft mühsam zum jetzigen Status emporgearbeitet aus dem Sümpfen der Missachtung von Frauenrechten - und jetzt wollen die wieder zurück ins mittlere letzte Jahrhundert. ...


QuoteHarmlos01

Liebe Frauen und Feministinen: Bevor Ihr vor Wut schäumt (berechtigt!) haltet kurz inne...

Ihr könnt nun (berechtigt) die Frauen ansprechen und denen noch einmal das Konzept der körperlichen Selbstbestimmung deklinieren, aber das ändert leider gar nichts. Weil Frauen, die sich für dieses Konzept interessieren eh nicht die AfD wählen!

Leider würdet ihr damit sogar das Spiel der AfD spielen, die nun hoffen, dass ihr Narrativ einer "woken" (was das ist kann die AfD aber auch nicht sagen) und überdrehten Debatte bedient und damit der AfD zu unverdienter Aufmerksamkeit verhelft. Dabei ist das doch nur wieder eine populistische Sau, die durchs Dorf getrieben wird!

Anstelle die Frauen anzusprechen würde ich lieber den Weg gehen und die männliche AfD Kernwählerschaft ansprechen. Denen sollte bei einem solchen Vorschlag auch Angst und Bange werden, weil ungewollte Schwangerschaften mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit zu Unterhaltszahlungen in Höhe eines Sportwagens (um in verständlichen Begriffen zu arbeiten) führen werden!

Im Kampf gegen die AfD sollten wir nicht diejenigen ansprechen, die sich lieber den Arm abschneiden würden, als damit ein Kreuz für die AfD zu machen. Wir sollten die Argumente nutzen, die zeigen, dass die AfD immer wieder ihre eigene Kernwählerschaft unter den Bus schmeißt.


QuoteSirEgidius

Es sollte niemanden überraschen, dass die Faschisten von der AfD beabsichtigen Frauenrechte mit Füßen zu treten.

Ebenso schäbige Pläne gibt es ja auch bezüglich Alleinerziehender, indem z.B. das Schuldprinzip bei der Scheidung wieder eingeführt werden soll.


QuoteKFeldmann

Das könnte ja ein echter Wahlschlager werden!


...

Kontext:

QuoteMauerseglerin22
12.08.2020 12:19

Es geht ja in dem Artikel nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, den Feminismus in Frage zu stellen, sondern was der verbohrte krude Antifeminismus für eine Funktion und Aussage hat, wenn er von Typen mit einem Problem in ihrer Männlichkeit als Ausrede benutzt wird. Und das ist gut beschrieben. ...



Quote[...] Sie halten Feminismus für ,,die größte Bedrohung seit Bestehen der Bundesrepublik", wollen Gesetze beeinflussen. Auf diese Ideen berufen sich auch Terroristen.

Zum Beispiel im ,,Tatort". Da findet Matthias Enderle oft die Rollenverteilung ungerecht. Der männliche Kommissar sei grundsätzlich der weniger empathische, weniger clevere. Enderle sagt: ,,Die Frauen werden ausgeglichener dargestellt." Das sei ein Zeichen für die Diskriminierung des Mannes.

Von diesen Zeichen gebe es noch viel mehr. Glaubt man dem Verein ,,Manndat", dem Matthias Enderle vorsteht, herrscht in Deutschland eine ,,generelle Hasskultur gegen Männer". Es gibt ,,Dauerhetze gegen weiße Männer", insbesondere die SPD befinde sich in einem ,,Krieg gegen Männer". Am Telefon sagt der 52-Jährige, es sei schade, dass über viele ,,männerfeindliche Thesen" kaum sachlich diskutiert werden könne. Etwa über die Behauptung, Frauen würden schlechter bezahlt [https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/warum-frauen-noch-immer-weniger-verdienen-als-manner-3236908.html].

In der Szene der sogenannten Männerrechtler [https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-rache-verunsicherter-manner-5321359.html], die in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen ist, gilt Enderles Verein Manndat als einer der wichtigsten Akteure. Es gibt Vereine, Initiativen, Kongresse, Blogs. Gemein ist allen die Überzeugung, der Feminismus [https://www.tagesspiegel.de/politik/wenn-manner-zu-lange-reden-schalte-ich-ihnen-das-mikro-ab-5356471.html] habe in Deutschland großen Schaden angerichtet – die wahren Benachteiligten seien heute die Männer.

Dagegen gehen die Aktivisten an, ringen um politischen Einfluss, wollen in der Öffentlichkeit ernst genommen werden und männerfreundliche Gesetze durchsetzen. Mit ihrer Lobbyarbeit, in der sie ihre Gefühle als Fakten verkünden, haben sie einige Erfolge erzielt. Sie wirken sogar bereits in einer Bundestagspartei mit, und es ist nicht mal die AfD.

Das Spektrum der Antifeministen ist weit und gut vernetzt. Es gibt langjährige Streiter wie den Berliner Publizisten Gunnar Kunz, der Feminismus für die ,,größte Bedrohung der Demokratie seit Bestehen der Bundesrepublik" hält. Männer seien ,,Wegwerfartikel", um deren Wohlergehen sich niemand sonderlich sorge. Für ein Interview mit dem Tagesspiegel steht Kunz nicht zur Verfügung.

Es gibt den Blogger Hadmut Danisch, der über das Wesen der Frau Folgendes schreibt: ,,Einerseits fordert sie Posten in den Vorständen der größten Unternehmen, andererseits kann sie nicht mal selbstverantwortlich und zuverlässig entscheiden, mit wem sie bumst." Jede Beischlafentscheidung sei unverbindlich, und wenn die Frau es sich später anders überlege, werde ,,die Sache auf Kosten des Mannes rückwirkend zur Vergewaltigung erklärt." Für ein Interview steht Danisch nicht zur Verfügung.

Sehr populär ist unter Antifeministen die Webseite wgvdl.com, das steht für ,,Wieviel ,Gleichberechtigung' verträgt das Land?" Hass auf Frauen wird dort offen ausgelebt. Im Forum erklären Männer, Lesben gehörten vergewaltigt, um sie heterosexuell zu prägen. Der Nationalsozialismus sei in seinem Innersten weiblich gewesen. Und die Affäre um Harvey Weinstein habe nur eines bewiesen: was Frauen für Geld und Aufmerksamkeit zu tun bereit seien. Weinsteins Opfer werden im Forum als ,,Klageweiber" verspottet. Für ein Interview steht der Betreiber der Seite nicht zur Verfügung.

Matthias Enderle, der Vorsitzende von ,,Manndat", sagt, mit Frauenhass ließen sich keine Lösungen finden. In seinem Verein gebe es definitiv keinen Hass. Er wehrt sich auch gegen das Etikett Antifeminismus. Sein Verein sei lediglich feminismuskritisch. Seine Worte über Hassforen wie WGvdL sind mit Bedacht gewählt. Enderle geht auf Distanz, verurteilt sie aber nicht.

Dass er als Mann diskriminiert werde, habe er erstmals mit Mitte 30 gefühlt. Da sagte er zu seiner Hausärztin: ,,Ich hätte ganz gerne eine Krebsvorsorge." Die habe ihm erklärt, dass er die erst ab 45 bekomme, noch zehn Jahre warten müsse. Enderle sagt: ,,Das war der erste Riss."

Mit Manndat wolle er aufklären, zum Beispiel über den ,,Glaubenssatz", Männer neigten eher zu häuslicher Gewalt: ,,Ich hatte immer das Gefühl, da kann irgendwas nicht stimmen. Ich habe mich nicht so erlebt, habe auch andere Männer nicht so erlebt. Ich war nie gewalttätig."

Aktuelle Statistiken wie die der Bundesregierung, wonach 81 Prozent aller Opfer von Partnerschaftsgewalt weiblich sind, bei sexuellen Übergriffen in Partnerschaften sind es sogar 98 Prozent, werden von Männerrechtlern angezweifelt, kleingeredet, als ,,ideologisch motiviert" abgelehnt. Solche Zahlen dienten nur der ,,Dämonisierung" des Mannes.

Die Aktivisten kontern mit eigenen Studien. Eine besagt, dass Männer, die ihre Oberarme und Schultern mit Testosteron-Gel einreiben, anschließend eher bereit sind, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden.

Matthias Enderle sagt, die Diskriminierung seines Geschlechts zeige sich auch in der Berichterstattung über Tötungsdelikte: ,,Wenn ein Mann tötet, ist sofort klar, dass er es aus niederen Beweggründen tat." Dass dieser aus purer Lust an der Gewalt gemordet habe. Bei einer Frau heiße es schnell, dass sie ,,jemanden schützen wollte, dass sie in einer Ausnahmesituation war und nicht anders konnte."

Jungen, sagt Enderle, erführen Nachteile im Bildungswesen. Dies liege etwa daran, dass unter den Lehrern zu wenig Männer seien und auf die Interessen von Jungen zu wenig Rücksicht genommen werde. Sein Verein hat deshalb eine Liste von Büchern erstellt, die er Pädagogen für den Unterricht empfiehlt. Darunter finden sich eine Menge Fußball-, Drachen- und Abenteuergeschichten, aber auch der Roman ,,Ausgezickt", in dem es die Hauptfigur Jan ,,den dummen Zwillingszicken mal so richtig zeigt".

Zufällig finden sich auf der Empfehlungsliste gleich mehrere Bücher von Gunnar Kunz. Das ist der Autor, der den Feminismus für die ,,größte Bedrohung der Demokratie seit Bestehen der Bundesrepublik" hält.

Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass fünf Prozent aller deutschen Männer offen antifeministisch eingestellt sind, etwa dem Satz zustimmen: ,,Frauen sind von der Politik genug gefördert worden, jetzt sind die Männer dran." Ein Drittel aller Männer sei für einzelne antifeministische ,,Einstellungen oder Facetten empfänglich".

Zu den ärgsten Feindbildern der Bewegung zählen junge Frauen wie Greta Thunberg. Aber auch Männer, die sich für Frauenrechte einsetzen. Die werden als ,,lila Pudel" beschimpft. Es heißt, sie hätten ihr eigenes Geschlecht verraten.

Auf der anderen Seite haben die Antifeministen einige Heldinnen. Etwa die verstorbene Schauspielerin Hannelore Elsner, weil die vor drei Jahren die Metoo-Debatte als ,,verlogen" bezeichnete. Sie sehen Elsner als Kronzeugin ihrer These, dass sich Weinsteins Opfer in Wahrheit ,,hochschlafen" wollten.

Gunnar Kunz beklagt in seinem Blog, die Coronakrise werde von Feministen missbraucht. Die behauptete Zunahme häuslicher Gewalt sei bloß eine ,,feministische Fantasie", eine gezielte Lüge, um in der Pandemie nicht von ,,der Spitze der Opferolympiade" vertrieben zu werden. Kunz schreibt: ,,Die Versuche, das Leid anderer Menschen auszubeuten, ihnen Hilfsmaßnahmen wegzunehmen und für eigene Zwecke zu verwenden, sind immer schon Bestandteil der feministischen Bewegung gewesen."

Zum Spektrum des Antifeminismus gehören auch die sogenannten ,,Incels". Männer, die nach eigener Aussage keine Aussicht auf Sex haben und dies Frauen verübeln. Ihre Überzeugung: Frauen seien oberflächlich, grausam und einfach böse. Incels fordern, der Staat müsse Frauen zu Sex mit Männern verpflichten.

Immer öfter führt der Hass im Netz zu Gewalt in der realen Welt. Etliche rechte Attentäter der vergangenen Jahre waren Antifeministen [https://www.tagesspiegel.de/politik/menschen-toten-und-sich-selbst-leidtun-5036515.html]: Anders Breivik genauso wie die Mehrfachmörder von Halle und Hanau, Christchurch, El Paso und Toronto. Das Motiv Frauenhass werde bei vielen Terrortaten noch unterschätzt, sagt der Soziologe Andreas Kemper am Telefon: ,,Dieser Faktor wird zu wenig beleuchtet." Kemper hat sich jahrelang mit Antifeminismus und seinen Folgen beschäftigt. Es gebe in der Szene etliche ,,Breivik-Versteher", die den Attentäter eigentlich für ein Opfer hielten. Dieser habe letztlich ausrasten müssen, weil der Feminismus und die politische Korrektheit ihn drangsaliert hätten.

Was Frauenhasser zu Mördern werden lasse, nennt Andreas Kemper ,,apokalyptische Männlichkeit". Eine Männlichkeit, die auf die Vernichtung des Feindes ausgerichtet sei. Eine Männlichkeit, die ,,abrechnet".

Oft erst nach langer Vorlaufzeit. In den USA versuchte ein Antifeminist vorigen Monat, eine angeblich zu frauenfreundliche Bundesrichterin zu erschießen. Zuvor hatte der Mann als Rechtsanwalt jahrelang gegen Benachteiligungen von Männern geklagt, etwa gegen Clubbetreiber, die Frauen an ,,Ladies' Nights" günstigere Drinks versprachen. Beim Versuch, das Haus der Richterin zu stürmen, tötete der Rechtsanwalt ihren Sohn.

Auch die anonymen, mit ,,NSU 2.0" unterschriebenen Todesdrohungen richteten sich zunächst ausschließlich gegen Frauen, enthielten sexistische Schmähungen und Vergewaltigungsfantasien.

Zuweilen mischt sich der Frauenhass mit Antisemitismus. In seinem Bekennervideo erklärte der Attentäter von Halle, geheime Mächte hätten den Feminismus erfunden, um die Geburtenzahlen zu senken und so die Völker des Westens auszurotten. Und diese geheimen Mächte seien natürlich die Juden.

Andreas Kemper, der Soziologe, sagt am Telefon, das Spektrum der Antifeministen sei zwar breit gefächert. Doch die Schnittmengen der verschiedenen Lager seien größer, als nach außen hin suggeriert werde. ,,Und die Übergänge sind fließend." Tatsächlich gebe es Berührungspunkte zwischen Vereinen der Männerrechtsbewegung und Frauenhasser-Portalen. ,,Die Bewegung hat sich vor zehn Jahren gespalten", sagt Kemper. Der moderatere, sich seriös gebende Flügel habe eine strategische Entscheidung getroffen. ,,Die Vereine wollen gesellschaftlich anerkannt werden, vertrauenswürdig und wissenschaftsgeleitet wirken." Um dann in Fernsehsendungen als Experten geladen zu werden. Um Medien mit Statistiken versorgen zu können. Um ernst genommen zu werden und gestalten zu können.

Tatsächlich waren Manndat-Mitglieder wie der Publizist Arne Hoffmann vor zehn Jahren noch im Hassforum von WGvdL aktiv, Hoffmann bezeichnete es als ,,zentrales Diskussionsforum der Männerbewegung". Eines seiner Bücher veröffentlichte er im Verlag des extrem rechten Götz Kubitschek, schrieb auch für dessen Blog ,,Sezession" und rechte Plattformen wie ,,Die Freie Welt", deren Herausgeber der Ehemann von Beatrix von Storch ist. Mehrfach gab Hoffmann der ,,Jungen Freiheit" Interviews, warnte dort etwa vor ,,faschistoiden Aspekten" im Feminismus. Im ,,Compact"-Magazin von Jürgen Elsässer veröffentlichte er den Text ,,Von Hitler bis Breivik: Das Elend der Vaterlosigkeit".

Manndat wiederum gab AfD-Rechtsaußen Hans-Thomas Tillschneider ein Forum. Im Interview sagte Tillschneider, zwischen Mann und Frau sollte eine ,,unterschiedliche, ihrem Wesen angemessene Gewichtung von Rechten und Pflichten herrschen".

Mit ihrer Taktik, sich seriös und keinesfalls rechts zu geben, hätten die Männerrechtler bereits ein Stück Normalisierung erreicht, sagt Andreas Kemper. Das nächste Ziel sei, auch auf der politischen Bühne als akzeptable Gesprächspartner angesehen zu werden. Im besten Fall auf Augenhöhe und gleichberechtigt mit den Frauenverbänden.

Ein paarmal ist dies schon gelungen. Zwei Aktivisten von Manndat wurden, auf Anfrage der FDP, als Experten zum Thema Gesundheitspolitik im nordrhein-westfälischen Landtag angehört. Arne Hoffmann schrieb danach: ,,Bislang war die Männerrechtsbewegung ein Teil der außerparlamentarischen Opposition. Mit der FDP gewinnen wir aktuell Zugang auf die parlamentarische Ebene."

Überhaupt hat die Bewegung in der FDP – neben der AfD – am stärksten Fuß gefasst. Parteimitglieder riefen vor drei Jahren einen eigenen Verein ins Leben, der in die Partei und aus ihr heraus wirken soll: die ,,Liberalen Männer". Initiiert wurde die Gründung von Mitgliedern des Männerrechtsvereins Manndat. Es heißt, ähnliche Bestrebungen in anderen Parteien seien angedacht.

Matthias Enderle findet es ungerecht, dass bei Männern, sobald sie einen Verkehrsunfall bauten, als Grund gleich ,,überhöhte Geschwindigkeit" genannt werde. Bei Frauen heiße es dagegen ,,aus ungeklärter Ursache". Dabei erlebe er im Straßenverkehr, dass ,,bei vielen Frauen die Augen sonst wo sind, zum Beispiel auf dem Handy. Das ist Unaufmerksamkeit."

Enderle findet auch ungerecht, dass so wenig über die gefährlichen Männerberufe gesprochen werde, die tödliche Betriebsunfälle mit sich bringen. ,,Es ist bezeichnend, dass dort niemand nach Gleichverteilung schreit." Und er hat eine Erklärung für manche männlichen Gewaltausbrüche: Perspektivlosigkeit. Unterlassungssünden in den letzten 30 Jahren, gerade auf dem Bildungssektor, hätten dazu geführt, dass es ,,heute eine hohe Zahl von perspektivlosen Männern" gebe.

Herr Enderle, gibt es denn Ihrer Meinung nach gar keine Fälle, in denen heute noch Frauen diskriminiert werden?

Doch, sagt Matthias Enderle, und seine Antwort spricht für sich. Frauen hätten ,,mehr Aufklärung" über die Frage verdient, was sie im Leben wollten, welche Konsequenzen das habe und ob sie bereit seien, diese zu tragen. Viele Frauen seien in Situationen geraten, die sie als Benachteiligung empfänden, weil sie sich ,,einfach für etwas entschieden" und nun Probleme mit den Folgen hätten. ,,Entweder weil sie die Folgen nicht bedachten, oder sie haben diese nicht ernst genommen." Das beträfe etwa Frauen, die beschlossen haben, das Kind alleine zu erziehen, und dann ,,feststellen, dass sie allein überfordert sind". Enderle sagt: ,,Da könnte man vermitteln, dass man mit etwas mehr Weitblick einiges vermeiden kann."


Aus: "Das Netzwerk der Antifeministen: Wenn fragile Männlichkeit gefährlich wird" Sebastian Leber (13.08.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/wenn-fragile-mannlichkeit-gefahrlich-wird-5373220.html

...

QuoteHaukeHain
08.08.20 13:32

Ein Mix aus persönlichen Enttäuschungen, Hörensagen, "Beobachtungen" führen Herrn Enderle und seine Vereinskollegen ohne den mühevollen Umweg über Fakten, Statistiken oder die Historie zu nehmen, zu ihrem Befund, es gebe eine Haskultur gegen Männer.
Völlig absurd und ein typischer Fall von Täter-Opfer-Umkehr. Gewalt war und ist zum größten Teil männlich. Opfer waren und sind vor allem Frauen und Kinder.
Dass Frauen ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten, ein eigenes Konto besitzen oder ihr Vermögen selbst verwalten dürfen, ist noch nicht so lange her.
Dass der Mann seine Frau nicht ungestraft vergewaltigen kann, ist erst seit 1997 so (Friedrich Merz und Hotte Seehofer waren übrigens dagegen). Häusliche Gewalt war und ist Legion und sie ist überwiegend männlich. Soldatinnen oder Polizistinnen gibt es auch noch nicht so lange, das Recht auf gleiche Teilhabe in diesen öffentlichen Ämtern musste mühsam erstritten werden. Erst seitdem haben Frauen das gleiche Recht in diesen gefahrgeneigten Berufen körperlichen Schaden zu nehmen.
Und diese Befunde werden auch nicht umgewertet durch Frau Schwarzers unheilvolles Kommentieren im Fall Kachelmann, durch gewalttätige Frauen, die es auch gibt, oder durch männliche Benachteiligungen im Kindschafts- oder Unterhaltsrecht, die langsam behoben werden; gerade weil sich das Familienbild und die Rollenverteilung in den letzten jahrzehnten massiv verändert und verbessert haben. Auch eine Folge der völlig berechtigten Forderungen der Feministinnen.


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Quote[...] In Großbritannien werden Gerüchte über eine mögliche Millionenspende von US-Milliardär Elon Musk an die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel Farage immer lauter. Der Parteichef, der als Brexit-Vorkämpfer bekannt wurde, kündigte an, Reform würde Geld von Musk annehmen. Gegner warnten hingegen, der X- und Tesla-Chef wolle sich eine Partei kaufen.

Britische Medien berichteten zuletzt, Musk wolle den Rechtspopulisten gewaltige Summen spenden. Im Gespräch sind demnach umgerechnet fast 100 Millionen Euro. Eine Bestätigung von Musk gab es bislang nicht. Auf die Frage eines Reporters, ob er 80 Millionen Pfund spenden wolle, antwortete der Tech-Unternehmer kürzlich mit Nein.

Musk hat seit Sommer wiederholt die britische Regierung um den sozialdemokratischen Premierminister Keir Starmer angegriffen. Unter anderem nannte er Großbritannien einen ,,tyrannischen Polizeistaat", nachdem Rechtsradikale wegen Anstachelung zum Hass im Internet zu Haftstrafen verurteilt worden waren.

Auf Farages Ankündigung bei X, Reform werde ,,die britische Politik für immer verändern", antwortete Musk: ,,Wann gibt es die erste Wahlmöglichkeit?"

Der neue Partei-Schatzmeister Nick Candy, der von den Konservativen überlief, sagte dem rechten Sender GB News, Reform UK würde sich über Geld von Musk freuen. Der milliardenschwere Immobilienunternehmer versprach zudem eine ,,siebenstellige Summe" aus eigener Tasche.

Auch Farage zeigte sich offen für Geld von Musk. ,,Wir brauchen Munition. Wir können keine großen landesweiten Wahlkampagnen ohne Geld führen", sagte der ehemalige EU-Parlamentarier. Er inszeniert sich seit langem als großer Fan des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, den er wiederholt traf, und als ,,großer Bewunderer" von Musk. Dieser hatte mehr als 250 Millionen Dollar zur Unterstützung von Trumps Wahlkampf gespendet.

Reform UK hatte den Konservativen bei der Parlamentswahl im Juli zahlreiche Stimmen geklaut, ist im Unterhaus in London wegen des britischen Mehrheitswahlrechts aber nur mit fünf Abgeordneten vertreten. In Umfragen legte die Partei, die einen strikten Anti-Migrationskurs fährt, zuletzt weiter zu. (dpa)


Aus: "Großspende von Elon Musk für britischen Rechtspopulisten Farage?" (10.12.2024)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/internationales/geruchte-uber-fast-100-millionen-euro-spendet-elon-musk-britischen-rechtspopulisten-farage-millionen-12854441.html

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" ... Beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am Alten Markt am Abend des 20. Dezember 2024 wurden fünf Menschen getötet und mehr als 200 Personen verletzt, darunter 41 Schwerst- und 90 Schwerverletzte. Der mutmaßliche Täter Taleb A., ein 50-jähriger Saudi, steuerte einen gemieteten PKW durch die Absperrungen in den Magdeburger Weihnachtsmarkt und mit hoher Geschwindigkeit durch die dort angesammelte Menschenmenge. Er wurde von der Polizei unmittelbar nach der Tat festgenommen. ..." (21. Dezember 2024)
https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_den_Magdeburger_Weihnachtsmarkt_am_20._Dezember_2024

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Quote[...] Zur Einstimmung lässt die AfD an diesem Montagnachmittag ruhige Klaviermusik über die Lautsprecher an der Bühne laufen. Anhänger der Partei zünden Kerzen für die fünf Todesopfer und etwa 200 Verletzten vom Anschlag
auf dem nahe gelegenen Weihnachtsmarkt an, ein Trompeter spielt ein Kirchenlied.

Die von der Partei auf dem Magdeburger Domplatz organisierte Besinnlichkeit ist nur von kurzer Dauer. »Raus mit dem ganzen Dreckszeug«, schimpft eine Frau. Sie sei gekommen, um »unsere Alice« zu sehen. »Die Wirtschaftsflüchtlinge müssen alle sofort raus«, sagt sie, damit Deutschland wieder sicher werde. Sie sei aber keine Rechtsextreme, schiebt sie noch schnell hinterher, bevor sie in der Menge verschwindet.

Ein großer Teil des Publikums ist an diesem Abend schwarz gekleidet, jung und männlich. »Abschieben, abschieben, abschieben!«, rufen die Männer im Chor, wenn auf der Bühne jemand über den Attentäter  von Magdeburg spricht, dessen Name die AfD-Redner nicht aussprechen.

Im Publikum brüllt plötzlich ein Mann laut los, als er von einem Journalisten nach seiner Meinung gefragt wird: »Was muss denn noch passieren, damit sich endlich was ändert?«, schreit er. Man könne doch nicht gutheißen, dass die Polizei Weihnachtsmärkte absichern müsse.

Das ist der andere Sound der AfD-Kundgebung in Magdeburg. Er ist nicht andächtig, sondern wütend, ausländerfeindlich und aggressiv. Auf der Bühne redet inzwischen ein AfD-Mann von angeblich mehr als 30.000 Messerangriffen  durch Migranten in drei Jahren. Er ruft: »Wir wollen keine Gruppenvergewaltigungen.« Die Grenzen müssten endlich geschlossen werden. »Abschieben, abschieben, abschieben«, schallt es wieder aus dem Publikum.
Als Alice Weidel gegen 17.30 Uhr die Bühne betritt, ist die Stimmung längst nicht mehr besinnlich. »Wir sind hier zusammengekommen, um der Opfer einer Wahnsinnstat zu gedenken«, sagt die AfD-Chefin  und Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl im Februar. »Es war die Tat eines Islamisten«, ruft Weidel in die Menge, und es scheint ihr egal zu sein, dass der Todesfahrer von Magdeburg genau das offenbar nicht war: ein Islamist. Taleb Al Abdulmohsen ist eher ein wirrer Islamkritiker und Rechtsradikaler, einer der in seinen Posts offen für die AfD schwärmte und für den US-Milliardär Elon Musk.

Um den Mann, der am Freitagabend in einem geliehenen Geländewagen durch die Menge raste, fünf Menschen tötete und um die 200 verletzte, geht es auf der AfD-Veranstaltung aber ohnehin nur am Rande. Weidel redet über ihre beiden Söhne, die im Alter des jüngsten Opfers seien. Sie spricht den Eltern ihr Beileid aus.

Mit dem Todesfahrer will sich die Partei offenkundig nicht auseinandersetzen. Ein AfD-Mann sagte, man wolle noch mit dem Märchen aufräumen, dass er etwas mit der AfD zu tun hätte. Er selbst komme aus dem Wahlkreis, in dem der Attentäter gelebt habe, und er habe niemals von ihm gehört, der Attentäter habe mit der AfD nie etwas zu tun gehabt. Das sei widerliche Propaganda der Systempresse und der Altparteien. Zuschauer reagieren mit Pfiffen und Pfuirufen.

Taleb Al Abdulmohsen war zwar kein Parteimitglied, aber ein großer Fan der in Teilen rechtsextremen Partei. Spielt das für die Partei keine Rolle? »Nein«, sagt ein anwesender AfD-Mann, der Mann habe in seinen Accounts »viel herumgeschwafelt«. Es sei ein Skandal, dass der Attentäter, der verurteilt worden war, weil er mit Gewalt gedroht hatte, nicht nach Saudi-Arabien  abgeschoben worden sei, sagt der Mann.
Abschiebungen nach Saudi-Arabien sind schwierig, weil es dort die Todesstrafe gibt und jedes Jahr Menschen hingerichtet werden.

Alice Weidel kritisiert die Migrationspolitik der Bundesregierung. »Wir wollen endlich, dass etwas passiert«, ruft sie, »dass wir endlich wieder in Sicherheit leben können.« Das ist der Ton vom Domplatz in Magdeburg, das ist der Ton des AfD-Wahlkampfs.

Die Rede der AfD-Chefin wird immer wieder von Sprechchören unterbrochen. Sie rufen »abschieben, abschieben, abschieben« und »Alice, Alice, Alice«. Bevor sie geht, wünscht Alice Weidel den Anwesenden ein »gesegnetes Weihnachtsfest«.


Aus: "Wie die AfD mit der Todesfahrt von Magdeburg Wahlkampf macht" Aus Magdeburg berichtet Hubert Gude (24.12.2024)
Quelle: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/magdeburg-wie-die-afd-mit-der-todesfahrt-auf-dem-weihnachtsmarkt-wahlkampf-macht-a-3e4d1fe9-35a2-477c-b741-fd826e627c00

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Quote[....] Kann man rechts und links verwechseln? Vergangene Woche sagte Alice Weidel, Hitler sei Kommunist gewesen. Im Talk mit Elon Musk sprach die AfD-Kanzlerkandidatin auch über den Nationalsozialismus. Und erklärte, dieser sei «alles andere als rechts». Der grösste Erfolg «nach dieser schrecklichen Ära» sei es gewesen, Hitler als rechts und konservativ zu bezeichnen. Aber Hitler sei das Gegenteil gewesen: «Er war nicht konservativ. Er war ein sozialistisch-kommunistischer Typ.»

In den sozialen Netzwerken erntete Weidel Kritik, aber auch viel Beifall. Auf Nachfrage hielt sie an der Behauptung fest. Sie sei Ökonomin, sagte sie in einem Interview auf RTL, und sehe das «aus der Brille der ökonomischen Dogmengeschichte». Für Ökonomen sei völlig klar, dass Hitler «ein Linker» gewesen sei. Ein «antisemitischer Sozialist».

Man müsse sich nur die Methoden ansehen, mit denen Hitler gearbeitet habe, so Weidel. Es seien die gleichen, wie die Linke sie heute anwende: Gleichschaltung von Medien, Einschränkung der Meinungsfreiheit und Ausgrenzung von anderen Meinungen. Stalin und Hitler bezeichnete sie als «Brüder im Geiste». Auf den Rassenwahn der Nazis angesprochen, sagte Weidel: «Der Antisemitismus ist links. Es sind Linke, die auf die Strasse gehen, ‹Free Palestine› rufen und Israelis verfolgen.»

Die Medien von ARD und ZDF bis «Spiegel» und «Welt» brachten Historiker in Stellung und überboten sich gegenseitig in Faktenchecks. Ihr Fazit war klar. Die Behauptungen seien «grundfalsch», sagte Andreas Wirsching vom Münchner Institut für Zeitgeschichte am Deutschlandfunk. Und in Hinblick auf die Opfer des NS-Regimes seien sie «zynisch, politisch irreführend und infam». «Alles Quatsch», sagte Michael Wolffsohn in der «Bild»-Zeitung. Weidel wolle die AfD von dem Verdacht reinwaschen, nationalsozialistisch zu sein.

Das ist zweifellos richtig. Und so wie Weidel ihre Aussage begründet hat, ist sie erst recht nicht haltbar. Gerade im ökonomischen Sinn war Hitler kein Sozialist. Privateigentum stellte er nicht infrage. Mit Verstaatlichungen hielt er sich zurück. Wo er sie anordnete, tat er es nicht aus ideologischen Gründen, sondern um Deutschland möglichst rasch kriegstauglich zu machen. Mit den grossen Industriellen arrangierte er sich und liess sich zum Teil von ihnen finanzieren.

Vor allem: Die ersten Opfer der Nazi-Gewalt waren Linke. Schon vor der Machtübernahme wurden einige Kommunisten von SA-Schlägern ermordet. Ab 1933 wurden sie zusammen mit Sozialdemokraten in Konzentrationslagern interniert. Hitler verstand den Nationalsozialismus ausdrücklich auch als Kampf gegen den Kommunismus. Er wolle den Marxismus «mit Stumpf und Stiel» ausrotten, betonte er.

Ideologisch hat der Nationalsozialismus kaum Gemeinsamkeiten mit dem Kommunismus. Klasse war keine Kategorie in Hitlers gesellschaftlichem Denken. Er orientierte sich an der Vorstellung einer «Volksgemeinschaft», die Klassenunterschiede nicht zum Verschwinden bringen, sondern übersteigen sollte. In einer Gemeinschaft aller, die durch die «Rasse» miteinander verbunden sind.

Im Gespräch mit Musk wies Weidel darauf hin, dass die Nationalsozialisten ihre sozialistische Herkunft ja schon im Namen trügen. Tatsächlich findet sich in Hitlers nie veröffentlichtem zweitem Buch, das im Mai 1945 in einem Luftschutzbunker in München entdeckt wurde, der Satz: «Ich bin Sozialist.» Das schrieb Hitler 1928. Wie er es gemeint hat, ist allerdings unklar.

Denn mit allem, was sozialistisch ist, wollte er nichts zu tun haben. Von Otto Strasser, der seit 1925 zu den führenden Köpfen der NSDAP gehörte und einen sozialistisch geprägten Nationalsozialismus vertrat, trennte sich Hitler im Sommer 1930. Strasser trat aus der Partei aus, gründete den Kampfbund «Schwarze Front» und publizierte den Aufruf «Die Sozialisten verlassen die NSDAP!».

Damit hatte sich der Nationalsozialismus vom Sozialismus getrennt. Doch Alice Weidel ist nicht die Erste, die die These vertritt, die beiden hätten mehr gemeinsam als den Namen. 2003 fragte der Historiker und Publizist Joachim Fest, Verfasser einer brillanten Hitler-Biografie, in einem Zeitungsartikel: «War Adolf Hitler ein Linker?» Und bejahte die Frage. Wenigstens zum Teil. Es gebe gute Gründe, schrieb er, dass er «eher auf die linke Seite» gehöre. Mit dem Totalitarismus Stalins habe er jedenfalls mehr gemein als mit dem Faschismus Mussolinis.

Dass Hitler keine Produktionsmittel verstaatlicht habe, spreche nicht dagegen, sein Programm sozialistisch zu nennen, fand Fest. Tatsächlich habe Hitler einen weit klügeren Einfall gehabt und, wie er selbst sagte, «nicht die Betriebe, sondern die Menschen» sozialisiert. Ein Kapitalist sei er jedenfalls nicht gewesen. Viele der jungen Männer, die im Frühling 1933 in die SA eintraten, waren ehemalige Kommunisten. Den Wechsel zu den Nazis, sagt Fest, hätten sie nicht als Bruch empfunden.

«Im Herzen», so Fest, «blieb man Sozialist, nur dass man von nun an auch noch national sein durfte.» In der Politik hätten die unversöhnlichsten Rivalen oft etwas von feindlichen Zwillingen. Den Traum vom «neuen Menschen» hätten Kommunisten wie Nazis geträumt. Beide hätten nichts so sehr verachtet wie das Bürgertum. Ein klarer Unterschied, so Fest, liege darin, dass sich der Nationalsozialismus schon im Programm unmenschlich ausgenommen habe, während der Sozialismus in «humanitären Maskeraden» aufgetreten sei.

Für Fest war dies eine Warnung, keiner Ideologie zu vertrauen. Weil sie nie hielten, was sie versprächen. Und weil sich hinter ihrer Fassade immer das «nackte Grauen» verberge. Auch der Historiker und Schriftsteller Sebastian Haffner, der Deutschland 1938 verlassen musste und dessen Analysen des braunen Terrors noch heute lesenswert sind, warnte davor, es sich mit Hitler zu einfach zu machen.

In seinem Buch «Anmerkungen zu Hitler» schrieb Haffner: «Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie es viele Leute heute zu tun gewohnt sind.» Eine Antwort darauf, wo man ihn denn sonst einordnen soll, bleibt Haffner schuldig. Hitler als links zu bezeichnen, ist zweifellos falsch. Aber zu einfach sollte man es sich tatsächlich nicht machen.

Der Nationalsozialismus bewegte sich jenseits herkömmlicher politischer Kategorien. Im Mittelpunkt standen ein glühender Antisemitismus und die Idee eines «grossgermanischen Weltreichs». Dem mussten sich alle anderen Elemente der Nazi-Ideologie unterordnen. Hitler machte Zugeständnisse. Den Eliten bot er das Bewusstsein der Auserwähltheit, um ihnen das «Völkische» schmackhaft zu machen. Den Arbeitern ein bisschen Sozialismus, um sie für den Nationalismus zu gewinnen. Das stimmt. Aber es macht Hitler noch nicht zum Kommunisten.


Aus: "«Hitler war Sozialist», sagt Alice Weidel. Das ist falsch. Aber nicht ganz" Thomas Ribi (17.01.2025)
Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/hitler-war-kein-kommunist-warum-alice-weidel-falsch-liegt-aber-nicht-ganz-ld.1866200

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Quote[...] AfD-Chefin Alice Weidel kann sich auch in Deutschland die Einbindung von Superreichen in eine Regierung vorstellen, wie das bei Tech-Milliardär Elon Musk in den USA der Fall ist. Auf eine entsprechende Frage sagte sie im RTL-Kandidatencheck: "Ich glaube, dass es dem politischen Betrieb guttäte, wenn deutlich mehr Menschen mit wirtschaftspolitischem Sachverstand und vor allen Dingen auch erfolgreiche Unternehmer ihren Sachverstand mit einbringen, sodass eine deutlich bessere wirtschaftspolitische Ausrichtung stattfindet, das tut dringend Not."

Dementsprechend könne sie es sich sehr gut vorstellen, einen Elon Musk, einen Paypal-Gründer Peter Thiel oder auch jemanden wie Molkereiunternehmer Theo Müller in einer Regierung zu haben. Müller hatte Weidel in einem NZZ-Interview "eine Freundin" genannt, die öfter zu Besuch komme.

Auf die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump blickt die AfD laut Weidel mit positiven Erwartungen. Trump habe in seiner ersten Präsidentschaft keinen Krieg angefangen. "Und er hat in seinen Wahlkampf vor allen Dingen den Frieden in der Ukraine und auch im Nahen Osten reingebracht – als Einziger", sagte Weidel. "Und dementsprechend setzen wir natürlich neue und große Hoffnungen in die Präsidentschaft von Donald Trump." Auf X gratulierte sie Trump und wünschte ihm und den US-Bürgern auf Englisch "viel Erfolg und Gottes Segen".


Aus: "Weidel spricht sich für Einbindung von Superreichen in Regierung aus" (20. Januar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-01/alice-weidel-rtl-interview-superreiche-regierung

QuoteThomas Pichler

Soll sie doch.

Aber zuerst muss sie dann den AfD-Wählern, den "kleinen" Mitbürgern erklären, was das denen bringen wird: Etwa Hire-n-Fire, Verbot von Gewerkschaften uä., sowie Betriebsräten, wie überhaupt komplette Demontage des Arbeitsrechts, Raubtierkapitalismus vom Allerfeinsten (das auch die berühmten) Mittelständler killen wird, Abbau von AlG I – und alle anderen Sozialleistungen erst recht, Rente und KV vollkommen in Privatversicherungen abgeben: Alles wie in den USA.

Goldman Sachs jubelt.


QuoteZachäus

Das wird die AfD'ler nichtmal stören! Im 3. Reich gab es doch auch keine Gewerkschaften, weil kranke und schwache Arbeiter nicht zum heldischen Ideal passen!


QuoteEchse des Bösen

Ist doch egal, solange es den Ausländern noch schlechter geht. Hauptsache, man kann auf jemanden herabschauen.


QuoteRandolf K

Es gibt keine Ausreden mehr. Wir haben es alle gewusst, was diese Partei vor hat.


QuoteJan Berger

Die AfD.....die Partei des "kleinen Mannes". ...


QuoteShivon

Die AFD-Wähler verkaufen doch ihre Partei immer wieder als Anti-Eliten-Partei und nun das?
Erst ist Hitler links, nun lädt man den internationalen Geldadel ein.
Irgendwann kann doch nicht mehr die kognitive Dissonanz 'reinkicken...


...

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Quote[...] Schläge, Tritte und Nazi-Grüße: Binnen weniger Stunden hat es am Freitag in Berlin zwei rechtsextreme Angriffe gegeben. Der erste ereignete sich am Nachmittag in der S-Bahn, der zweite am Abend in der U-Bahn.

Wie die Polizei am Sonnabend berichtete, zeigte ein 22-Jähriger zunächst eine gefährliche Körperverletzung an. Demnach seien gegen 17.30 Uhr am Bahnhof Ostkreuz zwei unbekannte Jugendliche in eine Ringbahn der Linie S42 in Richtung Norden eingestiegen.

Sie sollen den 22-Jährigen aufgefordert haben, einen antirassistischen Aufkleber von seinem Rucksack zu entfernen. Als er sich der Forderung widersetzte, wurde er nach eigener Aussage von den beiden bedroht, geschlagen und getreten.

Am Bahnhof Landsberger Allee sollen die beiden einen Hitlergruß gezeigt haben und geflohen sein. Der 22-Jährige blieb körperlich unverletzt.

Wenig später, gegen 22.30 Uhr, wurde ein 25-jähriger Kanadier mit asiatischen Wurzeln in einer U-Bahn der Linie U2 von zwei Vermummten attackiert. Dabei hätten sie verfassungsfeindliche sowie rassistische Parolen skandiert, teilte die Polizei am Samstag mit.

Wie ein Sprecher berichtete, traten die beiden Männer den 25-jährigen Mann in einem Waggon am Bahnhof

Klosterstraße in den Bauch und riefen ,,Heil Hitler".

Der Mann wechselte daraufhin mit seiner Begleiterin den Wagen. Die Angreifer gingen ihm einem Polizeibericht zufolge am U-Bahnhof Senefelderplatz hinterher und schlugen ihm ins Gesicht. Dabei wurde er zusätzlich rassistisch beleidigt.

Erst als zwei Zeuginnen dazwischen gingen, sollen die Angreifer von dem Mann abgelassen haben und geflüchtet sein. Der Mann erlitt Kopfverletzungen, ließ sie aber der Mitteilung zufolge nicht behandeln. Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt nun in beiden Fällen die weiteren Hintergründe.


Aus: "Zwei rechtsextreme Angriffe an einem Tag: Schläge, Tritte und Nazi-Grüße in Berliner Zügen" Marius Gerards
 (01.02.2025)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/zwei-rechtsextreme-angriffe-an-einem-tag-schlage-tritte-und-nazi-grusse-in-berliner-zugen-13129708.html

QuoteColonia25
01.02.25 19:44

Behauptet die AfD nicht immer, dass man in Deutschland nicht mehr sicher leben kann?


QuoteBR
02.02.25 10:10
@Colonia25 am 01.02.25 19:44

Man hört auch immer mal von der rechtsextremen Seite, dass nur bestimmte Migranten unerwünscht seien.
Gegen Fachkräfte und Touristen habe man gar nichts. Wie fein und differenziert da zugehauen wird! Man staunt!


QuoteMeemee
02.02.25 09:22

Genau das ist meine Sorge - dass sich die Stimmung im Land aufgrund der Handhabung des Migrationsthemas durch Politiker und Medien so verschlechtert, dass ich Angst haben muss, meine Kinder, denen man es ansieht, dass ihr Großvater nicht deutsch war, allein auf die Straße zu lassen.


QuoteAnvan
02.02.25 09:10

Rechter Populismus führt zu Hass gegen alle Personen, die nicht in ein von rechten Kräften definiertes Schema passen. Dieser Hass führt zu Gewalt. Durch die gemeinsame Abstimmung der CDU/CSU mit der Afd wird dieser rechte Hass legitimiert, rechte Kräfte fühlen sich gestärkt und begehen solche Taten. Auch um Angst zu verbreiten. Und genau deshalb öffnet man nicht das Tor nach rechts.


...

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Quote[...] Es ist gar nicht so lange her, da existierte keine einzige rechtspopulistische Partei in Europa oder Nordamerika, die auch nur in die Nähe eines zweistelligen Wahlergebnisses kam.

In Frankreich erreichte die extreme Rechte 1981 in der ersten Runde der Parlamentswahlen 0,36 Prozent der Stimmen und trat in der zweiten Runde gar nicht mehr an. In Großbritannien kam die British National Party in den fünf Wahlkreisen, in denen sie 1983 antrat, auf 0,06 Prozent der Stimmen. In Schweden gab es in den 1970er- und 80er-Jahren eine Zeit, in der überhaupt keine rechte Partei bei nationalen Wahlen antrat. In Deutschland gab es zwar die NPD, die kam bei den Bundestagswahlen im Jahr 1980 und 1983 aber lediglich auf 0,2 Prozent der Zweitstimmen. Es sind Zahlen aus einer anderen Zeit, vor dem Anschwellen der Wut; unwiederbringlich vorbei.

Rechtspopulistische Parteien haben bei den letzten Wahlen 54 Prozent der Wähler in Ungarn für sich gewonnen und mehr als 40 Prozent in Italien, 37 Prozent in Frankreich, 14 Prozent in Großbritannien. Sie haben große Anhängerschaften in einigen der wohlhabendsten Länder der Welt gewonnen: in Finnland, der Schweiz, den Niederlanden und Norwegen. Sie sind plötzlich nahezu überall.

Ihre Fraktionen sitzen in den Parlamenten Tschechiens, Estlands, Rumäniens, Spaniens, Portugals, Belgiens, Lettlands, Griechenlands und Zyperns. Sie haben die Präsidentschaftswahlen in Argentinien, in Brasilien und gleich zweimal in den USA gewonnen.

Wieso hat sich das Tabu, mit dem rechte Parteien einst belegt waren, so schnell und so gründlich und an so vielen Orten gleichzeitig aufgelöst? Wieso passierte das so synchron, in Ländern, die Tausende Kilometer entfernt voneinander lagen? Was passiert hier unter der Oberfläche?

Will man das verstehen, kommt man nicht umhin, diese Gesellschaften aus großer Ferne zu betrachten, mit einem gewissen Maß an Abstraktion. In den letzten Jahren wurde eine ganze Reihe großer internationaler Studien veröffentlicht, welche die Meinungen, das Wahlverhalten und das Einkommen von Millionen Menschen in Dutzenden Ländern analysiert haben, um den globalen Rechtsruck zu analysieren. Sie sind der Schlüssel, wenn man die Strukturen nachvollziehen will, die uns dorthin gebracht haben. 

Am 28. Oktober 1969 trat Willy Brandt vor den Bundesadler im alten Bonner Bundestag und hielt seine Regierungserklärung, die erste eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers in der Nachkriegszeit.
Es gibt vor allem einen Satz aus dieser Rede, der hängen geblieben ist. Jener, in dem Brandt sagte, dass er mehr Demokratie wagen wolle. Brandt erzählte in dieser sehr langen, mäandernden Rede aber noch viel mehr. Er legte Steuerpläne vor, er versprach Agrarsubventionen, er redete über Sportförderung, Weltraumforschung und Strafrechtsreform. Und er versprach, Hochschulen zu bauen, so schnell es ging, überall im Land.
"Das Ziel ist die Erziehung eines kritischen, urteilsfähigen Bürgers, der imstande ist, durch einen permanenten Lernprozess die Bedingungen seiner sozialen Existenz zu erkennen und sich ihnen entsprechend zu verhalten", sagte er.

In den Jahren danach explodierte die Zahl der Studenten in Deutschland. 380.000 waren im Studienjahr 1969 eingeschrieben. Fünf Jahre später waren es schon mehr als doppelt so viele. Bis 1990 wuchs ihre Zahl auf mehr als 1,5 Millionen an. Heute sind es 2,8 Millionen. Etwas mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland hat inzwischen einen Abschluss von einer Uni oder Fachhochschule oder einer Berufsakademie. 

Dieser Prozess fand in allen westlichen Ländern statt: Auf der ganzen Welt wurden neue Universitäten gegründet und alte ausgebaut. Mehr und mehr Menschen studierten. Und die Absolventen nutzten Bildung für den sozialen Aufstieg.
In Deutschland zum Beispiel gibt es heute für jedes Bildungsjahr 18 Prozent mehr Gehalt. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes verdienen Menschen, die einen Doktortitel haben, im Schnitt 8.687 Euro brutto im Monat. Absolventen mit einem Diplom, Magister oder Master haben ein durchschnittliches Einkommen von 6.188 Euro. Diejenigen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, kommen lediglich auf 3.521 Euro. In anderen Ländern sah es ähnlich aus.

Die Studierten entschwebten nach und nach, wie lauter bunte Helium-Luftballons. Der Rest blieb in etwa da, wo sie ohnehin schon waren. Es entstand eine vollkommen neue politische Konfliktlinie: zwischen Bildungsaufsteigern und Zurückgelassenen.

Der Ökonom Thomas Piketty hat vor einiger Zeit mit zwei Co-Autoren die Wahlergebnisse in 21 westlichen Demokratien für die gesamte Nachkriegszeit ausgewertet: von 1948 bis ins Jahr 2020. Deutschland war genauso dabei wie die USA, Großbritannien, Frankreich, aber auch Länder wie Finnland und Australien.
Piketty und seine Mitstreiter entdeckten dabei überall den gleichen Graben, der sich seit den 1980er-Jahren aufgetan hatte: Menschen mit Hochschulabschluss, die früher mit großer Mehrheit konservative Parteien gewählt hatten, rückten stark nach links. Gleichzeitig wanderten diejenigen, die nie eine Uni besucht hatten, mehr und mehr nach rechts.
Der Rechtspopulismus wurde zur politischen Heimat für all jene, die die große Akademisierungswelle verpasst hatten.

Am 12. August 1981 stellte IBM den Personal Computer vor, den ersten PC. Die PCs ersetzten nach und nach Sekretärinnen, Buchhalter und Bürogehilfen. Gleichzeitig explodierte die Zahl der Roboter in der Industrie. Sie erledigten die Jobs von Millionen von Arbeitern, die vorher Autos zusammengesetzt, Stahl gegossen und Metall geschnitten hatten.

In den Büros und Fabriken verschwanden Jobs, die etwas gemeinsam hatten: Sie folgten Routinen und festen Regeln. Sie waren oft etwas monoton. Deshalb ließen sie sich als Erste ersetzen. Dieses Muster hatte es bereits bei der Swing-Revolte gegeben: Schon die allerersten Maschinen ersetzten sehr repetitive Arbeiten. Aber anders als im 19. Jahrhundert sorgte das dieses Mal nicht für sofortiges Massenelend. Ein Teil der Angestellten bildete sich fort. Sie wanderte nach oben ab in besser bezahlte Jobs.

Andere aber kämpften sich nun in einer Arbeitswelt durch, die härter, schneller und gnadenloser geworden war: Sie rutschten in Service-Sektor-Jobs ab, für die man oft keine Ausbildung brauchte: Sie kellnerten, fuhren Essen aus, putzten und gärtnerten.

Sozialwissenschaftler bezeichnen das in ihrer abstrakten Sprache als "Polarisierung des Arbeitsmarktes". Die Mitte schrumpfte. Die Enden oben und unten wurden dicker. Es gab mehr Wohlhabende. Aber auch mehr Leute, die sich mit prekären Jobs über Wasser hielten. Die Mitte der Gesellschaft wurde wie ein Gummiband an beiden Enden in die Länge gezogen.

Wer landete unten? Meist jene, die nie studiert hatten. Wer erreichte das obere Drittel? Sehr oft jene, die einen Hochschulabschluss hatten. Alle großen ökonomischen Veränderungen der letzten Jahre waren gut für Akademiker und oft schlecht für den Rest.
Als China zum Beispiel anfing, in riesigem Umfang Waren für Europa und Nordamerika zu produzieren, merkten die gut Ausgebildeten vor allem, dass ihre Handys, ihre Computer, ihre Kleidung und die Spielzeuge ihrer Kinder billiger wurden. Der Rest bekam Angst um ihre Jobs. Millionen von Arbeitsplätzen in Ländern wie Italien, Frankreich, den USA und Deutschland wurden in den letzten 20 Jahren nach China verlagert. 
Das, was sich oben wie Fortschritt anfühlte, erlebten die unten mehr und mehr als Verfall. Die Ungleichheit in den wohlhabenden OECD-Nationen, zu denen auch Deutschland gehört, wuchs zwischen 1980 und 2018 im Schnitt um etwa zehn Prozent. Das war ein deutlicher, aber kein dramatischer Anstieg. Anders als während der Swing-Revolte musste niemand hungern oder erfrieren. Spürbar war es dennoch. Die Welt war unsicherer geworden für einen Teil das Bevölkerung. Und das veränderte sie. Diejenigen, die nie eine Uni besucht hatten, verloren ihr Selbstwertgefühl.
Die Sozialwissenschaftler Noam Gidron und Peter Hall haben diesen Wandel in einer großen, internationalen Studie dokumentiert. Dabei wurden Menschen in mehr als drei Dutzend Ländern immer wieder gefragt, wie sie ihren eigenen sozialen Status auf einer Skala von eins bis zehn einschätzten. Über die Jahre gaben Menschen ohne Universitätsabschluss dabei immer niedrigere Werte an. Sie hatten das Gefühl, drastisch an sozialem Wert zu verlieren. Das passierte überall: in Deutschland, in Norwegen, in Großbritannien, in Polen, in den USA.

Die politischen Ansichten von Akademikern und dem Rest entkoppelten sich. Die Studierten lebten inzwischen Leben in großer finanzieller Sicherheit. Ihre eigenen materiellen Belange wurden für sie politisch immer unwichtiger. Ihr Blick weitete sich: Sie setzten sich für den Umweltschutz ein, gegen den Klimawandel, für den Schutz von Minderheiten und Geflüchteten.
Der Rest ging einen ganz anderen Weg: Ihre Leben waren unsicherer, unvorhersehbarer geworden. Ihr Blick verengte sich, je größer die Angst vor dem Abstieg wurde.
Keine Gruppe driftete dabei so stark nach rechts wie die untere Mittelschicht. Es waren nicht diejenigen, die schon ganz unten angekommen waren, sondern jene, die noch viel zu verlieren hatten.
Laut einer großen internationalen Umfrage, dem sogenannten International Social Survey Program, kurz ISSP, führten die allermeisten Wähler rechtspopulistischer Parteien keine Leben in Armut. Die meisten von ihnen hatten Jobs, die oft gar nicht mal so schlecht bezahlt waren. Aber sie hatten große Angst davor, all das zu verlieren. Diese Furcht vor dem großen Abrutschen hatte etwas Ansteckendes. Sie breitete sich auf Wegen aus, die Wissenschaftler gerade erst beginnen zu verstehen.

In einer Studie in elf europäischen Ländern zeigten die Sozialwissenschaftler Tarik Abou-Chadi und Thomas Kurer zum Beispiel, dass es in Familien oft schon reicht, wenn nur einer der Partner einen unsicheren Arbeitsplatz hat, damit der ganze Haushalt nach rechts rutscht. Selbst der Partner, der eigentlich einen sicheren Job hat, wählt dann eher eine rechte Partei.

Laut den ISSP-Umfragen war eine Gruppe besonders anfällig für die Propaganda rechter Parteien: Menschen, die sich selbst viel weiter oben in der Status-Hierarchie verorten, als ihr Einkommen vermuten lässt.
Es sind also Menschen, bei denen Wunsch und Wirklichkeit besonders weit auseinanderklaffen. Und die darunter zu leiden scheinen, dass sie sich stark mit anderen vergleichen.
Warum aber sorgte all das für so viel Wut?

Anfang der 1960er-Jahre, einige Jahre vor Brandts Rede, wollte der englische Soziologe Walter Runciman herausfinden, wie die Menschen soziale Ungleichheit erleben.
Runciman hatte bemerkt, dass es nur schwer vorherzusehen war, wie Menschen auf Einkommensunterschiede reagierten. Mal nahmen sie große Ungleichheit einfach hin, ohne dass es ihnen etwas ausmachte. Dann wieder machten kleine Unterschiede sie sehr unglücklich. Warum war das so?
Runciman ließ Menschen in ganz England nach ihrem Einkommen befragen; danach, ob sie ein Auto hatten, einen Fernseher, eine Waschmaschine; und wie zufrieden sie mit ihrer Situation waren, und an wen sie dachten, wenn sie sich jemanden vorstellten, der mehr Geld hatte als sie.
Runciman stellte fest, dass die meisten Menschen sich überhaupt nur mit einem sehr engen Kreis an Menschen verglichen. Sie nahmen die Ungleichheit im Land nie als Ganzes wahr, sondern immer nur in winzigen Ausschnitten. Das, was sie in ihrem direkten Umfeld sahen, in jener kleinen Gruppe, mit der sie sich verglichen, entschied, ob sie zufrieden waren oder nicht.

Kaum jemand verglich sich mit den reichsten der Gesellschaft: mit Firmenbossen, adligen Großgrundbesitzern und Popstars. Die Superreichen waren zu weit weg.

Wen die Menschen als Vergleich heranzogen, trug entscheidend dazu bei, ob sie zufrieden waren oder nicht. Runciman stellte fest, dass gut bezahlte Arbeiter in Fabriken und Bergwerken deutlich zufriedener waren als Büroangestellte, die genauso viel verdienten.

Die Erklärungen dafür: Diese Arbeiter gehörten in den Fabriken zu den Top-Verdienern. Weil sie sich vor allem mit den anderen Arbeitern dort verglichen. In ihrer Welt waren sie oben. Den Rest nahmen sie kaum wahr.
Büroangestellte verglichen sich dagegen mit Vorgesetzten und Freunden, die mehr verdienten. Sie waren eher umgeben von Menschen, denen es besser ging. Sie hatten deshalb viel öfter als die Fabrikarbeiter das Gefühl, nicht fair bezahlt zu werden.

Etwas war besonders erstaunlich: das Ausmaß der Frustration, die Runciman in der Mitte der Gesellschaft fand: bei denen, die nicht schlecht lebten; aber die auch ahnten, wie viel besser es weiter oben war.
Sie litten besonders unter dem Vergleich mit anderen, denen es oft nur ein klein wenig besser ging als ihnen selber.
Runcimans Studie, deren Ergebnis seither mehrfach bestätigt wurde, erklärte, wieso es große, politische Auswirkungen haben kann, wenn die Gesellschaft in ihrer Mitte nur ein bisschen ungleicher wird. Oft sind die Konsequenzen dann sogar drastischer, als wenn die Ungleichheit zwischen den Reichsten und den Ärmsten deutlich wächst.
Man kann sich das wie ein Prärie-Feuer vorstellen: Die wachsende Ungleichheit im Zentrum der Gesellschaft trocknete das Gras nach und nach aus. Jetzt brauchte es nur noch eine Flamme.

...

Die sozialen Medien haben den Aufstieg der Rechten nicht alleine verursacht. ... Aber sie haben die politische Mobilisierung rechter Parteien radikal vereinfacht. Es wäre sonst ungleich schwerer gewesen, die politische Landschaft überall gleichzeitig in Brand zu stecken.

Was es jetzt noch brauchte, war ein Gegner: einen Feind, auf den die Frustrierten all ihre Wut projizieren konnten, in Millionen von Bildern und Videos und Kleintexten. 

Wut hat die Angewohnheit, nicht genau temperiert zu sein. Sie ist selten zielgerichtet. Sie kippt leicht ins Maßlose. Sie sucht sich leichte Opfer. Sie fokussierte sich mehr und mehr auf Millionen Migranten, die sich jedes Jahr auf den Weg machen, um ein Leben in einem anderen Land zu beginnen. Es gibt heute fast doppelt von ihnen weltweit wie noch im Jahr 1990: 280 Millionen Migranten sind es insgesamt. Und ein Teil davon ist auch nach Europa, in die USA, nach Kanada, Australien oder Neuseeland gekommen.
Rechte Politiker reden pausenlos über diese Menschen, insbesondere über jene, die aus ärmeren Ländern kommen. Diese Migranten sind omnipräsent in der Gedankenwelt rechter Politiker. Sie sind ein Feindbild, das bei vielen Wählern verfängt. Aber das Denken in Schablonen hat einen Haken: Es verändert sich, wenn es mit der Realität konfrontiert ist. Es ist nicht statisch.
Wenn man verstehen will, was große Zahlen von Migranten mit der politischen Landschaft in einem Land macht, dann ist Deutschland nach dem Jahr 2015 so etwas wie das größte, natürliche Experiment der letzten Jahre. Mehr als 500.000 Syrer kamen innerhalb weniger Monate nach Deutschland. Und zunächst gab es einen großen Chor, der von der Bild-Zeitung bis zu den Linken reichte, der die Menschen willkommen hieß. An den Bahnhöfen wurde geklatscht. Dann kippte etwas.
Die ersten Flüchtlingsunterkünfte wurden abgefackelt. Beatrix von Storch wollte Grenzpolizisten auf Flüchtlinge schießen lassen. Und die AfD gewann in den Umfragen mehr und mehr an Stimmen.
Es schien sich zu bestätigen, was von Anfang an prophezeit worden war: Je mehr Migranten kommen, desto mehr Leute wählen rechts. Aber so einfach war es nicht. 

Marco Giesselmann von der Universität Zürich hat sich mit zwei Kollegen angeschaut, wie die Ankunft der Flüchtlinge die Deutschen verändert hat. Die Wissenschaftler machten sich dabei zunutze, dass die syrischen Geflüchteten sehr ungleich über Deutschland verteilt lebten.
An einigen Orten kamen sehr viele in kurzer Zeit an. Es gab Landkreise, in denen die Geflüchteten zeitweise mehr als zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten. In anderen Gegenden aber wurde nur ein Bruchteil davon untergebracht.
Auf den ersten Blick passierte genau das, was erwartet worden war: Im Jahr 2016 sagten mehr als 85 Prozent der Befragten, dass die Migration ihnen Sorge bereite. Die offene Unterstützung rechtsextremer Parteien versiebenfachte sich fast innerhalb von fünf Jahren.

Aber das Bild veränderte sich, als die Wissenschaftler sich ansahen, was in den Gegenden passiert war, in denen die Flüchtlinge untergekommen waren. Ausgerechnet jene Landkreise, die viele Flüchtlinge aufgenommen hatten, widersetzten sich dem Trend. Der Rechtsruck war dort sehr viel kleiner ausgefallen als anderswo.
Der Grund: Die Menschen hatten dort mehr mit den Geflüchteten aus Syrien zu tun. Sie trafen sie im Alltag, beim Einkaufen, in der Schule, den Kindergärten. Je mehr direkten Kontakt es gab, desto unempfänglicher wurden sie für die Propaganda der AfD.

Es waren vor allem diejenigen, die die Flüchtlinge nur aus der Ferne sahen – durch Bilder und Video-Ausschnitte in den Nachrichten und in sozialen Medien – die besonders stark nach rechts rückten.

Eine ganze Reihe von Studien ist in den letzten Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis wie Giesselmann gekommen. Es zeigte sich, dass rechte Parteien nicht automatisch wachsen, wenn die Zahl der Zuwanderer steigt. Langfristig schrumpft der Spielraum für rechte Parteien sogar, wenn es viel Kontakt zwischen neuen und alten Bewohnern gibt.
Wenn viele Migranten auf einmal in einem Land ankommen, kann das ein Land sehr schnell nach rechts treiben. Aber danach beginnt ein Prozess, in dem nichts vorgegeben ist, nichts festgelegt.
Es geht also nicht unbedingt einfach so weiter. Die Rechte wächst in multikulturellen Gesellschaften nicht notwendigerweise so lange weiter, bis sie sie zerstört. Oft gewöhnen sich neue und alte Bewohner nach einiger Zeit aneinander und die Migrationsfrage verliert nach und nach ihre politische Brisanz.

Das Merkwürdigste am Rechtspopulismus ist vielleicht die offen zur Schau gestellte Destruktivität. Da sollen Abkommen zerrissen und Bündnisse aufgekündigt werden. Rechte Parteien wollen ihre Länder aus der EU reißen, selbst wenn es das ganze Land ärmer macht. Sie wollen Millionen von Menschen deportieren, deren Arbeitskraft dringend gebraucht wird. Sie schlagen bei Parteitagsreden wirre Dinge vor, zum Beispiel den Abriss aller Windkrafträder im Land.
Von außen ist es schwer, all das nachzuvollziehen. Auch, weil es so disproportional wirkt. Die Mittelschichten in der westlichen Welt führen heute – trotz allem – immer noch sehr komfortable Leben. Woher kommt dann diese Lust an der Zerstörung?
Im größten Chaos versuchen Wissenschaftler oft, die Dinge künstlich zu vereinfachen. Sie lassen zum Beispiel ein paar Menschen ein Spiel spielen. Eines davon ist das sogenannte Ultimatum-Game. Ein Spieler bekommt dabei etwas Geld: 100 Euro etwa. Die muss er sich allerdings mit einer anderen Person teilen. Der Spieler kann selber entscheiden, wie er das Geld aufteilen möchte. Er kann fair sein und es halbieren. Oder er kann der anderen Person einen Bruchteil anbieten: einen Euro oder auch nur zehn Cent. Miteinander reden dürfen die Spieler dabei nicht.
Das Problem: Wenn der zweite Spieler das Angebot nicht annimmt, kriegen beide gar nichts.

Eigentlich wäre es sinnvoll, wenn der zweite Spieler jedes Angebot annimmt, egal, wie niedrig es ist. Aber in Experimenten stellen Wissenschaftler fest, dass die allermeisten Menschen so kühl nicht kalkulieren. Niedrige Angebote lehnen nahezu alle ab. Niemand lässt sich mit Kleinst-Beträgen abspeisen. Die Spieler bestrafen dann lieber den anderen Spieler – und sich selbst.
In einigen Experimenten wurden die Spieler bereits wütend, wenn das Geld nicht halbe-halbe geteilt wurde. Wenn ein Spieler weniger als 30 Prozent anbietet, platzt der Deal nahezu immer. Selbst wenn um viel Geld gespielt wird, nehmen die meisten ein unfaires Angebot nicht an. 
Im Gegensatz zu Tieren sind Menschen also: missgünstig bis hin zur kompletten Destruktivität. Es gibt haufenweise Beispiele, in denen Menschen große Anstrengungen auf sich genommen haben, keine Kosten und Mühen gescheut haben, um anderen weh zu tun, um sie kleinzuhalten, sie zu bestrafen.

Der Philosoph und Biologe Patrick Forber von der Tufts Universität in Boston setzt das Ultimatum-Game ein, um zu verstehen, was solch destruktives Verhalten begünstigt.
Er hat dabei herausgefunden, dass dies meistens im Kampf um sozialen Status passiert. Wenn sich der Wettkampf um Plätze in der sozialen Hierarchie intensiviert, versuchen die Zurückgelassenen anderen zu schaden, um ihren Platz in der Rangordnung wiederherzustellen.

Man findet diese Logik sehr explizit bei den Anhängern rechter Parteien wieder, die sehr wohl ahnen, dass sie wirtschaftlich leiden könnten, wenn ihr Land zum Beispiel die EU verlässt oder hohe Zölle einführt. Aber sie gehen auch davon aus, dass andere Gruppen noch stärker darunter leiden werden als sie. Dass die Gesellschaft als Ganze vielleicht etwas ärmer werden wird – aber dass ihr eigener sozialer Status in der neuen Ordnung höher sein wird als vorher.
Im Jahr 2016, vor den US-Präsidentschaftswahlen, führten Rafael Di Tella und Julio Rotemberg, zwei Wissenschaftler an der Harvard Business School, ein etwas ungewöhnliches Experiment durch. Sie gaben mehr als 4.000 Wählern vor dem Wahltermin einen kurzen Text zu lesen, in dem erklärt wurde, wie wichtig es sei, dass kompetente Politiker das Land führen. Damals sagten in Umfragen selbst Donald Trumps Anhänger, dass sie seine Konkurrentin, Hillary Clinton, für die kompetentere Kandidatin hielten.

Die allermeisten Teilnehmer lasen den Text und wollten danach öfter für Clinton stimmen. Bei weißen Wählern ohne Universitätsabschluss hatte es genau den umgekehrten Effekt: Die wollten danach sogar noch eher für Trump stimmen.
Di Tella und Rotemberg interpretierten dieses merkwürdige Ergebnis so: Dieser Teil der Wähler fühle sich von der politischen Klasse so betrogen, dass sie bewusst den inkompetenteren Kandidaten wählten. Sie versuchten, das politische System zu beschädigen. Destruktion ist hier nicht einfach eine Nebenwirkung. Es ist genau das, was die Wähler wollen.

Wie beendet man diese politische Dynamik, bei der am Ende alle verlieren? Geht das überhaupt?

Politik ist in den vergangenen Jahrzehnten überall die Domäne der Gebildeten geworden. Im US-amerikanischen Repräsentantenhaus hatten in der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode 94 Prozent der Abgeordneten einen College-Abschluss. Im neugewählten House of Commons in Großbritannien haben 90 Prozent der Parlamentarier studiert, 20 Prozent sogar an den Elite-Universitäten Oxford oder Cambridge. In Deutschland sieht es ähnlich aus: Im aktuellen Deutschen Bundestag haben 86 Prozent der Abgeordneten einen Abschluss von einer Fachhochschule oder Universität.
Im Kabinett von Willy Brandt saßen noch fünf SPD-Minister ohne Uni-Abschluss: Außenminister, Finanzminister, Arbeitsminister, Verteidigungsminister sowie der Minister für innerdeutsche Beziehungen waren alle Nicht-Akademiker. Brandt selbst hatte sein Geschichtsstudium nie beendet. Heute wäre es nahezu undenkbar, so viele Unstudierte regieren zu lassen.

Im aktuellen Kabinett gibt es keinen einzigen Minister, der nicht studiert hat. In dieser hochgebildeten Gruppe voller Promovierter fällt Cem Özdemir von den Grünen schon negativ auf, weil er sein Diplom in Sozialpädagogik auf dem zweiten Bildungsweg an einer Fachhochschule gemacht hat.
In der Bevölkerung dagegen sind die Studierten immer noch eine Minderheit. Laut der OECD haben nur etwa 37 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen tertiären Abschluss. Und mehr und mehr macht sich das bei den Wahlen bemerkbar. Mit Akademikern alleine beschafft man sich keine Mehrheiten.

... Der Aufstieg der Rechten wird erst dann aufhören, wenn die liberalen, demokratischen Parteien der Mitte mit großen, ambitionierten Reformprogrammen jene strukturellen Probleme angehen, die den Rechten in den letzten 20 Jahren so viele Wähler zugetrieben haben.


Aus: "Warum die Welt nach rechts rückt" Johannes Böhme (2. Februar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2025-01/rechtspopulismus-rechtsruck-wahlen-universitaeten-internet

Johannes Böhme, Jahrgang 1987, im Kreis Pinneberg aufgewachsen, was fast schon Hamburg ist, aber auch nur fast. In Maastricht am Liberal Arts College Politik und Philosophie studiert, Auslandssemester an der University of California, Berkeley. Master in Politischer Theorie und Ideengeschichte in Cambridge. Master in Politischer Theorie und Ideengeschichte in Cambridge. Von Januar 2015 bis Juni 2016 Teilnehmer des 36. Lehrgangs der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Seit September 2016 Freier Journalist.

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Quote[...] Anfang des Jahres wurde die ,,Mitte-Studie" zu den gesamtgesellschaftlichen politischen Einstellungen aus den Jahren 2022 und 2023 veröffentlicht. Das Fazit: Die Mitte der Gesellschaft ist distanziert, demokratiefeindliche und rechtsextreme Positionen nehmen zu ... Die ,,Mitte-Studie 2022/2023″ mit dem Titel ,,Demokratievertrauen in Krisenzeiten" sei eine ,,sehr konservative Annäherung an das, was wir gerade als Stimmungslage haben", stellte Küpper klar. Grund sei, dass es sich um eine telefonische Umfrage handele und Menschen zurückhaltender im sozialen Kontext seien. Zudem gäbe es insgesamt eine starke Abnahme der Bereitschaft, sich befragen zu lassen. ... Zu beobachten ist, dass sowohl das Vertrauen in staatliche Behörden, als auch das Medienvertrauen um rund 10 Prozentpunkte im Vergleich zu 2018/2019 sank. Dabei nahm das Gefühl der politischen Machtlosigkeit um knapp 10 Prozentpunkte zu. Hinzu kommt, dass Verschwörungsglauben von 33,5 (2018/2019) auf 38 Prozent stiegen, ebenso wie populistische Einstellungen: Aussagen, wie ,,die regierenden Parteien betrügen das Volk" stimmten 32,6 Prozent zu, 2018/2019 betrug die Zustimmung noch 25 Prozent. ... Auch die Billigung politischer Gewalt, die als letzte Stufe der demokratiegefährdenden Radikalisierung aufgeführt wird, verdoppelte sich. Während 2018/2019 6,4 Prozent Aussagen wie ,,Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie schon mal in Gewalt umschlägt" zustimmten, waren es nun 12,3 Prozent. ,,Wir als Gesellschaft haben uns die Prägungen aus der Weimarer Zeit und dem Nationalsozialismus nicht richtig angeschaut", erklärte Küpper, denn es sei festzustellen, dass dort, wo die NSDAP 1933 hohe Stimmanteile hatte, heute auch die AfD viel Zuspruch erlangt.

,,Der Gedanke ,Antisemitismus stirbt aus' ist falsch", sagte die Sozialpsychologin. Besonders schockiert hätten die Autor:innen der Studie die Einstellungen der 18- bis 34-Jährigen, erklärt sie. Diese Altersgruppe führt in den Kategorien Verharmlosung des Nationalsozialismus mit 8,1 Prozent, Antisemitismus mit 8,6 Prozent, Sozialdarwinismus mit 10,7 Prozent, Befürwortung Diktatur mit 7,4 Prozent und Manifest rechtsextremes Weltbild mit 12,3 Prozent.

Rund 40 Prozent der jungen Menschen hätten ein Migrationsquote, diese junge Altersgruppe sei also ausgesprochen heterogen. ,,Aber offensichtlich ist es uns nicht gelungen, in die jungen Menschen Demokratie hinein zu sozialisieren", sagte Küpper. Teil dieses Problems sei die schulische Bildung.

,,Es ist erschreckend, wie wenig politische Bildung ein junger Mensch bekommt. Einer Studie zufolge maximal 4,5 Prozent Demokratiebildung im weitesten Sinne – und dazu muss man schon im richtigen Bundesland auf die richtige Schule gehen", erläuterte Küpper. Sie vermutet, dass dabei auch die sozialen Netzwerke eine entscheidende Rolle spielen.

...


Aus: "Pandemischer Populismus: Die ,,Mitte-Studie" über Demokratievertrauen in Krisenzeiten" (24. März 2024)
Quelle: https://www.nordstadtblogger.de/pandemischer-populismus-die-mitte-studie-ueber-demokratievertrauen-in-krisenzeiten/

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Quote[...] Der Gewalt- und Konfliktforscher Andreas Zick erläutert, wie sich rechtsextreme Auffassungen in der Mitte der Gesellschaft "normalisieren" und wie nationales und völkisches Denken im Kulturbetrieb Raum greift.

Jede zwölfte Person in Deutschland hat ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, fast jeder Dritte teilt völkische Ansichten. Das ist das Ergebnis der Studie "Die distanzierte Mitte" unter Leitung von Andreas Zick. "Es hat sich Vieles normalisiert. Wir betrachten es nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er-Jahren", so Zick. Selbst Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele halten 44 Prozent der Befragten für moralisch gerechtfertigt. Anders als früher befürworten laut der aktuellen Erhebung insbesondere Jüngere immer stärker rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen, unabhängig vom Bildungsstand.

Dietrich Brants: Herr Zick, wie hat sich die Einstellung der Mitte gegenüber rechtsradikalen Positionen, etwa völkischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen, in den vergangenen Jahren verändert?

Andreas Zick: Es hat sich vieles normalisiert. Wir betrachten es vielleicht nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er-Jahren: Rostock-Lichtenhagen, Solingen - wir hatten damals diese Welle der Gewalt. Wir haben aber nicht so viele organisierte Rechtsextreme gehabt wie heute. Das sind im Hellfeld 35.000 organisierten Rechtsextreme, von denen viele Waffen besitzen, und die haben Freundinnen und Freunde.

Wir haben rechtsextreme Strukturen, wir haben eine Partei in allen Landtagen und im Bundestag, die in Teilen beobachtet wird. Wir sind umgeben von rechtsextremen, autoritär orientierten Ländern, auch das gehört ja zu der ganzen Geschichte. Bei den rechtsextremen Orientierungen interessiert uns, wie stark sie in die Mitte einsickern. Die These ist: Wenn das in der Mitte einsickert und als Normalität akzeptiert wird oder gewünscht ist, dann wackelt die Demokratie, dann entleert sie sich, dann wird sie instabil. Die Akzeptanz rechtsextremer Orientierungen in der Mitte passiert in Wellenbewegungen, und im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass es auf einmal einen massiven Anstieg gibt. Bei acht Prozent der Menschen gehen wir davon aus, dass sie ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, aber nicht rechtsextrem organisiert sind und sich selbst als Mitte verstehen. Das sind Menschen in der Mitte. Wir stellen auch fest, dass es Menschen im sogenannten Graubereich gibt - das haben wir schon vor vier, fünf Jahren festgestellt. Der Anteil an Menschen, die ihre politischen Ansichten in der Mitte betrachten, unabhängig von der Partei, die sie wählen würden, steigt auch an und liegt bei 20 Prozent.

Dietrich Brants: Die Frage ist: Wo äußert jemand rechte Positionen, vielleicht auch konservative Positionen, und wo gilt eine rechtsradikale Einstellung? Ein Kriterium haben Sie schon genannt: Da gibt es dieses geschlossene, völkische, rassistische Weltbild. Und dann gibt es viele andere Ansichten, die man auch rechts bis rechtsradikal verorten kann. Wo ziehen Sie die Grenze? Wo beginnt wirklich eine rechtsradikale Position?

Zick: In der Forschung interessiert uns vor allen Dingen die ideologische Orientierung. Das ist, wenn man bei 18 Aussagen eindeutig im Zustimmungsbereich liegt. Zum Beispiel bei der Aussage: "Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform." Da stimmen aktuell sieben Prozent zu, bei den jüngeren Befragten sind es elf Prozent. "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" - das ist ein Satz der NSDAP. Da stimmten im letzten Jahr 24 Prozent zu, 19 Prozent teils teils. Und: "Es gibt wertvolles und unwertes Leben." Dem Punkt stimmten zwölf Prozent zu und zwölf teils teils. Das sind Aussagen, die eine rechtsextreme Orientierung zeigen.

Dietrich Brants: Früher war es so, dass die Älteren eher anfälliger für rechte bis rechtsradikale Positionen waren. Aber jetzt haben Sie eine Trendumkehr festgestellt: ein Rückgang rechtsextremer Einstellung unter den Älteren bei gleichzeitiger Zunahme rechtsradikaler Positionen unter den Jüngeren. Das ist ein bisschen überraschend, weil die Jüngeren bei diesem Thema in der Schule grundversorgt worden sein müssten. Bei denen steigt das gerade sehr, vor allem bei den jüngeren Männern. Das sieht man auch bei den Erstwählern der letzten Landtagswahlen: Die präferierte Partei ist die AfD.

Zick: Genau. Sie haben den Konjunktiv verwendet: Sie müssten eigentlich. Da ist irgendetwas nicht passiert. Unsere alte Idee ist, dass die Älteren immer konservativer werden, nationalchauvinistischer, weil sie zurückgucken und denken: Früher war alles besser, da war Deutschland noch so schön. Und die Jungen sind eigentlich die, die Zukunftsmodelle machen, die die offene Gesellschaft denken, die die Diversität kennenlernen, die eigentlich stärker fähig sind, Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, all das zu bremsen. Diesen Effekt gibt es im Moment nicht. Das Interesse von jungen Menschen an Politik ist angestiegen, und auf der anderen Seite deutet sich aber ein autoritäres Politikverständnis an: Die sollen mal richtig entscheiden und die richtigen Programme auflegen, dann bin ich auch mit der Demokratie zufrieden. Die stärkste Präferenz unter den jungen Befragten ist die AfD.

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Aus: "Andreas Zick: "Rechtsextremismus ist in der Mitte verankert"" (09.02.2025)
Quelle: https://www.ndr.de/kultur/Andreas-Zick-Rechtsextremismus-ist-in-der-Mitte-verankert,zick128.html

Andreas Zick / Beate Küpper / Nico Mokros
Die distanzierte Mitte.
Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23
Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter
Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2023.
424 S., Broschur, ISBN 978-3-8012-0665-9

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Die Demokratie, ihre Grundprinzipien, Abläufe und Institutionen werden von einigen zunehmend mit Distanz betrachtet. Zugleich geht eine demokratiefeste »Mitte« auf klare Distanz zu den Feinden der Demokratie. Will und kann sie diese Distanz überbrücken? - Die neue FES-»Mitte-Studie« 2022/23 beleuchtet rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen und Hintergründe und regt zur Debatte an.
https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023

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Quote[...] Hunderte Hitler-Reden will ein Forschungsteam neu veröffentlichen, teilweise zum ersten Mal. Der Historiker Christoph Cornelißen ist daran beteiligt und erklärt im Interview, warum es wichtig ist, Hitlers Rhetorik und ihre Wirkung zu entschlüsseln. Und welche Lehren man daraus ziehen kann.

Christoph Cornelißen ist Professor für Neueste Geschichte. Der 66-Jährige lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dort leitet er einen Teil des von der DFG finanzierten Projekts "Edition der Reden Adolf Hitlers von 1933 bis 1945", an dem außerdem das Institut für Zeitgeschichte München−Berlin, das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, die Philipps-Universität Marburg und das Deutsche Rundfunkarchiv beteiligt sind. ... Christoph Cornelißen erforscht, wie auch Rhetorik Hitler zur Macht verhalf und warnt: Seine Art zu reden ist zurück.

Viola Kiel: War Adolf Hitler ein guter Redner?

Christoph Cornelißen: Man kann ihm attestieren, oft ein überzeugender Redner gewesen zu sein. Das widerspricht dem Bild des schreienden Hitlers, des bellenden Hitlers, des geifernden Hitlers, das lange verbreitet wurde. Er verstand es, durch den systematischen, eingeübten Einsatz von Sprache, in Verbindung mit Gestik und Mimik, auf sein Publikum zu wirken.

Viola Kiel: Sie arbeiten an einer neuen Edition von Hitlers Reden. Worum geht es dabei?

Christoph Cornelißen:  Insgesamt sind ungefähr 770 Reden überliefert. Wir in Frankfurt sind zuständig für die Audioreden, die größtenteils im Radio gesendet wurden. Das sind etwa 350. Wir wollen diese Reden in einer digitalen Text- und Audioedition auch als Klangereignis zugänglich machen. Eine Hitler-Rede war ein Ereignis, ein Event, in dem Vorredner, einführende Reportagen, Begleitmusik, manchmal auch Begleittänze eine Art Performance ergaben. Und auch das rekonstruieren wir: wie die Reden funktioniert haben, weil sie performt wurden.

Viola Kiel: Es gibt ja bereits veröffentlichte Sammlungen von Hitler-Reden.

Christoph Cornelißen: Es gibt Überlieferungen von Hitler-Reden in verschiedenen Fassungen. Aber: Es existiert keine historisch kritische Edition für die Jahre 1933 bis 1945. Und das ist ja bemerkenswert. Für diese Zeit gibt es vor allem eine größere Edition aus den früheren 1960er-Jahren von Max Domarus. Das war ein Würzburger Archivar, der schon zur Regimezeit als Nationalsozialist angefangen hat, systematisch Hitler-Reden zu sammeln. Er hat die Reden aber nicht immer so abgedruckt, wie sie auch gehalten wurden. Und er verfolgte eindeutige Absichten, die man ihm heute nachweisen kann.

Viola Kiel: Was für Absichten?

Christoph Cornelißen: Er hat spezifische Stellen weggelassen oder paraphrasierend kommentiert. Dies oder jenes brauche man nicht weiter anzuführen, es sei nur ein langweiliger Rekurs. Wenn Sie sich aber die Originale ansehen, ist das nicht ganz so langweilig: Er lässt viele Passagen bewusst aus, in denen Hitler antisemitische Schmähungen von sich gibt. Er wollte ihn in einem weicheren Licht zeichnen. Das Interessante ist, dass die Forschung sich bis heute auf diese Edition beruft. Alle, die über Hitler geschrieben haben, arbeiten mit Max Domarus. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das problematisch. Denn natürlich gehört zur seriösen Forschung eine Grundlage, auf die man sich verlassen kann. Wenn wir nach Wahrheit suchen, und das ist ja unsere Aufgabe, dann brauchen wir eine wahrheitsgemäße Grundlage.

Viola Kiel: Wann hat Hitler das öffentliche Reden gelernt?

Christoph Cornelißen: Hitler hatte sicherlich von Haus aus eine Begabung. In München, im radikalen Umfeld der Niederschlagung der Räte-Revolution 1918 und 1919, fiel diese Begabung auf und Hitler wurde von verschiedenen Persönlichkeiten gefördert, aus dem Militär aber auch aus dem Zivilleben Münchens. Die Bierhallenatmosphäre Münchens hat ihm gewissermaßen als Trainingslager gedient: Welche Lautstärke eignet sich in einem verrauchten Lokal, welche Stimmkapazität. Weiterentwickelt hat er seine Fähigkeiten allerdings erst im Lauf der frühen 1930er-Jahre.

Viola Kiel: Wie denn?

Christoph Cornelißen: Er hat sich Ratschläge geholt, wie man als öffentlicher Redner effektiv auftreten kann. Er hat Unterricht bei einem Opernsänger genommen, der ihm Kniffe beigebracht hat, um vor unterschiedlichem Publikum zu bestehen. Er hat gelernt, Mimik, Gestik und gesprochenes Wort in einem optimalen Mischungsverhältnis zur Schau zu bringen. Er hat die performative Kunst des Redens eingeübt.

Viola Kiel: Kann man sich den politischen Aufstieg Hitlers ohne seine rednerischen Fähigkeiten vorstellen?

Christoph Cornelißen: Sie haben ihm auf jeden Fall geholfen, sich innerhalb der Partei bis an die Spitze durchzukämpfen. Er ist in unzähligen Wahlkampfreden als begabter, einflussreicher, überzeugender Redner aufgetreten. Vielleicht hätte er auch als weniger talentierter Redner die Stellung des Diktators erringen können, aber er hätte womöglich die Hilfe seiner Entourage stärker gebraucht.

Viola Kiel: Welche rhetorischen Mittel nutzte Hitler in seinen öffentlichen Reden?

Christoph Cornelißen: Eines, das man bei ihm nicht als Erstes vermuten würde: Ironie. Wenn er zum Beispiel über Churchill oder andere Politiker des Westens spricht, dann führt er sie ironisch vor und schafft einen comic relief – er lockt das Publikum aus der Reserve, bringt es zum Lachen, und verunglimpft gleichzeitig das Gegenüber. Das ist eine nicht selten genutzte rhetorische Strategie. Dann haben Sie die Emotionalisierung der Sprache, er generiert bewusst bestimmte Emotionen wie Angst, wie Wut, und greift damit unterschiedliche Gegner an: die Juden, die Marxisten, den Westen. Dann lässt sich beobachten, wie er immer wieder beharrlich die gleichen Argumente aufruft. 

Viola Kiel: Zum Beispiel?

Christoph Cornelißen: Die "Schmach von Versailles" ist eine Formel, die in vielen Reden irgendwo auftaucht, mit der er das Recht der deutschen Nation auf Gleichberechtigung einklagt und dabei gleichzeitig mit aller Schärfe gegen diejenigen argumentiert, die das deutsche Volk angeblich niederhalten. Und er nutzt eine erkleckliche Zahl von Wortzusammensetzungen mit "Volk". Das schafft eine Art Gemeinschaftsvision, von der "die anderen" ausgeschlossen werden sollen.

Viola Kiel: Weiß man, wie sich Hitler auf seine Reden vorbereitet hat?

Christoph Cornelißen: Er hat sich zum Beispiel die Säle angeschaut, in denen er reden sollte. Er hat gerne in Sälen gesprochen, dort konnte er sein Publikum besser beobachten als an der freien Luft. Er kam mit den Klangdimensionen eines Saales besser zurecht. Bei öffentlichen Auftritten im Freien wirkt er oft nicht so beeindruckend. Er war ein performativer Redner, der sehr frei gesprochen hat. Und er folgte oft demselben Ablaufschema.

Viola Kiel: Wie sah das aus?

Christoph Cornelißen: Meistens steigt er ruhig ein, sehr viel ruhiger, als man Hitler gemeinhin kennt. Er arbeitet bewusst mit Pausen, um Spannungsmomente zu erzeugen und sein Publikum in Erwartungshaltung zu bringen. Dann steigert er sich, natürlich je nach Thema, in etwas hinein und man erlebt den bellenden, hart austeilenden Hitler. Danach gibt es aber wieder eine Ruhephase, in der er bewusst in eine stärker argumentativ ausgerichtete Haltung zurückfällt. Er kontrolliert als Redner, was er für ein Tempo einnimmt. Auch da, wo es wirkt, als ob er sich geifernd über andere auslässt, ist das bewusst gespielt. Er ist nicht der Aufgewühlte, der völlig außer Kontrolle gerät.

Viola Kiel: Warum denken Sie das?

Christoph Cornelißen: Natürlich ist das ein Deutungsversuch, das sei zugestanden. Aber wir versuchen, das gesamte Umfeld der Reden zu rekonstruieren, alles, was dazu gesagt wurde. Und wir können auf jeden Fall feststellen, dass sich das klassische Bild eines – ich spitze zu – Wahnsinnigen, der die Kontrolle über sich selbst bei jeder Rede in kürzester Zeit verliert, so nicht nachweisen lässt.

Viola Kiel: Das Bild von Hitler hat sich also gewandelt.

Christoph Cornelißen: Ja, in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. Es gibt viele Hitler-Biografien und -Darstellungen, die sich stark darin unterscheiden, welche Gesamtthese sie am Ende über Hitler formulieren. Heute ist man sehr weit weg vom Bild eines allwissenden und unumschränkten Führers, der das ganze Regime allein verantwortet hat. Man ist aber auch weit weg von einer Darstellung, die Hitler als entscheidungsschwachen Diktator gezeichnet hat.

Viola Kiel: Hat sich auch das Bild des Redners Hitler verändert?

Christoph Cornelißen: Massiv. Die Idee von Hitler als Redekünstler stammt aus den 2010er-Jahren. Vorher war eine Auseinandersetzung darüber in völlig freier Form nicht möglich. Auch aus Angst davor, etwas Falsches zu sagen und den Anhängern, den Unverbesserlichen, den Es-nicht-besser-wissen-Wollenden, Futter zu bieten.

Viola Kiel: Sehen Sie Parallelen zwischen Hitlers Redetechniken und der Rhetorik politischer Akteure rechter Parteien?

Christoph Cornelißen: Es gibt viele inhaltliche Parallelen. Die aus der Opposition argumentierende AfD – über die reden wir ja – diffamiert ihre politischen Gegenüber auf eine ähnliche Weise wie Hitler, sie nutzt Strategien, die an die NSDAP erinnern: Die böse Ironie, die die vermeintlichen Fehler und Irrtümer des Gegners – damals das "internationale Judentum" oder der "Bolschewismus", heute die Regierenden – vorführt und diese diffamiert. Sie nutzt Komposita mit dem Wort Volk, die in der deutschen Sprache bis in die 1990er-Jahre eher verpönt waren. Sie schürt damit Emotionen, suggeriert Fiktionen einer nationalen Volkseinheit und schließt gleichzeitig bestimmte Gruppen aus. Auch dabei gibt es Parallelen: Etwa die Debatten über den Ausschluss von Zuwanderern bestimmter Herkunftsländer erinnern sehr stark an das, was wir in Reden der Nationalsozialisten finden. Durch das bewusste Herauslösen bestimmter Gruppen aus der Gemeinschaft soll das Wirgefühl nach innen erhöht werden. Auch gespielte Erregungszustände am Rednerpult erleben wir in letzter Zeit häufiger – und ich unterstelle, dass sie gespielt sind.

Viola Kiel: Haben Sie Bedenken, dass eine vollständige Edition der Hitler-Reden manchen Gruppen als Art Inspiration dienen könnte?

Christoph Cornelißen: Na ja, in der Literatur ist es so: Wenn Sie ein Buch publizieren, können Sie sich nicht dagegen wehren, falsch vereinnahmt zu werden. Aber in diesem Fall haben wir natürlich das Problem, dass wir mit einer geballten Zurverfügungstellung von Hitler-Reden theoretisch einen Fundus für missbräuchliche Anwendung schaffen. Wobei ich ein paar Dinge dazu sagen möchte: Seit einigen Jahren ist eine kritische Edition von Mein Kampf frei zugänglich, und es ist nicht zu erkennen, dass diese Publikation zu einem Auftrieb der missbräuchlichen Anwendung geführt hat. Im Gegenteil: Die wissenschaftlich kritische Kommentierung hat eher zu einer Beruhigung in dem Bereich geführt. Ich gehe davon aus, dass auch wir eher eine Versachlichung erzielen. Aber wir diskutieren sehr aktiv darüber, wie wir die digitale Text- und Audioedition verfügbar machen. Wenn Sie einmal im Internet suchen, können Sie sich ja jetzt schon eine Vielzahl von Hitler-Reden anhören. Wir können nicht so tun, als könnten wir als kontrollierende Instanz die Hände auf der Sache halten.

Viola Kiel: Welche Lehren lassen sich aus der Analyse von Hitlers Reden für den Umgang mit heutiger politischer Rhetorik ziehen?

Christoph Cornelißen: Sie finden in den Reden Hitlers zu jedem großen Thema der Zeit der NS-Diktatur Aussagen, die als Schlüsselaussagen verstanden werden können. Das betrifft den Antisemitismus, das betrifft in aller Schärfe die Pläne, die Juden irgendwie loszuwerden. Das sind nicht nur metaphorische Bilder, sondern sehr konkrete Forderungen.
Deswegen ist aus unserer Sicht die Beschäftigung mit diesen ideologischen Versatzstücken von zentraler Bedeutung, um zu verstehen, warum ein großer Teil des Publikums sich auf diese Gedankenwelt eingelassen hat. Und ich glaube, es ist die Pflicht eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin, sich Gedanken darüber zu machen, wie politische Reden funktionieren. Dass Zuhörerinnen und Zuhörer ein kritisches Selbstbewusstsein entwickeln, halte ich für nicht nur förderlich, sondern für erforderlich. Wir brauchen ein Publikum, das begreift, wie Politik mit ihm umgeht.

Viola Kiel: Macht das was mit einem, jahrelang Hitler zuzuhören?

Christoph Cornelißen: Auf jeden Fall, muss es auch. Es lässt Sorgen aufkommen über die Vergangenheit. Und wenn Sie die Beifallstürme hören oder den Ausbruch von Hassgefühlen, dann lässt das Sorgen aufkommen, welche Auswüchse menschliches Verhalten und Handeln auch heute annehmen können.


Aus: ""Die AfD diffamiert auf ähnliche Weise wie Hitler"" Interview: Viola Kiel (21. Februar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2025-02/rechtsextreme-rhetorik-adolf-hitler-afd-christoph-cornelissen