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[Forschender Blick nach rechts... ]

Started by Link, February 28, 2019, 10:02:08 AM

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#100
Quote[...] BERLIN taz | Die rechtsextremen Drohschreiben gingen an Linken- und GrünenpolitikerInnen, an die Bundesjustizministerin, an JournalistInnen oder die Sängerin Helene Fischer. Und sie waren voller wüstem Hass. Man kämpfe gegen die Verunreinigung des ,,deutschen Volkstums", werde ,,Menschen auf offener Straße exekutieren" oder Kinder töten, hieß es dort. Unterzeichnet wurde mit: ,,Nationalsozialistische Offensive".

Es sind Drohungen, die so oder ähnlich seit Monaten Menschen in diesem Land erreichen – zumeist von anonymen Absendern. Diesmal aber ist es anders. Denn im Fall der ,,Nationalsozialistischen Offensive" bekommt der Hass am Dienstag ein Gesicht. Es gehört André M., einem 32-Jährigen aus Halstenbek bei Hamburg.

Die Polizei hatte den Arbeitslosen Anfang April 2019 verhaftet. Es war eine der ganz wenigen Festnahmen nach solchen Drohschreiben. Nun sitzt André M. im Landgericht Berlin, Saal 700. Er soll es sein, der hinter der ,,Nationalsozialistischen Offensive" (NSO) steckt.

Blass und schmächtig, mit blonder Zopffrisur, sitzt André M. dort hinter dem Sicherheitsglas, aufmerksam schaut er in den Saal. Als der Richter nach seinen Personalien fragt, antwortet André M. nur knapp. Schon zu seinem Beruf will er nichts mehr sagen. Auch zu den Vorwürfen schweigt er.

Dann aber wird die Verhandlung sowieso unterbrochen. Ein Fax hatte das Gericht erreicht, kurz vor Prozessbeginn, mit einer Bombendrohung, ausgerechnet. Nun wird das Schreiben dem Richter gereicht, der den Saal räumen lässt und den Prozess für eine Stunde unterbricht. André M. verfolgt das Ganze interessiert, aber ohne weitere Regung.

In dem Schreiben ist von mehreren deponierten Sprengsätzen im Gericht die Rede. Die anwesende ,,Lügenpresse" werde ,,im eigenen Blut vor dem Saal ersaufen", auch der Richter wird namentlich genannt. Unterschrieben wird mit: ,,NSU 2.0". Die Polizei gibt eine Stunde später Entwarnung: Es kann weiterverhandelt werden.

Die Staatsanwältin verliest daraufhin die Anklage – die André M. ebenso regungslos verfolgt. 103 Drohschreiben habe André M. in nur gut drei Monaten verschickt, seit Ende Dezember 2018, von anonymisierten E-Mail-Adressen aus. Gleichzeitig habe er auch im Darknet Gewaltaufrufe veröffentlicht. Die meisten Schreiben waren Bombendrohungen – an Gerichte, Rathäuser, Behörden, Bahnhöfe oder auch die Rote Flora in Hamburg. Fabuliert wurde über versteckten Sprengstoff, über Fernzündungen via Handy, ergänzt immer wieder mit expliziten Ausschmückungen, wie es zu Toten kommen werde. ,,Ihr werdet in Fetzen da liegen", hieß es zum Beispiel. Die Gebäude mussten teils geräumt werden – Sprengsätze wurden nie gefunden.

Dazwischen folgten Drohschreiben an Bundestagsabgeordnete, an Medienhäuser, auch die taz, oder immer wieder obsessionshaft an Helene Fischer, die als ,,slawisch" abgelehnt wurde. Auch hier versehen mit brachialen Gewaltandrohungen, teils auch Geldforderungen via Bitcoin oder Monero in absurden Höhen. Einige Schreiben waren mit einem Link zu einem Video versehen, in dem Kinder missbraucht und gefoltert werden.

Es sei André M. um das ,,Ausleben seines Menschenhasses" gegangen, einem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, sagt die Staatsanwältin. Und um Fantasien einer ,,nationalen sozialistischen Ordnung".

Es war André M. selbst, der die Ermittler auf seine Spur brachte. Denn über die Monate wurde er immer unvorsichtiger. Am Ende bedrohte er auch eine Bekannte aus Sachsen-Anhalt – und griff dies später in einem Schreiben an eine Politikerin auf. Über diese Bekannte konnte die Polizei André M. identifizieren. Er hatte sich selbst verraten.

Und die Ermittler trafen auf einen einschlägig Bekannten. Schon seit seiner Kindheit fiel André M. nach taz-Informationen mit Gewalttaten auf. Die Schule verließ er als 15-Jähriger mit einem Fünfte-Klasse-Abschluss. Schon ab dieser Zeit zerstach er Autoreifen, legte Brände, experimentierte mit Sprengstoff oder attackierte einen Nachbarn mit einem Messer, gleichzeitig plagten ihn Angstzustände. Schließlich sinnierte er mit einem Bekannten über einen Bombenanschlag auf ein Apfelfest in einer Nachbarstadt. Von dem Vorwurf wurde er freigesprochen, wegen anderer Delikte aber landete er für fünf Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Auch danach folgten weitere Straftaten und Inhaftierungen. Eine Ausbildung trat André M. nie an, Freunde hatte er keine mehr. Zuletzt wurde er im Oktober 2018 aus der Haft entlassen. Er zog wieder zurück zu seinen Eltern, wo er sich sein Zimmer mit Hakenkreuzfahnen ausstaffiert haben soll. Schon kurz darauf meldete er sich nach taz-Informationen wieder im Darknetforum ,,Deutschland im DeepWeb" an, in dem er schon 2017 unter dem Alias ,,Sturmsoldat" aktiv gewesen sein soll. Nun firmierte er dort als ,,Sturmwehr". Die später verbotene Plattform war ein riesiges Chatforum, aber auch ein Kriminalitätsumschlagplatz. So bezog etwa der Attentäter des Anschlags auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 von dieser Plattform seine Tatwaffe.

André M. widmete offenbar seine ganze Zeit dem Darknet, und das einschlägig. In Chats soll er wiederholt zu Terror gegen PolizistInnen, RichterInnen und PolitikerInnen aufgerufen haben. Dann habe André M. seine Drohschreibenserie als ,,Nationalsozialistische Offensive" gestartet. Die Ermittler fürchteten, dass es nicht dabei bleiben sollte: Denn der 32-Jährige lud auch Anleitungen zum Bomben- und Schusswaffenbau aus dem Internet herunter, posierte auf Fotos mit Sturmgewehren und beschäftigte sich mit dem Christchurch-Anschlag auf zwei neuseeländische Moscheen mit 51 Toten.

Die Ermittlungen machten aber auch klar, dass André M. nicht alleine handelte. Denn ausgehend von der Darknetplattform verschickt auch eine zweite Person bis heute ganz ähnliche, ebenso brutale Schreiben, mal unter dem Alias ,,Wehrmacht", mal als ,,Staatsstreichorchester". Und diese Person stand nach taz-Informationen ab Mitte Januar 2019 in engem Austausch mit André M. Beide diskutierten demnach über Adressaten für ihre Drohungen, in den verschickten Schrei­ben wurde sich aufeinander bezogen.

Als André M. im April 2019 schließlich verhaftet wurde, verschickte ,,Staatsstreichorchester" eine E-Mail an Politiker und Journalisten, in welcher er ,,Immunität" für den ,,Mitarbeiter" forderte. André M., der mit vollem Nachnamen genannt wird, habe ,,nicht die nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen". Man sei dennoch ,,in keiner Weise beeindruckt". Gedroht wurde mit neuem rechtem Terror. Und die Schreiben setzten sich fort.

Bis heute konnten die Ermittler nicht herausfinden, wer hinter diesem zweiten Alias steckt. Und auch André M. schweigt dazu. Der Prozess gegen ihn muss nun auch klären, wie schuldfähig M. überhaupt ist. Er selbst soll wiederholt Suizid- und Amokgedanken geäußert und Medikamente missbraucht haben. Sachverständige attestierten ihm in der Vergangenheit eine Persönlichkeitsstörung.

Im Gericht sitzt am Dienstag auch die Bundestagsabgeordnete der Linken, Martina Renner. Auch sie erhielt Drohschreiben der ,,Nationalsozialistischen Offensive", nun ist sie Nebenklägerin im Prozess. Es sei eigenartig, André M. ins Gesicht zu schauen, sagt Renner. Für sie ist er kein Verrückter, sondern ein klarer Rechtsextremist. ,,Die Auswahl der Menschen, die er bedrohte und sein Vokabular sind da eindeutig."

Renner will in dem Prozess auch die ,,offenkundigen, bisher unbehelligten Mittäter" thematisieren. Hier seien ,,entschiedene Ermittlungen" nötig, um auch diese zu stellen. Und sie verweist auf die Waffenaffinität von André M.: ,,Es geht hier nicht nur um Dahingeschriebenes. Der Schritt zu realer Gewalt und Terror ist ganz klein."

Das zeigt sich auch an anderer Stelle. So erhielt zuletzt auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby aus Halle zahlreiche Drohschreiben, darunter auch vom ,,Staatsstreichorchester". Später wurden in seinem Bürgerbüro Einschusslöcher entdeckt. Und auch der des Mords an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Tatverdächtige soll zuvor im Internet mit Gewalt gedroht haben. Inzwischen zogen sich bundesweit einzelne BürgermeisterInnen wegen solcher Bedrohungen zurück. BKA-Chef Holger Münch spricht von einer ,,demokratiegefährdenden" Entwicklung.

Der Polizei glückte zuletzt immerhin eine zweite Festnahme. Ende März fasste sie in Bayern eine 54-jährige Heilpraktikerin. Die Frau soll Kommunalpolitikern und an eine Moschee Drohbriefe geschickt haben, teils mit einer scharfen Patrone. Ermittelt wurde sie, weil zurückverfolgt werden konnte, wo sie die versandten Karten gekauft hatte. Laut Polizei besitzt die Frau seit Langem eine ,,rechtsgerichtete Gesinnung".

Die rechtsextremen Drohschreiben aber gehen weiter. So verschickten Unbekannte zuletzt unter dem Alias ,,Wolfszeit 2.0" E-Mails an PolitikerInnen der Linken und Grünen und drohten, man werde sie ,,abschlachten", weil sie sich ,,für dreckige Asylanten" einsetzten. Ungeklärt ist auch, wer als ,,NSU 2.0" Drohfaxe an die NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz aus Frankfurt am Main verschickte. André M. und sein Mitstreiter sollen in ihren Schrei­ben auch einen ,,NSU 2.0" als Teil ihres Netzwerks benannt haben. Die Ermittler glauben jedoch an andere Verfasser. Unklar ist auch, ob es hier einen Zusammenhang zu dem Drohfax an das Berliner Landgericht vom Dienstag gibt.

Und auch Martina Renner hat bis heute keine Ruhe. Erst Montag erhielt sie, ebenso wie andere, erneut ein Drohschreiben – wieder mal vom ,,Staatsstreichorchester". Ge­fordert wird darin ein ,,einwandfreier Freispruch" für André M. Andernfalls werde ,,die Bevölkerung die Konsequenzen zu spüren bekommen". Diesem dürfte aber eine längere Freiheitsstrafe bevorstehen, wenn die Richter seine Schuld als erwiesen ansehen.


Aus: "Der Radikalisierte" Konrad Litschko (21. 4. 2020)
Quelle: https://taz.de/Rechtsextreme-Terrorbriefe/!5680194/

QuoteLinksman gestern, 22:41

"...Geldforderungen via Bitcoin oder Monero..."

Tss, wie undeutsch.


QuoteMustardman
gestern, 20:54

Jämmerliche Verlierer träumen von Gewalt und Macht und nutzen die Medien als Wirkungsverstärker. ... Und wieder, wie immer: Wäre das ein Moslem, der mit Morden droht, aus welchen jämmerlichen und religiös/politisch verbrämten persönlichen Gründen auch immer, dann wäre das ein kurzer Prozess und er wäre zweifellos ein Terrorist.


...

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"Mails mit ,,NSU 2.0" unterzeichnet: Hessische Linke Wissler wird von Rechtsextremen bedroht"
Seit August 2018 hatte die Frankfurter NSU-Opfer-Anwältin Basay-Yildiz rechte Drohmails erhalten. Jetzt trifft es die hessische Linken-Politikerin Wissler. ... Die Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, hat mit ,,NSU 2.0" unterzeichnete Drohmails bekommen. ,,Es war eine klare Bedrohung gegen mein Leben", sagte die stellvertretende Bundesparteivorsitzende der Deutschen Presse-Agentur.  ... Mit ,,NSU 2.0" unterzeichnete Drohschreiben hatte wiederholt auch die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz bekommen. Sie vertrat im NSU-Prozess Nebenkläger aus den Familien der Opfer der rechtsextremen Mordserie. In den Schreiben wurde ihr und ihren Angehörigen der Tod angedroht. Der ,,Nationalsozialistische Untergrund" hatte zwischen 2000 und 2007 zehn Morde in Deutschland verübt. ... Bei den Ermittlungen nach den ersten Drohschreiben gegen die Anwältin stellte sich heraus, dass ihre persönlichen Daten von einem Computer in der Dienststelle des 1. Polizeireviers in Frankfurt abgerufen worden waren. Auch eine Chatgruppe mehrerer Beamter mit mutmaßlich rechtsextremen Inhalten wurde entdeckt. ...
https://www.tagesspiegel.de/politik/mails-mit-nsu-2-0-unterzeichnet-hessische-linke-wissler-wird-von-rechtsextremen-bedroht/25975822.html

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Seit Jahren bekommen Menschen, die sich gegen Rechts stellen, Morddrohungen vom ,,NSU 2.0". Wer verschickt sie? Die Spur führt vor die Haustür eines Polizisten.
Ein Artikel von Sebastian Erb Christina Schmidt Christina Schmidt Dinah Riese Dinah Riese Konrad Litschko Konrad Litschko Luisa Kuhn (5.9.2020)
Uns liegen mehr als ein Dutzend der Drohschreiben vor. Wir werten Unterlagen aus, recherchieren in sozialen Netzwerken und Darknet-Foren. Wir sprechen mit Empfänger*innen der Drohungen, mit Ermittler*innen. Und irgendwann stehen wir vor einem Haus in Frankfurt, in dem ein Polizist wohnt, und betätigen die Klingel, an der sein eigener Name nicht steht. Über diesen Polizisten hat die Öffentlichkeit bislang so gut wie nichts erfahren. ...
https://taz.de/taz-Recherche-zu-Drohmails/!5709468/

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Quote[...] Als Alexander M. am Mittwoch zur Anklagebank im Saal 165 des Landgerichts Frankfurt am Main geführt wird, in Funktionsjacke und rotem Sweater, streckt er noch in Handschellen mit beiden Händen den Opferanwältinnen und Fo­to­gra­f:in­nen beide Mittelfinger entgegen. Seine Verteidiger schauen weg. Alexander M. macht klar, was er von dieser Verhandlung hält: nichts.

Ein Wachtmeister nimmt ihm die Handschellen ab, der Angeklagte atmet schwer unter der Schutzmaske, er scheint aufgeregt. Dann setzt er sich, verschränkt die Arme: Alexander Horst M., 54 Jahre, aus Berlin, alleinstehend, seit Jahren erwerbslos, vielfach vorbestraft.

Das also könnte das Gesicht des Hasses sein. Zumindest sieht es die Anklage gegen ihn so. Laut der ist Alexander M. der Verfasser von 116 wüsten Drohschreiben, in denen ein selbsternannter ,,NSU 2.0" fast drei Jahre lang zumeist Engagierte gegen Rassismus quer durch die Republik beschimpfte. Die E-Mails, SMS und Faxe erreichten die NSU-Opfer-Anwält:innen Seda Başay-Yıldız und Mehmet Daimagüler, die Comedians İdil Baydar und Jan Böhmermann, die Po­li­ti­ke­r:in­nen Janine Wissler, Martina Renner (beide Linke), Ricarda Lang (Grüne) und die Au­to­r:in­nen Hengameh Yaghoobifarah und Deniz Yücel.

Als ,,Scheißtürken", ,,Volksschädling" oder ,,Abfallprodukte" wurden die Angeschriebenen von dem Verfasser beschimpft, der sich ,,SS Obersturmbannführer" nannte. Ihnen wurde angedroht, sie würden ,,mit barbarischer sadistischer Härte abgeschlachtet", ihnen würde der ,,Kopf abgerissen". Verschickt wurden auch Bombendrohungen, an Gerichte oder die Walter-Lübcke-Schule in Hessen. Im Fall von Seda Başay-Yıldız wurde am Ende auch ein öffentlicher Aufruf zu ihrer Tötung ins Internet gestellt, samt Nennung ihrer Adresse. Dazu hieß es immer wieder: ,,Heil Hitler! NSU 2.0 Der Führer".

All dies endete erst, als am 3. Mai 2021 Alexander M. in seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Wedding festgenommen wurde – als Beschuldigter für die ,,NSU 2.0"-Drohserie.

Am Mittwoch hat der Prozess gegen Alexander M. begonnen, in dem Frankfurter Gerichtssaal, in dem auch der Mord an Walter Lübcke verhandelt wurde. Alexander M. soll schon nach seiner Festnahme die Vorwürfe zurückgewiesen haben. Später schrieb er an mehrere Gerichte und beschwerte sich über seine Inhaftierung. Eine Vernehmung aber lehnte er ab.

Im Saal 165 spricht Alexander M. am Morgen zumindest kurz. Von Richterin Corinna Distler nach seinen Personalien gefragt, gibt er knapp seinen Namen und Geburtsdatum an, die Adresse verweigert er. ,,Ich gebe keine privaten Daten in öffentlicher Sitzung an", blafft er. Es seien ja auch Journalisten da. ,,Steht ja in der Akte drinne."

Fast drei Stunden lang verlesen die Staatsanwälte Sinan Akdogan und Patricia Neudeck die Anklage. Sie zitieren Drohschreiben um Drohschreiben, Schmähung um Schmähung. Es sind unflätigste rassistische Beschimpfungen, teils im NS-Jargon, mit expliziten Todesdrohungen. M. habe sich der Volksverhetzung, der Störung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten schuldig gemacht, sagen die Ankläger. Alexander M. folgt mit verschränkten Armen, es scheint ihn wenig zu interessieren. Zwischendrin blättert er in einem Gesetzbuch, bittet um eine Pinkelpause.

Die NSU-2.0-Drohserie geht über Alexander M. hinaus. Bis heute ist sie auch eine Polizeiaffäre. Im Fokus steht dabei auch ein Mann, der nicht angeklagt ist: Polizist Johannes S.

Auffällig war früh, dass etliche ,,NSU 2.0"-Schrei­ben auch private Daten der Angeschriebenen enthielten – Adressen, Handynummern, Namen von Angehörigen. In den Fällen von Seda Başay-Yıldız, İdil Baydar und Janine Wissler waren die Daten von Polizeicomputern abgerufen worden, auf Revieren in Frankfurt am Main, Wiesbaden und Berlin. Das machte die Sache zu einem Politikum. Der ungeheure Verdacht: Steckten Polizeibeamte dahinter?

Der Fall belastete die hessische Polizei schwer. Ein Sonderermittler wurde eingesetzt, Polizeipräsident Udo Münch trat zurück. Er beschäftigte den Bundestag, den hessischen Landtag, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reiste an.

Bis Alexander M. verhaftet wurde. Und die Staatsanwaltschaft bekannt gab, dass dieser als Einzeltäter anzusehen sei: Er habe wohl durch fingierte Anrufe bei der Polizei, bei denen er sich als Behördenangestellter ausgab, die Privatdaten erlangt. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärte, die Opfer und Polizei könnten ,,aufatmen", die Gewerkschaft der Polizei forderte eine Entschuldigung für die ,,haltlosen" Vorwürfe gegen die Polizei.

Aber Seda Başay-Yıldız, die in dem Prozess Nebenklägerin ist, und andere Betroffene haben weiter Zweifel. Im Gericht ist sie am Mittwoch nicht, sie schickt eine Anwältin. Sie will dem Angeklagten keine Genugtuung gönnen. Nach den Drohungen musste Başay-Yıldız umziehen, ihre neue Wohnung absichern, sie stand unter Polizeischutz. Auch die Politikerin Martina Renner ist Nebenklägerin und schickte eine Anwältin.

Schon im Vorfeld aber sagte Başay-Yıldız der taz, für sie sei bis heute nicht ausgeräumt, dass Polizeibeamte an der Drohserie beteiligt waren. ,,Ich glaube, dass Polizisten zumindest an dem ersten Drohfax an mich aktiv mitgewirkt haben", sagt Başay-Yıldız. ,,Dass die Beamten ausgetrickst wurden, ist eine Behauptung des vom Innenminister eingesetzten Sonderermittlers. Und die ist in meinem Fall auch noch ziemlich realitätsfern."

Angeklagt aber ist nur Alexander M. Das Bild, dass die Ermittler von ihm zeichnen, ist das eines querulantischen Einzelgängers. Geboren wurde er in Ostberlin, wuchs bei seiner Mutter auf, die Schule verlief holprig, er machte eine Ausbildung zum Informatiker. Zuletzt lebte M. allein und seit Jahren erwerbslos in einer Einzimmerwohnung im Berliner Wedding, bei seiner Festnahme notierten Beamte einen vermüllten Zustand. Kontakt soll er fast nur zu seiner Mutter gehabt haben. Vor Gericht gab er schon vor Jahren an, er sei ein Einzelgänger, der den ganzen Tag vorm Rechner sitze.

Der 54-Jährige ist vielfach vorbestraft, saß bereits mehrere Jahre in Haft. Verurteilt wurde er etwa wegen Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung, Hehlerei oder Amtsanmaßung. Ein psychiatrisches Gutachten von 2005 bescheinigte ihm eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, dissozialen Zügen. Und M. kennt sich laut Ermittlern gut mit der NS-Zeit aus, aus familiärer Erfahrung: Sein Vater soll Mitglied des SS-Totenkopfverbandes Thüringen gewesen sein, damals am KZ Buchenwald stationiert. Die Anklage sieht auch das als Indiz dafür, dass Alexander M. der selbsternannte ,,SS Obersturmbannführer" der NSU-2.0-Schreiben ist.

Die große Lücke in der Anklage aber bleibt: Wie soll Alexander M. an die Polizeidaten gelangt sein? Gleich das erste Drohschreiben an Seda Başay-Yıldız wirft Fragen auf. Dieses ging am 2. August 2018 um 15.41 Uhr als Onlinefax bei der Kanzlei von Başay-Yıldız ein, verschlüsselt versendet über einen Server des Tor-Netzwerks. Die Frankfurterin war damals nicht nur als NSU-Opfer-Anwältin bekannt, sondern auch für die Vertretung eines Islamisten. ,,Miese Türkensau", beschimpfte sie der Absender, der sich ,,Uwe Böhnhardt" nannte, nach dem NSU-Terroristen. ,,Du machst Deutschland nicht fertig. Verpiss dich lieber, solange du hier noch lebend rauskommst, du Schwein." Es folgte die Nennung von Başay-Yıldız' Privatadresse und der Name ihrer damals zweijährigen Tochter, beide öffentlich nicht bekannt. Und die Drohung, ihre Tochter zu ,,schlachten". Am Ende das Kürzel: ,,NSU 2.0".

Am gleichen Abend erschien auf dem linken Indymedia-Onlineportal ein Kommentar zu Başay-Yıldız, auch dort mit ihrer Adresse und dem Aufruf, ihr ,,jede Menge Ärger" zu machen.

Başay-Yıldız war Beleidigungen gewohnt. Das aber war neu – sie informierte das hessische Landeskriminalamt. Was sie da noch nicht wusste: Ihre Privatdaten waren, rund anderthalb Stunden bevor sie das Drohfax erhielt, auf einem Dienstrechner im 1. Polizeirevier Frankfurt am Main abgerufen worden. Und das wesentlich akribischer als bisher bekannt, wie die taz zuletzt offenlegte: Mit insgesamt 17 Abfragen wurde nach Başay-Yıldız in drei Datenbanken gesucht – nach ihrer Adresse, den dort gemeldeten Personen und deren Geburtsdaten oder dem Auftauchen der 46-Jährigen als Beschuldigte oder Geschädigte von Straftaten. Sechs Minuten lang.

Başay-Yıldız ist überzeugt: ,,Eine solch detaillierte Abfrage ist auf telefonischen Zuruf sowohl faktisch als auch zeitlich ausgeschlossen. Das wirkt vielmehr, als hätten die Beamten all ihre Daten durchsucht, um gezielt etwas über mich herauszufinden."

Tatsächlich fiel der Verdacht der Ermittler, nachdem diese auf die Datenabfrage im 1. Revier in Frankfurt stießen, zuerst auf Polizeibeamte. An dem Rechner, an dem die Abfrage stattfand, war eine junge Beamtin eingeloggt, Miriam D. Sie soll später angegeben haben, sich an die Abfrage nicht zu erinnern – sie aber auch nicht ausschließen zu können. Das Problem: Der Dienstrechner war über Stunden entsperrt, mehrere Beamte konnten ihn benutzen, ein Zettel mit Passwort lag daneben. Wer letztlich die Abfrage zu Başay-Yıldız tätigte, konnten die Ermittler bis heute nicht herausfinden. Auch die fünf weiteren Polizisten, die damals im Revier im Dienst waren, sollen alle behauptet haben, sich an den Tagesverlauf und die Abfrage nicht erinnern zu können.

Was die Ermittler aber entdeckten, war eine Whatsapp-Gruppe namens ,,Itiotentreff" auf dem Handy von Miriam D. Sechs Beamte tauschten sich dort aus, inklusive rechtsextremer Sprüche und Hitlerbilder. Die Staatsanwaltschaft bewertete Dutzende Beiträge als strafrechtlich relevant. Und auch einer der Teilnehmer der Chatgruppe rückte nun in den Verdacht: Polizist Johannes S. Er fiel im Chat mit derben Beiträgen auf. Er war am Tag des ersten Drohfax an Başay-Yıldız im Dienst auf dem Frankfurter Revier. Er soll sich mit Tor-Verschlüsselung auskennen, einen Vortrag darüber bei der Polizei gehalten haben. Und er soll im Internet nach ,,Yildiz" gesucht haben.

Johannes S. wurde daraufhin überwacht – und vermeintlich entlastet. Weil festgestellt wurde, dass er beim Versand eines späteren ,,NSU 2.0"-Schreibens anderweitig beschäftigt war. Offen aber bleibt, ob das Schreiben nicht auch zeitversetzt verschickt worden sein könnte. Sein Alibi, wonach er zum Zeitpunkt des ersten Drohfax an Başay-Yıldız auswärts auf einem Einsatz war, stimmt wohl nicht: Ermittler rekonstruierten, dass der Einsatz erst später begann.

Die ,,NSU 2.0"-Serie ging, nach einer Pause, ab Dezember 2018 erst richtig los. In einem weiteren Schreiben an Başay-Yıldız wurden auch ihre Eltern namentlich bedroht, auch sie öffentlich nicht bekannt. In einem anderen stand Başay-Yıldız' neue Adresse – obwohl diese mit einem Sperrvermerk als geheim eingestuft war. Und auch weitere Personen erhielten nun die Schreiben, meist nachdem Medien über sie berichtet hatten. Wie ,,getriggert" habe der Verfasser auf die Berichte reagiert, notierten Ermittler.

Und nun kamen die Schreiben alle von derselben E-Mail-Adresse des russischen Anbieters Yandex, verschickt nach Tor-verschlüsselten Logins. Zu den privaten Daten stellten die Ermittler fest, dass sich einige zwar mit längeren Suchen im Internet finden ließen – in zehn Fällen aber nicht. Und in drei davon – Başay-Yıldız, Baydar, Wissler – gab es eben zuvor die Abfragen auf Polizeirevieren. Einen dienstlichen Grund dafür fanden die Ermittler nicht.

Aber der Drohschreiber blieb ungefasst. Auch eine eigens von den Ermittlern aufgesetzte, fingierte Internetseite, die einen Tor-Zugriff entschlüsselte hätte, blieb fruchtlos. Ebenso wie ein Rechtshilfeersuchen an Yandex, das erst nach Monaten beantwortet wurde. Bis ein Schach-Onlineportal den Durchbruch brachte.

Zuvor schon hatten die Ermittler auf dem rechtsextremen Onlineportal PI-News zwei Nutzer namens ,,Obersimulant" und ,,Sudel-Ede" entdeckt, die ähnliche Formulierungen wie der ,,NSU 2.0"-Schreiber verwendeten – Sprachgutachten bestätigten das. Nun fanden sie im Frühjahr 2021 die gleichen Usernamen auch auf einem Schachportal wieder, die dort teils rassistisch ausfällig wurden. Von einem dieser Accounts führten eine IP-Adresse und Bestandsdaten schließlich zu Alexander M. – er hatte die Schachseite nicht Tor-verschlüsselt genutzt.

Ab Mitte April 2021 wurde Alexander M. observiert, am 3. Mai schließlich festgenommen – bewusst abends, als der 54-Jährige an seinem eingeschalteten PC saß und diesen nicht mehr sperren konnte. M. soll noch mit einer Schreckschusswaffe die Beamten bedroht haben. Auch für die Bedrohung muss er sich nun verantworten. Und für zwei verbotene Würgehölzer und Kinderpornografie, die in seiner Wohnung gefunden wurden.

Dass Alexander M. die Vorwürfe bestreitet, beunruhigt die Ankläger nicht. Seine Beschwerden gegen seine Inhaftierungen wiesen Gerichte bisher ab. Und die Ankläger haben tatsächlich einiges gegen Alexander M. in der Hand.

Da sind seine einschlägigen Vorstrafen. In einem Berliner Sozialamt soll er schon vor Jahren einem Mann mit einer Gaspistole ins Gesicht geschossen, in einem Arbeitsamt einen Mitarbeiter mit Reizgas besprüht haben. Zudem soll er andere mit Drohanrufen überzogen haben. So etwa den Leiter der JVA Moabit, den er laut eines Gerichtsurteils als ,,perverses Schwein" beschimpfte und drohte, ihn umzubringen.

Schwerwiegender aber: Auf M.s Rechner fanden sich mehrere NSU-2.0-Drohschreiben oder Fragmente dazu. Dazu konnten die Ermittler nachweisen, dass Alexander M. Zugang zum Yandex-Postfach hatte, von dem aus die Schreiben verschickt wurden. Auf seinem PC fanden sich auch Log-ins zu PI-News und dem Schachportal – und Suchan­fragen zu den Bedrohten, vor allem Başay-Yıldız.

Die Anklage verweist darauf, dass sich M. bereits in der Vergangenheit bei einer Bank als Polizist ausgegeben und die Daten eines Kunden angefordert habe. Dem Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten schrieb er 2019, wie leicht es sei, sich als Mitarbeiter auszugeben und so bei Ämtern an Daten zu kommen. Auf seinem PC fand sich ein Hinweis zu einem Anruf bei einer Polizeistation, bei dem er sich als Staatsanwalt ausgegeben haben soll.

Auch die taz erhielt im August 2018 – kurz nach dem ersten Drohschreiben an Başay-Yıldız – zwei Anrufe, die nun in Ermittlungspapieren auftauchen. Der Anrufer gab sich als Polizist aus dem Wedding aus, der vom taz-Geschäftsführer und der Chefredakteurin die Handynummer der Ko­lum­nis­t*in Hengameh Yaghoobifarah verlangte – was abgelehnt wurde. Darauf drohte der Anrufer: ,,Ihrer Kollegin blüht noch einiges." Schon kurz zuvor war auch Yaghoobifarahs Vater von einem Unbekannten angerufen worden, der nach der Handynummer und Adresse fragte.

Für die Ermittler sind dies Indizien genug, dass Alexander M. so auch bei den Polizeiwachen vorging. ,,Der anfängliche Verdacht, Polizeibeamte könnten in strafrechtlich relevanter Weise an der Datenabfrage beteiligt gewesen sein, hat sich nicht bestätigt", erklärt die Frankfurter Staatsanwaltschaft.

Für Seda Başay-Yıldız ist das keineswegs so klar. Sie verweist darauf, dass auch im Nachhinein keiner der befragten Frankfurter Polizeibeamten von solch fingierten Anrufen berichtet hat. Das Vorgehen passe auch nicht zu der sehr ausführlichen Suche zu ihrem Namen mit gleich 17 Abfragen in drei Datenbanken. ,,So reagiert man doch nicht auf einen telefonischen Zuruf. Noch dazu von einer Person, die man nicht kennt", sagt Başay-Yıldız.

Für sie bleibt auch ungeklärt, wer am Abend des ersten Datenabrufs den Indymedia-Kommentar zu ihr veröffentlichte – in der Anklage gegen Alexander M. taucht er nicht auf. Wer war es dann? Unerklärlich ist für Başay-Yıldız auch, wie der Drohschreiber an ihre neue, geheime Adresse kam. Auch diese soll am Telefon weitergegeben worden sein – trotz des damaligen Sperrvermerks und längst bundesweiten Wirbels um den Fall? ,,Das passt alles nicht zusammen."

Die Anwältin ist mit ihren Zweifeln nicht allein. In einer Erklärung kurz vor Prozessbeginn nennen es auch die ebenfalls bedrohten İdil Baydar, Hengameh Yaghoobifarah und die Linken-Politikerinnen Wissler, Renner und Anne Helm einen ,,Skandal", dass sich die Ermittlungen zuletzt auf einen Einzeltäter konzentrierten. ,,Der NSU-2.0-Komplex ist mit der Festnahme des Angeklagten nicht aufgeklärt." Vielmehr gebe es Hinweise auf eine ,,mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen", zu denen ,,nachdrücklich" ermittelt werde müsse.

Tatsächlich scheint sich auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit ihrer Einzeltäterthese nicht sicher zu sein. Sie bestätigt der taz, dass zumindest gegen Johannes S. und Miriam D. weiterhin Verfahren wegen Geheimnisverrats laufen, zu der Datenweitergabe zu Başay-Yıldız. Bislang hätten die Ermittlungen aber keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, sagt eine Sprecherin. Man wolle noch abwarten, ob der Prozess gegen Alexander M. neue Erkenntnisse bringe.

Gegen Johannes S. und Miriam D. laufen auch immer noch Ermittlungen wegen der ,,Itiotentreff"-Chatgruppe, ebenso gegen die vier weiteren beteiligten Polizisten. Einer verließ inzwischen freiwillig den Polizeidienst. Die anderen fünf sind bis heute – seit dreieinhalb Jahren – suspendiert.

Başay-Yıldız will darauf drängen, dass die Frage, ob und wie die Polizisten an den Drohungen gegen sie beteiligt waren, im Prozess aufgeklärt wird. ,,Die Drohungen des Angeklagten sind ein Problem. Das größere Problem aber bleibt, dass er oder andere dafür interne Polizeidaten von mir verwenden konnten, die zielgerichtet abgerufen wurden. Das gibt dem Ganzen eine völlig andere Dimension", sagt Başay-Yıldız.

Auch Alexander M. setzt offenbar Hoffnungen auf den Prozess. Nach seiner Verhaftung soll er angekündigt haben, im Prozess zu beweisen, dass er unschuldig sei. Nach der Anklageverlesung am Mittwoch legt er sich bereits eine Erklärung bereit. Ob er denn in diesem Prozess aussagen wolle, fragt Richterin Distler. ,,Ja, es kommt eine umfangreiche Einlassung von mir." Er wolle sofort beginnen. Die Anklage könne er ,,so nicht stehen lassen". Sein Verteidiger aber fällt M. ins Wort, dies wolle man erst am zweiten Prozesstag am Donnerstag tun. Alexander M. widerspricht: ,,Ich möchte es gerne jetzt verlesen. Ich bin hochmotiviert." Doch auch Richterin Distler will die Aussage lieber am Folgetag hören.

Der Donnerstag war bereits für eine mögliche Aussage von Alexander M. reserviert, er wird viel Zeit bekommen. Und offenbar will sich der 54-Jährige dabei auch nicht von seinen Anwälten aufhalten lassen. Vielleicht kann er dann beantworten, wie er an die Polizeidaten kam. Und, warum seit seiner Festnahme keine ,,NSU 2.0"-Drohschreiben von der Yandex-Adresse mehr auftauchten.


Aus: "Drohmail-Affäre ,,NSU 2.0": Aus dem Dunkel" Konrad Litschko (Frankfurt, Main, 16.2.2022)
Quelle: https://taz.de/Drohmail-Affaere-NSU-20/!5831543/


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Quote[...] Berlin - Der Besitzer des Hauses Lückstraße 58 in Lichtenberg war froh, als er das leerstehende Geschäft im Erdgeschoss unweit vom S-Bahnhof Nöldnerplatz endlich wieder vermieten konnte. Die beiden jungen Frauen, die den Mietvertrag unterzeichneten, wirkten auch ganz normal, und gegen die Nutzung des Geschäfts war auch nichts einzuwenden – man wolle in dem früheren Gardinenladen unter anderem Bildungsveranstaltungen für Jugendliche und junge Erwachsene organisieren.

Doch der Laden, den ein Verein namens ,,Sozial engagiert in Berlin" gemietet hat, ist alles andere als normal: Hinter der großen Fassade, die mittlerweile voller schwarzer Farbe ist, befindet sich seit Frühjahr 2011 ein Treffpunkt für Rechtsextremisten. ,,Es ist allerdings weniger ein Jugendzentrum, sondern eher ein Szenetreff für autonome Nationalisten – mit Wohnzimmer-Charakter", sagt Annika Eckel von der mobilen Beratungsstelle gegen Rechts, die den Bezirk Lichtenberg schon lange im Kampf gegen Rechtsextremisten unterstützt.

Seit die Rechtsextremen im Weitlingkiez wieder einen Treffpunkt haben, hat auch die Zahl der Zwischenfälle spürbar zugenommen. Allein für dieses Jahr listet das Lichtenberger Register des Lichtblicke-Netzwerks für Demokratie und Toleranz 17 Vorfälle im Kiez auf – angefangen bei Hakenkreuz-Schmierereien, Schriftzügen ,,NS jetzt", bis hin zu Vandalismus an Stolpersteinen und einer Feier am 20. April, dem Geburtstag von Adolf Hitler.

Seit bekannt ist, wer in der Lückstraße 58 seinen Sitz hat, macht das Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz mobil gegen die Rechten. ,,Wir wollen zeigen, dass der Weitlingkiez den Demokraten gehört", sagt Kevin Hönicke vom Bündnis, das vor vier Jahren als Reaktion auf einen geplanten Aufmarsch von Rechten im Weitlingkiez ins Leben gerufen wurde. Man habe viel erreicht in den vergangenen Jahren, so Hönicke, umso wichtiger sei es jetzt zu zeigen, dass die Rechten im Viertel nicht willkommen seien. ,,Wir haben Schmierereien beseitigt, Stolpersteine gereinigt und Gegendemos organisiert." Das Bündnis, das eng mit Gewerbetreibenden, der Polizei, Kirchen und ortsansässigen Vereinen zusammenarbeitet, wird auch von Politikern aus dem Bezirk unterstützt – parteiübergreifend. ,,Schweigen kann in so einem Fall nie sinnvoll sein", sagt Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) – ,,selbst auf die Gefahr hin, dass der Treff so bekannter gemacht wird."

Seit Anfang der 90er-Jahre hatte der Weitlingkiez ein Image als Rechten-Hochburg, nach jahrelangen Bemühungen eines großen Bündnisses hatte sich die Lage in den letzten Jahren deutlich beruhigt, die Zahl der Zwischenfälle war gesunken. ,,Ganz weg waren die Rechtsextremen aber nie", sagt Annika Eckel von der mobilen Beratungsstelle.

Das Bündnis für Demokratie und Toleranz sammelt derzeit Geld, um den Vermieter zu unterstützen. Dieser hat den Rechtsextremen bereits gekündigt – eine besonders Klausel im Mietvertrag ließ das zu – doch nun ist eine Räumungsklage anhängig. ,,Auch wir unterstützen ihn, die Räumung gegen die Rechtsextremisten durchzusetzen", sagt Bezirksbürgermeister Geisel.


Aus: "Rechtsextremismus in Lichtenberg: Neo-Nazis zurück im Weitlingkiez" Claudia Fuchs (14.6.2012)
Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/rechtsextremismus-in-lichtenberg-neo-nazis-zurueck-im-weitlingkiez-li.53025

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Quote[...] Am 5. Januar 2019 eine rassistische Bedrohung in der Weitlingstraße, am 8. Januar zwei ,,Schutzzone"-Aktionen an den S-Bahnhöfen Friedrichsfelde und Lichtenberg, am gleichen Tag ein Rechtsrock-Aufkleber im U-Bahnhof Tierpark, einen Tag später eine antisemitische Beleidigung in Friedrichsfelde – und es geht so weiter: Insgesamt 13 Vorfälle mit rechtsextremem und/oder diskriminierendem Hintergrund listet das Lichtenberger Register allein für den Januar 2019 auf.

Obwohl die Zahlen des vergangenen Jahres noch nicht ganz fertig ausgewertet sind, kann Michael Mallé schon eines sagen: ,,Lichtenberg ist ein Bezirk mit hohen Fallzahlen, und die Tendenz bleibt steigend." Es sei daher wichtig, dass das Bezirksamt das LichtBlicke-Netz unterstütze.

Im ersten Halbjahr 2019 listet das Lichtenberger Register 118 Vorfälle auf – fast ein Viertel mehr als im Vorjahr. ,,Der Europawahlkampf sorgte für ein Ansteigen der Vorfälle im April und Mai, weil zu dieser Zeit auch die Aktivitäten extrem rechter Akteure zunahmen", erklärt Mallé und nennt einen zweiten Grund für die gestiegenen Registerzahlen: ,,Wir konnten noch weitere Melder aktivieren." So würden die Opferberatungsstelle ReachOut und die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus rias inzwischen regelmäßig die ihnen bekannten Übergriffe melden. Auch der Bezirk habe neue Kommunikationswege und Anlaufstellen geschaffen.

Von einem Großteil der Vorfälle erfahren die Register-Macher aber aus den Polizeistatistiken. Notiert werden sie nach Art, Ort und Motiv. Das Register unterscheidet Bedrohungen, Beleidigungen, Pöbeleien, Angriffe, Sachbeschädigungen sowie Veranstaltungen mit rechtsextremen, diskriminierenden Inhalten. Inzwischen werden auch entsprechende Äußerungen in den sozialen Netzwerken aufgenommen.

Erkenntnis der aktuellen Dokumentation: 95 Prozent aller Vorfälle sind rassistisch motiviert. ,,Das ist eine Tendenz, die sich fortsetzt", so Michael Mallé. ,,Wir mussten aber auch eine deutliche Steigerung bei antisemitischen Angriffen feststellen." Unter dem Kürzel LGBTIQ sammelt das Register Vorfälle, die sich gegen Lesben, Schwule, Transgender, kurz: die queere Community richten. Auch hier sind die Zahlen eindeutig. Es gibt immer mehr verbale und körperliche Attacken. Und auch Obdachlose werden immer häufiger zur Zielscheibe von Beschimpfungen oder Übergriffen.

Insgesamt zeigen die vorläufigen Zahlen des Lichtenberger Registers, dass rechtsextreme, rassistische und andere diskriminierende Vorfälle von 2018 auf 2019 um fast 15 Prozent gestiegen sind. Im Schnitt gab es im vorigen Jahr jeden Monat zwei Angriffe und drei Pöbeleien. Nach Treptow-Köpenick und Mitte liege Lichtenberg vorn in der gesamtberliner Statistik und etwa gleichauf mit Pankow und Neukölln, sagt Mallé.

Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke) nennt das Register einen Seismographen, der zeige, wo die Entwicklung hingehe – mit aktuell erschreckender Erkenntnis. ,,Es ist schlimm, dass wir den Anstieg der Fallzahlen trotz aller Bemühungen nicht verhindern konnten", so der Lichtenberger Rathauschef. Er stelle auch selbst fest, dass die Verrohung im manchen Teilen der Bevölkerung zunehme. ,,Ich bekomme Briefe mit Klarnamen, deren Verfasser sich in teils erschütternder Weise gegen Obdachlose äußern." Politik, aber auch die Zivilbevölkerung müssten sich noch viel stärker gegen diesen nicht hinnehmbaren Trend engagieren.

Die endgültigen Zahlen des Berliner Registers für 2019 mit den Dokumentationen aus allen Bezirken werden im März vorgestellt. ...

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Aus: "Fallzahlen 2019 weiter gestiegen: Mehr rechtsextreme Vorfälle in Lichtenberg" Berit Müller aus Lichtenberg (23. Januar 2020)
Quelle: https://www.berliner-woche.de/lichtenberg/c-politik/mehr-rechtsextreme-vorfaelle-in-lichtenberg_a249382

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Quote[...] Die Kiezkneipe ,,Morgen wird besser" in der Fanningerstraße in Lichtenberg ist fast vollständig ausgebrannt. Am Freitag, den 14. August um 6.20 Uhr, alarmierten Anwohnende die Feuerwehr. Fotos, die dem Tagesspiegel vorliegen, zeigen den ausgebrannten Barbereich: alles schwarz. Verletzt wurde niemand, über der Kneipe sind Wohnungen.

Die Polizei bestätigte auf Nachfrage, dass ein Brandkommissariat beim Landeskriminalamt wegen schwerer Brandstiftung ermittelt und der Staatsschutz ein politisches Tatmotiv prüft.

Es ist bereits der vierte Anschlag auf die Bar innerhalb weniger Jahre. 2019 wurde zuletzt eingebrochen und mehrere Flaschen Cola über Tresen und Tische geschüttet, die Kasse geklaut. Dass die Kneipe mit dem jüdischen Besitzer im Visier von Neonazis ist, berichten Anwohnende, die, ebenso wie der Barbesitzer, nicht namentlich genannt werden wollen.

Den letzten Drohanruf erhielt der Inhaber am letzten Montag: ,,Ich möchte, dass ihr nicht mehr da seid." Ähnliche Anrufe habe er bereits in den vergangenen Monaten und Jahren immer mal wieder erhalten, seine Bar sei zudem mit antisemitischen Sprüchen und Motiven besprüht worden, erzählt er dem Tagesspiegel.

Der Inhaber kam 2012 nach Lichtenberg, hatte in der Fanningerstraße zunächst ein Restaurant, das er 2014 zur Bar umbaute. Wenn er erzählt, wird deutlich, dass er seitdem ständig von Neonazis eingeschüchtert oder bedroht wird.

Fünf Leute mit Glatzen und Springerstiefeln sollen öfter bei ihm gegessen und ihn angepöbelt haben. In der Bar ging das weiter, sagt der Betreiber, sie hätten ihn nicht in Ruhe gelassen. ,,Ihr Juden seid wie Kakerlaken", habe beispielsweise mal jemand zu ihm gesagt. Ab und zu findet er Aufkleber wie ,,Ausländer gute Heimreise" in seiner Bar am nächsten Morgen.

Eine Zeitlang sei es mal besser, aber in letzter Zeit wieder schlimmer geworden. Es sei nicht leicht, dass alles auszuhalten, aber er wolle weitermachen, sich nicht vertreiben lassen. ,,Wenn du verlierst, verlieren wir alle", habe sein Rabbiner zu ihm gesagt.

Für Dienstag um 18 Uhr wurde eine Solidaritätskundgebung vor dem ,,Morgen wird besser" angekündigt. Unter dem Motto: ,,Kein Platz für Nazis! Rechten Terror stoppen!" Anmelder ist nicht der Bar-Besitzer.

Auch Hanna Reichhardt, stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, will hingehen. Es sei ihre ,,Stammkneipe", twitterte sie. ,,Ich hasse und liebe diesen Kiez." Es sei gut, dass es so viel Solidarität gebe, erzählt sie dem Tagesspiegel. Denn: ,,Es trifft den gesamten Kiez."

Als Anwohnerin bleibe bei ihr ein mulmiges Gefühl. Die radikale Rechte sei in dem Kiez gut vernetzt und organisiert. ,,Es sollte schnell aufgeklärt werden", findet Reichhardt.


Aus: "Brandanschlag auf Berliner Kneipe ,,Morgen wird besser"" Robert Klages (17.08.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/juedischer-besitzer-im-visier-von-neonazis-brandanschlag-auf-berliner-kneipe-morgen-wird-besser/26101426.html

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#102
Quote[...] Der schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Frank Brodehl verlässt die AfD. Dies kündigte er am Freitagvormittag überraschend in einer Debatte um die Angebote in Ganztagsschulen an. Damit verliert die AfD ihren Fraktionsstatus. "Dieses war meine letzte Rede, die ich als Mitglied der AfD und der AfD-Fraktion in diesem Haus gehalten habe", sagte Brodehl im Landtag in Kiel. Er habe dem AfD-Landesvorstand mitgeteilt, dass er mit sofortiger Wirkung aus der Partei austrete, schreibt Brodehl in den Social-Media-Kanälen. Ausschlaggebend für seine Entscheidung sei der Umstand, dass sich der Landesverband Schleswig-Holstein seit dem letzten Parteitag in eine Richtung entwickelt habe, die für ihn völlig inakzeptabel sei.

Brodehl kritisierte eine Radikalisierung der Partei. Er schrieb: Statt an der Etablierung der AfD als bürgerlich-wertkonservativer politischer Kraft mitzuwirken, beförderten sowohl der Landesvorstand als auch die deutliche Mehrheit der Kreisvorstände systematisch die Radikalisierung der Partei. Als Beispiele dafür nannte Brodehl die Verwendung von Nazi-Vokabular wie "Endsieg" oder den Begriff "Krieg des Systems gegen das eigene Volk" in Mitglieder-Mails sowie die öffentliche Verächtlichmachung gewählter Bundes- und Landespolitiker durch ein Landesvorstandsmitglied als "Renegaten, Verräter und Agenten", die "ausgeschwitzt" werden müssten. Dazu käme die Bewerbung von NPD-Materialien durch einen AfD-Kreisverband. Der völkisch-nationalistische Grundton sei deutlich lauter als die Stimmen derjenigen in der Partei, die für eine seriöse und wertkonservative AfD-Politik eintreten würden.

"Die Ankündigung des Abgeordneten Brodehl hat uns völlig überrascht. Die Fraktion wird sich umgehend über das weitere Vorgehen beraten", sagte Jörg Nobis, Vorsitzender der AfD-Fraktion. Durch den Rückzug von Brodehl hat die AfD nur noch drei Abgeordnete - zu wenig, um den Fraktionsstatus zu halten. Das Minimum liegt bei vier Abgeordneten. Die Partei verliert damit unter anderem finanzielle Zuschüsse, Mitspracherecht im Ältestenrat und weitere Mitwirkungsmöglichkeiten im Parlament.

Immer wieder hatte es in der Partei Spannungen und Meinungsverschiedenheiten über die politische Ausrichtung gegeben. Ende 2018 war bereits Doris von Sayn-Wittgenstein, die dem völkischen Flügel zugeordnet wird, aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Seit der Landtagswahl 2017 ist Brodehl Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein. Er ist nun fraktionsloser Abgeordneter.

SPD-Fraktionschef Ralf Stegner sprach von einer guten Nachricht. "Wir haben gerade am heutigen Tag eine Debatte über das Thema Flüchtlinge und Ausländer geführt. Da ist der Vorsitzende Nobis aufgetreten, dass eigentlich nur noch die braune Uniform mit Hakenkreuzen gefehlt hat. Das war eine richtige Nazi-Rede", sagte Stegner und fügte an: "Dass eine solche Gruppe dann keinen Fraktionsstatus mehr hat, das ist ein Segen für das Parlament, weil die uns weniger stark werden belästigen können."

"Es ist wenig überraschend. Die AfD hat nur eine Einigkeit: Sie ist gegen Sachen, nicht für irgendetwas. Insofern war's vorhersehbar", meinte Lasse Petersdotter von den Grünen. Der Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms, sagte: "Die zunehmende Radikalisierung der AfD indes bleibt brandgefährlich und erfordert weiterhin eine konsequente Abgrenzung aller demokratischen Kräfte. Austritte wie der Frank Brodehls zeigen, dass die Spalternative für Deutschland längst nicht mehr auf dem Fundament von Demokratie und Grundgesetz steht."




Aus: "Brodehl verlässt AfD - Partei verliert Fraktionsstatus" (25.09.2020)
Quelle: https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Brodehl-verlaesst-AfD-Fraktion-in-Schleswig-Holstein,afd2626.html

QuoteSchwarz auf weiss schrieb am 25.09.2020 13:56 Uhr:

Brodehl kritisierte eine Radikalisierung der Partei. Er schrieb: Statt an der Etablierung der AfD als bürgerlich-wert-konservativer politischer Kraft mitzuwirken, beförderten sowohl der Landesvorstand als auch die deutliche Mehrheit der Kreisvorstände systematisch die Radikalisierung der Partei. Der völkisch-nationalistische Grundton sei deutlich lauter als die Stimmen derjenigen in der Partei, die für eine seriöse und wertkonservative AfD-Politik eintreten würden.

Schön dass mal direkt von der AfD zu hören !


QuoteFragende schrieb am 25.09.2020 13:16 Uhr:

Gern würde ich etwas über die Gründe des unerwarteten Rückzuges erfahren.


QuoteIch sag mal schrieb am 25.09.2020 14:21 Uhr:

Ich würde auch gerne etwas über die Gründe erfahren.


QuoteNur so meine Meinung schrieb am 25.09.2020 14:17 Uhr:

Es ist schon eine hohe Kunst den Artikel zu lesen und dann nach den Gründen zu fragen. Ich zitiere aus dem obigen Text...

Ausschlaggebend für seine Entscheidung sei der Umstand, dass sich der Landesverband Schleswig-Holstein seit dem letzten Parteitag in eine Richtung entwickelt habe, die für ihn völlig inakzeptabel sei.

Brodehl kritisierte eine Radikalisierung der Partei. Er schrieb: Statt an der Etablierung der AfD als bürgerlich-wertkonservativer politischer Kraft mitzuwirken, beförderten sowohl der Landesvorstand als auch die deutliche Mehrheit der Kreisvorstände systematisch die Radikalisierung der Partei. Der völkisch-nationalistische Grundton sei deutlich lauter als die Stimmen derjenigen in der Partei, die für eine seriöse und wertkonservative AfD-Politik eintreten würden.


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Quote[...] Die baden-württembergische AfD hat den umstrittenen Abgeordneten Stefan Räpple mit sofortiger Wirkung aus der Landtagsfraktion ausgeschlossen und ihm seine Mitgliedschaftsrechte entzogen. Das teilte ein Fraktionssprecher mit. Räpple soll am Samstag bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Mainz zu einem gewalttätigen Umsturz aufgerufen haben. "Wir müssen uns gewaltsam Zutritt zum Kanzleramt verschaffen", sagte Räpple bei der Kundgebung unter anderem.

"Wer diesen Rechtsstaat infrage stellt, ja zu seiner gewaltsamen Beseitigung aufruft, hat den Boden dieser Verfassung verlassen und damit auch die Grundlagen der Fraktionsverfasstheit infrage gestellt", sagte Fraktionschef Bernd Gögel. "Wer zu Straftaten aufruft, kann nicht länger Teil unserer Fraktion und Partei sein", sagte auch AfD-Landeschefin Alice Weidel, die gleichzeitig Vorsitzende der Bundestagsfraktion ist. "Ich halte die Entscheidung der Fraktion daher für absolut richtig."

Räpple hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Provokationen für Schlagzeilen gesorgt. Im Dezember 2018 ließ er sich etwa nach Zwischenrufen von der Polizei aus dem Landtag führen. Die AfD Baden-Württemberg beschloss im Frühjahr, den umstrittenen Landtagsabgeordneten auszuschließen. Räpple hatte aber angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen. Da das Urteil nicht rechtskräftig war, gehörte er weiter der Fraktion an.

Mitgliedschaft in Partei und Fraktion müssten laut Fraktionssatzung nicht zusammenhängen, es könnten auch Nicht-AfD-Mitglieder in der Fraktion sein, teilte ein Sprecher dazu mit. "Und da es ein schwebendes Verfahren war, sah die Fraktion keinen Handlungsbedarf."


Aus: "Baden-Württemberg: AfD in Baden-Württemberg wirft Abgeordneten raus" (28. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/afd-baden-wuerttemberg-stefan-raepple-ausschluss-regierungssturz


QuoteJeffrey Lebowski #17

Bei der AfD blitzen jetzt hier und da die Radikalen durch. Die bürgerliche Fassade scheint nur noch schwer aufrecht zu erhalten.


QuotePizzafunghi #29

Jetzt wird versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Und wieder einmal zeigt sich: wer einmal mit völkischem Vokabular startet, endet eben als rechte Hass- und Nazipartei. Alles, nur kein Zufall.


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#103
Quote[...]  Es ist der 26. September 1980: Um 22.19 Uhr explodieren am Haupteingang der Wiesn in München 1,39 Kilogramm Sprengstoff. Durch die Explosion sowie umherfliegende Schrauben und Nägeln aus dem Sprengsatz werden zwölf Menschen ermordet. Mehr als 200 weitere Personen werden teilweise schwer verletzt. Auch der Rechtsextremist Gundolf Köhler starb bei dem Bombenanschlag.

In den vorherigen Jahren hatte es bereits rechtsterroristische Vorfälle gegeben: Prominentes Opfer eines rechten Anschlages war 1968 Rudi Dutschke, Kopf der Studentenbewegung. Er wurde auf offener Straße niedergeschossen. Später fanden die Ermittler bei dem Täter ein Hitler-Portät und eine Ausgabe des Buches "Mein Kampf". Inzwischen ist klar, dass er enge Kontakte zur extrem rechten Szene hatte und bei einem früheren NPD-Mitglied Schießübungen machte sowie Waffen und Munition gekauft hatte.

Ab den 1970er-Jahren bildeten sich rechtsterroristische Gruppen wie die "Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland" oder die von NPD-Mitgliedern ins Leben gerufene Gruppe "Europäische Befreiungsfront". 1973 gründete Karl-Heinz Hoffmann seine Wehrsportgruppe. Es folgten weitere wie die Wehrsportgruppe Neumann in Hamburg, die Werwolf-Gruppe des Neonazis Michael Kühnen oder die Hepp-Kexel-Gruppe, die mehrere Bombenanschläge verübte.

Ebenfalls 1980 erschoss mutmaßlich ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann den Verleger Shlomo Lewin, ehemaliger Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, und dessen Lebensgefährtin Frieda Poeschke. Die "Deutschen Aktionsgruppen" verübten Bombenanschläge, unter anderem in Hamburg und Baden-Württemberg. Zwei Menschen wurden getötet, mehrere verletzt. Das Geld für Anschläge beschafften sich die Terrorzellen durch Banküberfälle - ähnlich wie später der NSU.

Angesichts von zahlreichen Anschlägen und Waffenfunden sowie einem Netzwerk von militanten Alt- und Neonazis erscheint die These, der 21-jährige Köhler habe den Anschlag in München komplett alleine geplant und umgesetzt fragwürdig. Auf Basis von neuen Aussagen nahm das BKA die Ermittlungen 2014 wieder auf - stellte sie im Juli aber wieder ein.

Bereits am 28. September 1980, nur zwei Tage nach dem Anschlag, hatte der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann erklärt, man nehme "nicht an, dass Köhler als Alleintäter gehandelt hat, die Ermittlungen haben ergeben, dass Köhler Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war". Hoffmann bestreitet allerdings bis heute eine Mitgliedschaft Köhlers. Der Attentäter war aber mindestens aktiver Sympathisant.

Dennoch liefen die Ermittlungen in eine ganz andere Richtung. Bei den bayerischen Ermittlern setzte sich nach und nach die Tendenz durch, Köhler als Einzeltäter darzustellen, der seine Tat aus Liebeskummer und Frustration begangen habe. Der bayerische Verfassungsschutz nahm Einfluss auf die Ermittlungen, Spuren in die Neonaziszene wurden nicht verfolgt, Gutachten und wichtige Beweismittel - darunter eine abgetrennte Hand - verschwanden spurlos.

Bis heute sind zentrale Fragen ungeklärt. "Gerichtsfest kann man gar nichts sagen, da die Ermittlungstätigkeit von den Behörden auf vielfältige Art und Weise blockiert worden ist", sagt der langjährige BR-Journalist Ulrich Chaussy, der seit Jahrzehnten zu dem Attentat recherchiert. Man wisse nicht, ob Köhler wirklich "die Bombe gezündet hat, ob er die Bombe gebaut hat", sagt Chaussy - und "wir wissen nicht, wer bei Köhler am Tatabend dabei gewesen ist".

Die Bundesregierung geht hingegen davon aus, dass Köhler die Bombe gezündet habe: "Als Ergebnis der Ermittlungen ist festzuhalten, dass Gundolf Köhler die Bombe am 26. September 1980 gegen 22:20 Uhr im westlichen Bereich des Haupteingangs zum Oktoberfestgelände zur Explosion brachte." So heißt es auf Anfrage der Linksfraktion in einer Antwort der Regierung, die tagesschau.de vorliegt.

Doch auch aus den Ausführungen der Regierung wird deutlich, dass viele Fragen weiterhin nicht zweifelsfrei geklärt wurden. So heißt es in der Antwort, "die Herkunft einzelner Komponenten der Bombe konnte nicht zurückverfolgt werden", der Verbleib "der sichergestellten Hand" habe "nicht mit letzter Gewissheit" geklärt werden können. Es "erscheint" aber "naheliegend", dass sie nach Zuordnung zum Attentäter mit dessen Leichnam im Krematorium verbrannt wurde.

Bei Fragen zur Rolle von V-Leuten gibt die Regierung die übliche Auskunft, man könne dazu keine Stellung nehmen, "da es sich hier um Informationen handelt, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann. Die Führung von Quellen gehört zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Mitteln, die den Nachrichtendiensten bei der Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen. Würden Einzelheiten hierzu bekannt, könnten dadurch Rückschlüsse auf den Einsatz von Quellen und die Arbeitsweise der Nachrichtendienste gezogen werden."

Bei den Ermittlungen wurden offenbar keine früheren Geheimdienstspitzel aus der Neonaziszene vernommen - obwohl der Verfassungsschutz erwiesenermaßen über V-Leute im Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann verfügt hatte. Wie die Bundesregierung einräumen musste, erstatteten Quellen aus der Wehrsportgruppe Hoffmann allein dem Bundesverfassungsschutz mehr als 140 Mal Bericht.

Martina Renner von der Linksfraktion kritisierte im Gespräch mit tagesschau.de, der schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik verlange "weiterhin Aufklärung, weil die wesentlichen Fragen unbeantwortet sind. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft konnten diese Aufklärung nicht leisten", meint Renner. So sei es unter anderem versäumt worden, "sich die Identitäten von V-Leuten offenlegen zu lassen, Mittäter und Mitwisser des Attentäters zu identifizieren, und die Fehler und möglichen Behinderungen der ursprünglichen Ermittlungen zum eigenständigen Untersuchungsziel zu machen".

Tatsächlich hatte Bayern jahrzehntelang einen politischen Hintergrund des Anschlags bezweifelt - erst am 30. Jahrestag des Anschlags räumte Innenminister Joachim Herrmann eine rechtsextreme Motivation ein. Außerdem weigerte sich die Staatsregierung, die Betroffenen des Attentats umfassend finanziell zu unterstützen. Bayern hatte zwar schon 1980 Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, ein Großteil der Opfer ging jedoch leer aus. Nun, kurz vor dem 40. Jahrestag des Anschlags, beschloss der Ministerrat, dass der Freistaat 500.000 Euro zur Verfügung stellt für einen gemeinsamen Opferfonds von Bund, Land und Stadt München.

Die Reaktionen darauf sind verhalten. Es freue ihn, dass nun auch der Freistaat finanziell helfen wolle, sagt Robert Höckmayr, der als 12-Jähriger bei dem Attentat schwer verletzt worden ist. Es sei aber schon erstaunlich, dass es so lange gedauert habe. Opferanwalt Werner Dietrich, der 16 Betroffene des Attentats vertritt, findet die anvisierte Gesamtsumme des Fonds von insgesamt 1,2 Millionen Euro völlig unzureichend. Bei mehr als 200 Verletzten, von denen wohl noch weit mehr als 100 am Leben seien, werde das Geld kaum reichen, um körperliche und psychische Folgen des Attentats auszugleichen.


Aus: "Oktoberfest-Anschlag Viele Fragen sind noch immer offen" Patrick Gensing, tagesschau.de, und Thies Marsen, BR (26.09.2020)
Quelle: https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/oktoberfest-attentat-jahrestag-101.html

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"Radiofeatures zum Terror von Rechts" (23. September 2020)
Der Terror des NSU ist keine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern steht in einer Tradition. Doch anders als die Taten der RAF ist diese Terrorgeschichte nie ins allgemeine gesellschaftliche Gedächtnis vorgedrungen und daher auch kaum referenzierbar - weder im Alltag, noch in den Behörden, in den Medien oder bei der Polizei. ... Der 40. Jahrestag des rechtsextremen Anschlags aufs Oktoberfest im Jahr 1980 etwa bietet Anlass zur Rückschau. Bei dem Anschlag starben Gabriele Deutsch, Robert Gmeinwieser, Axel Hirsch, Markus Hölzl, Paul Lux, Franz Schiele, Ignaz Platzer, Ilona Platzer, Angela Schüttrigkeit, Errol Vere-Hodges, Ernst Vestner und Beate Werner. Der Attentäter selbst kam ebenfalls ums Leben.

Philipp Schnee hat für den SWR ein fantastisches einstündiges Radiofeature recherchiert und geschrieben, das die Umstände des Anschlags, seine Vorgeschichte in der Wehrsportgruppe Hoffmann und seine folgende Verdeckung - es herrschte Wahlkampf, Franz-Josef Strauß mühte sich zunächst händeringend, den Anschlag dem FDP-Innenminister Gerhart Baum als Makel anzuhängen - einsortiert. "Erinnerungslücke 1980" hat Schnee sein Feature genannt - nicht zuletzt, weil das Jahr 1980 schließlich auch mit dem tödlichen Attentat auf den Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke einen Höhepunkt in der Geschichte des rechten Terrors darstellt. ...

https://avdlswr-a.akamaihd.net/swr/swr2/feature/podcast/swr2-feature-20201028-2203-erinnerungsluecke-1980-das-terror-jahr-der-rechten.l.mp3

https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2017/01/11/massiv_unterschaetzt_rechtsterrorismus_in_der_drk_20170111_1930_cb129360.mp3

Anna Bühler fokussiert für den Bayerischen Rundfunk in einem Feature auf den Münchner Anschlag vor 40 Jahren. Schnees und Bühlers Features ergänzen sich gut und schaffen ein detailiertes Gesamtbild.
https://cdn-storage.br.de/iLCpbHJGNL9zu6i6NL97bmWH_-4p/_-QS/_AgH5AFf571S/5fa04da0-6fce-4060-b898-8c95e7aeddb1_3.mp3

... Flankierend sehenswert ist auch ein Panorama-Beitrag von Birgit Wärnke und Julian Feldmann, der sich mit der Geschichte der rechten Szene und Gewaltexzesse im Osten des Landes beschäftigt. Eine Empfehlung mit Einschränkungen allerdings: Auch 2020 erschließt sich mir weiterhin nicht, warum man aktiven Neonazis minutenlang Mikrofon, Sendezeit und damit (auch hier weidlich gockelhaft genutzte) Möglichkeiten zur Selbstinszenierung überlassen müsste. Es zeigt sich einmal mehr: Der Erkenntnisgewinn dieser Medienstrategie ist schmal und übersteigt nichts, was nicht auch durch genuine journalistische Arbeit zu leisten gewesen wäre.

Sehenswert ist der Film aber insofern, da er nochmal eindrucksvoll ein bis heute gängiges Narrativ widerlegt: Der Rechtsextremismus im Osten sei ja lediglich ein Import westlicher Kader und eine Folge deren Propagandaarbeit gewesen, die den Wendefrust der wirtschaftlich Abgehängten einfach nur aufbereiten, "unsere Jungs" also lediglich verführen musste. Ganz im Gegenteil ist richtig: Es gab bereits vor dem Ende der DDR eine von der Obrigkeit vertuschte, mehrere tausend Mann starke und gewaltbereite Neonazi-Szene - ein Geschenk, das der westdeutsche Rechtsextremismus mit seinen Organisationserfahrungen nur noch aufheben musste.

https://youtu.be/54tyg19NCxw

https://thgroh.blogspot.com/2020/09/radiofeatures-zum-terror-von-rechts.html

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#104
Quote[...] Die Aufnahmen aus der Newton Bar in Berlin-Mitte entstanden zwei Monate vor seiner Freistellung, da sprach Christian Lüth noch offiziell für die AfD-Fraktion im Bundestag. Die Verabredung zwischen Licentia und Lüth kam zustande, nachdem der AfD-Politiker die rechte Influencerin zunächst mehrfach auf Twitter angeschrieben hatte. Es ist ihr erstes Treffen in der realen Welt. Was Lüth nicht weiß: Licentia will aus der rechten Szene aussteigen und steht deswegen mit dem ProSieben-Team um Reporter Thilo Mischke in Kontakt. Die Journalisten entscheiden sich, den Termin mit verdeckten Kameras zu filmen, um dokumentieren zu können, was Lüth wirklich denkt – und was er sagt, wenn er sich unter Gleichgesinnten wähnt.

Man müsse dafür sorgen, sagt Lüth, dass es der Bundesrepublik noch schlechter gehe, denn das würde der AfD politisch in die Hände spielen: "Wenn jetzt alles gut laufen würde (...), dann wäre die AfD bei drei Prozent. Wollen wir nicht. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wie viel können wir provozieren? Ist so. (...) Ist schwierig, sehr schwierig." Das alles sei mit Alexander Gauland "lange besprochen" worden.

Zuletzt ergeht Lüth sich sogar in Gewaltfantasien. Lisa Licentia fragt ihn: "Vor allem klingt das so, als ob es in deinem Interesse wäre, dass noch mehr Migranten kommen?" Darauf Lüth: "Ja. Weil dann geht es der AfD besser. Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!"

Nichts auf der von ProSieben gemachten Aufnahme, die ZEIT ONLINE vorab sehen konnte, spricht dafür, dass Lüth diese Sätze ironisch meint oder lediglich einen geschmacklosen Witz macht. Während Lüth vor Lisa Licentia seine Position ausbreitet, rufen derweil immer wieder Spitzenpolitiker der AfD bei ihm an. So telefoniert Lüth unter anderem mit der stellvertretenden AfD-Bundessprecherin Beatrix von Storch und mehrmals auch mit Alexander Gauland.

Christian Lüth äußerte sich auf Anfrage von ZEIT ONLINE nicht zu den Aufnahmen, die am Montagabend (28. September) in der Dokumentation "Pro Sieben spezial: Deutsch, rechts, radikal" zu sehen sind.


Aus: "Christian Lüth: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD""  Christian Fuchs (28. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/christian-lueth-afd-alexander-gauland-menschenfeindlichkeit-migration/komplettansicht

QuotePaul Benjamin #53

Überraschung.
Nazis reden halt wie Nazis.

(Werdet ihr wahrscheinlich löschen, ZON, aber das ändert nichts an den Tatsachen.)


QuoteDytrppr #4

Wer HÄTTE das gedacht.


QuoteFactsNLogic #8

In weiteren Nachrichten: Wasser, weiterhin nass. Mal Ernsthaft, wen sowas aus der AFD kommend noch wundert hat die letzten Jahre nicht augepasst. Das ist eine Partei aus Rechtsradikalen mit faschistischem Zug. Das die Kommunikation nach außen im Vergleich mit dem, was in vermeintlicher Vertrautheit besprochen wird noch zahm wirkt wundert da nicht.


QuoteZeiterkeit #56

Da mach ich mir direkt Sorgen um die Sicherheit von Lisa Licentia.


QuoteBratan187 #75

Vielen Dank an die Journalisten und vielen Dank an die mutige YouTuberin. Es ist klar ersichtlich, dass die AfD unserer Heimat und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegenüber feindlich gesinnt ist.


QuoteDohlenmann #9

"Aber die AfD ist einfach nur eine konservative Partei, eben das, was die CDU In den 1980ern war!"

Schon klar, eh? Selbst nach solchen Aufnahmen wird es genug Unbelehrbare geben.


QuoteZoegereister #85

Ein Großteil der Leute wählt die AfD nicht TROTZ, sondern WEGEN solcher Sprüche.


QuoteStamoKap2019 #24

Erst die Migranten. dann die Demokraten und dann legt die AfD willkürlich fest, wen es als nächstes "erwischt".
Ein deutsche Lösung. Vorbild und Muster gibt es genug. ...


QuoteSans toit ni loi #51

Welche verfaulten Früchtchen diese Partei in ihren Reihen beherbergt, das ist nun wirklich nichts Neues.
Aber schön, dass sich da mal einer so frank und frei zur Taktik der AfD bekennt. ...


QuotebesserStill #52

Wir sind hier ja leider inzwischen fast soweit wie in den USA..man kennt die Einstellung im Grunde, es gibt für Gegner der AfD (also imho jeden klar denkenden Demokraten) nicht mehr viel zu entlarven und für die Anhänger und Versteher der Partei ist das alles halb so schlimm, weil man sich ja von dem Mann getrennt habe und er ja niemals für die Partei spreche, das alles nicht ernst gemeint sei und sowieso, wir sind die Opfer...


QuoteMax Lamda #54

Ich könnte sagen, dass ich schockiert bin, aber das bin ich nicht. Das ist das, was ich von einer Partei erwarte, die z.B. Kalbitz und Höcke an herausragenden Stellen installiert hat(te).
Nichts davon ist überraschend & die Wähler/Sympathisanten der Afd wissen das auch alles und wollen das so. Deswegen verstehe ich auch die immer wieder gemachte Aufforderung ,,mit denen zu reden" nicht. Was gibt es da zu besprechen? Auf welcher Grundlage soll man diskutieren? Es gibt ja noch nicht einmal das kleinste, basalste gemeinsame Wertefundament.


...

QuoteWilliam S. Christ #20

>> Hintergrund sind menschenverachtende Äußerungen über Migranten in einer TV-Dokumentation, die Lüth nach ZEIT-ONLINE-Recherchen getätigt hatte.<<

Seit wann sind menschenverachtende Äußerungen gegen Migranten denn in der AfD ein Ausschlussgrund?
;-)


QuoteTalano68 #24

Als wenn die nicht wüssten wer da neben ihnen sitzt.

Das Problem der AfD ist nicht die menschenverachtende Denkweise von Lüthe, sondern das es offenbar wurde.
Man kann ja schon auf Kommentare warten, die der YouTuberin die Schuld geben, das sie die Wahrheit ans Licht gebracht hat und die AfD ist das Opfer.


Kommentar zu: "Christian Lüth: AfD-Fraktionsvorstand entlässt früheren Sprecher" (28. September 2020)
Der langjährige Parteiprecher Christian Lüth hat über die Möglichkeit des Erschießens oder Vergasens von Migranten gesprochen. Jetzt wurde er fristlos entlassen. ...
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/afd-fraktionsvorstand-entlaesst-frueheren-sprecher

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"Christian Lüth: Früherer AfD-Pressesprecher nennt rassistische Äußerungen "ironisch"" (2. Oktober 2020)
Christian Lüth hat seine heimlich mitgeschnittenen Äußerungen über Migranten als "unentschuldbar" bezeichnet. Rechtsextrem seien er oder die AfD aber nicht. ...  Lüth erklärte, er habe sich am 23. Februar dieses Jahres mit der Frau getroffen, "um ein Gespräch privaten Charakters über die AfD zu führen". Das Gespräch sei heimlich aufgezeichnet worden. "In diesem Gespräch fielen abscheuliche und nicht entschuldbare Äußerungen, die von einer aufgeheizten, ironischen und übersteigerten Wortwahl geprägt waren", schreibt Lüth.
Lüth hatte im Februar über die Möglichkeit des Erschießens oder Vergasens von Migrantinnen und Migranten gesprochen. Bei einem heimlich von ProSieben gefilmten Treffen mit einer rechten Publizistin, bei dem das Gesicht des AfD-Mitglieds nicht zu erkennen ist, sprach sich der damalige AfD-Fraktionssprecher dafür aus, dass "noch mehr Migranten kommen". Dann ginge es der AfD besser, so Lüth. "Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen oder wie du willst. Mir egal!"  ...
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-10/chrisitan-lueth-afd-pressesprecher-rechtsextremismus-ironisch-migranten-aeusserunga

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Quote
Oneiros

Schwesterpartei der FPÖ

Kickl will ja die Zusammenarbeit mit der AfD intensivieren,... man habe ja eine Fülle gemeinsamer Aufgaben!


Quote
Hugo_Rune

Die AfD wird doch von vielen nur wegen solchen Leuten gewählt.
(ist zumindest mein persönlicher Eindruck)



Kommentare zu: https://www.derstandard.at/story/2000120310648/afd-fraktion-wirft-landtagsabgeordneten-wegen-gewaltaufrufs-raus

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Quote[...] Wer seine Sinne beisammen hat, sieht also, welche Eiertänze die AfD vollführt. Meinte diese Partei es ernst mit einer Distanzierung von den Rechtsextremen, müsste sie sich nicht nur von Christian Lüth trennen. Da gibt es noch reichlich andere, von Andreas Kalbitz bis Björn Höcke. Was bleibt da von der AfD eigentlich übrig? Deren Ehrenvorsitzender Gauland, dessen Relativierung des NS-Regimes – die selbstverständlich, wie Gauland später zu seiner Verteidigung sagte, das Gegenteil sein sollte -, wir noch im Ohr haben: ,,Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte."

Das sind die Fragen, die der Reporter Thilo Mischke bei Pro Sieben aufwirft. Sie werden nicht zum ersten Mal gestellt, Mischke legt sie seinen Zuschauern allerdings auf denkbar direkte, unprätentiöse und direkte Art vor. Wir sehen, wie er anderthalb Jahre durch den Kosmos der Rechtsextremen in diesem Land streift, mit ihnen ins Gespräch kommt, sie konfrontiert und an den Punkt führt, an dem sie um ihre amoralische und menschenverachtende Ideologie herumdrucksen, etwa wie der siebzehn, inzwischen achtzehn Jahre alte Sanny Kujath, der als Hoffnungsträger der extremen Rechten gilt. Da kapiert jeder, worum es hier geht.

Dass es auch darum gehen muss, gerade die jungen Leute aus dieser Szene herauszuholen, machte Thilo Mischke gestern Abend nach seiner Dokumentation im Gespräch mit Klaas Heufer-Umlauf in dessen Show ,,Late Night Berlin" klar.

Dabei kommt es darauf an, mit denjenigen, die vielleicht raus wollen oder ins Nachdenken kommen, das Gespräch zu suchen, in der Familie, im sozialen Umfeld, in der Gesellschaft. Wenn jemand wie der Chef des thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan J. Kramer, sagt, er mache sich ernsthaft Sorgen um die Demokratie in diesem Land, ist es dafür höchste Zeit.

,,Dieses ,Pro Sieben Spezial' ist die wichtigste Dokumentation der letzten Jahre auf Pro Sieben", sagte der Senderchef Daniel Rosemann. Da wird ihm niemand widersprechen.


Aus: "Pro-Sieben-Doku über Rechte : Das ist kein ,,Vogelschiss"" Michael Hanfeld (29.09.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-pro-sieben-doku-rechts-deutsch-radikal-und-ihre-folgen-16976567.html

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Quote[...] Mit dem Publizisten Konrad Adam (78) verlässt nun auch der letzte der drei AfD-Gründungsvorsitzenden die Partei. ,,Am 1. Januar 2021 werde ich nicht mehr Mitglied der AfD sein", sagte Adam der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er sehe keine Zukunft mehr für die AfD als ,,bürgerlich-konservative" Kraft, begründete er seine Entscheidung.

Dem Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, warf Adam vor, dieser habe sich immer schützend vor ,,Rechtsausleger wie Andreas Kalbitz und den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke gestellt". Damit habe er dazu beigetragen, dass der Einfluss des Rechtsaußen-Flügels in der Partei stetig gewachsen sei. Außerdem sei die AfD mit ihrer ablehnenden Haltung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz auf einem falschen Weg, kritisierte Adam, der dem hessischen Landesverband angehört.

Der konservative Journalist gehört zu den Gründungsmitgliedern der AfD. 2013 übernahm er gemeinsam mit Frauke Petry und Bernd Lucke den Parteivorsitz. Lucke verließ die AfD bereits im Juli 2015, nachdem er auf einem von Tumulten geprägten Parteitag in Essen abgewählt worden war. Ihm folgten zahlreiche Mitglieder, die dem wirtschaftsliberalen Flügel zugerechnet wurden. Adam scheiterte damals mit seiner Kandidatur für den Posten des Beisitzers.

Zuletzt war er nur noch in der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung aktiv, die von der ehemaligen CDU-Abgeordneten Erika Steinbach geleitet wird, und deren Ehrenvorsitzender er noch ist. Petry hatte die AfD im Herbst 2017 verlassen. Dem Bundestag gehört sie seither als fraktionslose Abgeordnete an.


Aus: ",,Auf falschem Weg" : AfD-Gründungsmitglied Konrad Adam kehrt Partei den Rücken" (29.09.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-gruendungsmitglied-konrad-adam-kehrt-partei-den-ruecken-16976713.html

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#105
Quote[...] ATHEN afp | Die neonazistische Partei Chrysi Avgi wird als kriminelle Vereinigung eingestuft. Der Parteigründer und 67 weitere Mitglieder müssen sich wegen Mordes verantworten.

Nach einem jahrelangen Mammutprozess hat ein Gericht in Griechenland die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte als kriminelle Vereinigung eingestuft. Das Gericht in Athen sprach Parteigründer Nikolaos Michaloliakos und andere Mitglieder der Parteiführung am Mittwoch der ,,Führung einer kriminellen Vereinigung" schuldig. Tausende Menschen vor dem Gerichtsgebäude brachen in Jubel aus.

Der Holocaustleugner und Nazi-Verehrer Michaloliakos stand gemeinsam mit 67 weiteren Angeklagten in dem mehr als fünf Jahre dauernden Verfahren um den Mord an einem linksgerichteten Rapper sowie zwei Mordversuchen und Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht. Dem Parteichef und weiteren Mitgliedern der Parteiführung sowie Ex-Parlamentsabgeordneten drohen nun Haftstrafen zwischen 5 und 15 Jahren. Das Strafmaß soll zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.

Unter den Verurteilten ist auch der im vergangenen Jahr aus der Partei ausgetretene Giannis Lagos, der als fraktionsloser Abgeordneter im Europaparlament sitzt.

Ein Parteimitglied wurde am Mittwoch des Mordes an dem antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas schuldig gesprochen. Der Angeklagte Jorgos Roupakias hatte gestanden, den Musiker 2013 gemeinsam mit anderen verfolgt und erstochen zu haben. Ihm droht lebenslange Haft.

,,Pavlos, du hast gewonnen!", rief die Mutter des ermordeten Rappers beim Verlassen des Gerichtsgebäudes und reckte die Arme in die Höhe. Sie hatte an den meisten der 453 Sitzungstage des Prozesses teilgenommen.

Schon Stunden vor der Urteilsverkündung hatten sich am Morgen Tausende vor dem Gerichtsgebäude in Athen versammelt. Die Polizei sprach von rund 15.000 Menschen. Am Rande der Versammlung kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, Feuerwerkskörper flogen, die Beamten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein.

Goldene Morgenröte, die enge Kontakte zur Neonaziszene unterhält, ist wegen ihrer Angriffe auf Migranten und politische Gegner berüchtigt. Die in den 80er Jahren gegründete Partei hatte im Zusammenhang mit der schweren Wirtschaftskrise in Griechenland ab dem Jahr 2010 an Einfluss gewonnen und war 2012 ins Parlament eingezogen.

Bei der Parlamentswahl 2015 wurde Goldene Morgenröte drittstärkste Kraft. Sei der Wahl im Juli vergangenen Jahres ist sie erstmals seit Jahren nicht mehr im Parlament vertreten.



Aus: "Urteil zu Neonazi-Partei in Griechenland: ,,Goldene Morgenröte" ist kriminell" (7. 10. 2020)
Quelle: https://taz.de/Urteil-zu-Neonazi-Partei-in-Griechenland/!5718910/

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Quote[...] Der Skandal um rechtsextreme Verdachtsfälle bei nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden hat sich auf mehr als 200 Verdachtsfälle ausgeweitet. Das seien fast 30 mehr als vor knapp einem Monat, teilte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) mit.

Reul bestätigte zugleich, dass die Suspendierungen von sieben Beamten aufgehoben worden seien, weil die Vorwürfe gegen sie verjährt seien. In 15 Fällen hätten sie sich aber erhärtet und in knapp zehn sei der Verdacht auf weitere Straftaten aufgetaucht. Derzeit seien noch insgesamt 25 Beamte suspendiert, davon 15 von der Polizei in Mülheim/Ruhr und Essen.

Bei allen Beamten, die im Zuge der Affäre unschuldig unter Verdacht geraten seien, weil sie die geposteten rechtsextremen Bilder gar nicht wahrgenommen haben, werde er sich entschuldigen, kündigte Reul an.

Zwei Beamte hätten über 400 relevante Bilddateien besessen, bei einem seien mehr als 200 Dateien zu finden gewesen. Reul hatte als Konsequenz den stellvertretenden Verfassungsschutz-Chef Uwe Reichel-Offermann zum Sonderbeauftragten im Kampf gegen Rechtsextremismus bei der Polizei ernannt. Dieser will bis zum kommenden Februar ein landeseigenes Lagebild vorstellen.

Bei NRW-Polizisten waren in den vergangenen Monaten zahlreiche Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung entdeckt worden. Auf mehreren beschlagnahmten Datenspeichern war das verbotene Horst-Wessel-Lied gefunden worden. Dabei handelt es sich um das Kampflied der SA und die spätere Parteihymne der NSDAP.

Ein Beamter soll Fotos von Weihnachtsbaumkugeln mit SS-Runen und "Sieg-Heil"-Aufschrift gepostet haben. Bei einem anderen Beamten waren Fotos mit einem Hakenkreuz entdeckt worden, das aus Dienstmunition gelegt worden war.

Ein Polizist habe sich in Uniform auf zwei Streifenwagen stehend fotografieren lassen, wie er den Hitlergruß zeige. Es waren auch Musikdateien von indizierten rechtsradikalen Bands entdeckt worden. Zum Christchurch-Anschlag, bei dem ein Rechtsterrorist in Neuseeland 51 Menschen tötete, hieß es: "Zu viele Fehlschüsse."


Aus: "Rechtsextremismus in der Polizei: Mehr als 200 Verdachtsfälle in Nordrhein-Westfalen" (14. Dezember 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-12/rechtsextremismus-polizei-nordrhein-westfalen-verdachtsfaelle

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"She Called Police Over a Neo-Nazi Threat. But the Neo-Nazis Were Inside the Police." Katrin Bennhold (Dec. 21, 2020)
Death threats linked to police computers and the discovery of far-right chat groups in police departments across Germany have fed concerns about far-right infiltration. ... Far-right extremism is resurgent in Germany, in ways that are new and very old, horrifying a country that prides itself on dealing honestly with its murderous past. This month, a two-year parliamentary inquiry concluded that far-right networks had extensively penetrated German security services, including its elite special forces.
But increasingly, the spotlight is turning on Germany's police, a much more sprawling and decentralized force with less stringent oversight than the military — and with a more immediate impact on the everyday safety of citizens, experts warn.
After World War II, the greatest preoccupation among the United States, its allies and Germans themselves was that the country's police force never again be militarized, or politicized and used as a cudgel by an authoritarian state like the Gestapo.
Policing was fundamentally overhauled in West Germany after the war, and cadets across the country are now taught in unsparing detail about the shameful legacy of policing under the Nazis — and how it informs the mission and institution of policing today. ...
https://www.nytimes.com/2020/12/21/world/europe/germany-far-right-neo-nazis-police.html

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#106
Quote[...] Es war ein altbekanntes Manöver: Im TV-Duell gegen Joe Biden richtete sich Donald Trump, anstatt sich von White Supremacy (dem Glauben an die Überlegenheit Weißer) zu distanzieren, an die "Proud Boys". "Haltet euch zurück und haltet euch bereit." Außerdem müsse jemand etwas gegen die "Antifa" unternehmen. Die Reaktionen waren absehbar: Rechtsextreme jubelten, Republikaner gaben sich konsterniert, nach ein paar Tagen verurteilte Trump dann schließlich White Supremacy. Ein Medienzirkus, wie er ihn schon viele Male durchgespielt und der diesmal die "Proud Boys" ins Scheinwerferlicht gerückt hat.

Doch die "Proud Boys" sind mehr als eine weitere Neonazi-Schlägertruppe. Sie sind das Ergebnis einer vielschichtigen Verflechtung von Popkultur, Neo-Faschismus, Porno, Troll-Kultur und Incels (Involuntary Celibates). Der Code ist dezidiert uneindeutig, schon allein visuell: Sturmgewehr, Tarnhose und Trumps rotes "Make America Great Again"-Basecap mag man auch von anderen rechten Milizen kennen, jedoch eher nicht die mal gezwirbelten und mal zotteligen Hipsterbärte sowie schwarz-gelbe Polohemden des Modelabels Fred Perry (das jüngst verkündet hat, die Produktion dieser Modelle einstellen zu wollen). Dass die Mitglieder der "Proud Boys" meist eher bullige Männer zwischen 20 und 40 sind, die zurück wollen zu einer brachialen, gewalttätigen Männlichkeit, ist unzweifelhaft. Andererseits baut das aber erklärtermaßen auf einem "Fight Club"-Gedanken auf. Sollte der Bürgerkrieg, wenn er denn – "Haltet euch bereit" – wirklich kommt, ernsthaft in einem Topos gründen, dem das liberale Hollywood zu entscheidender Bekanntheit verholfen hat?

Gegründet wurden die Proud Boys 2016 vom Kanadier Gavin McInnes, 1994 ebenfalls Mitgründer von Vice Media, nicht unbedingt ein bevorzugtes Medium der Alt-Right. McInnes fiel schon vor seinem Abschied bei Vice im Jahr 2007 (wegen "kreativer Differenzen") mit frauen- und minderheitenfeindlichen Polemiken auf. Doch er nahm auch etwas von dort mit: Dem Hipster-Kosmos entlieh er neben äußerlichen Attributen das Stilmittel der Ironie und der Tirade, von der man nie ganz genau sagen kann, ob sie sich nicht eventuell selbst persifliert. Damit werden dann heute antisemitische Hetzreden wie "10 Dinge, die ich an Israelis hasse" verbrämt.

Der Name "Proud Boys" leitet sich aus einem Lied des Disney-Films "Aladdin" ab, das "Proud of your Boy" heißt. Der Wahlspruch der Gruppe ist das swahilische "Uhuru", "Freiheit". Neue Mitglieder werden zur Initiation verprügelt, bis sie fünf Sorten Cornflakes genannt haben. All diese Dinge führen dazu, dass die "Proud Boys" im Gegensatz zu anderen gewaltbereiten Banden eher als skurril oder gar albern wahrgenommen werden können. Zudem behaupten sie gern, sie seien keine White Supremacists, weil sie ja auch – bis hin zum heutigen Vorsitzenden Enrique Tarrio – BPOC (Black People of Colour)-Mitglieder hätten. Dazu passt, dass sie nicht etwa eine weiße oder arische, sondern eine neue "westliche" Männlichkeit verkörpern wollen.

Was die "Proud Boys" nun aber so gefährlich macht, ist zum einen die Nähe zu Trump und seinen Kreisen. Gegründet im Jahr seiner Wahl, wird ihre Mitgliederzahl inzwischen auf mehrere hundert geschätzt. Sie stellten unter anderem schon für den rechten Blogger Milo Yiannopoulos und die rechte Publizistin Ann Coulter bei Veranstaltungen die Security, teils mit chaotischen Ergebnissen. Und auch Roger Stone, ehemaliger Trump-Berater, hat die "Proud Boys" bereits als Bodyguards angeheuert. Erst kürzlich bedankte sich die republikanische Kandidatin für den Senat in Delaware, Lauren Witzke, bei der Gang für ihre "kostenlose Security" auf ihrer Wahlkampfveranstaltung. Man muss nicht gleich zur Saalschutz-Funktion der SA gehen, um diese Nähe zur rechten (Medien-)Macht bedenklich zu finden. Ein Verweis auf die Hells Angels, die in den späten 60er-Jahren "nur" bei Konzerten Angst und Schrecken verbreiten durften, tut es vielleicht auch.

Zum anderen ist es wichtig, den vermeintlich eher harmlosen Zusatz "westlich" im Kontext von rechtsextremen Codes zu verstehen: Angestrebt wird hier eindeutig eine von Weißen dominierte, heteronormative, patriarchale Welt. Die Ideologie baut auf Elemente der rechtsradikalen Verschwörungserzählung von einem angeblich drohenden "Weißen Genozid". Nach diesem Narrativ steht die "westliche" Kultur "unter Belagerung" von nicht-weißen Kräften und droht auszusterben. Es ist ein Verschwörungsmythos, der inhärent antisemitisch, islamophob und antimigrantisch geprägt ist. Neben Gemeinsamkeiten beim optischen Durchbrechen neonazistischer Codes finden sich hier auch ideologische Parallelen zur "Identitären Bewegung" in Europa und ihrer Erzählung vom "großen Austausch".

Jeder Mann könne Mitglied der "Proud Boys" werden, heißt es – aber nur, solange anerkannt wird, dass "weiße Männer nicht das Problem sind". In ihren zehn Grundprinzipien sprechen sich die "Proud Boys" gegen "rassischen Schuldkult" (racial guilt) und politische Korrektheit aus. McInnes sagte im Oktober 2018, er lehne Rassismus ab, fällt aber immer wieder mit rassistischen Statements auf. Mit den "Proud Boys" hat das allerdings nur noch bedingt zu tun, erklärte McInnes doch wenig später seinen Austritt aus der Gruppe, um sie zu schützen. Zuvor hatte das FBI "Proud Boys" (es gibt widersprüchliche Angaben, ob nun die ganze Gruppe oder nur einzelne Mitglieder) als extremistisch eingestuft und ihnen Verbindungen zum "weißen Nationalismus" attestiert.

Die "Proud Boys" selbst sehen sich als Erleuchtete: Durch "Red Pilling", das Schlucken einer metaphorischen "roten Pille" (eine Matrix-Anspielung), "erwachen" zukünftige Mitglieder und erkennen plötzlich, dass fremde Kulturen die "westliche" bedrohen. Relevant für die Konstruktion einer neuen "westlichen" Männlichkeit ist die Cuckold-Pornografie. Es handelt sich dabei um ein Genre, in dem meist ein weißer Mann zusieht, wie seine Frau mit einem schwarzen Mann Sex hat, wodurch ihr Partner erniedrigt und entmännlicht wird. Die "Proud Boys" übertragen diesen Fetisch allerdings auf die heutige Gesellschaft: Gemäßigte Konservative und Linke seien "cucks", die sich von Schwarzen und anderen Minderheiten vorführen ließen. Der Begriff "cuck" ist mittlerweile ein fester Bestandteil neurechter Codes im Internet geworden. Dieser Entmännlichung könne man sich nur entziehen durch das Aufgehen in Gewalt und strenge Masturbationskontrolle. Das soll den Zusammenhalt der Gruppe stärken und zudem motivieren, sexuellen Frust nicht selbst abzubauen, sondern "rauszugehen" und Frauen zu treffen. Diese Gedankengänge sind auch der Incel-Szene nicht fremd.

Um dieser, nach eigener Aussage "pro-westlichen Bruderschaft" beizutreten, müssen laut dem "Southern Poverty Law Center", einer gemeinnützigen Organisation, die rechtsextreme Gruppen beobachtet, vier Grade durchlaufen werden: Am Anfang steht die öffentliche Erklärung: "Ich bin ein westlicher Chauvinist und ich weigere mich, mich für die Schaffung der modernen Welt zu entschuldigen." In einem zweiten Schritt folgt das Cornflakes-Prügelritual – das diene der Adrenalin-Kontrolle. Außerdem müssen sich Mitglieder an das Masturbationsverbot halten. Pornografie ist übrigens verboten. Ein Mitglied des dritten Grades muss sich ein "Proud Boys"-Tattoo stechen lassen. Der vierte Grad ist dann erreicht, wenn der Anwärter öffentlich Gewalt gegen angebliche Angehörige der in rechten Kreisen verhassten "Antifa" ausübt. Spätestens hier wendet sich also die Gewaltbejahung gegen das gesellschaftliche Außen, wird ein zutiefst toxisches und rein physisch ausgerichtetes Männlichkeitsideal zu einer realen Bedrohung.

Zu dieser Weltanschauung gehört selbstverständlich auch ein aggressiver Antifeminismus: Gründer McInnes, der sich noch nach seinem Weggang von Vice mit lustigen Homevideos als moderner Vater inszenierte, ist bekannt dafür, Feminismus als "Krebs" bezeichnet zu haben und zu behaupten, Frauen wollten misshandelt werden – gleichzeitig dienen ihm Stereotype über Frauenhass in der islamischen Welt für rassistische Diffamierung. Stattdessen wünschen sich die "Proud Boys unter dem Wahlspruch "Verehrt die Hausfrau" ein (vermeintliches) Ideal der 50er-Jahre zurück. Das beinhaltet auch Stress für Männer: Die "Proud Boys" verabscheuen Dinge, die sie für "verweichlicht" halten – ein amerikanischer Mann soll lieber Steaks essen und Äxte werfen, anstatt zu lesen.

Gelesen wird aber manchmal trotzdem, und das ist durchaus verräterisch in Bezug auf die Behauptung, nicht einer Ideologie der White Supremacy anzuhängen: Der Gründer fasste den Charakter der Treffen mal mit "saufen, kämpfen und laut aus Pat Buchanans Der Tod des Westens vorlesen" zusammen. Buchanan, ein ehemaliger Redenschreiber für Präsident Richard Nixon und mittlerweile ein White Supremacist, behauptet in dem Buch, dass das weiße Christentum durch Immigranten verdrängt werde, die Verschwörungserzählung des "Weißen Genozids" klingt auch hier an.

Gleichzeitig wirkt auch das Saufen-Kämpfen-Lesen-Statement eher schräg als initial bedrohlich. Dahinter steckt eine Strategie: Wer nicht ernst genommen wird, kann sich besser ausbreiten. Wer weiß schon, dass die Verwendung von "Uhuru" die Verhöhnung eines Aktivisten ist, der mit demselben Wahlspruch in einem Video Reparationen für die Versklavung Schwarzer forderte? Oder, dass McInnes als Grund für die Cornflakes-Prügel nennt: "Den Westen gegen Menschen, die ihn zerstören wollen, zu verteidigen, ist wie sich an Cornflakes zu erinnern, wenn du mit zehn Fäusten bombardiert wirst. Die Kameradschaft und Bindung, die diese Gewalt produzieren, ist inspirierend."

Die "Proud Boys" sind eine neofaschistische, frauenfeindliche und rassistische Gang, die sich in Einschüchterung und Gewalt übt. Der Richter Mark Dwyer, der 2019 zwei "Proud Boys" zu vier Jahren Haft verurteilte, nachdem sie antifaschistische Demonstrierende angegriffen hatten, sagte: "Ich weiß genug über Geschichte um zu wissen, was in den Dreißigerjahren in Europa passiert ist, als die Justiz politischen Straßenkämpfen nicht Einhalt gebot." Besonders bedrohlich ist das auch deshalb, weil sich die "Proud Boys" eben kaum noch zurückhalten, wie Trump es vorerst gefordert hat: Sie tauchen mittlerweile immer öfter auf Black-Lives-Matter-Demonstrationen auf und versuchen, Gewalt zu provozieren. Die "Proud Boys" verfügen außerdem über eine paramilitärische Untergruppe, die sich "Fraternal Order of the Alt-Knights" nennt – eine klare Anspielung auf den Terminus "Alt-Right". Von dem distanzierten sich Sprecher der Gruppe dann ganz gemäß der Taktiken des Trollens mit Vor- und Zurückrudern und Es-nicht-so-und-im-Zweifel-nur-ironisch-Gemeinthabens.

Trumps Aufruf an seine Fans, im November in Wahllokalen "für Sicherheit" zu sorgen, dürfte bei den "Proud Boys" auf Begeisterung gestoßen sein. Sie verkaufen mittlerweile Fanartikel mit Trumps Aufforderung "Stand Back and Stand By". Der Gründer des neonazistischen Daily Stormer schreibt dazu: "Ich habe Gänsehaut. Ich habe immer noch Gänsehaut, er [Trump] sagt den Leuten, sie sollen sich bereithalten. Bereit für den Krieg." Am Samstag wurde Gavin McInnes vor dem Walter-Reed-Krankenhaus gesichtet.


Aus: ""Proud Boys": Mehr als nur ein Neonazi-Schlägertrupp" Eine Analyse von Annika Brockschmidt (7. Oktober 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-10/proud-boys-us-wahl-white-supremacy-gavin-mcinnes-rechtsextremismus/komplettansicht

QuoteHFLM #1

As Gay Twitter reclaims #ProudBoys hashtag, Proud Boys change name to "Leather Men"
https://www.thebeaverton.com/2020/10/as-gay-twitter-reclaims-proudboys-hashtag-proud-boys-change-name-to-leather-men/


QuoteOnlyOnePlanet #1.3

... Ist der Beaverton so was wie der Postillion hier?


QuoteSir Lawrence #1.7

"Ist der Beaverton so was wie der Postillion hier?"- Yep


Quotenucleolus #1.10

"Übrigens: Sich lustig machen über vermeintliche Homosexualität von offen homophoben Gruppen ist immer insofern schwierig, als dass das nur dann funktioniert, wenn man selbst Schwulsein als Witz begreift."

Stimmt nicht. Der Witz hier ist die Ironie, das Heuchlerische. Dass mit Klischees gespielt wird, liegt wiederum an der Natur von Witzen.


QuoteSchievel2 #1.11

Ne?
Man kann kann auch Homosexualität ernst nehmen und sich trotzdem darüber lustig machen, wenn sich homophobe darüber aufregen mit homosexuellen in Verbindung gebracht zu werden. Warum soll das in Ihren Augen ein Widersprich sein?


QuoteSonderze.chen #1.15

Und extremreligiöse Männer sind dann auch nie frauenfeindlich, weil sie ja Frauen heiraten? ...


QuoteNobelix #2

Die queeren Jungs, die den hashtag "ProudBoys" gekapert haben, sind da doch deutlich symphathischer. Wenn Trump das auch so sehen würde, wäre noch ein Hauch von Hoffnung gegeben.


QuoteCantHappenHere #4

"aber sie sind popkulturell vielschichtig, arbeiten mit Albernheiten und Ironie. Das bedeutet Gefahr."

...und, im Rahmen der Gesetze, auch zunächst mal schlicht politische Meinungsäußerung. Will sagen: die Ideologie macht sie wenn dann gefährlich, nicht die Tatsache, dass auch Rechtspopulisten bis hin zu Neonazis sich inzwischen intelligenterer Mittel bedienen als der tumben Herummarschiererei in Springerstiefeln.


Quoter.schewietzek #4.2

Joah. Aber diese Fixierung aufs Masturbationsverbot lässt tief blicken. Freud lässt grüssen.


QuoteDer Reimer #4.3

Jedenfalls ist die ganze Angelegenheit letztlich wieder SO ne Seifenblase der Medien.
Diese "Proud Boys" sind letztlich einfach eine unter vielen mehr oder weniger reaktionären unzähligen Gruppen, die es in den USA halt wohl gibt, sicher weder die gefährlichste noch die bedeutsamste.
Der Name wurde halt von Trump ins Spiel gebracht, weil er da selber wohl mal was von gehört hat, bei FOX vermutlich...letztlich taugen die allenfalls als Synonym.

Immerhin ne nette Werbeaktion für die, schätz ich mal. Sachlich konkret ne Albernheit.


QuoteMeefrangge #4.14

Ich gebe dem Mitforist nicht zu 100% Recht, aber was Wahres ist nunmal dran.

Beispiel Feminismus - für viele Frauen der Grund, sich "endlich auch mal wie die Machos der 80er aufzuführen".
Dann gibt's noch die Schwarzer Fraktion, die einen Kachelmann auch dann noch als Vergewaltiger betitelt, obwohl rechtskräftig klar ist dass seine Frau gelogen hat.
Dann die, die sich in die rhetorische Opferrolle begeben, und auf Mitleid pokern.

Wenn Biden also im Interview Trump so einen Knochen hinwirft, und der Journalismus macht das hier draus, frage ich mich schon wer hier eigentlich der Brandstifter ist.
Und ja, man hat ein Recht auf seine eigene, vielleicht falsche Meinung, solange sie von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Lieber ein Chauvinist, der zugibt einer zu sein, als einer, der mir mit Honig um den Maul hinterfotzig gegenüber tritt.
Da weiß ich wenigstens woran ich bin.


QuoteRaymond Luxury-Yacht #9

Hmmm... Mal eine ganz spannende Zusammenfassung einer bisher vollkommen unbekannten Gruppe. Die Gruppe als Symptom ist ganz interessant. Die massive Betonung des liberalen Topos von der "toxischen Männlichkeit" bis zum "Mann, als Ursache für alles Übel von Frauen oder Minderheiten"... Es war damit zu rechnen. Ich glaube nicht, dass das eine Massenbewegung wird aber die Ursachen so einer Reconquista des Meinungsspektrums liegen auf der Hand.


Quoter.schewietzek #9.1

Frauen sind nicht mehr gehorsam genug?


QuoteRaymond Luxury-Yacht #9.2

Bei mir war diesbezüglich von Anfang an Hopfen und Malz verloren... LOL


QuoteM_Schæfer #10

Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/tg


QuoteRaymond Luxury-Yacht #10.1

Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.


Quotewackelnde Gardine #13

Was ist das eigentlich für eine neue Masche mit diesem "werden als ... gelesen"?
Ist das selbstentlarvendes Korrektsprech für "werden in die Schublade ... gesteckt"?


QuotePedro Navaja #14

Testosteronstau, sexuelle Frustration und politisch vergiftete Stimmung sind ein sehr, sehr gefährliches Cucktail...sorry Cocktail.


Quotehumboldt_redivivus #16

Sehr aufschlussreicher Bericht, also eben dieser Mix aus Macho-Gehabe, Frauen- und Fremdenfeindlichkeit usw. usw. Problem sehe ich auch, doof sind die nämlich nicht alle und ja - vom Outfit teilweise ziemlich cool. Ich glaube, wir alle müssen uns vom dem antiquierten Nazibild mit Springerstiefeln definitiv verabschieden. Die Rechtsextremisten sind vielschichtiger, fast hätte ich queerer gesagt. und deshalb viel gefährlicher, diese Identitären kommen ja rein optisch teilweise auch recht cool rüber!

Ergänzung: Beim nochmaligen Lesen des Artikels scheint mir eine gewisse homoerotische Aufladung, wie bei anderen Männerbünden, auch noch vorzuliegen und da können dann ja doch Parallelen zur SA ("Röhm-Putsch") gezogen werden.


Quoter.schewietzek #17

Dass die Mitglieder der "Proud Boys" meist eher bullige Männer zwischen 20 und 40 sind, die zurück wollen zu einer brachialen, gewalttätigen Männlichkeit, ist unzweifelhaft.

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Vielleicht werden sie nur nicht damit fertig, daß sie ihr Geschirr selber spülen müssen und ihre Wäsche selber waschen müssen - eigentlich keine Fertigkeiten, die besondere Intelligenz oder Aufnahmefähigkeit verlangen....
Die meisten Männer schaffen das problemlos.


Quotetamsin paine #17.1

Die meisten Männer, die ich kenne, waschen ihre Wäsche und spülen ihr Geschirr normalerweise nicht selbst. Dazu gib es auch Statistiken. Es sei denn, sie sind nicht verpartnert, und das Inceltum scheint ja bei den Proud boys das Problem zu sein.


QuoteJosef Bologna #17.2

Spülen ist die Hölle!


QuoteJ.P._Merz #35

Immer wenn ich Proud Boys höre habe ich sofort einen Hit von Duran Duran im Ohr.


QuoteWurstkuchlbub #35.1

Und ich denke bei den Proud Boys an Kleinkinder, die stolz sind, das erste mal allein aufs Klo gegangen zu sein...


QuoteAbdul Alhazred #38

Ist das sowas wie unsere IB?


QuotePascal P #38.1

Nur mit Waffen...


QuoteTordenskjold #38.2

Wohl eher eine Mischung aus IB und SA.


QuoteManus Cornu #38.5

Eigentlich kein schlechter Vergleich. Zumindest ist das Ziel wohl Ähnlich: Niemand will gerne mit Glatze und Springerstiefeln bzw mit schlechten Zähnen und Schrotflinte in Verbindung gebracht werden, also schaut man, welche Subkultur sonst gerade ~hip~ ist und kopiert deren Ästhetik.


QuoteKlara Denken #60  —  vor 6 Stunden

... "Neue Mitglieder werden zur Initiation verprügelt, bis sie fünf Sorten Cornflakes genannt haben."

Entschuldigung: Was ist denn der Untershied zu schlagenden Verbindungen? Backe hinhalten, aufschlitzen und dann stolz die Narbe vorzeigen.

"All diese Dinge führen dazu, dass die "Proud Boys" im Gegensatz zu anderen gewaltbereiten Banden eher als skurril oder gar albern ..."

Jetzt soll mir mal einer erzählen daß farbentragende Burschenschaften mit ihren Uniformen, Kommersen, Saufgelagen etc. nicht skurril oder albern sind. ...

"Gleichzeitig wirkt auch das Saufen-Kämpfen-Lesen-Statement....".

OK, da gebe ich zu Deutsche Verbindungsstudenten tun nur die ersten zwei Dinge.

"...Taktiken des Trollens mit Vor- und Zurückrudern und Es-nicht-so-und-im-Zweifel-nur-ironisch-Gemeinthabens....".

Genau dasselbe, die Desdensia-Rugia meint es garnicht so, wenn sie die Nachbarschaft mit Goebbels Reden beschallt, wir es mir vor langer Zeit als Student in Gießen passiert ist, als ich das Unglück hatte in der Nachbarschaft zu wohnen.

Wir haben diese "Proud Boys' seit 172 Jahren. Ganze DAX Vorstände bestehen aus solchen Seilschaften.


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Quote[...] Bei einem Schlag gegen ein rechtsextremes Netzwerk hat es fünf Festnahmen in Österreich und zwei in Bayern gegeben. Das wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz des österreichischen Innenministers Karl Nehammer von der ÖVP und Vertretern des Wiener Landeskriminalamts (LKA) mitgeteilt. Im Rahmen der Untersuchungen seien in den vergangenen drei Tagen über 70 automatische und halbautomatische Schusswaffen sowie Munition im sechsstelligen Bereich sichergestellt worden.

Laut Nehammer waren die Waffen für die rechtsextreme Szene in Deutschland bestimmt, "um eine rechtsradikale Miliz" aufzubauen. Bei einer Hausdurchsuchung am Mittwoch waren Maschinenpistolen und Sturmgewehre samt Munition sichergestellt worden. Bei einer weiteren Durchsuchung am Donnerstag wurden dann ein Container mit weiteren Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden. Freitag wurden in einer Lagerhalle in Niederösterreich rund 100.000 Schuss Munition und zahlreiche Langwaffen gefunden.

Eine Drogenlieferung aus Deutschland im Oktober habe die Polizei zu dem Netzwerk geführt. Mit den Erlösen wurden laut Michael Mimra, dem stellvertretenden Leiter des Wiener LKA, die gefundenen Waffen angekauft, die für Deutschland bestimmt waren. Hauptverdächtiger ist ein 53-jähriger vorbestrafter Österreicher, der mit mehreren Mittätern den Handel aufgezogen haben soll. Weitere Ermittlungen soll es auch in Nordrhein-Westfalen geben.

Quelle: ntv.de, jhe/dpa


Aus: "Razzia in Österreich und Bayern Polizei hebt Waffenlager für Miliz aus" (Samstag, 12. Dezember 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/panorama/Polizei-hebt-Waffenlager-fuer-Miliz-aus-article22231524.html


Link

Francisco Franco (* 4. Dezember 1892 in Ferrol, Galicien; † 20. November 1975 in Madrid), war ein spanischer Militär und von 1936 bis 1975 Diktator des Königreiches Spanien. ... Unter seiner Führung putschten konservative, monarchistische und faschistische Militärs mit Unterstützung des faschistischen Königreiches Italien und des nationalsozialistischen Deutschen Reichs im Juli 1936 gegen die im Februar 1936 demokratisch gewählte republikanische Regierung Spaniens. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_Franco

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Die Herrschaft Francisco Francos gab sich betont katholisch und suchte die Nähe der kirchlichen Institutionen, von denen sie Legitimation beanspruchte und erhielt. So erkannte die Kirche Franco unter anderem ein Gottesgnadentum zu, das Bestandteil seines offiziellen Titels wurde. Dieses besondere Verhältnis zwischen Kirche und Diktator wurde als nacional-catolicismo bezeichnet. ... Insbesondere der Spanische Bürgerkrieg und die Nachkriegsjahre werden in der spanischen Gesellschaft bis heute ungern thematisiert, und erst seit Beginn der 2000er Jahre ist ein gesteigertes Interesse an den damaligen Vorkommnissen festzustellen. ... seit etwa der Jahrtausendwende werden die Massengräber aus der Zeit während und nach dem Bürgerkrieg geöffnet.[172] Eine öffentlichkeitswirksame Exhumierung von dreizehn Bürgerkriegsopfern im Herbst 2000[173] führte zur Gründung der Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica (ARMH) (,,Vereinigung zur Rückgewinnung des historischen Gedächtnisses"), die sich um die Exhumierung und würdige Neubestattung ihrer Überreste kümmert. Eines der vermutlich größten Massengräber wurde 2003 in El Carrizal bei Granada entdeckt; dort waren 5000 Hinrichtungsopfer vergraben worden. Die Zahl der unidentifizierten Opfer wird landesweit auf 30.000 geschätzt. ... Im November 2002 verurteilte das spanische Parlament einstimmig die franquistische Diktatur und versprach denjenigen Angehörigen, die ihre damals ,,verschwundenen" Angehörigen aufzufinden und zu exhumieren wünschten, finanzielle Unterstützung. Seit November 2007 sieht das ,,Gesetz über das historische Gedenken" vor, dass die Kommunen die private Initiative der Exhumierungsarbeiten unterstützen. Der oppositionelle Partido Popular kritisiert dieses Gesetz allerdings, weil es ,,alte Wunden aufreiße und nur den Zweck habe, die spanische Nation zu spalten". ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Franquismus

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Quote[...] Der Diktator Francisco Franco ist seit bald einem halben Jahrhundert tot, doch wenn man Hannes Bahrmann glaubt, ist der "Alte" noch ziemlich lebendig. ... der Franquismus war "keine Militärjunta", wie der frühere El-País-Chef Juan Luis Cebrián mal gesagt hat, sondern eben "das halbe Spanien". ...


Aus: "Diktatur-Bewältigung: Spanische Stümper" Aus einer Rezension von Sebastian Schoepp (27. Juni 2020)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/franco-spanien-aufarbeitung-1.4936076

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Quote[...] Dass spanische Polizisten in internen Chats "Hitler einen guten Mann" nennen und der ehemaligen linken Bürgermeisterin von Madrid einen qualvollen Tod wünschten, darüber hatte Telepolis schon berichtet. Nun zeigt Infolibre auf, wie tief diese Ideologie weiter in den Streitkräften verankert ist.

Hochrangige pensionierte Militärs, wie General Francisco Beca, wünschen sie sich sogar einen Massenmord, der die Shoa noch in den Schatten stellen würde. In einer WhatsApp-Gruppe lehnt sich Beca besonders weit aus dem Fenster. Er will deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Land an die Wand stellen: "Es bleibt keine andere Möglichkeit, als damit zu beginnen, 26 Millionen Hurensöhne zu erschießen."

Der frühere General der Luftwaffe hat eigentlich nur den Zweifel, ob das reicht. "Ich glaube, dass ich mit den 26 Millionen noch zu kurz gegriffen habe!!!!!!!!" Und ganz in diesem Stil geht es weiter. Die Situation stelle sich derzeit so dar, dass "die einzige Möglichkeit bleibt, den Krebs rauszuschneiden". Den Krebs stellen für ihn die linken Kräfte im Land dar. Er gesteht damit ein, dass die Linke eine klare Mehrheit im Land stellt, da Spanien nur über 42 Millionen Einwohner verfügt. Dass er ein faschistischer Franco-Anhänger ist, daraus macht er keinen Hehl, den Diktator verehrt er als den "Einzigartigen".

Auch andere ehemalige hohe Offiziere stehen nicht zurück, die "26 Millionen Kugeln" fordern, wie in einer Nachricht vom Handy des Hauptmanns José Molina: "Ich will, dass sie alle und ihre Sippschaft sterben. Das will ich. Ist das Zuviel verlangt?", fragt er mit Blick auf die sozialdemokratische Regierung. Wiederspruch gibt es unter den Militärs nicht.

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Aus: "Hochrangige spanische Militärs träumen davon, "26 Millionen Hurensöhne zu erschießen"" Ralf Streck (03. Dezember 2020)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Hochrangige-spanische-Militaers-traeumen-davon-26-Millionen-Hurensoehne-zu-erschiessen-4979549.html

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Quote[...] Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez empfindet die Aufrufe von Militäroffizieren im Ruhestand zum Sturz seiner linken Regierung nicht als echte Bedrohung. Es handele sich um eine Randgruppe von Diktatur-"Nostalgikern", sagte er der Zeitung "El Periódico". Der 1975 gestorbene Diktator Francisco Franco sei "immer noch im Kopf von einigen".

"Wirklich besorgniserregend ist aber die Verbreitung derselben Hassbotschaften in der politischen Arena durch Gruppen, die nicht unbedeutend sind", betonte Sánchez in Anspielung auf die Attacken der Rechtspopulisten von Vox und wohl auch der konservativen Volkspartei PP.

Zwei Gruppen von jeweils 39 und 73 ehemaligen ranghohen Offizieren der Luftwaffe und des Heeres hatten nach Medienberichten im November in Briefen an König Felipe VI. die Regierung scharf attackiert. Sie schrieben, Sánchez werde durch Anhänger von Terroristen und Separatisten unterstützt, er bedrohe die nationale Einheit. Am Samstag folgte ein weiterer Brief ähnlichen Inhalts, der diesmal sogar von 271 Ex-Offizieren unterzeichnet wurde.

Große Empörung und Unruhe löste vor allem aber die Veröffentlichung des Austauschs der Angehörigen einer dieser Gruppen in Whatsapp aus. Nach den vom staatlichen Fernsehsender RTVE und anderen Medien veröffentlichten Screenshots der Whatsapp-Gruppe beleidigen die Mitglieder Sánchez und den Vize-Regierungschef Pablo Iglesias aufs Übelste. Sie loben Diktator Francisco Franco, dessen Regime (1939-1975) mindestens 100.000 Oppositionelle "verschwinden" ließ, und sprechen sich für die Abschaffung der Demokratie aus.

Ein General im Ruhestand schrieb demnach: "Bereitet euch auf den Kampf vor! Holen wir uns die Roten!!! Kopf hoch und auf zum Kampf!" Beleidigt werden neben linken Politikern und deren Sympathisanten und Wählern unter anderem auch Homosexuelle, Feministinnen und katalanische und baskische Separatisten.

Verteidigungsministerin Margarita Robles erstattete deshalb Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Solche Aussagen seien "Grund zur Sorge, zumal in einer komplizierten politischen Lage mit Notstand, Pandemie und Wirtschaftskrise", erklärte sie. Diese Aktivitäten könnten einen Straftatbestand erfüllen, betonte sie.

Quelle: ntv.de, jwu/dpa


Aus: "Putschaufruf von Ex-Generälen Sanchez lässt Diktatur-"Nostalgiker" abblitzen" (Sonntag, 06. Dezember 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Sanchez-laesst-Diktatur-Nostalgiker-abblitzen-article22217841.html


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#108
Quote[...] Weil er Politiker und Behörden in ganz Deutschland bedrohte, ist ein 32-Jähriger zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Seine Ankündigungen seien ernst gemeint gewesen.

... Das Berliner Landgericht hat einen vorbestraften Verfasser von Mails mit rechtsextremen Gewaltdrohungen zu vier Jahren Haft verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Dauer der Behandlung wird auf die Freiheitsstrafe angerechnet, ebenso wie die bereits verbüßte Untersuchungshaft.

Der Täter hasse sich und seine Umgebung, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht. "Er hasst bis auf seine Familie alle Menschen." Von dem Verurteilten gehe weiterhin eine große Gefahr aus, weshalb seine Unterbringung in einer Psychiatrie nötig sei, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Der Mann habe mit Gewalttaten gedroht und verfüge über Wissen zum Umgang mit Waffen und Sprengstoff. Die Drohungen seien "bitterer Ernst" gewesen. Er sei wegen einer Persönlichkeitsstörung allerdings vermindert schuldfähig. Der Verurteilte hatte zwischen Oktober 2018 und April 2019 bundesweit Drohschreiben an Gerichte, Behörden, Polizeidienststellen, Einkaufszentren, Presseorgane und Bundestagsabgeordnete verschickt. Diese waren meist mit "NationalSozialistischeOffensive" unterzeichnet. Er drohte darin mit dem Zünden von Bomben, schrieb von "Hinrichtung und Folter" und äußerte antisemitisches und rassistisches Gedankengut.

Im Laufe des Prozesses hatte der Angeklagte seine Schuld abgestritten und vor der Urteilsverkündung noch gesagt, dass man schauen solle, "wo die richtigen Täter sitzen". In seinem Zimmer sind NS-Devotionalien gefunden worden, zudem befanden sich auf seinem Computer Gewaltdarstellungen, Waffen- und Sprengstoffbauanleitungen. Das Passwort zu dem Gerät lautete "Deutschland88" – "was ja auch schon zeigt, wessen Geistes Kind der Angeklagte ist", sagte der Richter.

In der Anklage wurden ihm 107 Taten vorgeworfen, darunter Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten, Nötigung sowie versuchte räuberische Erpressung und Bedrohung. Das Urteil ist nun in 26 Fällen wegen Störung des öffentlichen Friedens und in neun weiteren Fällen wegen Nötigung gesprochen worden.

Die Verteidigung sieht die Schuld des Angeklagten als nicht erwiesen an und hatte einen Freispruch gefordert. Er war in seiner Jugend mehrfach vorbestraft und hatte Hilfsangebote laut dem Vorsitzenden Richter mehrfach ausgeschlagen.


Aus: "Versender rechtsextremer Drohmails zu Haftstrafe verurteilt" (14. Dezember 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-12/landgericht-berlin-drohmail-prozess-rechtsextemismus-haftstrafe-psychatrie

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Quote[...]  Rechtsterror Die psychiatrischen Gutachten des Mörders von Walter Lübcke und des Halle-Attentäters bezeugen Kalkül und fehlende Reue

Zwei Prozesse, zwei rechtsterroristische Mörder, ein psychiatrischer Gutachter: Norbert Leygraf hat Stephan Balliet, der am 9. Oktober 2019 die hallesche Synagoge überfallen wollte und zwei Menschen tötete, und Stephan Ernst untersucht, der in der Nacht zum 2. Juni 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke mit einem Kopfschuss tötete. Die Gutachten des angesehenen Experten Leygraf, der das Institut für forensische Psychiatrie in Essen leitet, sind in den vergangenen Wochen bei den Prozessen gegen die beiden Täter in Magdeburg und Frankfurt am Main vorgestellt worden. Ein Vergleich der Gutachten zeigt auffällige psychische Gemeinsamkeiten zwischen Balliet und Ernst auf, aber auch Unterschiede.

Psychiater Leygraf hatte das Verhalten und Auftreten der Angeklagten in den Verhandlungen beobachtet. Zudem flossen in seine Gutachten die Ergebnisse stundenlanger Gespräche ein, die er mit Balliet und Ernst in der Untersuchungshaft geführt hat. Bei diesen sogenannten Explorationen werden bestimmte Sachverhalte und Stimmungen der untersuchten Personen erkundet.

Stephan Ernst war von Leygraf an zwei Tagen im Januar insgesamt neun Stunden lang exploriert worden. An keiner Stelle in den Gesprächen habe er den Eindruck gewonnen, dass der Angeklagte ein tatsächlich offenes Gespräch geführt habe, sagte der Gutachter. Ernst habe sich zwar höflich, aber immer auch vage und vorsichtig geäußert, viele ,,Irgendwies" und ,,Irgendwos" benutzt. ,,Ich hatte den Eindruck einer sehr kontrollierten Aussage", sagte Leygraf. Ernst habe nicht spontan auf Fragen reagiert, sondern häufig erst nach längeren Pausen oder Nachfragen, dann aber weit ausholend geantwortet. Seine Aussagen seien dabei wenig glaubwürdig gewesen. Emotionen habe Ernst nur gezeigt, als es um die Beziehung zu seinem Vater ging, den er in seiner Einlassung vor Gericht als gewalttätig und lieblos beschrieben hatte.

Auch Balliet, mit dem Leygraf an drei Tagen insgesamt zwölf Stunden lang sprach, habe in seinen Aussagen kontrolliert und vorsichtig gewirkt, so der Gutachter. Das bezog sich aber – offenbar anders als bei Ernst – vor allem auf seine Lebenssituation. Wenn sie auf seine Familie, seine Biografie und seine Lebensumstände zu sprechen gekommen seien, sei Balliet wortkarg und einsilbig geworden. Sei es hingegen um seine politischen Überzeugungen oder die Planung und Umsetzung seiner Attentatspläne gegangen, dann sei er geradezu in einen ,,Redefluss" verfallen. In diesen Passagen des Gesprächs sprang der Angeklagte laut Leygraf häufig auf und lief umher, er habe mitunter unmotiviert schrill aufgelacht, Sprache und Mimik seien oft überzogen und theatralisch gewesen.

,,Mit Freude und Stolz" habe Balliet bei diesen Gelegenheiten seine antisemitische und rassistische Gedankenwelt ausgebreitet. ,,Sein deutlich erkennbarer Hass war die einzige feststellbare tiefgehende emotionale Bewegung", sagte der Gutachter. Bei der Schilderung der von ihm begangenen Morde ließ Balliet hingegen ,,nicht den Hauch einer emotionalen Bewegung" erkennen. Bei kritischen Nachfragen wirkte er angespannt. Als Leygraf ihn schließlich ausführlicher zu seiner Lebenssituation habe befragen wollen, habe der Angeklagte die Exploration laut schimpfend abgebrochen.

Dem psychiatrischen Gutachten zufolge ist der Halle-Attentäter von durchschnittlicher Intelligenz und weist bei persönlichkeitsbestimmenden Parametern wie Depressivität, Paranoia und Narzissmus überdurchschnittliche Werte auf. Balliet, der sich in Vernehmungen selbst als unsoziales Wesen ohne Freunde und Freundin beschrieb, wird vom Sachverständigen als eine selbstbezogene Person bezeichnet, die von den eigenen Wertvorstellungen überzeugt ist und sich anderen Menschen überlegen fühlt. Zudem ist er verschlossen und pessimistisch, im zwischenmenschlichen Umgang empfindet er Unsicherheit sowie Misstrauen und Feindseligkeit.

Auch Ernst wird im Gutachten als eher zurückhaltender Einzelgänger charakterisiert, der kaum engere Freunde hat und wenig auf die Gefühle anderer achtet. Nach außen wirke er emotional kühl und wenig empathisch. Innerlich sei er aber verletzlich. Kränkungen, die er erfahren habe, könne er für lange Zeit nicht vergessen. Sein Leben hat Ernst dem Gutachten zufolge ,,zweispurig" geführt: Zum einen baute er sich nach seiner ersten Freiheitsstrafe wegen eines Messerangriffs auf einen Ausländer in den 1990er Jahren ein bürgerliches Leben auf, wurde zweifacher Familienvater und ein ,,geschätzter Arbeitskollege". Gleichzeitig aber bewegte er sich aktiv in der rechtsradikalen und gewaltbereiten Szene Hessens. Heimlich legte er sich überdies ein großes Waffenlager an, um sich auf einen angeblich bevorstehenden Bürgerkrieg vorzubereiten.

Als Ergebnis seiner Gutachten bescheinigt Leygraf sowohl Balliet als auch Ernst volle Schuldfähigkeit. Es lägen bei beiden keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung wie eine manische Psychose oder hirnorganische Schäden vor. Ebenso wenig seien eine ,,forensisch relevante Minderbegabung" oder Einflüsse durch Suchtmittel festzustellen. Auch die über einen längeren Zeitraum hinweg laufende Planung und Vorbereitung der Anschläge sowie die Tatbegehung sprechen aus Sicht des Gutachters gegen eine tiefgehende Bewusstseinsstörung der Angeklagten.

Zwar hatte der heute 47-jährige Ernst um das Jahr 2009 herum an Angstattacken gelitten und damals eine Psychotherapie absolviert; zum Zeitpunkt seiner mutmaßlichen Taten habe jedoch keine ,,krankhafte seelische Störung" mit Einfluss auf seine Schuldfähigkeit vorgelegen, stellte Leygraf fest. Auch der Umstand, dass Ernst schizoide Persönlichkeitszüge aufweise, bedeute nicht, dass bei ihm eine Persönlichkeitsstörung vorliege.

Bei Stephan Balliet hingegen diagnostizierte Leygraf eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und paranoiden Anteilen sowie Autismusmerkmalen. Diese Störung, die Merkmale einer schweren seelischen Abartigkeit habe, äußere sich beispielsweise in der Unfähigkeit, sich in andere Menschen hineinzufühlen, in seiner gefühlskalten und emotionslosen Art sowie seinem Unvermögen zu einer partnerschaftlichen Lebensgestaltung. Tatsächlich lebte der Halle-Attentäter seit Jahren zurückgezogen im alten Kinderzimmer der Wohnung seiner Mutter. Die einzige Verbindung zur Außenwelt bestand über das Internet, wo er mit anonymen Usern rassistischer, frauenfeindlicher Imageboards wie 8kun oder 4chan chattete (der Freitag 42/2019). Leygraf betonte gleichwohl in seinem Gutachten, die seelische Abartigkeit des Angeklagten habe dessen exekutives Steuerungsvermögen und damit auch seine Schuldfähigkeit nicht beeinträchtigt. So habe Balliet es nicht nur vermocht, das Attentat von Halle komplex vorzubereiten, sondern auch, sein Verhalten bei der Tatausführung den wechselnden äußeren Rahmenbedingungen anzupassen.

Obwohl der Halle-Attentäter von Verschwörungsfantasien überzeugt sei, liege deshalb kein krankhafter Wahn bei ihm vor, stellte Leygraf klar. Auch Ernst habe nicht aus einem Wahn heraus gehandelt. Dessen Mord an Walter Lübcke stehe vielmehr in ,,direktem Zusammenhang" mit der fest verwurzelten rechtsextremen Einstellung des Täters. Dieses Verneinen eines Wahns bedeutet, dass sich Balliet und Ernst bei ihren Taten nicht als ,,Auserwählte" gesehen haben, die einer vermeintlich höheren Bestimmung folgen. Vielmehr gingen sie davon aus, in ihrem jeweiligen sozio-kulturellen Umfeld – Ernsts rechte Freunde und Balliets Chatpartner im Internet – Gleichgesinnte zu haben, die ihre Überzeugungen teilen und ihre Handlungen befürworten.

Leygrafs Fazits in den Gutachten ähneln sich: Weder bei Ernst noch bei Balliet könne er Hinweise auf eine mögliche Änderung von Einstellungen und Verhaltensdispositionen erkennen. Auch Reue über die begangenen Morde sei nicht zu spüren. Balliet habe in den Gesprächen kein Bedauern über die Tötung der beiden Opfer gezeigt, sie als ,,Kollateralschaden" abgetan.

Ernst habe seine Tat in den polizeilichen Vernehmungen zwar als ,,unverzeihlich" bezeichnet, dabei aber aus Leygrafs Sicht nur eine ,,geringe affektive Beteiligung" gezeigt, weshalb er keine aufrichtige Reue bei ihm erkennen könne. Auch die Tränen, die der Angeklagte im Prozess bei der Konfrontation mit der Familie seines Opfers vergoss, seien wenig authentisch. Vielmehr seien bei Ernst der Hass auf Ausländer, die rechtsradikale Ideologie und der Hang zu schweren Straftaten seit der Jugend ,,tief eingeschliffen" und damit Teil seiner Persönlichkeit geworden. Die vom Angeklagten behauptete, angeblich schon 2009 erfolgte Loslösung von der Neonazi-Ideologie sei bestenfalls ,,oberflächlicher Natur". Eine grundsätzliche Kehrtwende sei bei ihm aus psychiatrischer Sicht kaum nachvollziehbar.

Bei beiden Angeklagten ist sich Leygraf daher sicher, dass ihr ausgeprägter Hang zur Gewalt sie auch zukünftig schwere Straftaten begehen lassen würde. Für die Gerichte in Magdeburg und Frankfurt ist diese Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen von großer Bedeutung, wenn sie über eine mögliche Sicherungsverwahrung der verurteilten Täter im Anschluss an eine Freiheitsstrafe entscheiden müssen.


Aus: "Voll schuldfähig" Andreas Förster (Ausgabe 50/2020)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/voll-schuldfaehig

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#109
Quote[...] Das notorisch klamme Haus Hohenzollern fordert trotz brauner Vergangenheit weiter Geld vom Staat. Jetzt gehen auch die letzten Gutachter von Bord. Mehrfach zitierte der Historiker Christopher Clark zuletzt zustimmend den Historiker Stephan Malinowski. Nichts Ungewöhnliches, möchte man meinen. Historiker zitieren Historiker, so ist das halt. Doch vor Kurzem war Malinowski für Clark noch der ärgste Widersacher.

Malinowski ist der Autor des Buchs ,,Vom König zum Führer". Für das Land Brandenburg war er als Gutachter tätig, als es um Forderungen der heutigen Hohenzollern auf Entschädigung ging. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Hohenzollern in erheblichem Maße zum Fall der Weimarer Republik und Aufstieg der Nazis beitrugen.

Clark, seines Zeichens der berühmte Autor des Werks ,,Die Schlafwandler", schrieb im Auftrag der Hohenzollern ein entgegengesetztes Gutachten. Es entlastete die frühere Kaiserfamilie. Ein Gutachten mit weitreichenden Folgen. Denn die Repräsentanten des heutigen ,,Hauses Hohenzollern" streiten mit Bund und Ländern seit Jahren um Rückgabe und Ausgleichszahlungen für ihre im Osten Deutschlands nach 1945 eingezogenen Vermögen.

1994 war nämlich gesetzlich festgelegt worden, dass, wer dem Faschismus ,,erheblichen Vorschub" geleistet hatte, auch nach der Wiedervereinigung keine Restitutionen zu erwarten habe.

,,Auf dem Spektrum fürstlicher Kollaboration mit dem Dritten Reich kann man den Kronprinzen daher mit guten Gründen als eine der politisch zurückhaltendsten und am wenigsten kompromittierten Personen bezeichnen." So lautet der abschließende Satz von Clarks Gutachten 2011. Heute sagt Clark, er wäre sich der Tragweite der Auseinandersetzung nicht bewusst gewesen.

Lange blieben die Verhandlungen zwischen Staat und Hohenzollern geheim, auch Clarks Gutachten. Erst 2019 wurde es geleakt. Fast alle namhaften Historiker widersprachen in der Folge Clark. Etwa der britische Historiker Richard Evans. Er führte in einem Essay aus, wie die 1918 gestürzte Kaiserfamilie alles daransetzte, um mit der Nazibewegung 1933 zurück auf den Thron zu gelangen.

Als Vorbild diente Italien, wo der Faschist Mussolini in den 1920er Jahren ein Arrangement mit dem König getroffen hatte. Doch Hitler war nicht der Duce. Einmal an der Macht, wollte er sie mit niemandem teilen. Im Bündnis mit den Nazis hatten sich andere einzuordnen, auch die rechtsextremen monarchistischen Kräfte. Und viele taten das auch.

Historiker Clark leugnet in seinem Gutachten von 2011 nicht die rechtsextreme Gesinnung des Kronprinzen Wilhelm von Preußen, dem Sohn des 1918 gestürzten Kaisers Wilhelm II. Der Kronprinz plädierte vor 1933 für den Zusammenschluss der paramilitärischen Verbände von Stahlhelm und SA. Er agitierte 1932 gegen das kurzzeitig erlassene Verbot von SA und SS. Er gehörte selber der SA an. Und während sein Vater, der Ex-Kaiser, verbittert im holländischen Exil in Doorn antisemitischen Verschwörungstheorien nachhing, verstand sich sein Sohn der Kronprinz als ein Mann der Tat.

Seine Familie stiefelte mit Hakenkreuzbinden auf Schloss Cecilienhof in Potsdam herum und posierte für die Kameras. Die taz veröffentlichte Aufnahmen aus der dänischen Illustrierten Berlingske illustreret Tidende von 1934, die dies eindrücklich dokumentieren. Er prahlte damit, Hitler zwei Millionen Stimmen verschafft zu haben. Am berüchtigten Tag von Potsdam im März 1933 zelebrierte er symbolisch wirkmächtig den Schulterschluss mit Adolf Hitler, von ,,alter" und neuer Rechter.

Alles das beschreibt auch der Gutachter Clark 2011. Und kam dennoch zu dem überraschenden Schluss: Die damaligen Vertreter des ,,Hauses Hohenzollern" seien zwar braun eingefärbt, aber historisch zu unbedeutend gewesen, um eine größere Rolle gespielt zu haben. Eine interessante Interpretation für eine der mächtigsten Familien der deutschen Geschichte, die ihr ganzes Gewicht in die Zerstörung der Republik legte. Nur Vertreter des neurechten Historikerspektrums vertreten solch relativierende Thesen. Und Wolfram Pyta, der im Auftrag der Hohenzollern ein weiteres Gutachten schrieb.

Im Frühjahr ruderte Clark im Schriftwechsel mit David Motadel in der New York Review of Books zurück. Historiker Motadel hatte Clark in seinem Beitrag ,,What Do the Hohenzollerns Deserve" scharf kritisiert. Clark liefere den heutigen Hohenzollern nicht nur die Stichworte, um an zusätzliche – ihnen nicht zustehende – staatliche Vermögenswerte zu gelangen.

Er helfe auch ein glorifizierendes Preußenbild zu restaurieren, an das rechts-nationalistische Kräfte seit der Wiedervereinigung verstärkt suchten anzuknüpfen. Für dieses steht stellvertretend die AfD mit Alexander Gauland im Bundestag, der die zwölf Jahre Nazi-Terrorherrschaft als ,,Vogelschiss" bezeichnet und bagatellisiert. Clark erwiderte Motadel, ebenfalls in der New York Review, solch reaktionäre Motive lägen ihm fern. Er fühle sich instrumentalisiert. Er betrachte den Kronprinzen sehr wohl als einen ,,gewalttätigen, ultrarechten Charakter", der mit Hitler sympathisierte und zur ,,finalen Abrechnung mit der deutschen Linken drängte".

Doch hatte er den Kronprinzen schlicht für zu unintelligent und auch isoliert gehalten, als dass dieser eine größere politische Rolle hätte einnehmen können. Inzwischen, so Clark weiter, habe sich jedoch die Quellenlage verändert und er sähe es anders. Die in Princeton forschende Historikerin Karina Urbach hatte bereits letztes Jahr neues Material ausgewertet. Es zeigt, wie systematisch und skrupellos die kaiserliche Familie den Aufstieg der Nazis zum eigenen Nutzen beförderte (,,Nützliche Idioten, Die Hohenzollern und Hitler").

Von Stephan Malinowski erscheint bei Oxford University Press gerade das Buch ,,Nazis and Nobles". Es ist die überarbeitete englische Fassung seines früheren Buchs ,,Vom König zum Führer". Und er forscht weiter. Doch allein was bereits vorliegt, sollte die erhebliche verbrecherische Energie, den notorischen Antisemitismus und die absolute Demokratiefeindlichkeit der Hohenzollern bis 1945 ausreichend belegen. Die Nachfahren der Hohenzollern wären gut beraten, dies zur Kenntnis zu nehmen und mit der historischen Schuld angemessen umzugehen.

Dazu gehörte auch, ihre vielen gegen kritische Journalisten und Historiker wie Malinowski, Urbach oder Winfried Süß gerichteten juristischen Winkelzüge einzustellen. Wie sagt Clark, der ehemalige Kronzeuge der Hohenzollern, jetzt in einem FAZ-Interview deutlich: ,,Stephan Malinowski hat gezeigt, wie energisch der Kronprinz gearbeitet hat, auch nach der Machtergreifung, um die Berührungsängste der Konservativen gegenüber den Nationalsozialisten zu überwinden."

In seinem jetzt erschienenen Essayband ,,Gefangene der Zeit" (DVA) stimmt Clark demonstrativ Malinowski zu. Er zitiert ihn ausführlich, so es um die Braunfärbung von Kaiserfamilie und altem deutschen (Hoch-)Adel geht. Der Kronprinz, so Clark in der FAZ, war ,,kontinuierlich an den Versuchen beteiligt, die Demokratie zugrunde zu richten. Und die Zerstörung der Demokratie ist wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für die Machtergreifung der Nationalsozialisten."

Der Ururenkel von Kaiser Wilhelm II., Georg Friedrich Prinz von Preußen, der als heutiger Wortführer des ,,Hauses Hohenzollern" auftritt, hat sich in die Abgründe der Geschichte gestürzt. Er würde gerne mehr vom Tafelsilber seiner Ahnen abbekommen, ohne auf die fragwürdige Provenienz zu schauen. Sogar den holländischen Staat hat er versucht zu verklagen.

Dies berichtet Klaus Wiegrefe Ende November im Spiegel. Man sähe sich ,,leider gezwungen," so die Anwälte des heutigen Preußen-Wortführers 2014, ,,einen formellen Anspruch auf den Besitz von Haus Doorn, das dazugehörige Inventar und das umliegende Gut sowie zwei dazugehörende Bauernhöfe zu erheben".

Nach Doorn war der 1918 gestürzte Kaiser Wilhelm II. geflüchtet, samt seiner sagenumwobenen 59 Waggons mit Werten aller Art. Vom Exil aus wünschte er ,,Presse, Juden und Mücken" den Tod (,,,das Beste wäre Gas") und forderte seine Angehörigen auf, aktiv am Nationalsozialismus teilzuhaben. Hitler beglückwünschte er 1940 zu seinen Feldzügen. Nach der Befreiung von den Deutschen wurde Haus Doorn vom holländischen Staat konfisziert. Das kleine Schloss dient als Museum.

Nur das Mausoleum des 1941 hier beigesetzten letzten deutschen Kaisers befindet sich im Privatbesitz der Familie. Nichts Ungewöhnliches, möchte man meinen. Die deutsche Politik könnte sich an den Holländern ein Beispiel nehmen.


Aus: "Kampf um das Tafelsilber" Andreas Fanizadeh (12. 12. 2020)
Quelle: https://taz.de/Preussen-Historiker-Clark-rudert-zurueck/!5734272/

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Quote[...] Knalleffekt bei den brisanten Ermittlungen zum rechten Terror in Österreich: Ausgerechnet ein Polizist des Landeskriminalamtes Niederösterreich soll der Bande rund um eine heimische Neonazi-Größe 5000 Schuss für schwere Kaliber wie Maschinengewehre verkauft haben. ... Bei dem verdächtigen Beamten (es gilt die Unschuldsvermutung) handelt es sich um einen ausgebildeten Waffenmeister. Der Revierinspektor war als Sachverständiger für den Staatsschutz oft bei sogenannten Military-Messen.

Dort soll er - laut Geständnis eines verhafteten Mittäters der Neonazi-Bande - auch Kontakt zum rechten Milieu geknüpft haben. Wie berichtet, gilt als Kopf der Gruppe, die eine deutsche Miliz rund um Motorrad-Rocker mit Waffen aufrüsten wollte, ein einstiger Briefbomben-Angeklagter.

Bei drei Treffen soll der Beamte der rechten Hand des Bandenbosses jedenfalls insgesamt 5000 Schuss Munition für Maschinenwaffen um 850 Euro verkauft haben. Durch Verlassenschaften, über die ihn Bezirksbehörden beruflich informierten, hatte er leichten und billigen Zugang.

Die Leitung des Landeskriminalamtes Niederösterreich reagierte umgehend und erstattete Anzeige unter anderem wegen Amtsmissbrauch. Zudem wurde der Polizist suspendiert und seine Wohnung durchsucht. Bei einer Verurteilung droht ihm der komplette Verlust der Beamtenpension. Reue oder Schuldbewusstsein zeigt der Verdächtige aber nicht ...

Mittlerweile hat die historische Verantwortung bei der Polizeiausbildung durch eine Kooperation mit Bildungsexperte Daniel Landau höchsten Stellenwert. Vonseiten des Innenministeriums wird betont, es gebe ,,null Toleranz bei jeglicher Nähe zu Rechtsextremen".

Christoph Budin, Kronen Zeitung


Aus: "Polizist soll Munition an Neonazis verkauft haben" (01.01.2021)
Quelle: https://www.krone.at/2309444

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#110
Quote[...] In den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen schließen sich unterschiedliche Milieus gegen ,,die da oben" zusammen, beobachtet der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß. Der Glaube an eine ,,alternative Weltsicht" verbinde Esoteriker, Fundamentalisten und Rechtsextreme, sagte er im Dlf.

Christian Röther: Herr Grünschloß, was verstehen Sie als Religionswissenschaftler unter dem Begriff ,,Esoterik"?

Andreas Grünschloß: Der Begriff Esoterik ist etwas schwammig, wird auch meistens heute etwas breiig gebraucht. Zunächst mal bezeichnet er das Innere – oder auch dann in seiner Verwendung häufig das Geheime. Also gerade im religiösen Zusammenhang spricht man von esoterischen religiösen Traditionen, also solche Traditionen, wo der Zugang zu dem eigentlichen wichtigeren religiösen Wissen nicht allen zugänglich ist, sondern nur einem Kreis von Eingeweihten. Also religiöse Traditionen, die so eine Art Initiation brauchen, um die Leute eben in bestimmten Stufen eventuell auch an die inneren Geheimnisse heranzuführen. Man könnte sagen: Esoterische Religiosität ist eigentlich eine Geheimreligiosität.

Das Ganze ist dann so ein bisschen ein Widerspruch, weil eigentlich bezeichnen wir mit Esoterik heute alle die nicht in großen, verfassten religiösen Traditionen operierenden Diskurse, sondern Gruppierungen oder auch Einzelakteure, die eine modernere, alternative Weltsicht, häufig auch eben durch Inputs aus verschiedenen religiösen Traditionen, betreiben.

Und wenn man versuchen möchte, zusammenzustellen, was charakterisiert das, was wir mit Esoterik meinen, dann meinen wir damit eben religiöse Weltdeutungen, die zum einen eine Art von einem spirituellen höheren Selbst im Menschen annehmen – also, wenn man mit einem indischen Begriff arbeiten möchte, eine ,,Atman"-artige Seelensubstanz, die den Kern der eigentlichen Person bildet.

Daher finden Sie eigentlich auch fast durchgängig in den esoterischen Traditionen die Vorstellung von Wiedergeburt beziehungsweise Reinkarnation, dass eben genau dieser Seelenkern sich immer wieder verkörpert. Teilweise ist das auch weltbildartig dann ausgeweitet, dass eben auch das gesamte Universum, die gesamte Welt lebendig ist – also die Gaia-Hypothese, dass auch die Erde ein Organismus ist, eben auch so eine Atman-artige Seelensubstanz besitzt. Also das wäre so der eine Punkt, der sehr häufig anzutreffen ist.

Dann Entsprechungen zwischen dem, was im Mikrokosmischen und im Makrokosmischen vorgeht. Also ein bestimmter Laut, so wie in der indischen Mantra-Meditation, hat eine Auswirkung nicht nur auf meine Psyche und auf meine Seele, sondern setzt in der Umgebung auch makrokosmische Entsprechungen heraus. Das Paradebeispiel wäre etwa die Transzendentale Meditation des Maharishi Mahesh Yogi, der gesagt hat, wenn ein bestimmter Prozentsatz von Meditierenden in einer Stadt sind, dann wird die Kriminalitätsrate runtergehen, wird das sofort eine Auswirkung auf den Makrokosmos haben. Und solche Thesen gab es dann jetzt auch in der Coronazeit, dass eben durch den Einsatz von Meditation tatsächlich auch das Virus wegmeditiert, eingedämmt werden könne.

Röther: Und jetzt fällt der Begriff Esoterik eben öfters in Zusammenhang mit den Corona-Protesten in Berlin jetzt am Wochenende, aber auch schon vorher. Inwiefern passt dieser Begriff Esoterik auf die Menschen dort, oder auf Teile der Menschen dort, die da gegen die Anti-Corona-Maßnahmen protestiert haben?

Grünschloß: Also in dem Falle, wo es um eine religiös motivierte – die Menschen, die so was vertreten, nutzen nicht so gerne den Begriff Esoterik für sich, zumindest nicht mehr, das war in den 80er- und 90er-Jahren noch ein bisschen anders, häufig ist heute der Esoterik-Begriff so mit Dubiosität und ,,spinnerter" Weltsicht verbunden im öffentlichen Sprachraum.

Aber was wir häufig haben, die Idee oder die Sehnsucht danach, den Graben zwischen einer materialistisch ausgerichteten Naturwissenschaft und der spirituell-religiösen, geisteswissenschaftlichen Dimension des Menschen zu überbrücken. Das findet sich seit dem 19. Jahrhundert als durchgehender Tenor bis heute, eine holistische, neue, integrale Wissenschaft zu entwickeln, die beides überbrückt. Deswegen eben auch Offenheit für alternative Heilverfahren, alternative Wissenschaftskonzeptionen.

Und gerade im Bereich von Corona kann man dann natürlich zu Thesen kommen, dass hier eine andere Form von Heilung möglich sein muss als das, was die Autoritäten sagen. Dass vielleicht das, was vorgeschoben wird vor Corona, was ganz anderes ist, dass ganz andere Akteure im Hintergrund virulent sind. Also die Affinität zu Verschwörungstheorien, weil man eben an eine integralere, umfassendere Weltsicht glauben möchte, das ist ein Motiv, das nun Verschwörungstheoretiker, esoterisch gestimmte Menschen, aber auch zum Teil eher rechtslastige Leute oder auf der anderen Seite auch fundamentalistisch-christlich orientierte Leute wieder miteinander vereinen kann bei so einer Demonstration, weil sie sagen, wir kämpfen im Prinzip gegen denselben Feind. Das, was die da oben uns erzählen wollen, ist nicht die wahre Sache, wir haben hier eine alternative Weltsicht. Das wäre so ein vager Anlaufversuch, wo gibt es da Affinitäten.

Röther: Jetzt gibt es Aufnahmen vom Wochenende, wo Menschen dort ,,Hare Krishna, Hare Rama" singen am Brandenburger Tor im Kontext dieser Proteste. Also ein Mantra aus dem Hinduismus, das auch aus neuen religiösen Bewegungen, aus der Hare Krishna-Bewegung eben, ISKCON, bekannt ist. Es verwundert auf den ersten Blick trotzdem, dass es jetzt da in Berlin am Wochenende zu hören war. Hat es Sie auch verwundert?

Grünschloß: Natürlich, klar. Ich hätte gedacht, wenn das jetzt eine Demo gewesen wäre in den 70er-Jahren, dann ist das klar, dann haben alle noch irgendwie George Harrison ,,My Sweet Lord" im Kopf und haben auch die Bilder von missionierenden Hare Krishna-Anhängern, also die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, die ihre Büchlein verteilen auf den Straßen. In der Spät-Hippie-Zeit war das immer noch so im Diskurs. Das ist es ja heute eigentlich nicht mehr, auch die Hare-Krishna-Gemeinschaft ist ja weitestgehend aus der sichtbaren Oberfläche vielfach verschwunden.

Aber da war offenbar eine Gruppe dabei, die eben typisch da mit ihren Trommeln unterwegs waren und dieses Mantra gechantet haben. Das ist eben eine neo-hinduistische Bewegung, die in den 60er-Jahren entstanden ist in New York durch Swami Prabhupada, der als neo-hinduistischer Missionar in den Westen kam, um eben die Gottesliebe in Gestalt der Krishna-Verehrung unter die Menschen im Westen zu bringen. Aber das ist eher, würde ich sagen, ein Zufall, dass die halt auch dort waren und dass dann andere da miteinstimmen in den Gesang.

Wie der eine Reporter, der es dann nicht mal identifizieren konnte, was singen die da, was ist das, kenne ich gar nicht. Das ist eigentlich eher anachronistisch fast und eher ein Zufallsprodukt, dass hier nun, weil da eben ein paar Hare Krishna-Anhänger eben das gesungen haben, dann auch mehrere da miteingestimmt haben. Das würde ich jetzt erst mal aus der Ferne versuchen so zu diagnostizieren – so wäre mein Eindruck zumindest.

Röther: Aber, was Sie auch schon sagten, es ist dann ja wiederum kein Zufall, dass eben Menschen, die dieses Mantra kennen, weil sie eben in esoterischen Kontexten unterwegs sind, dort anzutreffen sind. Um das noch mal aufzugreifen, Sie haben es eben schon angedeutet, weil die durchaus eben, ich sage mal weltanschauliche Berührungspunkte haben eben mit Reichsbürgern, Menschen, die an Verschwörungen glauben, Rechtsextremisten. Trifft man sich da in dieser gemeinsamen Ablehnung der bestehenden Ordnung oder in der Esoterik, was Sie genannt haben, dass man sich im Besitz einer höheren Wahrheit eben wähnt?

Grünschloß: Ja, das wäre schon so eine Gemeinsamkeit, das man sagt, die Welt ist hintergründiger als das, was uns die etablierten Medien, die etablierten Wissenschaften und natürlich auch die etablierten politischen Autoritäten weismachen wollen. Dieser Vorbehalt gegenüber der, ich sage mal Oberfläche der etablierten Diskurse, das wäre etwas, was sie alle gemeinsam haben.

Es kommt noch meines Erachtens ein wichtiger Punkt mit hinzu: Das ist, dass aufgrund der – trotz allen kleineren Fehlern, die man gemacht hat, aber doch auch aufgrund der relativ umsichtigen Corona-Politik, die in Deutschland relativ schnell dann ja begonnen hat als es klar wurde, die Pandemie droht, kennen die meisten von uns hier in Deutschland das Virus eigentlich nur vom Hörensagen. Und von daher ist es relativ leicht, zu behaupten, das ist unplausibel und der Lockdown, das alles ist überzogen, da ist eine andere Motivation dahinter als das, um diese angebliche Krankheit zu verhindern.

Gerade in der Anfangsphase der Corona-Pandemie gab es ja eine Fülle von esoterischen oder sagen wir mal ,,alternativen" Deutungen dessen, was hier im Gange ist: Dass es sich hier gar nicht um ein Virus handelt, sondern das sind Strahlen der Übertragungsmasten und what have you. Also eine ganze Reihe von alternativen Deutungsmustern.

Und das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Wir kennen es nur vom Hörensagen – und wenn man dann mit Beeinträchtigungen leben muss, dann kann man sich natürlich relativ leicht darüber hinwegsetzen und behaupten, diese ganzen Reduzierungsvorschriften, die sind unplausibel, ich kenne überhaupt niemanden, der das Virus gehabt haben soll. Das kommt auch noch mit hinzu.

Und dann eben das gepaart, sei es nun aus einer alternativen politischen Utopie, also ich sage mal einer Reichsbürger-affinen Ideologie heraus oder sei es aus einer esoterischen Weltdeutung heraus, wo man sagt, hier sind gewisse Mächte im Gange, die im Hintergrund ihre Fäden ziehen, auch in der esoterischen Weltdeutung gibt es ja Verschwörungstheorien, es muss nicht, aber es gibt sie, und so können dann natürlich so bestimmte Argumentationsmuster sich ergänzen. Und dass man zumindest da dann sich auf einer Demo zusammenfinden kann und sagen, wir haben einen gemeinsamen Feind, und das sind die etablierten, diskursmächtigen Größen, die uns hier was weismachen wollen.


Aus: "Esoterik, Rechtsextreme und Proteste gegen Corona-Maßnahmen ,,Gegen denselben Feind"" Andreas Grünschloß im Gespräch mit Christian Röther (02.09.2020)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/esoterik-rechtsextreme-und-proteste-gegen-corona-massnahmen.886.de.html?dram:article_id=483421

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Quote[...] Als am 28. Februar 1933 der Reichstag brannte, wurden die Flammen zum Fanal des Untergangs. Sie markieren das Ende der ersten deutschen Demokratie. Hitler, vier Wochen zuvor zum Reichskanzler ernannt, nutzte das Ereignis, um mittels der ,,Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" seine Macht auszubauen. Am vergangenen Wochenende war das Reichstagsgebäude wieder Schauplatz einer bizarren Versammlung. Antidemokraten versuchten, ein Zeichen zu setzen.

Die Grundrechte der Weimarer Verfassung galten nicht länger. Gegner des Nationalsozialismus, unter ihnen viele kommunistische Abgeordnete, wurden inhaftiert. Erste Konzentrationslager entstanden. Angst regierte. Wer konnte, floh. Der Theaterkritiker Alfred Kerr tauchte unter und rettete sich nach Prag. Seine Tochter Judith Kerr beschreibt den Abschied in ihrem Erinnerungsbuch ,,Als Hitler das rosa Kaninchen stahl".

Vorhergesagt worden war der Reichstagsbrand von Erik Jan Hanussen. Der ,,Hellseher" hatte das Übernatürliche zum erfolgreichen Geschäftsmodell gemacht. In seiner ,,bunten Wochenschau", einer astrologischen Zeitschrift mit einer sagenhaften Auflage von 140 000 Exemplaren, schrieb er von einem bevorstehenden kommunistischen Anschlag. Als er am 26. Februar 1933 in der Lietzenburger Straße einen ,,Palast des Okkultismus" eröffnete, orakelte er über einen Großbrand.

Hanussen hieß in Wirklichkeit Hermann Chajm Steinschneider, er war auch kein Däne – wie er behauptete –, sondern Österreicher und hatte seine Karriere als Zauberkünstler begonnen. Obwohl er Jude war, begeisterte er sich für Hitler. Hanussen/Steinschneider ist im März 1933 von einem SA-Kommando verhaftet und ,,auf der Flucht" erschossen worden. Lion Feuchtwanger diente er als Vorbild für den Telepathen Oskar Lautensack in seinem Gesellschaftsroman ,,Die Brüder Lautersack".

Die Verbindung von Esoterik, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus, wie sie sich bei der von der Initiative Querdenken 711 veranstaltete Berliner Corona-Demonstration zeigte, hat eine lange Tradition. Sie reicht mindestens ins 19. Jahrhundert zurück, im Kern handelt es sich bei dem ideologischen Amalgam um eine Gegenbewegung zur Moderne und ihren Zumutungen. Dabei flossen Heilserwartungen und Fortschrittsskepsis ineinander, immer schon ging es um alternative Wahrheiten. Auf komplizierte Fragen mussten einfache Antworten gefunden werden. Manchmal wurden sie auch von Toten gegeben, die bei spiritistischen Sitzungen zu reden begannen.

Esoterik, im Altgriechischen der Begriff für Innerlichkeit, bezeichnet einen anti-intellektuellen Weg zur Erkenntnis, der nur demjenigen zugänglich ist, der sich spirituell öffnet. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, von dem Historiker Joachim Radkau ,,Zeitalter der Nervosität" genannt, war eine Ära rasanten technischen Aufschwungs, boomender Industrialisierung und mäandernder Sinnsuche. Zwar waren Dampflok, Telegraf und das elektrische Licht erfunden worden. Doch was fehlte, war Orientierung.

In seinem Roman ,,Der Zauberberg" beschreibt Thomas Mann gleich zwei Wunder. Die in einem Schweizer Sanatorium versammelte Gesellschaft von Kranken und Genesenden lauscht staunend der aus einem Grammophon klingenden Musik, ,,es war ein strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses".

Kurz danach werden tischerückend Geister angerufen. ,,Ist eine Intelligenz zugegen?", wollen die Patienten wissen. Nach kurzem Zögern kippt das Glas auf dem Tisch, was heißt: Der Geist bejaht. Thomas Mann hatte selbst an einer spiritistischen Sitzung teilgenommen, bei der ein Taschentuch zum Schweben gebracht wurde. Eine Erfahrung, über die er später spottete.

Man mag den wilhelminischen Spuk für Hokuspokus halten, aber unterscheidet ihn wirklich so viel von den Methoden heutiger Kryptoaktivisten und Parawissenschaftler? ,,Mainstream"-Bezweifler erkennen in den Kondensstreifen von Flugzeugen (,,Chemtrails") Bedrohungslagen oder besitzen Geheimwissen über unterirdische Menschenexperimente (,,QAnon"). Und ist tatsächlich sicher, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe? In den Tiefen des Internets lassen sich die wildesten Thesen finden.

Esoterik ist eine Form der Gegenaufklärung. Sie unterliegt Moden, alles kehrt irgendwann wieder. Um 1900 war der Wunsch nach einem radikalen Neuanfang, nach Umdenken und Alternativen besonders groß. In der Lebensreformbewegung bündelten sich Sehnsüchte. Zu ihrem Symbol wurde der Monte Verità, Berg der Wahrheit, im Schweizer Kanton Tessin.

Dort trafen sich Pazifisten, Vegetarier, Aussteiger, Theosophen und Sonnenanbeter und schufen eine modellhafte, auf Partizipation und Gleichheit beruhende Kommune. Der Wunsch, zur Natur zurückzukehren, war groß. Nietzsche hatte in seinem Buch ,,Jenseits von Gut und Böse" den ,,homo natura" zum Vorbild ausgerufen.

Hermann Hesse kletterte nackt über Felsen, schlief in einer Holzhütte und ernährte sich von Beeren. Er hoffte, wie in seinem autobiografisch grundierten Roman ,,Peter Camenzind" formuliert, ,,auf den Herzschlag der Erde zu hören, am Leben des Ganzen teilzunehmen". Auch Erich Mühsam reiste an, sah sich aber von seiner Vision eines ,,großen sozialen Versuchs" enttäuscht.

Den Ernährungsregeln widmete er ein Schmähgedicht: ,,Wir essen Salat, ja wir essen Salat / Und essen Gemüse von früh bis spat. / Auch Früchte gehören zu unsrer Diät./ Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht."

Am Ende zerstritten sich die Gründer der Bergbehausung, wobei es auch um die Frage ging, wie sehr die Unterkunft kommerzialisiert werden solle. Doch die Ideen, die dort den Schritt von der Theorie in die Praxis schaffen sollten, leben weiter. Sie finden sich noch bei den Grünen, die sich 1980 in ihrem ersten Parteiprogramm gegen eine ,,eindimensionale Produktionssteigerungspolitik" wandten und forderten, ,,uns selbst und unsere Umwelt als Teil der Natur zu begreifen". Die Lebensreformbewegung, zu der auch Rudolf Steiners Anthroposophie gehört, verzweigte sich in sozialistische, anarchistische und völkische Stränge.

Verzicht zu üben, aufs Land zu ziehen und sich selbst zu ernähren, das blieb der Versuch, eine Utopie im Kleinen zu verwirklichen. Während der Weimarer Republik ließen sich mitunter linke gleich neben rechten Projekten nieder. ,,Heimland" nannte sich eine völkische Siedlung bei Rheinsberg, ins Leben gerufen von einem antisemitischen Publizisten. Nur wenige Kilometer weiter bei Neuruppin orientierte sich die Handwerkerkommune Gildenhall an sowjetischen Wirtschaftsformen und der Bauhaus-Ästhetik.

War der Nationalsozialismus nicht auch eine anti-rationale Bewegung, vielleicht die größte, die Deutschland hervorgebracht hat? Ihre Ideologie entwickelte sich aus rassistischen, sozialdarwinistischen und pseudoreligiösen Versatzstücken. 1943 – dem letzten Jahr, aus dem gesicherte Zahlen vorliegen – hatte die NSDAP 7,7 Millionen Mitglieder.


Aus: "Esoterik und Extremismus: Geister, die sie rufen" Christian Schröder (02.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/esoterik-und-extremismus-geister-die-sie-rufen/26144918.html

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Quote[...] Sie sprechen von "Menschlichkeit" und der "Harmonie des Universums", doch ihre Ideologie ist rassistisch. Sie halten sich für unpolitisch, aber bejubeln Holocaustleugner und besuchen Seminare von Rechtsextremen. Seit Monaten versuchen Anhänger der sogenannten "Anastasia-Bewegung", im Großraum Berlin Fuß zu fassen. An diesem Montag wollen sie sich auf einem Hof im Nordwesten Brandenburgs zur gemeinsamen Feier der Wintersonnenwende treffen.

Die Veranstaltung findet auf einem Hof bei Putlitz im Landkreis Prignitz statt. Organisiert wird sie von den Gründern des geheimen Telegram-Kanals ,,Familienlandsitz & Siedlungsforum", in dem sich derzeit 3300 Anhänger vernetzen.

Bei der Anastasia-Bewegung handelt es sich um einen ökoesoterischen Kult, der Menschen verspricht, sie könnten übersinnliche Fähigkeiten wie Hellsicht und Telepathie erlangen, wenn sie nur als Selbstversorger in die Natur ziehen . Sektenbeauftragte und Experten warnen, die Bewegung sei eine "Rutschbahn in den Rechtsextremismus". Neugierige, die lediglich im Einklang mit der Natur leben wollten, würden mit Ideen der Rassenlehre und brauner Esoterik indoktriniert.

Geistiges Idol der Bewegung ist eine Romanfigur: eine junge Frau namens Anastasia, die angeblich  in der Wildnis Sibiriens lebt. Erschaffen wurde sie vom russischen Autor Wladimir Megre, 70.

Sehr aktiv in der Gruppe ist der Rechtsextremist Frank Willy Ludwig aus Liepe bei Eberswalde. Er berät und belehrt Neuankömmlinge im Forum, klärt über die Bedeutung von Runen und Hexagrammen auf, möchte nach eigener Auskunft mit seinen "Erfahrungen dienen". 

Frank Willy Ludwig sagt, sein Auftrag sei, ,,das arische Wissen in den Stämmen wieder zu erwecken". Ludwig hält deutschlandweit Vorträge, in denen er etwa über die ,,Gesetze der Reinheit des Blutes" spricht und erläutert, warum die Menschenrassen unter sich bleiben sollten: Mischlinge hätten das Problem, nicht zu wissen, zu welchen Ahnen sie Kontakt halten sollten.

Zudem besitze jede Rasse ihre ,,eigenen Wahrnehmungskanäle". Arier hätten 16, Asiaten zwölf, Schwarze sechs.  Arier seien eigentlich Außerirdische und kämen vom Sternbild des Kleinen Wagens. Einmal sei versucht worden, ,,den Schwarzen ein Gewissen einzupflanzen", doch dann habe ,,man gemerkt, an den Genen darf man nicht rumpfuschen".

In der Telegram-Gruppe, die zur Feier am Montag einlädt, ist Ludwig eine Respektsperson.  Andere Mitglieder loben ihn für sein Wissen und seine Erklärkünste. Er selbst sieht sich als "göttliches Wesen bedingungsloser Liebe". Ludwig wirbt in der Gruppe auch für eine mehrtägige Reise nach Rügen, die er für Interessierte organisieren will. Dort könne er, gegen einen Unkostenbeitrag von 360 Euro, über wichtige Zusammenhänge aufklären.

In der Gruppe werden Tipps zur Verwendung von Heilkräutern geteilt, aber auch Holocaustleugner wie Ursula Haverbeck und Horst Mahler bejubelt. Nicht alle Forenteilnehmer haben die Anastasia-Bücher gelesen, einige wissen daher nichts von dem dort gepredigten Antisemitismus. Der Anastasia-Erfinder  Wladimir Megre schreibt  in einem Band etwa, Juden seien programmierte ,,Bio-Roboter". Sie hätten ,,die Presse verschiedener Länder unter ihre Kontrolle gebracht", die globalen Geldströme würden ,,zum größten Teil von Juden kontrolliert". Seit Jahrtausenden versuchten sie, ,,mit allen Mitteln so viel Geld wie nur möglich in ihren Händen zu konzentrieren".

Einer, der die Umtriebe der Anastasia-Bewegung seit längerem verfolgt, ist der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Martens. Im November hat er der Bundesregierung die Frage gestellt, ob die Anastasia-Bewegung inzwischen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder anderen Diensten beobachtet werde - und eine bemerkenswerte Auskunft erhalten.  Zum Beobachtungsstatus der Bewegung könne man keine Antwort geben, heißt es in der Antwort des Innenministeriums.  Und weiter: "Die angefragten Informationen sind so sensibel, dass auch die geringfügige Gefahr eines Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann."

Dies ist erstaunlich, denn erst im vergangenen Jahr hatte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) eine ähnliche Anfrage zur Anastasia-Bewegung gestellt. Damals wurde eine Beobachtung noch eindeutig ausgeschlossen.

Wo genau die Feier zur Wintersonnenwende stattfindet,  haben die Organisatoren lange geheim gehalten. Die exakten Koordinaten, die zu einem Hof am Rand  von Lütkendorf, einem Ortsteil der Stadt Putlitz, führen, wurden erst an diesem Wochenende verschickt. Ob der Betreiber der Hofs von der Gesinnung der Feiernden weiß, ist unklar. Für den Tagesspiegel war er am Sonntag nicht zu erreichen.

Dass die Feier wegen der hohen Infektionszahlen sowieso nicht stattfinden dürfte, ist den Anastasianern egal. Viele von ihnen leugnen die Existenz des Virus. Frank Willy Ludwig warnt allerdings davor, sich  auf Corona testen zu lassen. Diese Gelegenheit würde von den Herrschenden zur Zwangsimpfung genutzt.


Aus: "Rechte Öko-Sekte ,,Anastasia-Bewegung": Wo die Anhänger der Rassenlehre am Lagerfeuer feiern" Sebastian Leber (20.12.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/rechte-oeko-sekte-anastasia-bewegung-wo-die-anhaenger-der-rassenlehre-am-lagerfeuer-feiern/26735250.html

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Quote[...] Eine Mehrheit der AfD-Anhänger hält eine "Corona-Verschwörung" einer Umfrage zufolge mindestens für wahrscheinlich. In der von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 24 Prozent der AfD-Anhänger an, "es handele sich bei der Corona-Pandemie um eine Verschwörung zur Unterdrückung der Menschen", berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS). Weitere 41 halten dies demnach für wahrscheinlich.

Auch jenseits der AfD finden sich Anhänger von Corona-Verschwörungstheorien. Jeder Elfte - neun Prozent - hält es für wahrscheinlich, dass die Pandemie nur ein Vorwand zur Unterdrückung der Menschen ist. Weitere fünf Prozent sind sich da sogar sicher. Nach Parteien unterschieden sind bei Anhängern von Union, SPD und Linken neun bis zwölf Prozent sicher oder halten es für wahrscheinlich, dass es sich bei der Pandemie um eine Unterdrückung handelt, so die "FAS".

Trotz dieser Zahlen hat der Glaube an eine Weltverschwörung insgesamt aber abgenommen, heißt es dem Bericht zufolge in der Studie weiter. Vor der Corona-Krise seien elf Prozent der Deutschen sicher gewesen, die Welt werde durch geheime Mächte gesteuert - nun sind es noch acht Prozent. Vor Corona hielten weitere 19 Prozent es für wahrscheinlich richtig, dass geheime Mächte die Welt steuern - jetzt seien es mit 16 Prozent ebenfalls weniger. Nur bei AfD-Anhängern sei der Glaube an eine Weltverschwörung weiter gestiegen.

Quelle: ntv.de, jhe/AFP


Aus: "Umfrage zu Verschwörungstheorien Viele AfD-Wähler halten Corona für Erfindung" (Sonntag, 20. Dezember 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Viele-AfD-Waehler-halten-Corona-fuer-Erfindung-article22247897.html

Link

Sturm auf das Kapitol in Washington 2021
https://de.wikipedia.org/wiki/Sturm_auf_das_Kapitol_in_Washington_2021

Quote[...] Es stimmt, man kann die politischen Dynamiken der USA nicht einfach gleichsetzen mit denen Europas. Das gilt besonders auch für die rechte und rechtsradikale Bewegung, die in den USA völlig anders gelagerte Traditionen und Einflüsse als ihre europäischen Pendants hat. Religion, Sozialstaat, Homosexualität – zu all dem sind die Positionen teils konträr. Und eine Figur wie Donald Trump wäre in Europa wohl ähnlich unvermittelbar wie Viktor Orbán in den USA.

Doch der Sturm auf das Washingtoner Kapitol ist auch keine bloße spezifisch US-amerikanische Angelegenheit. Die politische Verwüstung in den USA hat derselbe Sturm ausgelöst, der auch über Europa tobt.

Der Angriff gewaltbereiter Trump-Anhänger auf das US-Parlament am Mittwoch war der vorläufig markanteste Auftritt einer globalen Bewegung, die trotz des Personenkults um den US-Präsidenten auch dann weiter wachsen würde, wenn Donald Trump selbst beschließen sollte, seine Zukunft fortan dem Klimaschutz zu widmen. Trump hat nur geerntet und kultiviert, was nicht nur in den USA gärt, sondern seit Langem auch in vielen anderen Gesellschaften des weißen Westens von Erfolg zu Erfolg eilt.

Dort wie hier ist eine extreme Rechte am Werk, die sich in den vergangenen Jahren radikalisierte und militarisierte und die sich zugleich in einem beängstigenden Maße für eigentlich gemäßigte Milieus anschlussfähig gemacht hat. Diese Rechte wird, dort wie hier, viel zu oft legitimiert von opportunistischen, meist konservativen oder liberalen Politikern aus dem demokratischen Spektrum.

Der Unterschied zwischen US-Senatoren, die Trumps Lügen von der Wahlfälschung bestätigen und deutschen Politikern, die behaupten, in Deutschland herrsche keine echte Meinungsfreiheit – wie groß ist er? Beide bestätigen jedenfalls eine rechtsradikale Behauptung, die die Existenz demokratischer Zustände bestreitet. Und wo keine Demokratie ist, das erschließen sich viele selbst, existiert natürlich das Recht, eine herbeizuführen. Mit welchen Mitteln auch immer, gegen jeden Widerstand.

Das Ergebnis dieser Kernerzählung ist dort wie hier etwas, das auf das genaue Gegenteil von Demokratie hinausläuft: Ein Teil der gesellschaftlichen Mitte, geplagt von Abstiegsängsten, verärgert über die Mitspracheforderungen Marginalisierter, akzeptiert sogar im Angesicht einer tödlichen Pandemie inzwischen nahezu jede Erklärung zur politischen Lage, solange sie nur nicht aus dem sogenannten Establishment stammt. Sei es die pauschale Ablehnung von Corona-Schutzmaßnahmen, sei es die Behauptung, eine Bande von Kinderschändern dominiere die Welt und werde nur noch von Donald Trump davon abgehalten.

Geliefert werden ihnen solche Erklärungen in den USA wie auch in Europa von einer gut geölten Aufmerksamkeitsmaschine voller politischer Marktschreier, Sektenführer, D-Promis und Rechtsradikaler, die hier als Immobilienmogule auftreten, dort als biedere Beamte und Ökonomen, als Kabarettisten oder als Intellektuelle, in deren Drehbuch aber immer etwa das gleiche steht: Ihr, die schweigende weiße Mehrheit, könnt nicht auf den guten Willen eurer Unterdrücker hoffen. Ihr müsst euch euer Land zurückholen. Und dieses Drehbuch bestimmt mittlerweile einen bedeutsamen Teil des politischen Geschehens in vielen westlichen Gesellschaften.

Auch wenn sich jetzt viele rechtsradikale Politiker distanzieren: Was im Kapitol passierte, gehört zu diesem Drehbuch und ist eng verwandt mit dem, was Rechtsextreme und die mit ihnen alliierten Milieus in Deutschland seit einiger Zeit versuchen: Es sind symbolische Landnahmen, Machtdemonstrationen gegen Institutionen der Demokratie. Sie sollen die Fantasie vom nahenden Umsturz bebildern, sie sollen Drastik und Dringlichkeit erzeugen, wenn sie mit kitschigen Melodien untermalt bei YouTube ihre Likes holen.

Wir haben das am Reichstag gesehen, wo Rechtsradikale die Treppen zum Parlament stürmten und knapp davon abgehalten wurden, ähnliche Bilder wie in Washington zu produzieren. Auch in Leipzig, wo der gewalttätige Kern der Corona-Leugner die Polizei überrannte und sich den ungehinderten Zugang zur Innenstadt erzwang. Es geschieht aber auch in viel kleineren Kontexten, zum Beispiel jüngst bei den Corona-Protesten in Pößneck in Thüringen, wo es wenigen Dutzend Demonstranten gelang, die Polizei in die Defensive zu treiben.

Dass sich nun in Washington Abgeordnete und Medienvertreterinnen unter Tischen verstecken mussten, dass ein bewaffneter Mob die Treppen hochstürmte und die Türen eintrat, während das Parlament im Begriff war, die Korrektheit einer demokratischen Wahl zu zertifizieren, das war ein weiterer Meilenstein für diese Bewegung und ihre Sympathisanten  – ganz gleich, ob die nun vor einem Wohnwagen in Utah oder der Uckermark sitzen. Die Botschaft an all diese Anhänger ist wieder: Der Endkampf zwischen uns und der angeblichen Diktatur steht bevor. Macht euch bereit, wir können siegen.

Ja, sie spüren, dass sie siegen können. Sie spüren, dass sie Dinge bewirken, die sie vor Kurzem noch für unmöglich gehalten hätten. Sie fühlen wohl so etwas wie den wind of change. Solch ein erhabenes Gefühl lässt sich niemand kaputtmachen. Deshalb wird sich diese Bewegung nicht durch Kompromiss und Versöhnung eindämmen lassen, wie es vielen offenbar noch immer vorschwebt. Vom Freiheitskämpfer zum CDU-Wähler, diesen Weg werden nicht viele gehen, so oft konservative Hardliner ihnen auch das Wort reden. Warum sollten sie?

Das Beunruhigende sind nicht nur die Rechtsradikalen, sondern auch die, die sie gewähren lassen, hier wie in den USA. Der Autoritarismus, das lehrt auch die Geschichte, braucht nicht unbedingt Mehrheiten, um die Macht zu erhalten oder auszubauen. Was er braucht, ist Angst unter seinen Gegnern. Hilfreich ist auch ein sich in der neutralen Mitte ausbreitendes Gefühl, dass seine Machtübernahme auf kurz oder lang unvermeidlich ist und dann von Dauer ist. Und er braucht Sicherheitsorgane, die bereit sind, im Ernstfall mit ihm die Verfassung zu beugen. Und da sind wir beim nächsten Problem.

Der Überfall auf das Kapitol war auch in dieser Hinsicht ein Fanal. Er hätte ja durchaus auch zu einer demoralisierenden Veranstaltung werden können. Dann nämlich, wenn der Staat auf eine Art und Weise durchgegriffen hätte, die die Gewalttäter eingeschüchtert oder gar gedemütigt hätte. Wenn Bilder von auf den Boden gefesselten oder flüchtenden Trump-Anhängern um die Welt gegangen wären. Wir erinnern uns an die Bilder vom Sommer, als der US-Präsident skandalöserweise friedliche Black-Lives-Matter-Demonstranten verprügeln und vertreiben ließ, um sich vor einer Kirche mit einer Bibel zeigen zu können.

Dieses Mal, im Angesicht gewalttätiger rechter Möchtergernputschisten, war wenig von einer hochmilitarisierten und -motivierten Polizei zu sehen. Die Sicherheitskräfte waren nicht nur grotesk unvorbereitet. Sie gingen auch mit einer Milde vor, die auffiel. Die Bilder der Gewalttäter, die nicht in Handschellen abgeführt, sondern freundlich aus dem Gebäude heraus begleitet wurden oder Angreifern, die Selfies machten mit Polizisten, sind eine zweite Botschaft der Rechtsradikalen. Sie geht an ihre Gegner und lautet: Seid ihr sicher, dass euch die Polizei schützen wird, wenn es ernst wird?

Auch hier lässt sich eine Parallele zwischen den USA und Europa ziehen. Die Sicherheitsorgane, die Armeen, die Geheimdienste, die Polizeien sind, seien wir ehrlich, bisher höchst eingeschränkt hilfreich im Umgang mit der autoritären Welle. In Deutschland sind die vielen Geschichten von verschwundener Munition, geheimen Prepper-Netzwerken und rassistischen WhatsApp-Gruppen Anlass zu höchster Sorge. Und Washington hat auf beunruhigend deutliche Weise gezeigt, wie nahe die Rechtsradikalen ihren Umsturzfantasien kommen können, wenn die Polizei nur einfach nicht konsequent gegen sie vorgeht.

Natürlich gibt es auch Hoffnung. Sie zeigte sich genau an jenem schrecklichen Tag von Washington. Es war die Nachricht, dass der jahrzehntelang republikanisch regierte US-Bundesstaat Georgia nach der Wahl Joe Bidens im November zwei weitere Male demokratisch gewählt und so dem neuen Präsidenten eine Mehrheit im Senat verschafft hat.

Die tiefere Bedeutung dieser Nachricht geht weit über den Mehrheitswechsel im Senat hinaus. Der Sieg in Georgia war nämlich vor allem deswegen möglich, weil die schwarze Demokratin Stacey Abrams und ihre Anhänger dort mit ihrer Initiative seit Jahren unter den Schwarzen mobilisiert hatte, denen dort schon immer das Wählen besonders schwer gemacht wurde.

Man darf das nicht vergessen: So furchterregend und machtvoll die Nationalautoritären wirken mögen – sie sind eine Minderheit und sie kommen aus der Defensive. Sie fürchten Gesellschaften, in denen die bisher Marginalisierten gleichberechtigt mitreden dürfen. Sie wissen, dass sie vor allem dann eine Chance haben, wenn jene Menschen, die betroffen sind von ihrem Rassismus, nicht gehört werden, nicht wählen und sich nicht politisch beteiligen. Tun sie es doch, wendet sich das Blatt, in den USA wie in Europa.

Das ist die Möglichkeit, den rechtsradikalen Vormarsch zu beenden: eine offenere Gesellschaft, die nicht ständig auf das rechte Geschrei hört, sondern wirklich daran arbeitet, allen Teilhabe zu ermöglichen. Die Demokratie selbst, in ihrem eigentlichen Sinne, als Beschützerin aller Minderheiten, ist das beste Rezept gegen das, was jetzt in Washington geschehen ist. Dort wie hier.


Aus: "Rechtsextremismus: Es geht nicht um Donald Trump" Ein Kommentar von Christian Bangel (9. Januar 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-01/rechtsextremismus-globale-bewegung-angriff-us-kapitol-washington-faschismus/komplettansicht

Quoteroterdrachen #71

"Es geht nicht um Donald Trump."

Ja und nein. D.T. hat jetzt in den letzten ca.5 Jahren überall auf der Welt und mit viel Medienaufmerksamkeit als "negativ" Role-Model gezeigt, wie er und seine Truppe systematisch demokratische Normen zerlegt. ...


QuoteMagermilchbande #46

Es sind die Methoden, die bereits vor hundert Jahren Gesellschaften in Diktaturen getrieben hat. Genau darum müssen wir um eine freie Gesellschaft kämpfen, die alle Bürgern teilhaben lässt. Das Geschrei aus der rechten Ecke wird dann keine Opportunisten mehr anziehen. Ich bekomme den Vergleich nicht aus dem Kopf, dass der gewaltsame Marsch in den USA genauso zur Legendenbildung genutzt wird wie der Marsch auf die Feldherrenhalle oder schlimmer noch, die Dolchstoßlüge. Diese Dinge wirken über Generationen nach, noch heute höre ich in Gesprächen, dass das deutsche Militär 'im Feld ungeschlagen' gewesen sei.


QuoteAlexander Leister #34

Die Rattenfängerei vieler Parteien konnte ich noch nie nachvollziehen. Wer erst einmal so weit abgedriftet ist, dass er an QAnon und Co. glaubt und auf den Quarkdenker-Demos mitläuft, den kriegt man nicht mehr als "normalen" Wähler zurück. Es muss bei diesen Leuten, salopp gesagt, immer erst "einen Schlag tun", damit die (wieder) mit dem Nachdenken anfangen und evtl. wieder zurück finden. Sieht man ja auch an vielen Aussteigern im rechtsradikalen Milieu. Sicher, damit Leute so werden ist vorher schon einiges falsch gelaufen, da muss man ran. ...


QuoteDoubleUD #77

Ursachenbekämpfung und nicht nur an den ansetzen Symptomen anzusetzen, wäre mMn. mal eine interessante Gangart. Ungleichheit und mangelnde Bereitschaft sich den wahren eigenen Ängsten zu stellen, sorgen für das Chaos dessen Erscheinungsilder sich in Rassismus, Gewalt und den Ruf nach starken Männern an der Spitze äußern. Das Bedürfnis das Capitol zu erstürmen steht für einen kurzen Moment der Überwindung der eigenen Ohnmacht. Warum ist das Vertrauen dieser Leute in die gegebene Ordnung nicht existent? Arm wird gegen noch Ärmer ausgespielt.

Die Medien reagieren seit jahren reflexartig auf jeden neuen Nonsensschafelnden Demagogen und bieten ihm eine Bühne. Reichweitengenerierung und Wettbewerbsfähig bleiben wird größer geschrieben als neutrale und aufklärende Berichterstattung und Rückkopplungseffekte die sich aufgrund der immer schneller und unübersichtlicher werdenenden Informationsdichte verstärken. Die selben Medien die Trump verdammen haben ihn zuvor groß gemacht.

Es ist einfach auf Rednecks und Nazis als Störenfriede und Außenseiter zu blicken die sich böswillig nicht in die Gesellschaft integrieren möchten. Ich blicke auf arme, verängstige Menschen.
Die Digitalisierung in Verbindung mit Corona katylysiert und beschleunigt Prozesse die schon vorher statgefunden haben und legt deutlich offen und was für einer Welt wir uns eigentlich befinden.

Es bleibt der Wunsch für mehr Nachhaltigkeit, Vernunft und Emphatie im Sinne unserer Nachfolgegenerationen.


Quoteklaurot #26

Der Mob, der das Kapitol angriff, ist Teil einer globalen Bewegung, die ihn überleben wird, in den USA wie hier. * Man kennt das: Wenn das Establishment versagt, übernimmt der Mob. Vielleicht sollte sich das Establishment mal an die eigene Nase fassen. ...


QuoteParviflorum #31

Das ist die amerikanische Demokratie und dieser "Mob" ist ganz klar ein Teil des Volkes. Man wanderte in die USA aus, um seinen speziellen Glaubensvorlieben huldigen zu können. Dieser Mob ist nur eine andere Variante von Diversität. Man sollte sich nicht einen Teil der Diversität herauspicken (ihn auch noch passend verformen) und dann glauben, das wär's.

Trump hat allerdings einen wesentlichen Anteil an den Vorkommnissen im Kapitol. Hätte er seine Abwahl akzeptiert, wäre dort nichts gewesen. Doch dass so viele Menschen überhaupt bereit für den Glauben sind, die Wahl könne ein Betrug gewesen sein, hat nichts mit Trump zu tun und wird auch nicht mit ihm verschwinden. Das ist dies Misstrauen in die Herrschaft, in die "Eliten". Es hat nichts mit Bildung zu tun und es ist durchaus denkbar, dass dieses Misstrauen noch erheblich zunehmen wird. Die einzig sinnvolle Reaktion darauf ist meines Erachtens mehr Demokratie und mehr Transparenz.


QuoteMagMag #13

Es geht sehr wohl um Donald Trump. Er ist es, der die Menschen in Amerika 4 Jahre lang gegen das System aufgehetzt hat. Der Hass verbreitet hat, die die Menschen dazu aufgerufen hat, das Kapitol mit Gewalt zu stürmen.

Dass diese Menschen auch nach einer Verurteilung Trumps weiterhin extremisten bleiben, ist klar. Dass sie weiterhin versuchen werden, das System gewalttätig zu bekämpfen ebenfalls. Aber Einfach zu behaupten, dass es nicht um Trump ginge, es absolut falsch. Trump hat all diesen Hass und die Verachtung für die Demokratie gefördert, genährt und vorangetrieben. ...


QuoteLord Schelmchen #16

Das war ein Warnschuss, der weltweit gehört wurde. Man kann schon den Eindruck haben, dass über die Jahrzehnte Linke verteufelt und Rechte verharmlost wurden. Ich denke, mit der Verharmlosung der Rechten ist es vorerst einmal vorbei. Ein Effekt, der so von den Aufwieglern vermutlich nicht gedacht war.


Quotevincentvision #19

Es ist überall dasselbe: Die Abgehängten, oder noch schlimmer: die gefühlt Abgehängten rebellieren.

Sie sitzen nicht in den glitzernden Hotspots der Metropolen, deren Zerrbilder ihnen 24/7 in allen Breitband-Medien vorgeführt werden.
Sie sitzen in Mittelengland, im mittleren Westen der USA, in Anatolien oder in Chemnitz.
Sie sitzen in der Provinz ihrer Länder, voller Ungewissheit und voller Ängste, dem 21. Jahrhundert und seiner globalisierten Schnelligkeit nicht mehr genügen zu können.
Und dann kommen sie - die Johnsons, die Trumps, Erdogans, Meuthens und Salvinis.
Sie stoßen erbarmungslos in das Vakuum aus Sorgen, aus Überdosis an Informationen und Verunsicherung.
Und liefern - vereinfachte Lösungen, Fremdenfeindlichkeit, Abschottung, Land xy zuerst, Parolen und Sündenböcke.
Und hetzen - gegen Fremde, Bedürftige, alles Etablierte und deren Berichterstatter.
Und ihre Alternativen sind keine Alternativen, weil auch sie keine Zeitmaschine haben.
Aber sie haben polternde Parolen, zu simple Ideen für zu simple Geister, rhetorische Taschenspielertricks und die nötige Skrupellosigkeit, ihr Volk damit zu missbrauchen.
Es ist überall dasselbe: Sie verarschen ihr Land, seine Menschen und hinterlassen zerrüttete Demokratien und zerstörte Werte. ...


QuoteMarillengeist #39

"Das Beunruhigende sind nicht nur die Rechtsradikalen, sondern auch die, die sie gewähren lassen, hier wie in den USA."

Beunruhigend sind auch die, die im Hintergrund agieren und alles finanzieren, zB die Geldgeber einer Plattform wie Parler. Wie hieß sie doch gleich? Rebekah Mercer. Das sind keine Underdogs, die in Wohnwagen leben und keine Zuhause haben. Ganz im Gegenteil!


Quoteumbhaki #39.1

>Das sind keine Underdogs, die in Wohnwagen leben und kein Zuhause haben. Ganz im Gegenteil!

Richtig! Das ist tatsächlich etwas, das im Artikel unerwähnt bleibt.
Der Mob, das sind diejenigen, die sich bedroht und auf dem absteigenden Ast sitzend empfinden (oft durchaus zu Recht). Die veranstalten die offensichtlichen Schweinereien.
Sie werden aber unterstützt, im Sinne von benutzt, von Leuten, die im Hintergrund strategisch wirken. Sie erwähnen Rebekah Mercer, spontan fallen mir dazu noch die Koch-Brüder ein. Es wird weitere geben.
In Europa läuft das wohl kaum anders: Wir wissen von ,,dubiosen", also der Herkunft nach verschleierten, Spenden an die AfD und ahnen, dass der Sumpf wohl viel größer ist als uns bekannt, und dass er nicht nur die AfD betrifft. Jüngst wies Herr Röttgen, ein maßgeblicher Außenpolitiker der CDU, im Fernsehen darauf hin, dass seine Partei den US-Reps näher stehe als dem Dems. Jener Partei also, die in den USA über Wahlbetrug schreit, während sie ihn selbst extensiv begeht (,,Gerrymandering", Ignorieren von Wahlberechtigungsscheinen Farbiger, Abschaffung von Wahllokalen in demokratieverdächtigen Orten).


QuoteEinFriese #57

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den USA und Deutschland übersieht der Kommentar: Deutschland ist schon einmal und zwar schon vor der Machtergreifung der Nazis (Straßenschlachten, Ausschaltung der Legislative durch Notverordnungen, Preußenschlag) an einem viel schlimmeren Punkt als die USA angelangt und hat daraus die Lehren gezogen.
In den USA gibt es die Doktrin der "clear and present danger", die zwar Exekutive und Legislative weitreichende Vollmachten gibt, auf der anderen Seite nicht den Anfängen wehren kann.
Das Konzept der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und seine Bewehrung in Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2-4 Grundgesetz ist da deutlich robuster ausgelegt und die Demokratie muss nicht untätig warten, bis eine echte Gefahr entstanden ist.
Die letzte wesentliche Verfassungsreform in den USA fand 1920 statt (Wahlrecht für Frauen), die letzte, die den Aufbau der Verfassungsorgane betraf, sogar schon 1913 (Direktwahl der Senatoren). ...


QuoteMoralaposteln #65

Das nennt man Faschismus und ist dem Kapitalismus immanent! Leider trauen sich das unsere bürgerlichen Journalisten nicht zu auszusprechen, oder sie checken es wirklich nicht. ...


QuoteLudwig van Wegen #70

Hier haben Bild und Co. jahrzehntelang die Grundlagen bereitet. Mit den neuen medialen Gegebenheiten hat sich lediglich verselbstständigt.


QuoteKopfGeist #78

Gefährlich wird es, wenn diese Leute irgendwann in der Zukunft von einem fähigen Menschen angeführt / angestachelt werden und nicht von einem instabilen Trump.

Genährt wird der Boden aber durch gut organisierten Leute im Hintergrund wie den Mercers (Cambridge Analytica und Parler), den Koch Brüdern und Murdoch. Bewegungen wie QAnon sind ein perfekten Vehikel für diese Menschen.

Diese Leute haben es geschafft Fakten als Fake News zu deklarieren und echte Quellen als Fake News. Wir brauchen dringend(!) ein Pflichtschulfach Medienkunde, damit unsere Kinder von klein auf lernen wie man mit Informationen umgeht.


...

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Quote[...] Rechtsextreme vor Gericht - Erfurt Die Angeklagten von Stuttgart sind nicht die einzigen Rechtsextremisten, die derzeit vor Gericht stehen. In Erfurt wird gerade gegen elf Personen verhandelt. Sie sollen bereits 2014 eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Thüringen) brutal überfallen haben. Ein erstes Urteil wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben, vor einer Woche startete der Prozess neu.

Frankfurt am Main Dort begann vor wenigen Tagen das Verfahren gegen den Ex-Bundeswehrsoldaten Franco A., dem vorgeworfen wird, getarnt als syrischer Flüchtling einen Anschlag vorbereitet zu haben.

München Hier läuft ein Prozess gegen eine Rechtsextremistin, die der Splitterpartei ,,III. Weg" anhängt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Anschlagsplanungen auf Kommunalpolitiker, Muslime und Polizisten vor.

Frankfurt am Main Im Januar wurde der Mörder von Walter Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt. Stephan Ernst hatte den Kasseler Regierungspräsidenten aus Wut über dessen Kritik an Geflüchtetengegnern erschossen.

Magdeburg Zuvor hatte bereits Stephan B. eine lebenslange Haftstrafe erhalten, der im Oktober 2019 die Synagoge in Halle und einen Dönerimbiss angriff und zwei Menschen tötete. (KO)

...

Wer Rechtsextreme weinen sehen will, hat dazu derzeit im Gerichtssaal von Stuttgart-Stammheim Gelegenheit dazu. Stefan K., ein schlanker Brillenträger mit kurz geschorenem Haar und weinrotem Ringelpulli, kommt am fünften Prozesstag ins Schluchzen, als er von seiner kleinen Tochter erzählt, die der 32-Jährige mit auf Nazitreffen genommen habe. Es sei ein dummer Fehler gewesen, mit ihr den Film ,,Er ist wieder da" zu schauen. Ja, er hätte widersprechen sollen, als sie gesagt hat: ,,Papa, schade, dass der echte Hitler nicht mehr lebt." Er hätte nicht nur sagen sollen, dass sie das nicht in der Öffentlichkeit sagen darf.

Auch Thorsten W., zuletzt Regierungsamtsinspektor im Polizeipräsidium Hamm in Westfalen, bekommt feuchte Augen, wenn er auf seine Tochter zu sprechen kommt. Seit er in Untersuchungshaft sitzt, habe er keinen Kontakt mehr zu ihr. Er habe doch nur gedacht, er beteilige sich an einem Treffen übers Mittelalter, beteuert W. Die zwei Ausgaben von Hitlers ,,Mein Kampf" und andere NS-Devotionalien, mit denen er sein Arbeitszimmer daheim ausgestattet hatte, seien seinem geschichtlichen Interesse am Zweiten Weltkrieg geschuldet. Ja, das Foto mit dem Hakenkreuz-Handtuch aus dem Badezimmer sei eine Dummheit und auch das ein oder andere Bild, das auf seinem Computer gefunden wurde, sei vielleicht doch antisemitisch.

Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer hat ein Talent, Beweismittel dramaturgisch so geschickt einzuführen, dass sich die Angeklagten immer mehr in ihren Rechtfertigungen verheddern. Anderer zeigt ein Bild von einem Hakenkreuz aus Bügelperlen, das bei Thorsten W. im Blumentopf steckte. Das sei ein missglücktes Experiment gewesen, sagt der Mittelalter-Fan. ,,Wenn ich gewusst hätte, dass es eine Durchsuchung gibt, hätte ich es weggetan." Der Saal lacht.

So irre ihre Rechtfertigungen klingen mögen, so gefährlich sind womöglich jene zwölf Männer, die seit Mitte April im Stammheimer Gerichtssaal hinter Panzerglasscheiben sitzen. Im Februar 2020 ließ die Bundesanwaltschaft sie in sechs Bundesländern festnehmen. Der Vorwurf: Sie hätten eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet und Anschläge auf Moscheen und Grünen-Politiker geplant. So hätten sie Gegenreaktionen provozieren und einen Bürgerkrieg anstiften wollen.

Angeführt wurde der Trupp von Werner S., einem 55-jährigen Trödelhändler aus dem kleinen bayerischen Dorf Mickhausen, vielfach vorbestraft und Mitangeklagte bezeichneten ihn als ,,charismatischen Typen". Nach ihm benennen die Ermittler die ,,Gruppe S.".

All das klingt, als hätten die Behörden einen zweiten Nationalsozialistischen Untergrund ausgehoben und Anschläge wie in Hanau oder Halle verhindert. Ein halbes Jahr lang hatte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Gruppe auf Schritt und Tritt überwacht, am Ende auch die Bundesanwaltschaft. Dann erfolgte der Zugriff. Die Ermittler stießen auf Handgranaten, eine Neun-Millimeter-Pistole, eine selbst gebaute Flinte, Dutzende Messer, eine Armbrust. Und massenweise brachialer Chats.

Seit vier Wochen wird den zwölf Rechtsextremen deshalb in Stuttgart der Prozess gemacht. Bis auf Stefan K. und Thorsten W. schweigen alle Angeklagten. Sie sind Fliesenleger, Krankenpfleger, Installateure oder Arbeitslose. ,,Prekariat" sei auf der Anklagebank versammelt, das zu komplexeren Planungen gar nicht in der Lage gewesen wäre, sagt ein Verteidiger. Aber so pauschal stimmt das nicht. Einige von ihnen hatten eine bürgerliche Existenz zu verlieren, sind selbstständig und Familienväter. Thorsten W. ist gar Verwaltungsangestellter bei der Polizei, im Verkehrskommissariat. Sie können sich ausdrücken, W. zum Beispiel debattiert mit dem Gericht über die Interpretation von Beweisstücken.

Was die Angeklagten eint, ist ihre rechtsextreme Gesinnung, das stellen nicht einmal die Verteidiger in Frage. Ein Hass auf die Regierung, auf die liberale Gesellschaft, auf Linke und Migranten. Aber Gesinnungen sind, daran erinnert der in rechten Kreisen beliebte Anwalt Günther Herzogenrath-Amelung im Prozess, ,,nicht strafbar". Und fügt sybillinisch hinzu: ,,Wir wollen ja nicht zurück in die Diktatur des Herrn Hitler oder der SED."

Aber die Angeklagten beließen es nicht bei Privatmeinungen. Seit Jahren tummeln sie sich im rechtsextremen Milieu – in Bürgerwehrgruppen mit klingenden Namen wie ,,Freikorps Heimatschutz", ,,Wodans Erben Germanien" oder ,,Vikings Security Germania". Mit ihnen liefen sie Patrouillen, um vermeintliche Migrantengewalt und einen Kontrollverlust des Staates zu inszenieren.

,,Wodans Erben" machten Schlagzeilen, als sie in eine bayerische Asylbewerberunterkunft eindrangen und mit Fackeln zum Nürnberger NS-Reichsparteitagsgelände marschierten. Die ,,Vikings Security" gab sich rockerähnlich mit Kutten, erklärte: ,,Freiheit wird nicht erbettelt, sondern erkämpft." Und beim ,,Freikorps Heimatschutz" hieß es unverhohlen: ,,Die Mitglieder dieser Gruppe bereiten sich auf den Tag vor, an dem es zu einem Krieg kommt und es um die Verteidigung unserer Familien und dem Vaterland geht."

Folgt man der Anklage, sollte es nicht bei Streifzügen bleiben. Die Frage, die das Oberlandesgericht nun klären muss, lautet: Wie ernst waren die Terrorpläne der ,,Gruppe S."? Der frühe Zugriff vom Februar 2020, der Menschenleben gerettet haben könnte, macht es für die Anklage knifflig. Was von den vielen Tausend Chatprotokollen und den stundenlangen Telefonmitschnitten war Maulheldentum? Was war echter Anschlagsplan?

Um dies zu klären, ist einer der Angeklagten entscheidend: Paul-Ludwig U. Ein Spitzel. Auch der 49-jährige Arbeitslose schweigt im Prozess. Mit seinem Dreitagebart und den kurzen grauen Haaren sieht er zehn Jahre älter aus, als er eigentlich ist. Er ist derjenige, dem die Behörden ihren Ermittlungserfolg verdanken. Über Monate hielt er die Ermittler über die Aktivitäten der ,,Gruppe S." auf dem Laufenden – und sorgte auch für den Zugriff. Seitdem befindet er sich in einem Zeugenschutzprogramm. Als Einziger der Angeklagten ist er nicht in U-Haft, sondern kommt auf freiem Fuß in den Saal.

Paul-Ludwig U. ist eine schwierige Figur. Mehr als 20 Jahre seines Lebens verbrachte der Alleinstehende in Gefängnissen, voraus ging eine harte Drogenkarriere. U. wurde wegen zwei Geiselnahmen verurteilt, wanderte wegen angeblicher psychischer Probleme in den Maßregelvollzug. Er klagte dagegen und bekam recht.

Auf freiem Fuß habe er das Internet für sich entdeckt, erklärte Paul-Ludwig U. den Ermittlern und sei zufällig in rechte Chatgruppen und an Werner S. geraten. Dort habe er von den Gewaltplänen erfahren. Er sei schockiert gewesen, habe diese verhindern wollen. Nur deshalb habe er bei der ,,Gruppe S." mitgemacht. Auch dies ist eine Behauptung, die der Stuttgarter Prozess überprüfen muss.

Tatsächlich meldete sich Paul-Ludwig U. aus eigenem Antrieb beim Verfassungsschutz, zunächst ohne Reaktion, später ging er zur Polizei. Er tat dies nicht zum ersten Mal, schon in den Vorjahren hatte er der Polizei vermeintliche Straftaten gemeldet. Nun saß er am 1. Oktober 2019 im Polizeipräsidium Heilbronn. Laut Ermittlungsunterlagen eröffneten ihm die Beamten, dass er als Beschuldigter einer terroristischen Vereinigung geführt werde. Paul-Ludwig U. entgegnete: Dieser Status müsse sich ändern. Er könne sich vorstellen, als Quelle geführt zu werden. Die Beamten reagierten nicht direkt, ließen aber später klarstellen, dass U. auf eigene Initiative seine Meldungen mache. Und tatsächlich informierte dieser das LKA in den Folgewochen immer wieder über Treffen der ,,Gruppe S.", übermittelte Chatnachrichten, verriet Pläne.

Und er berichtete auch über ein erstes Treffen der ,,Gruppe S.", das Ende September auf einem Grillplatz an einer Mühle im Wald stattfand. Die Begegnung an der ,,Hummelgautsche" bei Alfdorf in Baden-Württemberg ist für die Ermittler das Gründungstreffen der ,,Gruppe S.". Knapp 20 Rechtsextreme um Werner S. kommen hier zusammen.

Man kennt sich aus Chatgruppen oder Bürgerwehren. Man müsse etwas tun und sich vernetzen, ist sich die Runde einig. Afrikaner und Asylheime werden laut Paul-Ludwig U. als Ziele deklariert, ebenso die grünen Politiker Anton Hofreiter und Robert Habeck. Einer der Angeklagten, der Niedersachse Tony E., habe geprahlt: 2.500 Leute bekomme man zusammen, wenn es ernst werde. Dann habe man Wurfübungen mit Äxten gemacht sowie mit Pfeil und Bogen geschlossen. Werner S., der Wortführer, habe auch eine Pistole aus einer Sporttasche in seinem Auto geholt. Er habe ihm das Magazin gezeigt, berichtete U. den LKA-Leuten. Es sei scharfe Munition darin gewesen.

Paul-Ludwig U. beeindruckte die ,,Gruppe S." mit seiner Knastkarriere. Er sei ein ,,besonderes Kaliber", sagt Werner S. später anerkennend in einem abgehörten Telefonat. ,,Der Mann hat nichts zu verlieren." In der Gruppe präsentiert sich Paul-Ludwig U. später als Vertreter der ,,Bruderschaft Deutschland", einer Bürgerwehrtruppe aus Nordrhein-Westfalen mit einem Süd-Ableger. ,,Unser Blut für Familie, Volk und Vaterland", lautet einer ihrer Slogans. Er habe eine Vollmacht des ,,Bruderschaft"-Anführers Ralf N., prahlt Paul-Ludwig U.

Es bleibt nicht bei dem Treffen in Alfdorf. Nur wenige Tage später besuchen Werner S., Paul-Ludwig U. und weitere eine rechtsextreme Demonstration in Berlin, wo die Polizei dem Bayer verbotene Quarzsandhandschuhe abnimmt. Am 8. Februar 2020 kommt es schließlich zu einem Treffen im westfälischen Minden, im Haus des Angeklagten Thomas N., einem Fliesenleger, wo die genauen Terrorpläne besprochen worden sein sollen.

Es ist vor allem Werner S., der die Gruppe immer wieder anheizt. Im Prozess sitzt der schmale Mann mit schwarzem Bart und blau-schwarz-kariertem Holzfällerhemd unauffällig zwischen den anderen Angeklagten. Der Trödelhändler ist wegen Betrugs, Erpressung oder Missbrauch von Titeln vorbestraft. In einer der Chatgruppen, in denen er unter anderem als ,,Teutonico" firmierte, ätzte er über ,,Schwätzerpatrioten" und suchte Mitstreiter für einen ,,Freiwilligenverband zur Kräftemobilisierung" und eine ,,Ausbildung im militärischen Sinne". Einmal sagte S., er brauche Leute, die ,,intelligent, hart, brutal" seien. Oder: ,,Ohne Opfer wird's nicht gehen." Immer wieder beschwor er, man brauche Waffen, was er in Telefonaten mit Codes wie ,,Ebikes" oder ,,Tretroller" kaschierte.

Auch das Treffen in Minden bewarb Werner S. damit, dort würde ,,Krieg besprochen". Alle Angeklagten, auch Paul-Ludwig U., fanden sich dort ein. Thomas N. zeigte seine Messersammlung, seine Frau brachte Kartoffelsalat und Bockwurst. Handys blieben in den Autos, teils eingewickelt in Alufolie. Über mehrere Stunden wurde bei Tisch diskutiert. Am Ende soll Werner S. gedroht haben: Wenn Informationen den Raum verließen, dann werde diese Person getötet.

Paul-Ludwig U. fuhr dennoch direkt nach diesem Treffen in ein Restaurant und rief beim LKA an. Anschläge auf Moscheen habe die Gruppe geplant, gab er durch. Auf Frauen und Kinder wolle man keine Rücksicht nehmen. Die Anwesenden hätten auch zugesagt, 50.000 Euro zusammenzulegen, um Waffen zu kaufen, in Tschechien und über einen bayrischen Mittelmann der ,,Wodans Erben". Die Ermittler waren alarmiert. Sechs Tage später ließ die Bundesanwaltschaft die Rechtsextremen festnehmen.

Doch wie glaubhaft ist dieser Paul-Ludwig U.?

Die Verteidiger der anderen Angeklagten ziehen seine Glaubwürdigkeit gezielt in Zweifel. Er habe während der Treffen ständig harte Drogen konsumiert, sagen die beiden gesprächigen Angeklagten aus. Er sei es gewesen, der zur Gewalt aufgerufen habe. Der Angeklagte Stefan K. erklärt: ,,Werner S. hat das Feuer entfacht, U. hat Öl hineingeschüttet."

Tatsächlich räumte auch Paul-Ludwig U. vor Ermittlern ein, auf dem Mindener Treffen die Anschläge als ,,richtigen" Weg bezeichnet zu haben. Man dürfe auf nichts Rücksicht nehmen. An anderer Stelle schrieb U.: ,,Ich kann auch nicht jeden N**** killen, den ich seh'. Würde es gern, aber das kommt noch." Vor den Ermittlern rechtfertigte er sich: Dies sei doch nur Teil seiner ,,Rolle" gewesen.

Die Ermittler halten seine Aussagen für glaubwürdig. Zwar neige er zu Übertreibungen, heißt es dort. Da aber auch die Kommunikation von U. über Monate überwacht wurde, waren seine Angaben überprüfbar – und hätten sich bewahrheitet.

Die anderen Mitglieder der ,,Gruppe S." aber wurden nach dem Mindener Treffen misstrauisch gegen Paul-Ludwig U. Er selbst hatte berichtet, ihn habe ein schwarzer BMW verfolgt. Den Ermittlern sagte er, er bekomme Panik und würde sich am liebsten eine Waffe zum Eigenschutz besorgen. Dann tauchte er ab.

Die Angst war nicht unbegründet. Noch aus der Haft heraus soll Werner S. einem italienischstämmigen Mithäftling, der mit Kontakten zur Mafia geprahlt habe, 50.000 Euro geboten haben, falls er Paul-Ludwig U. umbringt. Auch hier ist nicht klar, was Wahn und was realer Plan war. Gegen Werner S. läuft deshalb aber ein weiteres Verfahren.

Vor Gericht wiederholt der Spitzel seine Aussagen bisher nicht. Stattdessen wird seine achtstündige Vernehmung durch die Ermittler gezeigt. Für seine Anwälte und die Anklage hat das einen Vorteil: U. kann so nicht durch die Fragen der anderen Verteidiger unglaubwürdig gemacht werden.

Es sind aber nicht nur die Aussagen von Paul-Ludwig U., welche die Angeklagten belasten. Denn auch in ihren Chats und Telefonaten ließen sie kaum Zweifel an ihrem Willen zur Gewalt. ,,Ich bin zu allem, ausnahmslos allem bereit, unsere Feinde und deren Sympathisanten auszulöschen", schrieb Werner S. in einem Telegramkanal. Selbst kurz vor der Festnahme, als S. bereits den Verdacht hatte, beschattet zu werden, heizte er die Gruppe an, man müsse ,,das Schiff jetzt auf Kurs halten". Der Mindener Thomas N. versicherte Werner S., er wolle ,,nach Walhall", wolle losziehen und nie wieder zurückkommen. Die Antwort: Genau das werde passieren. Man müsse ,,Geschichte schreiben". Der Niedersachse Tony E. erklärte, er sei bereit, sein ,,Leben liegen zu lassen".

Letztlich sollen fast alle Angeklagten auf dem Mindner Treffen Geld für die Waffenverkäufe versprochen haben, rund 5.000 Euro pro Person. Auch der Polizeimitarbeiter Thorsten W., der sich angeblich unter Mittelalter-Freunden wähnte, muss dort bemerkt haben, dass es ernst wurde. Er soll in die Runde gefragt haben, ob sein Job bei der Polizei ein Problem sei, dann würde er gehen. Und laut Paul-Ludwig U. bot er an, auch mehr als die 5.000 Euro beisteuern zu können – was W. bestreitet.

Alles nur Gerede? Es ist durchaus möglich, dass das für eine Verurteilung reicht. Die Gruppe ,,Revolution Chemnitz" wurde 2020 allein aufgrund von Chats wegen Rechtsterrorismus verurteilt: Die acht Angeklagten wollten ebenso eine ,,Systemwende" anzetteln, mit ,,effektiven Schlägen" gegen ,,Linksparasiten". Und schon 2017 wurde die vierköpfige Führung der ,,Oldschool Society" verurteilt, die ebenfalls über Anschläge auf Asylunterkünfte und Moscheen sinnierte, ohne bereits zur Tat zu schreiten.

Bis es in Stammheim zum Urteil kommt, kann es aber noch bis ins nächste Jahr dauern. Wegen Coronafällen in einzelnen Vollzugsanstalten wurden Prozesstage immer wieder kurzfristig abgesagt. Zudem verfolgen einige der 27 Verteidiger eine Zermürbungsstrategie. Vorn dabei ist der ehemalige AfD-Politiker Dubravko Mandic, der sich in seiner politischen Einstellung nur graduell von den Angeklagten unterscheiden dürfte. Mandic, der gerade aus dem Anwaltsverein ausgeschlossen wurde, nutzt die Maskenpflicht im Verhandlungssaal immer wieder für Scharmützel mit Richter Anderer. Aussagen der Angeklagten gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung rechtfertigt er politisch.

Als Mandic von ,,Staatsmedien" spricht und sein Anwaltskollege den 8. Mai 1945 als Datum bezeichnet, ,,das nicht nur Befreiung, sondern vielen Deutschen auch Leid gebracht" habe, wird es selbst einem der anderen Verteidiger zu viel. ,,Herr Vorsitzender, wenn man jetzt die Klappe hält, dann kuscht man", bricht es aus Michael Ried heraus. ,,Staatsmedien" sei ein Begriff, den er das letzte Mal von seinem Großvater gehört habe.

Offen bleibt, ob in Stammheim wirklich alle Anheizer auf der Anklagebank sitzen. Zu dem Mindener Treffen wollte ursprünglich auch der Anführer der ,,Bruderschaft Deutschland", Ralf N., anreisen. Wegen eines Umzugs hat er dann absagt. Laut Paul-Ludwig U. wollte die Gruppe aber auch ihn um Geld für ihre Waffenkäufe bitten. Auch zwei Hamburgern, Thorsten K. und ein Türsteher mit dem Spitznamen ,,Togger", sollten ursprünglich nach Minden kommen. Eng verbunden mit einigen Angeklagten war auch Marion G., die wiederum an der ,,Hummelgautsche" dabei war. Bei einigen dieser Personen gab es in den letzten Wochen Durchsuchungen – auf der Anklagebank aber sitzen sie nicht.

Und während einige der Bürgerwehren der Angeklagten inzwischen stillgelegt sind, gehen bei anderen die Aktivitäten weiter. Die ,,Bruderschaft Deutschland" etwa beteiligte sich zuletzt an rechtsextremen Demonstrationen, rief zu Teilnahmen an den Coronaprotesten auf. ,,Lasst uns unseren Widerstand auf eine neue nationale Ebene bringen", forderte die Gruppe. Man müsse sich in Gruppen zusammenschließen und auf die Straße gehen. So hatte es bei Werner S. und seinen Leuten auch angefangen.


Aus: "Prozess gegen ,,Gruppe S." in Stuttgart: Wenn Neonazis weinen" Konrad Litschko, Benno Stieber (26.5.2021)
Quelle: https://taz.de/Prozess-gegen-Gruppe-S-in-Stuttgart/!5769820/

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Quote[...] HANNOVER taz | Mit einer blau-verspiegelten Fliegerbrille im Gesicht wendet sich ,,Michael Fritsch Offiziell" am Sonntagnachmittag an seine 12.000 Telegram-Follower*innen. Der 57-Jährige gibt in einem Video eine kurze Lage­einschätzung der ,,Querdenken"-Proteste am Pfingstwochenende in Berlin, wo die Polizei Hunderte Demonstranten wegen Verstößen gegen die Hygieneregeln festgenommen hatte. ,,Das ist keine Polizei mehr für die Menschen, sondern gegen die Menschen", sagt Fritsch.

Sein Unmut über seine bald vielleicht ehemaligen Kolleg*inn­­en könnte auch an den jüngsten juristischen Konsequenzen für seinen ,,Widerstand" gegen die Coronapolitik der Bundesregierung liegen.

Am Donnerstag, 20. Mai, reichte die Polizeidirektion Hannover Disziplinarklage beim Verwaltungsgericht gegen Michael Fritsch ein. Der freigestellte Kriminalhauptkommissar soll nach Auftritten bei Querdenken-Demonstrationen den Beamtenstatus verlieren. Das Vertrauensverhältnis sei aus Sicht der Polizei unwiederbringlich zerstört, sagte eine Sprecherin dem NDR.

Seit neun Monaten wird gegen Fritsch ermittelt. Mindestens zwei Razzien gab es in seinem Haus in Alfeld südlich von Hannover. Er selbst wurde mehrfach bei Querdenken-Protesten in Gewahrsam genommen.

Dass Fritschs Fantasien in Richtung Putsch gehen, zeigt eine Sprachnachricht, die er am 22. April an die öffentliche Telegram-Gruppe ,,Soldaten & Reservisten" schickte. Dort sagte er, es müsse eine Vernetzungsstrategie her. ,,Damit wir als Instanz, die hier waffenführend ist, einen möglichst friedlichen Verlauf für den Umbruch herbeiführen können."

Mit Singen, Reden und Klatschen komme man nicht weiter. Der Zeitpunkt müsse abgepasst werden, damit es sich nicht um eine Revolution ,,aus Teilen der Armee" handle, die blutig niedergeschlagen werde.

Alarmierend ist neben dem Inhalt der Nachricht der Kreis, den Fritsch adressiert. Seit mehr als einem Monat sammeln sich bei Soldaten & Reservisten Hunderte, die angeben, aktiv im Dienst der Bundeswehr zu stehen oder eine militärische Laufbahn hinter sich zu haben. Initiiert hatte die Gruppe laut eigenen Angaben Fritsch und der Verein ,,Polizisten für Aufklärung".

Fritsch hat, wie er selbst sagt, die Aufgabe des Schatzmeisters und die Mitgliederverwaltung übernommen. Erklärtes Ziel des Querdenker-Vereins ist es, Polizisten, Soldaten und vergleichbare andere Beschäftigte aufzuklären.

Am Anfang tauschten sich die Mitglieder der Gruppe über Dienstgrade, Auslandseinsätze und Lieblingswaffen aus. Eine ,,Dragunov", ein Scharfschützengewehr habe er, schreibt einer, ,,und auch Mosin Sniper 91/30 is geil!" Schießen könne gemeinsam trainiert werden. In den Kanälen kursieren Karten mit Anweisungen und taktische Kommandos für Großproteste. ,,Pfingsten in Berlin" wollte die Gruppe sich zwischen De­mons­tran­t*in­nen und die Polizei stellen. Geklappt hat der Offline-Auftritt nicht.

Fritsch hatte zu dieser Aktion und zu mehr aufgerufen:,,Wir müssen uns auch sicher sein, dass wenn quasi die Regierung abgesetzt wird, dass die militärische Einheit dann vorübergehend die Kontrolle übernimmt und mit der Polizei hier zusammen für Frieden auf den Straßen sorgt", sagt Fritsch in der Telegram-Sprachnachricht von April.

In Bildern gesprochen wolle er das ,,alte marode und morsche Gebäude abreißen, auskoffern und dann ein Fundament gießen, damit wir was Neues aufbauen können". Mit den Worten ,,Michael Fritsch, Schutzmann mit Herz und Hirn" beendet er seine Sprachnachricht.

Was das Neue sei, werde er ,,wenn es soweit ist" bekannt geben, sagt Michael Fritsch der taz auf Anfrage am Telefon. Zum laufenden Verfahren wolle er sich nicht äußern. Er habe aus den Medien von der Anklage erfahren. Nach kaum einer Minute legt er auf. Viele Fragen bleiben offen.

Als Spezialist für Einbruchschutz der Polizeidirektion Hannover wurde Michael Fritsch 2019 und Anfang 2020 für Sicherheitsbegehungen in der Liberalen jüdischen Gemeinde Hannover eingesetzt. Nach dem Anschlag in Halle sollte Fritsch ein Gutachten erstellen. Dem Vorstand habe er damals beim ersten Termin gesagt, es sei nicht staatliche Aufgabe, für Sicherheitsvorkehrungen der Gemeinde zu bezahlen.

Etwa ein halbes Jahr später trat Fritsch zum ersten Mal bei einer Querdenken-Demonstration in Dortmund auf und stellte sich auf der Bühne als Polizeibeamter vor. In seiner Rede verglich er die Corona­pandemie mit der Zeit des Nationalsozialismus. Kol­le­g*in­nen forderte er auf, sich der Bewegung anzuschließen und zu ,,remonstrieren", denn es gebe keine Gewaltenteilung mehr und läge jetzt an allen, ob der ,,anstehende Wandel friedlich oder gewaltsam verläuft".

Später sagte er bei einer Querdenken-Versammlung im November in Hannover, eigentlich gehe es bei der derzeitigen Entwicklung nicht um das Coronavirus, sondern um einen ,,great reset". Für ihn seien die eingesetzten Po­li­zei­be­am­t*in­nen ,,gekaufte Söldner". Für seine Auftritte erhielt Fritsch immer wieder Applaus und wurde in Querdenken-Telegram-Kanälen gefeiert.

Neues Ziel des verschwörungsideologischen Multiaktivisten ist der Einzug in den Bundestag. Einen Parteitag der Querdenker-nahen Partei Die Basis bewarb Fritsch zuletzt trotz Suspendierung in Polizeiuniform. Als niedersächsischer Spitzenkandidat könnte Fritsch bald in den Räumen wandeln, die er ,,auskoffern, abreißen und neu aufbauen" will – bezahlt von Steuergeldern.

Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, begrüßt die kürzlich eingereichte Klage. Es blieben aber noch viele Fragen offen. Immer wieder gebe es Hinweise, dass Bundeswehrmitarbeitende, Polizist*in­nen und Sicherheitsbehördenmitarbeitende sich vernetzen, um sich auf einen Umsturz vorzubereiten. Fritsch scheine zu einer zentralen Figur geworden zu sein.

Ob die Umsturzfantasien des Michael Fritsch neben disziplinarrechtlichen auch strafrechtliche Folgen haben werden, wird sich zeigen. Die Polizei Hannover wollte sich dazu nicht äußern. Laut taz-Informationen ist eine mehrköpfige Ermittlungsgruppe mit dem freigestellten Schutzmann auf Abwegen betraut.


Aus: ",,Querdenker" bei der Polizei: Schutzmann träumt vom Umsturz" Michael Trammer, David Speier (25. 5. 2021)
Quelle: https://taz.de/Querdenker-bei-der-Polizei/!5769826/

QuoteKappert Joachim Dienstag, 08:45

Erstaunlich, dass Leute mit solch gewalttätigen Phanstasien Polizeihauptkommissar werden können. Bei aller Liebe zum Scharfschützengewehr, hat das niemand gemerkt?


Quotejoaquim Dienstag, 10:33

"Schutzmann mit Herz und Hirn"? eher Vollpfosten in Uniform! Dass sich fachistoide Personen zu Polizei und Militär hingezogen fühlen, ist nicht verwunderlich. Das Problem sind die Strukturen dieser Instituitionen, denn die "obrigen" darin haben vielleicht ähnliche Vorlieben. Daher können solche Figuren wie Fritsch erst soweit in Szene setzen.


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Quote[...] BERLIN afp/dpa | Anderthalb Wochen vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sieht eine neue Umfrage die AfD knapp vor der regierenden CDU. Demnach käme die AfD auf 26 Prozent der Zweitstimmen, die CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff rutscht auf 25 Prozent ab, wie die Bild am Mittwochabend unter Berufung auf eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa berichtete.

Auf den dritten Platz käme die Linke (13 Prozent) vor den Grünen (11), der SPD (10) und der FDP (8 Prozent). Die FDP, die derzeit nicht im Landtag vertreten ist, könnte demnach klar den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Insa-Chef Hermann Binkert sagte der Zeitung: ,,Die CDU fällt hinter die AfD zurück. Da die AfD aber keine Koalitionspartner hat, kann ohne und gegen die Union nicht regiert werden."

Nach der bisher regierenden Kenia-Koalition (Schwarz-Rot-Grün) könnte künftig eine ,,Simbabwe-Koalition" (Schwarz-Rot-Gelb-Grün) regieren. Die Kenia-Koalition hätte keine eigene Mehrheit mehr.

Vor fünf Jahren hatte die AfD auf Anhieb 24,5 Prozent erreicht, die CDU kam auf 29,8 Prozent. Die SPD halbierte ihr Ergebnis, die große Koalition verlor ihre Mehrheit. CDU, SPD und Grüne rauften sich zu Deutschlands erster Kenia-Koalition zusammen. In Sachsen-Anhalt wird am 6. Juni eine neuer Landtag gewählt. Rund 1,8 Millionen Sachsen-Anhalter:innen sind wahlberechtigt.


Aus: "Vor Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: AfD liegt vorn" (27. 5. 2021)
Quelle: https://taz.de/Vor-Landtagswahl-in-Sachsen-Anhalt/!5775303/


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#115
Quote[...] Eine Polizistin aus Sachsen-Anhalt ist beurlaubt worden, nachdem sie die Nähe zu dem Attentäter von Halle gesucht haben soll. Das berichtet die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung. Die Polizistin soll per Brief romantische Gefühle gegenüber Stephan B., der vor zwei Jahren einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübte, ausgedrückt haben. Außerdem soll die Frau, die Anfang 20 sein soll, eine Neigung zu rechtsextremen Verschwörungstheorien offenbart haben.

Die Polizistin soll selbst den Briefkontakt zu dem 29-jährigen Mann gesucht haben. In einem Brief soll sie geschrieben haben, dass sie an ein jüdisches Machtmonopol glaube. Gegen die Polizistin aus dem Bereich der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau wurde eine interne Ermittlung eingeleitet. Sie soll klären, inwiefern die Polizistin gegen Beamtenrecht verstoßen hat. Das Landesinnenministerium in Magdeburg äußerte sich am Montag nicht zu dem Fall.

Am 9. Oktober 2019 hatte der Attentäter versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er warf Brand- und Sprengsätze und schoss auf die Zugangstür, gelangte aber nicht auf das Gelände. Vor der Synagoge ermordete er dann die 40 Jahre alte Passantin Jana L. und in einem nahe gelegenen Dönerimbiss den 20-jährigen Kevin S. Auf seiner Flucht schoss der Mann auf Polizisten, fuhr mit dem Fluchtwagen einen Schwarzen an und schoss in einem Dorf bei Halle einen Mann und eine Frau an, nachdem sie ihm ihr Auto nicht geben wollten. In einer Werkstatt erpresste der damals 27-Jährige dann ein Taxi, das die Polizei mithilfe des Taxifahrers orten konnte. Anschließend nahmen Polizisten ihn fest. 

Auf der Anklagebank hatte sich der Mann zu seinem Judenhass bekannt. Er habe weitere Extremisten zu Anschlägen motivieren wollen, sagte B. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte B. Ende 2020 zu lebenslanger Haft und Sicherungsverwahrung. Ein Gutachter diagnostizierte bei B. eine Persönlichkeitsstörung.


Aus: "Polizistin schreibt Briefe an Attentäter von Halle" (20. September 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-09/rechtsextremismus-polizistin-briefe-stephan-b-anschlag-halle

QuoteTonk #27

Obwohl das Phänomen bekannt ist, bleibt es irritierend. Liebesbriefe an einen persönlich nicht bekannten inhaftierten Staftäter. Auch Breivik erhält romantische Post.


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Quote[...] Das Phänomen irritiert und beschädigt das Vertrauen in den Staat. Beamte von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden beteiligen sich an rechtsextremen Chatgruppen oder zweigen sogar Munition für Verfassungsfeinde ab. Mehrmals haben solche Skandale die Bundesrepublik erschüttert, nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine umfassende Analyse geschrieben.

Viele Einzelfälle ergeben ein beunruhigendes Bild, auch wenn die große Mehrheit der vielen tausend Beamtinnen und Beamten in den Sicherheitsbehörden offenkundig für Extremismus nicht anfällig ist. Das ergibt die Untersuchung für drei Jahre, die das BfV im neuen "Lagebericht Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden" zusammengefasst hat. Bei "Selbstverwaltern" handelt es sich um Extremisten, die ihre Immobilie zum eigenen Staat erklären und häufig die Zahlung von Steuern und Bußgeldern verweigern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und BfV-Präsident Thomas Haldenwang stellten das mehr als 150 Seiten umfassende Papier am Freitag in Berlin vor.

Bei Polizei, Nachrichtendiensten und weiteren Behörden auf Bundes- und Landesebene existiert demnach ein Bodensatz von mehreren hundert Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit einem gestörten Verhältnis zur Demokratie. Für die Zeit von Juli 2018 bis Juni 2021 wertete der Verfassungsschutzverbund insgesamt 860 Fälle aus, in denen es Bezüge zu Rechtsextremismus und "Reichsbürgern" gab – oder zumindest den Verdacht.

Bei 327 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden waren die Hinweise so gravierend, dass sie "weiter nachrichtendienstlich bearbeitet" wurden. Bei den Behörden des Bundes wurden in 138 Fällen verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt, auf der Ebene der Länder waren es 189.

Als Konsequenz aus den Fällen (gemeint sind die 327 Bediensteten) wurden 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet. "Wir lassen nicht zu, dass unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von Rechtsextremisten sabotiert wird ", sagte Bundesinnenministerin Faeser. Sie kündigte an, sie werde noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen. Verfassungsfeinde sollen schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden.

Unter die Lupe genommen wurden die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundestagspolizei, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr (BAMAD), die Zollverwaltung sowie die Verfassungsschutzbehörden und Polizeien der Länder.

Das Papier ist die Fortschreibung eines ersten Lageberichts von 2020, der wenige hochgradig problematische Fälle bei Polizeien und Nachrichtendiensten nannte, insgesamt 34. Allerdings kamen Reichsbürger und Selbstverwalter nicht vor. Die Innenministerkonferenz gab dann den neuen Lagebericht in Auftrag, der methodisch weiterentwickelt wurde.

Ein Anlass für die Untersuchung rechter Umtriebe in den Sicherheitsbehörden war die bundesweite Empörung über die vermutete Beihilfe von Beamten aus dem Polizeipräsidium von Frankfurt (Main) bei den anonymen Drohungen von "NSU 2.0" gegen die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz sowie Politiker und weitere Prominente. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass hessische Polizisten einer rassistischen Chatgruppe angehörten. Weitere Fälle folgten in Berlin und anderen Bundesländern.

Im aktuellen Bericht wird denn auch in den meisten Fällen, insgesamt 152, Rechtsextremisten oder "Reichsbürgern" in Sicherheitsbehörden die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Chatgruppen bescheinigt. Bei 143 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden wurden Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen wie beispielweise der NPD festgestellt.

Außerdem seien in 141 Fällen politisch motivierte Beleidigungen festgestellt worden, heißt es im Bericht. Genannt werden "die Menschenwürde verletzende, ausgrenzende, verächtlichmachende, verspottende oder anderweitig herabwürdigende Äußerungen gegenüber Personen mit Migrationshintergrund oder Menschen islamischen und jüdischen Glaubens sowie der Versand von Nachrichten mit beleidigenden und bedrohlichen Inhalten an politisch Andersdenkende". Bei 74 Personen aus den Sicherheitsbehörden wurde die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen gemeldet.


Aus: "Mehr als 300 Rechtsextreme und ,,Reichsbürger" in Sicherheitsbehörden" Frank Jansen (13.05.2022)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/rassistische-chats-und-munition-fuer-verfassungsfeinde-mehr-als-300-rechtsextreme-und-reichsbuerger-in-sicherheitsbehoerden/28334108.html

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Quote[...] Ein 20-jähriger Student, der in Idar-Oberstein an einer Tankstelle jobbte, hat seinen Einsatz zur Einhaltung der Coronaregeln ersten Ermittlungen zufolge mit dem Leben bezahlt. Nach einem Streit über das Tragen einer Coronamaske erschoss ein 49-Jähriger den jungen Kassierer.

Der Mann habe sich geärgert, weil der Mitarbeiter ihm kein Bier verkaufen wollte, da er keinen Mund-Nasen-Schutz getragen habe, sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann zu der Tat in Rheinland-Pfalz.

Gegen den mutmaßlichen Täter aus dem Kreis Birkenfeld sei Haftbefehl wegen Mordes vor dem Amtsgericht Bad Kreuznach erlassen worden. Er habe gestanden, den Kassierer mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet zu haben, sagte Fuhrmann.

Nach den bisherigen Ermittlungen hatte der Mann am Samstagabend den Verkaufsraum der Tankstelle ohne Maske betreten und zwei Sechserpack Bier auf den Tresen an der Kasse gestellt. Der Kassierer wies den Mann auf die Maskenpflicht hin – woraufhin der Mann den Raum verließ und dabei drohend die Hand hob.

Eine gute Stunde später sei er erneut in der Tankstelle erschienen – diesmal habe er eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen, wieder ein Sechserpack Bier genommen, und sei zur Kasse gegangen. »Dort setzte er die Mund-Nasen-Bedeckung ab«, sagte Oberstaatsanwalt Fuhrmann. Der Kassierer habe den Mann erneut auf die Einhaltung der Maskenpflicht hingewiesen: Daraufhin zog der Täter einen Revolver und erschoss den Kassierer.

Zum Motiv habe der mutmaßliche Mörder angegeben, dass ihn die Situation der Coronapandemie stark belaste. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und »keinen anderen Ausweg gesehen«, als ein Zeichen zu setzen, sagte Fuhrmann. Das Opfer schien ihm dabei »verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe.«

Der Mann war am Sonntagmorgen auf dem Gelände der Polizei in Idar-Oberstein festgenommen worden. »Wir gehen davon aus, dass er sich stellen wollte«, sagte Triers Polizeipräsident Friedel Durben. Zwischenzeitlich hatten die Ermittler einer Mitteilung zufolge mit Aufzeichnungen der Überwachungskameras nach ihm gesucht und davor gewarnt, Anhalter mitzunehmen.

»Das ist auf jeden Fall ein besonderer Fall«, sagte Polizeipräsident Durben. »Wir haben weder im Polizeipräsidium Trier noch im Land Rheinland-Pfalz eine solche Tat gehabt, die einen Zusammenhang zu Corona vermuten lässt.«

apr/dpa


Aus: "Tankstellen-Kassierer nach Streit über Coronamaske erschossen" (20.09.2021)
Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/idar-oberstein-tankstellen-kassierer-nach-streit-um-corona-maske-erschossen-a-b40989e3-223f-4072-8bda-26bbf5c66d07

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20.09.2021 – 17:38
Polizeipräsidium Trier
POL-PPTR: Idar-Oberstein. 49-Jähriger nach Tötungsdelikt in Untersuchungshaft
Nach den bisherigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft soll der 49-Jährige zunächst gegen 19.45 Uhr die Tankstelle betreten haben, um dort einzukaufen. Weil er keine Mund-Nasen-Bedeckung trug habe es eine kurze Diskussion mit dem Kassierer gegeben, dem späteren Opfer der Tat. Daraufhin verließ der Tatverdächtige die Tankstelle. Gegen 21.25 betrat der Tatverdächtige erneut die Tankstelle, diesmal mit angelegter Mund-Nasen-Bedeckung. Als er an der Kasse war, zog er die Maske herunter und es kam erneut zu einem kurzen Wortwechsel. Schließlich zog er einen Revolver aus der Hosentasche und gab einen tödlichen Schuss auf den 20-jährigen Studenten aus Idar-Oberstein ab. Anschließend flüchtete er zu Fuß.
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117701/5025378

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Quote[...] Im Chat-Kanal des rechtsextremen Verschwörungsideologen Sven Liebich entflammt der Hass besonders rasch. Der Täter habe wohl einfach die "Schnauze voll" gehabt, kommentiert dort einer, oder auch: ,,Wenns die richtigen trifft, hab ich nichts dagegen".

Ein weiterer schreibt: "Kein Mitleid. Die Leute immer mit dem Maskenscheiß nerven. Da dreht irgendwann mal einer durch. Gut so."

Während am Montagabend die Nachricht des mutmaßlichen Mordes wegen eines Streits ums Maskentragen deutschlandweit Bestürzung auslöste, finden sich auf dem Messengerdienst Telegram auch gegenteilige Reaktionen.

In diversen  Kanälen szenebekannter Verschwörungsideologen wird die Gewalttat in Rheinland-Pfalz wahlweise als Notwehr, logischer Schritt oder Beginn eines langersehnten Befreiungskampfs gegen die angebliche "Merkel-Diktatur" gefeiert. Im Kanal "Free your mind" heißt es frohlockend: "Jetzt geht's los!!!" In anderen Kanälen werden Herzen und Daumen nach oben gepostet.

Laut Staatsanwaltschaft befindet sich der 49-Jährige, der am Samstagabend an einer Tankstelle in Idar-Oberstein wegen seines fehlenden Mund-Nasen-Schutzes kein Bier kaufen durfte, später zurückkehrte und den Kassierer mit einem Revolver erschoss, inzwischen in Haft. 

Früher oder später habe es zu einer solchen Tat kommen müssen, heißt es in einschlägigen Kanälen auf Telegram. Schuld daran seien die Politiker, die die Bürger mit ihren Corona-Regeln tyrannisierten.

Vielfach herrscht zudem Schadenfreude darüber, dass es sich bei dem Getöteten um einen Studenten handelt. Das Opfer sei sicher ein Linker gewesen: "Eine Zecke weniger!"

Experten warnen seit langem vor einer Radikalisierung der Szene der Querdenker, die auch in Gewalt und sogar Terror münden könne. In den vergangenen Monaten gab es bereits mehrere Anschläge, die mutmaßlich von Gegnern der Coronamaßnahmen begangen wurden. Sollte sich der Verdacht der Staatsanwaltschaft in Rheinland-Pfalz bestätigen, wäre die Tat von Idar-Oberstein nun der erste Mord.

In den Verschwörungskanälen auf Telegram sind bereits in der Nacht zu Dienstag eine Reihe neuer Verschwörungsmythen entstanden: So behaupten Nutzer der Gruppe "Servus Deutschland" etwa, dass es sich bei der Tat in Wahrheit nur um eine sogenannte "False flag"-Aktion handeln könne, also eine von Regierungsseite inszenierte Tat, um "Stimmung gegen die Ungeimpften zu machen". In einer Darmstädter Querdenken-Gruppe wird behauptet, dies sei ein Manöver der Herrschenden zur Beeinflussung der Bundestagswahl.

Der Messenger-Dienst Telegram gilt als Sammelbecken für Corona-Verharmloser und andere Verschwörungsgläubige sowie Rechtsextremisten. Sie können dort ungestört Falschinformationen und Hass verbreiten, erreichen so täglich Hunderttausende. Das von Bund und Ländern eingerichtete Kompetenzzentrum jugendschutz.net sieht Telegram inzwischen als ,,Verschwörungsschleuder" beziehungsweise als ,,zentrale Ausweichplattform für rechtsextreme Propaganda".

Und das Problem nimmt zu: Denn während Facebook und Instagram zunehmend strafbare Inhalte löschen und Accounts sperren, wandern die Geschassten zu Telegram ab - dort können sie ungestört hetzen. Es gibt nicht einmal die Funktion, Hassbotschaften und Mordaufrufe zu melden.

Anders als etwa Facebook oder Twitter fallen Messenger-Dienste wie Telegram nicht unter das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Der Betreiber muss rechtswidrige Inhalte daher nicht innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren.

Von dieser Gesetzeslücke profitierten während der Pandemie reihenweise Straftäter wie der inzwischen mit Haftbefehl gesuchte und geflüchtete Berliner Antisemit Attila Hildmann. Aus seinem Exil in der Türkei meldete sich Hildmann in der Nacht zu Dienstag ebenfalls über Telegram zu Wort - und kommentierte den mutmaßlichen Mord in Idar-Oberstein mit einem Lachanfall.


Aus: "Rechte jubeln über Mord von Idar-Oberstein" Sebastian Leber (21.08.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/nach-streit-um-maskenpflicht-rechte-jubeln-ueber-mord-von-idar-oberstein/27631262.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/getoetet-weil-er-auf-maskenpflicht-hinwies-die-politische-dimension-eines-verbrechens/27631024.html

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QuoteM.Aurelius #33

Laut der Ermittlungsbehörden hat der Täter zum Motiv angegeben, dass ihn die Situation der Corona-Pandemie stark belaste. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und ,,keinen anderen Ausweg gesehen", als ein Zeichen zu setzen. Das Opfer schien ihm dabei ,,verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe".

Das Geschwurbel des Täters belegt wieder einmal, dass Zeitgenossen, die durch die schlichte Alltagsrealität derartig überfordert sind, unter keinen Umständen in den Besitz einer Waffe kommen dürfen.



QuoteKlementina #12

Ich bin fassungslos. Da fehlen mir einfach die Worte. Wie kann man so etwas tun?


QuoteUmelaphi wakho #12.1

"Wie kann man so etwas tun?"

Das passiert, wenn man seine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle hat und den Gang zum Arzt vermeidet.


QuoteUser789 #12.2

Blinde Wut auf Staat und Gesellschaft? Tiefe Frustration, Gefühl der Ohnmacht und man will das "endlich zeigen". So in etwa . Und resultiert ist das in einem geplanten vorsätzlichen Mord.


QuoteButtercreme #31

Ein Täter, der das Angesprochenwerden auf die Maskenpflicht zum Anlass für einen Kopfschuss nimmt, bekommt hoffentlich lebenslange Sicherungsverwahrung. Man wüsste nicht, was der nächste Grund für einen Mord wäre.


QuoteStandhaftes Nelklein #25

Das Böse ist banal - so sinnlos. Eltern sollten nicht ihre Kinder zu Grabe tragen.

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QuoteWatzinger #28

Über alle demokratischen Parteien hinweg wird vor der Radikalisierung der Querdenker gewarnt. Allein wie hier im Forum das Maskentragen als "staatlicher Eingriff in die persönliche Freiheit" verleugnet wird, wie die Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft als staatlicher Terror verleugnet werden, ist für mich der Ausgangspunkt für die Entwicklung dieses Mannes zum Mörder.


QuoteBiagobaer #29

Ich finde das zutiefst beängstigend.
Ich kenne einige Quer" denker" .Die putschen sich gegenseitig so auf in ihren Vorstellungen von "Widerstandskampf gegen das Böse ", dass ich schon oft zu meinem Mann sagte " Wenn es nochmal zum Lockdown kommt, haben wir einen Bürgerkrieg "

Ich sehe öfter Leute ohne Maske in den Läden.Die schauen dann richtig provokativ jeden an und warten nur darauf, dass jemand etwas sagt , das sieht man ihnen richtig an.- ich werde mich hüten.

Es sind ja auch schon Busfahrer ins Koma geprügelt worden.

Es ist eine aufgeheizte Stimmung und wenn dann jemand cholerisch ist und eine Waffe besitzt .......

Mein herzliches Beileid den Angehörigen.Das ist einfach nur schrecklich.


Quotepolygraphos #32

Streng genommen handelt es sich um einen politischen Mord, denn der Täter begründet ihn ja mit der Corona-Situation, deren Handhabung durch die Regierung er ablehnt und die er als "belastend" empfindet. Der unglückliche Student an der Tankstellenkasse ist für ihn nur Repräsentant des "Systems". Man muss sich das nur einmal vorstellen, praktisch jeder, der wie der Kassierer dazu verpflichtet ist, auf die Einhaltung der Maskenpflicht zu achten, hätte zum Opfer werden können. Wenn es nicht dieser gewesen wäre, dann vielleicht am nächsten Tag irgendein Busfahrer, Verkäufer oder sonstiger Bediensteter.

Nein, ein gewöhnlicher Mord aus niedrigen Beweggründen oder persönlichen Motiven war das nicht. Hier ist in einem labilen Alkoholiker die Saat des Hasses und der Lüge aufgegangen. Von wem alles diese gesät wurde, erspare ich mir an dieser Stelle.


QuoteLofwyr #62

Eine furchtbare und sinnlose Tat. Wie weit muss man nur von der Realität sein um so eine Tat auch noch mit heroischem Pathos auszukleiden? "Zeichen setzen" "keinen Ausweg gesehen" und alles nur weil man 5 Minuten eine Maske aufsetzen soll? Man sieht wie tief der Hass sitzt den die geistigen Brandstifter in den letzten 2 Jahren gesät haben.


Kommentare zu: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-09/maskenpflicht-coronavirus-mann-erschiesst-kassierer-tankstelle-rheinland-pfalz

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#116
Quote[...] ,,Der Nationalsozialismus lebt, trotz einer ganzen Welt, die ihn zerstören will", ruft ein Mann mit Totenkopfmaske und Sonnenbrille in die Kamera. Dann sagt er: ,,Deutsche Freiheitskämpfer, folgt der Atomwaffendivision!" In dem Video, das Anfang Juni auf einer US-Videoplattform hochgeladen wurde, beschwört er vor einer Hakenkreuzfahne stehend ,,den langen letzten Kampf in Trümmern". ,,Sieg Heil!" dröhnt er am Ende des Clips, ein Magazin wird in eine Pistole geschoben und durchgeladen.

Keine Minute ist das Video lang. Die Inszenierung wirkt überzeichnet, die politische Botschaft wird fast karikiert. Dabei ist sie eigentlich brandgefährlich: Die ,,Atomwaffendivision" (AWD), 2013 durch Neonazis in den USA gegründet, ruft zum bewaffneten Kampf gegen die Demokratie und gegen Minderheiten auf. In Amerika haben Mitglieder der Gruppe bereits fünf Morde verübt und Bomben für den ,,Rassenkrieg" gebaut. Jetzt will die AWD offenbar nach Deutschland expandieren. ...


Aus: "Neonazis rufen zur Gewalt auf: Deutsch-Amerikanischer Rechtsterror" Andreas Speit (18. 7. 2018)
Quelle: https://taz.de/Neonazis-rufen-zur-Gewalt-auf/!5522527/

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Quote[...] BERLIN taz | Sieben Jahre Gefängnis – das ist das Strafmaß gegen den 25-jährigen Kaleb Cole, ein führendes Mitglied der Nazi-Gruppe Atomwaffen Division, das am Dienstag ein US-Bundesgericht in ­Seattle verkündete. Cole und drei andere Mitglieder der Atomwaffen Division waren bereits Ende September vergangenen Jahres schuldig gesprochen worden. Den vieren wurde zur Last gelegt, jüdische und Schwarze Jour­na­lis­t*in­nen sowie Ak­ti­vis­t*in­nen der Bürgerrechtsorganisation Anti Diffamation League (ADL) bedroht zu haben.

Die Opfer hatten im Januar 2020 Nachrichten per Post erhalten, die sie mit dem Tod bedrohten. Oder es waren Plakate an ihre Wohnungstür geklebt worden mit der Aufschrift ,,Deine örtlichen Nazis haben dir einen Besuch abgestattet". Darauf zu sehen war ein Vermummter mit einem Molotowcocktail in der Hand.

Das hatte Wirkung gezeigt. Im Prozess beschrieben die Opfer ihre Verunsicherung. Einige wechselten zumindest zeitweise den Wohnsitz, andere bauten Sicherheitssysteme ein, einer kaufte sich eine Waffe. Eine Person traute sich nur noch mit einem langen Stock, ihren Briefkasten zu öffnen, eine weitere kündigte ihren Job. Kaleb Cole wurde schuldig gesprochen, die Poster und Nachrichten entworfen zu haben.

Die Atomwaffen Division war 2016 aus der Online-Plattform Iron March entstanden, parallel zum Aufschwung der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung in den USA. Im Unterschied zu Alt-Right allerdings, die mit Steve Bannon zunächst sogar einen wichtigen Vertreter als Chefstrategen des frisch gewählten Präsidenten Donald Trump hatten, strebte die Gruppe nie nach Mehrheiten oder einer Ausbreitung in die gesellschaftliche Mitte, sondern setzte konsequent auf Gewalt zur Durchsetzung eines NS-Staates in den USA.

Dazu adaptierte sie strategisch-ideologische Überlegungen, die der US-Nazi James Mason Anfang der 1980er Jahre in einem ,,Siege" genannten Newsletter veröffentlicht hatte. Anfang der 2000er Jahre wurden die Schriften in einem gleichnamigen Buch zusammengefasst. Sie sind eine Anleitung und Begründung zum Terror im Rahmen eines Systems ,,führerlosen Widerstands".

Mason setzte nicht auf eine starke Partei oder sonstige Organisation, sondern auf das parallele und gewaltsame Losschlagen von Einzelpersonen und bestenfalls kleineren Zellen mit dem Ziel, zunächst größtmögliches Chaos und schließlich einen Bürgerkrieg zu entfachen, einen ,,Rassenkrieg", wie es heißt.

Ähnlich hatte es auch William Pierce, der inzwischen verstorbene Gründer der nationalsozialistischen National Alliance, in den ,,Turner Diaries" aufgeschrieben. Die unter Pseudonym als Roman aufgeschriebene Terrorfantasie, die in den ,,Day of the ropes" mündet, an dem alle Feinde aufgehängt werden, inspirierte schon 1995 den jungen Nazi Timothy McVeigh zum Anschlag auf das Oklahoma City Building, bei dem 168 Menschen getötet wurden. McVeigh wurde später zum Tode verurteilt und hingerichtet – er gilt der rechtsterroristischen Szene genauso als Held wie der Attentäter von Christchurch.

James Masons Überzeugung: Das bestehende demokratische System ist jüdisch-zionistisch gesteuert, jedes Engagement innerhalb dessen ist sinnlos, seine gewaltsame Zerschlagung vordringlichstes Ziel. Sein Buch gilt als eine Art Bibel des Rechtsterrorismus, längst nicht mehr nur in den USA. Auf Fotos ist Mason im Braunhemd mit roter Hakenkreuzbinde zu sehen, auch im Kreis von Mitgliedern der Atomwaffen Division.

Deren Logo ist ein SS-Schild mit dem Radioaktivitätszeichen, auf Fotos tragen die Mitglieder meist schwarze Militärkleidung und Totenkopfmasken. Wie viele Anhänger oder Mitglieder tatsächlich dazugehören, ist ungewiss. Für die USA wurde ihre Zahl auf rund 80 Personen in mehreren Bundesstaaten geschätzt. Ihnen werden fünf bis acht Morde zugeordnet.

Etwa 2018 wurden auch in Europa Drohungen bekannt, die mit Atomwaffen Division unterzeichnet waren. So erhielten 2019 etwa die damaligen Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir und Claudia Roth E-Mails, in denen ihre Hinrichtung angekündigt wurde.

Antifaschistische Recherchen konnten einige mutmaßliche Anhänger der Atomwaffen Division über ihre Chatkanäle in der deutschen Neonazi-Szene ausfindig machen – im Umfeld der NSU-Unterstützerkreise oder der Neonazi-Kampfsportszene. Einige der Telegram-Gruppen, in denen entsprechende Inhalte gepostet wurden, sind inzwischen gelöscht, andere weiterhin aktiv.

Das Urteil gegen Kaleb Cole und seine Mitstreiter kommt in den USA zu einer Zeit, da kurz nach dem Jahrestag des Sturms auf das Kapitol die Angst vor inländischem Terrorismus von rechts gewachsen ist. Seit dem Frühjahr 2020 hat sich die Zahl entsprechender FBI-Ermittlungen verdoppelt, sagte der Leiter der nationalen Sicherheitsabteilung des Justizministeriums in einer Senatsanhörung.

Jetzt soll auch das Ministerium mit einer eigenen Ju­ris­t*in­nen­ein­heit ausgestattet werden, um der Bedrohung koordiniert und juristisch sauber begegnen zu können.


Aus: "Urteil gegen Nazi in den USA: Rechter Terror vor Gericht" Bernd Pickert (12. 1. 2022)
Quelle: https://taz.de/Urteil-gegen-Nazi-in-den-USA/!5825253/

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Quote[...] Fretterode - Mehr als drei Jahre nach dem brutalen Überfall von Neonazis auf zwei Journalisten im thüringischen Fretterode soll nun endlich der entsprechende Strafprozess beginnen. Vom 7. September an stehen der ehemalige NPD-Führungskader Gianluca B. und Nordulf H. vor dem Landgericht in Mühlhausen. Ihnen, die bislang zu den Tatvorwürfen geschwiegen haben, wird schwerer Raub in Tateinheit mit gemeinschaftlich begangener schwerer Körperverletzung vorgeworfen. Möglicherweise aber wird der Tatvorwurf in der Hauptverhandlung sogar noch erweitert – auf versuchten Totschlag.

Der Überfall, der nun vor Gericht behandelt wird, ereignete sich am 29. April 2018. Damals hielten sich die beiden Göttinger Journalisten Malte und Julius (Namen geändert) auf der öffentlichen Straße vor dem Grundstück des NPD-Vizechefs Thorsten Heise im Landkreis Eichsfeld auf. Sie hatten einen Hinweis darauf erhalten, dass an dem Tag ein Treffen führender Neonazis dort stattfinden sollte. Der mehrfach vorbestrafte Rechtsextremist, der 1999 aus Niedersachsen nach Thüringen zog und als wichtige und einflussreiche Verbindungsfigur der nationalen und internationalen Neonazi-Szene gilt, betreibt in dem Gutshaus sein Rechtsrock-Label W&B, den gleichnamigen Versandhandel sowie den Nordland Verlag (der sich den Namen mit einer Waffen-SS-Division teilt), der Bücher über das Hitler-Militär publiziert.

Die beiden Göttinger Journalisten, die seit vielen Jahren die Aktivitäten der Neonazi-Szene im Raum Niedersachsen-Thüringen recherchieren und dokumentieren, wollten die anreisenden Nazikader zu Recherchezwecken fotografieren. ,,Anderthalb Stunden lang passierte aber nichts, dann kam plötzlich jemand von Heises Grundstück, sprang über den Zaun und lief um unser Auto herum", erinnert sich Malte. Sie hätten den Mann fotografiert, der daraufhin ins Haus zurücklief. Kurz darauf hätten er und sein Freund Julius sich entschlossen, das Feld zu räumen.

Die Journalisten fuhren davon, doch sie wurden von einem schwarzen Wagen verfolgt, der sie schnell einholte. Die Fahrt endete schließlich im Straßengraben am Ortseingang von Hohengandern, das etwa acht Kilometer entfernt liegt von Fretterode. Wie Malte schildert, habe das Auto der Verfolger angehalten, die beiden Insassen seien herausgesprungen und auf das Auto der Journalisten zugelaufen. Geistesgegenwärtig hatte Malte zuvor noch die Speicherkarte aus der Kamera genommen und sie in seinem Strumpf versteckt. Darauf waren Fotos eines der beiden Angreifer. Die Neonazis – so die Schilderung der überfallenen Journalisten bei der Polizei – zerstachen die Reifen, zerschlugen die Scheiben des Autos und sprühten Pfefferspray in das Wageninnere.

Julius, der aus dem Auto flüchtete, wurde von Gianluca B. verfolgt. Als B. ihn einholte, habe der ihn mit einem etwa 60 Zentimeter langen Schraubenschlüssel mit voller Wucht auf den Kopf geschlagen, gab Julius an. Das führte zu einer heftig blutenden Platzwunde. Später diagnostizierten Ärzte zudem eine Schädelfraktur bei dem jungen Mann.

Malte war nach eigenen Angaben unterdessen im Auto geblieben und versuchte, sich gegen den zweiten Angreifer – Nordulf H. – zur Wehr zu setzen. Mehrmals soll H. mit einem langen Messer nach dem Journalisten gestochen und ihn schließlich am Oberschenkel getroffen haben. Dann habe H. sich die Kamera aus dem Wageninneren gegriffen und sei mit seinem Kumpel B. davongerast.

Die Ermittlungen der Polizei liefen nur schleppend an. Anfangs ging man von einer von beiden Seiten provozierten Schlägerei aus und ermittelte sogar kurzzeitig gegen die Opfer. Erst als das Landeskriminalamt auf die Proteste der Opferanwälte reagierte und die Ermittlungen übernahm, wurden die beiden Angreifer identifiziert und als Beschuldigte in dem Verfahren eingestuft. Es dauerte dann noch einmal fast ein Jahr bis zur Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Mühlhausen. Der Anklagevorwurf wurde jedoch auf schweren Raub und schwere Körperverletzung beschränkt. Eine Tötungsabsicht, wie es die Anwälte der beiden Opfer sehen, oder auch nur einen bedingten Tötungsvorsatz – hierbei zielt der Täter nicht darauf, das Opfer zu töten, nimmt aber dessen möglichen Tod bei seinem Angriff billigend in Kauf – vermochte die Anklage nicht zu erkennen. Dafür hätten sich nach den Ermittlungen der Polizei ,,keine objektiven Anhaltspunkte" ergeben, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der zusammen mit seinem Kollegen Rasmus Kahlen die Überfallopfer vertritt, sieht das anders. ,,Wer mit einem Messer blindwütig durch eine eingeschlagene Autoscheibe nach einem Menschen sticht, muss mit tödlichen Verletzungen rechnen", sagt Adam. Wenn zum Beispiel die Oberschenkelarterie getroffen werde, verblute das Opfer binnen Minuten.

Auch bei dem Angreifer, der Julius einen großen schweren Schraubenschlüssel mit voller Wucht auf den Kopf geschlagen habe, könne man einen Tötungsvorsatz durchaus annehmen, ergänzt Anwalt Kahlen. ,,Im Prozess wird eine Rechtsmedizinerin dahingehend befragt werden, ob solch ein Schlag auch zum Tode führen kann. Wenn die Expertin das bestätigt, könnte es passieren, dass die Anklage auf versuchten Totschlag erweitert wird." Er, Kahle, sei sicher, dass das Gericht dies umfangreich prüfen werde. Das hätte der Richter schon vor Beginn des Prozesses erkennen lassen.

Aber auch wenn die Anklage in ihrer jetzigen Form bestehen bleibt, droht beiden Tatverdächtigen eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Denn allein schon für den schweren Raub, den B. und H. unter Verwendung eines gefährlichen Gegenstandes (großer Schraubenschlüssel) und einer Waffe (Messer) begangen haben sollen, droht ihnen laut Paragraf 250 StGB eine Mindeststrafe von fünf Jahren Haft. Mindestens fünf Jahre, wie Anwalt Kahlen betont: ,,Bei der Intensität des Angriffs und der Zerstörung des Autos sowie des Raubs einer kostspieligen Kameraausrüstung bewegt sich das Delikt längst nicht mehr im unteren, sondern eher im mittleren Strafrahmen. Und da sind wir schon bei sieben bis acht Jahren Haft."

Umso unverständlicher ist es vor diesem Hintergrund, dass beide dringend tatverdächtige Angeklagte seit der Tat auf freiem Fuß sind. Gianluca B. etwa, der als politischer Ziehsohn von NPD-Bundesvize Heise gilt, lebt auf dem Grundstück seines Förderers in Fretterode. Ein halbes Jahr nach dem Angriff von 2018 agierte er bei einem Nazitreffen auf Heises Anwesen sogar als Ordner und Ansprechpartner der Polizei.

Und Nordulf H. – zur Tatzeit noch minderjährig – konnte nach dem Überfall sogar ins Ausland übersiedeln und eine Ausbildung in der Schweiz absolvieren. Nach Recherchen des Internetportal tatort-fretterode.org soll er in Visp im Oberwallis von einem engen Freund der Familie Heise aufgenommen worden sein. Der Schweizer gilt als Verantwortlicher für die Blood&Honour-Sektion des Kantons Oberwallis und betreibt im Wallis ein Tattoo-Studio und einen szenetypischen Textilienshop. Nordulf H. soll sich zudem in der Schweiz im Umfeld von Blood&Honour und anderen rechtsextremen Gruppen bewegt haben.

Der Umstand, dass gegen beide Angeklagte nie ein Haftbefehl erlassen wurde, ist aus Sicht von Anwalt Kahlen auch der Hauptgrund für die bisherige lange Verfahrensdauer. ,,Die Straftat ist von der Intensität her vergleichbar mit einem bewaffneten Banküberfall, bei dem es Verletzte gibt", sagt Kahlen. ,,Aber während ein Bankräuber mit Sicherheit in Untersuchungshaft wandern würde, konnten die beiden Angeklagten in diesem Fall mehr als drei Jahre lang völlig unbehelligt leben. Und da der Fall keine Haftsache war, galt auch nicht das Beschleunigungsgebot für das Strafverfahren." Im Prozess müsse man nun darauf achten, dass das Gericht die lange Verfahrensdauer nicht als mildernd für die Angeklagten wertet, sagt er. Aus früheren Beispielen wie den Prozessen wegen der Neonaziüberfälle in Leipzig-Connewitz und im thüringischen Ballstädt wisse man, dass dies zu milden Strafen für die Angeklagten führen kann.


Aus: "Neonazi-Attacke in Thüringen: Rechtsextreme sind seit der Tat auf freiem Fuß" Andreas Förster (05.09.2021)
Quelle: https://www.fr.de/politik/neonazi-attacke-in-fretterode-rechtsextreme-sind-immer-noch-auf-freiem-fuss-90959903.html

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Kontext: "Anschlag in Hanau 2020: Schizophren und Rassist" Von Christian Vooren, Wiesbaden (7. Februar 2022)
Im U-Ausschuss des hessischen Landtags wird ein Gutachten über den Täter vorgestellt. Das zeigt eine lange Krankheitsgeschichte und den Weg einer Radikalisierung.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/anschlag-hanau-2020-untersuchungsausschuss-taeter

"Attentäter von Hanau: Psychogramm eines Killers" Essay von Klaus Theweleit (14. 2. 2021)
Vor einem Jahr tötete der rechtsextreme Bankangestellte Tobias R. zehn Menschen. Eine Analyse von Tätern, die mit den Spaltungen des Ichs nicht klarkommen. ... Alle Sorten Faschisten handeln grundsätzlich aus Notwehr. Die Welt (= der Sumpf, soweit diese Welt weiblich ist) will ihnen ans Leder, ans Geschlecht, ins Gehirn, ans Eingemachte. Sie müssen sich wehren. Ihr Tun ist damit immer frei von Schuld.
Warum muss eliminiert werden? Ihre Welt (,,Volk", ,,Nation", ,,Rasse", ,,Natur", die ,,Geschlechterordnung", der ,,Glaube") müssen gerettet werden vor dem Untergang. Das geht nur mit Gewalt. An dieser haben sie Spaß.
Der Hanauer Tobias R. listet mehr als zwei Dutzend Länder auf, deren ,,Völker komplett vernichtet werden müssen": Staaten im arabischen und asiatischen Raum, von Marokko bis zu den Philippinen. Seine Heimat dagegen sei ,,ein Land, aus dem das Beste und Schönste entsteht und herauswächst, was diese Welt zu bieten hat".
Die Deutschen ,,hätten die Menschheit als Ganzes emporgehoben". Allerdings seien nicht alle Bundesbürger ,,reinrassig und wertvoll", er erwäge ,,eine Halbierung der Bevölkerungszahl". Er würde ,,diese Menschen alle eliminieren, auch wenn es dabei um mehrere Milliarden geht". ... Immer sind merkwürdige Kräfte bei all diesen Tätern mit am Werk. Geheime Zirkel, Verschwörungen, Geheimdienste, die die Welt steuern; mal benannt als jüdisch, mal als islamisch, mal als kulturmarxistisch; in jüngster Zeit oft als queer-feministisch: verschlingende, aussaugende Organisationen. ...
https://taz.de/Attentaeter-von-Hanau/!5748592/

"Die Krankheit heißt Rassismus" - Klaus Theweleit über den Attentäter von Hanau (2021)
https://youtu.be/_vnF2eL19g8


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Quote[...] Am vergangenen Samstag zogen wieder organisierte Rechtsextreme gemeinsam mit Impfgegnerinnen und -gegnern durch Wien. Auf der Corona-Demonstration waren – nur wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 – russische Fahnen zu sehen, aus einem Lautsprecher tönte die russische Nationalhymne. Wladimir Putin gilt im rechtsextremen Milieu schon seit Jahren als Identifikationsfigur, dessen Panzerpolitik und autoritäres Auftreten imponiert diesen Kreisen. "Wir wollen einen wie Putin", titelte die in Oberösterreich erscheinende rechtsextreme Zeitschrift "Info Direkt" bereits im Jahr 2015.

Es fällt auch auf, dass auch Corona-verharmlosende Online-Gruppen russische Narrative und Propaganda verbreiten. Das liegt einerseits daran, dass die Szene maßgeblich von Rechtsextremisten beeinflusst wird und andererseits die Feindbilder sich überlappen. So wird der Krieg in der Ukraine mit der Corona-Pandemie verknüpft. Finstere Mächte im Hintergrund, die "Globalisten", werden für beide Krisen verantwortlich gemacht.

Martin Rutter, der sich als Anführer der Corona-Proteste inszeniert und maßgeblich die Kundgebung am Samstag organisierte, schrieb auf Telegram: "Dieselbe Regierung, dieselben Medien und dieselben Hintergrundmächte, die sich für die ,Corona-Pandemie' zuständig zeichnen, treiben nun Österreich in einen Wirtschaftskrieg auf der Seite der USA und der Nato." Und er sieht "Globalisten" am Werk. Das Wort steht bei vielen Rechtsextremen als ein Code für Jüdinnen und Juden.

Das oberösterreichische Medienprojekt "Auf1", ein wichtiges Sprachrohr verschwörungsgläubiger Impfgegner, machte vor dem russischen Angriff das "Globalisten-Regime des Westens" für eine mögliche Eskalation verantwortlich. Es seien "dieselben Globalisten", die "den Corona-Ausnahmezustand vom Zaun gebrochen haben", die "uns jetzt in den Krieg hetzen wollen", schrieb "Auf1"-Chefredakteur Stefan Magnet auf Telegram.

Nach dem Angriff auf die Ukraine bezeichnete "Auf1" den Einmarsch russischer Truppen als "bedenklich". Mehr an Kritik war von Magnet nicht zu vernehmen. Ergänzend führte er aus, dass der "globalistische Westen" nun eine "Ausweitung des Krieges" möchte. Deswegen solle sich Österreich neutral verhalten. Damit hat "Auf1" die Linie der FPÖ übernommen.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl erklärte, der "Angriff von russischen Truppen ist in keiner Art und Weise zu rechtfertigen", sprach sich jedoch gegen Sanktionen gegen Russland aus und betonte Österreichs Neutralität. Eine neue Position – erst im Juli des vergangenen Jahres forderte die FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger "größtmögliche Sanktionen" gegen die Türkei, nachdem zuvor der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Kriegsrhetorik gegenüber dem griechischen Teil Zyperns angestimmt hat. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer kann Kickl mit der Politik des russischen Präsidenten offensichtlich wenig anfangen. Er hat den im Dezember 2016 geschlossenen Freundschaftsvertrag zwischen der FPÖ und der Putin-Partei Einiges Russland nicht erneuert. Als der Vertrag damals in Moskau unterzeichnet wurde, war, laut Medienberichten, auch "Auf1"-Chefredakteur Stefan Magnet als Teil der freiheitlichen Delegation mit dabei. Magnet bewegte sich in jungen Jahren in der Neonazi-Szene und publizierte in "Info Direkt" und "Wochenblick". Er war sogar für das "Wir wollen einen wie Putin"-Cover von Info-Direkt mitverantwortlich, wie er auf Facebook schrieb. In der ebenfalls in Oberösterreich angesiedelte Zeitschrift "Wochenblick" sind eher Sichtweisen Moskaus und der FPÖ zu finden als Journalismus.

Teile der deutschen AfD halten weiterhin an Wladimir Putin fest, die Partei sprach sich ebenfalls gegen Sanktionen aus und gibt die Schuld an dem Angriff aber nicht Putin, sondern dem Westen, der EU und der Nato.

Diese Erzählung ist auch von Rechtsextremen in Frankreich zu hören. Deren neues Aushängschild, Éric Zemmour, präsentierte sich 2018 als Bewunderer von Wladimir Putin: "Ich träume von einem französischen Putin", sagte er. Matteo Salvini, Chef der rechten Lega Nord in Italien, verurteilte den russischen Angriff. Zuvor aber galt er ebenfalls als Anhänger Putins und posierte schon mal mit einem T-Shirt, auf dem ein Porträt des russischen Präsidenten abgebildet war.

An die Seite Russlands stellt sich das "Compact-Magazin" von Jürgen Elsässer. "Die Aggression geht von der Nato unter Führung der USA aus", erklärt er seinen Leserinnen und Lesern. Das "Compact-Magazin" gilt als Sprachrohr der deutschsprachigen Neuen Rechten, das seine Leserschaft nicht mit theoretischen Inhalten überfordern will. Regelmäßig publiziert auch Identitären-Anführer Martin Sellner in der Zeitschrift. Sellner hält sich in seinen Social-Media-Kanälen mit einer klaren Positionierung zurück. Er schreibt von einem "Bruderkrieg", berichtet vom Kriegsgeschehen und versucht, den Krieg mit Fremdenfeindlichkeit zu verknüpfen, indem er vor neuen Flüchtlingsströmen warnt. Auch warnt er vor einer Spaltung der "deutschen Rechten", da nicht alle Medien und Aktivisten auf der Seite Putins stehen.

Österreichische Neonazis aus dem Umfeld Gottfried Küssels kritisieren die russlandfreundlichen Neuen Rechten und rechtsgerichtete Medienprojekte wie "Auf1". "Jeder, der Vielvölkerstaaten unterstützt oder bejubelt, egal ob die USA oder Russland, ist nicht unser Verbündeter, sondern Gegner", heißt es auf Telegram. Das passt zur Linie der deutschen Neonazi-Partei 3. Weg, die Kontakte zu Gesinnungsgenossen in der Ukraine unterhält.

In der Ostukraine kämpften Rechtsextreme und Neonazis zum Teil in eigenen Regimentern wie Asow schon seit Jahren gegen die prorussischen Separatisten. Nun treten sie gegen die russische Armee an. Sonst spielen Rechtsextreme in der Ukraine derzeit keine Rolle, auch wenn der russische Präsident Putin etwas anderes behauptet.

Bei den vergangenen Wahlen sind Rechtsextreme an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. "Der aktuelle Präsident ist russischsprachiger Jude, was das Narrativ von Nazis, die Russischsprachige unterdrücken, noch viel lächerlicher macht. Gegen seine Desinformation hilft nur ebenso offensive Aufklärung, was man im Westen bislang verpasst hat", sagt die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband der ARD.


Aus: "Russische Fahnen auf der Corona-Demo in Wien" Markus Sulzbacher (2.3.2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000133734656/russische-fahnen-auf-der-corona-demo-in-wien

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Charly Firpo, 2. März 2022, 14:24:22

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Rechte und Neonazis jubeln einem Diktator aus Russland zu der ein Land überfällt mit dem erklärten Ziel dieses von den Nazis zu befreien.


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Brainbunny, 2. März 2022, 14:07:02

Zum ...

Sich in seiner Freiheit beeinträchtigt fühlen, aber einem Diktator hinterher rennen.

Das kann man nicht erfinden.


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raltsch
2. März 2022, 13:28:51

War klar, dass so etwas passieren wird. Ich muss aber jenen beipflichten, die davor warnen, hier wieder alle in einen Topf zu werfen und aus einer Fahne einen Haufen von Putin-Fans zu machen. ...


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Hephaistion

Wie kann ein echter Nazi zu Russland halten?


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MeineBesteMeinung

Weil Russland seit langem weit Rechts regiert wird. Warum Leute Russland mit der alten UdSSR verwechseln muss wohl an geistiger Trägheit liegen. Die Führung in Russland ist christlich-konservativ-kapitalistisch.


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Der Gummibaumtroll

Tatsächlich sind wir ja bereits im 8ten Jahr eines von Putin und seinen Nützlichen Idioten geführten Desinformationskrieges
Die Krim, Donbass, Trump, Brexit, Sputnik, RT und die gezielte Unterwanderung der demokratischen Rechtsstaaten durch vom Kreml gesponserte Extremisten sind jedenfalls das Ergebnis hoher Investitionen in einen sehr großen und aggressiven Desinformationsapparat.

Ein 18 Tweets langer Thread zur Erklärung. Von der Journalistin, die den Skandal mit Facebook und Cambridge Analytica aufgedeckt hat.

Thread: Carole Cadwalladr @carolecadwalla
Ok. Deep breath. I think we may look back on this as the first Great Information War. Except we're already 8 years in.
The first Great Information War began in 2014. The invasion of Ukraine is the latest front. And the idea it doesn't already involve us is fiction, a lie.
...

11:05 nachm. · 27. Feb. 2022·Twitter Web App
https://twitter.com/carolecadwalla/status/1498056686548013062


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Hortensia die Erste

Spannend ist, diese Wurschtel schreien "Diktatur!", weil sie eine Maske tragen sollen, wünschen sich aber einen Putin? Dort ist echte Diktatur, dort wird man verhaftet, wenn man demonstriert.
Laufen diese Fahnenträger eigentlich immer noch frei herum? ...


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MeineBesteMeinung

Warum Leute die Verbindung zwischen unseren Rechtradikalen und der Partei Russlands "erstaunlich" halten kommt wahrscheinlich daher, dass sie Putin für einen verkappten Kommunisten und Russland für "links" in der Nachfolge der UdSSR halten. Aber Putin ist ideologisch ein rechtskonservativer Christ, wie es die bei uns in den 50ern und 60ern in Massen gab. Traditionelle Familie und nationale Einheit ist der Altar, den Putin anbetet. Die entsprechenden Werte teilt er daher mit unseren Rechtsrechten. Inklusive der FPÖ. Und Teilen der ÖVP.
Andere Rechtsrechte Österreichs sind mit den rechtsrechten Milizen der Ukraine verbandelt. Der Unterschied zwischen russischen und ukrainischen Nationalisten ist übrigens marginal.


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#118
Quote[...] Mehr als 30 Jahre nach einem tödlichen Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis hat die Bundesanwaltschaft einen Tatverdächtigen festnehmen lassen. Peter S. sei am Montag von der Landespolizei im Saarland festgenommen worden und solle noch im Laufe des Tages einem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt werden, teilte der Generalbundesanwalt am Montag in Karlsruhe mit. S. werde Mord, versuchter Mord und Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen.

S. soll am 19. September 1991 in Saarlouis in eine Asylbewerberunterkunft gegangen sein und dort aus seiner rassistischen und rechtsextremistischen Gesinnung heraus ein Feuer gelegt haben. Dazu soll er Benzin ausgegossen und entzündet haben. Das Feuer breitete sich den Ermittlern zufolge mit großer Geschwindigkeit im Treppenhaus aus und erfasste im Dachgeschoss einen 27 Jahre alten Flüchtling aus Ghana. Der Mann sei noch am selben Tag an den Folgen seiner Verbrennungen und einer Rauchvergiftung gestorben.

Zwei weitere Hausbewohner konnten sich nur durch Sprünge aus dem Fenster retten, sie erlitten Knochenbrüche. Die weiteren 18 Bewohner der Unterkunft blieben unverletzt. Der Fall steht seit Jahren auf der Tagesspiegel-Liste von Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung.

Der Angreifer soll sich vor dem Brandanschlag in einer Gaststätte mit anderen Rechtsextremisten über die damaligen rassistisch motivierten Anschläge auf Unterkünfte für Ausländer im sächsischen Hoyerswerda ausgetauscht haben. Dabei soll die Runde deutlich gemacht haben, dass sie solche Anschläge auch in Saarlouis gut finden würde. Nach der Schließung der Gaststätte soll S. daraufhin zu dem Wohnheim für Asylbewerber gegangen sein und es angezündet haben.

In Hoyerswerda war es im September 1991 über mehrere Tage zu rassistisch motivierten Übergriffen gekommen. Die Ausschreitungen waren der Beginn einer ganzen Serie von rechtsextremen Gewalttaten in Deutschland.

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen in der Sache erst vor zwei Jahren übernommen. Die ursprünglichen Ermittlungen der Landesjustiz waren bereits eingestellt worden, da kein Täter ermittelt werden konnte. Auf Grundlage neuer Erkenntnisse sei das Verfahren wiederaufgenommen worden. Es hätten sich "gravierende Anhaltspunkte" für einen rechtsextremistischen und rassistischen Hintergrund des Anschlags ergeben. Diese Annahme und der Tatverdacht gegen S. hätten sich in der Folge erhärtet. (AFP)


Aus: "Brandanschlag auf Asylbewerber vor 31 Jahren: Bundesanwaltschaft verhaftet Rechtsextremisten wegen Mordes" (04.04.2022)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/brandanschlag-auf-asylbewerber-vor-31-jahren-bundesanwaltschaft-verhaftet-rechtsextremisten-wegen-mordes/28225212.html

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Quote[...] Nach dem Terroralarm in Essen haben die Ermittler einen Haftbefehl gegen den verdächtigen Schüler beantragt. Der 16-Jährige war am Donnerstagmorgen von einem Spezialeinsatzkommando festgenommen worden. Nun wird gegen den Schüler wegen des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz ermittelt.

Beamtinnen und Beamte hatten beim Durchsuchen der Wohnung, in der der 16-Jährige lebt, Utensilien für den Bau von Bomben gefunden, darunter Sprengstoffe und 16 Rohrkörper, einige präpariert mit Uhren und Nägeln. Außerdem fanden sie weitere Waffen und rechtsextremes Material.

Bei der Polizei war ein Hinweis eingegangen, wonach der 16-jährige Schüler des Don-Bosco-Gymnasiums in Essen-Borbeck an seiner derzeitigen oder seiner ehemaligen Realschule eine Straftat geplant haben könnte. Nach der Festnahme des Schülers wurden das Gymnasium und die Realschule am Schloss Borbeck mit Sprengstoff-Spürhunden durchsucht.

Der stellvertretende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) sprach auf Twitter von einer "Verhinderung eines mutmaßlichen Naziterroranschlags". Bei dem 16-Jährigen gibt es auch Hinweise auf massive psychische Probleme und Suizidgedanken, hatte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) berichtet. Für die Polizei war der Jugendliche ein unbeschriebenes Blatt.

Das Don-Bosco-Gymnasium blieb an diesem Freitag weiterhin geschlossen. "Das Kollegium wird in der Schule zusammenkommen, um das Geschehene auf- und die folgenden Tage vorzubereiten. Dazu gehören auch die wichtigen mündlichen Abiturprüfungen am kommenden Montag", teilte die Schulleitung auf der Schul-Homepage mit. "Wir sind dankbar, dass uns Schlimmeres erspart geblieben ist", hieß es.

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) kündigte Schülern und Lehrern der betroffenen Schulen Hilfe an. Der schulpsychologische Dienst werde "so lange wie nötig" ein Unterstützungsangebot unterbreiten. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankte dem Hinweisgeber und der Polizei.


Aus: "Generalstaatsanwaltschaft beantragt Haftbefehl gegen Schüler" (13. Mai 2022)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-05/essen-terrorverdacht-schueler-ermittlungen

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#119
Quote[...] BAD KREUZNACH taz | ,,Mord" steht auf dem Aushang vor Saal 7 des Landgerichts Bad Kreuznach. In der Sache gibt es im Prozess gegen den 50-jährigen Mario N. kaum Zweifel: Der Angeklagte hat zugegeben, in einer Tankstelle in Idar-Oberstein am Abend des 18. September letzten Jahres den 20-jährigen Alexander W. mit einem Revolver erschossen zu haben.

Vorangegangen war eine Auseinandersetzung um die Coronaschutzregeln. Der Tankstellenmitarbeiter hatte es abgelehnt, N. Bier zu verkaufen, weil der die vorgeschriebene Mund- und Nasenmaske verweigerte. N. trank sich zu Hause Mut an, kehrte mit einem nicht zugelassenen Revolver in die Tankstelle zurück und tötete den jungen Mann mit einem Kopfschuss. Soweit ist die unfassbare Tat unstrittig. Eigentlich wollte das Gericht bereits vor der Sommerpause die Plädoyers aufrufen, doch die Verteidigung versucht in letzter Minute, die drohende lebenslange Haftstrafe für N. abzuwenden.

An diesem Montag ging es in dem Verfahren so weiter, wie es Mitte Juli in die Sommerpause gegangen war. Die Vorsitzende Richterin Claudia Büch-Schmitz verlas zwar den Beschluss, mit dem die Strafkammer den Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen den psychiatrischen Gutachter als ,,unbegründet" zurückweist. Doch die Verteidigung legte nach. Sie beantragte ein zweites Gutachten, wegen ,,mangelnder Sachkunde" des ersten Gutachters.

Der hatte dem Angeklagten, trotz fast zwei Promille Alkohol im Blut, bei der Tat ,,volle Schuldfähigkeit" attestiert. Folgt ihm das Gericht, muss es Mord und vielleicht sogar die besondere Schwere der Schuld feststellen. Der 50-Jährige müsste dann bis ins hohe Rentenalter ins Gefängnis. Deshalb kämpft die Verteidigung um die ,,Schuldfähigkeit" des Angeklagten.

Sie führt dabei nicht nur den konsumierten Alkohol ins Feld – vor der Tat hatte E. 5,5 Liter Bier getrunken – sondern auch die ,,Verletzbarkeit" ihres Mandanten. Er sei in besonderer Weise von der Pandemie und den Schutzmaßnahmen dagegen gebeutelt gewesen. Zum einen durch Gehaltseinbußen. Im Jahr 2018 hatte der selbständige Softwareentwickler 100.000 Euro, 2020 pandemiebedingt nur noch 18.000 Euro erwirtschaftet.

Außerdem habe er unter einer Anpassungsstörung nach dem Selbstmord seines Vaters gelitten. Der Vater, an Lungenkrebs erkrankt, hatte im März 2020 seine Frau niedergeschossen und anschließend sich selbst getötet. N.s Mutter überlebte schwerverletzt, ihr Sohn habe sie betreuen müssen. Das hätten die Coronaschutzmaßnahmen erschwert. Auch die medizinische Behandlung seines Vaters habe unter den Pandemiebeschränkungen gelitten, führt die Verteidigung an. Zudem lösten Gesichtsmasken bei ihm wegen einer früheren Asthmaerkrankung Panikattacken aus, hatte der Angeklagte vortragen lassen.

Die Mutter des mit einem gezielten Kopfschuss getöteten 20-jährigen Opfers verfolgte diese Argumentation am Montag sichtbar um Fassung ringend.

Ein weiteres Gutachten gibt es von einer Polizeipsychologin, die frühere Chatverläufe des Angeklagten ausgewertet hatte. Ihre Stellungnahme wurde vor Gericht nicht angefochten. Sie erkannte in N.s Texten zu den Coronaschutzmaßnahmen im Netz ein ,,Sündenbock-Narrativ" und bescheinigte ihm ein ,,ausländerfeindliches, rassistisches Weltbild", das bei ihm eine ,,Objektivierung und Dehumanisierung von Menschen" bewirkt habe. Der zwanzigjährige Alexander W. musste danach als ,,Stellvertreter" für die Zumutungen der Pandemie sterben. Erschossen wurde er von einem Mann, der sich radikalisierte und schließlich die Pandemie und die Schutzmaßnahmen dagegen für alle Zumutungen des Alltags verantwortlich machte.

Zu Beginn des Prozesses hatte sich der Angeklagte N. über den ,,Ton" von W.s Anweisung, eine Maske aufzusetzen, beschwert. Er habe sich wie in einem totalitären Staat gefühlt. Mit der Erschießung wollte er ,,ein Zeichen" setzen, erklärte ein anderer Gutachter vor Gericht.

Gelingt es der Verteidigung, Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten durchzusetzen, gegebenenfalls auch in einer Revision vor der nächsten Instanz, könnte ein geringeres Strafmaß als lebenslänglich folgen. Den Antrag auf ein weiteres Gutachten wertete die Staatsanwaltschaft indes als Prozessverschleppung. Nach einer Beratungspause wies das Gericht am Montagnachmittag den Antrag ab. Die Plädoyers dürften nun auf September vertagt werden.


Aus: "Mordprozess Idar-Oberstein: Planvoll oder schuldunfähig?" Christoph Schmidt-Lunau (22.8.2022)
Quelle: https://taz.de/Mordprozess-Idar-Oberstein/!5873306/

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"Verstörendes Interview in Berlin: Hier sprechen die Reichsbürger" Sebastian Leber (28.10.2017)
Heike Werding und fungiert als ,,Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme". Das bedeutet, sie ist die höchste Staatsvertreterin ihres Fantasiereichs. Heike Werding legt ein fünfseitiges, eng bedrucktes Dokument mit dem Titel ,,Allgemeine Handelsbedingungen und Gebührenordnung" vor, in dem sie hohe Geldstrafen androht. Das solle man unterschreiben. Wenn man sich weigert, ist es ihr auch egal. Sie redet einfach drauflos. In den nächsten zwei Stunden geben die beiden seltene Einblicke in die Strukturen, Gesetzmäßigkeiten und Gedankenwelten einer Szene, die auf Außenstehende bizarr, wenn nicht komplett verrückt wirkt. ...
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/hier-sprechen-die-reichsburger-5507434.html
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"Berliner Reichsbürger-Chefin vor Gericht: Prozess gegen Heike Werding beginnt im November" Sebastian Leber (20.10,2022)
Die Chefin der verbotenen ,,Geeinten deutschen Völker und Stämme" sitzt in Niedersachsen in Untersuchungshaft. Über Jahre verbreitete sie Hass und Hetze.
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/berliner-reichsburger-chefin-vor-gericht-prozess-gegen-heike-werding-startet-im-november-8778004.html