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[Umweltschutz | Naturschutz | Umweltgefährliche Stoffe (Ökotoxikologie) ... ]

Started by Link, July 22, 2018, 11:36:20 AM

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Kategorie:Umweltgefährlicher Stoff
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Umweltgef%C3%A4hrlicher_Stoff

Kategorie:Ökotoxikologie
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:%C3%96kotoxikologie

Glyphosat ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Phosphonate. Es ist die biologisch wirksame Hauptkomponente einiger Breitband- bzw. Totalherbizide und wurde seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre von Monsanto als Wirkstoff unter dem Namen Roundup zur Unkrautbekämpfung auf den Markt gebracht. Weltweit ist es seit Jahren der mengenmäßig bedeutendste Inhaltsstoff von Herbiziden. Glyphosatprodukte werden mittlerweile von mehr als 40 Herstellern vertrieben. ... Ausgehend von Medienberichten und einigen kontrovers diskutierten Studien über mögliche Gesundheitsgefahren von Glyphosat hat sich seit Jahren eine intensive öffentliche und wissenschaftliche Debatte entwickelt. Ab 2015 verschärfte sich die Diskussion zusehends. Eine europäische Bürgerinitiative forderte mit fast 1,1 Millionen gültigen Unterschriften das Verbot von Glyphosat....
https://de.wikipedia.org/wiki/Glyphosat

"EU verlängert Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre" (27.11.2017)
Glyphosat ist ein hoch umstrittenes Unkrautvernichtungsmittel, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Die EU-Kommission hat die Zulassung des Pestizids nun um fünf Jahre verlängert. ... 18 Mitgliedstaaten hätten für den Vorschlag der Kommission für eine Verlängerung um fünf Jahre gestimmt, neun dagegen, ein Land habe sich enthalten. Damit sei die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht. Auch Deutschland hat für die weitere Zulassung gestimmt. ... Behörden, die sich um Risikobewertung kümmern, kommen im Zusammenhang mit Glyphosat zum Schluss, dass keine Gefahr für den Verbraucher besteht. So etwa die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa, die Chemikalienagentur Echa und das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung.
Unabhängig davon gibt es Bedenken, unter anderem beim Umweltbundesamt, gegen die Vernichtung von Kräutern und Gräsern auf Ackerflächen. Damit werde Insekten und Feldvögeln großflächig die Lebensgrundlage entzogen. Bauernverbände warnen hingegen, sie müssten bei einem Verbot noch schädlichere und gleichzeitig weniger wirksame Pestizide einsetzen.
Die EU-Kommission wollte ursprünglich eine Verlängerung der Lizenz um zehn Jahre. Dafür bekam sie aber im Kreis der EU-Mitgliedsländer keine Unterstützung. Auch ein neuer Antrag auf Verlängerung um fünf Jahre fiel Anfang November zunächst durch. Daraufhin beantragte die Brüsseler Behörde das Vermittlungsverfahren, das nun erfolgreich war. Nach Angaben der EU-Kommission darf jedoch jedes Mitgliedsland noch selbst entscheiden und bei ernsten Bedenken den Verkauf von Glyphosat verbieten.
Die deutsche Bundesregierung, die seit der Bundestagswahl nur noch geschäftsführend im Amt ist, ist sich nicht einig. Das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium war für und das SPD-geführte Umweltministerium gegen eine weitere Zulassung. Wegen dieses Widerspruchs enthielten sich deutsche Vertreter bei den vorangegangenen Abstimmungen - ein wesentlicher Grund, dass zuvor weder für noch gegen die Zulassung die nötige Mehrheit der Mitgliedstaaten zustande gekommen war.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/glyphosat-eu-verlaengert-zulassung-um-fuenf-jahre-a-1180544.html

"Argentinien: Krank durch Glyphosat?" Simon Plentinger (21.07.2018)
In Argentinien werden Glyphosat und andere Agrarchemikalien in riesigen Mengen eingesetzt, vor allem beim Anbau von genmodifiziertem Soja. Es gibt zwar wissenschaftliche Hinweise, dass dies auf Kosten der Gesundheit der Landbevölkerung geht. Aber in Politik und Medien findet keine Diskussion darüber statt. ...
https://www.deutschlandfunk.de/argentinien-krank-durch-glyphosat.724.de.html?dram:article_id=423508

"Washington: USA: Glyphosat auf der Anklagebank" Dirk Hautkapp (16.07.2018)
Tausende Krebskranke wollen Chemiekonzern Bayer wegen seines Unkrautvernichters verklagen. Die Chemikalie trage Schuld an ihrer Erkrankung ... Bevor Johnson stirbt, so sagt sein Anwalt Timothy Litzenburg, soll in einem Jahrhundert-Prozess der Verursacher der Erkrankung haftbar gemacht werden. Nach Überzeugung von Johnson ist das der just für rund 63,5 Milliarden Dollar im deutschen Bayer-Konzern aufgegangene Agrar-Chemie-Riese Monsanto. Genauer: dessen weltweit jährlich rund fünf Milliarden Dollar einbringender Verkaufsschlager im Segment der Unkrautvernichter: Glyphosat. In Amerika und andernorts unter dem Namen ,,Roundup" im Handel....
Dagegen steht ein Gutachten der zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörenden Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC). Dort hatten Wissenschaftler 2015 konstatiert, dass Glyphosat ,,wahrscheinlich krebserregend bei Menschen" sei. Kalifornien, regelmäßig progressiver in Umweltfragen als andere Bundesstaaten, stufte Glyphosat danach als krebserregend ein.
Die Anwälte von Dewayne Johnson wissen, dass ihnen der lückenlose wissenschaftliche Nachweis der Krebsgefahr bei Glyphosat kurzfristig nicht gelingen kann. Stattdessen, so zeichnete sich beim Prozessauftakt am 9. Juli ab, unternehmen sie den Versuch, die Neutralität und Gründlichkeit der Untersuchungen zu erschüttern, die zur behördlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung geführt hat.
Unabhängige Wissenschaftler, die Zweifel an der Monsanto-Lesart hegten, seien unter Druck gesetzt worden. Wisner will dies unter anderem anhand von internen Unterlagen belegen, die man von ehemaligen Monsanto-Angestellten bekommen habe.
Die Papiere werfen ein ungünstiges Licht auf das Unternehmen. Eine Mitarbeiterin konstatiert: ,,Wir haben keine Krebsstudien mit Roundup gemacht." In einem anderen Schriftverkehr heißt es, dass Monsanto-Angestellte als ,,ghostwriter" an oberflächlich unabhängigen Studien mitgetextet haben sollen, was Monsanto bestreitet.
Im Gericht, so schilderte der Jurist Robert Kennedy Jr., der 800 Glyphosat-Opfer vertritt, wurde bereits der frühere Chef-Toxikologe Monsantos, Mark Martens, vernommen. Er soll geschildert haben, wie die Firma in den 90er-Jahren Studien wegdrückte, die Glyphosat als potenziell schädlich für die menschliche Genetik einstuften. Als der damals weithin anerkannte Experte Dr. James Parry als Gegengutachter angeheuert wurde, den prekären Befund jedoch bestätigte, soll die damalige Produktionsleiterin von Monsanto, Donna Farmer, erwogen haben, den Wissenschaftler zu bestechen, damit er seine Resultate abschwächt.
Damit fangen für Bayer die Probleme aber erst an. Parallel zum Präzedenzfall Johnson hat in der vergangenen Woche ebenfalls in San Francisco Bundesrichter Vince Chhabria die Schleuse für 400 weitere Klagen gegen Monsanto wegen Glyphosat geöffnet. Der Konzern hatte bis zuletzt erbittert um die Abweisung der Anträge gekämpft, hinter denen sich Landwirte, Gartenbaubetriebe und private Nutzer von ,,Roundup" befinden. ...
https://www.morgenpost.de/web-wissen/article214853361/USA-Glyphosat-auf-der-Anklagebank.html

"BSAG rückt von Glyphosat ab" Elke Hoesmann (22.07.2018)
Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) hat erstmals seit Jahren das Unkraut auf ihren Gleisanlagen nicht mit glyphosathaltigen Mitteln bekämpft. Aus eigenem Antrieb geschah das aber nicht. ... Es war vielmehr der Pflanzenschutzdienst des Landes, der einen BSAG-Antrag auf Ausbringen von Glyphosat ablehnte. Begründet wurde dies mit einem neuen Bürgerschaftsbeschluss. SPD, Grüne und Linke im Landesparlament hatten der BSAG vergangenen Dezember einen Denkzettel verpasst.
Das kommunale Verkehrsunternehmen soll keine Produkte mit Glyphosat mehr verwenden, wurde beschlossen. Außerdem sollen für diese Mittel keine weiteren Nutzungsgenehmigungen in Bremen ausgestellt werden. Kurz vor dem Votum hatte der WESER-KURIER berichtet, dass die BSAG zweimal jährlich glyphosathaltige Unkrautvernichter aufs Gleisbett bringt – insgesamt knapp 120 Liter auf zwölf Hektar....
... Die Substanz werde direkt auf das Schotterbett verteilt, erläutert Holling, so gebe es keinen Sprühnebel. Etwa eine Woche später welken die Pflanzen und sterben ab. Der Dienstleister protokolliert den Einsatz, der Pflanzenschutzdienst erhält die Aufzeichnungen. Laut Gesundheitsbehörde nahm der Dienst sogar eine Bodenprobe, um zu überprüfen, dass kein Glyphosat im Spiel war.
Kampf gegen Wildwuchs ohne Chemie – in kleinerem Umfang wird das in Bremen schon seit Längerem praktiziert. Auf Glyphosat und andere Pflanzenschutzmittel verzichten zum Beispiel der Umweltbetrieb oder Werder Bremen. Und bereits seit etlichen Jahren wird am Flughafen  das Unkraut mit heißem Schaum oder heißem Wasser niedergemacht. Auch Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) will nun den Glyphosat-Einsatz erheblich einschränken – aber wohl nicht im Gleisbereich: Ihre für nächstes Jahr geplante Verordnung soll kein Anwendungsverbot für die Deutsche Bahn enthalten....
https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bsag-rueckt-von-glyphosat-ab-_arid,1751029.html

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Quote[...] Chlordecon rettete einst Bananenplantagen. Nun vergiftet es die Menschen auf den französischen Antillen. Der Fall zeigt, wie unberechenbar Pestizide sind. ... Ohne Pestizide könnte die Landwirtschaft nicht genug Nahrung für die Welt produzieren. Heißt es. Also wird schnellstmöglich gespritzt, was erlaubt ist  – ohne, dass langfristige Folgen abzusehen sind. In den aktuellen Debatten über das Unkrautgift Glyphosat oder die Insektenvernichter Neonicotinoide stehen sich Befürworter und Gegner dieser Stoffe unversöhnlich gegenüber. Dabei ließe sich aus der Geschichte lernen: Kaum ein Stoff hat besser gezeigt, wie riskant der exzessive Umgang mit Pestiziden ist wie Chlordecon.
Das Gift ist ein Musterbeispiel dafür, wie Behörden und die Lobby der Landwirtschaft mit falschen Entscheidungen die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürgern bedrohen, weil der Profit der Ernte über alles gestellt wird.
Galt Chlordecon in den Siebzigerjahren noch als Retter für die Bananenplantagen auf den französischen Antillen, ist es heute der Feind. So befreite Chlordecon einst die Stauden von Rüsselkäfern, die sich in Scharen über die Bananen hermachten, sich in die Früchte bohrten und sie faulen ließen. Doch fest steht auch: Die heute als krebserregend eigestufte PCB-Verbindung hat für Jahrhunderte Gewässer und Böden verseucht sowie Nahrungsmittel vergiftet.

Bereits 1979 schätzte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Stoff als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Er gehört zum "Dreckigen Dutzend", einer Gruppe von zwölf Chemikalien, die sich im Körper anreichern, über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, in der Umwelt bestehen bleiben und über Nahrung in den Körper gelangen können. "Chlordecon ist ein monströser, bislang noch völlig unterschätzter Skandal", sagt Suzanne Dall, Agrarexpertin von Greenpeace in Frankreich. Zum ersten Mal sei ein Zusammenhang zwischen Erkrankungen wie Prostatakrebs und einem Pestizid nachgewiesen worden. "Die Bauern haben es massiv versprüht und über so große Flächen, dass die Folgen unbestreitbar sind." Erst 1993 wurde die Chemikalie verboten.

Noch heute, fast dreißig Jahre nach dem Verbot von Chlordecon, müssen die Antillaisen aufpassen, was sie trinken. Wenn die Kohlefilter auf der Inselgruppe ausfallen, fließt das Pestizid wieder aus dem Hahn. Zuletzt geschah das im Mai. Den gesamten Monat lang tranken die Anwohner verseuchtes Wasser, bis die Gesundheitsbehörde schließlich einschritt und Plastikwasserflaschen verteilte. Nun sollen die Kohlefilter erneuert werden.

Der aktuelle Fall zeigt einmal mehr: Chlordecon ist ein dramatisches Beispiel dafür, wie über Jahrzehnte die Schäden von Pestiziden unterschätzt wurden. Heute streiten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit darüber, ob Glyphosat krebserregend ist – die internationale Agentur für Krebsforschung IARC der WHO stuft Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" ein, während die Gesundheitsbehörden der europäischen Länder diese Krebsgefahr als nicht bewiesen ansehen. Auch die Debatte um Chlordecon war vor drei Jahrzehnten lange nicht entschieden: Die Wissenschaftler waren sich über die Schädlichkeit von Chlordecon so wenig einig wie sie es heute bei Glyphosat sind. Die Bananen wiesen weder damals noch heute Rückstände von Chlordecon auf, weswegen das Pestizid fälschlicherweise als unschädlich eingestuft wurde. Dass sich der Stoff Jahre später in Wurzelgemüsen und in Flüssen und Trinkwasser wiederfinden würde, war damals nicht klar.

Alleine die USA verboten Chlordecon bereits 1976, weil in einer ihrer Produktionsfirmen die Angestellten unter Gedächtnisstörungen, unwillkürlichen Augenbewegungen und depressiven Verstimmungen litten. Drei Jahre später dann schätzte die IARC Chlordecon als "möglicherweise krebserregend" ein. Inzwischen gilt es sogar als "bewiesenermaßen krebserregend".

Die französischen Behörden wollten bis vor wenigen Jahren die potenziellen gesundheitlichen Schäden ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht erforschen. Erst knapp zwanzig Jahre nach dem Chlordecon-Verbot auf den Antillen bewies eine Studie des staatlichen Pariser Forschungsinstituts Inserm im Jahr 2012: Kinder, die schon während der Schwangerschaft oder auch nach der Geburt Chlordecon ausgesetzt sind – etwa durch das Trinkwasser oder verseuchte Nahrung – entwickeln sich körperlich und kognitiv schlechter als nicht belastete Kinder. Beispielsweise konnten sie sich insgesamt später Bilder merken und auch ihre motorischen Fähigkeiten, etwa kleine Dinge zu greifen und zu bedienen, entwickelten sich schlechter. Eine weitere Studie desselben Instituts bewies, dass Kinder von Müttern mit Chlordecon im Körper häufiger zu früh und unterentwickelt zur Welt kommen.

Noch immer hat Frankreich keine Eile, auf den Antillen über die Folgen des Pestizids aufzuklären. Eine erste staatlich finanzierte, inselweite Studie über die Folgen des Gifts für die Bürgerinnen und Bürger wurde 2013, ein Jahr nach dem Start, beendet. Das Argument: Der wissenschaftliche Beirat befand, die Methode sei nicht fehlerfrei. Noch heute sagt der Hauptautor der geplanten Studie, seine Forschungen seien gestoppt worden, weil der Regierung die Ergebnisse nicht gepasst hätten. Die französische Gesundheitsministerin Agnès Buzyn will Geld zur Verfügung stellen, um eine neue Studie auszuschreiben. 2018: Das ist 25 Jahre nach dem Ende von Chlordecon in den Plantagen und fast fünfzig Jahre, nachdem Arbeiter begannen, die Inseln in einen Pestizidnebel zu versenken.

Da stellt sich die Frage: Hat Frankreich seine Bürgerinnen und Bürger in den Überseeregionen nicht ausreichend geschützt? Auf französischen Feldern in Europa war der Stoff schon 1990 verboten, auf den Antillen erst drei Jahre später. Eine Klage gegen unbekannt wegen der "Gefährdung Dritter und Nutzung von schädlichen Substanzen" wurde zwar von Umweltorganisationen vor dem Pariser Verwaltungsgericht schon 2006 eingereicht. Die Ermittler sind aber noch immer mit der Beweisaufnahme beschäftigt.

Selbst eine Entschädigung könnte den Bewohnern der Antillen nicht mehr ihr fruchtbares Land zurückbringen. Denn nicht nur die Plantagen sind belastet, sondern auch die umliegenden Felder und privaten Kleingärten. Die zuvor autarke Bevölkerung ist heute darauf angewiesen, ihre Lebensmittel zu importieren, um kein Chlordecon zu schlucken. So kam eine Studie der französischen Behörde Anses im Dezember 2017 zu dem Schluss, dass vor allem Fische aus den Bächen sowie Gemüse und Obst aus Familiengärten mehr Giftstoffe enthielten, als zulässig ist. Besonders also die ärmeren Menschen essen verseuchte Lebensmittel. Tatsächlich hat die Pariser Behörde Chlordecon in auf den Antillen weitverbreiteten Lebensmitteln gefunden – in Eiern, Süßkartoffeln, Fisch und der Ignamwurzel. Die Empfehlung der Behörde, nur noch viermal in der Woche Fisch zu essen und zweimal Wurzelgemüse, befolgen die rund 800.000 Bewohner bislang kaum. Beides gehört zu ihren Grundnahrungsmitteln. Es ist in etwa so, als ob deutsche Gesundheitsbehörden Kartoffeln und Brot auf den Index stellen würden.

Selbst diejenigen, die ihr Essen aus Importwaren bestreiten, sind laut der Pariser Zeitung Le Monde vor dem Pestizid nicht sicher. Eine Studie, die im Herbst dieses Jahres erscheinen soll, weist bei 90 Prozent der Bevölkerung einige Milligramm Chlordecon pro Liter Blut nach. Und: Schon 2010 bewiesen Forscher auf den Antillen, dass die Bewohner ein deutlich höheres Risiko haben, an Prostatakrebs zu erkranken – Männer leiden demnach 50 Prozent häufiger an diesem Krebs als beispielsweise in Europa (Journal of Clinical Oncology: Multigner et al., 2010).

Was bedeutet das nun für aktuelle Debatten um Pestizide? Zunächst einmal: Nur was verboten ist, wird nicht mehr gespritzt. Weder der Skandal um Chlordecon noch die Streitigkeiten um Glyphosat und Neonicotinoide haben den Verbrauch von Pestiziden verringert. Laut Bundesumweltamt sind zurzeit mehr als 750 Substanzen zugelassen, die auf Feldern weltweit versprüht werden dürfen. Und: Landwirte und Landwirtinnen nutzen seit Jahrzehnten ständig mehr von dieser Chemie. Obwohl sie eben nicht für eine ertragreiche Landwirtschaft nötig wäre, wie die Vereinten Nationen (UN) betonen.

Das Gegenteil sei der Fall. Pestizide würden die weltweite Nahrungsproduktion gefährden, weil sie Felder und Menschen vergiften. "Es ist ein Mythos der Chemielobby, dass nur mit Pestiziden die Menschheit ernährt werden kann", sagt Hilal Elver, Berichterstatterin für das Recht auf Nahrung bei der UN. Im Gegenteil: Pestizide zerstörten fruchtbare Landschaften. Langfristig könne nur eine ökologische, kleinteiligere Landwirtschaft den Hunger besiegen.

Quote
Schillerschuppe #15

Der Wahnsinn so was. Aber man sieht ja an Bayer/Monsant, dass die Lobby eine gewaltige Macht hat.

Eine kritische Bemerkung hätte ich zum Artikel aber, wo die Pestizid-Problematik so schon erklärt wurde. Eher geographischer Art. Man könnte die Inseln zum besseren Verständnis mal benennen: Guadeloupe, Martinique, Saint-Martin und Saint-Barthélemy. Es gibt noch eine Menge mehr Inseln, die zu den Antillen gehören.


...


Aus: "Chlordecon: Das Pestizid, das aus dem Wasserhahn tropft" Annika Joeres (21. Juli 2018)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-06/pestizid-chlordecon-gift-glyphosat-antillen/komplettansicht

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#2
Quote[...] Meda ist eine von vielen kleinen Städtchen in der Lombardei – und außerhalb von Italien wäre sie den meisten Menschen unter normalen Umständen heute wohl völlig unbekannt. Doch in den Tagen nach dem 10. Juli 1976 gelangt der Ort zu trauriger Berühmtheit. In der Stadt unweit von Mailand ereignet sich an diesem Samstag einer der größten Chemieunfälle in der Geschichte Europas. Mittags um 12.37 Uhr kommt es in der dort ansässigen Chemiefabrik Icmesa zu einem fatalen Fall menschlichen Versagens. Durch einen Bedienungsfehler steigt die Temperatur in einem Behälter der Anlage immer weiter an und die Überhitzung erzeugt eine starke Druckerhöhung. Das Problem: In dem Behälter wird Trichlorphenol (TCP) produziert, ein Stoff, der noch heute als Vorprodukt für die Desinfektionsmittelherstellung verwendet wird. Läuft dieser Prozess bei zu hohen Temperaturen ab, entstehen große Mengen des Umweltgiftes Dioxin.

Diese werden in die Luft geblasen, als ein Sicherheitsventil des Kessels dem rasanten Temperatur- und Druckanstieg irgendwann nicht mehr standhalten kann. Die angeheizte Reaktion endet in einer gewaltigen Explosion. Mehrere Kilogramm 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-Dioxin (TCDD) werden dabei mutmaßlich freigesetzt – wie viel genau, weiß niemand.

Die giftgeschwängerte Gaswolke breitet sich nach dem Unfall blitzschnell aus und verseucht nicht nur Wiesen, Bäume und Ackerflächen rund um das Fabrikgelände. Sie treibt mit dem Wind auch in Orte wie Seveso – tagelang schwebt die Wolke über der Gemeinde, die dem Unglück später seinen Namen gibt. Insgesamt verteilt sich das Gift Schätzungen zufolge über eine Fläche von 320 Hektar.

Pflanzen, Tiere und Menschen sind in den betroffenen Gebieten akuter Gefahr ausgesetzt. Denn TCDD hat es in sich. Es gilt als eines der stärksten Gifte überhaupt. Schon ein Millionstel Gramm Dioxin reicht völlig aus, um Nagetiere wie Ratten oder Meerschweinchen zu töten. Beim Menschen hat es unter anderem eine krebsauslösende Wirkung. Trotzdem informiert die Firmenleitung die Öffentlichkeit zunächst nicht über die möglichen Risiken des Vorfalls. Auch die Produktion in der Fabrik geht erst einmal ohne Einschränkungen weiter.

Erst eine Woche nach dem Unglück wird bekannt, was die Icmesa-Betreiber von Beginn an wussten. Dass etwas nicht stimmt, bemerken die Menschen jedoch schon vor der offiziellen Bestätigung. Denn in den folgenden Tagen hinterlässt das Gift ein Bild der Verwüstung: Blumen verwelken, Bäume lassen ihre Blätter hängen, Tiere wirken aufgebläht und verenden. Kadaver säumen die Straßen.

Menschliche Todesopfer gibt es bis heute offiziell zwar nicht. Allerdings erkranken zahlreiche Bewohner der Gegen an einer gefährlichen "Chlorakne" mit den typischen, chronischen Hautveränderungen – betroffen sind fast ausschließlich Kinder. Sie sind es auch, die Untersuchungen zufolge seit dem Unglück vermehrt unter Entwicklungsstörungen leiden. Mehrere Studien haben zudem mittlerweile festgestellt, dass sich in den damals durch das Dioxin verseuchten Gebieten, tatsächlich bestimmte Krebsformen und Hautgeschwüre in der Bevölkerung häufen.

Die Schuld an dem Dioxin-Desaster will naturgemäß niemand tragen. Nach dem Ereignis mehren sich jedoch Hinweise darauf, dass nicht nur die schlampige Arbeit einer Person zu dem Unfall geführt hat. Es ist von Managementfehlern und mangelndem Wissen über die Gefahren des Trichlorphenols die Rede.

Zudem kursieren Gerüchte, dass das Dioxin in der Icmesa-Fabrik womöglich sogar mit Vorsatz erzeugt worden sein könnte: Als Zutat für die Produktion von Agent Orange – jenes Entlaubungsmittels, dass von den USA im Vietnam-Krieg massiv als chemische Waffe eingesetzt wurde. Ob an solchen Vermutungen etwas dran ist, ist auch lange nach dem Seveso-Unglück nicht endgültig geklärt.

In Meda erinnert 40 Jahre nach dem Vorfall kaum noch etwas an die Icmesa-Anlage und das, was dort am 10. Juli passierte. Auf dem Gelände der abgerissenen Fabrik befindet sich heute ein Sportplatz. Lediglich der Straßenname "Via Privata Icmesa" zeugt von der einstigen Chemiefabrik.

Aus: "40 Jahre Seveso-Unglück: Giftwolke über Italien" (2016)
Quelle: https://www.wissen.de/40-jahre-seveso-unglueck-giftwolke-ueber-italien

Das Sevesounglück war ein Chemieunfall, der sich am Samstag, 10. Juli 1976, in der chemischen Fabrik Icmesa im italienischen Meda, 20 Kilometer nördlich von Mailand, ereignete. Icmesa war ein Tochterunternehmen von Givaudan, das wiederum eine Tochter von Roche war. Das Betriebsgelände berührte das Gebiet von vier Gemeinden, unter ihnen Seveso, das Namensgeber des Unglücks wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sevesoungl%C3%BCck

"Die Fässer von Seveso" (2007)
In den 41 Fässern lagerte Abfall, kontaminiert mit 200 Gramm einer Chlorverbindung: TCDD-Dioxin, eines der stärksten je synthetisierten Gifte. Ein Millionstelgramm genügt, um einem Meerschweinchen den Garaus zu machen. Das Material stammte aus einem havarierten Chemie-Reaktor der Firma Icmesa bei Seveso, nördlich von Mailand. Icmesa gehörte zu Givaudan, einer Tochter des Basler Pharmaziekonzerns Roche. ... Der Chemieunfall in der Firma Icmesa bei Seveso ereignete sich am 10. Juli 1976. Sechs Jahre später sollten die hochgiftigen Rückstände aus dem Chemie-Reaktor an einem geheim gehaltenen Ort entsorgt werden. Die Fässer verschwanden, doch unter dem Druck der Öffentlichkeit wollten auch die Regierungen Italiens, Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz bald Klarheit. Der skandalöse Umgang mit dem Giftmüll hatte positive Seiten: 1989 einigten sich 116 Staaten auf die «Konvention von Basel», die unter anderem grenzüberschreitende Giftmülltransporte stark einschränkt. Diese sogenannten Seveso-Richtlinien sind 1999 durch griffige Haftpflichtbestimmungen ergänzt worden. In der Schweiz trat 1983 aufgrund des Skandals ein wirksames Umweltschutzgesetz in Kraft. (AdM.)
https://www.nzz.ch/die_faesser_von_seveso-1.559284

"Dementis, Lügen und verlorene Fässer - Die Praktiken der Chemiebosse" (Dieter Lohmann, Stand: 12.11.2010)
In den Tagen und Wochen nach dem Seveso-Unglück gab die Icmesa – ein Tochterunternehmen eines Tochterunternehmens des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche – ein denkbar schlechtes Bild ab.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-518-7.html

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""Agent Orange" im VietnamkriegDer größte Chemie-Angriff der Geschichte" Otto Langels (Kalenderblatt / Archiv | Beitrag vom 07.02.2017)
Im Krieg gegen die Vietcong versprühte die US-Luftwaffe jahrelang tonnenweise Entlaubungsmittel über Vietnam. Doch es enthielt hochgiftiges Dioxin und hatte verheerende Folgen – bis heute. Vor 50 Jahren begann der flächendeckende Einsatz von "Agent Orange". Über 70 Millionen Liter Herbizide versprühte die US-Luftwaffe, darunter allein 45 Millionen Liter "Agent Orange" mit mehreren hundert Kilogramm Dioxin, die ein Siebtel der Gesamtfläche Vietnams langfristig kontaminierten. Die Folgen waren verheerend, denn Dioxin schädigt das Erbgut über Generationen und führt zu Missbildungen. ...
https://www.deutschlandfunkkultur.de/agent-orange-im-vietnamkrieg-der-groesste-chemie-angriff.932.de.html?dram:article_id=378270

Agent Orange ist die militärische Bezeichnung eines chemischen Entlaubungsmittels, das die USA im Vietnamkrieg und im Laotischen Bürgerkrieg großflächig zur Entlaubung von Wäldern und zum Zerstören von Nutzpflanzen einsetzten. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Agent_Orange





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"Dioxinfund in Hamburg "Kinder sollten Spielplätze in der Umgebung nicht benutzen"" Ein Interview von Astrid Ehrenhauser  (2018)
Im Osten Hamburgs hat die Umweltbehörde hohe Dioxinwerte gemessen. Eine Toxikologin erklärt, wie gefährlich das für Menschen in der Nähe ist - und was man auf keinen Fall tun sollte. ...
http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/boberger-niederung-hamburg-wie-gefaehrlich-ist-der-dioxin-fund-a-1238844.html

"Boberger Niederung: Sehr hoher Dioxin-Wert" (08.11.2018)
Nach dem Fund von krebserregendem Dioxin im Naturschutzgebiet Boberger Niederung hat Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Donnerstag erste Ergebnisse der Bodenuntersuchungen mitgeteilt. Die Dioxin-Konzentration liegt demnach in dem betroffenen Gebiet bei 700 Mikrogramm pro Kilogramm. Schon ab einem Mikrogramm müssen Behörden Schutzmaßnahmen ergreifen. Da bislang nur das Ergebnis einer einzelnen Messung vorliege, sei noch nicht klar, ob es sich um eine punktuelle oder großflächige Belastung handele, so Kerstan. Ergebnisse weiterer Proben sollen im Januar vorliegen. Unabhängig von der Größe des Gebiets handele es sich schon angesichts des jetzt vorliegenden "sehr, sehr hohen Wertes" um ein "schweres Umweltvergehen". ...
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Boberger-Niederung-Sehr-hoher-Dioxin-Wert,dioxin628.html

"Frühere Dioxin-Funde in Hamburg - Die zwei Skandale" (9.11. 2018)
Nicht zum ersten Mal wurde in Hamburg Dioxin gefunden. Ein Chemiewerk Boehringer und eine Mülldeponie waren mit dem Gift verseucht. ...
http://www.taz.de/!5549285/


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"Tickende und leckende Zeitbomben im Meer" (06.02.2019)
Der Meeresboden in der Ost- und Nordsee ist an vielen Stellen übersät mit tickenden Zeitbomben. «In der Kieler Bucht liegen in Sichtweite beliebter Strände Torpedokopf neben Sprengmine», sagt der Meeresbiologe Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Der Großteil davon stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Allein auf deutschem Gebiet sollen insgesamt 1,6 Millionen Tonnen an konventionellen Waffen in Nord- und Ostsee liegen. Dazu kommen 300 000 Tonnen chemischer Waffen in der Ost- und Nordsee. «Das ist gewaltig, was da liegt», sagt Brenner. ...
... 70 Jahre lang habe es kaum jemanden interessiert, was in den Meeren vor sich hin rostet. «Am besten rührt man es nicht an. Das zersetzt sich sowieso, hieß es lange», sagt Brenner. Dass das falsch war, sehe man heute: Viele Bomben können immer noch explodieren. Mit der Zeit werden sie sogar immer empfindlicher. Eine geringe Druckänderung oder ein Schlag können sie zur Detonation bringen. «Die Munitionskörper sind teilweise komplett verrottet. Aus anderen tritt Sprengstoff aus», sagt Brenner. Diese giftige Substanzen sowohl aus chemie- als auch aus konventionellen Waffen gelangen ungehindert ins Meer. Die Folgen für die Umwelt sind erheblich.
Das AWI und Partner haben in dem Projekt «Chemsea» vor einigen Jahren die Auswirkungen der Chemikalien auf die Umwelt erforscht. Der Meeresbiologe Brenner sagt, bei zehn bis 13 Prozent des Speisefisches Ostseedorsch seien Stoffe aus chemischen Waffen im Filet nachgewiesen worden. Die Menge sei zwar gering. «Es kann aber sein, dass so ein Fisch auch auf dem Teller landet», sagt er. Inwiefern diese geringen Mengen Auswirkungen auf den Verbraucher haben, sei noch nicht erforscht.
Im Februar endet das Nachfolgeprojekt «Daimon» («Decision Aid for Marine Munition»), wieder in Zusammenarbeit mit nationalen wie internationalen Partnern. Anfang Februar fand die Abschlusskonferenz in Bremerhaven statt. Die Forscher hatten den Effekt von konventionellen Waffen auf die Umwelt untersucht. Das Thünen-Institut für Fischereiökologie hat den Plattfisch Kliesche unter die Lupe genommen, der am Meeresboden in der Kieler Bucht lebt. In diesem Gebiet lägen etwa 35 000 Tonnen konventioneller Munition, sagt Thomas Lang, stellvertretender Leiter des Instituts.
Bei 25 Prozent der Exemplare fanden die Forscher Lebertumore. In unbelasteten Gebieten liegt die Quote dagegen bei nur 5 Prozent. «Am Boden gibt es TNT-Klumpen, die sich im Wasser lösen. Die Abbauprodukte gelangen über das Wasser oder die Nahrung in den Organismus», sagt Lang. Laborversuche haben gezeigt, dass die Abbauprodukte von TNT die DNA von Fischen schädigen, was eine mögliche Erklärung für die hohe Tumorrate sei. Gefischt und vermarktet werde die Kliesche allerdings nicht, so dass für den Menschen keine Gefahr bestehe.
Neben Umweltschützern hat allerdings auch die Wirtschaft ein Interesse daran, den Meeresboden von Munition zu befreien. «Die Munition stellt ein Risiko für die Schifffahrt dar und für den Bau von Windkraftanlagen und das Verlegen von Seekabeln», sagt Lang. Taucher sind daher laufend damit beschäftigt, Fahrrinnen von Minen zu befreien, die eigentlich als unbelastet galten. ...
https://www.tagesspiegel.de/wissen/munitions-altlasten-tickende-und-leckende-zeitbomben-im-meer/23956860.html

QuoteBabsack 07:41 Uhr

    70 Jahre lang habe es kaum jemanden interessiert, was in den Meeren vor sich hin rostet. «Am besten rührt man es nicht an. Das zersetzt sich
    sowieso, hieß es lange», sagt Brenner. Dass das falsch war, sehe man heute


So sind wir nicht nur eine Generation,die kommenden Generationen einige unangenehme Überraschungen aus wirtschaftlichen Interessen hinterläßt,sondern sind vielleicht in ein paar Jahren auch selbst noch Opfer einer Generation,die es sich nach dem Krieges einfach machen wollte und das Meer als Mülleimer unendlichen Fassungsvermögens begriff.
Bis jetzt haben alle nachkriegsgeborenen Generationen ja wirklich nur die Schokoladenseite all des skrupellosen Wirtschaftens und Waltens genießen dürfen.
Übrigens ist Fisch,besonders fetter Fisch, aus der Ostsee schon heute extrem belastet,so dass er größtenteils nicht in den Verkauf an Menschen geht,sondern man es etwas trickreicher gestaltet,indem man daraus Fischfutter herstellt,mit dem dann der "gute Norwegische Zuchtlachs" gefüttert wird,der dadurch und durch Medikamente zum giftigsten Lebensmittel wird,was man im Supermarkt noch legal kaufen kann.
Aber auch hier gilt selbstverständlich:
Was uns nicht umbringt,reichert sich langsam an.


...

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Quote[...] Rom/Straßburg – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat ein Verfahren gegen Italien wegen der illegalen Giftmüllentsorgung in der von der Camorra kontrollierten Gegend zwischen Neapel und Caserta aufgenommen, die als "Feuerland" bekannt ist. Der EGMR nahm einen dementsprechenden Antrag von Bürgern und Verbänden an, die ihr Recht auf Gesundheit gefährdet sehen, berichteten italienische Medien. Die Kritiker behaupten, dass der italienische Staat ungenügende Maßnahmen zur Reduzierung der Risiken für die öffentliche Gesundheit ergriffen habe, obwohl er sich über die Gefahren im Klaren sei. Wegen illegaler Müllentsorgung sei in den vergangenen Jahren die Zahl der Krebserkrankungen in der Gegend besonders stark gestiegen. Betroffen seien vor allem Kinder.

Schätzungen zufolge wurden in den Jahren 1991 bis 2013 rund zehn Millionen Tonnen Industrieabfall in dem Landstrich verbrannt, obwohl offene Mülldeponien in der Europäischen Union verboten sind. Das Geschäft mit dem Mist ist seit dem Ende der 1980er-Jahre eine lukrative Einnahmequelle für die neapolitanische Mafia. Die Camorra lässt selbst giftige Abfälle wie Asbest, Lösungsmittel, Autoreifen und Kühlschränke auf den Feldern auskippen und zündet sie unterschiedslos an. Der Begriff "Feuerland" leitet sich von den hunderten brennenden Mülldeponien ab, auf denen die Müllmafia, die sich mit der Giftmüllentsorgung bereichert, riesige Mengen von Haushalts- und Industrie- sowie Sonderabfall illegal ablagert und verbrennt. Internationale Aufmerksamkeit erfuhr die Region durch den Bestsellerautor Roberto Saviano, der in seinem Buch "Gomorrha" aus dem Jahr 2006 über die Camorra schrieb. Unternehmen im ganzen Land zahlen demnach lieber Schmiergeld an die Mafia, als seriöse Müllfirmen damit zu beauftragen, ihren Unrat zu entsorgen. Durch diese Praxis werden nicht nur gesundheitsschädigende Gase freigesetzt, sondern auch die Erde und das Grundwasser verseucht. Viele Feldfrüchte sind mit Arsen und Schwermetallen belastet. (APA, 6.3.2019)


Aus: "Menschenrechtsgericht leitet wegen Giftmülls Verfahren gegen Rom ein" (6. März 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000099027221/Menschenrechtsgericht-leitete-Verfahren-gegen-Rom-wegen-Giftmuell-ein

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Quote[...] Schwarze Klumpen an Surfstränden, verklebte Vögel und sterbende Austern: An der westfranzösischen Küste erwarten die Menschen eine Ölpest. 330 Kilometer vor dem Festland ist vor wenigen Tagen das Containerschiff Grande America havariert. Dabei sind rund 2.000 Tonnen Schweröl ausgelaufen; Wellen und Strömungen im Atlantik werden bestimmen, wann der Dreck die Küste erreicht. Betroffen sein werden die Regionen, die im Sommer die meisten Touristen anziehen: die Strände nördlich von Biarritz, wo Surferinnen wellenreiten, die Vogelinseln vor Arcachon, die Stadt mit der höchsten Düne Europas, und die Bucht südlich von Bordeaux, in der Austern gezogen werden.

Die spektakuläre Havarie zeigt, dass der Schiffsverkehr in Europa und weltweit für das Meer insgesamt bedrohlich geworden ist. Mehr als 80 Prozent aller Waren werden inzwischen über das Meer transportiert, vor allem, weil es so günstig ist. Dabei wird alles immer größer, wie Zahlen des französischen Meereswirtschaftsinstituts ISEMAR zeigen. Heute ist ein durchschnittliches Frachtschiff 350 Meter lang und es transportiert 16.000 Container – viermal so viele wie noch vor 20 Jahren. Diese große Fracht wird von vergleichsweise wenigen Menschen begleitet, nur 16 Besatzungsmitglieder fahren durchschnittlich mit, die meisten stammen aus dem Exportland China. Weil die Lohnkosten dort niedrig sind, macht der lange Weg bei einem von China nach Deutschland transportierten Fernsehers oder Staubsaugers am Ende nur rund ein Prozent des Preises aus.

Der Preisdruck bringt zwei Gefahren mit sich. Erstens müssen kleine Crews mit immer größeren und oft auch brennbaren oder explosiven Ladungen fertig werden. Zweitens fahren die meisten Tanker mit Schweröl, das billig ist, aber besonders viele schädliche Abgase produziert.

Auch die Grande America fuhr mit Schweröl. Diese 2.000 Tonnen Schweröl aus dem Tank sind es auch, die nun an die Küsten gespült werden. Am 8. März war das Schiff um 3 Uhr nachts aus dem Hamburger Hafen ausgelaufen. Am Abend des 10. März brach ein Feuer aus. Die Löschung der haushohen Flammen dauerte nicht nur einen ganzen Tag, sie verursachte möglicherweise auch die Havarie des Bootes. Wahrscheinlich führten die vielen Kubikmeter Löschwasser erst zu einer Schlagseite und ließen das Boot schließlich auf den 4.600 Meter tiefen Grund des Atlantik sinken. Die 27 Männer und Frauen an Bord konnten gerettet werden, aber das Schiff und seine Ladung liegen nun im Meer.

Laut der italienischen Grimaldi Group, die das Schiff besitzt, bestand die Ladung aus 2.100 neuen und gebrauchten Fahrzeugen. Außerdem waren knapp 400 Container an Bord, davon 45 mit gefährlichen Stoffen. Details nannte sie nicht.

Dieser Informationsmangel ist typisch für die rasant wachsende Branche. Weder der Hamburger Hafen noch die Firma, die den Tanker beladen hat, weiß, welche Waren vor ihren Augen umgeschlagen wurden. Inzwischen hat die französische Präfektur bekannt gegeben, dass unter den gefährlichen Stoffen Salz und Schwefelstoffe waren. Die Grimaldi Group hingegen hatte ausgeschlossen, dass das Schiff korrosive Stoffe, zu denen Schwefel gehört, an Bord führte.

Ein offensichtlicher Widerspruch, die französische NGO Robin Hood fordert Aufklärung: "Wir verlangen von den französischen Behörden eine vollständige Liste der Stoffe", schreibt die Umweltorganisation. Die Organisation hatte zuvor bereits angekündigt, die Grimaldi Group wegen "Verschmutzung des Meeres und des Zurücklassens von Abfällen", zu verklagen. "Die Grande America war ein Schrottschiff, das Schrott transportierte", schreiben sie.

Tatsächlich lässt sich auf der Seite von Equasis, einer Seite, die Informationen über die Sicherheit der Schifffahrt sammelt und zur Verfügung stellt, nachvollziehen, dass bei der Grande America im Laufe der vergangenen Jahre zahlreiche Mängel festgestellt wurden. Vor allem mangelhafter Feuerschutz wird in der von der Europäischen Union gegründeten Datenbank immer wieder erwähnt.

Das scheint allerdings kein Grund gewesen zu sein, das Schiff aus dem Verkehr zu ziehen. Die Grande America habe vier- bis sechsmal pro Jahr im Hamburger Hafen angelegt, sagt Kai Gerullis, Sprecher der Hamburger Hafenbehörde, es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben.

Dass Unfälle von Containerschiffen zunehmen, kann das Havariekommando in Cuxhaven, das für Unfälle auf der Nord- und Ostsee zuständig, aus seinen Statistiken nicht erkennen. "Die Unfallzahlen schwanken stark – mal haben wir zwei, mal neun sogenannte komplexe Schadenslagen pro Jahr", sagt Simone Starke von der Bundesbehörde. Seit der Gründung des Havarkiekommandos vor 16 Jahren habe es 79 Schiffe in der Ostsee und der deutschen Nordsee bei Unfällen helfen müssen, bei denen Menschenleben und die Umwelt in Gefahr gewesen seien. Im Januar dieses Jahres verlor das Frachtschiff MSC Zoe 270 Container auf offener Nordsee; es dauerte Wochen, bis sie geborgen werden konnten. Doch nicht all diese Unfälle werden auch öffentlich bekannt. 

Viele Französinnen und Franzosen erinnern sich angesichts des Unfalls der Grande America heute an die Ölpest, die das vor der Bretagne gestrandete Ölschiff Erika 1999 verursachte. Monatelang sammelten damals Freiwillige Ölklumpen vom Strand, Zehntausende Tiere verendeten mit verklebten Gefiedern oder Kiemen. Dieses Mal, beschwichtigen die französischen Behörden, werde voraussichtlich dreimal weniger Öl angeschwemmt.

"So eine Havarie mit Schweröl an Bord ist aber in jedem Fall eine Katastrophe. Zuallererst für die Vögel", sagt der Meeresexperte Kim Detloff vom Naturschutzbund Nabu. Mehr als 130.000 Arten von Vögeln lebten in den möglicherweise betroffenen französischen Feuchtgebieten. Schon ein walnussgroßer Ölklumpen auf einem Vogel lasse ihn verenden, denn das Gefieder verliere dadurch seine isolierende Wirkung, die Tiere erfrören. Auch um die Blauwale der Region macht sich Detloff Sorgen. "Die Biskaya ist ein Hotspot für Blauwale und seltene Schnabelwale, weil das Land dort so tief absinkt."

Zwar baue die französische Marine derzeit Ölbarrieren auf, aber sie würden in dem riesigen Gebiet kaum helfen. Detloff ist pessimistisch. "Es ist nicht ein Unglück in einem gesunden System. Sondern eine ökologische Katastrophe in einem Meer, das ohnehin chronisch vergiftet ist." Die Schifffahrt wird laut Detloff viel zu wenig kontrolliert. "Zu Unrecht gelten Meeresfrachter als umweltfreundliches Transportmittel."

Tatsächlich existieren für die Schifffahrtsbranche bislang Sonderregeln. Bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris waren beispielsweise viele Expertinnen und Experten überrascht, wie es die Lobby der Transporteure und Handelskonzerne geschafft hatte, CO2-Einsparziele für Schiffe zu vertagen. Dabei gelten die Abgase der Schiffe nicht nur als schädlich für das Klima, sondern auch für die menschliche Gesundheit. Einige Studien (CEEH Scientific Report No 3, Jorgen Brandt et al., 2011) kamen zu dem Ergebnis, dass jährlich 50.000 Menschen in der Europäischen Union frühzeitig sterben, weil sie toxischen Abgasen der Schiffe in Küstengebieten ausgesetzt sind.

Der wichtigste Grund dafür ist das Schweröl im Tank, das eigentlich ein Abfallprodukt der Benzinindustrie ist und günstiger als Marineöl. Einige Häfen lassen Schiffe nur noch anlegen, wenn sie mit normalem Benzin fahren. Allerdings haben manche Reedereien dafür eine gemischte Lösung gefunden: Viele Schiffe fahren mit zwei Tanks, einem großen mit Schweröl für die offene See und einem kleineren mit gereinigtem Benzin für die Häfen. Die Abgase von der See erreichen die Städte trotzdem. Der Nabu hatte beispielsweise am Hamburger Hafen eine hundertmal höhere Belastung an Feinstaub gemessen, als gesundheitlich akzeptabel sei. Immerhin hat die Weltschifffahrtsorganisation IMO den erlaubten Schwefelgehalt im Schweröl ab 2020 von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt. 


Aus: "Schifffahrt: Eine Havarie mit Schweröl ist immer eine Katastrophe" Eine Analyse von Annika Joeres (19. März 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-03/schifffahrt-schweroel-frankreich-container-transport-meere-verschmutzung/komplettansicht

QuoteLoveIsTheLaw #6

In der Doku - schwarze Tränen des Meeres - , gesendet von ARTE, ging es um ein viel größeres Problem. Es liegen weltweit tausende Schiffe mit großen Mengen an Treibstoff und Kampfmitteln in den Meeren und Binnengewässern. Diese Altlasten stammen aus den vergangenen Weltkriegen. Ein besonders hervorzuhebenes Details ist die Schuld Deutschlands an dieser Misere. Jedoch ist derzeit ausschliesslich Norwegen dazu bereit auf eigene Kosten die Altlasten soweit noch möglich aus den Wracks die in norwegischen Gewässern liegen zu beseitigen. Deutschland ruht sich auf der Ausrede des Kriegsfalls aus und zieht sich somit aus der Affäre. Das in der Ost und Nordsee in Küstennähe schon zahlreiche Schiffe undicht sind und schleichend das Ökosystem töten spielt dabei offensichtlich keine Rolle. Ganz nach dem Motto, soll es doch die Zukunft von selbst richten. Ich würde mich sehr über eine Berichterstattung seitens deutscher Journalisten freuen, besser auch gleich offensiv auf die Politiker zugehen.  ...

[ [27.04.2017] Der Boden ist durch auslaufendes Schweröl aus dem Wrack kontaminiert. Eine Fläche, so groß wie 50 Fußballfelder, ist mittlerweile verseucht. Teilweise werden Umweltgrenzwerte für krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe um das Tausendfache überschritten. Insgesamt 450.000 Kubikmeter Meeresgrund müssten entsorgt werden. Und das Wrack der "Stuttgart" ist nur die Spitze eines gefährlichen Eisbergs. ... https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/schiffwracks-100.html ]


Quotexy1 #6.2

Man sollte auch die im Hafen von Murmansk in freier Luft oder in geringer Tiefe verrottenden Kernreaktoren aus den Altbeständen der Sowjetmarine nicht vergessen.


QuoteHorst44a #12


Bei der Verarbeitung von Erdöl entsteht Schweröl als Rückstand der Destillation oder aus Crackanlagen. Es müßte aufwendig entsorgt werden oder aber, es wird in Seeschiffen zwecks Antrieb und Stromerzeugung als sehr kostengünstiger Kraftstoff verbrannt.
Kleiner Vergleich zum Thema Kreuzfahrt-Schwerölschiff:
Das neue (gefeierte!) größte Kreuzfahrtschiff der Welt befördert 9000 Passagiere. Nach Angaben von WDR2 benötigt es pro Tag 360.000 Liter Kraftstoff. Das bedeutet pro Passagier und Tag (nur) 40 Liter. Schweröl ist aber 2500-mal schwefelhaltiger als Straßenfahrzeug-Diesel. Also produziert jeder Passagier Schwefeldioxid-Abgase als würden 40 x 2500 Liter Normaldiesel verbrannt, am Tage dann also wie von 100.000 Liter Auto-Diesel ohne Abgasreinigung in die Umwelt gesetzt!
Schwefeldioxid ist giftig bei Einatmen und verursacht konzentriert Verätzungen der Haut und Augenschäden.
Beim Feinstaub sieht die Rechnung etwas anders aus. Schwerölabgase sind eher Grobstaub.
Die Kraftstoffqualität hat entscheidenden Einfluss auf die Schwefeldioxid-Anteile im Abgas. Die Binnenschifffahrt fährt nicht mit Schweröl sondern mit Schiffs-Diesel (Marinedieselöl). Dieser hat meist (nur) 100 mal so viel Schwefelanteile wie Auto-Diesel, bei See-Frachtern und Bespaßungs-Kreuzfahrtschiffen mit Schwerölantrieb ist bis zu dem 3500fachen erlaubt!

[ ... "Die Kreuzfahrtschiffe seien auf hoher See immer noch mit giftigem Schweröl unterwegs und deshalb dreckige Rußschleudern...."
QUELLE: https://www.abendblatt.de/hamburg/article108212711/Naturschutzbund-Aida-Schiffe-sind-schlimmste-Russschleudern.html ... ]


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Quote[...]  "Das geht den Bach hinunter", sagt man, wenn etwas schief läuft oder im Niedergang befindlich ist. Nach einer Studie britischer Wissenschaftler kann man dies buchstäblich nehmen. Die Wissenschaftler von der University of York haben Flüsse wie die Donau, den Mekong, die Themse, die Seine oder den Tigris in 72 Ländern auf allen Kontinenten nach 14 weit verbreiteten Antibiotika untersucht und sind darauf gestoßen, dass Antibiotika, oft in hohen Konzentrationen, in vielen Flüssen zu finden sind.

Gefunden haben sie Antibiotika-Konzentrationen in Flüssen in Bangladesch, die die als unbedenklich oder sicher geltende Konzentration um das 300-Fache übersteigen. Das ist der Fall bei Metronidazol, einem Antibiotikum gegen Haut- und Mundinfektionen, das die höchste Belastung verursacht. In der Themse und einem ihrer Zuflüsse wurde eine maximale Antibiotika-Konzentration von 233 Nanogramm pro Liter gemessen, in Bangladesch war sie um 170 Mal höher. Nach der AMR Industry Alliance sind Konzentrationen, abhängig von den Antibiotika, zwischen 20 und 32.000 Nangramm pro Liter "sicher".

An 65 Prozent der Stellen, an denen sie gemessen haben, wurden Antibiotika festgestellt. Am meisten kommt Trimethoprim vor, das meist bei Harnwegsinfekten und Infektionen der oberen Luftwege eingesetzt wird. Es wurde an 307 der 711 Messstellen gefunden. Ciproflaxacin, das gegen Darminfektionen und viele andere Infektionen verschrieben wird, überschritt am meisten die Sicherheitswerte, nämlich an 51 Messstellen.

Über die Flüsse verbreiten sich Antibiotika auf Felder oder ins Grundwasser und tragen damit zur wachsenden Antibiotikaresistenz bei. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet die Antibiotikresistanz gehöre zu den "größten Bedrohungen der menschlichen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit". Sie führe zu längeren Krankenhausaufenthalten, steigenden Kosten und ansteigender Mortalität. Die Gefahr besteht, dass manche Infektionen nicht mehr behandelt werden können. In manchen Regionen habe die Antibiotikaresistenz bereits eine gefährliche Höhe erreicht.

Besonders gefährdet durch die Belastung der Flüsse sind Asien und Afrika, aber da auch in Europa, Nord- und Südamerika hohe Konzentrationen gefunden wurden, sprechen die britischen Wissenschaftler von einem "globalen Problem". Am schlimmsten belastet sind Flüsse in Bangladesch, Kenia, Ghana, Pakistan und Nigeria, in Europa ergab eine Messstelle an der Donau in Österreich die höchsten Werte. Hier wurden sieben Antibiotika gefunden, darunter vor allem Clarithromycin zur Behandlung von Atemwegsinfektionen. Die Konzentration lag vierfach über dem sicheren Grenzwert. Überhaupt war die Donau in Europa, wo an 8 Prozent der Messstellen erhöhte Konzentrationen gefunden wurden, am stärksten kontaminiert. Aber auch die niedrigen Konzentrationen in Europa können die Resistenzentwicklung fördern und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Resistenzgene weiter gegeben werden.

In aller Regel wird hohe Belastung durch fehlende oder mangelhafte Kläranlagen oder Klärschlammverklappung verursacht, also wenn Antibiotika nicht ausgefiltert werden. Problematisch können aber auch Konfliktgebiete sein wie die Grenze zwischen Israel und Palästina.

Die Untersuchung wird als die bislang umfassendste bezeichnet. Bislang habe man vor allem in Europa, Nordamerika oder China die Antibiotika-Belastung gemessen, und das auch nur für wenige Antibiotika. John Wilkinson, der die Untersuchung koordiniert hat, sagt: "Wir wissen sehr wenig über das Ausmaß des Problems global." Man habe aber jetzt auch in Ländern gemessen, in denen man dies zuvor nie gemacht habe.

Noch ist unklar, wie stark die Antibiotika-Belastung bei Tieren ist. Die Wissenschaftler wollen die Folgen u.a. auf Fische, Wirbellose und Algen untersuchen und erwarten massive Auswirkungen. So sei die Belastung in einigen Flüssen in Kenia so hoch, dass dies keine Fische überleben konnten. Man könnte sich zynisch beruhigen und sagen, dass die Folgen doch lokal beschränkt seien. Aber die durch Antibiotika-Belastung steigende Antibiotika-Resistenz bleibt in einer globalen Welt nicht Kenia. (Florian Rötzer)


Aus: "Weltweite Antibiotika-Belastung von Flüssen" Florian Rötzer (28. Mai 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Weltweite-Antibiotika-Belastung-von-Fluessen-4433628.html

QuoteTsu Tang, 28.05.2019 14:34


Hi, interessant, dass auch Gewässer in Ländern kritisch belastet sind an denen keine größeren Herstellstätten liegen (Kenia).
Das deutet auf massiven Fehlgebrauch der Arzneimittel hin. Gerade Antibiotika sollten immer nur nach Rezept abgegeben werden. Aber in vielen Ländern werden die eingeworfen wie Gummibärchen.

Bye


QuoteHans, 28.05.2019 14:26

Multiresistente Keime längst im Fluss/Seewasser

In allen Proben fanden die Forscher Keime, denen mindestens zwei der vier Standard-Antibiotikaklassen nichts anhaben können. Besonders viele solcher Erreger waren in Proben aus einem Fluss, in den geklärtes Abwasser der Stadt Osnabrück geleitet wurde. Die Forscher zählten 3870 Keime auf 100 Milliliter. Aber auch in den Proben von zwei Badestellen fanden die Forscher resistente Keime – und zwar 2,7 und 6,6 auf 100 Milliliter. Unter den Erregern waren Darmkeime, die zu schweren Erkrankungen führen können. An fünf der zwölf Probenorte konnten Resistenzen gegen das Reserveantibiotikum Colistin nachgewiesen werden.

https://www.nwzonline.de/wirtschaft/weser-ems/bad-zwischenahn-hannover-gesundheit-multiresistente-keime-in-gewaessern_a_50,0,3485572074.html

Laut Experten sollten vor allem Kranke und Menschen mit Verletzungen an der Haut beim Baden in öffentlichen Gewässern vorsichtig sein.



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Quote[...] Die Verhütung per Pille ist eine gut wirksame Sache. Allerdings hat sie weitreichende Folgen: Sie kann nicht nur verhindern, dass Frau schwanger wird, sondern auch aus einem Froschmännchen ein Froschweibchen machen. Wie sich Östrogen-Rückstände im Wasser genau auf das Geschlecht von verschiedenen Amphibien-Arten auswirken, haben Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Wroclaw herausgefunden.

Für ihre Untersuchungen testeten die Forscher die Wirkungen von EE2 an drei verschiedenen Amphibienarten. Sie zogen den Afrikanischen Krallenfrosch (Xenopus laevis), Kaulquappen des Laubfrosches (Hyla arborea) und der Wechselkröte (Bufo viridis) in Wasser auf, das unterschiedliche Konzentrationen von EE2 enthielt und verglichen die Tiere mit Kontrollgruppen, die in EE2-freiem Wasser aufwuchsen. Zudem wurde das genetische Geschlecht bei dieser Untersuchung mittels modernsten molekularen Verfahren festgestellt. Die Forscher untersuchten auch das Erscheinungsbild der Geschlechtsorgane und das Aussehen der Gewebe unter dem Mikroskop. Erst der Vergleich von genetischem und phänotypischem Geschlecht hat es ermöglicht, die Wirkung von EE2 vollständig zu erfassen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nach der Exposition mit EE2 bei allen drei Amphibienarten eine Geschlechtsumkehr von genetisch männlichen zu weiblichen Tieren auftritt, der Anteil dabei reicht von 15 bis zu 100 Prozent. Die drei Arten reagieren allerdings unterschiedlich empfindlich auf das Hormon. "Die Verweiblichung von Populationen kann neben anderen schädigenden Hormonwirkungen zum Aussterben von Amphibienarten beitragen," sagt Studienleiter Matthias Stöck vom IGB.

Doch nicht nur die Amphibien scheinen durch Hormone im Wasser gefährdet zu sein. Co-Autor und Ökotoxikologe Professor Werner Kloas betont: "EE2 ist auch in unserem Wasserkreislauf enthalten und stellt zusammen mit anderen östrogenartig wirkenden Stoffen nicht nur für Amphibien, sondern auch für uns Menschen eine ernst zu nehmende Beeinträchtigung dar."

Quelle: n-tv.de, jaz


Aus: "Hormone im Wasser Pillenreste verursachen Verweiblichung" (Dienstag, 05. April 2016)
Quelle: https://www.n-tv.de/wissen/Pillenreste-verursachen-Verweiblichung-article17389461.html


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Quote[...] Fast 50 Jahre ist es her, dass ein amerikanisches Flugzeug letztmals in den Himmel über Vietnam stieg, um literweise unverdünntes Entlaubungsmittel über dem Land zu versprühen. Bekannt geworden ist das Umweltgift unter dem militärischen Namen »Agent Orange«, chemisch bestand es aus zwei Herbiziden und einem verhängnisvollen Nebenprodukt. Der Name Agent Orange, benannt nach den Etiketten auf den Fässern, steht wie kein anderer für eines der größten Kriegsverbrechen der USA.

Mehr als 45 Millionen Liter gingen zwischen 1962 und 1971 während der Operation Ranch Hand über dem Land nieder. Zählt man die anderen Herbizide noch hinzu, verdoppelt sich die Zahl fast auf 80 Millionen Liter. Agent Orange entlaubte Wälder und vernichtete Ernten, im tropischen Regenwald sollte es den Vietcong-Kämpfern die Deckung nehmen. Am Ende des Kriegs war fast ein Viertel des gesamten Landes von der Entlaubungsaktion betroffen. Große Landstriche sahen aus wie nach einem Atomangriff.

Der Krieg ist lange aus, aber das Gift ist geblieben. Doch lange Zeit haben weder die amerikanische Regierung noch die Chemiekonzerne für das erlittene Leid in Vietnam Verantwortung übernommen. Erst allmählich tut sich etwas. Ein verseuchtes Gebiet, der Flughafen in Da Nang, ist seit November 2018 vollständig saniert. Und jetzt wollen auf der ehemaligen Militärbasis in Bien Hoa, 40 Kilometer nordöstlich von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, Amerikaner und Vietnamesen gemeinsam die Spätfolgen beseitigen. Der Stützpunkt gilt als Mega-Hotspot der Verseuchung mit Agent Orange. Jahrelang wurden dort die Fässer mit dem Pflanzengift gelagert, heute leben hier eine Million Menschen. Innerhalb von zehn Jahren soll die Airbase von den Altlasten gesäubert sein, kündigten Regierungsvertreter Ende April 2019 an. Die Kosten werden auf mindestens 300 Millionen Dollar geschätzt, die amerikanische Regierung will 183 Millionen Dollar übernehmen.

Die Gründe für den Sinneswandel sind wohl geopolitischer Natur. Jahrzehntelang haben US-Gerichte jede Schuld an den gesundheitlichen Folgen bestritten. Mehr als drei Millionen Opfer von Agent Orange zählt die Vietnamese Association of Victims of Agent Orange auf, noch immer leiden hunderttausende Vietnamesen an den Spätfolgen, noch immer werden missgebildete Kinder geboren. Doch jetzt brauchen die USA dringend neue Verbündete gegen die aufstrebende Supermacht China. Die Zusage umfasst allerdings nur die Beseitigung der Altlasten an einem Ort – und keine flächenhafte Sanierung. Die bräuchte es nach dem veritablen Ökozid vor Jahrzehnten aber dringend, um die Folgen des Pflanzengifteinsatzes endlich in den Griff zu bekommen. Denn nach wie vor ist das Ausmaß der Verseuchung gravierend, auch derzeit Mensch und Natur leiden stark unter den Folgen des Herbizideinsatzes.

In einer Übersichtsarbeit haben nun zwei Agrarwissenschaftler aus Illinois und Iowa die Langzeitfolgen der größten Militäroperation der amerikanischen Streitkräfte genauer unter die Lupe genommen. Die Studie erschien Anfang 2019 im Fachjournal »Open Journal of Soil Science«. Darin gehen die Autoren davon aus, dass Vietnam weitere Jahrzehnte an den Spätfolgen leiden wird, da sich ein Großteil des Gifts in Böden und Sedimenten angereichert hat. Sie zeigen zudem einen Weg auf, wie man das Land sanieren könnte. Doch es fehlt der Wille – und auch das Geld.

Dass das Land immer noch mit der Verseuchung zu kämpfen hat, liegt eigentlich gar nicht an den Pflanzenschutzmitteln, aus dem Agent Orange bestand. Die beiden Verbindungen aus der Chlorchemie, Dichlorphenoxyessigsäure und Trichlorphenoxyessigsäure, waren im gleichen Verhältnis in Agent Orange enthalten; sie regen Pflanzen zu übermäßigem Wachstum an, so dass diese bald von selbst eingehen. Vor allem Dichlorphenoxyessigsäure ist weiterhin im Einsatz gegen Unkräuter, das Mittel wird bis heute bei Anhängern eines gepflegten Rasenrechtecks versprüht. Da die Halbwertszeit der beiden Verbindungen jedoch nur bei einigen Tagen oder Wochen liegt, wurden die Herbizide bis heute weder in Böden noch im Wasser nachgewiesen.

Die wahre Ursache der immensen Folgen für Mensch und Natur ist ein unerwünschtes Nebenprodukt, das bei der Herstellung von Trichlorphenoxyessigsäure entstehen kann. Es trägt den Namen Tetrachlordibenzodioxin, kurz TCCD, und gehört zur Stoffgruppe der rund 300 Dioxine. TCCD entsteht bei der Synthese unter erhöhten Reaktionstemperaturen, meist zwischen 300 und 600 Grad Celsius. Die Verbindung ist langlebig und die giftigste aller Dioxine. Schon geringste Mengen können schwere Organschäden und Krebs auslösen. Zudem gilt sie als Hormonstörer und führt zu schweren Fehlbildungen bei Kindern.

TCCD kam in den auf den Stützpunkten gelagerten Fässern in unterschiedlichen Konzentrationen vor. Jedes Fass beinhaltete 208 Liter Flüssigkeit. Der Umgang mit dem Inhalt war nicht immer sorgfältig – deshalb kamen auch zehntausende Soldaten in Kontakt mit dem hochgiftigen Material. Vor allem waren diejenigen betroffen, die die Fässer entluden, die Tanks befüllten und die Fässer transportierten. Außerdem waren die Piloten dem Gift ausgesetzt.

Luftwaffenstützpunkte wie Bien Hoa, aber auch wichtige Routen und Hochburgen der Gegner gelten daher bis heute als von der Verseuchung am stärksten betroffen. Agent Orange wurde vor allem entlang des Ho-Chi-Minh-Pfads auf der Truong-Son-Gebirgskette versprüht. Der Pfad galt als wichtige strategische Versorgungsroute der nordvietnamesischen Truppen. Da der Dschungel hier extrem dicht war und der Weg aus der Luft nicht zu erkennen, kam an diesen Stellen besonders viel Agent Orange zum Einsatz. Außerdem besprühten und bombardierten die Amerikaner das weit verzweigte Tunnelnetz der Vietcong-Kämpfer.

Weitere Ziele der Entlaubungsaktionen der Amerikaner waren zudem die Feuchtgebiete, Flüsse und Kanäle sowie der Südzipfel Cà Mau mit seinen einzigartigen Mangrovenwäldern. Schließlich machten die Amerikaner auch nicht vor den landwirtschaftlichen Flächen Halt. Ihr Ziel war es, die Gegner auszuhungern. Doch Analysen nach dem Krieg zeigten, dass darunter zu einem Großteil nicht die Guerillas litten, sondern die Bevölkerung. Hunderttausende Südvietnamesen hungerten.

Das hochgiftige TCCD kann zwar nicht von Pflanzen aufgenommen werden und ist auch kaum wasserlöslich, doch dafür bindet es sich in tropischen Böden und Sedimenten an organische Substanzen und Tonpartikel. Einziger Vorteil: Ins Grundwasser sickerte es dadurch sehr wahrscheinlich nicht. An der Oberfläche zerfällt es jedenfalls innerhalb von ein bis drei Jahren, im Boden und in Fluss- wie Meeressedimenten kann es allerdings mehr als 100 Jahre bestehen.

Über Flüsse, Wind, Erdrutsche und die starke Bodenerosion während des Monsuns breitete sich TCCD in den Ökosystemen aus und kam auf diesem Weg auch in die Nahrungskette. Vor allem die Gebiete rund um die verseuchten Stützpunkte sind mittlerweile belastet. Viele Vietnamesen sind diesem Gift deshalb bis heute ausgesetzt. Sie atmen kontaminierten Staub ein, bestellen verseuchte Felder und kommen mit dem Gift dadurch direkt in Kontakt. Da Reis und Fisch die Hauptnahrungsquellen der Bevölkerung sind, nimmt die Bevölkerung den gefährlichen Stoff auch über die Nahrung auf. Von allen Lebensmitteln sind vor allem Fisch und Fleisch gefährlich, denn TCCD reichert sich in Fett an. Da Tiere am Ende der Nahrungskette stehen, vergrößert sich die TCCD-Konzentration dutzendfach. Seen in der Nähe von Stützpunkten dürfen zwar nicht befischt werden. Wie Messungen zeigen, findet sich das Gift trotzdem im lokalen Nahrungsangebot.

Zehn ehemalige Stützpunkte in Vietnam gehören zu den Hotspots der Verseuchung, darunter auch die Millionenstadt Bien Hoa, die mit TCCD wahrscheinlich am stärksten kontaminiert ist. Zwölf Studien wurden zwischen 1990 und 2016 erstellt, an 76 Standorten wurden 1300 Proben entnommen. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte aller Proben wiesen erhöhte Dioxinwerte auf. Vom Fischverzehr wurde in dieser Region darum wegen hoher Gesundheitsgefahr abgeraten, Trinkwasser hingegen ist sicher.

Die amerikanische Behörde für internationale Entwicklung (USAID) finanzierte im Jahr 2016 die neueste Studie. Diese kam zu dem Schluss, dass nur eine umfassende Altlastenbeseitigung das Dioxinproblem lösen kann. Etwa 350 000 bis 400 000 Kubikmeter Boden müssten saniert werden, schätzte die Behörde und machte vor drei Jahren eine große Rechnung auf. Je nach Methode koste die Sanierung zwischen 126 und 600 Millionen Dollar – allein in Bien Hoa. Schließlich versprach der damalige Präsident Barack Obama im Mai 2016 eine Beteiligung an der Beseitigung der Altlasten.

Jetzt ist die Sanierung endgültig beschlossen, fast 500 000 Kubikmeter Boden sollen von dem Dioxin befreit werden. Die sicherste und beste Methode hierfür wäre eigentlich die Verbrennung. Bei Temperaturen von 870 bis 1200 Grad Celsius bleibt von der Verbindung nichts mehr übrig; in speziellen Drehöfen würde TCCD vollständig zerstört. Doch es gibt ein Problem – die Kosten. Die Oxidation des gesamten Materials ist die teuerste Sanierungsmethode und würde sich wohl auf deutlich mehr als eine Milliarde Dollar belaufen. Daher kommt nun eine andere, billigere Methode zum Einsatz. Gering belastetes Bodenmaterial kommt auf die Deponie, und nur die stark belasteten Flächen werden in speziellen Öfen bei 335 Grad Celsius saniert. Es handelt sich um dieselbe Methode, die auch beim Flughafen Da Nang eingesetzt wurde. Sie gilt nach Expertenmeinung als ähnlich geeignet wie die Hochtemperaturverbrennung. Am Ende entscheiden allerdings die Messwerte über den Erfolg.

50 Jahre nach Ende der Mission Agent Orange ist immerhin ein Anfang gemacht, um gegen das vorherrschende Umweltproblem vorzugehen. Doch es ist auch höchste Zeit: Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Hälfte der hochgiftigen TCCD-Verbindungen noch immer im Boden ist.


Aus: "Das Gift, das bleibt" Andreas Frey (15.06.2019)
Quelle: https://www.spektrum.de/news/das-gift-das-bleibt/1652026?

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Quote[...] BERLIN taz | Chlorpyrifos ist ein Klassiker unter den Pestiziden. Seit den 1960er Jahren töten Bauern in vielen Staaten mit dem Wirkstoff Schildläuse, Raupen oder andere Schädlinge. Immer hieß es von Herstellern und Behörden: Alles geprüft, kein Risiko.

Das war ein fataler Irrtum. Denn erst jetzt hat die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) Chlorpyrifos als zu gefährlich eingestuft. Das Insektizid könne ungeborene Kinder schädigen, erklärte das Amt in einem Anfang August veröffentlichten Gutachten. Zudem sei nicht hinreichend auszuschließen, dass das in Deutschland seit 1973 genehmigte Insektengift das Erbgut beeinträchtigt. Deshalb könnten keine sicheren Grenzwerte festgelegt werden und Chlorpyrifos dürfe nicht zugelassen sein, so die Behörde.

Sie beruft sich vor allem auf Hinweise aus einem Tierversuch, dass die Substanz Gehirnen von ungeborenen Kindern schade. Da sie schon vorlagen, als die EU das Mittel zuließ, sagen Kritiker: Die Zulassungsbehörden schützen Verbraucher und Landwirte unzureichend vor gefährlichen Pestiziden – so wie beim unter Krebsverdacht stehenden Unkrautvernichter Glyphosat.

In Deutschland darf Chlorpyrifos anders als in Spanien, Polen und 18 weiteren EU-Ländern seit 2015 nicht mehr gespritzt werden. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurde das Pestizid aber beispielsweise 2017 vor allem in importierten Orangen, Mandarinen sowie Grapefruits gefunden. 44 Prozent der untersuchten Grapefruits und 37 Prozent der analysierten Orangen waren demnach positiv. Treffer gab es auch etwa bei Äpfeln, Spargel und Tafelweintrauben.

Der Efsa zufolge war Chlorpyrifos eines der 2017 am häufigsten gefundenen Pestizide in Lebensmitteln. Das Bundesagrarministerium stellte aber schon im Juli 2017 fest, bei Chlorpyrifos werde aufgrund der gemessenen Rückstände ,,eine akute Beeinträchtigung der Gesundheit als möglich erachtet".

,,Der Fall Chlorpyrifos zeigt ähnlich wie bei Glyphosat und den Bienenkillern Neonikoti­no­i­den, dass die Zulassungsverfahren nicht einwandfrei funktionieren", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner der taz. ,,Offensichtlich haben die Behörden bei Chlorpyrifos unkritisch die Herstellerschlussfolgerungen über Tierversuche mit dem Stoff übernommen." Das scheine gang und gäbe zu sein bei Pestizidzulassungen in der EU.

Tatsächlich hatte ein Ausschuss der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten 2005 festgestellt, dass Chlorpyrifos alle gesetzlichen Anforderungen erfülle, also sicher sei. Daraufhin beschlossen sie eine Verordnung, um den Stoff zu erlauben.

Zuvor hatte Spanien über mehrere Jahre hinweg die Chemikalie im Auftrag der EU überprüft. Wie immer bei solchen Verfahren in Europa, den USA oder Kanada beriefen sich die spanischen Regierungsexperten vor allem auf Studien, die Hersteller des Pestizids in Auftrag gegeben und für die Behörden zusammengefasst hatten.

,,Chlorpyrifos hätte niemals zugelassen werden dürfen", sagt der Grüne Ebner. Die Zulassungsbehörden hätten ,,übersehen", dass schon 1998 eine vom Hersteller Dow beauftragte Studie Belege für die hirnschädigende Wirkung von Chlorpyrifos geliefert habe.

Tatsächlich bestätigt die jeglicher Nähe zu Umweltschützern unverdächtige Efsa: Die Spanier hatten die Studie falsch eingeschätzt. Es sei besorgniserregend, dass in dem Versuch die Kleinhirne derjenigen Ratten kleiner gewesen seien, deren Eltern Chlorpyrifos gefressen hatten, schreibt die EU-Behörde. Das spanische Amt dagegen hatte kein Problem gesehen. Lediglich die Ratten mit extrem hohen Dosen des Pestizids hätten weniger gewogen.

Offenbar hatte sich die Behörde nur auf den Ergebnisbericht des Herstellers verlassen. Wissenschaftler um den Chemiker Axel Mie von der schwedischen Medizin-Universität Karolinska-Institut dagegen werteten die Rohdaten, also zum Beispiel die Gehirngewichte, selbst aus. Im vergangenen Jahr veröffentlichten sie ihr Fazit: Die Kleinhirne von Jungratten waren kleiner, selbst wenn ihre Mütter nur sehr geringen Chlorpyrifos-Mengen ausgesetzt waren.

Dies habe die Versuchszusammenfassung schlichtweg nicht erwähnt, berichteten die Forscher in der Fachzeitschrift Environmental Health. Der Hersteller habe ,,irreführende" Angaben gemacht. Die spanische Behörde hat das nicht gemerkt. Sie antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf eine Bitte der taz um Stellungnahme.

Wie stark Pestizide wie Chlorpyrifos aus der Gruppe der Organophosphate Menschen schädigen können, legen besonders drei Studien aus den Jahren 2005 bis 2016 über Personen mit und ohne Kontakt zu solchen Stoffen nahe. Laut EU-Lebensmittelbehörde belegen die Untersuchungen kognitive und Verhaltensdefizite bei Kindern, die im Mutterleib dieser Pes­tizid­art ausgesetzt werden. ,,Es ist ein Skandal, dass Chlorpyrifos trotzdem zugelassen wurde", sagt Peter Clausing, Vorstandsmitglied der Umweltorganisation Pestizid-Aktionsnetzwerk.

Doch damit nicht genug: Eigentlich hätte die EU-Zulassung am 30. Juni 2016 auslaufen sollen. Doch Hersteller Dow beantragte, die Genehmigung zu erneuern. Aber die Behörden schafften es nicht, rechtzeitig darüber zu entscheiden. Deshalb verlängerte die EU die Zulassung durch Verordnungen dreimal, zuletzt bis Ende Januar 2020.

Kein einziges Mal prüften die Behörden die Risiken. Auch nicht, als die kritische Auswertung der Tierversuche schon veröffentlicht war. Der Grund für die Verlängerungen war den Verordnungen zufolge einzig, dass ,,sich die Bewertung dieser Wirkstoffe aus Gründen verzögert hat, die die Antragsteller nicht zu verantworten haben". Solche ,,blinden" Zulassungen gibt es auch für andere Pestizide, die zum Beispiel im Verdacht stehen, Krebs auszulösen.

Der Vorgang erinnert an den Umgang der Behörden mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Auch hier wollten die Zulassungsämter, allen voran das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung, keine relevanten Hinweise auf Gesundheitsrisiken in Tierversuchen erkannt haben. Externe Wissenschaftler machten aber auf erhöhte Tumorraten aufmerksam. Im Unterschied zu Glyphosat hat bei Chlorpyrifos sogar eine Behörde den Stoff als zu gefährlich eingestuft.

Wie bei Glyphosat weist die Industrie auch die Vorwürfe gegen Chlorpyrifos vehement zurück: ,,Kein Wirkstoff ist gründlicher untersucht worden als Chlorpyrifos", teilte der taz József Máté, Sprecher des US-Agrarchemiekonzerns Corteva, mit, in dem Dow nach einer Fusion aufgegangen ist. Genau jenes Argument hatten Glyphosat-Verteidiger für ihr Produkt benutzt – was die Frage aufwirft, welches Pestizid denn nun wirklich am besten geprüft wurde.

Corteva jedenfalls schreibt weiter: ,,Die Efsa-Schlussfolgerungen stimmen nicht überein mit denen anderer wichtiger Regulierungsbehörden wie der US-Umweltbehörde, der australischen APVMA oder der Weltgesundheitsorganisation."

Dänemarks Regierung beispielsweise überzeugt das nicht. Sie droht bereits mit einem nationalen Importverbot für mit Chlorpyrifos behandelte Lebensmittel, wie die Onlinezeitung EUObserver berichtete. Der deutsche Grüne Ebner forderte daraufhin, dass sich die Bundesrepublik der dänischen Initiative anschließt.

Doch davon ist Bundesagrarministerin Julia Klöckner weit entfernt. In einer Stellungnahme für die taz verweist das Ministerium der CDU-Politikerin darauf, dass die EU mehrmals die erlaubten Mengen des Pestizids in Lebensmitteln gesenkt habe. Gerade überprüfe sie die Genehmigung für Chlorpyrifos. Tatsächlich teilte Anca Păduraru, Sprecherin der EU-Kommission, der taz mit: ,,Die Kommission wird den Mitgliedsländern vorschlagen, die Zulassung der Substanz nicht zu verlängern."

Kritik am Zulassungssystem wies Păduraru zurück. Gerade wegen ,,des funktionierenden EU-Systems und der EU-Regulierung" könne die Kommission den Mitgliedstaaten Verordnungsentwürfe vorlegen, um, wenn nötig, die Zulassung eines Wirkstoffs auslaufen zu lassen.

Ebner sieht das ganz anders: ,,Der Fall Chlorpyrifos zeigt auch, dass wir dringend eine umfassende Reform der Pestizid-Zulassungsverfahren brauchen", sagt der Grünen-Abgeordnete. Es verlasse sich zu stark auf Herstellerangaben.

,,Die Studien müssen künftig vollkommen herstellerunabhängig durchgeführt werden, finanziert über Gebühren der Antragsteller", verlangt Ebner. ,,Nur so kann wirklich verhindert werden, dass wichtige Erkenntnisse verschleiert werden." Der Parlamentarier kritisierte, Hersteller würden die Studien selbst quasi vorschreiben und die Behörden das dann nur noch zum größten Teil einfach übernehmen. ,,Auch ohne jede Absicht wird dabei allzu leicht etwas übersehen."


Aus: "Gefahr für ungeborene Kinder" Jost Maurin (26. 8. 2019)
Quelle: https://taz.de/Giftiges-Pestizid-an-Zitrusfruechten/!5617071/

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Quote[...] Bleirecycling ist in Afrika ein weit verbreitetes Geschäft. Die Gesundheits- und Umweltbedingungen sind desaströs. Oft arbeiten die Menschen mit einfachster Technik und ohne Arbeitsschutz. Bleistaub landet auf Haut, Kleidung und im Grundwasser. Die Krankheitsraten sind dramatisch hoch. Betroffen sind nicht nur die Arbeiter, sondern auch ihre Familien. Viele sterben an den Folgen der Vergiftung. Das zum Teil aus europäischen Batterien recycelte Blei landet wieder auf dem Weltmarkt. Vor allem in den Industrieländern steigt die Nachfrage stetig. Ein Großteil des Rohstoffes wird in die EU exportiert. Auch Deutschland importiert Blei aus Afrika, oft über Umwege und Zwischenhändler. ...


Aus: "Kampf gegen Bleischmelzen" (23.09.2019 )
Quelle: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ttt-22092019-phyllis-omido-100.html

https://www.oeko.de/forschung-beratung/themen/rohstoffe-und-recycling/toedliches-geschaeft-bleirecycling-in-afrika/

"Bleirecycling in Kenia - ,,Das Blei ist überall!"" Interview: Leonie Asendorpf (13.11.2019)
Die kenianische Aktivistin Phyllis Omido kämpft für strengere Umweltauflagen beim Recyceln von Blei. Auch Deutschland stehe in der Verantwortung. ...
https://taz.de/Bleirecycling-in-Kenia/!5637071/

https://de.wikipedia.org/wiki/Phyllis_Omido



Link

Quote[...] Einen Kilometer flussaufwärts beginnen die ersten Felder. Dort stehen Kohl, Raps, Rettich und Salat. Alle 100 Meter eine Pumpanlage am Ufer für die Bewässerung. Mittlerweile zeigen Studien aus dem ganzen Land, dass die Nahrung mit Schwermetallen und Pestiziden belastet ist. Im Bundesstaat Punjab sind es überwiegend Chrom und Kupfer im Reis. In Kolkata wurden Bleiwerte im Gemüse gemessen, die den Grenzwert um das 2000-Fache übersteigen.

So überrascht es nicht, dass Produkte aus Indien zu denen gehören, die mit am öftesten von der amerikanischen Zollbehörde abgelehnt werden. Darunter bis zu 41 Prozent aller Gewürze. Im letzten Jahr verbot die US-Zollbehörde dazu die Einfuhr von indischen Krabben, da diese zu sehr mit Antibiotika belastet waren.

... Doch es wird auch klar, dass nicht nur die Industrie den Hindon-Fluss vergiftet. Dutzende Abwasserkanäle von Ghaziabad entlassen ihre stinkende Brühe in die Auslaufzonen des Hindon, die mit Plastikabfällen bedeckt sind.

... Der Westen braucht Indien, damit er weiter das System Wirtschaftswachstum verfolgen kann. Gerade Deutschland als Exportnation, dessen meist exportierte Ware immer noch Benzin- und Dieselautos sind.

Vergessen hat der Modi-Anhänger, dass der Westen Indien auch noch braucht, um dort billig Leder und andere Produkte zu kaufen, damit sie nicht daheim die Umwelt verschmutzen. Deutschland ist einer der größten Einkäufer der Leder-Gerbereien Indiens, die dort die Flüsse verdrecken.

... Wenn auch aus Deutschland Indien vorgeworfen wird, dass das Land einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen ist, so ist das scheinheilig. Genauso, wenn die aufgeklärten Deutschen Indien vorwerfen, sich noch im religiösen Mittelalter zu befinden: Es sind auch die deutschen Gläubigen des "freien Marktes" die immer noch nicht verstanden haben, dass die Umweltschäden für mehr Wirtschaftswachstum das Leben auf der Erde gefährden.

Die Chemiebrühe des Hindon River fließt übrigens in den Yamina Fluss und der endet im Ganges. An seinen Ufern sagte Narendra Modi vor den Wahlen 2014, dass die "Mutter Ganges" zu ihm gesprochen habe und er versprach, den Fluss in fünf Jahren zu reinigen. Doch der Ganges ist immer noch verdreckt, wie 70 Prozent des Oberflächen- und Grundwassers - Indien droht eine Trinkwasser-Katastrophe.

So darf man gespannt sein, wen Narendra Modi und die patriotischen Hindu-Fanatiker Indiens dafür verantwortlich machen werden. Nationalstolz zu fördern und Sündenböcke zu liefern, um von Wurzeln der Probleme abzulenken, ist ja nicht nur in Indien stark in Mode.


Aus: "Indien: Gift und Religion" Gilbert Kolonko (16. November 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Indien-Gift-und-Religion-4587670.html

QuoteKarfunkel9, 16.11.2019 11:18

Da muss ich immer an 1990 denken

wie der feine Westen auf die DDR zeigte die noch ihre eigene Umwelt verschmutze. Ja, zu der Zeit hatte der Westen seine Umweltverschmutzung bereits erfolgreich in die 2. aber vor allem in die 3 Welt geoutsourct. Es hat sich nichts geändert.


...

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*    Mehrere Studien zeigen, wie schädlich das Insektizid Chlorpyrifos sein kann. Bisher ist es in der EU aber nicht verboten. Es wird vor allem bei Zitrusfrüchten häufig eingesetzt.

*    Hierzulande ist es nicht zugelassen, Dänemark prüft inzwischen sogar ein totales Importverbot von mit Chlorpyrifos belasteten Produkten.

*    Deutschland will sich bei der EU-Kommission für ein Verbot des Insektizids einsetzen. Zitrusstaaten wie Spanien, Griechenland, Italien und Portugal könnten dagegen stimmen.


Das Mittel ist in Deutschland nicht zugelassen und hätte Experten zufolge niemals auf den Markt gelangen dürfen. Seine Rückstände befinden sich auf Orangen, Bananen, Paprika oder Reis. Der Stoff soll Insekten töten, eine gute Ernte garantieren, er ist beliebt bei Gemüsebauern und Zitrusfarmern. Chlorpyrifos zählt zu den am meisten genutzten Insektiziden der Welt. Allein im Jahr 2017 fanden Kontrolleure bei Sonderkontrollen in Deutschland in mehr als jeder dritten untersuchten importierten Grapefruit und Orange und jeder vierten Mandarine Rückstände. Und auch bei jeder fünften Pfefferprobe.

Schon vor acht Jahren kamen Wissenschaftler in einer Langzeitstudie aus Kalifornien zu dem Ergebnis, dass das Pflanzenschutzmittel die Entwicklung des kindlichen Gehirns im Mutterleib schädigen kann. Die Höchstwerte wurden EU-weit heruntergesetzt, verboten wurde Chlorpyrifos nicht. Dieses Mal aber könnte es anders ausgehen. Am fünften und sechsten Dezember will die Europäische Kommission über die Zukunft von Chlorpyrifos entscheiden.

Informationen der Süddeutschen Zeitung, des Bayerischen Rundfunks, Le Monde und dem Investigative Reporting Denmark zufolge wird sich Deutschland bei der Abstimmung der EU-Kommission für ein Verbot des Insektizids einsetzen. Zitrusstaaten wie Spanien, Griechenland, Italien und Portugal könnten dagegen stimmen, dort wird Chlorpyrifos anders als in Deutschland zuhauf eingesetzt. Für ein europaweites Verbot müssen sich mindestens 65 Prozent aussprechen, also 15 Mitgliedstaaten.

Die Experten der Europäischen Lebensmittelüberwachungsbehörde Efsa kamen jüngst auf Anfrage der EU-Kommission zu einer vernichtenden Bewertung des Pflanzenschutzmittels. Chlorpyrifos erfülle die nötigen Sicherheitsbestimmungen nicht - aufgrund der möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit.

Das amerikanische Unternehmen Corteva, das im Juni aus der Fusion von Dow, dem Erfinder des Produkts, und Dupont entstand, traf sich noch im Januar einem internen Papier zufolge mit Vertretern der Europäischen Kommission und teilte den Beamten mit, man sei der Meinung, die Regulierung von Chlorpyrifos solle nicht auf Grundlage des öffentlichen Drucks erfolgen, der von Aktivisten ausgelöst werde, sondern auf der Grundlage solider Beweise. Auf Anfrage teilt der Hersteller Corteva mit, kein Wirkstoff sei gründlicher untersucht worden als Chlorpyrifos. Man sei grundsätzlich nicht mit den Schlussfolgerungen der Efsa einverstanden.

Niemand kann sagen, wie groß der Schaden ist, den das Insektizid schon angerichtet hat. Aber die Studienergebnisse sind besorgniserregend: Wissenschaftlern zufolge lässt es Rattenhirne schrumpfen, es soll den Intelligenzquotienten von Kindern herabsenken und Aufmerksamkeitsstörungen verursachen. Auch konnte es im Urin von Landwirten nachgewiesen werden. Schon die kleinste Dosis kann sich auf das Gehirn auswirken. Zu diesem Schluss kam ein Expertenteam des schwedischen Karolinska Institutet, der Stockholm Universität und der Harvard School of Public Health vor etwa zwei Jahren.

Der Wissenschaftler Axel Mie, der in Schweden zu Pestiziden und deren Auswirkungen auf das Gehirn forscht, machte im Herbst 2017 einen spektakulären Fund. Axel Mie war im Internet auf einen Artikel zu Chlorpyrifos gestoßen, der ihm rätselhaft vorkam. Es handelte sich um eine Publikation zu einer industriefinanzierten Studie, die vor mehr als einem Jahrzehnt für die Zulassung des Pflanzenschutzmittels auf europäischer Ebene eingereicht worden war. Mie fand in einer Tabelle Hinweise darauf, dass sich das Mittel nicht nur, wie bisher bekannt, in höheren, sondern bereits in einer kleinen Dosis auf das Gehirn auswirken kann. Er dachte: "Das kann doch nicht wahr sein, dieser Effekt auf das Gehirn?"

Er schrieb eine Mail an die schwedische Überwachungsbehörde und bat um die Rohdaten der Studie. Er berief sich auf das Informationsfreiheitsgesetz, das es Bürgern ermöglicht, Akten einzusehen, die von öffentlichem Interesse sind. Kurze Zeit später bekam Axel Mie Post, das Dossier umfasste Hunderte Seiten. Der Wissenschaftler fand, was er vermutet hatte. "Die Daten zeigten, dass schon bei der kleinsten Menge Chlorpyrifos Hinweise vorliegen, dass das Gehirn verändert ist", sagt Axel Mie. "Da wusste ich, das ist ein heißes Ding."

Dieser gefährliche Effekt nämlich taucht im Fazit der Herstellerstudie nicht auf. Er blieb unentdeckt, als die zuständige spanische Behörde im Jahr 2006 die Zulassung genehmigte. Offenbar hatte man keinen Blick in die Rohdaten geworfen und sich auf die industriefinanzierten Ausführungen verlassen. Auf eine Anfrage von SZ und BR reagierte die Behörde nicht. Auch der Hersteller Corteva will oder kann den Widerspruch nicht erklären.

Der Wissenschaftler Mie sendete seine Datenfunde über die veränderten Rattengehirne im Herbst 2017 an die europaweite Überwachungsbehörde Efsa. Seine Ergebnisse, die er später im Journal Environmental Health publizierte, flossen in die Sicherheitsbeurteilung der Efsa über Chlorpyrifos ein. Die Ergebnisse der Rattenversuche seien bedenklich, heißt es in dem Statement der Europäischen Überwachungsbehörde, ebenso wie die möglichen neurologischen Auswirkungen bei Kindern. Corteva teilt auf Anfrage mit, Behörden in den USA und Australien würden andere Schlussfolgerungen ziehen.

"Chlorpyrifos hätte niemals zugelassen werden dürfen", sagt Harald Ebner, der für die Grünen im Bundestag und im Agrarausschuss sitzt. Es könne nicht sein, dass der Hersteller selbst das Studiendesign erarbeite, bestimme, wer die Studie durchführt und dann das Ergebnis an Behörden übermittele. "Es müsste eine unabhängige Stelle geben, welche die Studien vergibt", sagt Ebner. "Der Fehler hätte bereits bei der Erstzulassung erkannt werden müssen. Die spanische Behörde hat die Zusammenfassung kritiklos übernommen."

Interne Papiere zeigen nun, wie Corteva versucht, das Verbot des Pflanzenschutzmittels zu verhindern. In einem Brief an europäische Zulassungsbehörden streitet der Hersteller ab, dass Chlorpyrifos neurotoxisch wirke und das Gehirn von Mensch und Tier beeinflusse.

Auch der europäische Lobbyverband Copa-Cogeca reagiert nervös. In einem Schreiben an die Europäische Kommission, das der SZ vorliegt, heißt es, man habe "leider bis heute keine vergleichbar effizienten Alternativen", um Pflanzenschutz zu gewährleisten. Man bitte darum, Chlorpyrifos verwenden zu dürfen, bis eine adäquate Alternative gefunden sei. Andernfalls befürchte man signifikante Ernteeinbußen. Auf eine Anfrage reagierte der Verband nicht.

Aber selbst, wenn Chlorpyrifos in der Europäischen Union verboten sein sollte, werden weiterhin Zitrusfrüchte und Gemüse aus anderen Teilen der Welt importiert werden. Helfen würde ein totales Importverbot, wie es Dänemark derzeit erwägt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium schreibt auf Anfrage, man wolle sich dafür einsetzen, die erlaubten Höchstwerte abzusenken.




Aus: "Landwirtschaft: Reich an Vitamin C - und Gift" Katrin Langhans (2. Dezember 2019)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/insektizid-chlorpyrifos-eu-verbot-1.4705018

Chlorpyrifos ist ein Insektizid, das von Dow Chemical Mitte der 1960er-Jahre eingeführt wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chlorpyrifos

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Quote[...] Der Bauernhof von Thomas Wyssa sieht aus wie eine Fabrik. Eine große, dunkelgraue Halle, davor steht ein Lastwagen mit der Aufschrift: "Für Ihre Gesundheit. Pour votre santé". In der Halle waschen, rüsten, portionieren ein paar Frauen und Männer Hunderte von Lauchstängel, die die Erntehelfer am Vormittag auf den Feldern von Galmiz im Freiburger Seeland geerntet haben. Die wurzligen Strünke und die struppigen Enden der Stängel lassen sie auf ein Förderband fallen.

Ein paar Schritte daneben steht ein Container, daran hängen Warnhinweise und ein Rauchverbotsschild. Bauer Wyssa klaubt einen Schlüssel hervor, schließt die Tür auf und zeigt die Töpfe, Säcke und Flaschen, die sich auf Regalen türmen: Cargon, Cuprofix, Chlorothalonil.

Für Thomas Wyssa heißen diese Präparate Pflanzenschutzmittel, und sie sind für ihn unverzichtbar. Ohne sie könne er seine 24 Gemüsesorten, die Zwiebeln und den Pak Choi, die Auberginen und die Salate nicht so produzieren, wie das von ihm verlangt werde, sagt er. Makellos und pünktlich, zuverlässig und günstig. "Eine Schnecke oder eine Laus im Salat, und ich muss die ganze Lieferung zurücknehmen!", sagt Wyssa. "Ich könnte den hohen Qualitätsansprüchen nicht gerecht werden ohne die Pflanzenschutzmittel."

Für die Grünen, die Biobauern und viele Konsumentinnen heißen die Präparate, die Bauer Wyssa in seinem Container lagert, Pestizide. Sie sind eine riesige Bedrohung für die Umwelt. Sie sind schuld am Insektensterben, eine Gefahr für das Trinkwasser und gehören verboten. Eines von ihnen sofort: Chlorothalonil.

Seit diesem Sommer ist bekannt, dass in zehn Prozent der Schweizer Trinkwasserversorgungen zu viele Metaboliten, also Abbaustoffe, dieses Pestizids vorkommen. Der Grenzwert war gesenkt worden, nachdem eine EU-Studie Chlorothalonil als krebserregend eingestuft hatte. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Abbaustoffe das Erbgut verändern.

In der Schweiz wird Chlorothalonil seit den Siebzigerjahren vor allem im Gemüse- und Weizenanbau oft und gerne gegen Pilzerkrankungen verwendet. 2018 wurden 36,9 Tonnen verspritzt. Im Vergleich zu anderen Präparaten sei das Mittel relativ günstig, sagt Bauer Wyssa: "Wir haben damit die Kosten im Griff."

In der EU ist Chlorothalonil seit Ende April verboten. Mitte Juni versprach der Schweizer Landwirtschaftsminister Guy Parmelin in der TV-Sendung 10 vor 10, Chlorothalonil auch hierzulande zu verbieten. Und zwar bis Oktober. Doch sein Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat dem Pestizid die Zulassung bis heute nicht entzogen.

Thomas Wyssa arbeitet seit Jahren mit Chlorothalonil, zum Beispiel in den Zwiebelkulturen. Während der 120 bis 150 Tage zwischen Aussaat und Ernte müsse er, wenn es feucht und warm sei, einmal pro Woche spritzen, um die Setzlinge vor falschem Mehltau zu schützen. Um Resistenzen zu verhindern, wechselt er nach ein paar Anwendungen das Präparat, bevor er wieder Chlorothalonil spritzt.

Wie immer, wenn Thomas Wyssa seine Pestizide vorbereitet, zieht er sich einen weißen Ganzkörperschutzanzug und eine Gesichtsmaske an. Er mischt im Tank das verdünnte Chlorothalonil an und koppelt die Pflanzenschutzspritze an seinen Traktor. Auf diese Weise kann er zwölf Beetreihen gleichzeitig behandeln. Bevor er auf die Felder fährt, zieht er den Schutzanzug wieder aus. "Sonst heißt es im Dorf: ›Thomas, gosch go giftle!‹"

Der 57-jährige Wyssa gehört mit seinen 22 Hektaren Anbaufläche zu den mittelgroßen Gemüseproduzenten in der Schweiz. Die Setzlinge importiert er zu Hunderttausenden aus den Niederlanden und Deutschland. In der Hochsaison arbeiten bis zu 50 Personen bei ihm, viele von ihnen kommen aus Portugal. Für seine Arbeit erhält er Direktzahlungen vom Bund, die rund 0,8 Prozent seines Umsatzes entsprechen. Etwa gleich viel Geld gibt er jährlich für Pfanzenschutzmittel aus.

Wyssa sitzt auch im Vorstand des nationalen Gemüseverbandes. In Galmiz führt er als Gemeindepräsident die Geschicke des Dorfes und steht der lokalen SVP vor. Als Thomas Wyssa zur Schule ging, wurde der elterliche Hof biologisch bewirtschaftet. "Der Vater blieb aber auf der Ware sitzen, die Nachfrage war nicht da." Seither wächst das Gemüse der Familie Wyssa wieder nach konventionellen Kriterien. So wie das meiste Gemüse hier im Seeland, der Schweizer Gemüsekammer.

Gut die Hälfte des in der Schweiz verkauften Gemüses wird im Inland produziert. Der Bioanteil hat sich in den vergangenen vier Jahren von acht auf zwölf Prozent erhöht. Für Bauer Wyssa ist das zu wenig, um umzusteigen und damit auf Pestizide zu verzichten. Die Sache mit dem Chloratholanil behagt aber auch ihm nicht. "Es ist nicht schön, was mit dem Trinkwasser passiert. Die Diskussionen sind gerechtfertigt. Mühsam finde ich, dass wir Landwirte die Sündenböcke sind." Er orientiere sich an der offiziellen Liste des Bundesamtes für Landwirtschaft und wende nichts an, was er nicht dürfe.

Roger Siegenthaler präsidiert den Verband der Solothurner Einwohnergemeinden. Er vertritt all jene Organisationen, die dafür verantwortlich sind, dass in jedem Haus einwandfreies Trinkwasser aus dem Hahn fließt. "Es ist doch verrückt: Wir müssen einen Stoff aus dem Trinkwasser kriegen, der weiterhin erlaubt ist!"

In seinem Kanton wurden im vergangenen Sommer bei mindestens zwölf der 100 Wasserversorgungen zu hohe Chlorothalonil-Werte festgestellt. Der höchste Wert wurde bei einer Quelle im Bucheggberg gemessen: 1,4 Mikrogramm pro Liter. Der Grenzwert liegt bei 0,1 Mikrogramm. Das Wasser dieser Quelle darf seither nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden.

Insgesamt sind im Kanton Solothurn 150.000 Menschen betroffen, das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. In bestimmten Regionen, etwa dem Gäu und dem Wasseramt, liege eine "nahezu flächendeckende Belastung des Grundwassers mit dem Abbauprodukt Chlorothalonil-Sulfonsäure" vor. Das schreibt der Solothurner Regierungsrat am Dienstag in seiner Antwort auf eine Interpellation aus dem Kantonsrat. In der ganzen Schweiz wurden in den vergangenen Monaten etliche Quellen vom Netz genommen und belastetes Wasser verdünnt. Auch im Berner Seeland und im Kanton Solothurn. Aber das funktioniert nicht immer: "Mit der gegenwärtigen Infrastruktur", schreibt die Solothurner Regierung, "kann nicht überall wo nötig das belastete Wasser mit unbelastetem gemischt werden."

Siegenthalers Ärger richtet sich nicht gegen die Bauern, sondern vielmehr gegen das BLW in Bern. "Inzwischen hat doch der Hinterste und Letzte begriffen, dass es ein sofortiges Verbot braucht!", sagt er. Ein solches Verbot fordern auch der Verband aller Kantonschemiker und die kantonalen Gesundheitsdirektoren. Zusätzlich verlangen sie "ein schweizweites sofortiges Verkaufs-, Aufbrauchs- und Verwendungsverbot", damit der Stoff nicht wie üblich während einer Übergangsfrist noch gespritzt werden darf. Der Schweizer Bauernverband rät seinen Mitgliedern, freiwillig auf das Pestizid zu verzichten. Fenaco, der größte Lieferant von landwirtschaftlichen Chemikalien, hat die chloratholanilhaltigen Mittel aus dem Sortiment genommen, bis die Zulassung geklärt ist.

Aber Guy Parmelin und seine Beamten lassen sich Zeit. Im August erhielten die Kantone eine Verfügung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, das zum Innendepartement von SP-Bundesrat Alain Berset gehört. "Darin steht, dass wir das Problem innerhalb von zwei Jahren im Griff haben müssen", sagt Siegenthaler. Ein großes Bauprojekt könnte die Lösung sein: Wasser aus der Aare oder von Juraquellen über kilometerlange, neue Leitungen dorthin führen, wo Grundwasserströme mit Chlorothalonil belastet sind. Damit das Wasser eines Tages in jeder Gemeinde von zwei hydrologisch unabhängigen Quellen stammt. "Dafür braucht es Millionen Franken und viel Zeit!", sagt Siegenthaler. "Wir erwarten, dass uns der Bund im großen Stil finanziell unterstützt. Auch brauchen wir ein beschleunigtes Planverfahren, damit Einsprachen die Sache nicht verzögern können."

All das steht in einem Brief, den er im Namen seiner 109 Gemeinden vor zwei Wochen ins Bundeshaus nach Bern geschickt hat. Der Brief ist inzwischen eingetroffen. Genauso wie die vielen Forderungen nach einem sofortigen Verbot. Passiert ist bisher nichts.

Beim Bundesamt für Landwirtschaft ist Olivier Felix, der Leiter des Fachbereichs nachhaltiger Pflanzenschutz, für das Dossier verantwortlich. "Wir sind daran, ein Verbot von Chlorothalonil zu prüfen. Das Rückzugsverfahren ist eingeleitet." Dieses könne sich aber hinziehen, weil jeder Bewilligungsinhaber seine Sicht darlegen könne und beispielsweise neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Giftigkeit der Abbauprodukte von Chlorothalonil einreichen könne. "Diese Informationen sind inzwischen bei uns eingetroffen. Nun werden sie geprüft."

Ist es also nur noch eine Formsache, bis das Pestizid vom Markt ist? Vermutlich nicht. Die 24 Unternehmen, die in der Schweiz chlorothalonilhaltige Pestizide anbieten, darunter die Agromultis Syngenta und Bayer, haben dank einer Gesetzeslücke die Möglichkeit, den Entscheid anzufechten. Wenn sie wollen, bis vor das Bundesgericht.

Bauer Wyssa wird im nächsten Frühling, wenn er wieder Zwiebeln auspflanzt, kein Chlorothalonil auf seine Felder sprühen. Auch wenn er noch Vorräte in seinem Container stehen hat. Er will aus der Liste der 3368 zugelassenen Pestizide ein anderes wählen, das vor Mehltau schützt. "Als Gemüsegärtner muss ich nicht nur Manager und Ökonom, Händler und Werbefachmann sein", sagt er, "sondern auch Chemielaborant."


Aus: "Trinkwasser in der Schweiz: "Das ist doch verrückt!"" Sarah Jäggi (2. Dezember 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/2019/49/trinkwasser-schweiz-chlorothanoil-verschmutzung-pestizid-bundesrat/komplettansicht

QuoteeinfacheLösungen #6

Das Problem sind ja nicht die 3368 Pestizide. Das Problem sind die inzwischen von der Realität vollkommen abgekoppelten Konsumenten, die eine Schnecke im Salat, eine Macke auf einem Apfel oder eine Delle auf der Birne als 'unnatürlich' ablehnen.

Als Hobby-Gärtner mit 3 Kindern, 4 Apfelbäumen, 2 Kirschen, Pflaumen, Mirabellen und vielen anderen schmackhaften und vollkommen ungespritzten Bio-Früchten staune ich immer wieder, daß meine 3 Pubertiere lieber Ware aus dem Supermarkt essen.
Aber da gibts dann eben auch nie mal eine Made, eine Macke oder Unregelmäßigkeiten.

Macht mich auch etwas ratlos, aber der Bauer ist eigentlich nur das letzte Glied in der Kette.


QuoteKMG #3

Ich komme zwar nicht aus der Schweiz, aber auch aus einem Gebiet wo quasi bei den Nachbarn ein - in der Vergangenheit erlaubter - Stoff im Wasser Probleme verursachte. Kann das ganze also sehr nachvollziehen. Es wäre halt einfach einmal nötig uns klarzumachen ob die Gesundheit Vorrang hat (und sei es nur bei Zweifel ob bestimmte Stoffe gesundheitsgefährdend sind oder nicht) oder der Profit. Ansonsten wird hier nie etwas passieren. ...


...

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Quote[...] BERLIN taz | Die Deutsche Umwelthilfe klagt nach dem Dieselskandal jetzt auch gegen die Belastung des Grundwassers mit Nitrat zum Beispiel aus Gülle. Die Organisation zog am Mittwoch gegen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, weil sie gegen die Wasserrahmenrichtlinie verstoßen hätten. Diese EU-Vorschrift fordert, dass sich alle Gewässer in einem guten ökologischen und chemischen Zustand befinden.

Doch im Ems-Gebiet der beiden Bundesländer werde der Nitrat-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter im Grundwasser an vielen Messstellen überschritten, teilte die Umwelthilfe mit. Die Organisation will die Behörden nun durch die Klage zu Maßnahmen zwingen, um den Grenzwert einzuhalten. Die Länder könnten zum Beispiel die Regeln gegen Überdüngung konsequenter durchsetzen.

Potenziell gesundheitsschädliches Nitrat aus Stickstoffdüngern belastet Grundwasser, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. In der Umwelt trägt zu viel Dünger zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten sowie zum Klimawandel bei.

,,21 der insgesamt 40 Grundwasserkörper beziehungsweise zwei Drittel der Gesamtfläche der Flussgebietseinheit Ems auf deutschem Gebiet befinden sich in einem schlechten chemischen Zustand", so die Umwelthilfe. Hauptgrund dafür sei, dass die Bauern im Schnitt mehr mit Stickstoff düngten, als die Pflanzen aufnehmen könnten (siehe taz-Faktencheck: https://taz.de/Umweltbelastung-durch-Duenger/!5635932/). So entsorgen sie die Gülle, die etwa in Schweineställen anfällt. Die Umweltschützer kalkulieren, dass Niedersachsen 200.000 Hektar größer sein müsste, um die Massen an Exkrementen und Gärresten aus Bioagasanlagen ,,bedarfsgerecht auf die Felder auszubringen".

,,Die Wurzel allen Übels ist die auf intensive Landwirtschaft ausgerichtete Agrarpolitik", sagte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe. Den Wasserversorgern falle es immer schwerer, die Trinkwasserqualität zu erhalten, was am Ende die Verbraucher über die Wasserrechnung bezahlten. ,,Das ist die Folge jahrelangen Versagens der Bundes-, aber auch der Landesregierungen. Die Gülle steht uns bis zum Hals."

,,Wir brauchen einen fairen Umbau der Tierhaltung in Deutschland", verlangte Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), der die Klage unterstützt. Dabei sollten ,,gute Einkommen" der Bauern sichergestellt werden. Dazu müsse der Deutsche Bauernverband seine Blockade gegen eine Umverteilung der EU-Agrarsubventionen aufgeben.

Konkret sprechen sich die beiden Umweltverbände dafür aus, dass nur noch höchstens zwei Großvieheinheiten pro Hektar gehalten werden dürfen. Das entspricht zum Beispiel 2 Milchkühen, 13 Mastschweinen oder 640 Legehennen. Dadurch würde automatisch genügend Fläche zur Verfügung stehen, um die Exkremente umweltgerecht zu entsorgen. Außerdem wollen die Umweltschützer, dass der Staat Biobauern besser fördert, da deren Höfe in der Regel eine bessere Stickstoffbilanz haben.

Die Verbände berufen sich in ihrer Klage unter anderem darauf, dass der Europäische Gerichtshof Deutschland bereits verurteilt hat, weil es seit Jahren die Nitrat-Richtlinie verletze. Weil die EU-Kommission wieder mit einer Strafzahlung gedroht hat, verschärft die Bundesregierung derzeit die Düngeverordnung von 2017. Unter anderem dagegen haben bereits mehrfach tausende Bauern demonstriert, weil sie finanzielle Verluste befürchten. Anfang Oktober entschied der Gerichtshof, dass es ein ,,Recht auf sauberes Wasser" gebe, das auch von Privatpersonen eingeklagt werden könne.

Vorbild für die Klage sind die Prozesse der Umwelthilfe wegen der zu hohen Stickoxid-Belastung der Luft in mehreren Städten. Damit erreichte die Organisation zum Beispiel Fahrverbote für besonders dreckige Dieselautos in bestimmten Straßen.

,,Die Klage der Umwelthilfe stößt bei mir auf absolutes Unverständnis", sagte Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Dadurch könnten Maßnahmen zur Senkung der Nitratwerte sogar ausgebremst werden. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) teilte mit: ,,Wir haben ein Problem mit Nitratbelastung, aber wir handeln längst". Er werde die Klage ,,sorgfältig bewerten".


Aus: "Umwelthilfe klagt wegen Nitrat" Jost Maurin (20. 11. 2019)
Quelle: https://taz.de/Ueberduengung-belastet-Wasser/!5640059/

QuoteRainer B.
20. Nov, 16:11

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen leider, dass beim Abbau von Umweltbelastungen auf Behörden praktisch überhaupt kein Verlass ist. Ohne Druck läuft da gewöhnlich gar nichts. Ich erinnere nur an die ,,Deponie Münchehagen", in der viele Jahre lang unter den Augen und mit Wissen der Behörden hochgiftige Abfälle einfach so am Waldrand verbuddelt wurden. Ohne ein energisches Eingreifen der Bürger würden da heute noch Tag und Nacht LKWs hochbrisante Giftstoffe in die Landschaft kippen. Es wurden später Dioxin-Werte dort gemessen, die so hoch wie sonst nirgends auf der Welt sind. Das ist heute der wohl giftigste Ort der Welt. Ein trauriger Weltrekord.

Die Nitratbelastung des Grundwassers durch Gülle/Dünger etc. ist auch so eine tickende Zeitbombe, die ohne ein beherztes Eingreifen der Bürgerschaft zu explodieren droht. Die Klage ist ein erster, überfälliger Schritt, dem sicher noch viele weitere folgen müssen.

Die Sonderabfalldeponie Münchehagen ist eine frühere Deponie für gefährliche Abfälle in Niedersachsen, die sich südlich des Rehburger Ortsteils Münchehagen befindet. ... Als etwa 1979 im benachbarten Wald Rinde von den Bäumen fiel, kam es 1980 zur Gründung einer Bürgerinitiative und zu Protesten. Bundesweit in die Schlagzeilen geriet die Deponie im Jahr 1983, als darin 41 aus Seveso verschwundene Dioxin-Fässer vermutet wurden. Daraufhin blockierten Angehörige der Bürgerinitiative die Deponiezufahrt. 1985 wurde auf dem Münchehagener Deponiegelände in einer Wasserprobe die bis dahin weltweit höchste Konzentration an Dioxin festgestellt. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Sonderabfalldeponie_M%C3%BCnchehagen

https://umweltgruppewiedensahldotde.wordpress.com/2016/06/10/kritik-am-umgang-mit-der-giftmuelldeponie-muenchehagen/

https://greenfairplanet.net/2012/07/01/35-jahre-giftmuelldeponie-muenchehagen/


QuoteBauer aus Schwaben, 20. Nov, 23:09

@Rainer B. Der Vergleich von Nitrat mit Dioxin ist ähnlich dem eines Brotmessers mit einer Atombombe.


QuoteRainer B.
21. Nov, 16:23

@Bauer aus Schwaben

Ich vergleiche hier doch gar nicht Nitrat mit Dioxin, sondern weise auf den wenig vertrauenerweckenden Umgang von Behörden mit Umweltbelastungen allgemein hin. Die Langzeitfolgen von Nitrat im Grundwasser lassen sich derzeit noch gar nicht abschließend beurteilen, dürften aber alles andere als harmlos sein. Auch schleichendes Gift tötet - nur langsamer.


...

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#16
Quote[...] Indien Delhis Luft ist in katastrophalem Ausmaß verpestet. Krebs, Herzinfarkte und Asthma greifen um sich  ... Die reale Gefahr, wie sie für die Gesundheit der rund 30 Millionen Bewohner Delhis und der umliegenden National Capital Region (NCR) bestand – und weiter besteht –, lässt sich messen. Der World Air Quality Index veröffentlicht seit 2007 in Echtzeit die Werte aller weltweit angeschlossenen Messstationen. Für Delhi und Umgebung sind es 37. Gemessen werden Schadstoffe wie Feinstaub, Ozon, Schwefel- und Stickstoffdioxid, nach Gefährlichkeit für die menschliche Gesundheit kategorisiert und in sechs farblich symbolisierten Stufen abgebildet. Werte zwischen null und 50 (grün) sind unbedenklich, bis 100 (gelb) akzeptabel, bis 150 (orange) gefährlich für Risikogruppen, bis 200 (rot) gefährlich für alle und bis 300 (violett) sehr gefährlich. Werte über 300 (dunkelviolett) werden international als Alarmstufe bewertet. Indien hat seinen Alarmwert auf 500 plus hinaufgeschoben und damit so etwas wie eine ,,Zusatzkategorie 7" für sich geschaffen. ...


Aus: "Grund zur Panik" Ursula Dunckern (Ausgabe 48/2019 )
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/grund-zur-panik

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"Glyphosat: Monsanto finanzierte auch in Deutschland verdeckt Studien" (5. Dezember 2019)
Bekannt ist, dass Expertisen zum Nutzen von Glyphosat in den USA von dessen Hersteller mitfinanziert wurden. Offenbar gilt dies auch für einen deutschen Wissenschaftler.
... Im Einzelnen geht es zunächst um eine Studie aus dem Jahr 2011. Wie sowohl der Sender als auch Lobbycontrol und die Süddeutsche Zeitung berichten, kommt Schmitz darin mit anderen Wissenschaftlern zu eindeutigen Ergebnissen: Würde man in Deutschland auf den Einsatz von Glyphosat verzichten, drohe ein "Wohlstandsverlust" in Milliardenhöhe. Die zweite betroffene Studie stammt aus dem Jahr 2015 und befasst sich laut den Recherchen mit den ökologischen Folgen des Mitteleinsatzes. Kein Problem, resümieren Schmitz und seine Kollegen darin: Glyphosat schone den Ackerboden und senke den CO2-Ausstoß.
Den Medienberichten zufolge entstand letztere Studie an einem "Institut für Agribusiness", das Schmitz Anfang der Neunzigerjahre mit Landwirtschaftspolitikern und Lobbyisten aus der Agrar-, Saatgut- oder Pflanzenschutzindustrie gegründet haben soll. Vorgestellt und auch veröffentlicht wurden die Ergebnisse aber mit Verweis auf die Alma Mater des Professors, auch wenn die Justus-Liebig-Universität Gießen mit dieser privaten Auftragsarbeit nichts zu tun hatte.
Nachzulesen waren beide Glyphosat-Studien im Journal für Kulturpflanzen, dem Fachjournal der Bundesforschungsstelle des Julius-Kühn-Instituts, sowie in der Glyphosat-Information der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und in der Literaturliste des Bundestages. Verwendet wurde der Text auch im Zuge des Zulassungsverfahrens von Glyphosat in der EU, wie die Süddeutsche schreibt.
Nach Informationen des gesamten Lobbyverbunds nutzte auch der Bayer-Konzern, zu dem das US-Unternehmen Monsanto inzwischen gehört, bis zuletzt eine der Studien von Schmitz für seine Öffentlichkeitsarbeit. Auf seiner weltweiten Info-Seite zu Glyphosat tauchte sie bis vor wenigen Tagen als ganz normale Informationsquelle auf. Inzwischen wurde sie dort gelöscht. ...
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-12/glyphosat-monsanto-finanzierung-studien-usa-hersteller

QuoteHKraemer #39

Mit solch fachlicher Expertise werden letztlich auch Gesetze gemacht oder politische Entscheidungen begründet.


QuoteKunigunde53 #11

"Monsanto finanzierte auch in Deutschland verdeckt Studien"
Jetzt ist der unvoreingenommene Leser genau so überrascht wie die meisten investigativen Journalisten. Damit hätte man nun wirklich nicht rechnen können.
Am Ende kommt vielleicht noch heraus, dass die so finanzierten Untersuchungen nicht zu 100% objektiv waren, denn wer solche "Studien" in Auftrag gibt und finanziert, möchte vielleicht auch auf die Ergebnisse Einfluss nehmen. Was es alles gibt.


Quote
Quer- und Weiterdenker #12

Moral ist für Monsanto ein Fremdwort, genauso wie für die bezahlten Schreiberlinge die Forschungsethik ein Fremdwort ist.


QuoteStetschkin #14

In Russland nennt man sowas Korruption.


QuoteRitzer der Kukusnuß #16

Monsanto finanzierte auch in Deutschland verdeckt Studien///

Ich kann mich noch erinnern, es ist ja noch gar nicht solange her, das dieses hier im Forum als VT markiert wurde.


Quote
Kai Ne-Ahnung #24

"Monsanto finanzierte auch in Deutschland verdeckt Studien"

Der Teufel stellt in der Hölle Heizer ein. Welch ein Überraschung, hätte ja niemand angenommen, Man hat ja gedacht Monsanto macht das überall auf der Welt, nur natürlich in Deutschland nicht. Weil wir so toll sind oder so, keine Ahnung.


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Quote[...] Aus der Vogelperspektive sieht Runit Island zunächst nach einem Paradies aus: Türkisfarbenes Meer, der Sand so weiß, dass einem die Augen brennen. Doch das spärlich bewachsene Eiland – eine von 40 Inseln des Eniwetok-Atolls, das zum pazifischen Inselstaat der Marshallinseln gehört – beherbergt auch eine untertassenförmige Betonstruktur mit etwa hundert Metern Durchmesser.

In diesem ,,Bunker" lagern die USA seit Ende der 1970er Jahre Atommüll. Insgesamt befinden sich auf Runit Island 85 000 Kubikmeter nuklearen Abfalls, darunter Plutonium-239, eine der giftigsten Substanzen der Erde. Der Müll liegt direkt auf dem Boden der Insel, abgedeckt mit einem 50 Zentimeter dicken Betondeckel. Doch nun drohen nukleare Abfälle in den Pazifik zu fließen.

Der Nuklearabfall ist ein Überbleibsel der amerikanischen Atombombentests, die nach dem Zweiten Weltkrieg große Teile von insgesamt über 1200 Inseln im Pazifik verseuchten. Insgesamt 67 Atombomben warfen die USA zwischen 1946 und 1958 in der Pazifikregion ab. Am 1. März 1954 etwa detonierten die Amerikaner einen thermonuklearen Sprengkopf über dem Bikini-Atoll.

Die Explosion der Wasserstoffbombe setzte eine Energie von 15 Megatonnen frei – mehr als das Tausendfache der Atombombe von Hiroshima. Es war die größte Atomwaffe, die die USA jemals eingesetzt haben. Die Explosion hinterließ einen 80 Meter tiefen Krater. Eine ganze Generation sah sich mit den Folgen der radioaktiven Strahlung – Krebserkrankungen, Tumore, Fehlgeburten und Missbildungen – konfrontiert.

,,Es war nur eine Frage von zwei oder drei Jahren, bis Frauen auf der Insel begannen, Dinge zu gebären, die weniger menschlich waren", erzählte eine einheimische Frau Jahrzehnte später Diplomaten. Geburtsfehler sind auf den Inseln so häufig, dass die Menschen viele Wörter haben, um sie zu beschreiben, darunter Marlins, Teufel, Quallenkinder und Traubenbabys.

Etliche verloren ihre Heimat, mussten umsiedeln. Bis heute sind viele Inselbewohner auf amerikanische Importe angewiesen. Sie mussten ihre traditionelle Ernährung mit Fisch und lokalen Produkten wie Kokosnüssen umstellen, weil die nach wie vor zu verseucht für den Verzehr sind.

Inzwischen sind zwar einige der Inseln wieder bewohnbar, doch nun bringt der Klimawandel Probleme mit sich, mit denen vor 70 Jahren noch niemand rechnete. Denn durch den steigenden Meeresspiegel drohen tiefliegende Inseln wie Runit Island überschwemmt zu werden. In einem Bericht der ,,Los Angeles Times" heißt es, der steigende Meeresspiegel lasse die Betonkuppel inzwischen aufbrechen. Nukleare Abfälle drohten in den Pazifik zu fließen.

Bereits vor zwei Jahren hatte eine Dokumentation des australischen Senders ABC Risse in der Betonschale offenbart, und auch ein Bericht des US-amerikanischen Energieministeriums wies 2013 auf die Problematik hin. Schon damals warnte der Klimaaktivist Alson Kelen vor einem ,,verheerenden Ereignis", sollten die Lecks größer werden. ,,Wir sprechen dabei nicht nur über die Marshallinseln, sondern den gesamten Pazifik."

Obwohl die Situation inzwischen dringlich ist, wollen die USA laut der ,,Los Angeles Times" keine Verantwortung mehr für die Betonstruktur übernehmen. ,,Wie können wir für sie verantwortlich sein?", fragte Hilda Heine, die Präsidentin der Republik der Marshallinseln, im Gespräch mit der US-Zeitung. ,,Wir wollen sie nicht. Wir haben sie nicht gebaut. Der Müll drinnen gehört uns nicht."

,,Es ist schwer vorstellbar, dass die USA ihre Aktionen als ausreichend betrachten würden, wenn die Rollen vertauscht wären", wird Alex Wellerstein, Nuklearhistoriker am Stevens Institute of Technology in New Jersey, in mehreren US-Medien zitiert. Es sei eine Farce, dass die reichen USA nicht den politischen Willen finden könnten, einer kleinen, armen Nation, die viel für die nationale Sicherheit der USA geopfert habe, in dieser Situation zu helfen.

Zumindest eine Aktion zahlten die Amerikaner laut eines weiteres Berichts der ,,Los Angeles Times" letztlich dann aber doch. Sie ließen ein Graffiti entfernen, das Einheimische in großen Buchstaben auf die Betonoberfläche gesprüht hatten: ,,Nuklearmüll. Eigentum der US-Regierung. Bitte an den Absender zurückschicken."


Aus: "Betonbunker im Pazifik bricht auf - Atommüll droht, den Ozean zu verseuchen" Barbara Barkhausen (11.12.2019)
Quelle: https://www.fr.de/politik/betonbunker-pazifik-bricht-atommuell-droht-ozean-verseuchen-13277030.html

"U.S. won't clean up Marshall Islands nuclear waste dome but wants it free of anti-U.S. graffiti" Susanne Rust (11/2019)
This summer, U.S. Secretary of State Michael R. Pompeo announced that the United States intends to extend the compact. Negotiations are just beginning. ...
https://www.latimes.com/environment/story/2019-11-14/marshall-islands-runit-nuclear-waste-dome-site-graffiti

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#18
Teutschenthal ist eine Gemeinde im Saalekreis in Sachsen-Anhalt, weithin sichtbar mit ihrer Kalihalde und bekannt für die Motocross-Strecke. ... Im Jahr 2010 wurde durch das Landesamt für Geologie und Bergwesen bekannt, dass die Betreiberfirma, die Grube Teutschenthal Sicherungs GmbH (GTS), in diesen Hohlräumen Giftstoffe eingelagert hatte. Die Gesamtmenge dieser aus Verbrennungsanlagen stammenden ,,hochgiftigen und illegal eingelagerten Filterstäube" wird auf 11.000 Tonnen geschätzt. Nach Bekanntwerden dieser Praxis forderte die Leitung der Betreiberfirma gegenüber der sachsen-anhaltischen Landesregierung, dass ,,sich der Steuerzahler an den Kosten" für die künftige Überprüfung der ,,Abfallströme" beteiligen solle. Die Firma GTS, eine Tochter der Geiger Unternehmensgruppe, ist weiterhin mit dem Betrieb der Grube betraut. ... (20. November 2019)
https://de.wikipedia.org/wiki/Teutschenthal

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"Nach Grubenunglück in Teutschenthal: Bürgerinitiative wehrt sich gegen weitere Einlagerung von Gefahrstoffen" 14. November 2019 | Politik
https://hallespektrum.de/nachrichten/politik/nach-grubenunglueck-in-teutschenthal-buergerinitiative-wehrt-sich-gegen-weitere-einlagerung-von-gefahrstoffen/360527/

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Quote[...] Ein altes Bergwerk aus DDR-Zeiten ist jetzt eine Mülldeponie. Die Anwohner leiden unter Gestank und Gesundheitsproblemen

... Das ,,Tor zur Hölle", von dem Carola Obereigner spricht, ist im Stadtteil ,,Teutschenthal Bahnhof", fünf Autominuten von Angersdorf. Bis zu 900 Tonnen hochgiftiger Lkw-Ladungen kommen hier täglich an, um ,,für immer und ewig" unter Tage zu verrotten, wie es der Grubentechnologe der GTS gegenüber einem MDR-Team formulierte.

,,Die Region ist geologisch instabil", warnt Michael Braungart von der Universität Lüneburg, Geschäftsführer der Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) in Hamburg. Er verweist auf das Atommüll-Lager Asse, in das Wasser eindrang. ,,Selbst wenn man den Giftmüll in Fässer füllen würde, wäre die Frage, wie lange diese Fässer halten."

Das ist der Langzeitaspekt. Was Menschen wie Carola Obereigner aber vor allem wütend macht, ist ihre Wahrnehmung der Gegenwart. ,,Dass es in Angersdorf zu bestimmten Zeiten und bei bestimmten Witterungsbedingungen stinkt, kann man nicht wegdiskutieren", sagt auch Schaar vom LAGB. Denn Teutschenthal Bahnhof ist ,,wettereinziehend", wie es im Bergmann-Jargon heißt, Angersdorf hingegen ,,wetterausblasend". Hier, am anderen Ende des Schachts, tritt der Gestank des unter Tage gebrachten Giftmülls über die abgeleitete Grubenluft, aus. Bis vor Kurzem haben auch die Menschen rund ums ,,Höllentor" unter dem Geruch gelitten. Der Grund war ein Freilager für Industrieabfälle auf dem GTS-Gelände. Zwar war das Unternehmen bereits vor 15 Jahren von offizieller Seite zum Bau einer Lagerhalle aufgefordert worden, um immissionsrechtliche Bestimmungen einzuhalten; dem ist es aber nie nachgekommen. Weshalb das so lange toleriert wurde, dazu schweigt das LAGB und will Untersuchungen des Wirtschaftsministeriums abwarten. Auf eine Anfrage des Freitag reagierte die GTS nicht.

Dank einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist das Freilager seit August Geschichte. Den Angersdorfern ist damit nicht geholfen. Auf dem Weg hinunter von der Halde trifft man auf einen Mann, der in seiner Kleingartenparzelle werkelt. Vor allem am Wochenende fühle er sich vom Gestank belästigt, sagt er. Dann verbrächten seine Frau und er die meiste Zeit im Garten, in direkter Nachbarschaft zum Schachtausgang des Grubenfelds.

Obereigner kennt das. Die gebürtige Hallenserin ist 1996 hierhergezogen: Ruhe, ein schöner Garten, für ihr Haus habe sie damals ,,ordentlich Schulden gemacht". Heute sei es wegen des Gestanks kaum noch etwas wert. Im April 2018 nahm sie ihn zum ersten Mal wahr. Erst hatte sie den Landwirt in Verdacht. Dann wurde sie skeptisch: ,,Wieso sollte der Bauer drei Tage hintereinander Gülle ausbringen? Vor allem, wenn gar kein Regen angesagt ist?" Dass die Luft gerade seit vorigem Jahr so schlecht ist, erklärt das LAGB mit drei Abfallflüssigkeiten, die in Teutschenthal Bahnhof über längere Zeit verfüllt worden seien und vom Amt als geruchsauslösend identifiziert wurden. Obereigner, die sich selbst als ,,hyperaktiv" beschreibt, kommt fortan morgens nicht mehr aus dem Bett, die Klamotten im Schrank stinken nach Giftgrube, ihre dunkelroten Haare fallen aus. Die Augen schmerzen, brennen, ,,als würde jemand von hinten ein Nagelkissen in den Augapfel stechen". Sie geht zur Ärztin. Der Haarausfall sei ein Anzeichen für eine Vergiftung, bekommt sie dort zu hören. ,,Aber wo soll ich mich bitte schön vergiftet haben?" Sie raucht E-Zigarette, ja, ,,aber nicht so schlimm, dass ich mir Schwermetalle ins Blut gerammelt habe".

Das von ihr selbst bezahlte toxikologische Gutachten ergibt, ihr Selenhaushalt sei zu niedrig. Als möglichen Grund nennt das Schriftstück, das sie vorzeigt, die Aufnahme von Quecksilber, Arsen und Thallium. ,,Bestandteil meiner Küche ist so was nicht", sagt sie, ,,des Mülls da drüben aber schon." Das LAGB bestreitet, dass die Menschen in Angersdorf vergiftet werden. Es beruft sich auf eine Analyse der Umwelttoxikologin Heidi Foth, in der ,,keine Zusammenhänge zwischen den geruchsaktiven Stoffen und toxikologischen Endpunkten eines Gesundheitsschadens" festgestellt werden. Obereigner beklagt, das Gutachten beziehe sich allein auf Datenmaterial, das von der GTS erhoben wurde. Auch der Hinweis des LAGB, die von ihm als geruchsauslösend identifizierten Abfälle würden mittlerweile nicht mehr verfüllt, verfängt bei ihr nicht. Es stinkt ja immer noch!

Einer von Obereigners Mitstreitern in der Bürgerinitiative ist Eberhard Rothe. Er war früher selbst im Bergbau tätig. Vom Dachgeschoss seines Hauses blickt man auf das Fördergerüst am Schachtausgang. An das Erdbeben damals erinnert er sich gut, ,,da hat's tüchtig gewackelt". Schon deshalb hat hier keiner etwas gegen den Versatzbergbau zur Sicherung der Grube. Aber muss sie ausgerechnet durch Industrieabfälle stabilisiert werden? In der Nähe seines Hauses gibt es eine Salzhalde, aufgehäufte Rückstände aus Zeiten der Kaliproduktion. Deren Material könne problemlos zur Sicherung der Grube verwendet werden, meint Rothe.

Politische Unterstützung für diesen Vorschlag kommt nicht einmal von den Grünen. ,,Ob das problemlos geht, da bin ich mir nicht sicher", sagt Wolfgang Aldag, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, ,,das wäre auf jeden Fall teuer." Der Wissenschaftler Braungart hingegen glaubt, dadurch könnten sogar Erdbeben eher verhindert werden, weil das Salz ,,eine ganz andere Dichte" als der verfüllte Abfall aufweise.

Die Bürgerinitiative lässt nicht locker, sie trägt ihren Protest etwa nach Magdeburg, vor den Landtag – mit Schildern, auf denen Sprüche wie ,,Frische Luft statt Giftmüllduft" stehen. Der Erste, der aus dem Landtag zu ihnen eilt, ist der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Robert Farle. Er sagt: ,,Es kann doch nicht sein, dass eine einzige Firma eine ganze Umgebung mit Gift versorgt!" Mit progressiver Umweltpolitik hat Farle sonst nicht viel am Hut, redet gern vom ,,CO₂-Schwindel".

Den meisten der Protestierenden ist sein Parteibuch egal. Klar, das sei ein ,,zweiseitiges Schwert", meint einer, aber am Ende ginge es um die ,,Interessen der Bürger". Sie kennen keine Parteien mehr, sie kennen nur noch Giftmüllgestank. Die AfD weiß das zu nutzen.

Später steigt Sachsen-Anhalts SPD-Landeswirtschaftsminister Armin Willingmann aus seiner Limousine. Er war schon öfters inkognito in Teutschenthal, um sich ein Bild zu machen, Carola Obereigner rechnet ihm das hoch an. Doch das Geschäftsmodell der GTS stellt der Minister nicht grundsätzlich in Frage. Es sei es eine ,,notwendige Sicherheitsmaßnahme" für das ehemalige Bergwerk, die Verfüllung ungiftiger Stoffe eine rein ,,theoretische" Lösung. Damit die Menschen unter der ,,Zivilisationsfolge" Giftmüll nicht mehr leiden, sei der Bau eines Kamins geplant, der die Abwetter in großer Höhe herauspustet.

Eine ,,weitere Veralberung", findet Carola Obereigner. Es bräuchte eine Filteranlage, sonst lande weiterhin alles in der Biosphäre. Dann halt nur weiter oben.


Aus: "Nase zu in Teutschenthal" Dorian Baganz (Ausgabe 46/2019 )
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nase-zu-in-teutschenthal


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Quote[...] 2020 wird eine aktualisierte Rote Liste der bedrohten Brutvögel herauskommen, in der sie nach Gefährdungsstatus neu eingeteilt werden. Die aktuell gültige Liste wurde im Jahr 2016 veröffentlicht und berücksichtigt Daten aus Beobachtungsstudien, die bis 2009 reichen. Sie zeigt: Vielen bei uns heimischen Vogelarten geht es nicht gut. Fast die Hälfte wird als gefährdet eingestuft. Und auch unter vielen anderen geht der Bestand zurück.

Vergleicht man Zahlen aus dem Jahr 1990 mit heutigen, nimmt der Bestand jeder dritten Vogelart ab. Bei den Agrarlandarten, die Weiden, Wiesen und Felder bewohnen, sind es einer Analyse der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft zufolge sogar fast 70 Prozent. Vielen Menschen bleibt das Vogelsterben jedoch verborgen: Denn die oft sichtbaren Stadtvögel sind vom Rückgang kaum betroffen. Amsel und Buchfink sind mit jeweils mehr als acht Millionen Brutpaaren mit Abstand die häufigsten Vögel hierzulande.

Die auf dem Boden brütenden Vögel der Agrarlandschaft sind am stärksten in Gefahr. Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahr 2017 ging die Zahl der auf Feldern, Äckern und Wiesen brütenden Vögel in Europa zwischen 1980 und 2010 um ganze 300 Millionen Paare zurück.*

Dieser Abwärtstrend hat sich zuletzt für einige Arten sogar noch beschleunigt. Schaut man sich den Rückgang in Deutschland an, so haben etwa Rebhuhn (Perdix perdix) und Kiebitz (Vanellus vanellus), die früher häufig im Kulturland zu finden waren, im Vergleich zu den Neunzigerjahren etwa 90 Prozent ihres Bestandes eingebüßt. Der früher als "Spatz der Wiese" bekannte Wiesenpieper verlor drei Viertel und das Braunkehlchen weit mehr als die Hälfte seiner Brutpaare.

Vor allem Hobbyornithologen beteiligen sich an Zählungen. Im Rahmen sogenannter Citizen-Science-Projekte tragen sie Vogelsichtungen zusammen, etwa auf dem Onlineportal ornitho.de. Um Brutvögel nicht zu stören, werden dabei selten Nester gesucht, stattdessen wird der Gesang eines Männchens im Frühjahr als besetztes Revier bewertet. Auch Vögel, die nur Zwischenrast einlegen oder in Deutschland überwintern, werden erfasst. Koordiniert und statistisch aufbereitet werden diese Zählprogramme vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA). Alle sechs Jahre müssen die EU-Staaten der Kommission einen Bericht zum Zustand ihrer Vogelwelt abgeben.

Zweimal im Jahr ruft zudem die Umweltorganisation Nabu zur größten Citizen-Science-Aktion des Landes auf: Zur Stunde der Gartenvögel im Mai und zur Stunde der Wintervögel im Januar. Das nächste Mal sind am zweiten Januarwochenende alle Bundesbürger aufgerufen, an einem Tag für genau eine Stunde im Garten, im Park, vom Balkon oder Fenster aus Vögel zu bestimmen und zu zählen (Wie es genau geht, erklärt das Video oben).

... Der massenhafte Einsatz von Pestiziden, von Dünger und die starke Landnutzung sind die Hauptursache für den Rückgang der Arten, was auch eine neue Analyse der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft bestätigt. 2.500 Forschende forderten kürzlich in einem Brandbrief an das EU-Parlament eine ökologische Wende. Es gebe einen "einhelligen wissenschaftlichen Konsens" darüber, dass der Verlust der Artenvielfalt maßgeblich auf die landwirtschaftliche Praxis zurückzuführen sei.

Und auch der Klimawandel mit seinen Folgen für bestimmte Landschaften trägt zum Rückgang der Vögel bei. Einer vom Bundesamt für Naturschutz erstellten Analyse zufolge sind zwei Drittel aller Lebensraumtypen – vom Moor bis zum Trockenrasen – gefährdet. Kein Wunder also, dass etwa Moorenten (Aythya nyroca) oder diverse Regenpfeifer, die in solchen Biotopen brüten, weit oben auf der Roten Liste stehen.

Dieselben Gifte, die Bienen schädigen, können Zugvögel vom Weg abbringen, wie Forscherinnen und Forscher erst kürzlich berichteten. (Science: Eng et al., 2019). Sie hatten die Wirkung der sogenannten Neonikotinoide auf Zugvögel untersucht – Substanzen in Pflanzenschutzmitteln, die auf Bienen ähnlich wirken wie Nikotin auf Menschen, die Insekten abhängig machen und deren Nerven schädigen. Heraus kam, dass die Insektengifte das Orientierungsvermögen der Zugvögel beeinträchtigten und auch als Appetitzügler wirken. Das ist für die Vögel besonders fatal, weil sie während der Zugpausen einen starken Fressdrang haben (Hyperphagie). Dieser stellt sicher, dass sie ausreichend Fettreserven für die weite Reise anlegen.

Britische Forscher haben eine Verringerung der Insekten- und Samennahrung für Feldvögel wie Rebhuhn und Grauammer durch Herbizide nachgewiesen (Ibis: Boatman et al., 2004). Besonders der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat wird weltweit seit Jahrzehnten in Massen eingesetzt und hat nach Einschätzung von Fachleuten direkte wie indirekte Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Das Bundesamt für Naturschutz plädiert auch deshalb für einen schnellen Ausstieg und ein sofortiges Einsatzverbot in Schutzgebieten. Da Glyphosat als Breitbandherbizid auch alle Ackerwildkräuter abtötet, schadet es den Nahrungsnetzen von Agrarvögeln und anderen Tieren.

Der Rückgang an Insekten ist eine zusätzliche Bedrohung. Alle Singvogelarten, auch solche, die als ausgewachsene Vögel pflanzliche Nahrung fressen, brauchen zur Jungenaufzucht Larven und Insekten. Lebenslange Insektenfresser verzeichnen einen besonders starken Rückgang. Mit dem Rotkopfwürger (Lanius senator) ist sogar eine auf Großinsekten spezialisierte Art in Deutschland komplett ausgestorben.

Wie enorm der Insektenbedarf sein kann, zeigt das Beispiel der Großtrappe (Otis tarda): Ein einziges Küken benötigt in den ersten Lebenswochen 1.000 Großinsekten pro Tag. Sind nur kleine Insekten verfügbar, können es 5.000 oder 6.000 werden. Alle Vögel weltweit (The Science of Nature: Nyffeler et al., 2018) benötigen pro Jahr zusammen zwischen zwei und 20 Billiarden Insekten, was einer Biomasse von 400 bis 500 Millionen Tonnen entspricht. Damit vertilgt die Vogelwelt in etwa so viel an Insekten wie die ganze Menschheit an Fleisch und Fisch.

Früher selten oder gar nicht bei uns vorkommende südliche Arten wie Bienenfresser und Orpheusspötter breiten sich seit einigen Jahren stark nach Norden aus. Manche Zugvögel, die früher im Winter wegzogen, bleiben wegen des milderen Klimas länger oder ganz in Deutschland. Kraniche etwa finden auf den kaum noch dauerhaft gefrorenen Feldern jetzt auch im Winter Nahrung. Langfristig aber sind auch sie vom Klimawandel bedroht, denn wärmere Sommer trocknen Feuchtgebiete aus, in denen die Vögel ihr Nest raubtiersicher im Wasser bauen und Nahrung finden. Ein noch größeres Problem: Der Klimawandel wirbelt den eng getakteten Jahreskalender der Vögel durcheinander.

Der Frühling in Europa beginnt eher und damit die Entwicklung von Pflanzen und Insekten. Kommen Zugvögel wie der Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca) aus Afrika zurück, ist der Höhepunkt des Nahrungsangebots an Raupen überschritten, den Küken bleibt kaum Nahrung und schlimmstenfalls verhungern sie, was zu Bestandseinbrüchen bis zu 90 Prozent führen kann (Nature: Both et al. 2006). Viele Arten kommen ein bis zwei Wochen früher aus dem Süden zurück als noch vor 50 Jahren. Ob sie den Wettlauf mit dem Klimawandel gewinnen können, ist fraglich, denn er geht auf Kosten der Fitness und damit der Fähigkeit, Nachwuchs großzuziehen (Current Biology: Lameris et.al, 2018).

Viele der bei uns brütenden Vogelarten wie der Kuckuck (Cuculus canorus), die Gartengrasmücke (Sylvia borin) oder die Rauchschwalbe (Hirundo rustica) sind Zugvögel, die den Winter im nahrungsreicheren Afrika verbringen. Auf dem Weg sind sie illegaler Verfolgung durch Vogelfänger ausgesetzt. Einer Studie zufolge (BirdLife, 2017) sterben so allein im Mittelmeerraum in jedem Herbst bis zu 37 Millionen Vögel.

Noch gravierender: die anhaltende Zerstörung natürlicher Überwinterungslebensräume für europäische Brutvögel. Die meisten der hierzulande brütenden Zugvogelarten verbringen den Winter in der Sahelzone südlich der Sahara. Dort gehen einer Studie zufolge (Brink& Eva, 2009) jährlich mehr als fünf Millionen Hektar Lebensraum und damit Nahrungsraum für unsere Singvögel verloren. Aber auch hierzulande lauern Gefahren: So verunglücken Schätzungen der staatlichen Vogelschutzwarten zufolge 100 bis 115 Millionen Vögel pro Jahr an Glasflächen.

Bisher wurden in Deutschland mehr als 160 Vogelarten als Opfer von Windrädern nachgewiesen. In der Schlagopferdatei sind mehr als 4.000 Einzelfälle aufgeführt – vom Mauersegler (Apus apus) bis zum Gänsegeier (Gyps fulvus). Eine bestandsgefährdende Gefahr sind Windräder aber vor allem für seltenere Vogelarten, die in der Nähe von Windparks brüten, weniger für Zugvögel, die meist in großer Höhe ziehen. Die bislang größte systematische Untersuchung zu Kollisionsrisiken an Windrädern, die Progressstudie, kommt zu dem Ergebnis, dass für Rotmilan (Milvus milvus) und Mäusebussard (Buteo buteo) Kollisionen mit Windrädern wahrscheinlich eine Gefahr für den Bestand sind.

An der Meerenge von Gibraltar, einer der wichtigsten Vogelzugrouten nach Afrika, wirken Windräder wie Barrieren. Wie eine aktuelle Studie (Journal of Animal Ecology: Marques et. al. 2019) zeigt, meiden die Vögel die Windkraftanlagen selbst dann, wenn sie in ihrer Nähe eigentlich die besten Bedingungen zum Gleiten gehabt hätten, was zu kräftezehrenden und teils lebensbedrohlichen Umwegen führt.

Das Cornell Lab for Ornithology gibt sieben Tipps für Vogelschutz, die jede und jeder umsetzen kann:

    * Fensterscheiben in Haus oder Wohnung für Vögel sichtbar machen
    * Katzen im Haus halten
    * Einheimischen Pflanzen im Garten Vorrang vor Exoten geben
    * Keine Pestizide verwenden
    * Kaffee aus ökologischem und fairem Handel trinken (Kaffeeplantagen sind wichtige Lebensräume für Vögel)
    * Weitestgehend auf Plastik verzichten
    * Vögel beobachten und die dabei gewonnenen Daten der Wissenschaft zur Verfügung stellen

Und Biologen raten dazu, Vögel zu füttern, und zwar nicht nur im Winter. Damit hilft man zwar keinen seltenen und im Bestand bedrohten Arten, tut aber, besonders mit Kindern, etwas für die Verbundenheit mit der Natur. Und das kann sogar glücklich machen, wie Wissenschaftlerinnen herausfanden.

Gibt es Hoffnung?

Ja, denn Vogelbestände können sich rasch erholen, wenn die Ursachen für ihren Rückgang beseitigt werden. Das Insektizid DDT hat Anfang der Sechzigerjahre Wanderfalke, Uhu und andere fast ausgerottet, weil es die Eierschalen brüchig werden ließ. Die US-Wissenschaftlerin Rachel Carson machte die Welt damals in ihrem aufrüttelnden Buch Der stumme Frühling darauf aufmerksam. Seit dem Verbot der Chemikalie erleben diese Arten einen ungeahnten Höhenflug. Noch ein Beispiel: Das weitgehende europaweite Jagdverbot auf Greifvögel durch die EU-Vogelschutzrichtlinie vor 40 Jahren hat Schwarzstorch, Habicht und Seeadler zu einem enormen Aufschwung verholfen. Auch für das aktuelle Vogelsterben kennen wir die Gründe. Es wäre also noch zu stoppen. Aber nur, wenn jetzt gehandelt wird.

*Korrekturhinweis: Diese Zahl bezieht sich auf ganz Europa, was zunächst nicht deutlich wurde. Die Stelle wurde korrigiert.



Aus: "Das Sterben vom Lande" Thomas Krumenacker und Dagny Lüdemann (16. Dezember 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/2019-12/voegel-deutschland-vogelsterben-artensterben-naturschutz-landwirtschaft/komplettansicht

https://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Umwelt/Insektensterben-Ursachen-und-Folgen_article1572509698.html