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[Großmächte & Ost-West-Konflikt (Bipolare Welt?)... ]

Started by Link, March 16, 2017, 10:31:08 AM

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Quote[...] Am vergangenen Samstag zogen wieder organisierte Rechtsextreme gemeinsam mit Impfgegnerinnen und -gegnern durch Wien. Auf der Corona-Demonstration waren – nur wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 – russische Fahnen zu sehen, aus einem Lautsprecher tönte die russische Nationalhymne. Wladimir Putin gilt im rechtsextremen Milieu schon seit Jahren als Identifikationsfigur, dessen Panzerpolitik und autoritäres Auftreten imponiert diesen Kreisen. "Wir wollen einen wie Putin", titelte die in Oberösterreich erscheinende rechtsextreme Zeitschrift "Info Direkt" bereits im Jahr 2015.

Es fällt auch auf, dass auch Corona-verharmlosende Online-Gruppen russische Narrative und Propaganda verbreiten. Das liegt einerseits daran, dass die Szene maßgeblich von Rechtsextremisten beeinflusst wird und andererseits die Feindbilder sich überlappen. So wird der Krieg in der Ukraine mit der Corona-Pandemie verknüpft. Finstere Mächte im Hintergrund, die "Globalisten", werden für beide Krisen verantwortlich gemacht.

Martin Rutter, der sich als Anführer der Corona-Proteste inszeniert und maßgeblich die Kundgebung am Samstag organisierte, schrieb auf Telegram: "Dieselbe Regierung, dieselben Medien und dieselben Hintergrundmächte, die sich für die ,Corona-Pandemie' zuständig zeichnen, treiben nun Österreich in einen Wirtschaftskrieg auf der Seite der USA und der Nato." Und er sieht "Globalisten" am Werk. Das Wort steht bei vielen Rechtsextremen als ein Code für Jüdinnen und Juden.

Das oberösterreichische Medienprojekt "Auf1", ein wichtiges Sprachrohr verschwörungsgläubiger Impfgegner, machte vor dem russischen Angriff das "Globalisten-Regime des Westens" für eine mögliche Eskalation verantwortlich. Es seien "dieselben Globalisten", die "den Corona-Ausnahmezustand vom Zaun gebrochen haben", die "uns jetzt in den Krieg hetzen wollen", schrieb "Auf1"-Chefredakteur Stefan Magnet auf Telegram.

Nach dem Angriff auf die Ukraine bezeichnete "Auf1" den Einmarsch russischer Truppen als "bedenklich". Mehr an Kritik war von Magnet nicht zu vernehmen. Ergänzend führte er aus, dass der "globalistische Westen" nun eine "Ausweitung des Krieges" möchte. Deswegen solle sich Österreich neutral verhalten. Damit hat "Auf1" die Linie der FPÖ übernommen.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl erklärte, der "Angriff von russischen Truppen ist in keiner Art und Weise zu rechtfertigen", sprach sich jedoch gegen Sanktionen gegen Russland aus und betonte Österreichs Neutralität. Eine neue Position – erst im Juli des vergangenen Jahres forderte die FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger "größtmögliche Sanktionen" gegen die Türkei, nachdem zuvor der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Kriegsrhetorik gegenüber dem griechischen Teil Zyperns angestimmt hat. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer kann Kickl mit der Politik des russischen Präsidenten offensichtlich wenig anfangen. Er hat den im Dezember 2016 geschlossenen Freundschaftsvertrag zwischen der FPÖ und der Putin-Partei Einiges Russland nicht erneuert. Als der Vertrag damals in Moskau unterzeichnet wurde, war, laut Medienberichten, auch "Auf1"-Chefredakteur Stefan Magnet als Teil der freiheitlichen Delegation mit dabei. Magnet bewegte sich in jungen Jahren in der Neonazi-Szene und publizierte in "Info Direkt" und "Wochenblick". Er war sogar für das "Wir wollen einen wie Putin"-Cover von Info-Direkt mitverantwortlich, wie er auf Facebook schrieb. In der ebenfalls in Oberösterreich angesiedelte Zeitschrift "Wochenblick" sind eher Sichtweisen Moskaus und der FPÖ zu finden als Journalismus.

Teile der deutschen AfD halten weiterhin an Wladimir Putin fest, die Partei sprach sich ebenfalls gegen Sanktionen aus und gibt die Schuld an dem Angriff aber nicht Putin, sondern dem Westen, der EU und der Nato.

Diese Erzählung ist auch von Rechtsextremen in Frankreich zu hören. Deren neues Aushängschild, Éric Zemmour, präsentierte sich 2018 als Bewunderer von Wladimir Putin: "Ich träume von einem französischen Putin", sagte er. Matteo Salvini, Chef der rechten Lega Nord in Italien, verurteilte den russischen Angriff. Zuvor aber galt er ebenfalls als Anhänger Putins und posierte schon mal mit einem T-Shirt, auf dem ein Porträt des russischen Präsidenten abgebildet war.

An die Seite Russlands stellt sich das "Compact-Magazin" von Jürgen Elsässer. "Die Aggression geht von der Nato unter Führung der USA aus", erklärt er seinen Leserinnen und Lesern. Das "Compact-Magazin" gilt als Sprachrohr der deutschsprachigen Neuen Rechten, das seine Leserschaft nicht mit theoretischen Inhalten überfordern will. Regelmäßig publiziert auch Identitären-Anführer Martin Sellner in der Zeitschrift. Sellner hält sich in seinen Social-Media-Kanälen mit einer klaren Positionierung zurück. Er schreibt von einem "Bruderkrieg", berichtet vom Kriegsgeschehen und versucht, den Krieg mit Fremdenfeindlichkeit zu verknüpfen, indem er vor neuen Flüchtlingsströmen warnt. Auch warnt er vor einer Spaltung der "deutschen Rechten", da nicht alle Medien und Aktivisten auf der Seite Putins stehen.

Österreichische Neonazis aus dem Umfeld Gottfried Küssels kritisieren die russlandfreundlichen Neuen Rechten und rechtsgerichtete Medienprojekte wie "Auf1". "Jeder, der Vielvölkerstaaten unterstützt oder bejubelt, egal ob die USA oder Russland, ist nicht unser Verbündeter, sondern Gegner", heißt es auf Telegram. Das passt zur Linie der deutschen Neonazi-Partei 3. Weg, die Kontakte zu Gesinnungsgenossen in der Ukraine unterhält.

In der Ostukraine kämpften Rechtsextreme und Neonazis zum Teil in eigenen Regimentern wie Asow schon seit Jahren gegen die prorussischen Separatisten. Nun treten sie gegen die russische Armee an. Sonst spielen Rechtsextreme in der Ukraine derzeit keine Rolle, auch wenn der russische Präsident Putin etwas anderes behauptet.

Bei den vergangenen Wahlen sind Rechtsextreme an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. "Der aktuelle Präsident ist russischsprachiger Jude, was das Narrativ von Nazis, die Russischsprachige unterdrücken, noch viel lächerlicher macht. Gegen seine Desinformation hilft nur ebenso offensive Aufklärung, was man im Westen bislang verpasst hat", sagt die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband der ARD.


Aus: "Russische Fahnen auf der Corona-Demo in Wien" Markus Sulzbacher (2.3.2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000133734656/russische-fahnen-auf-der-corona-demo-in-wien

Quote
Charly Firpo, 2. März 2022, 14:24:22

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Rechte und Neonazis jubeln einem Diktator aus Russland zu der ein Land überfällt mit dem erklärten Ziel dieses von den Nazis zu befreien.


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Brainbunny, 2. März 2022, 14:07:02

Zum ...

Sich in seiner Freiheit beeinträchtigt fühlen, aber einem Diktator hinterher rennen.

Das kann man nicht erfinden.


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raltsch
2. März 2022, 13:28:51

War klar, dass so etwas passieren wird. Ich muss aber jenen beipflichten, die davor warnen, hier wieder alle in einen Topf zu werfen und aus einer Fahne einen Haufen von Putin-Fans zu machen. ...


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Hephaistion

Wie kann ein echter Nazi zu Russland halten?


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MeineBesteMeinung

Weil Russland seit langem weit Rechts regiert wird. Warum Leute Russland mit der alten UdSSR verwechseln muss wohl an geistiger Trägheit liegen. Die Führung in Russland ist christlich-konservativ-kapitalistisch.


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Der Gummibaumtroll

Tatsächlich sind wir ja bereits im 8ten Jahr eines von Putin und seinen Nützlichen Idioten geführten Desinformationskrieges
Die Krim, Donbass, Trump, Brexit, Sputnik, RT und die gezielte Unterwanderung der demokratischen Rechtsstaaten durch vom Kreml gesponserte Extremisten sind jedenfalls das Ergebnis hoher Investitionen in einen sehr großen und aggressiven Desinformationsapparat.

Ein 18 Tweets langer Thread zur Erklärung. Von der Journalistin, die den Skandal mit Facebook und Cambridge Analytica aufgedeckt hat.

Thread: Carole Cadwalladr @carolecadwalla
Ok. Deep breath. I think we may look back on this as the first Great Information War. Except we're already 8 years in.
The first Great Information War began in 2014. The invasion of Ukraine is the latest front. And the idea it doesn't already involve us is fiction, a lie.
...

11:05 nachm. · 27. Feb. 2022·Twitter Web App
https://twitter.com/carolecadwalla/status/1498056686548013062


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Hortensia die Erste

Spannend ist, diese Wurschtel schreien "Diktatur!", weil sie eine Maske tragen sollen, wünschen sich aber einen Putin? Dort ist echte Diktatur, dort wird man verhaftet, wenn man demonstriert.
Laufen diese Fahnenträger eigentlich immer noch frei herum? ...


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MeineBesteMeinung

Warum Leute die Verbindung zwischen unseren Rechtradikalen und der Partei Russlands "erstaunlich" halten kommt wahrscheinlich daher, dass sie Putin für einen verkappten Kommunisten und Russland für "links" in der Nachfolge der UdSSR halten. Aber Putin ist ideologisch ein rechtskonservativer Christ, wie es die bei uns in den 50ern und 60ern in Massen gab. Traditionelle Familie und nationale Einheit ist der Altar, den Putin anbetet. Die entsprechenden Werte teilt er daher mit unseren Rechtsrechten. Inklusive der FPÖ. Und Teilen der ÖVP.
Andere Rechtsrechte Österreichs sind mit den rechtsrechten Milizen der Ukraine verbandelt. Der Unterschied zwischen russischen und ukrainischen Nationalisten ist übrigens marginal.


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Quote[...] STANDARD: Sie haben beinahe Ihr ganzes Leben mit Zensur leben müssen. Was macht das mit einem, und wie kann man damit umgehen?

Weiwei: In China sind alle Informationen gesteuert, sind Teil von Propaganda. In Russland scheint das mittlerweile ähnlich. Aber es gibt einen großen Unterschied: In Russland kann gegen den Krieg demonstriert werden, in China wäre das vollkommen unmöglich. Im Westen wird so viel über die Freiheit der Presse und die Informationsfreiheit gesprochen, schauen Sie sich allerdings die Situation von Julian Assange an: Würde er an die USA ausgeliefert, hätte er mit sehr ernsten Konsequenzen zu rechnen. Der Westen ist scheinheilig, das zeigt dieser Fall ganz deutlich.

STANDARD: Ist das nicht ein gänzlich unterschiedlich gelagerter Fall?

Weiwei: Im Westen muss nicht um Freiheit gekämpft werden, die Lebensbedingungen hier sind andere. Aber auch hier gibt es Fälle, wo Freiheit und Menschenrechte nicht eingehalten werden und durch Scheinheiligkeit verdeckt werden. Das korrumpiert eine gesamte Gesellschaft. Es geht immer um die Wahrheit.

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Aus: "Ukraine-Krieg - Ai Weiwei: "Der Westen ist scheinheilig"" Interview: Stephan Hilpold (20. März 202)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000134231225/ai-weiwei-der-westen-ist-scheinheilig

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Pyg Malia

Verstehe nicht warum das Interview so viel aufgeregte Reaktionen hervervorruft.
Abgesehen von der Tatsache, dass in Bezug auf die USA und deren Kriegen von Vietnam bis Irak mit zweierlei Maß gemessen wird - was Unzählige zurecht immer wieder kritisiert haben - und der banalen Feststellung, dass Europäern der Krieg in der Ukraine leider, aber verständlicher Weise näher geht als der Krieg im Jemen, sind das Allerweltsaussagen und keine Aufregung wert.


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Quote[...] Lena Gorelik, geboren 1981 in St. Petersburg, kam 1992 mit ihrer Familie nach Deutschland. Schreibt Romane, Essays und Theaterstücke. ...

Beim ersten Mal entschuldige ich mich. Tue es unsicher, stolpernd, finde nicht die richtigen Worte, weiß auch, dass ich das nicht tun muss, mich entschuldigen, dass es nicht an mir liegt, bleibe hängen in einem zu kurzen Satz. Der ukrainischen Frau helfe ich am Bahnhof, noch zählen wir die Tage, es ist Tag vier nach Kriegsbeginn. Stolpere bereits, bevor ich sie anspreche, weil ich es nur auf Russisch, nicht auf Ukrainisch tun kann, obwohl ich weiß, dass die meisten Ukrainer:innen Russisch verstehen und mindestens ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung es als Hauptsprache sieht. Weiß nicht, was mit dem Russischen in den vergangenen Tagen geschah, ob es in dem Moment, in dem Putins Truppen die Ukraine überfielen, zur Feindessprache wurde, weiß nicht, ob es nicht zum Symbol für russischen, gar noch sowjetischen Imperialismus wurde.

... Ich wurde in Russland geboren, war nie wahlberechtigt in diesem, möchte schreiben "jenem", Land, habe weiche, detail- und schmerzhafte Erinnerungen daran, die manchmal nach Kindheitsverherrlichung duften. Versuche seit Jahren schon, das Land zu sehen, zu verstehen, bei Besuchen, im Lesen, im Sprechen, versuche es nicht nur mit meinen "westlichen Augen" zu tun, wie meine Tante in Sankt Petersburg, die lange einen Putin-Kalender an der Wand hängen hatte, mir vorwarf. Den gab es umsonst, den Kalender, erklärte sie zur Begründung und warf gleich hinterher, warum ich ihn mit meinen "westlichen Augen" nicht als das erkenne, was er sei, kein Böser zumindest, und jetzt weiß ich nicht: Hängt da der Kalender immer noch in ihrer sechs Quadratmeter großen Küche? Ich weiß, ihr 20-jähriger Enkel wurde nach Estland geschickt, damit er nicht in die Armee eingezogen werden kann, und da sitzt er nun, versucht, digital zu studieren.

Ich habe mich nie als Russin bezeichnet, überhaupt hielt ich mich von nationalen Zuschreibungen am liebsten fern. Nun möchte ich mich entschuldigen, als Russin, möchte verstehen, um mich schlagen, schlafe nicht mehr, seit wie vielen nun Tagen, und weiß nicht, ob es uns allen so geht, dass wir nicht schlafen können, oder ob ich schlafloser bin, als Russin eben. Möchte diesen Satz löschen, vielleicht.

Lese, lese alles zum Krieg, lese in verschiedenen Sprachen. Lese auch, dass eine Mailänder Universität überlegt hat, Dostojewski aus dem Seminarlehrplan zu nehmen, lese von eingeschlagenen Fenstern in russischen Läden und Schulen in Deutschland, von Kindern, die in der Schule angefeindet werden, weil sie Russ:innen sind, von russischen Künstler:innen, denen ein öffentliches Anti-Kriegs-Bekenntnis abverlangt wird, bevor sie auftreten dürfen. Lese, dass die Auftritte des russischen Pianisten Alexander Malofejew beim Montreal Symphony Orchestra abgesagt wurden, obwohl er den Krieg gegen die Ukraine öffentlich verurteilte. Lese, dass die Benennung des Kriegs als solcher in Russland mit 15 Jahren Haft bestraft werden kann, sehe den Journalist:innen des letzten unabhängigen Fernsehsenders in Russland bei ihrer letzten Sendung und ihren Tränen zu, lese, wie sie in die umliegenden Länder fliehen, wie sie von dort aus ihre Verzweiflung beschreiben, wie kann ich je wieder zurückkehren in ein Land, das, wie kann ich damit leben, dass.

... Wladimir Putin versucht gerade, mit all den ihm zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln die Ukraine zu zerstören; gleichzeitig zerstört er zielsicher und ohne Militär das Land, das er als "seins" bezeichnen würde. Er zerstört alles, was an Zivilgesellschaft, Demokratie, Meinungsfreiheit in den vergangenen Jahren vorsichtig zu wachsen begann, zerstört jede noch so kleine, eigene Erfahrung von Freiheit. Kunst, Kultur, Literatur, Musik, denen so häufig bescheinigt wurde, Brückenbauer zu sein, dass es schon wie eine Plattitüde klang, wird gerade genau diese Fähigkeit entzogen. Jeder künstlerische Dialog, jede Kraft, die ein solcher Dialog entfacht, jeder Glaube daran, dass es ein Danach geben könnte, ein Russland nach Putin, wird von vorneherein ausgeschlossen, obwohl jetzt nicht die Zeit für Plattitüden ist. Jetzt wäre die Zeit, diese so häufig benannten Brücken tatsächlich zu bauen, denn später ist es vermutlich zu spät. Zu spät, weil Putin von "Gesindel" und "Verräter" spricht, die er mit Mücken vergleicht, die man ausspuckt, nachdem sie einem in den Mund geflogen sind, und sein Sprecher wird konkret, erwähnt Säuberungsaktionen. Stalinistische Rhetorik, die auf Russisch noch grausamer klingt, weil sie Erinnerungen weckt, weil sie auf tradierten Ängsten aufbaut, auf Namen von Menschen, die die Familien verloren hatten. Und wer in Russland hat sie nicht, diese verlorenen Namen.

Junge, gut ausgebildete Menschen, unabhängige Journalist:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen versuchen, Russland zu verlassen: Schätzungen gehen von 200.000 Geflüchteten seit dem 24. Februar aus. Viele von ihnen haben vorher Anti-Kriegs-Appelle unterzeichnet, nun fliehen sie und wer geblieben ist, verliert mit großer Wahrscheinlichkeit soeben den Arbeitsplatz und wartet auf weitere Repressionen. Diese – im Westen beinahe unsichtbare – Flucht ist verständlich wie verheerend zugleich: Es flüchten diejenigen, die freiheits-, demokratie- und zukunftsorientiert denken, es flüchten diejenigen, die Russland brauchen würde, damit es ein Danach geben kann, ein Nach-Putin. Sie flüchten nach Armenien, Georgien, in die baltischen Staaten, in die Türkei, sie flüchten, wie sie sagen, auf unbestimmte Zeit, weil sie nicht in einem Land leben wollen, in dem ein Krieg nicht als Krieg bezeichnet werden darf, weil sie sich, schreibt eine Journalistin, die bis zur letzten Sekunde bei Doschd gearbeitet hat, als Russ:innen schämen.

"Doschd" heißt Regen auf Russisch, sie waren ein hoffnungsvoller Regen, ein fröhlicher Sommerregen inmitten von Staatsgehorsam und Korruption, nun sind sie vereinzelte, über Europa verteilte Tropfen, sind nach so vielen Jahren von Bedrohung und Repression doch noch geflohen. Ich krame dieser Tage mein Doschd-Fan-T-Shirt aus dem Schrank, kyrillische Buchstaben, das pinke Logo, ein russisches Wortspiel, das heute nur noch traurig wirkt: Es spielt auf den Satz an, dass Doschd niemals verschwinden würde. Es scheint so sinnlos, eine dieser verzweifelt aktionistischen Tätigkeiten zu sein, dieses T-Shirt zu tragen. Kurz vor einer Fahrt mit dem Zug der unangenehme Gedanke: Wirklich, kyrillische Buchstaben, gibst dich als Russin zu erkennen, als die du dich nie bezeichnen wolltest, wische den Gedanken wütend beiseite: mit Sicherheit paranoid. Steige in den Zug, lese. Lese wieder eine dieser kindlichen Gleichsetzungen von Putin mit Russland.



Aus: "Ich habe mich nie als Russin bezeichnet" Lena Gorelik (22. März 2022)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2022-03/russen-deutschland-ukraine-krieg-wladimir-putin-repression-10nach8

QuoteGerade #3

Danke für diesen Artikel.
Putin und sein Zirkel zerreißen vor lauter Egomanentum gepaart mit mangelndem Selbstwertgefühl die ganze Welt und ihr eigenes Volk. Und eine Frau, die in Russland geboren ist, zeigt, was wahre Stärke bedeutet, weil sie den Mut hat, sich mit ihrer eigenen Zerrissenheit auseinanderzusetzen, und das auch noch öffentlich. Leider wird Putin niemals verstehen können, dass er dagegen nur ein Würstchen ist.


QuoteFactsAndFiction #13

Ich schäme mich ein wenig für Deutschland wenn ich von diesen Übergriffen auf bestimmte Völkergruppen lese, egal ob es z.B. mutmaßliche Asiaten zum Beginn der Pandemie oder es jetzt mutmaßlich Russen sind.


QuoteMarie Noelle Chan hin #35

Ich liebe die russische Kultur, das hat mit dem Krieg nicht zu tun. Das war genauso für die Juden in Deutschland unter dem Naziregime, ein jüdischer Schriftsteller aus dieser Zeit sagte, wir können aus einem Land auswandern, aber nicht aus einer Sprache. . Eine Sprache hat nicht mit einer Diktatur zu tun. Kleinkarierte Menschen sogar an der Universität, die einen russischen Schriftsteller aus dem Programm. Rausnehmen wollen, sind wirklich kleinkariert.


QuoteWeltgesellschaft #16

Danke für den bewegenden Beitrag! ...


QuoteRisen.Again #18

Ich verstehe sehr wohl, dass Russen sich jetzt schlecht fühlen. Dieses Gefühl kenne ich als Deutscher sehr gut. Ich werde und wurde auch immer daran erinnert, dass wir Deutschen eine besondere Verantwortung haben, was sicherlich nicht falsch ist. ...


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Quote[...] Bascha Mika: Anfang der 90er Jahre glaubten alle, dass Russland auf dem Weg in eine freie Gesellschaft ist. Was war an dieser Vorstellung falsch?

Boris Groys: Ich sage es anders: Im Westen hat man gehofft, dass Russland ein Teil des Westens wird und die Russen so wie die Westler funktionieren. Das ist aus vielerlei Gründen nicht passiert. Einer davon: Das Land ist zu groß, um sich leicht in die westliche politische und militärische Struktur einbinden zu lassen. Ein weiterer: Die Kultur ist eine andere, Russland kommt von Byzanz, der Konflikt zwischen Ost- und Westchristentum ist anderthalb Jahrtausende alt. Sowohl aufgrund der geopolitischen Lage als auch kulturell ist Russland also nicht ohne weiteres in das westliche System integrierbar.

... Das russische Imperium ist ein Erbe von Byzanz. Diese Idee wurde den Russen wie das Christentum aufoktroyiert. Sie leben damit schon viele Jahrhunderte und sind darauf trainiert, sich den Gegebenheiten anzupassen. Abgesehen von einem kleinen Teil der Bevölkerung ist Anpassung eine echt russische Fähigkeit. Als es gute Jahre waren, haben die Menschen sich angepasst. Jetzt sind es schlechte Jahre geworden und sie passen sich wieder an. Nicht im ideologischen Sinne, sie wollen einfach überleben. ...


Aus: ",,Dass der Krieg in der Ukraine verloren ist, wissen alle"" (11.05.2022)
Quelle: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/russland-ukraine-krieg-verloren-boris-groys-interview-91533683.html

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Quote[...] Moskau/Kiew – Vier Monate nach dem Überfall auf die Ukraine hat Russland die Beziehungen zum Westen als langfristig beschädigt bezeichnet. "Ja, es wird eine lange Krise werden", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in einem in der Nacht zum Dienstag ausgestrahlten Interview des US-Fernsehsenders MSNBC. "Wir werden dem Westen nie wieder vertrauen."

Russland erhebt seit Beginn seines Kriegs gegen die Ukraine immer wieder Vorwürfe gegen westliche Staaten – etwa wegen der militärischen Unterstützung für das angegriffene Land. Peskow äußerte sich auch zum Fall der beiden US-Soldaten, die in der ukrainischen Armee kämpften und kürzlich von moskautreuen Truppen gefangen genommen wurden. Diese seien Söldner und fielen damit nicht unter den Schutz der Genfer Konvention, meinte Peskow.

Der Kreml-Sprecher ließ weiter offen, ob die beiden Männer von russischen Soldaten oder von prorussischen Separatisten gefangen genommen wurden. Das ist auch insofern relevant, als dass die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk die Todesstrafe eingeführt haben, diese in Russland hingegen ausgesetzt ist.

Auf die Frage, ob er garantieren könne, dass den beiden US-Bürgern nicht dasselbe Schicksal drohe wie drei kürzlich in Donezk zum Tode verurteilten Ausländern, sagte Peskow: "Ich kann nichts garantieren. Das hängt von den Ermittlungen ab." Die Ukraine und die Vereinten Nationen hatten den Umgang der Separatisten mit den beiden Briten und dem Marokkaner heftig kritisiert. Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf sprach von Kriegsgefangenen, die Anspruch auf Schutz hätten. (APA, 21.6.2022)


Aus: "Kreml-Sprecher Peskow: "Werden Westen nie wieder vertrauen"" (21. Juni 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000136730127/kremlsprecher-peskow-werden-westen-nie-wieder-vertrauen

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Muhkuh die Göttliche, 21. Juni 2022, 08:57:52

Können die mal mit dem "Westen" aufhören. Das ist ja lächerlich.

Putin zieht sich eine Jacke von einem italienischen Designer an die ungefähr so viel kostet wie ich im Jahr verdiene. Die Oligarchen haben überall in Europa ihr Geld angelegt und die wenigsten von denen sind am liebsten in der Datscha von der Oma Urlaub machen.
Die nächste Frage ist dann wieviel "Westen" steckt zum Beispiel in Österreich? Und wieviel "Osten"?


Quote
altbürgermeister

Wir verlieren das Vertrauen von Mördern, Vergewaltigern und Plünderern. Ich bin zutiefst getroffen.



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Manfred Berg (* 4. Dezember 1959 in Wesel) ist ein deutscher Historiker.
https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Berg

Quote[...] Todesschützen, der Sturm aufs Kapitol, aus der Zeit gefallene Urteile des konservativ dominierten Supreme Court: In den Vereinigten Staaten spitzen sich die Konflikte auf ungeahnte Weise zu. Der Historiker Manfred Berg sieht das Land so nah an einem Bürgerkrieg wie seit dem Sezessionskrieg nicht mehr. Es geht um ethnische Identität und weißen Nationalismus, um Hegemonie und Lebensentwürfe, um Ängste und Autokratie. Eine Schlüsselrolle spielt Ex-Präsident Donald Trump.

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ntv.de: Herr Berg, die USA durchlaufen spätestens seit der Wahl von Donald Trump 2016 eine gesellschaftliche Zerreißprobe, die kein Ende zu nehmen scheint. Was hat er mit der Demokratie gemacht?

Manfred Berg: Das Schlimmste war, dass er die grundlegende Norm des friedlichen demokratischen Machtwechsels erfolgreich untergraben hat: Dass der Verlierer einer Wahl das Ergebnis akzeptiert. Politologen in den USA nennen das den loser's consent. Nach wie vor glaubt eine deutliche Mehrheit der republikanischen Anhänger an die Lüge von der gestohlenen Wahl. Ein bedeutender Teil sieht selbst den Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 als legitime Form des Protests an. Durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses haben wir bereits viele Details darüber erfahren, wie weitreichend Trump in seinen nicht besonders gut koordinierten, aber doch sehr entschlossenen Absichten war, diese Wahl durch eine Art von Putsch zu annullieren.

Was geschieht, wenn es keinen loser's consent mehr gibt?

Historiker und Sozialwissenschaftler sehen dies als Vorstufe zum Bürgerkrieg an. Es gibt in der US-Geschichte einen großen Präzedenzfall, den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Der wurde ausgelöst durch die Präsidentschaftswahl 1860, als der Süden die Wahl Abraham Lincolns nicht akzeptierte und zum Anlass für die Sezession nahm.

In den USA heißt es sehr häufig, die Stärke des demokratischen Systems sei, dass es sich selbst erneuern könne, hin zu einer more perfect union. Gab es nach dem Sezessionskrieg noch einmal eine vergleichbare Situation, aus der es dann einen Ausweg gab? Oder befinden sich die Vereinigten Staaten in einer historisch einmaligen Lage?

Zumindest würde ich argumentieren, dass eine so gefährliche, zugespitzte, polarisierte und gewaltträchtige Situation seit dem Sezessionskrieg nicht mehr existiert hat. Es gab immer wieder politische Gewalt auf Einzelstaatsebene. Aber eine derartig zugespitzte Polarisierung zwischen zwei identitätsbasierten politischen Lagern, die sich gegenseitig als tödliche Bedrohung ihrer Kernwerte und Lebensvorstellungen betrachten, das würde ich sagen, hat es seit dem amerikanischen Bürgerkrieg so nicht gegeben.

Woran richten sich diese unterschiedlichen Lebensvorstellungen aus?

Das hat mit der demografisch-ethnischen Polarisierung zu tun, die zentral für das Verständnis der amerikanischen Politik ist. Etwa 90 Prozent der Anhängerschaft der Republikaner sind Weiße. Bei den Demokraten sind sie nur noch eine Minderheit. Wir haben eine - das zeigen alle Studien, alle Umfragen - klare Polarisierung des Parteiensystems dahingehend, dass die Republikaner die Partei der weißen, konservativen, traditionellen, religiösen, ländlichen Milieus sind, und die Demokraten eine sehr breite Koalition bilden aus gesellschaftlichen und ethnischen Minderheiten und den liberalen, relativ gut situierten Weißen auf der anderen Seite. Das spiegelt sich in sozial räumlicher Separation. Es gibt den berühmten Gegensatz zwischen den Küsten und flyover country, aber vor allem enorme Konflikte zwischen Stadt und Land. Für die Republikaner war und ist die demografische Entwicklung ein riesiges Problem.

In diesem Konflikt fühlen sich beide Seiten nicht gut repräsentiert. Das Vertrauen in die Institutionen - nur 7 Prozent trauen dem Kongress, 14 Prozent der Justiz - ist auf Rekord-Tiefstwerten. Woran liegt das?

Die USA galten nach dem Zweiten Weltkrieg als Inbegriff einer konsensorientierten Staatsbürgerkultur. Die amerikanische Verfassung ist wegen ihrer berühmten checks and balances immer auch als eine sehr stabilisierende Kraft angesehen worden. Stabilität setzt jedoch Kooperationsbereitschaft und Überparteilichkeit voraus. Wenn sie wegfallen, wird dieses System, das enorm viele Möglichkeiten zur Blockade bietet, dysfunktional. Unter anderem, weil die ländlichen Bundesstaaten im Kongress deutlich überrepräsentiert sind. Hinzu kommen seit etwa zehn, fünfzehn Jahren offensichtliche Versuche, durch manipulative und diskriminierende Wahlgesetze den Minderheiten in den Einzelstaaten gezielt die Ausübung ihres Wahlrechts zumindest zu erschweren.

Diese antidemokratische Tendenz, die hatten die Republikaner nicht immer so wie aktuell.

Es gab in der Republikanischen Partei immer auch Kräfte, die gesagt haben, wir müssen uns öffnen, wir müssen uns neue Wählerschichten erschließen. Es war kein Zufall, dass George W. Bush oder auch John McCain durchaus erfolgreich um Hispanics geworben haben. Donald Trump hingegen hat mit dem Slogan "Make America Great Again" im Grunde die Wiederherstellung einer euro-amerikanischen weißen Hegemonie versprochen und die Partei auf einen radikal xenophoben und rassistischen Kurs geführt. Die Republikaner haben nach der Bürgerrechtsbewegung eine völlig neue Allianz gebildet, um ein Sammelbecken für konservative, vor allem auch evangelikale weiße Christen zu werden. Der liberale Flügel der Republikanischen Partei, den es immer gegeben hatte, wurde marginalisiert. Das alles war aber nicht notwendigerweise Politik, die man als antidemokratisch oder demokratiegefährdend bezeichnen kann, sondern die Grundlage der Reagan-Koalition, und die war sehr erfolgreich. Sie hat große Mehrheiten bei den Wahlen in den 1980er-Jahren erzielt.

Und heute?

Heute sehe ich eher eine große Parallele zu der Zeit vor dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert. Damals war es die Sklavenhalterklasse, die sich bedroht fühlte, die glaubte, ihre Macht und ihr Lebensstil seien tödlich bedroht und sie müsste sich verteidigen. Auch damals war es eher ein Identitätskonflikt als einer, bei dem es um materielle Verteilungsfragen ging. Das ist heute ähnlich. Die demographische Transformation der USA sehe ich als einen ganz wichtigen Faktor. Beim Zensus von 1960 oder selbst noch 1970 stuften sich fast 90 Prozent der Bevölkerung als weiß ein, gut 10 Prozent als Afroamerikaner. 2020 waren es noch rund 60 Prozent Weiße, aber fast 19 Prozent Hispanics als größte Minderheit, mehr als 13 Prozent Schwarze und 6 Prozent Asiaten. Bereits seit einigen Jahren sind mehr als 50 Prozent der in den USA geborenen Kinder nicht weiß. Laut Prognosen der US-Behörden werden etwa um 2045 weiße Amerikaner nur noch die stärkste ethnische Minderheit sein. Dieser Wandel geht einher mit einem enormen Bedrohungsgefühl in Teilen der weißen Bevölkerung, mit Überfremdungsängsten und Furcht vor Hegemonieverlust. Diese Entwicklungen treiben die Polarisierung ganz massiv voran.

Sie hatten den Bürgerkrieg angesprochen. Es gibt laut internationalen Konfliktforschern zwei entscheidende Faktoren, die auch in den USA zu beobachten sind. Erstens gruppieren sich die Republikaner als Partei um eine ethnische Identität, und zweitens sind die demokratischen Institutionen geschwächt. Sind die USA aus wissenschaftlicher Sicht näher an einem Bürgerkrieg als je zuvor seit dem Sezessionskrieg?

Ja, das ist leider so. Wenn die Norm des demokratischen Machtwechsels untergraben wird, wenn eine mögliche Wahlniederlage als fundamentale Bedrohung in diesen polarisierten Identitätslagern gesehen wird, ist politische Gewalt eine Option. Dabei kommen auch kulturelle Prägungen zum Tragen, ein starker Staat wird in den USA eher als in Europa als Bedrohung für die Freiheit empfunden. Bürger reklamieren für sich das Recht, eine Waffe zu tragen, um sich im Fall der Fälle gegen einen tyrannischen Staat wehren zu können. Wenn dann die Selbstverständlichkeiten demokratischer Institutionen nicht mehr akzeptiert werden und es diese starke Polarisierung zwischen identitätspolitischen Lagern gibt, die sich gegenseitig belauern, ist das gefährlich.

Welche Rolle spielt die Präsidentschaft Barack Obamas in dieser Entwicklung?

Für einen erheblichen Teil der weißen Bevölkerung war die Wahl Obamas eine narzisstische Kränkung erster Ordnung. Ohne ihn wäre Donald Trump als Gegenmodell, als Anführer und Bannerträger einer Gegenmobilisierung des weißen Nationalismus, nicht vorstellbar. Allerdings war Trumps Wahlsieg 2016 nicht unvermeidlich. Hillary Clinton hat gegen Trump verloren, weil sie einen schlechten Wahlkampf gemacht hat, sich als Repräsentantin einer abgehobenen, liberalen Elite präsentiert hat, die sich nicht für die Nöte der einfachen Leute interessiert.

Die beiden Lager schaukeln sich also auf?

Es gab immer wieder Phasen und Umschwünge in der US-Geschichte, wo klar war, jetzt hat die eine Seite mehr oder weniger die Überhand gewonnen. Nehmen wir mal die Wahl 1932, welche die Ära des New Deal und eine lange Zeit eines dominanten Liberalismus einleitete. Dann begann spätestens 1980 mit Ronald Reagan die konservative Hegemonie. Heute sind diese Lager, ihre jeweiligen Wählergruppen und Hochburgen in etwa gleich stark. Daraus resultiert ein Kampf auf Biegen und Brechen, ein "winning isn't everything, it's the only thing", um die Gewichte zur einen oder anderen Seite zu verschieben. Auch der Kampf um den Supreme Court und dessen politische Instrumentalisierung ist ein ganz bedenkliches Zeichen. Eine Institution, die eigentlich ja eine friedensstiftende Funktion haben soll, wird zum politischen Spielball. Allerdings gab es schon früher lange Phasen, als die Konservativen extrem unzufrieden waren mit dem Obersten Gericht und dann den Plan gefasst haben: Wir müssen den Supreme Court zurückerobern. Das ist nun gelungen.

Es gab mehrere identitätsmotivierte Todesschützen, Anschlagspläne gegen Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer, den Sturm auf den Kongress am 6. Januar 2021. Ab wann kann man sagen: Ja, das ist ein Bürgerkrieg?

Wenn man im Kontext der amerikanischen Geschichte von Bürgerkrieg spricht, dann hat man bestimmte, sehr starke Bilder vor Augen, nämlich den Sezessionskrieg. Das ist ein Krieg, der hat 700.000 Menschen das Leben gekostet, ist geführt worden von regulären uniformierten Armeen und professionellen Militärs. So dürfen wir uns das heutzutage nicht vorstellen. Viel typischer ist das, was Politologen low intensity conflict nennen, also ein hohes, ständig steigendes Maß an politischer Gewalt. Manche Hassverbrechen sind durch die sogenannte Great Replacement Theory (den angeblich gezielt herbeigeführten Austausch der weißen Bevölkerung, Anm. d. Red.) motiviert. Neu ist das nicht, denken Sie an den schrecklichen Anschlag in Oklahoma City 1995. Das waren Rechtsterroristen. Man könnte deshalb argumentieren, dass sich die USA in einem Bürgerkrieg niedriger Intensität befinden. Diese Art permanenter Gewalt, von Terrorismus und auch die zunehmende Bereitschaft, Gewalt als Mittel der Politik zu legitimieren, verschärfen die Lage. Denken Sie an Trumps Aufforderung von 2017: "Proud Boys, stand back and stand by!" gerichtet an eine rechtsextreme Miliz. Die Ereignisse vom 6. Januar 2021, dies wird immer klarer, waren ein von Trump initiierter, gewaltsamer Putschversuch. All das zusammengenommen würde ich als bürgerkriegsähnliche Situation definieren. Und die Kulminationspunkte, an denen sich das Gewaltpotenzial zeigt, sind immer umstrittene Wahlen.

Die Spannungen könnten sich also rund um die Kongresswahlen am 8. November entladen?

Vermutlich werden die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern. Dann werden sich Präsident und Kongress feindlich gegenüberstehen. Früher war die parteipolitische Teilung der Macht zwischen Kongress und Präsident kein Problem. Eisenhower hat die meiste Zeit mit einem demokratischen Kongress regiert. Nixon hat mit einem demokratischen Kongress regiert. Reagan hat mit einem demokratischen Kongress regiert. Aber da gehörte Überparteilichkeit noch zur politischen Kultur der USA. Jetzt gibt es polarisierte Lager, die schon seit vielen Jahren auf Blockade gebürstet sind. Die Zeichen stehen nicht gut. Fast 40 Prozent der Anhänger von Republikanern und Demokraten halten eine Teilung des Landes in rote und blaue Bundesstaaten (Republikaner und Demokraten, Anm. d. Red.) für gar keine schlechte Idee.

Und sollte im Jahr 2024 erneut ein Demokrat gewinnen, könnten sich die Republikaner noch mehr in die Enge getrieben fühlen. Dazu kommen Klimawandelfolgen und möglicherweise Fluchtbewegungen aus Zentralamerika, wie sie die USA noch nie gesehen haben. Wenn die ethnische Frage von zentraler Bedeutung ist, könnte sich die Situation also noch weiter zuspitzen.

Die Vorstellung, es brauche nur den richtigen Präsidenten und der versöhnt dann das Land, die ist schlicht und einfach naiv. Dafür sind die USA schon zu gespalten. Joe Biden war auch nur ein Kompromisskandidat. Bei den Wahlen im November wird es ähnlich sein. Derzeit kommen viele Problemstellungen zusammen, die sich potenzieren. Auch der amerikanische Lebensstil, den wir in vieler Hinsicht teilen, gerät an seine Grenzen. Kalifornien hat 50 Millionen Einwohner. Das sind fast so viele wie in den großen westeuropäischen Staaten, aber fast ohne Wasser. Und trotzdem wird ein Lebensstil gepflegt, in dem die Einwohner von Los Angeles pro Kopf mehr Wasser verbrauchen als die Deutschen. Und bei uns regnet es noch deutlich mehr. Die Umweltkatastrophen kommen zukünftig noch hinzu.

Das alles klingt schon fast apokalyptisch.

Wir haben in den vergangenen Jahren und Monaten leider einige Dinge erlebt, die viele Leute für völlig alarmistisch gehalten haben. Als Historiker versucht man, im Rückblick zu erklären, warum Ereignisse, die lange nicht im Möglichkeitshorizont der Zeitgenossen lagen, dann doch eingetreten sind. Wir sind die Zeitgenossen unserer eigenen Gegenwart und müssen uns auch mit dem vermeintlich Unmöglichen auseinandersetzen. Vor zwölf, fünfzehn Jahren, speziell nach der Wahl Barack Obamas, da habe ich eher optimistisch auf die Zukunft der USA geschaut und gedacht, dies sei ein Zeichen dafür, dass die alten Konflikte in den Hintergrund treten und es einen neuen gesellschaftlichen Konsens in einer multiethnischen Gesellschaft geben kann. Das hat sich erledigt. Die Polarisierung ist weitergegangen.

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Mit Dr. Manfred Berg sprach Roland Peters

Quelle: ntv.de



Aus: "Interview mit Historiker Berg USA befinden sich in "bürgerkriegsähnlicher Situation"" (16.07.2022)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/USA-befinden-sich-in-buergerkriegsaehnlicher-Situation-article23468271.html


Link

"Kuba-Krise: Der Tag, an dem ein Mann einen nuklearen Weltkrieg verhinderte" Stephan Kroener (27.10.2022)
Am 27. Oktober 1962 stand die Welt kurz vor einem Atomkrieg. Erst Jahrzehnte später wurde bekannt, dass der sowjetische Offizier Wassili Archipow in letzter Sekunde einen nuklearen Angriff auf die US-Navy abgewendet hatte. ... Das »Gleichgewicht des Schreckens« zwischen den USA und der Sowjetunion sollte die beiden Supermächte davon abhalten, einen atomaren Erstschlag auszuführen. Denn dieser hätte immer auch eine nukleare Vergeltung der Gegenseite nach sich gezogen. Auf menschliche Fehlentscheidungen war dieses Prinzip allerdings nicht ausgelegt. ...
https://www.spektrum.de/news/kuba-krise-der-tag-an-dem-fast-ein-atomkrieg-ausgebrochen-waere/2071227

Die Kubakrise (in der Sowjetunion und im Sprachgebrauch der DDR auch als Karibische Krise, auf Kuba später als Oktoberkrise bezeichnet) im Oktober 1962 war eine Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die sich aus der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba im Rahmen des nuklearen Wettrüstens entwickelte.
Die eigentliche Krise dauerte dreizehn Tage. Ihr folgte eine Neuordnung der internationalen Beziehungen. Mit der Kubakrise erreichte der Kalte Krieg eine neue Dimension. Beide Supermächte kamen während dieser Krise einer direkten militärischen Konfrontation und somit einem möglichen Atomkrieg am nächsten. Erstmals wurden daraufhin dessen ungeheure Gefahren einer breiten Öffentlichkeit bewusst. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Kubakrise

Link

Quote[...] ... Putins Rede am Dienstag, die Reden westlicher Politiker, allen voran die von US-Präsident Joe Biden: Auf beiden Seiten wird das Säbelrasseln lauter. Alle setzen auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld. Doch der ist derzeit weder für Russland noch für die Ukraine in Sicht.

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Aus: "Das Säbelrasseln zwischen Russland und den USA wird lauter" Aus einem Kommentar von Jo Angerer (21. Februar 2023)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000143789086/das-saebelrasseln-zwischen-russland-und-usa-wird-lauter


QuoteKamiikatze

"Damit das Blutvergießen einmal zu Ende gehen kann, müssen beide Seiten zu gewissen Kompromissen bereit sein."
Mein Kompromiss wäre: Russland muss alle besetzten Gebiete abtreten und bekommt dafür eine faire Verhandlung vor Gericht.


QuotePat Thetic

So schwierig es auch aussieht, sind doch Dialog und Diplomatie gefragt, müssen die Außenpolitiker ihren Job tun. Damit das Blutvergießen einmal zu Ende gehen kann, müssen beide Seiten zu gewissen Kompromissen bereit sein. So weh das auch tut. (Jo Angerer, 21.2.2023)

Fragen an Jo Angerer:
a) Gilt das Völkerrecht?
b) Zu welchem Kompromiss, der das Völkerrecht wahrt, ist Russland bereit?
c) Kann man Leuten wie Lawrow oder Putin noch glauben, nachdem sie mehrfach bewiesen haben, dass ihnen Verträge nichts bedeuten?

Würden Sie über diese doch recht simplen Fragen nachdenken, würden Sie sehen, dass sich Ihr Apell in Luft auflöst.


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Quote[...] Vor allem Polen und die baltischen Staaten hatten, seit sie 2004 der Union beigetreten waren, vor einem allzu engem Umgang mit Russland gewarnt. Der Angriff auf die Ukraine hat ihnen auf tragische Weise recht gegeben – und den Westen blamiert. Die Moral hat die Seite gewechselt; vor allem Deutschland und Frankreich, die Moskau stets besonders nahe standen, haben viel politisches Kapital in der EU verspielt. ...

Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera hat 1983, vor fast 40 Jahren, einen großen Essay geschrieben, der nun erneut Furore macht. Die Tragödie Zentraleuropas handelt vom Selbstverständnis der Polen, Tschechen oder Ungarn, die sich auch unter kommunistischer Besatzung als Teil des westlichen Europas sahen: als Erben einer mehr als tausend Jahre alten gemeinsamen Geschichte, die im römischen Christentum wurzelt. Die Tragödie dieser Länder, schrieb Kundera damals, sei es, dass sie "von der Landkarte des Westens verschwunden sind".

Das änderte sich zwar mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989, doch die Tragödie setzte sich unter veränderten Vorzeichen fort. Die meisten mittel- und osteuropäischen Länder traten der EU bei, aber ihre Geschichten und Erfahrungen, ihre Träume und Albträume blieben außen vor. Nicht zuletzt ihre Erfahrungen mit Russland, die unterschiedlich waren.

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Aus: "Wenn die Moral nach Osten wandert" Aus einer Kolumne von Matthias Krupa (22. Februar 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/2023-02/eu-osteuropa-joe-biden-polen-ukraine-5vor8

QuoteHerrschmeisshirnvomhimmel #1

Ist Serbien nicht auf der Seite Russlands?


QuoteMatthias N #1.1

So wie auch Ungarn.


QuoteFelikx Krull #14

Die polnische Einschätzung Russlands und die der baltischen Staaten war realistischer als die der deutschen Regierungen und (soweit ich das beurteilen kann) Frankreichs. Das ist auch Richtschnur für das Handeln gegenüber der Ukraine und Russland. Dieser Kompass fehlt Teilen der SPD, großen Teilen der Linken und dem überwiegenden Teil der AgD. ...


QuoteVorschau #15

Wenn man die Aufnahme von Flüchtenden nach Herkunft, Hautfarbe und Religion als top-moralisch empfindet, ist Polen in jedem Fall ganz vorn dabei, zweifellos.


QuoteIchMachMirDieWeltWieSieMirGefällt #17

So ist das in der Geopolitik. Da wird mal schnell aus einem Terroristen ein Freiheitskämpfer und umgekehrt. Wie es eben einem gerade so passt.


QuotePro-Leser #23

Komplett irrelevante Analyse. Moral war schon immer drittrangig und wird nur nach vorn geschoben, wenn es schön aussieht.
Was sich nach Osten verschoben hat, ist nicht der moralische Führungsanspruch sondern die Bedrohungslage.
Und die ,,deutsch-französische Achse" ist in einer EU mit 27 Mitgliedern eh anachronistisch und anmaßend.


Quotenicola.maus #29

Die osteuropäischen Staaten waren nun einmal sehr viel klarsichtiger als andere europäische Staaten, insbesondere Deutschland.
Es steht ihnen also durchaus zu, auch jetzt mehr politische Bedeutung zu erhalten. ...


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Quote[...] Neben der direkten Waffenhilfe für die Ukraine hat in den letzten Monaten die militärische Ausbildungshilfe zunehmend an Bedeutung gewonnen. Längst geht es nicht mehr nur darum, die Empfänger*innen der Waffen für deren Nutzung zu schulen. Sowohl die Europäische Union als auch Großbritannien und die USA sind zwischen Herbst 2022 und Anfang 2023 dazu übergegangen ganze Kampfverbände in europäischen Staaten auszubilden. Von dort aus ziehen die ukrainischen Truppen dann frisch geschult und ausgerüstet wieder in die Kriegsgebiete in der Südostukraine. Das dafür nötige Training tausender ukrainischer Soldat*innen findet auch an diversen Militärstandorten in Deutschland statt – direkt vor unseren Haustüren. ...


"IMI-Analyse 2023/07: Trainings-Hub Deutschland - Ausbildung ukrainischer Soldat*innen vor unseren Haustüren" Martin Kirsch (21. Februar 2023)
Quelle: https://www.imi-online.de/2023/02/21/trainings-hub-deutschland/

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Quote[...]  [Dr. Thomas Mueller arbeitet an der Universität Bielefeld  ... Der Politikwissenschaftler ... ist Akademischer Oberrat an der Fakultät für Soziologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben Narrativen weltpolitischen Wandels die Rolle von Großmächten in der Weltpolitik seit dem 18. Jahrhundert sowie Prozesse der Quantifizierung in der globalen Sicherheitspolitik.]:

... Es stellt sich [ ] immer auch die Frage, wie man internationale Geschichte erzählen möchte. ... Um ein paar Beispiele zu geben: Bundeskanzler Olaf Scholz nutzt den Begriff [Zeitenwende], um damit den starken politischen Wandel bei den Themen Bundeswehr, Waffenlieferungen und Energiepolitik zu legitimieren. In Deutschland existierte seit dem Kalten Krieg das Narrativ, dass die Welt besser und demokratischer wird und Russland ein Partner ist. Wirtschaftliche Beziehungen waren für große Teile der deutschen Politik wichtiger für Weltpolitik als militärische Macht. Wenn wir dieser Erzählung folgen, ist dieser Krieg ein Moment des Erwachens. In den USA hingegen war die politische Debatte in der letzten Dekade geprägt von der These, dass die Welt sich wieder in eine Ära des Wettbewerbs der Großmächte bewegt, mit mehr Spannungen und Konflikten zwischen den mächtigsten Staaten. Ein Krieg wie der in der Ukraine markiert dann keine Zeitenwende, sondern ist Bestätigung dieser These. Russland und China wiederum beurteilen die vergangenen 30 Jahre als zu stark vom Westen geprägt. Demnach habe dieser mit Druck und Gewalt seine eigene Ordnungsvorstellung der Welt durchgesetzt. Nun bewegt sich die Welt wieder Richtung Multipolarität mit mehreren Staaten von ähnlichem Machtpotenzial. Aus Sicht Russlands und Chinas eine gute Entwicklung, da sich ein Gleichgewicht der Mächte herstellt. Die Unterstützung der Ukraine durch die USA ist für Russland und China ein Beleg, dass die USA diese Entwicklung verhindern und die eigene Vorherrschaft erhalten möchte. Es gibt also viele verschiedene Deutungen dieses einen Ereignisses, abhängig von Perspektive und Erfahrung. ... Erzählungen schaffen Handlungsräume. Sie lassen bestimmte Handlungsoptionen sinnvoll oder gar notwendig erscheinen und andere als unpassend. Für Scholz ist es ein schwieriger Prozess, weil er mit der Erzählung der Zeitenwende mit der bisherigen Politik und Gewissheiten brechen will. Lange Zeit galt in Deutschland der Grundsatz, dass keine Waffen in Konfliktgebiete geliefert werden. Jetzt ändert sich das. Die Diskussion über die Lieferung von Leopard-Panzern musste sowohl innerhalb der Regierung als auch mit Partnern in Europa und den USA geführt werden. In Deutschland galt als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, nie wieder alleine zu handeln und als erstes Land einen militärischen Schritt zu tun. Dass die Bundesregierung anderen den Vortritt lässt, wird im Ausland aber als Zögern ausgelegt, als Unentschlossenheit, als Unvermögen, der Ukraine zu helfen. Das Zögern hat einen weiteren Grund: Alte politische Gewissheiten sind überholt, die Regierenden operieren auf unsicherem Terrain und tasten sich vor. Dieses vorsichtige Neu- und Umorientieren passt aber vermeintlich mit dem Anspruch Deutschlands, eine Führungsrolle in Europa zu spielen, nicht zusammen. Mit einem Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs rechtfertigt Scholz das Agieren der Bundesregierung sogar vor der US-Öffentlichkeit. Er möchte der Wahrnehmung des Zögerns entgegentreten. Gleichzeitig argumentiert er, wie mit dem Wandel umgegangen werden soll: Scholz will zurück zur Weltpolitik vor der ,,Zeitenwende". Er will den von Putin angestoßenen Wandel aufhalten und verhindern, dass Weltpolitik zu stark über die Erzählung eines neuen Kalten Krieges zwischen den USA, Russland und China gedacht wird. Er möchte damit andere Handlungsoptionen offenhalten.

... Die USA sagen: Wir befinden uns im Wettbewerb mit China. Sie rüsten militärisch auf und ändern ihre Wirtschaftspolitik. China agiert ähnlich. Wenn beide diesen Wettbewerb empfinden und entsprechend politisch agieren, wird er stärker. Das ist dann eine selbsterfüllende Prophezeiung.

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Aus: ",,Alte politische Gewissheiten sind überholt"" Ludmilla Ostermann (22. Februar 2023)
Quelle: https://aktuell.uni-bielefeld.de/2023/02/22/alte-politische-gewissheiten-sind-ueberholt/

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Quote[...] Berlin. Russland wird von der deutschen Bevölkerung inzwischen als mit Abstand größte Bedrohung für den Frieden in der Welt wahrgenommen. Auf die Frage, von welchem Staat wohl in den kommenden Jahren die größte Gefahr ausgehen werde, nannten 82 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage Russland. 60 Prozent der Befragten entschieden sich für China. Die Atommacht Nordkorea halten 52 Prozent der Bevölkerung für eine sehr große Bedrohung. Die Befragten konnten aus einer Liste von 14 Staaten mehrere Staaten auswählen sowie zusätzlich andere vorschlagen. Die Ergebnisse des «Sicherheitsreports 2023» stellte das Meinungsforschungsinstitut Allensbach am Dienstag in Berlin gemeinsam mit dem Centrum für Strategie und Höhere Führung vor.

Vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 war die Wahrnehmung noch eine andere gewesen, wie ein Vergleich mit den Ergebnissen früherer Befragungen zeigt. Im Jahr 2021 hatten lediglich 32 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren Russland als größte Bedrohung wahrgenommen. Der Wert für China lag damals bei 46 Prozent. Nordkorea beurteilte eine Mehrheit von 58 Prozent als sehr gefährlich.

Die Ergebnisse des «Sicherheitsreports» zeigen, dass der Blick auf die Großmächte auch mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung in den verschiedenen Teilen Deutschlands noch sehr unterschiedlich ist. Während jeder Zweite (50 Prozent) in Westdeutschland die USA für einen verlässlichen Bündnispartner hält, gilt das in den neuen Bundesländern nur für etwas mehr als jeden Vierten (26 Prozent). Auch liegt der Wert der Ostdeutschen, die Russland als große Gefahr für den Frieden wahrnehmen, im Osten mit 73 Prozent deutlich niedriger als im Westen, wo 84 Prozent der Befragten diese Auffassung vertreten.

Auch die Bereitschaft, gemäß der Nato-Bündnisverpflichtung im Ernstfall zur Verteidigung eines anderen Nato-Mitgliedsstaats beizutragen, ist im Osten deutlich weniger ausgeprägt als im Westen. 48 Prozent der Deutschen im Westen meinen, Deutschland sollte sich an einem solchen Militäreinsatz beteiligen. Im Osten des Landes hielten das nur 30 Prozent der Befragten für richtig. Bundesweit sprachen sich 45 Prozent der Bevölkerung dafür aus, dass Deutschland seiner Nato-Verpflichtung in einem solchen Fall nachkommen sollte. 35 Prozent der Befragten meinten, man solle sich besser «heraushalten». Jeder Fünfte war in der Frage unentschieden. (dpa)


Aus: "Menschen in Ostdeutschland blicken skeptisch auf USA" (07.02.2023)
Quelle: https://www.freiepresse.de/nachrichten/sachsen/menschen-in-ostdeutschland-blicken-skeptisch-auf-usa-artikel12701901

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Quote[...] Zwei Tage vor dem Jahrestag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine beraten die USA und die Staaten der Nato-Ostflanke über Sicherheit in der Region. Bei seinem Besuch in Warschau trifft sich US-Präsident Joe Biden am Mittwoch mit Staats- und Regierungschefs des so genannten ,,Bukarest 9"-Formats.

Dazu gehören Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, die Slowakei sowie die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. An dem Treffen nimmt auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg teil.

Vor dem Jahrestag an diesem Freitag setzt sich damit eine Reihe symbolträchtiger Treffen, Reisen und Ansprachen fort. Russland einerseits und die Ukraine und ihre internationalen Unterstützer andererseits wollen damit Siegesgewissheit vermitteln.

Den Angriff vom 24. Februar 2022 hatte der russische Präsident Wladimir Putin befohlen. Er sagte am Dienstag, die ,,militärische Spezialoperation" werde fortgesetzt. So nennt Moskau den Krieg. ,,Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen", sagte Putin in Moskau bei seiner Rede an die Nation.

Zum wiederholten Mal gab er dem Westen die Schuld an dem Krieg. Als politische Warnung an den Westen erklärte Putin das letzte große Abkommen über atomare Rüstungskontrolle für ausgesetzt, den ,,New Start"-Vertrag von 2010.

Biden antwortete wenige Stunden später mit einer Ansprache vor dem Königsschloss in Warschau. Er warnte Russland vor einem Angriff auf die Nato und beschwor die Stärke des Verteidigungsbündnisses.

,,Jedes Mitglied der Nato weiß es, und Russland weiß es auch: Ein Angriff gegen einen ist ein Angriff gegen alle. Es ist ein heiliger Eid, jeden Zoll Nato-Gebiet zu verteidigen", sagte der US-Präsident. Auch die Unterstützung für die Ukraine werde nicht wanken. ,,Die Nato wird nicht gespalten, und wir werden nicht müde", sagte Biden. Er kündigte neue Sanktionen gegen Russland an.

Schon am Montag war Biden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ins Kriegsgebiet nach Kiew gefahren. Dort sicherte er dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj die andauernde Unterstützung der USA zu.

Der polnische Staatschef Andrzej Duda dankte Biden bei einem Gespräch am Dienstag in Warschau für den Besuch in Kiew. Das habe die Moral der ukrainischen Verteidiger gestärkt. ,,Aber es war auch eine bemerkenswerte Geste gegenüber unseren Verbündeten in der Nato und den Menschen, die auf der Seite der freien Welt stehen", sagte Duda.

Der polnische Präsident unterstrich, wie wichtig die Anwesenheit von US-Truppen für die Sicherheit seines Landes sei. In dem östlichen Nato- und EU-Mitgliedsland stehen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Washington bereits etwa 11.000 US-Soldaten, die meisten auf Rotationsbasis. Die Regierung in Warschau hofft auf noch mehr US-amerikanische Militärpräsenz.

Biden dankte Polen dafür, dass es die Ukraine so tatkräftig unterstütze. Kein anderes Land hat so viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wie Polen. Es leistet nicht nur selber Militärhilfe, auch ein Großteil der Rüstungslieferungen anderer Länder für die Ukraine werden auf polnischem Gebiet umgeschlagen.

Das gibt Warschau eine Art Führungsrolle an der Nato-Ostflanke. Dudas außenpolitischer Berater Marcin Przydacz sagte vor dem Treffen am Mittwoch: ,,Dass heute auf Einladung von Präsident Andrezej Duda acht Führer dieser Region und der Nato-Generalsekretär anreisen, zeigt dass Warschau in gewissem Sinn Zentrum der Diskussion über Sicherheit in dieser Region ist."

Die Nato und die USA haben schon nach 2014 die Ostflanke gestärkt, als Russland sich die ukrainische Halbinsel Krim einverleibte und den Krieg im Osten der Ukraine begann.

Mit der großangelegten Invasion in die Ukraine vor einem Jahr haben sich die Befürchtungen der Länder in Mittelosteuropa nur verstärkt. Sie zählen zu den entschiedensten Unterstützern der Ukraine. Eine Ausnahme ist Ungarn, das unter Ministerpräsident Viktor Orban weiter enge Kontakte nach Moskau hat. (dpa)


Aus: "Gespräche mit Staaten an der Ostflanke: Biden beteuert ,,heiligen Eid, jeden Zoll Nato-Gebiet zu verteidigen"" (22.02.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/internationales/gesprache-mit-staaten-an-der-ostflanke-biden-beteuert-heiligen-eid-jeden-zoll-nato-gebiet-zu-verteidigen-9391715.html

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Quote[...] Putin wiederholte in seiner Rede zahlreiche Behauptungen der russischen Kriegspropaganda. Unter anderem bezeichnete er die ukrainische Regierung erneut als "Neonaziregime". Diesem habe der Westen Schützenhilfe geleistet und es dazu "angestachelt", "Terrorangriffe im Donbass" zu begehen. Der Westen sei schuld am Ukraine-Krieg, sagte Putin. "Sie haben den Krieg begonnen. Und wir setzen Gewalt ein, um ihn zu beenden."

Ziel des Westens sei es, Russland "ein für alle Mal zu erledigen", sagte Putin. Der Westen habe nicht nur einen militärischen Konflikt gegen Russland angezettelt, sondern auch einen "Wirtschaftskrieg". Die Sanktionen wirkten sich aber nicht so gravierend auf die russische Wirtschaft aus, wie von den westlichen Staaten erhofft. "Der Westen bekämpft uns an der Wirtschaftsfront. (...) Der Westen hat unser Gold und unsere Devisenreserven gestohlen", sagte der Präsident. "Aber ihre Rechnung ist nicht aufgegangen."

Die Verantwortung für die Eskalation des Kriegs liege bei den "westlichen Eliten". Er prangerte "Geldflüsse aus dem Westen" in den Krieg an und drohte zugleich: "Es ist unmöglich, unser Land auf dem Schlachtfeld zu besiegen." Seine Offensive in der Ukraine werde Russland "sorgfältig und systematisch" fortsetzen. Den Familien getöteter Soldaten und Kriegsveteranen versprach Putin finanzielle Unterstützung. Zu diesem Zweck werde ein staatlicher Sonderfonds eingerichtet.

Russland werde überdies die annektierten Gebiete wieder aufbauen und dort auch neue Arbeitsplätze schaffen. Es werde auch neue, große Programme für die Entwicklung der vier "neuen Subjekte" geben, sagte Putin unter lang anhaltendem Applaus. Bisher kontrolliert Russland allerdings nur einen Teil der Regionen Saporischschja, Cherson, Luhansk und Donezk, deren völkerrechtswidrige Angliederung an Russland Putin im vergangenen Jahr verkündet hatte.

Die Ukraine zeigte sich nach Putins Rede siegessicher. Das ukrainische Militär werde die russischen Soldaten "aus der Ukraine vertreiben" und die Verantwortlichen für den Krieg zur Rechenschaft zu ziehen, sagte der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak. Die Russen steckten "strategisch in einer Sackgasse".

Der russische Staatschef hält traditionell jedes Jahr eine Rede zur Lage der Nation vor den russischen Abgeordneten. Im vergangenen Jahr ist die Rede abgesagt worden – wegen der "hohen Dynamik der Ereignisse". In diesem Jahr fällt die Rede fast mit dem Jahrestag des Kriegs zusammen, der am 24. Februar 2022 mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine begonnen hat.         

Nach Putins Rede wies Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Anschuldigungen von sich. "Niemand greift Russland an, Russland ist der Aggressor", sagte er bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und dem EU-Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, in Brüssel. Putin habe klargemacht, dass er "einen fortgesetzten Krieg vorbereiten" wolle.

Stoltenberg appellierte auch an Putin, New Start nicht auszusetzen. Er rief den russischen Präsidenten auf, "seine Entscheidung zu überdenken und geltende Verträge zu achten".

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Aus: "Wladimir Putin will letzten großen Abrüstungsvertrag aussetzen" (21. Februar 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-02/wladimir-putin-rede-lage-nation-vorwuerfe-westen

QuoteDer Blonde #4

Putin gehört zu den Menschen, bei denen man nachprüfen muss ob es draußen hell ist, wenn die einem einen ,,Guten Morgen" wünschen.
Diese Rede kann er sich also sparen, das ganze ist nichts weiter als Politzirkus und das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde.


QuoteSirPete #5.1

Natürlich ist er zurechnungsfähig. Er macht genau das was er als skrupelloser Diktator machen muss um seine Macht zu erhalten: Märchen erzählen. Glaube Sie er wird jetzt Fehler zugeben oder ähnliches? ...


QuoteSimonPhoenix42 #5.2

"Der Mann ist definitiv nicht zurechnungsfähig..."

Was soll er denn machen? Nach 200.000 toten und verwundeten russischen Soldaten, eingefrorenen Konten in XXX Milliardenhöhe, dem Einsatz von Söldnern, der offensichtlichen mangelhaften militärischen Führung sowie der fast vollständigen Isolation Russlands, einfach sagen: "Da habe ich wohl Mist gebaut!" ?

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QuoteHarmlos01 #6

Wäre die Ukraine eine Marionette des Westens, dann hätte Russland schon lange gewonnen. Dann würden die Ukrainer nicht so hart kämpfen.
Jeder Versuch, eine lokale Armee durch den Westen auszurüsten ist an mangelnder Motivation gescheitert. Hier wird ein gewachsener Widerstand unterstützt.


QuoteDemokrat. #7

Ich frage mich, ob Putin inwendig selbst glaubt, was er sagt. Ob das eine Schutzargumentation des professionellen KGBlers ist oder ob er psychiatrisch paranoid ist. ...


QuoteLysander42 #7.2

Aus meiner Sicht ist es bedeutungslos, ob Putin inhaltlich glaubt, was er sagt.
Aber er ist zweifellos fest davon überzeugt, dass er mit dieser Art von Rede das russische Volk "bei der Stange" halten kann.
Damit sie nicht murren, wenn immer mehr ihrer Söhne und Ehemänner in Zinksärgen nach Hause kommen.
Und in diesem Punkt könnte Putin so Recht haben...


QuoteDarmgeräusch #7.3

Putin hat einen großen Stab von Redeschreibern hinter sich. Da wird jedes Wort und jede Aussage sorgfältig formuliert. Die Reden fußen selbstverständlich auf Vorgaben von Putin und seinem Stab. Ob er den Inhalt selbst glaubt ist, meiner Meinung nach, nicht wahrscheinlich. Die Reden sollen nur eine Innen-und Aussenwirkung entfalten. Mit der Realität haben sie nichts zu tun.


QuoteHanayagi #8

""Sie haben den Krieg begonnen. Und wir setzen Gewalt ein, um ihn zu beenden", sagte Putin vor beiden Kammern des Parlaments in Moskau."
"Vorwärtsverteidigung" a la Putin. Naja, Propaganda halt. Wer's glauben will glaubt's und alle anderen wenden sich angewidert ab.


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Quote[...] Packer: Joe Biden kam schnell nach seiner Amtsübernahme nach Europa und sagte: Wir sind zurück! An eurer Stelle hätte ich gedacht: Na ja, schauen wir mal, für wie lange. Und was heißt das überhaupt, wir sind zurück? Der Rückzug aus Afghanistan im Sommer 2021 war ein spektakuläres Versagen, moralisch und organisatorisch. Keiner hat sich mit den Nato-Partnern abgestimmt, die Afghanen wurden im Stich gelassen. Mal wollen wir der ganzen Welt Demokratie und Freiheit bringen, dann wieder wollen wir uns lieber um uns selbst kümmern. Damals sah es so aus, als würde Joe Biden wieder eine Periode des Rückzugs aus der Weltpolitik einleiten. Am 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine angegriffen hat, sind wir dann in Nullkommanichts von "Was geht uns das an?" zu "Wir müssen mehr tun!" übergegangen.

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ZEIT ONLINE: Der Krieg ändert, wie die Welt Amerika sieht. Ändert er auch, wie sich Amerika sieht? Schafft er so etwas wie ein gemeinsames Ziel, über die politischen Lager hinweg?

Packer: Für die meisten Amerikaner ist die Ukraine sehr weit weg, auch weil hier keine amerikanischen Soldaten eingesetzt sind. Es scheint paradox: Wir sind die größten Unterstützer der Ukraine mit Waffen, aber der Krieg ist in unserer Politik kein entscheidendes Thema. Noch sind sich die Lager im Kongress einig über die Unterstützung. Als Selenskyj Washington im Dezember besucht hat, gab es zwar krasse Bekundungen der Verachtung aus den Reihen der Trumpisten für ihn. Doch der Kongress verabschiedete danach das bisher umfangreichste Hilfspaket. Es gibt immer noch genügend Republikaner, die nicht auf America first setzen und eine internationale Rolle für die USA sehen.

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ZEIT ONLINE: Was sieht Amerika in diesem Krieg? Warum gibt es diese allgemeine Zustimmung?

Packer: Mit dem Geist des Widerstands, den die Ukrainer zeigen, fühlen sich Amerikaner instinktiv verbunden. Das ist wichtiger als geopolitische Fragen oder die Sorge um die freiheitliche Weltordnung – ein Begriff, den sowieso kein normaler Mensch benutzt. Ich habe in der Ukraine amerikanische Veteranen gefragt, warum sie dort kämpfen. Die Antworten waren immer ähnlich: Ich konnte einfach nicht zusehen, wie Russland dieses Land zerstört. Das ist ein Reflex, den man auch beobachten kann, wenn ein Hurrikan Florida verwüstet hat.

ZEIT ONLINE: Sie haben die Ukraine bereist, und über das intensive Gefühl der Ukrainer für ihr Land geschrieben – fast als hätten Sie dort etwas gesehen, das in den USA heute fehlt.

Packer: Ich war überrascht, einen Patriotismus vorzufinden, der nicht von oben verordnet ist. Die ukrainische Gesellschaft ist mobilisiert, aber von unten her. Und der Patriotismus, den ich da erfahren habe, richtet sich auch gegen die korrupte, autoritäre Tradition des eigenen Landes. Das hat mich mit einiger Wehmut erfüllt: Die Werte, für die die Ukraine eintritt, verfallen in Amerika. Dort versucht man gegen extreme Widerstände eine Demokratie aufbauen, während wir in den USA ihrer Zerstörung zuschauen. Darum muss, wie ich finde, die Ukraine als Modell verteidigt werden. Die Alternative zu ihrem Sieg wäre ein Terrorregime mit Konzentrationslagern und Abertausenden von Deportierten. Ich gebrauche eigentlich selten solche Begriffe, aber hier geht darum, das Böse zu stoppen. Eine nackte Machtpolitik im Dienst einer furchtbaren Ideologie nationaler Größe. Und so etwas sagt man eigentlich auch nicht, aber ich finde, da unterscheidet sich Putin nicht von Hitler.

ZEIT ONLINE: Die Lieferung der Kampfpanzer hatte Olaf Scholz an die Bedingung geknüpft, dass Amerika auch welche liefert. Wird die Abhängigkeit der Europäer von den USA in Sicherheitsfragen so nicht verewigt?

Packer: Ich habe das Gefühl, beide Seiten gehen durch manisch-depressive Zyklen. In den Balkankriegen der Neunzigerjahre musste Amerika eingreifen, weil die Europäer auch damals ihren eigenen Kontinent nicht befrieden konnten. Dann hat Amerika sich in zu vielen Kriegen überdehnt und es wuchs die Sehnsucht nach einem Rückzug unter Barack Obama und Donald Trump. Die Europäer erklärten, sie könnten sich auf Amerika nicht mehr verlassen und müssten nun selbst Verantwortung übernehmen. Doch jetzt reihen sie sich wieder hinten ein und Amerika, das gerade erst aus einer depressiven Phase erwacht ist, führt wieder. Die Leopard-Verhandlungen sind das perfekte Beispiel dafür, dass da eine Art transatlantische Co-Abhängigkeit besteht. Am Ende sagen wir: Okay, wir schicken fünf verdammte Panzer. Seid ihr nun zufrieden?

ZEIT ONLINE: Aber warum lässt sich der US-Präsidenten von einem deutschen Kanzler in einen europäischen Panzerkrieg hineinziehen, den er nicht will?

Packer: Ja, richtig, wer führt hier eigentlich wen? Man muss in Europa erkennen, dass die amerikanische Führung ambivalent ist. Wir wollen eigentlich nicht vorangehen, tun es aber doch, weil sonst gar nichts passiert. Ich verstehe die Ängste der Europäer, aber ich halte sie für übertrieben. Und Putin schürt sie bewusst, er kennt eure deutschen Komplexe gut und weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Ich sehe das deutsche Engagement für die Ukraine dagegen eher als Fortsetzung der kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Zugespitzt könnte man sagen, das Holocaust-Mahnmal im Zentrum Berlins und die Leopard-Panzer für die ukrainische Selbstverteidigung, das sind Teile des gleichen Projekts. Das ist für viele Deutsche schwer zu akzeptieren. Aber wäre es denn ein Akt des richtigen Geschichtsbewusstseins, zuzusehen, wie die Ukraine von Russland verschluckt wird? ...  In Polen hat Biden gesagt, die Freiheiten, für die die Ukrainer kämpfen, seien die Grundlage der europäischen und amerikanischen Demokratien. Er sagt das nicht bloß so daher, er glaubt das wirklich. ...

...

ZEIT ONLINE: Noch mal zu den Chancen der Diplomatie: Sie haben die Biographie des amerikanischen Diplomaten Richard Holbrooke geschrieben, dessen beispiellosem Verhandlungskraftakt das Friedensabkommen von 1995 in Dayton zu verdanken war – und damit das Ende der Kriege auf dem Balkan. Was würde Richard Holbrooke heute tun?

Packer: Damals in den Neunzigern konnte Amerika durch Gewalt und Diplomatie Frieden in Europa durchsetzen. Die bosnischen Serben hatten keine Atomwaffen. Es war auch eine andere Zeit: Holbrooke und der russische Außenminister Lawrow kannten und trauten einander. Russland war damals sogar bereit, eigene Soldaten unter Nato-Kommando als Friedenstruppen in Bosnien bereitzustellen. Das ist heute undenkbar! Das Russland unter Putin ist ein völlig anderer Akteur. Mit Putin kann man derzeit nicht mehr reden. Angela Merkel dachte, sie könnte es, auch Olaf Scholz hat es noch versucht, und dann kam der 24. Februar letzten Jahres. Wir haben es mit einem geopolitischen Konflikt zu tun, der an den Kalten Krieg erinnert. Inklusive der nuklearen Dimension.

...

In Europa sehe ich eine interessante Entwicklung. Der Antiamerikanismus, der infolge des Irakkriegs und der Regentschaft Donald Trumps florierte, scheint mir nicht mehr den Geist der europäischen Politik zu bestimmen. Aber die Inder, Brasilianer oder Südafrikaner wollen nicht länger in einer amerikanisch geprägten Weltordnung leben. Der Krieg in der Ukraine hat die tiefe Spaltung zwischen dem Westen und dem Globalen Süden sichtbar gemacht. Für die Europäer, auch für viele Amerikaner ist er das wichtigste Ereignis nach dem 11. September 2001. Der Globale Süden sieht ihn nicht als seinen Krieg, dort stehen die steigenden Energie- und Nahrungspreise im Zentrum.

ZEIT ONLINE: Also rechnen Sie eher nicht mit dem Wiederaufstieg Amerikas zur zentralen Weltmacht?

Packer: Nein, aber die Alternative zur amerikanisch dominierten Ordnung ist keine demokratischere, gerechtere Welt, wie manche gehofft haben. Sie entspricht eher Wladimir Putins Vorstellung, dass die Starken die Schwachen dominieren. Darum darf er nicht gewinnen.



Aus: "George Packer zum Ukraine-Krieg: "Die Werte, für die die Ukraine eintritt, verfallen in Amerika"" Interview: Kerstin Kohlenberg und Jörg Lau (22. Februar 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-02/george-packer-ukraine-krieg-usa/komplettansicht

QuoteHeinz Brause #13

Die Ukraine verteidigt, völlig zu Recht, ihr Territorium. Vielleicht auch das Territorium des restlichen Mitteleuropa (obwohl ich persönlich nicht glaube, dass Putin da noch weitergehende Ambitionen hat).

Die ständig angeführte Behauptung, sie verteidige auch "unsere westlichen Werte" ist angesichts der jüngeren innenpolitischen Vergangenheit der Ukraine bestenfalls irreführend, schlimmstenfalls Märchenstunde.


QuoteFrankFavela #15

Herr Packer ist zwar Journalist und evtl. Schriftsteller, ein Chronist der Geschichte ist er aber nicht. In Europa ist die Gefahr von Rechts doch auch sehr Konkret gegeben. Was kommt nach Macron? Und was nach Scholz? Zumindest in Ungarn, Italien , Österreich, Schweden..... sind extrem Rechts schon Mainstream.....und wenn man die AfD Stimmen betrachtet so lässt sich feststellen: es sind mehr als z.b. NL überhaupt an Wähler hat. Der letzte Satz ist der relevant: eine Postamerikanische Ordnung wir weniger demokratisch sein.


QuoteTaranis #15.1

Dazu sollte man sich aber auch betrachten was in den USA als rechts und links gilt und wie es dort überhaupt mit der Demokratie bestellt ist.
Das ist keine Ausrede für unsere rechten Auswüchse und schon gar nicht der Wunsch amerikanische Verhältnisse hier herbei zu sehnen. Einzig die Behauptung die USA seien das Bollwerk gegen Rechts und ein Hort der Demokratie ist so eher fragwürdig. In fast allen Demokratien nehmen populistische und damit auch autokratische Tendenzen zu. Bei uns ist es auch nicht nur die AfD, die mit Russland, Ungarn und China sympathisiert. Das hat nichts mit der "postamerikanischen Ordnung" zu tun.


QuoteFrankFavela #17

Was mir bei den woken, Pseudo-linken Amerikanern und Europäern fehlt ist die exakte Analyse der eigenen geschichtlichen Position. Denn: Putin weiss es, Orban weiss es, und Merkel hat es Selbst gesagt: die Ukraine war in weiten teilen ihrer Geschichte von kolonialen Nachbarn besetzt und wurde ausgebeutet: von Polen-Litauen, von Preußen, von Rußland und Österreich-Ungarn. Daher rührt nach meiner überzeugung der Unwille die Ukraine zu 100% als Rechtssubjekt zu betrachten, statt als potentielle Beute. Dieser Krieg ist das Produkt fehlender Reflexion und des mangelnden Unrechtsbewußtsein. Gerade auch in Deutschlan und Österreich-Ungarn.


Quotesugarvision #18

Ja, Putins Überfall auf die Ukraine war ein außerordentlicher Glücksfall für die USA und die Allianz.


QuoteJoern.R #19

Das Engagement der USA ist ein Sicherheitstärkendes, kein Demokratiestärkendes. Rußland ist bei Weitem nicht der einzige Staat weltweit, in dem eine liberal-demokratisch geprägte innere Verfaßtheit nicht existiert, in manchen nicht einmal (nur ein Beispiel, die Demokratischen Republik Kongo) eine zentrale Ordnungsmacht vorhanden ist. Nicht einmal in seinem eigenen Land vermag Packer einen großen Einfluß im Sinne einer demokratischen Stärkung zu erkennen. Dieser Ansatz erinnert an die National Security Strategy von 2002 (Bush-Doktrin) , welche (vordergründig) zum Ziel den "Export" von Demokratie und Menschenrechten zum Ziel hatte, hintergründig aber die unreflektierte Durchsetzung von US-Interessen, siehe etwa Irak 2003 - Öl. Demokratische Strukturen lassen sich nicht exportieren und installieren wie eine Maschine, sie müssen auf dem Willen der jeweiligen Gesellschaft eines entsprechenden Aufbaus beruhen, gelernt werden.

Warum wohl sieht der Globale Süden den Krieg nicht als den Seinigen an? Weil der Globale Norden unter der finanziell-ökonomischen Führung von in Hauptsache den USA und China nicht an einer Egalität, nicht an gleichen Möglichkeiten und Chancen für beide Komplexe interessiert ist. Letzerer klar dominierende Attitüden durchsetzt, wiederherum in der Bush-Doktrin "Marktwirtschaft" genannt, de facto damit die globale Dominanz weniger Oligopole - was dann als Markt verkauft wird - und zwischen ungleichen Partnern nicht möglich seiender "Freihandel".


QuoteMenzelMicK #22

Dass die USA eine Großmacht sind bedarf keines weiteren Beweises, dass sie allerdings eine globale Führungsmacht sind, ist völlig absurd.
Die Unterordnung unter das US-Diktat wird von der Mehrheit der Weltbevölkerung abgelehnt, die Hegemonialpolitik der USA wird gehasst.
Die USA sind keine Friedensmacht, sondern eine Kriegsmacht, die Not und Elend über zahlreiche Länder gebracht hat. Die Liste der Schandtaten der USA ist ziemlich lang.
Europa wird als gefährliche Konkurrenz gesehen, insbesondere mit der Rohstoffquelle Russland und den engen Handelsbeziehungen zu China. Da muss ein Krieg her, mitten in Europa, denke ich...


QuoteMartin Köster #27

Schönes Interview mit Herrn Packer, der ziemlich erfrischend und klar aus US-amerikanischer Perspektive das transatlantische Verhältnis beschreibt, und dabei mit Eigenkritik nicht spart.
Man mag sich gar nicht vorstellen, worüber wir heute diskutieren würden, wenn nicht Joe Biden im Oval Office sitzen würde, sondern Donald Trump, während Putins Barbaren in der Ukraine wüten. ...


QuoteHannes1854 #28

Das ganze Geschwafel von Verantwortung tragen, Demokrati verteidigen (in Afghanistan??), für die Freiheit einstehen usw, ist doch alles schlecht kaschierter globaler Machtkampf. Dieser amerikanische Patriotismus ist doch nur eine Form von Faschismus. Glaubt hier wirklich einer, dass der latente Rassismus in den USA plötzlich am Verschwinden ist, nur weil man Artillerigeschosse in die Ukraina schickt? Das Machtzentrum in den USA ist nicht gerade der Präsident. Das liegt woanders, daher spielt es eine eher untergeordnete Rolle wer gerade das Amt ausübt.


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Quote[...] Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine galt Russland Teilen der Linken weltweit als globale Friedensmacht. Putin war in dieser Erzählung eine Art Fahnenträger des Kampfs gegen den US-amerikanischen Imperialismus und die NATO. Mit einem starken Staat und angeblich starken Gewerkschaftsbewegungen habe Russland demnach außerdem gegen den neoliberalen Mainstream und die Vormacht der globalen Konzerne gekämpft. Nicht selten wurde Russland so als ein Gegenentwurf zur imperialistischen, militaristischen und kapitalistischen Grundordnung des Westens verstanden.

Mit dem 24. Februar 2022 scheint sich unter vielen linken Bewegungen weltweit ein Umdenken abzuzeichnen. Auch die deutsche Partei Die Linke hat den russischen Angriff auf die Ukraine ,,aufs Schärfste" verurteilt. An dem klaren Nein zu Waffenlieferungen wird gerüttelt. Gleichzeitig fordern Bundestagsabgeordnete wie Klaus Ernst das Ende der Sanktionen, Sahra Wagenknecht wittert einen ,,beispiellosen Wirtschaftskrieg" gegen Russland, während andere zu Verhandlungen aufrufen – ohne jedoch an Russland zu appellieren, seine Truppen zurückzuziehen.

Viele Linke weltweit würden immer noch einem verzerrten Russland-Bild anhängen, kritisiert der ukrainische Sozialist Taras Bilous. ... Im Interview mit Meduza kritisiert Bilous Klischees über Russland und die Ukraine im Westen und ruft zu einem Kampf für eine ,,Demokratisierung der Weltordnung" auf.


... Die russischen Polittechnologen, die die Wahlen in der Ukraine vor Ort beobachtet haben, dachten, sie hätten unsere Politik verstanden – zumindest die, die vor Selensky da war; seit seiner Präsidentschaft hat sich vieles verändert. Das ist wohl eine der schwerwiegendsten Fehlkalkulationen von Putins Leuten. Sie haben das Mobilisierungspotential der ukrainischen Gesellschaft stark unterschätzt, darunter das der Freiwilligen-Organisationen, die seit Beginn des Krieges [2014] gegründet wurden. Ja, ein Teil von ihnen ging aus bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen Institutionen hervor, aber viele wurden quasi von Null auf von einfachen Menschen und regionalen Leadern aufgebaut, die davor überhaupt nichts mit Politik zu tun hatten. Das haben die russischen Polittechnologen nicht kapiert.

... In Diskussionen mit westlichen Linken höre ich oft das Argument, dass die NATO während des Kalten Krieges die Ultrarechten unterstützt und benutzt hätte. Aber der Kalte Krieg ist seit 30 Jahren vorbei, und gerade das Beispiel, dass sich die USA in Syrien mit den sozialistischen syrischen Kurden verbündet haben und nicht mit irgendwelchen anderen Kräften, zeigt meiner Meinung nach, wie weit sich die US-amerikanische Außenpolitik mittlerweile von der Logik des Kalten Kriegs entfernt hat. Gleichzeitig ignorieren diese Linken die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem Russland war, das die rechtsextremen Parteien in Europa unterstützt hat.   

... Die westlichen Linken kritisieren an der Ukraine zum Beispiel oft den politischen Einfluss der Oligarchen. Aber was für praktische Schlüsse ziehen sie daraus? Ich weiß selbst sehr gut, dass in der Ukraine eine schlechte Regierung mit einer neoliberalen Politik an der Macht ist. Wir haben vor dem Krieg dagegen gekämpft, wir müssen auch jetzt dagegen kämpfen – etwa, wenn die Arbeitsrechte beschnitten werden sollen. Mir sind viele Defizite der ukrainischen Gesellschaft, der Staatsmacht und der Politik bewusst, aber das heißt ja nicht, dass man die Verteidigung gegen die russische Aggression nicht unterstützen soll.

... Das Schlimmste, was die russische Propaganda anrichtet, ist, dass sie ein verzerrtes Bild der postsowjetischen Realität vermittelt. Dazu haben die westlichen Linken weder eigene Erfahrungen noch Informationsquellen oder ein Verständnis davon, was hier passiert. Und weil sie den Mainstream-Medien nicht vertrauen, landen sie oft bei der russischen Propaganda als Hauptinformationsquelle.

Doch die westlichen Linken brauchen kein Russia Today, um den amerikanischen Imperialismus, die Hegemonie, die unipolare Welt und die NATO abzulehnen. Sie haben genug eigene Gründe dafür. Die ältere Generation hat oft schon zur Zeit des Kalten Krieges an den Protesten gegen den Vietnamkrieg oder andere Operationen der USA teilgenommen, die jüngere hat sich angesichts des Irak-Kriegs formiert. Wobei viele die Idee einer multipolaren Welt ganz unkritisch sehen, anstatt sich zu überlegen, wie man die Weltordnung demokratisieren könnte. Für sie wird ihre NATO-Gegnerschaft einfach zu einem Teil ihrer Identität, statt dass sie ein konkretes politisches Problem angehen und im Rahmen einer linken Strategie zu lösen versuchen. Sogar die, die die Ukraine und Waffenlieferungen einhellig unterstützen, unterscheiden sich manchmal nur dadurch, dass sie für die Auflösung unterschiedlicher militärischer Allianzen eintreten, unter anderem der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

Na gut, angenommen, man löst die NATO auf und auch die OVKS, was ist dann eine Alternative in der internationalen Politik und wie verhindert man dann, dass die starken Staaten den schwächeren ihren Willen aufzwingen?

... Wir brauchen keine multipolare Welt und keine Konfrontation zweier imperialistischer Blöcke. Wir müssen für eine allgemeine Demokratisierung der Weltordnung kämpfen, und dafür kann man Widersprüche zwischen verschiedenen Ländern nutzen. Aber eine multipolare Welt, in der jeder imperialistische Staat seine Einflusssphäre hat und seine imperialistische Politik fährt – das ist eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Das kann uns wirklich gestohlen bleiben.   

...


Aus: "Meduza: ,,Die westlichen Linken verstehen nicht, was hier passiert""
(Original 22.08.2022 von Alexej Kowaljow , Taras Bilous — Übersetzung (gekürzt) 12.10.2022 von Jennie Seitz , Ruth Altenhofer)
Quelle: https://www.dekoder.org/de/article/bilous-linke-westen-russland-ukraine-klischees


Link

[Stand: 25.05.2023]:
Nachdem das Schneiderlein sieben Fliegen auf einen Schlag getötet hat, näht es sich eine Scherpe mit der Aufschrift "7 auf einen Streich". Voller Zuversicht zieht er über Berg und Tal, um nun seinen Mut zu erproben.
https://www.ardmediathek.de/video/maerchen-im-mdr/das-tapfere-schneiderlein/mdr-fernsehen/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy9kMWIwZGUwNC1mZmQxLTQwMjMtYTkwMS1jYThkNWM4ZjQxOTc?isChildContent

QuoteAktuell kann man den #DEFA-Märchenfilm "Das tapfere Schneiderlein" von 1956 @ARDde-Mediathek sehen. Als der Film 1957 in der Bundesrepublik gezeigt werden sollte, kam es zu einem der skurrilsten Fälle von #Filmzensur.
Die DEFA hatte das Grimm'sche Märchen mit politischen Untertönen adaptiert: Anstatt am Ende die Königstochter zu heiraten und das halbe Reich zu erben, wird der feudale König nebst dekadentem Hofstaat verjagt und das Schneiderlein heiratet eine einfache Bauersmagd.
Die ideologische Überzeichnung stieß selbst in der DDR-Presse auf deutliche Kritik. Das "Neue Deutschland" sprach von einer "vulgären Anwendung marxistischer Grundsätze". Die "Neue Zeit" meinte, durch die "gutgemeinte Fortschrittlichkeit" würde der Märchenstoff verballhornt.
Auch in der Bundesrepublik waren die Reaktion deutlich. Die "Zeit" berichtete ausführlich über das "marxistische Schneiderlein", ging aber nicht weiter darauf ein, dass die plumpe Politisierung des Märchens selbst in der DDR umstritten war.
1957 beschäftigte das "Schneiderlein" schließlich den "Interministeriellen Ausschuss". Sechs Bonner Ministerialbeamte sichteten den #DEFA-Film und sprachen ihre "Bedenken" gegen eine Kinovorführung in der Bundesrepublik aus. Näher begründet wurde das Verbot nicht.
Die Angst vor "kommunistischer Propaganda" war jedoch bei Kinderfilmen besonders ausgeprägt und sicher au Das Filmverbot bestand fast zwei Jahre, bis zum Herbst 1958, als das "Schneiderlein" erneut vom Ausschuss begutachtet wurde.
Diesmal nahmen 14 Beamte aus sieben verschiedenen Bundesministerien an der Filmvorführung teil. Die Bedenken wurden schließlich zurückgestellt und der Film nachträglich freigegeben.
Die Geschichte wirkt heute befremdlich, zeigt aber zugleich, welche besondere Wirkmächtigkeit Filmen in der Zeit des Kalten Krieges zugesprochen wurde, insbesondere wenn es um ein jugendliches Publikum ging.
Kurze Randnotiz: 1961 verschwand der Film still und leise aus den Kinos der DDR - der Hauptdarsteller, Kurt Schmidtchen, war nach dem Mauerbau in die Bundesrepublik übergesiedelt. Der Film wurde danach kaum noch gezeigt.

Andreas Kötzing @AKoetzing
11:37 vorm. · 24. Mai 2023

https://twitter.com/AKoetzing/status/1661305466184511490

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Link

"#Westsplaining und #Eastsplaining" Sylvia Sasse (28. Mai 2023)
" ... Der Blick in die russische Propaganda zeigt, dass es bei Westsplaining eigentlich nicht um Ost und West geht. Die Gegenüberstellung von Osten und Westen lenkt nur davon ab, die politische Interessen und Machttechniken zu tarnen. Bei den russischen ,,Werten", die Putins Regime vertritt, und die dieses in Russland seit mehr als zwanzig Jahren Schritt für Schritt mit repressiven Maßnahmen durchsetzt, handelt es sich um einen rechtskonservativen und christlich-fundamentalistischen kulturellen Backlash, den das Putinregime u.a. von rechten Kreisen aus den USA nach Russland importiert hat. Umgekehrt lässt sich auch sagen, dass Putins ,russische' Werte auch die Werte von Alt-Right oder die von AfD sind, die Werte des Front National und weiterer rechtsnationalen Parteien. ... Das Kulturparadigma, das im ,Westsplaining' mitspielt – eben ein angeblich einheitlicher Westen gegen einen angeblich einheitlichen Osten –, verstellt die politische Dimension der Debatte und das Ziel der russischen Desinformation, den kulturellen und politischen Backlash weiter zu befördern und das Politische zu kulturalisieren. ..."
https://geschichtedergegenwart.ch/westsplaining/

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Meet the Author | Katharina Bluhm: ,,Der Fokus auf Putin hat den Blick verengt" (08.12.2023)
In ihrem Buch ,,Russland und der Westen" untersucht Katharina Bluhm wie aus der illiberal-konservative Gegenbewegung zu Liberalismus und Westintegration, die seit dem Ende der 1990er-Jahre versucht hatte, sich im politischen Feld zu etablieren, ein Staatsprojekt wird, das immer weiter forciert wird. Dabei spielen nicht nur Ideologie und Machtpolitik, sondern auch politökonomische und sozialpolitische Faktoren eine Rolle.
Was war Ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben? Welche Dimension hat Ihnen in der wissenschaftlichen oder auch in der öffentlichen Debatte zu Russland gefehlt?
https://www.zois-berlin.de/publikationen/meet-the-author/der-fokus-auf-putin-hat-den-blick-verengt

Katharina Bluhm (* 1961) ist eine deutsche Soziologin.
https://de.wikipedia.org/wiki/Katharina_Bluhm

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Quote[...] Russlands Staatsfernsehen ist schon lange ein Gruselkabinett des Hasses und der Kriegstreiberei. Aber in letzter Zeit dröhnen die Propaganda-Trommeln noch lauter als sonst. Die ins Studio geholten «Experten» übertreffen sich mit primitiven Verwünschungen an die Adresse der Ukraine und des Westens. Seelenruhig wird damit gedroht, die Hauptstadt Kiew auszuradieren oder ganze Länder der Nato mit Atombomben einzuäschern. Das Publikum darf miträtseln, wen Russlands Panzer als Nächstes überrollen – die Balten oder die Polen –, bis dann die überfällige «Entnazifizierung» Berlins ansteht.

«Wir müssen bis zu natürlichen Grenzen vorstossen», bis zum Atlantik, räsonierte kürzlich Wladimir Solowjow, der am Staatsfernsehen die Rolle des Kreml-Chefpropagandisten spielt. Als Teil des Russischen Reiches hätten die Portugiesen ein wunderbares Leben, meinte er.

Solche grotesken Aussagen sind nicht zum Nennwert zu nehmen. Aber man sollte sie auch nicht als belanglos abtun. Die ständige Hetze entspringt keineswegs dem Zufall oder den Köpfen einiger Spinner, sondern spiegelt eine Strategie des Regimes von Wladimir Putin. Es geht darum, das Land in einen Kriegstaumel zu versetzen und dem Volk eine tägliche Dosis imperialer Grossmannssucht einzuimpfen.

Wenn die staatlich bezahlten Kommentatoren darüber sinnieren, wie gerne sich Ukrainerinnen von russischen Soldaten vergewaltigen lassen, wenn sie das Aufschlitzen feindlicher Kehlen zur christlichen Tat verklären, die Tötung von mehreren Millionen Ukrainern zur Staatsräson erheben wollen und die Jagd auf Opponenten im Ausland mit der Vergiftung von Ungeziefer gleichsetzen, so dient dies auch dazu, zivilisatorische Normen umzustossen. Von Kaliningrad bis Wladiwostok soll niemand durchschauen, was Russlands Krieg ist: eine Barbarei epochalen Ausmasses.

Dies beantwortet aber nicht die Frage, was der Drahtzieher dieses Irrsinns im Schilde führt – und wie weit er gehen will. Die kurze Antwort lautet: so weit, wie man ihn lässt. Putin wird seine Aggression fortsetzen, bis er gestoppt wird und erkennt, dass er auf dem Kriegspfad mehr zu verlieren als zu gewinnen hat.

Seine Äusserungen, vor allem aber sein Handeln gibt wichtige Aufschlüsse. Zwar strotzt auch Putins Rhetorik von Absurditäten, die die Frage aufwerfen, ob kühle Demagogie dahintersteckt oder fortgeschrittener Wahnsinn. Ohne Wimpernzucken verkündete der Diktator diesen Monat, Russland kämpfe in der Ukraine für die «Freiheit der gesamten Welt». Sein Land zähle zur Avantgarde einer Bewegung für eine gerechtere internationale Ordnung – blanker Hohn aus dem Mund eines Mannes, der das Völkerrecht mit Füssen tritt und Leid über Millionen unschuldiger Menschen gebracht hat.

Aber jenseits solcher Propagandafloskeln sind bei Putin inhaltliche Konstanten erkennbar. Erstens leugnet er beharrlich die Existenz einer ukrainischen Nation. Dass es sich um ein Volk mit eigener Geschichte, eigener Sprache, anderen Mentalitäten und einem ausgeprägten Selbstbehauptungswillen handelt, will er nicht wahrhaben. Daher ist es eine Illusion, zu glauben, es gehe um einen blossen Territorialstreit, den man mit einem Kompromiss beilegen könnte. Putin wird sich mit einem Gebietsstreifen im Osten nicht zufriedengeben. Sein Plan ist die Auslöschung der Ukraine als freiheitlicher Staat ausserhalb der russischen Machtzone.

Siegesgewiss hat der Kreml nun die alten Ziele nochmals bekräftigt: «Entnazifizierung» – gemeint ist der Sturz der demokratisch gewählten Regierung in Kiew – und «Entmilitarisierung», die Auflösung der ukrainischen Streitkräfte. Hinzu kommen masslose territoriale Forderungen: Putin erhebt Anspruch auf die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste und indirekt auf einen Grossteil des übrigen Landes. Er gibt zu verstehen, dass er die restliche Konkursmasse, darunter einige im 20. Jahrhundert der Sowjetukraine angegliederte Gebiete im Westen, grosszügig den Nachbarn Polen, Ungarn und Rumänien überlassen könnte. Es wirkt, als hätten solchen Teilungsplänen Hitler und Stalin Pate gestanden.

Aus Putins Äusserungen geht auch hervor, was das ukrainische Volk unter seiner Herrschaft zu erwarten hätte: gewaltsame Russifizierung, ideologische Umerziehung, Vernichtung der einheimischen Eliten. In den besetzten Gebieten im Südosten geschieht dies bereits jetzt. In Moskauer Schubladen liegen zudem Vorschläge für die Umsiedlung von mehreren Millionen Ukrainern nach Sibirien – auch dies eine Idee im Geiste Stalins.

Eine zweite Konstante Putins besteht in der Kampfansage an den Westen. Der Kreml zeichnet das Bild einer epischen Konfrontation mit Amerika und seinen Verbündeten, die weit über die Ukraine hinausreicht. Unablässig hämmert Putin seiner Bevölkerung ein, dass der Westen die Zerstückelung und Ausbeutung Russlands vorhabe. Es ist eine Propagandalüge, an die das Regime offenkundig selber nicht glaubt. Anders ist nicht zu erklären, weshalb Russland seit 2022 den Grossteil seiner Truppen an der Grenze zu Finnland, Norwegen und zum Baltikum abgezogen und in die Ukraine verlegt hat. Wäre Putin wirklich davon überzeugt, dass die Nato Russland überfallen möchte, würde er seine Grenzen nicht entblössen.

Zur Manipulation der eigenen Bevölkerung eignet sich die Fiktion vom böswilligen Westen jedoch gut. Das Regime kann damit jede Schuld am gigantischen Blutzoll im Ukraine-Krieg, an den Sanktionen und den explodierenden Militärausgaben von sich weisen und sie als von aussen erzwungene Übel darstellen. Putin vermag sich zugleich als Führer in einem nationalen Überlebenskampf zu inszenieren.

Krieg und Konfrontation dienen daher, drittens, hauptsächlich einem innenpolitischen Zweck. Seit seinem Aufstieg in den Kreml vor 24 Jahren während des zweiten Tschetschenienkrieges hat Putin die Erfahrung gemacht, dass sich damit die Macht absichern lässt. In den letzten Jahren wurde die Notwendigkeit aussenpolitischer Abenteuer zur Legitimierung der Kreml-Herrschaft immer grösser. Denn wirtschaftlich kann der Staatschef wenig vorweisen – Russland wird zunehmend abgehängt, von Amerika ohnehin, aber auch von wichtigen Schwellenländern.

Ein echter Frieden mit Russland ist daher illusorisch, solange Putin an der Macht bleibt. Eine aggressive, imperiale Politik ist das eigentliche Lebenselixier seines Regimes. Selbst wenn er wollte, gibt es für ihn keinen Weg zurück zu Kooperation mit dem Westen. Eine solche Kehrtwende wäre der Bevölkerung nicht zu vermitteln, und ohne die staatlichen Finanzspritzen in die Rüstung würde der Wirtschaftsmotor vollends abgewürgt. Viel naheliegender ist es für den Kreml deshalb, die Konfrontation weiter zu schüren und den Einsatz noch zu erhöhen.

Nach den horrenden Verlusten der russischen Armee – schätzungsweise 300 000 Getötete und Verletzte – könnte man meinen, dass selbst Putin an seiner Kriegspolitik zweifeln müsste. Aber nichts deutet darauf hin. Proteste hat er nicht zu befürchten, sein Repressionsapparat scheint alles im Griff zu haben. Trotz Sanktionen, Kapitalflucht und dem Exodus von Investoren ist der wirtschaftliche Kollaps ausgeblieben. Putin dürfte sich am längeren Hebel fühlen.

Er hat die Rüstungsindustrie erfolgreich angekurbelt, während der Westen Mühe bekundet, die Munitionsproduktion rasch genug hochzufahren. Das Reservoir an Soldaten ist in Russland grösser als in der bevölkerungsmässig nur ein Viertel so grossen Ukraine. Nicht zuletzt winkt dem Kreml die Chance einer Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus. Das Ende der amerikanischen Militärhilfe an die Ukraine und eine Existenzkrise der Nato wären dann ein realistisches Szenario.

Obwohl Russland wirtschaftlich vergleichsweise ein Zwerg ist, untergräbt es die Sicherheit des ganzen Kontinents. Seine ökonomische Schwäche macht Putin mit grösserer Entschlossenheit und krimineller Energie wett. Systematisch plant er für einen langen Krieg. Der Westen dagegen hat die Zeitenwende verschlafen, verwehrt der Ukraine wichtige Waffensysteme, duldet die Umgehung der Russland-Sanktionen und begnügt sich in Europa mit Armeen, denen die Munition nach wenigen Wochen Krieg ausginge.

Unterschätzt werden noch immer die Folgen eines Zusammenbruchs der Ukraine – riesige Flüchtlingsströme, ein Vorrücken russischer Truppen nach Mitteleuropa und ein Signal an die ganze Welt, wie wertlos westliche Hilfsversprechen sind. Selbst ein sofortiger Waffenstillstand brächte keine Abhilfe, denn Putin würde ihn nutzen, um seine geschwächte Armee zielstrebig auszubauen. In einigen Jahren wäre Russland dann bereit, auch Nato-Gebiete wie das Baltikum zu bedrohen.

Ein lange Zeit verschmähtes Wort muss daher wieder salonfähig werden: Abschreckung. Amerika und Europa können den Frieden nur sichern, wenn sie Regelbrecher wie Moskau und Peking vor Angriffen zurückschrecken lassen. Das wird teuer werden, nachdem man die nötigen Investitionen in die Verteidigung und die Rüstungsindustrie zu lange hinausgeschoben hat. Der am wenigsten schmerzhafte Weg führt weiterhin über die Ukraine: Je schneller und umfassender dieses Land die nötige Hilfe gegen Russland erhält, desto eher lässt sich das Kalkül des Kremls durchkreuzen.



Aus:"Kommentar: Zwischen Grössenwahn und eiskaltem Kalkül: Putin plant einen langen Krieg" Andreas Rüesch (29.12.2023)
Quelle: https://www.nzz.ch/meinung/russland-gegen-ukraine-putin-plant-einen-langen-krieg-ld.1772254

QuoteAlfons Widmer

Sachliche realistische Analyse. Jetzt stelle man sich eine Beurteilung desselben Gegenstandes von Roger Köppel bzw. der WELTWOCHE vor!


QuoteMartin Rust

Würde ich gern lesen.


QuoteL. M.

Bin bei ihnen, Herr Widmer, eine gute Analyse von Herr Rüesch.

Bezüglich Roger Köppel:

Köppel ist tragisch. Er war mal eine interessante, andere Stimme, die vieles, was in der EU sicherlich schiefläuft, frühzeitig verstanden und in die gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz gebracht hat. Ich denke die Schweiz hat davon profitiert.

Inzwischen lebt er mit seiner Weltwoche allerdings davon, den Systemhass der Verqueerdenker zu bewirtschaften, und mit dem Schritt zum Putin-Versteher hat er endgültig den Platz des freiheitsliebenden kritischen Denkers aufgegeben.


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Quote[...] Der Journalist Köppel ist zwar seit 2015 Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Nationalrat. Doch richtig heimisch, so wirkt es bis heute, ist der 57-Jährige im Bundeshaus in Bern nicht geworden. Er fehlt oft, schon zwei Mal hat ihn das Boulevardblatt Blick zum "Absenzenkönig" im Nationalrat gekürt. Er sei "ein hoch engagierter Unternehmer einer erfolgreichen Firma" und eben kein reiner Berufspolitiker, rechtfertigte sich Köppel, der im Hauptberuf Verleger und Chefredakteur der Weltwoche ist. Das einst eher linksliberale Magazin hat sich unter seiner Führung zum Sprachrohr der Schweizer Rechtspopulisten entwickelt. ...


Aus: "Streitbarer Köppel verlässt die Politik" (4. März 2023)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/roger-koeppel-schweizer-nationalrat-politik-abschied-weltwoche-chefredakteur-1.5762667

QuoteRoger Jürg Köppel (* 21. März 1965 in Zürich; heimatberechtigt in Küsnacht und Widnau) ist ein Schweizer Journalist, Medienunternehmer, Publizist und Politiker (SVP). Seit 2001 ist er Chefredaktor des Wochenmagazins Die Weltwoche, mit einem zweieinhalbjährigen Intermezzo als Chefredaktor bei der bundesdeutschen Tageszeitung Die Welt (2004–2006), seit 2006 auch Verleger. Von 2015 bis 2023 war er Mitglied im Schweizer Nationalrat. ... Am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 titelte die Weltwoche mit der Schlagzeile «Putin, der Missverstandene».[35] Unter dem Titel «Kleine Psychologie der Putin-Kritik» schrieb Köppel in der Weltwoche, Putin werde «von Journalisten und Intellektuellen» gehasst, «weil er für all das steht, was sie ablehnen, verteufeln und was deshalb nicht sein darf: Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen». Putin entlarve, so Köppel, «den hohlen Moralismus seiner Gegner. Und die Dekadenz des Westens». Durch das Auffahren seiner Panzerdivisionen habe Putin klargemacht, es gebe «da draussen doch noch so etwas wie eine harte Wirklichkeit der Tatsachen, nicht nur das eingebildete Metaversum der ‹Diskurse› und ‹Narrative›, mit denen man sich die Welt so zurechtlegt, wie man sie gerne hätte. Vielleicht, hoffentlich, ist Putin der Schock, den der Westen braucht, um wieder zur Vernunft zu kommen». Laut Köppel ist Putin «nicht unser Feind», sondern «unser potenzieller Partner». ,,,

... Im Mai 2023 wurde Köppel für einen Besuch in Moskau kritisiert, bei dem er unter anderem den Propagandisten Wladimir Solowjow und die für Kriegsverbrechen sanktionierte Marija Lwowa-Belowa interviewte. In der Weltwoche hatte Köppel Ende April 2023 über seinen Aufenthalt in Moskau — dem, wie er es nannte, «Epizentrum des angeblich Bösen» — geschrieben: «Mediterrane Unbeschwertheit herrscht, Fröhlichkeit in überfüllten Restaurants, aber auch Ordnung und Sauberkeit beeindrucken, freundliche Polizisten, keine Klima-Vandalen.» Vielleicht, so Köppel, komme «der Hass auf Russland auch daher, dass sich die Russen einfach dem Wahnsinn verweigern, der unsere westliche Welt zugrunde richtet: grüne Ideologie, politkorrekte Meinungsverbote, Gender-Irrsinn, Zertrümmerung der Familie, Verwahrlosung des Rechtsstaats, blinder Gehorsam gegenüber den USA. Sind die Russen heute die besseren, die wahren Europäer? Nach einem Besuch in ihrer Hauptstadt könnte man es fast meinen.» ...

https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_K%C3%B6ppel (30. Dezember 2023)

Link (Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 30. Dezember 2023 um 05:48):
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Roger_K%C3%B6ppel&oldid=240655127

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QuoteDietmar Wandel

Wer sich mit der Geschichte der Ukraine beschäftigt, dazu sind offenbar viele Kommentatoren nicht fähig, muss zweifelsfrei feststellen, dass dieser Krieg hätte vermieden werden können (Stichwörter: Regime-change eines gewählten Janukowitsch, Maidan wird nicht aufgeklärt, Frau Nuland - fu... the EU, usw). 

Der Hass auf Putin vernebelt offenbar den Blick auf Leid und Tod  und Zerstörung, statt dem Frieden eine Chance zu geben.


QuoteJ. S.

Die Ukraine ist eine unabhängige Demokratie, was man in Russland nicht begreifen kann oder will. Tatsache ist: Russland hat sein perfekt völkerrechtlich unabhängiges Nachbarland aus imperialistischen Gründen überfallen und mordet und zerstört dort.


QuoteHelmut Biely

Ja, weiter als Vasallenstaat von Putins Gnaden hätte der Friede der Ukraine aufrecht erhalten werden können. Dummerweise ,,der Friede eines Kirchhofs", den die Ukrainer nicht wollten. ...


QuoteS. O.

Papiertiger hüben wie drüben. Eigene Söhne oder sich selber wird man nicht an die Front stellen. Da werden nur Bauern geopfert.



QuoteM. S. S.

Herr Rüesch schreibt für die NZZ aus der neutralen Schweiz über Grossmachtpolitik. Das ist bemerkenswert. Bei der NZZ hat man die Neutralität leider längst abgeschrieben, obwohl sie im Volk weiterhin tief verankert ist. NATO- und EU-Beitritte sind als strategische Ziele eigentlich bereits festgelegt, obwohl diese Vorhaben im Volk chancenlos sind. Bedauernswert ist das in der Tat. Wir sind heute konfrontiert mit zunehmenden Rivalitäten zwischen den Grossmächten (USA, Russland, China). Die Hegemonie der USA wird herausgefordert. Diese Rivalitäten können grundsätzlich in grösseren Kriegen ausarten. Die Schweiz muss als Kleinstaat neutral bleiben, immerwährend und bewaffnet. Sonst werden wir in solche Kriege mit hineingezogen. Dazu gehört eine rasche und massive Aufrüstung der Armee. Ebenso hätte das Kriegsmaterialgesetz längst angepasst werden müssen. Militärische Abschreckung ist notwendig, das ist richtig. Realpolitik und Interessenspolitik anstelle einer wertebasierten Aussenpolitik ist ebenso wichtig. Mit Russland wird man verhandeln müssen, daran führt kein Weg vorbei.


QuoteUlrich Amstutz

Das Fazit des Kommentars ist - leider! - genau richtig: unser Kontinent ist zurück in einem kalten Krieg, Europa und Amerika müssen mögliche Agressoren genügend abschrecken können.

In Korea ist der kalte Krieg gar nie zu Ende gegangen, er dauert dort seit bald 75 Jahren ununterbrochen an. Was soll eigentlich werden, wenn Russland den Weg Nordkoreas einschlägt?

Russland kann dann nicht "besiegt" werden, höchstens zurückgedrängt, weil die fortgesetzte Konfrontation Bedingung zum Machterhalt geworden ist. Wenn die zu Sowjetzeiten doch meistens einigermassen rationale Kalkulation des Verhältnisses von Zwecken, Zielen und Mitteln entfällt, wenn die unsäglichsten Lebensbedingungen der eigenen Bevölkerung akzeptabel sind zwecks Machterhalt der Elite, wenn alle politischen und humanitären Skrupel aus der russischen Politik dauerhaft verschwinden sollten, dann muss wie an der innerkoreanischen Grenze mit dauernden Provokationen und einem jederzeit möglichen Grosskrieg gerechnet werden, sollte die Abschreckung durch den Eindruck einer Schwäche versagen.

Der kalte Krieg droht in seiner extremsten Ausprägung zu uns zurückzukehren, nämlich in Form eines brüchigen, instabilen Waffenstillstandes, der jederzeit gebrochen werden könnte.

Deshalb ist es so entscheidend, die Ukraine vorbehaltlos zu unterstützen: Keinesfalls schwach erscheinen!

Wer auf den Sachverhalt hinweist, ist deswegen keine Kriegsgurgel. Es löst kein Problem, das Seismometer für das Erdbeben verantwortlich zu machen.


QuoteBjörn Andersson

Russland muss auch nicht "besiegt" werden, eine Minderheit der Russen ist ja gegen Putin und der brain-washed andere Teil wird "einmal" erschreckt aufwachen, wie damals die glühenden Anhänger der Nationalsozialisten in Reue wieder Gutmachung gelobten.

Das Z-Terror Regime Putins muss eliminiert werden und Russland wird wie einst die UDSSR zerfallen, diesmal in autonome Staaten ggf. Staatenbündnisse einzelner der 160 verschiedene Völker in Russland.

Die Atomwaffen wird Ex-RuZzia abgeben und bekommt im Kiewer- Memorandum von USA, GB, F und Ukraine zugesichert, künftig nicht Angegriffen zu werden.


QuoteUlrich Amstutz

Das wäre gut, Herr Andersson. Bin da leider nicht so optimistisch:

Deutschland wurde erst im 2. WK in dem Sinne besiegt, dass der überwältigende Teil der Bevölkerung die Niederlage auch anerkannte. Nach dem 1. WK standen die Dolchstosslegende von der "im Felde unbesiegten Armee" und verständliche Wut über den Versailler Vertrag bei Teilen der Bevölkerung der Erkenntnis im Weg, eben militärisch "ganz" verloren zu haben und ev. mit Vorteil teilweise umzudenken.

Angesichts der Weitläufigkeit Russlands halte ich eine formelle Besatzung, wie in Deutschland nach 1945, für illusionär. Diese wäre Voraussetzung für ein "Erwachen" der Z-ler. Imperiale Überlegenheitsgefühle weichen nicht ohne Not.

Es erscheint fraglich, ob durch die Entfernung Putins eine andere russische Politik erreicht würde. Das ist ein Krieg der meisten Russen, nicht nur Putins.
Die Veränderung muss viel grösser ausfallen, als nur den "Zaren" auszutauschen. Ohne Besetzung glaube ich nicht an den nötigen Austausch tonangebender Kreise.
Die KGBler Putins haben 1989 überstanden.

Die Gewalt ist in Russlands Gesellschaft und Politik endemisch. Seit Peter dem Grossen erwartet Westeuropa eine "baldige" "Modernisierung" des Landes, wirtschaftlich, gesellschaftlich, geistig. Wir warten seit 300 Jahren.

Russland ist autokratisch geblieben, eine Trennung von Kirche und Staat fehlt, Andersdenkende werden als Abweichler in die Wildnis verbannt, eine Entwicklung hin zu mehr Toleranz oder Demokratie setzt sich nicht durch.


QuoteBjörn Andersson

für alle Putin Verseher: Kriege von RuZzia - State Sponsors of Terrorism

1953 Niederschlagung Aufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR

1956 Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstands

1968 Niederschlagung des Prager Frühlings

1969 Chinesisch-Sowjetischer Grenzkrieg

1974–1991 Militärische Unterstützung des kommunistischen
Regimes im äthiopischen Bürgerkrieg

1975–2002 Unterstützung der MPLA im angolanischen Bürgerkrieg

1977–1978 Unterstützung Äthiopiens im Ogadenkrieg gegen Somalia

1979–1989 Militärintervention in den Afghanischen Bürgerkrieg

1991–1992 Georgisch-Südossetischen Krieg 1994–1996 Erster Tschetschenienkrieg

1999–2009 Zweiter Tschetschenienkrieg

1999 Dagestankrieg

2008 Militäreinsatz im Kaukasuskrieg (Seite südossetischer Rebellen)

2014 Invasion und nachfolgende Annexion der Krim & bis heute Terror Einsatz in der Ostukraine

2015 Militärischer Eingriff auf Seiten der Regierung Syriens im Syrischen Bürgerkrieg

2018 bis heute Militärische Unterstützung des Kampfes gegen die libysche Regierung auf Seiten Marschall Haftars mit Wagner-Söldnern der GRU

2019 bis heute Militärische Unterstützung des Kampfes gegen die Ahlu Sunnah Wa-Jama in Mosambik mit Wagner der GRU

2020 bis 2023 Truppen in Bergkarabach, Aserbaidschan

02.2022 Überfall auf die Ukraine (terroristicher Angriffskrieg)

23.11.2022 Russia official declared as "state sponsor of terrorism"

17.03.2023 Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erlässt Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen  


QuoteDietmar Wandel

Für die Kriegsrhetoriker fehlen mir in Ihrer Aufstellung die Angriffskriege und Regime-changes der USA und NATO (Serbien). Deren Folgen für die Welt, insbes. Europa (Migration) haben schwer wiegende  Schwierigkeiten gebracht.


QuoteBjörn Andersson

sie hätten als lieber...

- den Genozid von Serbien an Bosnien weiter laufen lassen, dien NATO nicht invernieren lassen? ...

- Saddam Hussein weiter mit Giftgas Anschlägen tausende Kurden (Kinder, Zvilisten) und auch eingene Landsleute ermorden lassen? ...

etc. etc. etc.


QuoteRenate Storz

Billige Rechtfertigung eines Angriffskrieges, der ein Land zerstört hat und das heute im Chaos versinkt. Wie stehen Sie zu den Folterungen von Kriegsgefangenen der USA nicht im eigenen Land, sondern in Osteuropa?


QuoteChristof Schweiger-Cociani

Einseitige Darstellungen erwecken grundsätzlich den Eindruck der Parteilichkeit.


QuoteHeinz Gamber

Es kommt selten vor, dass ich einen Artikel nicht zu Ende lese. Dieser Artikel ist so voll mit Unwahrscheinlichem und USA Propaganda, besser könnte es Göbels nicht. Mir wurde es richtig schlecht beim lesen. Unverständlich für mich, dass eine neutrale Weltzeitung wie die NZZ so einen Artikel veröffentlicht. SCHANDE!


QuoteK. L.

... Ich kann es nur wiederholen: der Vorstoss gegen Osten war ein schwerer Fehler und zeugt von unfassbarer Verantwortungslosigkeit unserer Eliten. Die Schäden sind bereits immens und werden sich wohl noch vervielfachen. Wer 2014 nicht begriffen hat, dass wir die roten Linien der Russischen Föderation definitiv erreicht haben, ist einfach schwachsinnig oder kriminell inkompetent.


QuoteGünther Anderer

Putins rote Linien sind für Sie also der Maßstab? Das nenne ich mal Linientreue.


QuoteTom Harst

Die Spaltung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiss. Farbe ist nach transatlantischer Leseart offenbar nur noch bei den vom ,,Wertewesten" weltweit provozierten Regimewechseln und im Rahmen der Genderideologie vorgesehen. Schöne neue Welt.


QuoteM. K.

Ruesch und seine Apologeten merken offenbar nicht, wie sehr sie sich im Geiste Putin schon angenähert haben. Wenn die Droge Krieg nicht mehr genug wirkt, dann wird halt vom totalen Krieg phantasiert, hueben wie drüben. Und jeder blendet die eigenen Verluste aus. Und überhöht die angeblichen Kapazitäten des Gegners. Anstatt ein nur paar Besoffene zu zitieren, wäre es doch angebracht, zu fragen, wie Putin denn das alles erreichen will. Schon jetzt gibt es ja Bewegungen russischer Mütter, die ihre Söhne zurückwollen, etc, etc. Das einzig schöne am Krieg ist, dass er irgendwann zu Ende ist. Und weil die beiden Seiten ja voneinander leben: Das einzig schöne an der Kriegsberichterstattung ist, dass sie einmal zu Ende ist. Putin wird verschwinden, und Ruesch dann wieder über Raubüberfälle in Oerlikon berichten.


QuoteMargot Helmers

Herr Rüesch tickt immer gleich, präzise wie eine Schweizer Uhr. Der deutsche Philosoph Georg W. F. Hegel: ,,Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen." Nur ist das mit den Lügen im Informationszeitalter immer schwieriger geworden, mit dem Translator kann man heute jede Zeitung der Welt lesen. Um zu glauben das Russland ein Nato-Land angreifen, ja gar bis Portugal durch maschiert braucht man schon  einen IQ einer asiatischen Stechmücke. Die Ukraine hatte diese Woche von den USA die letzten Unterstützungs-Gelder von 250 Millionen US$ für 2023 bekommen, es heisst Herr Selensky hatte das kühl entgegen genommen, so die Washington Post. Herr Selensky fordert (!!) für nächstes Jahr mindestens 23 Milliarden, ansonsten könnten keine Renten an die 10 Millionen Rentner, keine Gehälter an die 1,4 Millionen Lehrer und 500'000 Beamte ausgezahlt werden. Woher soll das Geld kommen? 2024 sind Wahlen in den USA, die Mehrheit der Amis will keine weiteren Milliarden an ein korruptes Land pumpen, entsprechend sind auch u.a. deswegen die Zustimmungswerte für Biden im Keller. Und wenn  der Schweflige wieder Präsident wird, dann ist sowieso fertig.


QuoteJürg Simeon

Für Lügen sind Sie bekannt, als Sie behaupteten die Ukrainer setzen Kindersoldaten ein. Ich bin erstaunt dass Ihr Konto noch nicht gesperrt ist.


QuoteM. M.

Inzwischen dürften auf ukrainischer , als auch russischer Seite ganze Jahrgänge junger Männer gestorben sein in einem sinnlosen Krieg.
Es wäre Zeit Frieden zu machen .
Einen Sieg der Ukraine halte ich für Wunschdenken , bar jeder Realität / Geschichtskunde.


QuoteM. T.

Bei allen sicher gut gemeinten Aufrufen zur Aufrechterhaltung der Hilfen für die Ukraine frage ich mich, wie realistisch das ist. 20 Jahre Kampf in Afghanistan gegen die Taliban, dort wo angeblich auch die Bundeswehr die Freiheit Deutschlands verteidigt hat, war letztlich ein Desaster. Die Taliban sind heute an der Macht, mit unendlich viel Geld aus dem Westen und modernsten Waffen, geliefert vorwiegend von den Amerikanern. Ich befürchte, dass sich dieses Desaster auch in der Ukraine wiederholen wird.


QuoteAdrian Wehrli

Die russen wurden in Afghanistan so verhauen wie heute in der Ukraine. Die Geschicht zeigt: Russland als Besatzer, hat keine Chance.


QuoteMarkus Henny

Die Engländer glaube ich auch mal.


QuoteM. T.

Ja auch, richtig. Und die Amerikaner haben das Interesse verloren. Das wird auch in der Ukraine früher oder später der Fall sein. Und zum Problem Europas werden. Keine guten Aussichten.


QuoteHans Rudolf Fischer

Langsam dämmert es: Es gab leider keine Strategie und keine Roadmap für die Vermeidung oder Minimiren von Menschenopfer und Schäden an Haus und Land für den sich seit langem abzeichnenden Konflikt. Aber trotzdem wäre es für die Ukraine nicht besser gewesen, wenn sie kampflos geblieben wär, aber mit mutigem und zähen organisiertem zivilen Ungehorsam, den Okkupanten das Leben so schwer zu machen und zivile Unruhe stiften, bis diese Verhaltensart auch nach Russland überschwappte. Geistige Landesverteidigung und Provokationen, welche Russland erhebliche Kosten und Schwierigkeiten bereiten, gesellschaftlich, ideell und kulturell. Dieser Ungehorsam als intellektuelle Kriegsführung würde auch in Russland zu Unruhen und Umstürzen führen. Dies eben als alternative Strategie zur Landesverteidigung mit Waffen, welche das Land in Schutt und Asche setzt und der zwangsweisen Zurückhaltung von Männern in wehrfähigem Alter , welche zu schmerzhaften und irreparablen Trennungen unter den Flüchtenden führt. Dies als Alternative zum Kampf, Schutt und Asche. Dazu haben wir uns im Westen zu wenig vorbereitet. Im übrigen, auch Putin lebt nicht ewig oder wird bald ersetzt werden. Waren wir blind, taub oder zu viel mit uns selber beschäftigt? ...


QuoteRainer Keil
vor 2 Tagen
(Bearbeitet)
Zu H.R.Fischer,

"wäre es für die Ukraine nicht besser gewesen, wenn sie ... mit mutigem und zähen organisiertem zivilen Ungehorsam ... zivile Unruhe stiften, bis diese Verhaltensart auch nach Russland überschwappte":

Danke für Ihren unkonventionellen Beitrag.

Wer sich einst mit "Soziale Verteidigung" befasst hat

(vgl.
Theodor Ebert,
Soziale Verteidigung,
Waldkirch 1981),

wird nicht wg. d. Gründe, die für sie sprachen, sondern angesichts nur teilw. ermutigender, insgesamt ernüchternder empir. Erfahrungen

(vgl. ber.d.Studie
Anders Boserup, Andrew Mack,
Krieg ohne Waffen? Studie über Möglichkeiten sozialer Verteidigung. Kapp-Putsch 1920 / Ruhrkampf 1923 / Algerien 1961 / ČSSR 1968,
A.d.Dänischen v. H.Kulas u. J.Mez,
Reinbeck bei Hamburg
1974/1983)

v. a. bei totalitären oder autoritären Aggressoren eher skeptisch.

Trotzdem erscheint mir Ihr Beitrag wichtig:

Es gibt, wenn ich recht sehe, zwei große Fehler, von denen ich meine, dass wir sie mit Blick auf gewaltlosen bürgerl. Widerstand von Menschen in der Ukraine gegen den Angriffskrieg und seine aggressiven und demokratiefeindlichen Konsequenzen machen können und vermeiden sollten:

1. Illusionen darüber, was diese Art von Widerstand leisten kann (ernste Alternative?);

2. Ignorieren, was möglich & längst erfolgr. durchgeführt worden ist. Weithin ignorierte Informationen aus der Frühzeit des Angriffskriegs sind zu finden über

[The International Catalan Institute for Peace is a research, dissemination and action organization created by the Parliament of Catalonia in 2007 to promote peace in Catalan society and internationally and make Catalonia play an active role as an agent of peace in the world.] Since the beginning of the Russian invasion of Ukraine, Ukrainian civil society has spontaneously and courageously organized to counter the military occupation through hundreds of nonviolent actions, including civil disobedience, road blockades, civilian evacuation or communication campaigns. The report Ukrainian Nonviolent Civil Resistance in the Face of War, prepared by Professor Felip Daza within the framework of a joint ICIP and Novact project, examines the Ukrainian nonviolent civil resistance between February and June 2022 to identify the organizational dynamics and the characteristics of the different actions, their evolution and the impacts and supports they have achieved.
The document analyses 235 nonviolent civil resistance actions shown on an interactive map. It includes a set of recommendations addressed to governments and Ukrainian and international civil society to strengthen nonviolence to transform conflicts.

https://www.icip.cat/en/publication/ukrainian-nonviolent-civil-resistance-in-the-face-of-war/ .


QuoteK. G.

Sie können es ja mal gleich selbst probieren. Z B nach Moskau fliegen, dann vor dem Kreml eine weisse Fahne schwenken.


...

Link

Quote[...] MOSKAU taz | So sieht einer aus, der sich politisch unangreifbar fühlt. Wladimir Putin tritt am Sonntag kurz vor Mitternacht, nachdem die Wahllokale quer durch Russland seit Stunden geschlossen sind, ans Rednerpult im Moskauer Gostiny Dwor und spricht plötzlich den Namen aus, den er Jahre bewusst nicht in den Mund genommen hatte, den Namen seines größten politischen Widersachers: Alexei Nawalny. Nun, da dieser tot ist, erlaubt sich Putin einen Kommentar. Es sei ,,immer ein trauriges Ereignis", wenn einer aus dem Leben gehe. Mit gewohntem Zynismus fährt der 71-Jährige fort: ,,Wir hatten auch andere Fälle, bei denen Menschen in Gefängnissen aus dem Leben schieden. Hat es das etwa in den USA nicht gegeben?"

Kurz nachdem klar geworden ist, dass Putin bei seiner inszenierten Präsidentenwahl mehr als 87 Prozent bekommen hat, ein ,,historisches" Wahlergebnis, wie die Wahlkommissionsleiterin Ella Pamfilowa es am Montagmorgen nennt, arbeitet sich der Kreml-Herrscher weiter an den USA ab. Denn genau darum geht es Putin: seinen geradezu zu einem Epos stilisierten Kampf gegen den Westen. Russland sei sich einig darin, das zeigen für Putin die Wahlergebnisse, dass es zusammenstehe, um seine Einzigartigkeit und Einmaligkeit zu bewahren.

Die Wahl, so manipuliert, unfrei und unfair sie auch abgelaufen sein mag, gibt dem alten und zugleich neuen Präsidenten noch mindestens sechs weitere Jahre, sich als Oberkrieger zu fühlen, im Kampf in erster Linie gegen die Ukraine, vor allem aber gegen den Westen, den der Kriegsherrscher als dekadent betrachtet. Die 87 Prozent erlauben ihm eine weitere Radikalisierung, nach außen so auch nach innen.

Der Kreml verkauft erfolgreich die Mär von einer ,,konsolidierten Gesellschaft" und lässt es bewusst beiseite, wie gespalten diese Gesellschaft ist. Die Rechte seiner Untertanen sind für das Regime Putin reine Verfügungsmasse. Will jemand zum politischen Subjekt werden, wird er ausgelöscht, manchmal ist das – Beispiel Nawalny – wörtlich gemeint.

Am Sonntag stellten sich in vielen russischen Städten Tausende von Menschen in Schlangen vor Wahllokalen, um den Mächtigen zu zeigen: ,,Wir sind da, und wir sind unzufrieden." Für den Kreml sind diese Menschen lediglich ,,Verräter*innen" und ,,Extremist*innen". Die Aktion habe ,,keinen wirklichen Effekt" gezeigt, lässt Putin im Gostiny Dwor mitteilen.

Für diese Unzufriedenen dürfte es in den kommenden Jahren noch unangenehmer werden, denn der Staat fordert ganz klar ,,die Einheit des Volkes" ein: ein Land, ein Präsident, eine Meinung. Es gibt kaum kritische Medien im Land, es gibt keine organisierte Opposition. Bereits an den drei Wahltagen gab es mehr als 70 Festnahmen wegen ,,Störung des Wahlverfahrens".

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Aus: "Die 87-Prozent-Inszenierung" Inna Hartwich (18.3.2024)
Quelle: https://taz.de/Praesidentschaftswahl-in-Russland/!5998718/