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[Klaus Theweleit (Notizen) ... ]

Started by Link, November 18, 2015, 10:11:11 AM

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Klaus Theweleit (* 7. Februar 1942 in Ebenrode, Ostpreußen – heute Nesterow, Russland) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Schriftsteller.
http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Theweleit

Studium der Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaft in Kiel und Freiburg. Dissertation: ,,Freikorpsliteratur; Vom deutschen Nachkrieg 1918−1923" von 1977 war die Grundlage für das zweibändige, extensiv und ungewöhnlich bebilderte Buch Männer-phantasien, eine stark an Konzepten der Psychoanalyse und von Gilles Deleuze und Félix Guattari orientierte Untersuchung des faschistischen Bewusstseins und der soldatischen Prägung des Ich. Das Buch untersucht soldatische und faschistische Literatur und stellt die – immer wieder aktuelle – Frage, wie ein Mensch zu einem Nazi oder einem tötungsbereiten Soldaten werden kann.
http://www.klaus-theweleit.de/


Theweleit: ,,Rock'n'Roll hat uns befreit!"
21.10.2010 | 18:32 |  CHRISTOPH WEINBERGER (Die Presse)
Theweleit: Die reale Befreiung kam 1955 auf Plattentellern – nicht mit den Panzern 1945. Die Nazis waren schließlich noch da: Sich von den Eltern zu lösen gelang erst mit Elvis und Chuck Berry. Das meine ich nicht einmal metaphorisch, sondern ganz wörtlich: Die neuen Stimmen aus dem Radio übertönten die alten, autoritären. Selbst diejenigen, die man in der Schule für angepasste Idioten hielt, hörten diese Musik mit Begeisterung. ...
http://diepresse.com/home/kultur/literatur/604161/index.do?from=suche.intern.portal

Sven Reichardt: Klaus Theweleits ,,Männerphantasien" – ein Erfolgsbuch der 1970er-Jahre
Heft 3/2006 Aufsätze
http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208708/default.aspx


Kristine Harthauer (16.9.2022) - Der Kulturtheoretiker und Autor Klaus Theweleit glaubt das nicht, er wünscht sich nur mehr Mut bei neuen Produktionen: ,,Die Filme, die man heute sieht, sind ja nicht schlecht gemacht. Das sind perfekt gemachte Filme, aber wir kennen eigentlich alles, was wir angeboten bekommen." Was wir jetzt im Kino oder auf Streaming-Plattformen gezeigt bekommen, sei immer ,,auf's Auge gehauen". Die Art von Kino, die Godard gemacht habe, nennt Theweleit: ,,Was man mit Augen nicht sehen kann. Godard gibt uns Einblick in verborgene Realitäten." ...
https://www.swr.de/swr2/programm/jean-luc-godard-ist-tot-stirbt-mit-ihm-das-kino-100.html

Klaus Theweleit über Pasolini, Godard und andere...
Das Interview entstand im Rahmen von "SCHAU-TV" - Ein Projekt der Schaubühne Lindenfels Leipzig - www.schaubuehne.com
Interview, Kamera1, Schnitt: Alexander Biedermann
Licht, Kamera2: Daniel Laudowicz
http://www.youtube.com/watch?v=vDXWKgcAXuc

"Warum Männer morden – und dabei auch noch lachen" Jan Ole Arps (November 17, 2015)
Die Anschläge in Paris haben uns grausam in Erinnerung gerufen, wie wenig auch ein hochgerüsteter westeuropäischer Polizeiapparat tun kann, wenn jemand entschlossen ist, mit möglichst kruden Mitteln möglichst viel Zerstörung anzurichten. Die Anschläge waren von langer Hand geplant und haben sicher einiges an Vorbereitung erfordert. Trotzdem waren sie (zum Beispiel im Vergleich zum 11. September 2001) relativ simpel. Um ein solches Blutbad anzurichten, braucht man keine komplizierten Bomben oder High-Tech-Waffen—das Wichtigste sind Menschen, die bereit sind, andere Menschen mit absoluter Brutalität hinzurichten.
Diese Brutalität hatte sich die Terrormiliz Islamischer Staat von Anfang an praktisch auf die Fahnen geschrieben. Die Exekutions-Videos gehörten genau so zum öffentlichen Bild der Gruppe wie ihre Flagge.
Aber an den Bildern, die der ,,Islamische Staat" um die Welt schickt, verstört nicht allein die brutale Gewalt gegen andere Menschen. Fast noch unverständlicher ist der Stolz, den die Mörder offensichtlich empfinden, wenn sie zum Beispiel einen abgeschlagenen Kopf in die Höhe halten. Es geht ihnen nicht nur um die reine Beseitigung eines Feindes—das Töten bereitet ihnen offensichtlich Freude.
Auch von Anders Behring Breivik, dem selbsternannten ,,Tempelritter", der 2011 auf der norwegischen Insel Utøya 77 Jugendliche und junge Erwachsene erschoss, berichten Überlebende, er habe beim Töten gelacht und laut gejubelt.
Warum lachen die Täter? Macht das Morden Spaß? Mit dieser Frage hat sich der Literaturwissenschaftler und Autor Klaus Theweleit in seinem Buch Das Lachen der Täter beschäftigt. ...

https://www.vice.com/de/read/warum-maenner-morden-und-dabei-lachen-102


nachtstudio |2012| Die Macht der Musik
Gäste in dieser Folge: Christian Lehmann, Albrecht Riethmüller,
Klaus Theweleit, Bernd Thewes.
https://youtu.be/aEW1Vdo0M0A


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#1
Klaus Theweleit im Gespräch mit Wolfgang Habermeyer. Sendung vom 29.3.2007. Prof. Dr. Klaus Theweleit war Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und Dozent am Institut für Soziologie der Universität Freiburg im Breisgau. Als Schriftsteller machte er 1977 mit dem Buch "Männerphantasien" Furore.
https://youtu.be/pClkxuD16ds

"Klaus Theweleit - Das Verschwinden der Realität"
Kurzinterview mit und Buchvorstellung von Klaus Theweleit, "Der Knall - Der 11. September und das Verschwinden der Realität"
https://www.youtube.com/watch?v=xAIezNWqSDA


"Klaus Theweleit: Männlichkeit im Wandel" (Published on Dec 1, 2014)
Patrick Catuz spricht Klaus Theweleit über die vermeintliche Krise der Männlichkeit, die Sinnhaftigkeit den Krisenbegriff zu bemühen, Männlichkeit im Wandel und die Rolle der Schulen.
https://www.youtube.com/watch?v=aPYCv2qTvmE


Klaus Theweleit (talk) - Second Order Television (german) [Published on Oct 4, 2013]
Vortrag von Klaus Theweleit über Musik, Hirnforschung  und Psychoanalyse.
https://www.youtube.com/watch?v=xAIezNWqSDA

absolute-Reihe
Die von Klaus Theweleit herausgegebene absolute-Reihe stellt Schlüsseldiskurse der Gegenwart
Ausgewählte Originaltexte von Denkerinnen
und Denkern wie de Beauvoir, Bourdieu, Flusser und McLuhan sind in eine vom jeweiligen Herausgeber exklusiv für diese Reihe verfasste Biografie eingebettet, welche Kontexte zu den Werkfragmenten liefert, ohne sie bevormundend zu interpretieren.
http://www.orange-press.com/programm/absolute.html

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"Was mir heilig ist,,Die Haut des anderen ist unantastbar"" Klaus Theweleit (22.12.2017)
,,Was mir heilig ist: Erst mal, ich würde diesen Begriff nicht benutzen, obwohl ich schon weiß, was damit gemeint ist. Also: heilig. Das ganze Leben hat sich ja theoretisch gedreht um die Erforschung von Gewalt, von Gewaltausübung, politische, persönliche Gewalt, faschistische Gewalt, dann untereinander. Und daraus hat sich so ein Satz gebildet, so wie es im Grundgesetz heißt oder bei den Menschenrechten: Die Würde des Menschen ist unantastbar, dass ich das übersetzen würde in, abstrakt, die Haut. Die Haut ist unantastbar, die Haut des anderen, der anderen ist zu respektieren. Der Nicht-Eingriff in den anderen Körper.
Und das gilt zuerst einmal für die Leute, mit denen man lebt, mit denen man liebt, die eigene Familie, die Freunde drumrum, dann aber auch eigentlich in allen Gruppen, in denen ich mich bewege. Ich könnte mich in keiner Gruppe bewegen, in der das nicht akzeptiert ist."
,,Und das sind dann, wie soll man sagen, die Beziehungen, die unantastbar sind, die auch nicht brechen sollen. Also ich habe in meinem Leben nicht sehr viele solcher großer Brüche, sei es in Liebschaften, sei es in Freundschaften, sei es mit Gruppen hinter mir, sondern was sich einmal herausgestellt hat als lebbar, liebbar, akzeptabel, das gilt. Davon abzuweichen auch selber im Verhalten, das wäre nicht nur ein Widerspruch, das wäre sträflich, das wäre eine Übertretung, die möglichst nicht passieren soll. Und das in den Zusammenhängen, was man macht mit Leuten.
Ich spiele zum Beispiel seit 1970/71 in einer Musikgruppe, die improvisiert, nach wie vor mit wechselnden und gleichbleibenden Personen, über Jahre sich trifft, und wir machen unsere Free Jazz-artigen Improvisationen, hören auch solche Musik. Also ein bestimmter Umgang mit Kunst, Film, Musik gehört dazu, die auch unverletzlich sind. Wenn jemand ankäme und sagen würde, Albert Ayler oder Sun Ra oder Hendrix sind musikalische Arschlöcher, dann war das das letzte Wort, das ich mit ihm gewechselt hätte." ...
https://www.deutschlandfunkkultur.de/was-mir-heilig-ist-die-haut-des-anderen-ist-unantastbar.1013.de.html?dram:article_id=406609

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"Deutsche Soldaten und ihr Hass auf Frauen" Matthias Heine (12.11.2017)
,,Männerphantasien" war als literaturwissenschaftliche Dissertation verfasst und an der Universität Freiburg mit ,,summa cum laude" bewertet worden. Literaturwissenschaftlich daran war, dass sein Autor Klaus Theweleit tatsächlich etwa 250 Romane der Zwanzigerjahre analysierte, die vor dem Hintergrund des 1. Weltkriegs und des ,,weißen" gegenrevolutionären Terrors spielten.
Was Theweleit dabei fand, waren – kurz gesagt – Männer, die eine abgrundtiefe Angst vor Frauen hatten, und die sich gegen diese Furcht körperlich und seelisch panzerten. Der Faschismus bot ihnen passende geistige und organisatorische Lösungen. Und er schuf die Möglichkeit, Ängste mit Gewalt abzureagieren.
... Heutzutage legen sich prekarisierte und von Prekarisierung bedrohte Männer einen praktisch völlig überflüssigen Fleischpanzer im Fitnessstudio zu. Und in der Welt des Militärs träumt man von metallischen Exoskeletten, die den Soldaten unverwundbar machen und ihm zugleich Superkräfte verleihen sollen. Ein Wiederlesen der ,,Männerphantasien" könnte da den ein oder anderen Erkenntnisgewinn bescheren – wenn das Buch verfügbar wäre.
https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article170548442/Deutsche-Soldaten-und-ihr-Hass-auf-Frauen.html

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Interview mit Klaus Theweleit über aktuelle Gewalt in Deutschland: "Diese Körper sind von Angst erfüllt" Georgios Chatzoudis (18.09.2018)
Die Bilder von Männern, die Menschen durch eine Stadt jagen, die sie zuvor als Flüchtlinge ausmachten, haben die Republik in den vergangenen Wochen regelrecht verstört. In den begleitenden Medien entzünden sich die Debatten nicht zuletzt entlang der Frage, ob in Deutschland ein neuer Faschismus aufkommt, dem man entgegenzutreten habe. Außerdem fragt man sich, was diese Männer antreibt, gegen alles fremdländisch Erscheinende gewaltsam vorzugehen, ungeniert menschenverachtende Parolen zu skandieren oder NS-Symbolik offen zu demonstrieren? Prof. Dr. Klaus Theweleit hat sich bereits in den 1970er Jahren mit Gewalt und Männerphantasien im Zusammenhang mit faschistischem Gedankengut auseinandergesetzt. In seiner jüngsten Analyse über das Lachen von Tätern gewaltsamer Exzesse hat er dieses Thema noch einmal aufgegriffen. Wir haben ihn um ein Psychogramm dieser Männer gebeten. ...
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/maennergewalt_theweleit


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"Heimatphantasien: Heimatphantasien = Männerphantasien: Die männliche Nation?" (2018)
Gespräch mit Gabriele Kämper und Klaus Theweleit. Moderation: Elahe Haschemi Yekani* Die Leiterin der Geschäftsstelle Gleichstellung des Berliner Senats und Autorin von »Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten«, Gabriele Kämper, und der Kulturtheoretiker und Verfasser der bekannten Untersuchung »Männerphantasien«, Klaus Theweleit, gehen der Frage nach, warum Männlichkeit traditionell als Chiffre des National-Völkischen galt und wie dies nun in Form eines rechtsextremen Antifeminismus reartikuliert wird. Die Konferenz HEIMATPHANTASIEN fand am 18. und 19. August 2018 auf dem Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel statt und setzte sich kritisch mit den Konzepten von »Nation« und »Heimat« auseinander: An zwei Tagen wurden ihre impliziten Projektionen, ihre Widersprüche, sowie ihre historische Gewordenheit untersucht. Es wurde diskutiert, welches Potential darin liegt, Migration als Unterbrechung des nationalen Narrativs zu denken und der traditionellen Verwobenheit von nationalistischer Ideologie und patriarchaler Herrschaft auf den Grund gegangen. Es wurde die historische Gleichzeitigkeit von Kolonialismus und Nationenbildung aufgearbeitet – und es wurden gegenwärtige Versuche diskutiert, die bereits trans- oder postnationale Gemeinschaften jenseits nationaler Identitäten schaffen. Kuration: Margarita Tsomou, Lena Kollender Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.
https://youtu.be/fT-nLIshGOI

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Quote[...] Interview Klaus Theweleit über das Ausleben von Ängsten, die Wurzeln von Gewalt und die Befreiung der Geschlechter

Ströme sind für Frauen weniger ein Problem?

Klaus Theweleit: Dazu kann ich weniger sagen. Ich bekomme mit, was im männlichen Körper passiert. Hier lösen Ströme, wenn es sich um einen fragmentierten Körper handelt, Ängste aus. Im Extremfall Todesängste. Alles, was von außen eindringt, droht ihn aufzulösen. Die Summe von Abwehrmaßnahmen, die daraus entstehen, richten sich dann vornehmlich gegen alles ,,Fremde" und gegen alles ,,Weibliche".

Wieso gegen das Weibliche?

Klaus Theweleit: Frauen lösen die Struktur des Körperpanzers prinzipiell auf. Sie sind in seiner Auffassung der Sumpf, der ihn auflöst. Das ist in frappierender Deutlichkeit auch bei den Tätern der jüngsten Attentate zu sehen. Einer der amerikanischen Killer schreibt an einen Kollegen: ,,Alle Frauen müssen weg sein"; er entwirft die Idee eines ,,KZ" für Frauen.

Müssen sie weg sein - oder ihm gehorsam?

Klaus Theweleit: Ja, das auch. Der Fragmentkörper braucht aber Hierarchien, es stabilisiert enorm, jemanden unter sich zu wissen. Es herrscht ein ganz konkretes Verlangen, zu bestimmen, wie der weibliche Körper sich zu verhalten hat. Mit klaren Regeln. Der Ayatollah Khomeini schreibt nach der iranischen Revolution sogleich ein Buch mit zahlreichen islamisch begründeten Anweisungen allein für menstruierende Frauen.

Und verschleiern müssen sich Frauen auch aufgrund dieser Angst?

Klaus Theweleit: Der eigene Panzer bröckelt schon, wenn er eine nackte Frauenwade sieht. Mann macht hundert religiöse Regeln, um das zu verhindern. Und hasst diejenigen, die daraus ausbrechen. Aber der Hintergrund ist nicht irgendein ,,Satz des Propheten", sondern fast immer Angst, die im eigenen Körper tobt. ... Die Ethnologin Margaret Mead hat beschrieben, wie Leute mit dem fehlenden Gefühl sicherer Körpergrenzen die eigene Außengrenze mit den Landesgrenzen gleichsetzen. Ein in Bayern illegal einströmender Flüchtender bewegt sich also direkt ins Körperinnere eines Bewohners von Mecklenburg-Vorpommern – der ,,um seine Bestände fürchtet". Die ,,Ströme" sind schrecklich; sie machen nicht halt an der eigenen Haut. Sie strömen überall. Trump braucht seinen Zaun notwendig. Sonst verliert er die Mehrzahl seiner Wähler. So ist es auch bei Horst Seehofer.

...

Breivik sah sich aber nicht als Einzeltäter, sondern als einer der Kreuzritter, die das Christentum gegen den Islam verteidigen müssen. Wozu diese Legitimation?

Klaus Theweleit: Das ist der Kern des Killens in Gruppen: es gibt immer jemanden, der die Schuld abnimmt, ob das der Kommandeur ist oder Hitler. Oder die Knight Templars.

Georg Seeßlen hat Breivik als Dschihadisten bezeichnet. Aber wo ist die Autorität, die dem IS ihre Tat erlaubt?

Klaus Theweleit: Der Kampf für die eigene Rasse oder Religion erlaubt Alles. Allah erlaubt Alles. Erfordert Alles. Es ist leicht, das zu schreien: Allahu Akbar.

Wozu braucht man Allah, wieso sagt man nicht einfach: Ich mache das jetzt, weil ich das richtig finde?

Klaus Theweleit:  Das würde eine ganz andere Form von Ich-Stärke erfordern: ,,ich nehme das alles auf mich." Diese Stärke würde das Morden gar nicht nötig machen.

Gibt es solche Ichs?

Klaus Theweleit: Manche Mischformen retten sich und werden politische Führer. Donald Trump etwa ist nicht einfach ein Fragmenttyp, der ist eine merkwürdige Mixtur. Wenn der sich hinstellt und sagt: es gab noch nie einen besseren Präsidenten als mich - dann glaubt der das! Und spricht jedes Wort durch das ,,Megaphon America". Great again! Das hilft den Fragmentierten, Angstbesetzten. Sie sind immer auf der Suche nach Zugehörigkeit zu größeren, mächtigeren Körpern. Im Fall der Freikorps war es übrigens die SPD-Regierung, die das Töten erlaubte. Noskes Satz: ,,Einer muss der Bluthund sein" war eine Tötungserlaubnis gegenüber den Aufständischen - und die Zusicherung, straflos zu bleiben.

...


Aus: ",,Der Panzer des Mannes ist brüchig"" Elsa Koester, Mladen Gladić  (Ausgabe 10/2019)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-panzer-des-mannes-ist-bruechig

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Quote[...] ,,Was den Körpern der Menschen wirklich geschehen ist, was sie gefühlt haben, hat die Historiker bisher nicht interessiert", behauptet Klaus Theweleit an einer Stelle seiner ,,Männerphantasien". Und folgert, dass eine ,,andere Wissenschaft" sich daran messen lassen müsse, ,,ob sie in Verbindung tritt auch mit Erfahrungen und Gefühlen des Lesers, mit Erscheinungen aus dessen eigenem Leben, mit der Existenz seines eigenen Leibs".

Eine solche Erscheinung ist schon das Buch selbst: sein Leib, wie er vegetiert in der Hand, sich beständig der Gravitation, Lektüre und Insektenbesiedelung hingibt. Meinen habe ich vor gut drei Jahren erworben, angelockt von einem der schmierigsten Wortkombinate, die die deutsche Sprache bereithält: unbedingt lesen!

Und natürlich vom lustvollen Titel. Es ist gebraucht, im Internet bestellt, vor allem, weil ich dachte, für die 30 Euro Kosten beide Bände zu erhalten. Das hat das Schicksal verhindert (und mich außerdem drei Jahre lang vom Lesen abgehalten); wie gut da, dass ausgerechnet dieser Tage, nachdem ich mich im Sand zwischen den Bunkern der dänischen Nordseeküste durch den ersten Band gewälzt habe, eine neue, einbändige Ausgabe im Matthes & Seitz-Verlag erscheint.

Das Überbordende, Fließende, das Theweleit an der freien Lust ausmacht, prägt auch sein eigenes, umfangreiches Buch. Denn es ist vor allem deshalb zu einem der klügsten Werke über Faschismus, Männlichkeit und Triebe geworden, weil Theweleit sich hat tragen, sich hat mitreißen lassen. In der Bekenntnisliteratur der Korps-Offiziere und späteren Nazi-Größen stößt er nämlich auf Angst vor Frauen, vor Potenzverlust, auf das Begehren nach der verbotenen Schwester, die Unabgelöstheit von der – bumm! – Mutter.

Ödipus. Analyse. Aber er bleibt dort nicht stehen; bricht vielmehr mit dem Dogmatismus der ,,Ideologiekritiker" Frankfurter Schulzuschnitts. Und betrachtet nicht die Gründe oder Ungründe einer zu kurz gekommenen Vernunft: sondern die Körper selbst.

Im körperlichen Begehren und Ablehnen der ,,roten Flut" (Kommunismus, personifiziert in der sexuell aktiven Frau) durch Offiziere und Soldaten erkennt er einen starren ,,Körperpanzer". Den Begriff übernimmt Theweleit von Norbert Elias, um, über diesen hinausgehend, den lange eingeübten Prozess der Machtsicherung über die männlichen, beherrschten Körper zu bezeichnen, in welchem ihre Ambitionen auf Anfechtung der Herrschaft immer wieder gezielt auf das Begehren nach Beherrschung ,,ihrer" Frauen gelenkt worden seien.

Statt realen Geschlechtsverkehr zu normalisieren, seien Frauen dafür in Huren und Heilige unterteilt worden. Jede Kritik also, die, statt auf die Herrschaft selbst, auf die vermeintlich verkommene Moral der Herrschenden ziele, mache sich zu deren Diener. Denn sie helfe dabei, wiederum den Beherrschten eine noch rigidere Moral aufzuerlegen – so lange, bis, wie vielerorts im Deutschland des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, prinzipiell jeder Körper unter Schmutzverdacht (und damit Vernichtungsgebot) gestanden habe; außer dem soldatisch-pflichtbewusst aufrechten und dem mütterlich-reinen.

Daraus folgt, dass der Faschismus nicht weg ist. Als ,,ständig präsente oder mögliche Form der Produktion des Realen" kann er ,,auch unsere Produktion sein". Das zentrale Thema der Rechten auch heute ist ja nicht Wirtschaft, Armut, Verstand – sondern Sexualität. Der Zugang zum Körper der idealen reinen Frau. Er muss sauber (und damit unerreichbar) bleiben.

Merkwürdigerweise fällt Homosexualität, jedenfalls in Band 1, nahezu komplett aus der Betrachtung heraus. Dabei ist sie ein Musterbeispiel in dem Streit zwischen ,,Fluten" und ,,Trockenlegung", zwischen Widerstand und Assimilation.

Mit dem wunderschönen Begriff der ,,Zweifrontenschicht" (wiederum von Elias entlehnt) lassen sich nicht zuletzt jene Schwulen (fast nie Lesben oder Trans*-personen) charakterisieren, die sich mit dem Aggressor identifizieren und denen es nun auch mal genug mit der Befreiung der Lustströme ist.

Wer dazwischen oder irgendwo anders herumtreibt, stört da nur; stattdessen soll sich lieber jeder in die Hühnerleiter der Geilheit einreihen, ficken oder sich ficken lassen, und am besten alles schön steril. Zugleich ist dabei der Dammbruch des Lustobjekts, wie bei den Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg, das Ekligstmögliche und das heimlichst Herbeigesehnte.

Kurz: unbedingt lesen! Lassen Sie es fließen.


Aus: "Klaus Theweleits ,,Männerphantasien": Schwule Aggressorenidentifikation" (2. 8. 2019)
Quelle: https://taz.de/Klaus-Theweleits-Maennerphantasien/!5614242/

QuoteWolf Haberer, 3. Aug, 11:16

... "heute noch beunruhigend aktuell" (Unterüberschrift)

ist natürlich nicht mal untertrieben, sondern die völlig falsche Formulierung. Wieso sollte das Werk nicht mehr aktuell sein? Man sollte es nicht versehentlich niedriger hängen, als es denn gehört. Theweleit hatte, wohl ohne, dass es vielen bewusst war, seinerzeit einige universelle und praktisch zeitlose Zusammenhänge aufgedeckt, die erst in einer (heute noch) schwer vorstellbaren utopischen Zukunftsgesellschaft hinfällig werden dürften, aber wahrscheinlich nicht mal da vollständig. Theweleit hatte nämlich eines komplett außen vor gelassen: die hinter allem stehende Biologie. Das wäre allerdings beim damaligen dünnen Stand des Wissens ein sehr gewagtes und ungewisses Abenteuer geworden. Es wäre also heute eine Neufassung der Männerphantasien zu schreiben, unter Einbeziehung dessen, was man heute über die vererbten Anteile männlichen Verhaltens weiß und was das jeweils mit Faschismus zu tun haben könnte. Die Männer- und Frauenkörper als phänologische Erscheinungen ihrer zugrunde liegenden DNA-Codes, und damit wiederum ihres teildeterminierten Verhaltens und ihrer Psychologie. Was dabei für so manche (nicht nur linke) Geisteswissenschaftler eine schwer oder gar nicht akzeptable Startrampe ist, ist für die naturwissenschaftlich-materialistisch Orientierten unverhandelbare Grundannahme.


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Quote[...] Ich habe das Buch damals sofort gelesen, es ist und bleibt ein Monolith, ich würde sagen: unerreicht", schreibt die Schriftstellerin Elfriede Jelinek über Klaus Theweleits ,,Männerphantasien", das vor gut vierzig Jahren herauskam und in diesem Herbst im Verlag Matthes & Seitz in einer neuen Ausgabe erscheint. Theweleit wohnt in Freiburg im Breisgau im Stadtteil Haslach und bittet einen die Stiege nach oben in sein Arbeitszimmer, das voller Bücher, Kopien, Gitarren und Bilder ist.

Julia Encke: Herr Theweleit, was sind die ,,Männerphantasien"?

Klaus Theweleit: Es ist eine Art Berichtsbuch davon, wie bestimmte Leute in Deutschland, die die Weimarer Republik nicht wollten, eine Realität hergestellt haben, an der diese Weimarer Republik eingegangen ist: Vorbereiter des Nationalsozialismus, des Faschismus. Das waren die Freikorpsleute, die 1919/20 die sozialistische Revolution, die Arbeiter- und Intellektuellenaufstände mit Gewalt niedergeschlagen haben. Meine Arbeit ging aus der Auseinandersetzung mit den Politologen hervor, die versucht hatten, den Faschismus zu beschreiben. Da war immer von ,,Irrationalität" oder ,,Blut und Boden" die Rede. Ich habe aber gemerkt, dass die Leute mit Ideologie nicht viel zu tun hatten. Der Faschismus ist auch zentral keine Ideologie, sondern eine zerstörerische Art und Weise, die Realität herzustellen.

Das klingt nach Geschichtsbuch. Geht es nicht um die Beschreibung einer Struktur?

Klaus Theweleit: Es geht um Geschichte, aber anders als Historiker sie betrachten, denn Historiker kümmern sich nicht um die Gefühle der Menschen. Da geht es um Daten, Zusammenfassungen, Verträge, ökonomische Fragen und Einflüsse. Und an Berichten dieser mörderischen Freikorpssoldaten war sehr genau abzulesen, dass sie zentral aus bestimmten Gefühlskonglomeraten handeln, die sie sich selber nicht eingestehen. An die Stelle setzen sie dann die Ideologie: Sie sagen, sie müssten das ,,Vaterland schützen", die ,,Nation retten", die ,,Überlegenheit der arischen Rasse gegenüber dem Rest der Welt". Aber das sind nicht ihre wirklichen Handlungsmotivationen.

Welche waren das Ihrer Meinung nach?

Klaus Theweleit: Die kommen aus ihrem Inneren heraus. Ein Bedürfnis nach Gewalt, das mit dem Wunsch zu tun hat, eine Körperganzheit herzustellen. Ich bin mit Hilfe der Kinderpsychoanalyse – meine Frau Monika Kubale arbeitete seit 1971 als klinische Psychologin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Freiburg – auf den Begriff ,,Fragmentkörper" gekommen. Es geht um Leute, denen es nicht gelungen ist, aufgrund verschiedener Störungen, in ihrer Kindheit und weiteren Entwicklung, ein Gefühl von Körperganzheit auszubilden. Sie sind etwa geprügelt worden, haben immer Angst vor Einbrüchen von außen, setzen die Außengrenzen ihres Körpers mit Landesgrenzen gleich. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie Flüchtlingsströme empfunden werden, nämlich so, als würden sie in die Körper solcher Leute einströmen und nicht einfach nur ins Land. Für die Freikorpsleute bedeutete Gewalt strukturell eine klare Überlebensgeschichte. Es geht um Erhaltungsmechanismen, darum, sich selbst ,,heil" zu machen durch Gewalt gegen andere.

Sie beschreiben die Mitglieder des Freikorps als Menschen, die die Wirklichkeit nur in Form von Hierarchien wahrnehmen können.

Klaus Theweleit: In diesen Hierarchien ist der Männerkörper oben und der Frauenkörper immer unten, egal welche Frauen das sind. Noch weiter unten sind dann die Kinder. Gesellschaftlich oben stehen der Adel und das Militär, dann die Politiker, Unternehmer, unten das Proletariat. Und wenn das Proletariat die Macht will, wie 1919 in der Räterepublik, dann war das für die eine Umkehrung des Wirklichen. Das Untere sollte zuoberst sein, die Flüsse sollten gewissermaßen aufwärts fließen. Das war für sie unvorstellbar, dass Arbeiter Teil der Staatsmacht sein sollten. Und mit der Ideologie rechtfertigen sie dann die Gewalt, die sie ausüben, und sagen: ,,Wir wehren uns gegen die, die wollen die Macht im Staat." Sie schieben ihnen alle möglichen Greueltaten zu, die sie überwiegend selbst begangen haben, was sie aber nicht zugeben können. Nur in einer Bürgerkriegssituation können sie es zugeben, wenn sie den Befehl erhalten haben, ihre Morde gedeckt sind durch eine Macht. Das war in diesem Fall die SPD-Regierung mit Gustav Noske, der den Freikorps Handlungsfreiheit einräumte.

Ihr Buch ist 1977/78 erschienen. Sie waren Mitte dreißig. ,,Es ist eigentlich eine Autobiographie in der Hülle der Dissertation", sagen Sie. Das Autobiographische darin, dass Sie ,,Ich" schreiben, über Ihren Vater schreiben, der seine Kinder geschlagen hat: Das hatte es bis dahin nicht gegeben.

Klaus Theweleit: In Dissertationen natürlich nicht, nur in der Literatur.

Sie wollten aber eine Dissertation und nicht einfach ein Buch zum Thema schreiben?

Klaus Theweleit: Dissertation vor allem, weil es dafür ein Stipendium gab. Wir brauchten das Geld. Dann Verlage: Welcher Verlag hätte einem völlig unbekannten Radiomitarbeiter vom Südwestfunk solch ein Projekt finanziert? Keiner. Sie hätten es auch niemals genommen, in der Länge und bei dem Bildgebrauch. Im Verlag Roter Stern hatte ich spezielle Arbeitsbedingungen, weil wir uns kannten.

Dass Sie Bilder verwenden wollten, war Ihnen von Beginn an klar?

Klaus Theweleit: Ja, das war mir klar. Es sollte ja nicht nur von 1919/20 handeln, sondern ausgedehnt werden auf Männer überhaupt in der Geschichte, ein paar tausend Jahre zurück und bis heute hin: Was für ein Typ ist heute da, nach dem Zweiten Weltkrieg? Kino und Musik waren die Formen, die es uns möglich machten, uns von der Geschichte der Eltern zu lösen. Von Kino hatten sie keine Ahnung, und Musik war für sie ,,Negermusik". Da hatte man wirklich einen Fluchtkorridor. Und ich dachte, ich mache jetzt ein Buch, und darin müssen die Sachen alle vorkommen. Der Unterschied zu Faschismus und Lebensweise der Eltern muss deutlich werden. Es ging auch um einen anderen Ton der Sprache. Beim Schreiben hat sich eine starke Abwehr gegenüber Autoren entwickelt, die ich als Leser sehr verehrt hatte.

Gegen wen zum Beispiel?

Klaus Theweleit: Adorno. Auf diesen ewigen Rechthabergestus bei jeder Sache. Bei jeder Geschichte musste noch ein anderer einen auf den Hut kriegen, ob das ein Soziologe war oder gar nicht namentlich benannte Leute. Als Gestus, fand ich, ging das nicht, auch wegen der Rechthaberei in den K-Gruppen, die sich nach dem Zerfall des SDS, in dem ich drei Jahre aktiv war, gebildet hatten. Diskutieren konnte man mit denen nicht.

Adorno hatte eine K-Gruppen-Mentalität?

Klaus Theweleit: Das nicht, aber der Rechthabergestus war vergleichbar.

Sie haben sich auch um Ihr Kind gekümmert, während Sie Ihre Dissertation geschrieben haben.

Klaus Theweleit: Ja, wir haben uns das geteilt. Dass meine Frau ihre Stelle aufgeben würde wegen des Kindes, haben wir nicht erwogen. Sie ging also halbtags in die Klinik, und ich blieb zu Hause. Sich um das Kind zu kümmern ging immer vor.

Gleich nach Erscheinen wurde ,,Männerphantasien" ein ungeheures Erfolgsbuch. Rudolf Augstein schrieb im ,,Spiegel" unter dem Titel ,,Frauen fließen, Männer schießen" im Dezember 1977 eine achtseitige Besprechung: ,,Was Theweleit in der Freikorpsliteratur findet, ist die schriftgewordene Unterdrückung der weiblichen Sexualität, ihre Aufspaltung in höhere nichtgeschlechtliche Wesen und in niedere kastrationswütige Huren." Was hat die ,,Emma" geschrieben, das Magazin ist ja in der gleichen Zeit entstanden?

Klaus Theweleit: ,,Emma" hat sich nie dazu geäußert. Ich habe bis heute nie einen Ton von Alice Schwarzer gehört.

Wie erklären Sie sich das?

Klaus Theweleit: Mit Kinderpsychoanalyse hat Alice Schwarzer nichts am Hut. Außerdem hat sie mal gesagt, sie lese keine Bücher, die länger als dreihundert Seiten sind, und das waren über tausend. Und es gibt Seiten im Buch, auf denen ich sie kritisiert habe, auch andere, wie Herbert Marcuse, wo es darum geht, dass sie nicht begreifen, wo die Sprache männlich ist, weil sie das phallische Vokabular selbst verwendeten.

Hatte das biographische Gründe?

Klaus Theweleit: Das hatte es. Rechthabertum ablegen– das geht zurück auf Auseinandersetzungen in der engsten Umgebung, dass man aufhört, als Kerl, besonders wenn man Theorie diskutiert, automatisch zu meinen, Frauen überlegen zu sein.

In den autobiographischen Passagen der ,,Männerphantasien" geht es auch um Ihren Vater und um die Gewalt der Elterngeneration. Ich musste beim Lesen Ihres Buchs an Michael Hanekes Film ,,Das weiße Band" denken, wo am Vorabend des Ersten Weltkriegs die jüngere Generation die Schläge weitergibt, die ihnen zugefügt wurden. Wenn man annimmt, dass es ein Fortschreiben von Spuren der Gewalt gibt: Haben die ,,Männerphantasien" im Gegenteil das Ziel, genau solche Kontinuitäten zu unterbrechen?

Klaus Theweleit: Ganz gewiss. Ich bekam in der Schule mit, was die Generation der Alten angestellt hatte im sogenannten Dritten Reich. Dass meine Eltern beide Hitler-Anhänger waren, haben sie nie geleugnet. Sie haben immer nur gesagt: ,,Du kannst das nicht verstehen, du hast nicht gelebt zu der Zeit." So weit habe ich das verstanden. Dann kriegte ich mit, dass sie Antisemiten waren. In Ostpreußen hatten sie auf dem Land gesessen, wo kein Jude weit und breit war. Meine Mutter war in der Kreisstadt bei einem Arztbesuch gewesen, erzählte mir einer der älteren Brüder später, das war 1939 nach der ,,Reichskristallnacht", wie sie das nannten. Da waren bei einem Geschäft die Scheiben eingeschlagen gewesen, und Zigarren lagen auf der Straße. Unser Vater war Raucher, und mein Bruder wollte die Zigarren mitnehmen. Und die Mutter hätte gesagt: ,,Lass das liegen, Judenzigarren raucht er nicht." Wenn man sie später mit den sechs Millionen ermordeten Juden konfrontierte, fanden sie, das waren vielleicht zu viel. Es tat ihnen aber nicht leid. Und der Alte fing an zu heulen, wenn er erzählte, wie russische Partisanen irgendwelche deutschen Landser erschossen hätten. Bis es zu dem Punkt kam, an dem ich sagte: ,,Was redet ihr immer von der Heimat, die ihr verloren habt. Ihr wolltet doch alles haben bis zum Ural und fandet das richtig." Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich umgebracht. Wie ich das bei meinen älteren Geschwistern auch manchmal gedacht habe, wenn er die geschlagen hat, sehr cholerisch.

Sie waren der Jüngste?

Klaus Theweleit: Ja, mit einer jüngeren Schwester. Die anderen waren eine Art Schutzwand vor mir. Ich kriegte viel weniger ab. Als ich 1942 geboren wurde, war mein Vater schon unter der Woche nicht zu Hause, weil er woanders Eisenbahndienst hatte. Am Wochenende, wenn er kam und die älteren Geschwister Mist gebaut hatten, die Mutter petzte manchmal, kriegten die den Arsch voll, und zwar heftig. Und ich saß da in der Ecke und lernte, wie ich so was vermeide. Ich musste als Schüler gut werden, weil ich sah, wie sie den Hintern voll kriegten wegen schlechter Noten. Und ich dachte mir: Das passiert mir nicht. Wenn ich schlechte Noten hatte, habe ich die Hefte zerrissen und im Klo weggespült. Mit vierzehn eskalierte der Streit oft so, dass ich nicht mehr mit ihm reden konnte, ohne dass das handgreiflich geworden wäre. Ich habe das Reden mit dem Alten schlicht eingestellt. Über das Politische habe ich nur noch mit Gleichaltrigen geredet. Und davon gab es immer genug, die offen waren.

Und Sie selbst waren nie gewalttätig?

Klaus Theweleit: Ich war auch ein ziemlich cholerischer Typ als Schüler und habe mich rumgekloppt. Zurückhaltung lernte ich in Frauenbeziehungen, meine Frau habe ich früh kennengelernt, da war ich dreiundzwanzig, sie ist ein absolut ungewalttätiger Mensch bis heute. Sie hasst das. Wie sie manche Ausbrüche ertragen hat, ist für mich bis heute ein Rätsel.

Dieser Effekt der Unterbrechung: sollte der nicht nur für Sie persönlich gelten, sondern bei der Lektüre sich auch bei den Leserinnen und Lesern vollziehen? Sind die ,,Männerphantasien" so angelegt? Als ,,Nie wieder"?

Klaus Theweleit: Das ,,Nie wieder" ist eine Formel, die ist leicht gesagt. Man musste sich umstrukturieren, und das passiert mit Hilfe von anderen. Alleine gegen den Vater hat man keine Chance. Man mag ihn bekämpfen und wird so ähnlich. Man braucht Leute, die einem da raushelfen.

Die Rhetorik, die Sie in ,,Männerphantasien" analysieren, findet man heute bei der neuen Rechten und bei AfD-Politikern wieder: die Gleichsetzung von Körpergrenzen und Landesgrenzen. Die Rede von ,,Schleim", ,,Brei", ,,Schlamm", ,,linksgrünversifft". Sie sprechen im Buch nicht von Nationalsozialismus, sondern von Faschismus ...

Klaus Theweleit: Nur manchmal von ,,Faschismus". In ,,Männerphantasien" sage ich meist ,,soldatischer Mann", um es nicht auf die Nazis zu begrenzen.

Würden Sie die AfD-Politiker auch ,,Faschisten" nennen?

Klaus Theweleit: Etliche von ihnen, ja. Eine ,,faschistische Partei" wollen sie offiziell ja nicht sein. Aber egal. Für mich beginnt Faschismus beziehungsweise Rechtsradikalismus da, wo das ,,Eliminatorische" ins Zentrum rückt. Wenn es heißt: ,,Diese Leute da müssen weg." Flüchtlinge zum Beispiel, nicht nur die an der Grenze, sondern diejenigen, die schon hier sind. So wie die Deutschen in den dreißiger Jahren in großer Mehrheit sagten, die Juden sollten weg.

Sie sagen, Faschismus sei eine Form gezielter Kriminalität.

Klaus Theweleit: Das sind im Grunde Mordaufrufe. Was heißt das denn, die sollen weg, wenn sie nicht freiwillig gehen? Dann muss man sie beseitigen.

Sie haben einmal gesagt, ,,Männerphantasien" sei ein Buch für Frauen und Männer ausschließlich über Männer. Was machen Sie mit den exponierten rechten Frauen?

Klaus Theweleit: Im Buch ,,Männerphantasien" gar nichts. Das Buch macht Schluss mit dem literarischen Gestus ,,Männer schreiben über Frauen". Seit wir in der westlichen europäischen parlamentarischen Zivilisation Margaret Thatcher an der Spitze hatten, die sich nicht als Frau verstanden wissen wollte, sondern als Prime Minister, die Macht ausübt und ein Kriegskommando übernimmt, ist es allerdings möglich zu sagen: Hat mit dem biologischen Geschlecht nichts zu tun. Da setzt sich die Macht männlicher Institutionen durch. Bei einem Parteivorsitz auch. Wenn man da reinkommt, als Frau, wird man von den Gesetzen dieser Institutionen beherrscht. In männlichen Institutionen eine weibliche Politik zu entwickeln, ist fast nicht möglich.

Gibt es Orte, an denen das gelingt?

Klaus Theweleit: Ich denke schon. Etwa in wissenschaftlichen Instituten. Vieles geht überhaupt nicht ohne Frauen. Den beschworenen Backlash, eine rückläufige Tendenz des Feminismus, sehe ich eher als Gespenst. Die Chef- und Chefinnen-Ebene ist allerdings nach wie vor überwiegend männlich okkupiert.

Wenn jetzt eine neue Generation ,,Männerphantasien" liest, was ist Ihre Hoffnung? Lässt sich das Buch auch heute als Schlüssel für die Gegenwart begreifen?

Klaus Theweleit: Eine Reihe von Gewaltphänomenen ist universal; insbesondere eine bestimmte Sorte der Lust am Töten. Ich denke, dass durch den Terrorismus der letzten Jahre Verbindungen sichtbar werden können – von den Leuten, die ich beschreibe hin zu heutigen Mörder-Männern. Frauen findet man unter terroristischen Attentätern so gut wie keine.

...


Aus: "Klaus Theweleit im Gespräch: Der Feminist" Klaus Theweleit im Gespräch mit Julia Encke (25.09.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/klaus-theweleit-im-gespraech-ueber-werk-und-leben-16396720.html

Link

"Das Rechtsradikale fängt da an, wo es einen Mordgedanken gibt" - Wissenschaftler über mordende Nazis: ,,Der Kern ihrer Aktion ist Angst" Matthias Lohr (17.09.2019)
Warum werden aus Nazis Mörder? Und warum gehen viele von ihnen in die Muckibude? Wissenschaftler Klaus Theweleit erklärt die Persönlichkeit von Rechtsterroristen - und was die AfD damit zu tun hat. ...
Quelle: https://www.hna.de/kassel/wissenschaftler-klaus-theweleit-ueber-stephan-ernst-und-andere-nazis-13009243.html

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Quote[...] Liane von Billerbeck: Nach mehr als 40 Jahren werden jetzt Klaus Theweleits ,,Männerphantasien" neu aufgelegt. Das zweibändige Buch, 1.200 Seiten dick, in den Jahren 1977/78 erschienen, war ein Versuch, einen Männertyp zu beschreiben, der den Faschismus ermöglicht hat. Klaus Theweleits Buch, das Rudolf Augstein damals im ,,Spiegel" die ,,vielleicht aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres" genannt hat, sollte ja eigentlich eine Dissertation werden, aber in der Hochzeit der Berufsverbote war eine Uni-Stelle für den einstigen SDS-Mann Theweleit ohnehin aussichtslos – wozu also eine Dissertation. Also wurde es ein Buch, ein dickes Buch. Und das gibt es jetzt als Neuauflage bei Matthes & Seitz, mit einem Nachwort von Klaus Theweleit, das allein schon wieder ein neues Buch ist. Herr Theweleit, als Sie das Buch für die Neuauflage in die Hand genommen haben, waren Sie überrascht, wie aktuell es noch ist?

Theweleit: Nein, überhaupt nicht überrascht, denn ich hab ja nicht nicht zugesehen die ganze Zeit, was passiert ist seitdem. Bestimmte Formen von männlicher Gewalt sind ja nicht verschwunden, die sind in unserer Gesellschaft zwar gemildert gegenüber den Situationen 1919/1920, die ich beschreibe, und auch gegenüber den 30er-, 40er-Jahren, aber weltweit hat Gewalt an vielen Stellen eher zugenommen, auch gerade eine bestimmte Sorte männlicher Gewalt. Leider ist das Buch kein bisschen weniger aktuell, als es damals war.

von Billerbeck: Es geht ja ursprünglich um die Freikorps, die Freikorps-Literatur nach dem Ersten Weltkrieg und was sie über die Entstehung des deutschen Faschismus aussagt. Welche Parallelen sehen Sie denn nun zwischen diesen 20er-Jahren von Weimar und heute, und welche Unterschiede gibt es da?

Theweleit: Im Gewaltverhalten gibt es jede Menge Unterschiede. Ich würde eher betonen wollen die Unterschiede in der Sicht auf das, was so mit einem groben Wort Faschismus heißt. Eine der Erkenntnisse des Buches ist ja nicht – das wiederhole ich und betone ich im neuen Nachwort besonders –, dass Faschismus so ein Konglomerat von Ideen ist, die bestimmte Männer haben, sondern dass das Körperzustände sind: Leute mit Körperzuständen, die angsterfüllt sind – Angst ist auch immer Angst vor dem eigenen Inneren, die Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Fremden in einem selber. Das projiziert man nach außen und versucht das Außen zu bekämpfen, weil man selber damit nicht klarkommt.
Der Kern des sogenannten Faschistischen ist Angst vor Körperauflösung – ob man nun ökonomisch bedroht ist, durch die Umgebung bedroht, aber man ist erst mal ein eigener unfertiger Körper, Fragmentkörper nenne ich das, ein Begriff aus der Kinderpsychoanalyse. Und dieser Fragmentkörper versucht seine Probleme, mit denen er psychisch integrativ nicht umgehen kann, durch Gewalt zu lösen. Das ist ein Phänomen, das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten, in verschiedenen Formen, also die Übergänge zwischen den einzelnen Männlichkeiten sind fließend. Man kann nicht sagen, da ist der Faschist und hier bin ich selber, dem gegenüber, sondern das Buch will ein Bewusstsein für die eigenen Gewaltformen wecken, und das ist ein Ruf an das Verhalten im Alltag.

von Billerbeck: Ein verkrampftes Verhältnis zur Sexualität und auch ein sehr eingeschränktes Frauenbild, das also Frauen immer in verschiedene Kategorien einteilt. Damals und heute, wenn wir sehen, da gibt es immer die Angst vor dem ,,Genderwahn" – sind das zwei Seiten derselben Medaille oder greift das als Erklärungsmuster zu kurz?

Theweleit: Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Dieser Körper, den ich Fragmentkörper nenne, hält zum Beispiel Gleichheit nicht aus – ob das Gleichheit mit Frauen ist, Gleichheit mit Kindern. Diese ganze Abwehr des Demokratischen, die wir in der neuen Rechten sehen, das ist dieser Punkt, dass Gleichheit nicht akzeptiert wird. Dieser Typ will die Gesellschaft hierarchisch organisiert haben, mit klar oben und klar unten und der eigenen Position da drin. Und oben in diesem Konstrukt sind für diesen Typ Männer, ist eine bestimmte Männlichkeit.

Diese Menschen nennen das ja auch natürlich, ihr Gewaltverhalten, sie stellen das natürliche Verhältnis wieder her, sagen sie, dass der Mann oben ist. Das ist eine Umsetzung dieser Angst, mit der sie nicht umgehen können, in gesellschaftlich gewalttätige Ordnung. Jeder, der das hört, weiß, das ist ein Dauerproblem im Alltag. Ob das im Betrieb so ist, wo Frauenrechte nicht anerkannt werden und Frauen schlechter bezahlt werden. Im Journalismus sind Frauen zwar einigermaßen präsent, aber in vielen anderen Berufen müssen sie Arbeiten machen, die keiner machen will, in Kindertagesstätten et cetera. Man kann nur ständig daran arbeiten, die Aufmerksamkeit dafür zu erhöhen, und darin liegt auch die Aktualität des Buches.

von Billerbeck: Nun heißt das Buch ja ,,Männerphantasien", wir wissen aber auch, es gibt auch rechte und gewalttätige Frauen. Was ist mit denen?

Theweleit: Es gibt so gut wie keine gewalttätigen Frauen auf der Ebene dieser männlichen Gewalt, die im Kern ja auch von Körperzerstörung ausgeht. Fremde sollen weg – das sind Todesdrohungen. Und die Übergriffe, die wir sehen, stellen blutige Masse, blutigen Matsch, wie ich das nenne, her aus diesen Körpern, und diese Form von weiblicher Gewalt findet man auf der Welt so gut wie nirgendwo. Die Gewalt, die Frauen ausüben, läuft ganz anders.

von Billerbeck: Wenn man sich die Wirkungsgeschichte Ihres Buches anguckt, das vor rund 40 Jahren erschienen ist, war es in Ihren Augen tatsächlich so was wie der Auftakt zur Männerforschung und zur Gewaltforschung in Deutschland?

Theweleit: Ein Auftakt zur Gewaltforschung war das auf jeden Fall, weil der Faschismus wurde bis Ende der 1960er fast nur als Ideologie behandelt und als falsches und dummes Denken. Wir lernten in der Schule, uns über Leute wie Hitler lustig zu machen, weil die so viel Unsinn redeten. Wenn man sich die Reden anhörte, war das auch nicht schwer, dieses Geschrei, dieses Gebell lächerlich zu finden.

Aber ich habe versucht, genau mich davon zu lösen und zu kapieren, warum bei diesen Leuten eine Art Zwang zu Gewalt vorliegt, und dann kommt man auf Körperzustände. Und wenn man von Körpern redet, ist man immer selber mit involviert, und man kommt dann darauf, dass man auch sogenannte Faschisten – soldatischen Mann, sage ich – nicht dazu bringt, von Gewalt zu lassen, indem man bessere Argumente hat, sondern nur durch Beziehungen, gesellschaftlich freundlichere Beziehungen.

Das fängt an bei der Behandlung der Kinder – nur diese löst Gewalt in den Körpern auf. Man braucht Zutrauen zu anderen, Vertrauen, und das geht nur über Beziehungen, also Arbeit in Vereinen, in Schulen, überall, wo man sich aufhält, kann man Gewalt bearbeiten. Und es geht immer um den Körper. Der Körper ist das Schlachtfeld.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Aus: "Klaus Theweleit über ,,Männerphantasien" - Die Angst vor der Körperauflösung" Klaus Theweleit im Gespräch mit Liane von Billerbeck (Interview | Beitrag vom 01.11.2019)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/klaus-theweleit-ueber-maennerphantasien-die-angst-vor-der.1008.de.html?dram:article_id=462394

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Quote[...] Thomas Gesterkamp ... "Männerphantasien, das sind Vorstellungen von dem, was Männer nicht wissen durften: Körperwünsche, Energien und Sehnsüchte wurden unterdrückt und abgetötet, um wieder geboren zu werden im Kampf für Größe und Vaterland", heißt es im Buch. Was war Ihr Forschungsansatz?

Theweleit: Es gab eine Menge Arbeiten zum deutschen Faschismus, die ideologiekritisch ausgerichtet waren. Sie wollten den Nationalsozialisten und ihren Vorläufern in erster Linie so etwas wie fundamentale Dummheit beweisen. "Blut und Boden"-Zeugs lächerlich zu machen, ist allerdings sehr einfach. Es führt jedoch keineswegs zu irgendwelchen Einsichten dazu, wie diese "blöden Nazis mit ihrem Oberdummkopf Hitler" es denn geschafft hatten, so viel Macht und Attraktion zu entwickeln, dass sie beinahe ganz Europa militärisch-terroristisch in die Tasche steckten. Ich wollte dagegen ein Buch schreiben, in dem man über tatsächliche Nazis tatsächlich etwas erfährt. Das geht nur, indem man erstmal zur Kenntnis nimmt, was sie überhaupt sagten beziehungsweise sagen. Das Verfahren, das ich dabei anwandte, wurde später unter dem Terminus "Close Reading" bekannt: genau hinsehen, genau hineinhören ins "Material", genau recherchieren und nicht zu allem sofort eine Meinung haben. Mit Meinungen entdeckt man nichts.

Thomas Gesterkamp: Sie haben mit dem Thema promoviert, Spiegel-Chef Rudolf Augstein lobte Ihr Buch damals in einer seitenlangen Besprechung. Sie galten aber auch als eigenwilliger Geist, mit Strahlkraft vor allem in die Kulturwissenschaften. Eine Hochschulkarriere ergab sich aus der Doktorarbeit zunächst nicht. Die Universität Freiburg wollte Sie wegen Ihrer "ungezügelten Intelligenz" nicht mal ein Proseminar abhalten lassen. Warum gab es diese Widerstände? Wegen des "lässigen" und "unakademischen" Stils, wie Sie in dem aktuellen Nachwort schreiben?

Theweleit: "Ungezügelte Intelligenz", da steckt ja auch eine Art Bewunderung darin. "Man" (und es waren in der Tat Professoren-Männer) wollte mich am Deutschen Seminar der Uni Freiburg nicht, weil diese mich zu gut kannten und fürchteten: als Aktivisten des Freiburger SDS, der sie oft genug in ihren Lehrveranstaltungen attackiert und auch bloßgestellt hatte. Und der sollte nun unter die Kollegenschaft? Bewahre! Ich habe das sogar verstanden.

Thomas Gesterkamp:1998 wurden sie dann schließlich doch noch Professor, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Was hatte sich geändert?

Theweleit: Erstens waren das andere Menschen, eben Künstler – was Philologen in der Regel nicht sind. Zweitens hatte ich denen nichts getan. Im Gegenteil, meine folgenden Bücher, Buch der Könige 1, 2x+2y hatten sich mit Produktionsweisen der Kunstherstellung befasst. Besonders mit dem Umstand, wie eine bestimmte Sorte Künstler, die ich unter "Orpheische Produktion" zusammenfasste, die Körperlichkeit ihrer Frauen in ihre Werke "einarbeitet". Und dies nicht nur am Beispiel literarischer,sondern auch "bildender" oder musischer Künstler: Andy Warhol, Elvis Presley. Das hatten Leute aus der Karlsruher Akademie gelesen, fanden es interessant und fragten, ob ich Interesse an einer Professur bei ihnen hätte. Aus der Vertretung, die ich zunächst zusagte, wurde dann eine feste Stelle. Ein weiterer Grund für mich war der Kontakt zu den Kunststudenten. Ich lerne immer gern von Jüngeren.

Thomas Gesterkamp: Wie andere frühe Männerautoren waren Sie stark von der Psychoanalyse geprägt. Im Kern stützen sich die "Männerphantasien" auf persönliche Dokumente der Freikorps: deutsche Soldaten, die 1918 enttäuscht aus dem Krieg zurückkamen und später eine verlässliche Stütze der Nationalsozialisten bildeten. Auf insgesamt 1150 Seiten legen Briefe, Biografien und literarische Spuren die sexuell aufgeladenen, gewalttätigen Phantasien dieser Männer offen.

Theweleit: Psychoanalyse, das muss man präzisieren. Mit den Freudschen Begriffen wie Ich, Es und Über-Ich kommt man bei diesen Männern nicht weit. Sie funktionieren anders. Einen Zugang zu ihren Gefühlen, die sie selber breit darlegen in ihren Schriften, bekam ich über Weiterentwicklungen der Forschung, die in der Psychoanalyse von Kleinkindern und Adoleszenten gemacht wurden – überwiegend von Frauen, von Melanie Klein, Margaret Mahler und anderen. Dort erscheint der Begriff des "Fragmentkörpers"; psychische Mechanismen wie "Entdifferenzierung" und "Entlebendigung" tauchen auf und der Terminus "Erhaltungsmechanismen" für eigene Gewaltaktionen. Im Innern der meisten Gewalttäter herrschen diffuse Ängste. Mit diesen Termini kam ich in Berührung über meine Frau, die seit 1970 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Freiburg als klinische Psychologin angestellt war. Ich stellte erstaunt fest, dass viele dieser neuen Begriffe die "zerstörte Körperlichkeit" der Figur, die ich dann den "soldatischen Mann" nannte, sehr viel genauer verständlich und damit beschreibbar machten als alles, was aus traditioneller Psychoanalyse und aus der Politikwissenschaft gekommen war.

Thomas Gesterkamp: Für die Neuauflage wurden weitere 120 Seiten ergänzt, mit einem ausführlichen Nachwort von Ihnen. Welche Aktualität haben Ihre Erkenntnisse?

Theweleit: 2015 gab es ja schon eine Art Erweiterungsband der Männerphantasien: Das Lachen der Täter, wo ich auf Anders Breivik eingehe, auf mordende Soldaten und Kindersoldaten in Zentralafrika, auf den Massenmord an angeblichen Kommunisten in Indonesien Mitte der 1960er Jahre, auf die deutsche SS, auf Gewalttäter des sogenannten"Islamischen Staates" und auf viele weitere. Solche fortlaufende Aktualität bestimmter männlicher Gewalthandlungen weltweit stützte die Erkenntnisse von Männerphantasien. Das neue Nachwort jetzt bezieht jüngste Fälle mit ein, vom Attentäter im Münchner Einkaufszentrum über die amerikanischen Altright-Killer bis zum neuseeländischen Massenmörder Terrent. Der Mörder von Halle, der vorhatte, in der Synagoge dort ein Massaker anzurichten, ist noch nicht drin. An Aktualität ist leider kein Mangel.

Thomas Gesterkamp: Sie diagnostizieren eine Unfähigkeit zu menschlichen Beziehungen, ein aggressionsgeladenes "Inneres" und einen durch militärischen Drill ausgeformten "Körperpanzer". Ist Männlichkeit per se gefährlich, destruktiv oder gar "toxisch", wie aus feministischer Perspektive neuerdings behauptet wird?

Theweleit: Bestimmte Sorten "Männlichkeit" sind per se gefährlich. Diese Gefährlichkeit wird aber erworben; Körper werden zugerichtet, werden übel zugerichtet und werden, wenn sie keine mildernde Hilfe erfahren: lebende Bomben, aufs Töten ausgerichtet, das als lustvoll erlebt wird. "Toxisch" klingt demgegenüber so, als wäre dies eine Eigenschaft, die Männerkörper von Geburt an mitbringen. "Toxisch" ist ein Kampfbegriff, vergleichbar der Formel "kulturmarxistisch-feministisch verseucht" oder "versifft", den Anders Breivik und andere für Sozialdemokratinnen, Grüne oder Linke verwenden.

Thomas Gesterkamp: Frauen gehören im Denken der Männer, die Sie beschreiben, prinzipiell "nach unten", werden abgewertet oder gar gehasst. Die Forderung nach politischer "Gleichstellung" der Geschlechter kann in diesem Weltbild nur verstören und irritieren. Ist Antifeminismus stets klar dem rechten Spektrum zuzuordnen?

Theweleit: Der Typus, den ich beschreibe – und zwar aus seinen eigenen Äußerungen heraus beschreibe – erträgt alle Verhältnisse um ihn herum nur, wenn sie hierarchisch angeordnet sind. Darin gehören Frauen notwendig "nach unten"; zumindest weiter nach unten, als er selbst sich einordnet. Der Gedanke, dass es fundamentale Gleichheit geben könnte unter Menschen, bedroht ihn körperlich; "bringt ihn um". Und so muss er sich wehren. Nazis handeln immer aus notwendiger "Gegenwehr". Was sie bedroht, muss getötet werden; die Welt muss so angeordnet sein, dass alle wissen, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist: unter ihnen. Das nennen sie die "natürliche Ordnung" der Dinge. Diese Haltung kann auch in anderen als dem rechten Spektrum gefunden werden. Dort aber ist sie ein Strukturmerkmal, das nie fehlt.

Thomas Gesterkamp: Weit mehr Männer als Frauen wählen die AfD, auch in der Neonazi-Szene sind sie überdurchschnittlich vertreten. Sind rechte Bewegungen ein Männerphänomen?

Theweleit: "Rechte Bewegungen" differenziert nicht genug. Es gibt viele Frauen überall auf der Welt, die eher zur politischen Rechten neigen: Sie bezeichnen sich als "konservativ", wählen rechte Parteien und organisieren sich in Tea Parties oder Ähnlichem. Es gibt Untersuchungen unter streng muslimischen Frauen, die belegen, dass Etliche von ihnen der familiären, sexuellen und rechtlichen Unterordnung, die sie in ihren manndominierten Gesellschaften erfahren, im Prinzip zustimmen. Doch sie sind damit noch keine "rechte Bewegung", sind nicht notwendig gewalttätig. Rechte Bewegungen, die man so nennen kann, gehen immer auf Auslöschung des Gegners aus. Der wirkliche Rechtsextremismus beginnt für mich da, wo der Tötungswille das Handeln oder Reden bestimmt. Das ist der Point of no return. Wie dieser Tötungswille jeweils begründet wird, ist ziemlich egal: Breivik mordet als "Christ", die IS-Leute für "Allah", die Nazis im Auftrag "höherer Rasse", die Altrights, um dem "Genozid an den Weißen" vorzubeugen und so weiter. Begründungen sind beliebig aus dem Hut zu zaubern, sind aufklebbare Ideologien. Faschismus ist aber keine Ideologie, Faschismus ist eine Art und Weise, die Realität herzustellen. Eine zerstörerische Art, die man argumentierend nicht widerlegen kann.

Thomas Gesterkamp: Ein wichtiger Impuls für Ihre Arbeit war die in den 1970er Jahren noch nicht sehr weit reichende Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die Rolle der Wehrmacht, der "ganz normalen Soldaten", wurde kaum diskutiert. Sind die Psychogramme der deutschen Freikorps übertragbar auf das Militär allgemein? Hatten zum Beispiel auch die Angehörigen des amerikanischen Militärs oder der Roten Armee "Männerphantasien"?

Theweleit: Etliche von ihnen, ja, sicher. Im Falle der US-Marines hat Stanley Kubrick das gezeigt mit dem Film "Full Metal Jacket". Dessen erster Teil ist wie eine Verfilmung von Männerphantasien.


Aus: "Gewalt und Männlichkeit" Thomas Gesterkamp (13.11.2019)
Quelle: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/450/gewalt-und-maennlichkeit-6312.html


Link

#9
"Klaus Theweleit über Pasolini, Godard und andere" (Das Interview entstand im Rahmen von "SCHAU-TV" - Ein Projekt der Schaubühne Lindenfels Leipzig ) 2011
https://youtu.be/vDXWKgcAXuc

Lecture & Film: Pier Paolo Pasolini - DIE 120 TAGE VON SODOM - Vortrag von Klaus Theweleit (2014)
Klaus Theweleit: ,,Der andalusische Hund von Saló"
Pasolinis Film zeigt die lustvolle Inszenierung und Ausstellung des Gewaltakts als Kern der faschistischen Zurichtung der Welt – und das Lachen der Täter als deren präzisesten Ausdruck. Faschismus will Kunst sein – die Kunst der Killer.
Klaus Theweleit ist Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Kulturtheoretiker. Er ist der Autor von ,,Männerphantasien" (1978) und ,,Das Buch der Königstöchter" (2013), dem ersten Band einer auf vier Bänden angelegten Arbeit zum ,,Pocahontas-Komplex".
Film: SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA
Die 120 Tage von Sodom
Italien/Frankreich 1975. R: Pier Paolo Pasolini. D: Paolo Bonacelli,
Giorgio Cataldi. 116 Min. 35mm.
Schon die beiden Handlungsorte von Pier Paolo Pasolinis Skandalfilm sind vielsagend: Salò, Mussolinis letzter Aufenthaltsort (1944/45), und Marzabotto, wo die Nazis die Einwohner eines ganzen Dorfes ermordeten. Vieles erinnert an die Romanvorlage des Marquis de Sade: Vier sogenannte ,,Herren", eingefleischte Nietzsche- und Baudelaire-Kenner, organisieren eine Jagd auf Jungen und Mädchen, um diese zu entführen und mit Hilfe von faschistischen Soldaten zu foltern und zu ermorden. Alles geschieht innerhalb von drei Tagen, drei ,,Erzählerinnen" berichten von den Grausamkeiten. Die Handlung ist eingeteilt in die drei Höllenkreise Dantes: den Kreis der Leidenschaften, den Kreis der Scheiße und den Kreis des Blutes.
https://youtu.be/X9kdNLLZCi0

Lecture & Film: Pier Paolo Pasolini - DIE 120 TAGE VON SODOM - Diskussion (2014)
https://youtu.be/lwao91geZos

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Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust (2016)
A special seminar session for the CEU University-wide Doctoral Seminar RELI 6000 Religious Enthusiasm: Psychology, Politics and History.
https://youtu.be/KUVINoJYgZA

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Ernst Jünger Thema im Dichterclub (Teil 3)
Baden Badener Literatursalon "Dichterclub". Diskussion von 1995 über Ernst Jünger; mit Rolf Hochhut, Ernst Herhaus, Jürgen Lodermann, Klaus Theweleit. Ausgestrahlt in Südwest 3. Die Sendung gibt es bereits in Ausschnitten auf youtube. Hier nun in voller Länge.
https://youtu.be/63PCROwkJNQ


Link

Quote[...] Es ist ein holpriges Englisch, mit dem Stephan Balliet vor laufender Kamera zu rechtfertigen versucht, warum er Augenblicke später Menschen töten wird. Neben scheinbar auswendig gelernten antisemitischen und rassistischen Tiraden fällt im Video des Attentäters von Halle dabei auch dieser Satz: ,,Feminismus ist Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist." Während Balliet mordend durch die Stadt zieht, bezeichnet er sich in seinem Livestream wiederholt als ,,Loser".

Erbarmungslose Gewalt und demonstratives Selbstmitleid stehen nebeneinander. Musikalisch untermalt ist die halbstündige Aufnahme, die das Morden dokumentiert, zeitweise mit einem Lied, dessen Text die Taten von Alek Minassian verherrlicht: ,,Nutten lutschen meinen Schwanz, während ich Fußgänger überfahre." Minassian hatte bei einer Amokfahrt 2018 aus Frauenhass 10 Menschen in Toronto getötet.

Nur wenige Wochen nach dem Attentat in Halle erscheint die Neuauflage von Klaus Theweleits epochalem Werk ,,Männerphantasien" (Matthes & Seitz, Berlin 2019. 1278 S.). Eine furiose Theoriecollage, die nach der Veröffentlichung 1977 innerhalb kürzester Zeit zu einem Klassiker der Faschismus-, Gewalt- und Männerforschung avancierte. Rudolf Augstein bezeichnete sie damals in einer achtseitigen Rezension im Spiegel als ,,aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres".

Aber gilt das heute noch? Die Frage der Aktualität wird nach dem Erscheinen der Neuauflage von ,,Männerphantasien" hierzulande diskutiert. Inwieweit können 40 Jahre alte Analysen, die sich zudem auf hundert Jahre zurückliegende Ereignisse beziehen, zum Verständnis der Gegenwart beitragen?

Denn Theweleit hat sein Werk nicht aktualisiert, lediglich um ein Nachwort ergänzt. Noch immer ist es ein Kaleidoskop von biografischen Fragmenten, Briefen und Tagebucheinträgen, in dem der heute 77-Jährige Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Freikorps der Zwischenkriegsjahre in Deutschland untersucht. Dabei destilliert er einen Archetyp des ,,soldatischen Mannes" heraus, der den Nationalsozialismus den Weg bereitete.

Auf 1174 Seiten versucht Theweleit nachzuweisen, dass faschistische Gewalt als Resultat eines gestörten männlichen Körperzustands gewertet werden könne. Viele NS-Täter hätten demnach im Laufe ihrer Sozialisation Prügel und militärischem Drill erlitten und dadurch lediglich einen ,,Fragmentkörper" entwickelt, dessen gehemmte Emotionalität dazu führe, dass sie eine übersteigerte Angst vor der Ich-Auflösung entwickeln. Permanent fürchte die fragile Männlichkeit von der Außenwelt überwältigt, verletzt oder überflutet zu werden.

Der daraus resultierende faschistische Mann versuche Herrschaft über die vermeintlich unkontrollierbaren ,,weiblichen" Anteile in sich zurückzuerlangen, das Weiche, Leidenschaftliche und Lebendige zu unterjochen. Diese gewaltsame emotionale Verstümmelung ziele letztlich auf die Erzeugung von Übersichtlichkeit und Ordnung, münde aber in einer enormen inneren Spannung.

In einen Zwang zur Gewalt drohe sich diese zu entladen, versuche ,,innere Zustände in riesige äußere Monumente" zu verwandeln. Der Hass auf das fremde eigene Innere wird zum Hass auf das Fremde im Außen. Dessen Zerstörung zu einer imaginierten Notwehr.

,,Ihre Aktion", schreibt Theweleit, ,,richtet sich auf die Herstellung einer Weltordnung, wie sie sie für notwendig erachten. Notwendig für sie selbst – zur Herstellung ihres eigenen körperlichen Gleichgewichts – und für die sie umgebende ,Kultur' (Rasse, Religion et cetera)".

Die Historikerin Birte Förster kritisierte unlängst in der ,,Süddeutschen Zeitung", dass die von Theweleit untersuchten Beispiele nicht repräsentativ seien, er keinerlei Quellenkritik betreibe. Zudem ignoriere er die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe der Weimarer Republik, reduziere Frauen auf ihre Opferrolle und übergehe gar NS-Täterinnen.

Auch eine kohärente Erklärung des Faschismus, die sich als umfassende Gesellschaftstheorie auf moderne Erscheinungsformen beziehen lässt, stellt der Text in den Augen vieler Rezensenten nicht dar. So merkt der Publizist Uli Krug an, dass Theweleit die Frage unbeantwortet ließ, ,,warum der ,soldatische Mann' deutscher Bauart Konzentrationslager baute, sein alliiertes Pendant sie aber befreite".

Doch aller methodischer und inhaltlicher Einwände zum Trotz: Theweleits Thesen sind für eine Analyse des Selbstverständnisses und der Beweggründe neurechter Gewalttäter durchaus fruchtbar. Unbestreitbar ist der Hass auf das Weibliche ein verbindendes Element in deren Gedankenwelt.

Sowohl Alek Minassian als auch Elliot Rodger, der Amokläufer von Isla Vista, trieb ein offen artikulierter Frauenhass an. Rodger sprach gar von einem ,,Krieg gegen Frauen", fantasierte in seinem Manifest, dass er sie in Konzentrationslagern verhungern lassen würde.

Für Massenmörder wie den Norweger Anders Breivik, Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant oder Stephen Balliet ist es der Feminismus, der die Reproduktion der ,,weißen Rasse" bedrohe. Das Aufbegehren der Frauen öffne die Tore für die ,,Flüchtlingsströme" und somit den Untergang der christlich-abendländischen Welt.

Gegen solche Drohbilder stilisieren sich die Mörder als gestählte Soldaten, zelebrieren in Bildern und Videos ihre Maskulinität, demonstrieren ein heroisierendes Beschützerverhalten, das Frauen zu Objekten degradiert.

Die vermeintlichen Protektoren der Nation sehen den Massenmord als letztes Mittel gegen die ,,Gender-Ideologie", ,,Verweichlichung", ,,Feminisierung", ,,Sexualisierung" und die vermeintliche Unterdrückung des Mannes.

Ihre Manifeste und Aussagen zeugen von einer zutiefst gekränkten und bedrohten Männlichkeit, für die Gewalt als legitimes Mittel erscheint, um eine fantasierte natürliche Ordnung wiederherzustellen.

Über Jahre angestaute negative Emotionen und ein offensichtlich quälendes Selbstwertdefizit kulminieren schließlich in Gewalttaten. So ließe sich mit Theweleit durchaus argumentieren, dass Taten dieser Männer kathartische Gewaltakte enthemmter Grausamkeit darstellen, ein somit geradezu ,,ersehnter Ausnahmezustand".

In seinem 2015 veröffentlichten Werk ,,Das Lachen der Täter", das zugleich als Aktualisierung der ,,Männerphantasien" gelesen werden kann, beschreibt Theweleit das Töten als ,,Jubel des Terrors zur eigenen Körperstabilisierung".

Der ,,anti-weibliche Komplex" ist dabei nicht nur auf rechtsextremistische Massenmörder begrenzt, sondern ebenso in den Gräueltaten von IS–Terroristen zu beobachten. Ein Typ wie Breivik sei demnach ,,strukturell patriarchaler Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann".

Und auch jenseits eines blutigen Ausagierens mittels Gewalteruptionen ist dieser Tage nicht zu bezweifeln, dass eine soldatische Männlichkeit weiterhin in höchsten politischen Ämtern anzutreffen ist. Da tönt AfD-Politiker Björn Höcke: ,,Nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft." US-Präsident Donald Trump breitet obszöne Verfügungsfantasien gegenüber Frauen aus: ,,Greif ihnen zwischen die Beine. Und dann kannst du alles machen."

Und der brasilianische Präsident Bolsonaro wies eine Abgeordnete im Parlament mit den Worten zurecht: ,,Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht wert bist." Sie alle eint ein Männertypus, der nur dann ein positives Selbstbild generieren kann, wenn Frauen herabgesetzt werden. Dessen Kampf der Auflösung vertrauter Konturen ins Uneindeutige und Unkontrollierbare gilt.

Beinahe verstörend ist, dass Theweleit in seiner psychologischen Analyse die Grenzen politischer Konzepte gegen die gefestigte Struktur des Soldatischen aufzeigt. Bessere Argumente allein kämen gegen den ,,Körperpanzer" des rechten Gedankengutes nicht an. Sein beinahe banal klingender Ansatz: der Fokus auf die möglichst frühe Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Ob das im Umgang mit antiliberalen Kräften der letzte Schluss ist, darüber darf getrost diskutiert werden. Als Warnung vor einer über Jahrtausende sedimentierten Kultur der Gewaltgeschichte in männlichen Körpern, die bis heute, wenn auch in abgeschwächter Form, gesellschaftlich reproduziert wird, bleiben Theweleits ,,Männerphantasien" hochaktuell. Und als Mahnung dafür, dass das Geschlechterverhältnis als ein zentraler Schlüssel für den zivilisatorischen Fortschritt betrachtet werden muss.


Aus: "Von der Maskulinität zum Massenmord" Hannes Soltau (11.01.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/neuauflage-von-maennerphantasien-von-der-maskulinitaet-zum-massenmord/25421444.html

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#11
"Klaus Theweleit im Gespräch - «Männerphantasien»: Körper, Krieg – und am Ende doch die Liebe" Eduard Erne (Dienstag, 11.02.2020)
Klaus Theweleit: «Faschismus ist keine Ideologie. Faschismus ist ein körperlicher Zwang, Faschismus ist die Arbeit bestimmter Körper, die Welt so einzurichten, wie sie es haben wollen.»
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/klaus-theweleit-im-gespraech-maennerphantasien-koerper-krieg-und-am-ende-doch-die-liebe


" ... Im Zwischenmenschlichen hört man auf, in Begriffen zu denken, weil man hier vor alltäglichen Problemen steht, für die man ganz pragmatische Lösungen finden muss. Wie teilt man etwa den Haushalt, wie geht man mit den Kindern um? Erst wenn hier von vielen Menschen ähnliche Entscheidungen getroffen werden, passiert etwas. Veränderung geschieht nicht darüber, was Feministinnen veröffentlichen, sondern über das, was sich konkret in den Familien abspielt. Kurz: Es geht immer um Lösungen von praktischen Problemen, nicht darum, ob man diese oder jene Idee vertritt. Das ist vollkommen egal. ..."
Aus: "Interview - Männerforscher Klaus Theweleit: «Männer tragen eine 12 000 Jahre alte Gewaltgeschichte im Körper, die in unseren Gesellschaften gepflegt und gefördert wird»" Judith Sevinç Basad (30.11.2019)
https://www.nzz.ch/feuilleton/klaus-theweleit-maenner-tragen-eine-gewaltgeschichte-im-koerper-ld.1524973


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"Kulturtheoretiker zu rechten Drohmails,,Weiblichkeit, die Gleichheitsansprüche stellt, steht unter ständiger Todesdrohung von rechter Männlichkeit"" (16. Juli 2020)
Theweleit äußerte sich vor dem Hintergrund der jüngsten Drohschreiben gegen Politikerinnen wie Hessens Linken-Fraktionschefin Wissler, ihrer Parteikollegin Helm aus Berlin, aber auch der Kabarettistin und Schauspielerin Idil Baydar. Theweleit schrieb dem Deutschlandfunk, dass Weiblichkeit, die Gleichheitsansprüche stelle, unter ständiger Todesdrohung von rechter Männlichkeit stehe – und von manch anderer Sorte Männlichkeit auch. Die Welt habe hierarchisch organisiert zu sein, und Männer in diesen Hierarchien seien selbstverständlich oben. Rechte Männlichkeit – die sich immer bedroht fühle von allem ,,Unteren" (Frauen, Fremden, People of Color) betreibe ihre politisch argumentativ verbrämte Angstabwehr prinzipiell mit Gewalt. Der Begriff ,,Frauenfeindlichkeit" ist für Theweleit im Zusammenhang mit den rechtsradikalen Drohbriefen gegenüber Frauen daher eine ,,beschönigende Bezeichnung". ...
https://www.deutschlandfunk.de/kulturtheoretiker-zu-rechten-drohmails-weiblichkeit-die.2849.de.html?drn:news_id=1151929

Seitennotiz:

Quote[...] Die deutschen Bischöfe wollen sich mehrheitlich nicht zu den jüngsten Aussagen des Papstes über Homosexuelle äußern. Gegenüber der F.A.S. gaben viele an, den Zusammenhang der veröffentlichten Zitate nicht genau zu kennen. Als einer von wenigen sagte der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer: Alle Äußerungen des Papstes seien zu deuten ,,im Licht der Lehre der Kirche, wie sie im Katechismus zusammengefasst ist und die der Papst offenbar selbst nicht in Frage stellt, sondern bekräftigt". Ein Film sei kein Medium für lehramtliche Verkündigung.

Laut Katechismus sind homosexuelle Handlungen ,,in sich nicht in Ordnung". Franziskus hatte in einem Dokumentarfilm über homosexuelle Paare gesagt: ,,Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht." Es war das erste Mal, dass ein Papst eine eingetragene Partnerschaft befürwortete.

Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, sagte, er toleriere, dass es in einer pluralistischen und säkularen Gesellschaft die Lebensform einer vom Staat garantierten eingetragenen Partnerschaft geben könne und dass diese Schutz und Rechte gewähren müsse. Nicht alle Bürger könnten auf das christliche Menschenbild verpflichtet werden, das eine ,,klare Vorstellung" von Ehe und Familie als Gemeinschaft von Mann und Frau mit der Offenheit für Kinder habe.

Für die Laien sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg: ,,Als das ZdK sich bei seiner Vollversammlung in Würzburg 2015 für eine Neubewertung homosexueller Partnerschaften und deren Segnung eingesetzt hat, galt das noch als eine unerhörte Wortmeldung." Die Äußerung von Franziskus zeige, wie schnell sich das ändere.


Aus: "Viele Bischöfe schweigen zu Papst-Aussage" Tobias Schrörs (25.10.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-papst-worten-ueber-homosexuelle-bischoefe-schweigen-17016800.html

QuotePeter Dimitrov-Ludwig (plus8), 25.10.2020 - 21:16

Wird mal Zeit das die katholische Kirche im "hier und jetzt" ankommt!

Ansonsten geht der Aderlass munter weiter: Wenn die sich nicht ändern, dann interessiert sich bald kein Mensch mehr für die katholische Kirche - bis auf ein paar FAZ Journalisten ...


QuoteRolf Kroeger (anedabei), 26.10.2020 - 00:02

Ludwig Feuerbach

Der erkannte ca 1830: Der Mensch erschuf Gott.


QuoteMartin Mühl (MartinJosefMichael), 25.10.2020 - 19:53

Kirchenaustritt

Im AT/Moses steht klar geschrieben, was Gott dazu meint.
Für mich ein Grund, aus der Kirche auszutreten.


QuoteWolfgang Körner (oskartheo), 26.10.2020 - 09:25

Herr Mühl

die lange Liste der Missbrauchsfälle in Ihrer Kirche ist für Sie kein Grund auszutreten?


QuoteGeorg Küppers (Sensenbrenner), 25.10.2020 - 22:48

Das ist kurzsichtig

Aus der kath. Kirche sollte keiner austreten. Man verspielt damit nur sein ewiges Heil. Wer die Kirche verleugnet, kommt nicht in den Himmel oder nur nach entsetzlichen Qualen. Nur weil man den Papst oder die Homosexuellen nicht mag, braucht man doch nicht auf den Himmel verzichten. Einfach Augen zu und durch, nur Mut!


QuoteChristoph Rhein (CARHEIN71Comment1), 25.10.2020 - 20:15

Priesterbruderschaft St. Pius X.

Sehr geehrter Herr Mühl, es bleibt noch eine Möglichkeit katholisch zu bleiben, es ist die Priesterbruderschaft St. Pius X. Dort wird die katholische Glaubens- und Morallehre unverkürzt gemäß der Tradition verkündet und die Sakramente allesamt gültig gespendet. Worauf warten?

["Trotz zweifachen Verbots durch Erzbischof Giovanni Benelli weihte Lefebvre am 29. Juni 1976 Seminaristen der Piusbruderschaft zu Priestern. In der Predigt dazu bekundete er:

    ,,Es bereitet uns einen ungeheuren und unermesslichen Schmerz, feststellen zu müssen, dass wir mit Rom Schwierigkeiten haben — wegen unseres Glaubens! [...] Wir befinden uns in einer wahrhaft dramatischen Situation. Wir müssen uns entscheiden. Es geht um einen sozusagen scheinbaren Gehorsam, denn der Heilige Vater kann von uns nicht mit Recht verlangen, unseren Glauben aufzugeben. [...] Wir entscheiden uns dafür, unseren Glauben nicht aufzugeben, denn darin können wir uns nicht täuschen."

... In einer mit den Piusbrüdern verbundenen Schule in Kansas wurde einer Schiedsrichterin die Tätigkeit verboten, da Frauen keine Autorität gegenüber Männern ausüben sollten. Schmidberger sprach sich gegen die Gleichberechtigung aus:

    ,,Wir brauchen heute Männer, die Männer sein wollen, Frauen, die Frauen sind und Frau sein wollen, das heißt Gehilfin des Mannes und Mutter der Kinder."

...

" Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Priesterbruderschaft_St._Pius_X. (15. Oktober 2020)]


...



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Quote[...] Über: Klaus Theweleit ,,Männerphantasien"
Matthes & Seitz Verlag, Berlin. 1200 Seiten


... Als im Februar 1933 die demokratische Verfassung der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt wurde, fragte der Psychoanalytiker Wilhelm Reich, wie die Massen eigentlich dazu gebracht werden konnten, dass sie sich ihre eigene Unterdrückung wünschten. Gegen die eigenen politischen Interessen zu wählen, scheint allerdings genau damit zu tun zu haben: mit mehr oder weniger irrationalen Wünschen, denen Wirklichkeit und Fakten nichts mehr anhaben können.

Mit Trump in den USA und den anhaltenden Wahlerfolgen rechtsextremer und antiliberaler Bewegungen in ganz Europa sind diese Wunschverhältnisse wieder höchst aktuell geworden. Befeuert durch radikale Enthemmung im Internet.

,,Nach wie vor ist es so, dass im verborgenen (oder auch offenen) Zentrum aller männlich-terroristischen Aktivitäten auf der Welt eine mörderische Anti-Weiblichkeit tobt. Ihre neue Relevanz erhalten solche ,Bewegungen' durch das Netz: Was vorher als ,Sektierertum' unterging in der unübersehbaren Gesamtheit der Erscheinungen, versichert sich durch das Netz seiner weltweiten Bedeutung."

Von links wurde der Faschismus als Konsequenz eines falschen Bewusstseins beschrieben. Die Massen seien unwissend und leichtgläubig. Wilhelm Reich schrieb 1933 über die Massenpsychologie des Faschismus und drehte den Spieß um. Der Marxismus sei einfach nicht in der Lage gewesen, die Attraktion des Nationalsozialismus zu verstehen, weil die Vorstellungskraft von seiner emotionalen und affektiven Struktur fehlte. Dass so viele Menschen für die NSDAP stimmten, war kein Versehen und wurde auch nicht bereut. Erich Fromm hat diese fatale Motivation 1941 als ,,Flucht aus der Freiheit" bezeichnet.


Folgt man Wilhelm Reich, wie Klaus Theweleit es 1977/78 mit seiner zweibändigen Studie ,,Männerphantasien" getan hat, und findet in dieser scheinbar paradoxen Konstellation einen Konflikt zwischen revolutionärer Rhetorik und der traditionellen Verknüpfung von Grenzüberschreitungen mit Scham und Bestrafung. Den Massen wurde, so Reich, beigebracht, dass sie ihre sexuellen Instinkte unterdrücken müssen. Und so verschmolzen soziale und sexuelle Krämpfe in Bildern von Gezeiten, Überschwemmungen, Unterströmungen, Unordnung und Chaos: alles, was Angst vor Auflösung darstellt oder das Subjekt zu schlucken droht. Und mit dem Faschismus aus Reichs Sicht der Klassenkampf ,,an den Ort des phantasmatischen Antagonismus" verlagert, also etwa in die Ideologie des Antisemitismus. Zinsen, Geld mit Geld zu verdienen, wurde gleichgesetzt mit abweichender Sexualität. Frauen wurden – und werden immer noch – von den faschistischen Männern gleichgesetzt mit den vermeintlich betrügenden Geldverleihern. Wie heute z.B. in rechtsradikalen Medien und Netzwerken etwa über den amerikanischen Investor George Soros berichtet wird, zeigt die unheimliche Aktualität dieses Komplexes.

Wie man überhaupt bei den erstaunlich zahlreichen klarsichtigen Lektüren aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf die Parallelen zum gegenwärtigen Rechtsruck in Deutschland und vielen anderen Ländern geradezu gestoßen wird. Die Macht der Massen zu inszenieren, ohne ihnen tatsächlich Rechte zu gewähren, völkische Identität zu proklamieren und gleichzeitig die kapitalistischen Klassenstrukturen zu bewahren und die Eigentumsbeziehungen intakt zu halten, ein Drama der Präsenz auf die politische Bühne zu bringen, das mit sexueller Intensität geladen ist, sind Strategien aus dem Handbuch des Faschismus, das auch AfD und Pegida aufmerksam studiert haben. In dieser Form darüber öffentlich zu reden und zu schreiben, war lange Zeit gesellschaftlich tabuisiert. Die neuen ,,Netz-Nazis", wie Theweleit sie auch nennt, aber halten sich nicht mehr daran.

,,Sie haben deutlich beschlossen, das ihnen gesellschaftlich halbwegs zugestandene Segment zu verlassen. Sie hängen sich an die großen Glocken, und zwar an jede erreichbare. Sie fordern, vom Ganzen wahrgenommen zu werden. Mehr: Sie verlangen die Herrschaft über das Ganze. ,Wir sind die Einzigen, die ...', zum Beispiel die Einzigen, die deutsche Politik machen in Deutschland. Wir sind das Ganze. Dass sie dafür nicht mehr einfach nur ausgelacht werden, ist allein möglich durch das Netz. Das Netz verschafft Omnipräsenz, für Momente auch den sonst Übersehenen. Jedes Mini-Segment wird aufblasbar zu Globalgröße, und zwar in etwa Lichtgeschwindigkeit. Jeder kleine und kleinste Monitor hat heute die Machtausstrahlung, die noch vor wenigen Jahren nur von Groß- und Offizialmonitoren ausging. Er ist konkurrenzfähig, diesseits alles ,Ideologischen'. Dies hat, nach der anfänglich beschworenen Graswurzelrevolution des Demokratischen durch das Internet, der Rechtspopulismus begriffen und sich zu Nutze gemacht."

Die Ursachen sucht Theweleit, der Wilhelm Reich aufmerksam studiert hat, allerdings woanders. Denn dass sich das Problem des Faschismus durch die Bekämpfung psychischer Hindernisse und Hemmungen lösen ließe und der Faschismus eine intellektuelle oder sexuelle Verformung darstellt, muss man glauben wollen. Und dass dagegen ein anderes Bildungssystem und eine andere Art der Sozialisation helfen könnten, klingt mindestens nach einer ziemlich langwierigen Aufgabe. Da hilft auch die Unterscheidung, die Deleuze und Guattari 1972 in ihrem Buch ,,Anti-Ödipus" ins Spiel gebracht haben. Anders als bei Reich kann der Faschismus für sie nicht als psychosexuelle Störung angesehen werden, da das Begehren immer sozialer Natur sei. Und ohne den ,,Anti-Ödipus" bis dahin zu kennen, hat Klaus Theweleit fünf Jahre später mit ,,Männerphantasien" das deutsche Gegenstück dazu geschrieben: Eine Psychologie und Soziologie des ,,weißen Terrors" und des ,,soldatischen Manns".

Tagebücher, Briefe, Autobiografien und Romane von Mitgliedern der sogenannten Freikorps, also paramilitärischer Einheiten und Söldner, die nach Ende des Ersten Weltkriegs sich weigerten, ins Zivilleben zurückzukehren, und stattdessen die kommunistischen Räte und die Weimarer Republik überhaupt bekämpften, wie etwa bei Hitlers Putschversuch 1923: Das ist die Datenbasis, auf deren Grundlage Theweleit erzählt, wie aus verdrängter Sexualität Gewalt wird.

Allein die Verdrängung produziert kein Geheimnis. Kommunismus und Kastration werden in diesen Texten offen gleichgesetzt. Politisch und sexuell entmannt und machtlos zu werden, ist 1919 angesichts der Einführung des Wahlrechts für Frauen für den soldatischen Mann eine bedrohliche Realität. Und die findet Theweleit in den ausgesuchten Texten manifestiert. Zahlreich etwa die Erzählungen, in denen von bewaffneten Frauen die Rede ist, die ,,den Mann" zu kastrieren drohen.

,,Die Bilder der bewaffneten Frau sind ein Produkt der Todesangst dieser Soldaten. ... Diese Männer empfinden den ,Kommunismus' als direkten Angriff auf ihr Geschlechtsteil."

Nicht so ganz erst dann, aber als 1918/19 sich die Arbeiter erhoben und dann die Weimarer Verfassung neue Regeln einführte, bedeutete das eine Bedrohung für die alte preußische Ordnung, in der Militär und Aristokratie ihre Privilegien genießen konnten. Wie existenziell die Angst war, kann Theweleit eindrucksvoll an immer wieder bezeugten imaginären Identität zwischen der Angst vor der Revolution und der Angst vor dem Ertrinken und der physischen Auflösung belegen. Und immer dienen diese Ängste und die gesamte Bildwelt der Ströme und des Wassers als Chiffre für die Frau, gegen die das eigene Überleben verteidigt werden muss. Mitte der siebziger Jahre über den sozialen Charakter von Geschlechterdifferenzen und die patriarchalische Sexualität von Unterdrückern und Unterdrückten zu schreiben, hatte sicher noch eine anderen Stellenwert als heute, vierzig Jahre später. Wie Theweleit in seinem Nachwort zur Neuausgabe deutlich macht, hat sich an der Aktualität dieser Unterscheidung nicht viel geändert. Die Ängste der Menschen, die sich als ,,Besorgte" verkleiden, sind wenig anders.

,,Angst vor dem Untergang: beim fragmentierenden Körper immer Angst vorm Körperlich-verschlungen-Werden. Der Boden geht weg unter den Füßen. Sümpfe, Schlamme, Schleime, Breie, Schlick und Scheiße, die ganze sich in Modder auflösende Umwelt verschlingend ,ihn'. Es muss zurückgeschossen werden. Auch wo niemand schießt."

Lange Zeit konnte man, was diese Männerängste zur Gewalt befeuert als gesellschaftliches Nischenphänomen betrachten. Durch die Digitalisierung, so Theweleit, haben sich diese Nischen von innen nach außen gestülpt. Alle rechtsradikalen Mörder der Gegenwart, ob im neuseeländischen Christchurch oder neulich in Halle, zeigen, etwa via Facebook, wie sie vorgehen. Sie ahmen nach und wollen Vorbild sein für Nachahmer.

,,Die Freikorpskiller 1919/20 waren nicht weniger auf das Ausstellen ihrer ,Taten-die-das-Land-retten-sollen' bedacht. Sie mussten das über Flugblätter tun, über die Lokalpresse und die militärisch-politischen Verlautbarungen ihrer Kommandeure. Auch das war ein Netz, aber ein vergleichsweise beschränktes; und manchmal nur ein lokales oder regionales – bis die Nazis diese mediale Beschränktheit beendeten durch ,Eroberung' der deutschen Radiosender in den Jahren 1930 ff. und deren staatliche Zentralisierung nach 1933. Die politischen Möglichkeiten neuer Technologien werden – sobald sie über den Avantgardestatus ihrer Erfinder hinaus sind – oftmals am entschiedensten genutzt von der politisch extremen Rechten. Gerade die mit den ,rückständigsten' Ideologien, gerade die ,Blut-&-Boden'-Leute ,vom Land' sowie die ,Rassenkundler' aus dem Hinterwald haben nicht die geringsten Berührungsängste mit jeweils modernsten Technologien. Ein Rätsel? Nein. Die ,Kohärenz' seiner Ideologie kümmert den Typ, dessen Verhältnis zu den äußeren Realitäten ein gewalttätiges ist – kümmert ,den Nazi' –, überhaupt nicht. Körper, die auf Herrschaft aus sind, auf Machtausübung und Unterdrückung derer, die eher Gleichheit in der Gesellschaft wollen, erkennen mit untrüglicher Sicherheit, was ihnen nützt, was brauchbar ist für ihre Selbstermächtigung und deren Ausstellung. Die technologischen Neuerungen sind immer mehrseitig – weit über das Phänomen des Double Use hinaus. Wer vor allem am Machtzuwachs interessiert ist, wird jene Züge der Technologien, die ihm dazu verhelfen, besonders leicht erkennen und sie rigoros nutzen."

Ob das so umfassend stimmt, bezogen auf das Verhältnis von Technologien und Medienpraxis, kann man vermutlich bezweifeln. Der rigorosen Praxis, mit der die Nazis sich das Radio untertan gemacht haben, und der heutigen Nutzung algorithmisierter sozialer Medien, die man so nicht gleichsetzen kann, steht eben immer auch noch ein anderer Mediengebrauch gegenüber, mit anderen Eigenschaften, Zielen und Zwecken. Wichtig ist Theweleits Hinweis aber zweifellos für das, was aus solchen Konflikten folgt. Wenn das Netz zu einer Parteibasis wird, die sich neu und viel müheloser aktivieren lässt, stellen sich angesichts der Erosion der sogenannten Volksparteien auch neue Aufgaben für Bildung, technologische Entwicklung und Regulierung.

,,Zu jeder neuen Freiheit gehört, dass sie zur Zerstörung genutzt werden kann. Von Mordwütigen zum Morden."

Theweleit beschreibt in den ,,Männerphantasien", dass die Produktion von Geschlecht und Sexualität eng mit Antisemitismus und Rassismus verbunden ist – sowohl vor, während und nach der Weimarer Republik. Die faschistische Sexualität ist nicht so sehr unterdrückt, sondern ideologisch: Sie idealisiert Männlichkeit und Fruchtbarkeit als politische Imperative. Seine Trophäen sind es nicht nur deshalb wert, weil es eine Kontinuität zwischen dem alltäglichen Sexismus – zum Beispiel der kulturell tolerierten Misogynie von Ausdrücken wie ,,Ich würde ihr das Hirn rausficken" – und der mörderischen Raserei des Freikorps gibt; oder weil Konflikte um sexuelle Sitten und Geschlechterrollen wieder zu einem entscheidenden Ort des politischen Kampfes geworden sind; sondern vor allem, weil die Frage nach dem Geschlecht immer entscheidend ist, den ,,Feind" als den ,,Akt, der das Kollektiv ins Leben ruft" zu definieren.

Der Inhalt des Faschismus ist eine nationalsoziale Form des Darwinismus. Das ist es, was ihm ideologische Kohärenz verleiht – es verbindet seine Rassenpolitik mit seinem lückenhaften Wirtschaftsprogramm. Wie Hitler angeblich sagte: ,,Das grundlegende Merkmal unserer Wirtschaftstheorie ist, dass wir überhaupt keine Theorie haben." Der Begriff des Geschlechts wird zu einer organisierenden Kategorie in allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens, und das zu einer Zeit, in der die Wissenschaft unterschiedliche Geschlechterrollen mit Unterschieden in der Biologie verknüpft. Da der Begriff des Fortschritts auf die Männlichkeit übertragen wird, ist die erhöhte Angst vor der weiblichen Emanzipation nicht nur ein Phänomen: Für die Freikorps war die ,,rote Krankenschwester", die Frau, die es wagte, in die Domäne des Mannes einzudringen (sowohl politisch, indem sie für den Sozialismus kämpfte, als auch beruflich, indem sie medizinische Funktionen ausübte), eine Chiffre für den totalen Zerfall des Sozialen.

,,In der Gestalt der ,Roten Krankenschwester' scheint die Phantasie vom Flintenweib den Freikorpssoldaten als Wirklichkeit vor Augen zu treten. Diese Frauen waren überall, wo die Arbeiter der Roten Armee im Ruhrgebiet gegen Reichswehr und Sicherheits- polizei kämpften, in der Nähe der Front zu finden."

,,Die Emanzipation der Frau war bis 1914 nicht als grundsätzliches und wichtiges Ziel im Bewusstsein der Arbeiterbewegung", betont Erhard Lucas in seiner Darstellung der Teilnahme der Arbeiterfrauen und Arbeitermädchen am Kampf der Männer in der Roten Armee. Gerade die aus sozialdemokratischer Tradition herrührende Abneigung der Arbeiter, Frauen in politische Gremien (Vollzugsräte etwa) zu wählen, mache es umso auffälliger, dass die Arbeitermädchen überall wie selbstverständlich aktiv werden und mit den Männern gehen, die in den Kampf ziehen – mit dem Freund, dem Verlobten, dem Ehemann, andere aber auch ganz selbständig.

Zu solcher Selbständigkeit hatte der Weltkrieg den Frauen verholfen, indem er sie zwang, Arbeit in den Betrieben zu nehmen, und die Familienangelegenheiten ohne die Männer zu erledigen."

Die ,,Männerphantasien" sind ein eigentümliches Buch. Hier wie auch in Theweleits folgenden, nicht minder umfangreichen, mehrbändigen Werken über Machtverhältnissen in den Künsten, dem ,,Buch der Könige" und dem ,,Pocahontas-Komplex", beide noch nicht abgeschlossen, entfaltet er eine unverwechselbare Schreibweise, die sich löst von wissenschaftlichem Vokabular und Duktus, vielmehr persönlich, manchmal autobiographisch und bisweilen umgangssprachlich vorgeht. Er zeigt durchaus, wo es ihm passend scheint, dass er alle relevante Fachliteratur kennt und verzichtet auch nicht auf wissenschaftliche Begriffe. Das lässt die kleine Polemik im aktuellen Nachwort gegen inflationären Gebrauch von literatur- oder kulturwissenschaftlichem Vokabular ein wenig wohlfeil erscheinen. Aber geschenkt: Theweleits speziellem Sound kann man leicht folgen, zumal dann, wenn er Bergwerke von Material zum Sprechen bringt. Maßgeblich unterstützt durch seine virtuose Handhabung und Montage von vielfältigem Bildmaterial, das nicht nur dem Thema zeitgenössisch ist, sondern auch die ganze Bandbreite der populären Kultur einbezieht. Die ,,Männerphantasien" sind gleichzeitig Kulturgeschichte, kritische Theorie und manchmal auch ein Prosagedicht. Zusammen eine Studie über die faschistische Männlichkeit, eine psychopolitische Untersuchung der autoritären Männlichkeit, die es sich mit großem Erkenntnisgewinn für die gegenwärtige Situation zu lesen lohnt.

Theweleits Fokus liegt auf den Freikorps, den rechtsextremen Milizen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Deutschland zusammengeschlossen haben. Die Freikorps bestanden größtenteils aus Veteranen, die sich durch den Ausgang des Krieges verloren und gedemütigt fühlten. Sie schlugen 1919 den Spartakistenaufstand nieder, bekämpften erfolgreich die kurzlebige bayerischen Räterepublik oder kommunistische Aufstände im Baltikum. Viele dieser Männer, von denen etliche herausragende Stellungen im nationalsozialistischen Staat fanden, haben geschrieben. Sehr oft. Theweleit unterzieht das riesige Korpus von Freikorps-Literatur seiner Exegese. Er findet Bilder der Intimität, Hybridität, des Überschreitens von Grenzen, die obsessive Thematisierung von Schmutz, Unordnung, und Fluidität. Eindrucksvoll das Kapitel ,,Ströme" im ersten Band der ,,Männerphantasien", dessen Lektüre auch für die heutige Rede von den ,,Flüchtlingsströmen" aufschlussreich ist. Durchdrungen sind die Freikorps-Texte von Misogynie und einem hypervigilanten Machismus. Der ,,soldatische Mann" ist für Theweleit das Ergebnis einer katastrophalen Reaktionsbildung. So liest er etwa Ernst Jünger und findet einen Typus:

,,Diesen Typ imaginierte Jünger so, als ob er keine Triebe, keine Psyche mehr hätte, nicht mehr nötig hätte, da alle Triebkräfte sich glatt und reibungslos in Funktionen des stählernen Leibes verwandelt haben – und genau darauf, scheint mir, will Jünger hinaus: auf die Utopie der Körpermaschine. Sie beherrscht, transformiert ihr Inneres, wie die Makromaschine Truppe ihre Einzelteile. Die Faszination der Maschine liegt für Jünger demnach darin, dass sie eine Anschauung davon zu bieten scheint, wie man ,leben' (sich bewegen, töten, etwas ausdrücken) kann, ohne Gefühle zu haben. Der Stahlpanzer schließt ein jedes fest ein. Der ,neue Mensch', gezeugt aus dem vom Drill organisierten Kampf des alten Menschen gegen sich selbst, ist lediglich der Maschine verpflichtet, die ihn geboren hat. Er ist eine wirkliche Zeugung der Drillmaschine, gezeugt ohne Zuhilfenahme der Frau, ohne Eltern. Verbindungen, Beziehungen, hat er zu anderen Exemplaren des neuen Menschen, mit denen er sich zusammenfügen lässt zur Makromaschine Truppe. Alle anderen passen nur ,unter', nicht neben, vor oder hinter ihn. Die notwendigste Arbeit der Stahlnaturen: alles zu verfolgen, einzudämmen, zu unterwerfen, was sie zurückverwandeln könnte in das schrecklich desorganisierte Gewimmel aus Fleisch, Haaren, Haut, Knochen, Därmen, Gefühlen, das Mensch heißt, alter Mensch."

Verkörpert werden diesen bösartigen Kräften von der Weiblichkeit. Sie ist der ,,Sumpf", in dem das Ego taumeln und ertrinken wird. Obwohl manchmal in idealisierten Visionen einer immer jungfräulichen ,,weißen Frau" unterdrückt, ist die Wut, die die soldatischen Männer gegenüber dem anderen Geschlecht ausdrücken, fast immer mörderisch. Die Fassade der weiblichen ,,Unschuld" muss durchbohrt werden, um den ganzen Morast zu zeigen. Dagegen werden ein Körper, ein Selbst konstruiert, die anorganisch, unerbittlich und damit männlich sind. Und diese Männer brauchen den permanenten Krieg als einen ,,Mechanismus der Selbstversorgung". Dieser Mann überlebt, indem er sich als Mörder unterscheidet, im Gegensatz zu dem, was er als bedrohlich empfindet.

,,Sie hatte Blut, das aus ihren Augen kam, Blut, das aus ihr kam... wo auch immer."

Ein Satz, den auch Theweleit hätte zitieren können. Tatsächlich aber wurde er von Donald Trump gesagt, 2015 während des Präsidentschaftswahlkampfs über die Fox-Moderatorin Megyn Kelly, die ihn während einer Fernsehdebatte mit Nachdruck befragte. Trumps bizarre Menstruationsanspielung deutet darauf hin, dass er sowohl auf die Körperfunktionen von Frauen fixiert, als auch von diesen angewidert ist. Wiederholt hat er auch bei Twitter negative Kommentare über Frauen und ihr Aussehen veröffentlicht. Nun ist das nicht das, was Theweleit als soldatischen Mann identifizieren würde, aber dieser Archetyp ist für ihn auch nur die extremste Inkarnation pathologischer, konstitutiv frauenfeindlicher Männlichkeit.

Keine Lösung, aber eine Losung für das, was man mit dieser erschreckenden Lektüre anfangen könnte, gibt Theweleit am Ende seines neuen Nachworts. Gegen den Hass und gegen die Mörder und die Gewalt empfiehlt er ein Liebesleben zu finden als ,,Normalverhalten zusammenlebender Zivilisten"; für ein Leben, das nicht an Vokabeln allein hängt wie Würde und Respekt, sondern, das die Menschenkörper ernst nimmt und die Haut als wirkliche Grenze, als Menschenrecht der Unversehrtheit gegenüber allem, was nicht gewünscht wird.

,,Haut, die berührbar ist, wo gewünscht, gegenseitig. Make Love Not War."


Aus: "Klaus Theweleit: ,,Männerphantasien"Grausame Männer- Wie kurz ist der Weg vom Wort zur Gewalt?" Guido Graf (15.12.2019)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/klaus-theweleit-maennerphantasien-grausame-maenner-wie-kurz.700.de.html?dram:article_id=465492

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#13
Verleihung des Theodor-W.-Adorno Preis 2021 an Klaus Theweleit (11.09.2021)
In einem feierlichen Festakt hat Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig am Samstag, den 11. September, in der Paulskirche den alle drei Jahre vergebenen Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main an den Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Theweleit verliehen. Die Literaturkritikerin und Publizistin Sigrid Löffler hielt die Laudatio.
https://youtu.be/M7btJR1490w

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Über Exile - Dankrede zur Verleihung des Theodor W. Adorno-Preises der Stadt Frankfurt am 11. September 2021
Von Klaus TheweleitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Theweleit

Vorbemerkung der Redaktion: Am 11. September 2021 wurde Klaus Theweleit mit dem Theodor W. Adorno-Preise der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet. Eine Dokumentation des Festaktes in der Paulskirche ist bei YouTube zugänglich (https://youtu.be/M7btJR1490w). Die einleitende Musik, wie auch die Musik am Ende, ist eine freie Improvisation, ,,inspiriert durch Adornos Streichquartett von 1921". Die Musiker, zusammengestellt von Luke Wilkins auf Wunsch von Klaus Theweleit: Adam Goodwin, Kontrabass; Diego Kohn, Viola; Hans Koch, Baßklarinette; Luke Wilkins, Geige, Stimme. Die Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig überreichte den Preis. Die Literaturkritikerin und Publizistin Sigrid Löffler hielt die Laudatio. Wir danken Klaus Theweleit für den Text seiner Dankrede und für die Genehmigung, ihn in literaturkritik.de zu veröffentlichen. ...
https://literaturkritik.de/klaus-theweleit-ueber-exile-dankrede-zur-verleihung-theodor-w-adorno-preises-stadt-frankfurt-am-11-september-2021,28256.html

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Quote[...] Selbst im Bildungsfernsehen und Zeit-Kolumnen wünschen sich viele den "richtigen Mann" zurück. Warum bloß?

Und das Klischee lebt fort: Männer, die Dickpics verschicken, die Fleisch auf den Grill packen, die sich in Fight Clubs treffen, die auf Seminare gehen, um todsichere Anmach-Techniken zu lernen. Klaus Theweleit hat diese Männlichkeitsbilder als "Körperpanzer" beschrieben. Statt ein Mann zu werden, greift man zu Panzerplatten, d.h. zu erprobten Bildern von Männlichkeit. Die erlauben es einem zu funktionieren. Die werden mit Anerkennung der anderen Männer belohnt, weil sie deren eigenes Verhalten kopieren und so bestätigen. Männer sind also nicht per se männlich, sie imitieren "Männlichkeit". Eine Form von Komplexitätsreduktion – es verringert die vielen Möglichkeiten auf ein paar gesellschaftlich anerkannte. Mut sieht anders aus. Dieses Schissertum, diese Angst, sich auszuleben und auszuprobieren jenseits von Männerklischees, schafft es aber unter großen Anstrengungen, sich als männlich zu geben: breitbeinig und bärtig, mit dunkler Stimme, intellektueller Überlegenheit, Abgeklärtheit und unerschütterlicher Potenz. Aber wie so häufig gilt auch hier der küchenpsychologische Satz: Je mehr etwas betont werden muss, desto fragiler ist es.


... Aber dieses alte Modell des Mannes, der wegen seiner angeblich herausragenden Eigenschaften natürlich die Aufmerksamkeit aller Frauen auf sich zieht, wirkt immer noch fort. Ein aktuelles Beispiel ist der ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt, der es als normal empfand, sich vor der Kamera als "super-straight", also als klassischen Mann zu präsentieren – und darunter offenbar leider verstand, untergebene Mitarbeiterinnen solange mit Avancen zu überziehen, bis er sie hatte, wo er sie sich hin wünschte. Interessant ist, dass auch viele Frauen das als normal erachten. Dr. Svenja Flaßpöhler etwa warnte im Gespräch mit Richard David Precht davor, heutzutage werde der Flirt aus dem Büro vertrieben. Der Grund: Weil wir Ambivalenzen, das Ineinanderspielen von Gut und Böse nicht mehr ertrügen: "Die ganze Erotik soll am Arbeitsplatz nichts mehr zu suchen haben". Precht lamentiert voller Zustimmung, dass die Sensiblen ihren "männlichen Kern verloren" hätten.

Machtmissbrauch als Flirt? Für Flaßpöhler ist der echte Mann, der mit "einem männlichen Kern" offenbar eine Idealvorstellung. Hingegen hat sie Probleme mit dem Sensibelchen, das seinen Mann nicht steht. Das verrät sie uns in ihrem aktuellen Buch "Sensibel". Mit dem traditionellen Zerrbild des starken Mannes kommt sie hingegen gut zurecht. Warum? Weil die Komplexitätsreduktion natürlich auch jenen Frauen hilft, die mit ihren Rollenmustern nicht brechen wollen. Wenn die Männer berechenbar in ihrer Rolle sind, können auch die Frauen weiter in ihrem Rollenkorsett bleiben (mit modischen Auflockerungen, siehe Flaßpöhlers Buch ,,Die potente Frau"). Und das schafft Sicherheit. 

... Ich hatte geglaubt, wir wären weiter. Eine kleine Hoffnung bleibt: Das Beschwören des Kerls mit "männlichem Kern" hat deswegen eine solche Konjunktur, weil eigentlich niemand mehr so richtig an ihn glaubt. Wäre er wirklich so potent, bräuchte er keine Rechtfertigung, keine Verteidigerinnen, keinen Zuspruch.  ... Wäre nicht schade drum, wenn er verschwinden würde. Es wäre besser für die Frauen – aber vor allem für die Männer. Die, statt Stereotypen zu imitieren, endlich frei sein könnten.

...


Aus: "Auslaufmodell "Harter Kerl": Mut zur Impotenz" Martin Zeyn (08.12.2021)
Quelle: https://www.br.de/kultur/maennlichkeit-auslaufmodell-harter-kerl-mut-zur-impotenz-100.html

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#15
Quote[...] Seine oft mehrteiligen Bücher passten buchstäblich in keine Schublade, bilanziert Theweleit: «Bis heute wissen Buchhändler nicht, wo sie die Männerphantasien hinstellen sollen. Zur Faschismus-Theorie, zur Genderforschung, zur Psychoanalyse oder sonstwo.» ...


Aus: "Klaus Theweleit wird 80 - Über die Liebe zum Pferd und andere Männerphantasien" Sven Ahnert (07.02.2022)
Quelle: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/klaus-theweleit-wird-80-ueber-die-liebe-zum-pferd-und-andere-maennerphantasien

Quote[...]  Geboren 1942 in Ostpreußen, kam Theweleit als Flüchtlingskind nach Flensburg. Mit den Gräuel des ,,Dritten Reichs" konfrontiert und der mitleidlosen Art der Eltern, wie sie daheim darüber redeten und befanden, dass wohl doch ,,ein bisschen zu viele Juden" umgebracht worden seien, begann für Theweleit der - nie endende - Prozess nach den Quellen dieses Ordnungsprinzips zu suchen. Er fand es in Gedichten seines Idols Gottfried Benn ebenso vor wie in den Briefen von Freikorpssoldaten, über die er seine Dissertation schrieb und später den Klassiker ,,Männerphantasien".

Darin arbeitet er die Begriffsbilder des Typus Soldatischer Mann heraus, der sich von Schleim und Dreck, Blut und Innereien bedroht sieht und dagegen zu panzern versucht mit Fantasien der Ausmerzung, der totalen Kontrolle über Leben und Tod. Später sollte er diese Spur mit ,,Das Lachen der Täter" bis zu den Attentätern weiterverfolgen, Breivik & Co, die den ,,Lustmord" in die Gegenwart tragen. Gefragt, ob Männer schuld am Bösen in der Welt seien, lautet seine Antwort: ,,Ja." In jedem normalen Mann stecke der Massenmörder, ,,wenn die Schleusen geöffnet sind". Das heißt: Wenn die moralische Legitimation da ist.

Den Generalschlüssel für diese Deutung fand er in Margaret Mahlers psychoanalytischer Studio ,,Symbiose und Individuation". Während der glückliche Körper seine Außenhaut zur Entwicklung von Beziehungen nutzen kann, Liebesbeziehungen, mangelt es dem autoritären Charakter an der libidinösen Besetzung seiner Außengrenzen. Er will zerstören, was ihn in seiner eingebildeten Einheit bedroht. Indem er Menschen in blutige Masse, zerstörte Leiber verwandelt - oder darüber nachdenkt, es zu tun -, richtet er mit ihnen an, was er in sich selber trägt: ,,Blut und Scheiße", wie Theweleit sagt.

... An diesem Montag wird Klaus Theweleit 80 Jahre alt.


Aus: "Kulturtheoretiker Klaus Theweleit wird 80: Raus aus dem Körperpanzer" (06.02.2022)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturtheoretiker-klaus-theweleit-wird-80-raus-aus-dem-koerperpanzer/28043056.html

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Quote[...] Er ist auch mit nun 80 Jahren ein fast jugendlich wirkender intellektueller Pfadfinder mit wallender Rockermähne. Einer seiner größten Fans von Anbeginn an lebt in München: die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die in ihren Theaterstücken immer wieder auf Theweleits Werk referiert.


Aus: "Klaus Theweleit zum 80. Geburtstag - "Der mit der Feder focht"" Knut Cordsen (04.02.2022)
Quelle: https://www.br.de/kultur/klaus-theleweit-80-geburtstag-100.html

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Quote[...] Über 20 Jahre hat Klaus Theweleit an seiner Kulturgeschichte des westlichen Kolonialismus gearbeitet. Seine Forschungen erbrachten Erkenntnisse, die er im Düsseldorfer Gespräch mit Jochen Hörich als verblüffende Thesen erläuterte. Zum Staunen brachte gleich zu Anfang seine neue Darstellung der griechischen Mythologie, der er jede religiöse Überhöhung abspricht. Angefangen mit Zeus seien alle großen Namen nichts mehr als importierte Vergewaltigungsgeschichten früh eingewanderter Fremdvölker. ...


Aus: "Klaus Theweleit im Heine-Haus: Denkanstöße für die Kulturgeschichte" (27. Oktober 2021)
Quelle: https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/kultur/duesseldorf-lesung-von-klaus-theweleit-im-heine-haus_aid-63732787

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Kontext: "Anschlag in Hanau 2020: Schizophren und Rassist" Von Christian Vooren, Wiesbaden (7. Februar 2022)
Im U-Ausschuss des hessischen Landtags wird ein Gutachten über den Täter vorgestellt. Das zeigt eine lange Krankheitsgeschichte und den Weg einer Radikalisierung.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/anschlag-hanau-2020-untersuchungsausschuss-taeter

"Attentäter von Hanau: Psychogramm eines Killers" Essay von Klaus Theweleit (14. 2. 2021)
Vor einem Jahr tötete der rechtsextreme Bankangestellte Tobias R. zehn Menschen. Eine Analyse von Tätern, die mit den Spaltungen des Ichs nicht klarkommen. ... Alle Sorten Faschisten handeln grundsätzlich aus Notwehr. Die Welt (= der Sumpf, soweit diese Welt weiblich ist) will ihnen ans Leder, ans Geschlecht, ins Gehirn, ans Eingemachte. Sie müssen sich wehren. Ihr Tun ist damit immer frei von Schuld.
Warum muss eliminiert werden? Ihre Welt (,,Volk", ,,Nation", ,,Rasse", ,,Natur", die ,,Geschlechterordnung", der ,,Glaube") müssen gerettet werden vor dem Untergang. Das geht nur mit Gewalt. An dieser haben sie Spaß.
Der Hanauer Tobias R. listet mehr als zwei Dutzend Länder auf, deren ,,Völker komplett vernichtet werden müssen": Staaten im arabischen und asiatischen Raum, von Marokko bis zu den Philippinen. Seine Heimat dagegen sei ,,ein Land, aus dem das Beste und Schönste entsteht und herauswächst, was diese Welt zu bieten hat".
Die Deutschen ,,hätten die Menschheit als Ganzes emporgehoben". Allerdings seien nicht alle Bundesbürger ,,reinrassig und wertvoll", er erwäge ,,eine Halbierung der Bevölkerungszahl". Er würde ,,diese Menschen alle eliminieren, auch wenn es dabei um mehrere Milliarden geht". ... Immer sind merkwürdige Kräfte bei all diesen Tätern mit am Werk. Geheime Zirkel, Verschwörungen, Geheimdienste, die die Welt steuern; mal benannt als jüdisch, mal als islamisch, mal als kulturmarxistisch; in jüngster Zeit oft als queer-feministisch: verschlingende, aussaugende Organisationen. ...
https://taz.de/Attentaeter-von-Hanau/!5748592/

"Die Krankheit heißt Rassismus" - Klaus Theweleit über den Attentäter von Hanau (2021)
https://youtu.be/_vnF2eL19g8


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Quote[...] Im Tierreich rüsten die Männchen auf, um Weibchen zu erobern. Sie demonstrieren Stärke, Kraft, lautes Geschrei. Manche singen in hohen Tönen, manche sehen rot. Sie zeigen ihre Eier, ihre Kampfbereitschaft, ihr Gemächt. Das ist, was Russland tut. Seine Eier sind aus Stahl. Sein Sperma ist Schwarzpulver.

150.000 Soldaten mit schwerem Gerät hat Russland an die Grenze zur Ukraine verlegt. Laut US-Geheimdiensten reicht das, um siegesgewiss in die Ukraine einzumarschieren und die Regierung dort zu stürzen, was eines der Szenarien ist.

In endlosen Kolonnen fahren russische Militärfahrzeuge und Panzer an der 2.295 Kilometer langen russischen Grenze zur Ukraine auf. Und an der 1.084 Kilometer langen zwischen der Ukrai­ne und Belarus, denn auch Belarus ist involviert. Von drei Seiten bedrängt Russland sein Nachbarland.

Die demonstrierte Macht der Panzer mit ihren phallischen Kanonenrohren und der Kampfflugzeuge mit ihren geschürzten Schnauzen wirkt obszön. Sie richten sie auf die Ukraine; Ukrayina. In Sprachen mit grammatischem Geschlecht ist die Ukraine weiblich. Die Ukraine also – aber selbst wenn das Land die Frau ist, ist dies kein Freibrief, sie mit Gewalt zur Vereinigung zu zwingen: ,,Nein heißt Nein."

Auch im Tierreich wird vergewaltigt. Also gilt der Vergleich vom Anfang des Textes. ,,Häufig attackieren die Männchen die Weibchen in Gruppen, was dramatische Folgen haben kann" – für manche Weibchen gar tödliche. So ist es auf der Webseite der ARD-Sendung ,,Planet Wissen" zu lesen. Delfine, Fledermäuse, Stockenten sind auf Gang-Bang aus.

Bereits mehrfach wurde die Ukraine bezwungen. Befragen Sie die neuere deutsche Geschichte. Und die russische. Beide Länder haben sich die Ukraine zeitweise einverleibt. Unsere Urgroßväter, Großväter, Väter haben das Land erobert und vergewaltigt. Im Wörtlichen und Übertragenen. ,,We live in Bloodland", wir leben im Blutland, sagte die ukrainische Autorin Hanna Hrytsen­ko, die zu Faschismus und der neuen Rechten forscht, als sie mich im vergangenen Herbst durch die Schlucht von Babyn Jar führte, diesen Ort, wo die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende erschossen.

Vor Jahren habe ich meinen inzwischen verstorbenen Vater, der Wehrmachtssoldat war, auch im Osten, gefragt, ob er im Krieg vergewaltigt hat. ,,Nein. Aber einmal hätte ich gekonnt, nur war ich zu besoffen."

Wenn ich das erzähle, wird mitunter mit Unverständnis reagiert: ,,Warum willst du das wissen?" Und: ,,Was hast du davon?" – Ja, was? Wie anders als durch Fragen, komme ich seiner Wirklichkeit näher? Ich bin eine Frau. Ich will nicht vergewaltigt werden.

Die Panzer, die Russland auffährt, die Kanonenrohre, die Putin zeigt, in ihrer Obszönität sind sie im Grunde lächerlich, wenn sie nicht so sehr die Integrität derer, die sie als Beute auserkoren haben, verletzen würden.

Mich erinnert das an den Mann, der auf einem weitgehend leeren Bahnsteig einer Berliner U-Bahn steht. Nur er und ich. Er trägt einen Mantel; die Hände in den Taschen. Es ist sein unruhiger, nach allen Seiten gehender Blick, der irritiert; er checkt die Umgebung. Langsam kommt er näher. Plötzlich schiebt er mit den Händen, die er in den Taschen hält, als wolle er sogleich eine Waffe ziehen, und das tut er ja auch, den Mantel auseinander und richtet seinen stehenden Schwanz auf mich. Seine Jeans ausgeschnitten rund ums Gemächt. ,,Du Drecksau!", brülle ich: ,,Ich will dein Kanonenrohr nicht sehen." Da kommt Gott sei Dank die U-Bahn. Krieg ist das Ding mit Schwanz.

Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Krieg, Faschismus und toxischer Männlichkeit. ,,Männerphantasien" heißt sein bekanntes Buch. Letzten Herbst hat er bei der Verleihung des Ador­no-Preises in der Dankesrede einen Satz seiner Frau zitiert: ,,Männer werden zivilisiert durch Frauen; egal wo auf der Welt." Im Umkehrschluss heißt das: Wer nicht zivilisiert werden will, muss Frauen bekämpfen.

Aber so einfach ist es auch nicht, diesen Satz mir nichts dir nichts auf die Ukraine zu übertragen. Denn das würde bedeuten, dass dort nicht auch Männer wären, die kämpfen wollen – und es in der Ostukraine seit Jahren tun. Prorussische Separatisten und ukrainische Streitkräfte bekriegen sich dort. Nur geht es in diesem Text nicht um Stellungskämpfe, hier geht es um die Obszönität der russischen Militärinszenierung.

Alles hängt mit allem zusammen. So wie der Armeeaufmarsch rund um die Ukraine derzeit stattfindet, ist es wie ein Déjà-vu.

Russland und Belarus beginnen inmitten von Ukraine-Krise mit Militärmanöver (10.02.2022)
https://www.youtube.com/watch?v=qSkQqZFFLgQ

Die Filme der auf gefrorenem, leicht schneebedecktem Boden auffahrenden Kriegsmaschinerie wirken durch das winterliche Schwarz-Weiß der Umgebung wie die Schwarz-Weiß-Filme der Wehrmacht. Die gleiche donnernde Martialität. Auf gleiche Weise wird Stahl und Metall, wird gepanzertes Gefährt und tonnenschweres Gerät, wird Manpower und Testosteron in Szene gesetzt. Es wirkt wie ein Rückgriff ins letzte Jahrhundert. In Europa aber wurde genug Krieg geführt. Niemand will das mehr. Niemand will versehrte Menschen, zerstörte Städte, sinnlose Tote. Krieg ist das Ding mit Bart.

Werden in diesem Jahrhundert Orte zerstört und Menschen getötet, liegt es nicht am Krieg, sondern an der zivilen Zerstörung im Frieden. Die Erderwärmung ist der Killer. Dass sich die Erde erwärmt, hat mit einer ähnlichen Maschinenverliebtheit zu tun, wie die stahlhelmbesoffene Kriegsmaschinerie im letzten Jahrhundert. Trotzdem sind die Herausforderungen jetzt andere. Es geht nicht um Eroberung einzelner Länder, von Putin begründet aus Sicherheit; es geht um die Rückeroberung sicherer Lebensbedingungen für alle. Krieg zwischen Ost und West macht unter den Bedingungen keinen Sinn. Beide Blöcke brauchen den Planeten.

Aus einem weiteren Grund ist die militärische Machtdemonstration von Russland wie aus der Zeit gefallen: Denn auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen hat sich verändert. Heute ist es möglich, die Gewaltstrukturen zwischen den Geschlechtern öffentlich zu diskutieren. Und: Männer hören zu, wenn Frauen sprechen. Nicht alle, aber immer mehr. Sein Gemächt auf eine Frau richten? Gesellschaftlich ist es kein Kavaliersdelikt mehr, sondern ein No-go.

Annalena Baerbock, ,,diese junge Dame, die unsere neue Außenministerin ist", wie Christoph von Marschall vom Tagesspiegel sie patronierend in einem Fernsehinterview titulierte, habe sich, als sie das umkämpfte Separatistengebiet in der Ost­ukrai­ne besuchte, ,,nicht besonders wohl" gefühlt. Man sehe, ,,dass das nicht ihre Welt ist", meint er. Wessen Welt das Kämpfen aber ist, insinuiert sein Statement: die der Männer.

Diese Frau Baerbock aber sagte einen bahnbrechenden Satz beim Staatsbesuch in Ägypten, der von keinem Außenminister je kam: ,,Nur wo eine Frau sicher ist, sind alle Menschen in einer Gesellschaft sicher."

Baerbock ist kaum im Amt, schon ist sie mit einem brandgefährlichen Konflikt konfrontiert, in dem Männer ihre geschwollenen Kämme zeigen. Was macht sie? Sie deutet, wenngleich in einem anderen Krisengebiet, dem in Nahen Osten, mit dem Finger auf Zusammenhänge, die im Kriegsdiskurs so nicht vorkommen. Und sie redet. Redet, wie andere auch, mit allen am Konflikt Beteiligten. Denn der Faden darf nicht abreißen. Konfliktlösung hat viel mit Gespräch zu tun und nicht damit, zur Waffe zu greifen.

Scheherazade hat es vorgemacht, als sie redete, bis der Aggressor, ihr eigener Mann, davon abließ, sie umzubringen. Sie hat von anderen Situationen berichtet, in denen Probleme mit Klugheit pariert wurden, um ihn aus seiner Fixierung, dass all seine Frauen untreu seien und umgebracht gehören, zu lösen. Da ist sie wieder, die Analogie, erscheint Putin die Ukraine doch untreu, weil sie mit der Nato ins Bett möchte.

Reden ist eine weibliche Konfliktlösungsstrategie. Dass in der gegenwärtigen Situation auf der internationalen politischen Bühne alle Akteure weiterhin miteinander reden, macht Hoffnung.

,,Hope is the thing with feathers" [https://www.youtube.com/watch?v=-TbqRaBY9K0]– Hoffnung ist das Ding mit Federn – das ist die erste Zeile eines Gedichts der Lyrikerin Emily Dickinson. Sie lebte im 19. Jahrhundert und gilt als die berühmteste amerikanische Dichterin.

Der Aufbau der Thesenzeile dieses Textes, ,,Krieg ist das Ding mit Gemächt", kopiert Dickinsons Vers. Ihr Gedicht beschreibt, dass Hoffnung widerständig ist, auch unter schlimmsten Bedingungen. Und sie spricht darüber, dass Hoffnung nichts von einem verlangt. Sie ist einfach da.

Auch die Hoffnung auf Frieden.


Aus: "These zur toxischen Männlichkeit: Krieg ist das Ding mit Gemächt" Kommentar von Waltraud Schwab (20. 2. 2022)
Quelle: https://taz.de/These-zur-toxischen-Maennlichkeit/!5833610/

Waltraud Schwab (* 29. Februar 1956 in Oberrimsingen (Breisgau))
https://de.wikipedia.org/wiki/Waltraud_Schwab

QuoteIgnaz Wrobel

Wenn Panzerkanonen phallische Symbole sind, die durch toxische Männlichkeit bewegt werden, was symbolisieren dann Schächte in Kampfjets, aus denen Bomben fallen?


QuoteBoandlgramer

Frauen mögen noch nicht so viele Gelegenheiten gehabt haben, um erektionslos Kriege zu führen - aber mir fallen da ein paar Beispiele ein, in denen Frauen mindestens so gewalttätig agierten wie in Rede stehenden Männer: Angefangen bei den Königinnen der europäischen Monarchien über Margret Thatcher und die Falklandinseln, Hillary Clinton oder Madeleine Albright, denen man, weiß Gott, keine mäßigende Wirkung auf die imperiale Vorherrschaft der USA unterstellen kann...

Ich halte Gerhard Schröder auch für einen alten Trottel, aber er weigerte sich als Penisträger ohne Evidenz mit in den Irak einzufallen, wohingegen sich die Muschi - äh, nein - Mutti Merkel dem Bush damals schamlos an den Hals warf...

Man sollte Frauen fraglos die Gelegenheit zum Scheitern bieten - aber das wird die Welt nicht per se verbessern.

Und die schlechte Welt jetzt nur mit toxischer Männlichkeit zu (v)erklären, sagt auch eher was über die Erklärerin als über die Welt.

Blöd ist nur, dass man immer erst nach dem Lesen weiß, dass es einen nicht interessiert hat... ;)


QuoteDarmok Jalad

Ich bin der Überzeugung das Putins Männlichkeitsbild ein nicht unwesentlicher Faktor in seinem Handeln ist, aber zu diesem Kommentar fällt mir nur ein:

,,Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel"


QuoteWilli Müller alias Jupp Schmitz

"Hoffnung ist das Ding mit Federn". Danke Frau Schwab für diesen Sinn stiftenden, einfühlsamen Artikel, auch für den Hinweis auf Emily Dickinson.

Trotz allem Relativieren schließt sich der Kreis mit

"Hoffnung ist das Ding mit Federn"!


QuoteColonel Ernesto Bella

Der seid einigen Jahren anhaltende Hype um Theweleits Männerphantasien führt zu seltsamen Verwirrungen. Das Buch ist toll, die Kombination von Text und Bild, seine Charakterstudien und Darstellungen von Charaktermasken mit Beispielen aus Kunst, Propaganda, Populärkultur, diese ganze Art der der Anschaulichkeit und Argumentation ist fantastisch. Das Buch ist perfekt in der Erklärung faschistischer, nationalistischer, kapitalistischer männlicher Charaktere, ihrem Habitus, ihrer Kultur, ihrer Sexualutät, ihrer Phantasien, ihrer Ideologie. Aber, es taugt halt wenig zur Erklärung des Faschismus, es taugt wenig um das geopolitische Gerangel der Nationen zu begreifen, es taugt nicht dazu die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zu begreifen, Imperialismus, Nationalismus, bürgerliche Ideologie usw. Man sollte sich die Grenzen der Aussagefähigkeiten von Theweleits Männerphantasien bewusst machen, sonst stiftet man sich nur unnötige Verwirrungen, schafft es aber nicht eine richtige Kritik herrschender Verhältnisse zu formulieren.


QuoteZeuge14

@Colonel Ernesto Bella Lieber Colonel, wahrscheinlich schauen sie (mal wieder eben) aus männlichem Blickwinkel; lässt mich ihr Kommentar vermuten, gele - oder?

Die Autorin schriebt ja selbst: ""Aber so einfach ist es auch nicht, diesen Satz... "" Es geht im Artikel eben genau um eine erweiterte Sicht, die eben (auch) das typisch männliche an der putinschen Haltung offenbart... gab es da nicht ein entsprechendes Bild "auf Pferd, mit (zudem aufgerichteter) Knarre und blankem Oberkörper. Und das es nicht nur um Theweleits Konzepte in dem Beitrag geht, ist doch klar....Doch mit "Aber, es taugt halt wenig..." wischen Sie so mal eben den ja richtigen Aspekt vom Tisch. Ein rhetotisch "nettes" Mittel, aber hier an dieser Stelle eben wieder mal "so eben und nebenbei" Ausdruck männlicher Arroganz, oder?


QuoteSandor Krasna

@Zeuge14 Das Problem an dieser erweiterten Sicht, ist doch, dass das Bild halt schief wird, wenn einerseits die Weiblichkeit der Ukraine konstruiert wird, aber das Geschlecht des "Mütterchen Russlands" unterschlagen wird. ...


QuoteMichael Myers

Es gibt nur wenige Länder, in denen es ein so massives Problem mit häuslicher Gewalt gegen Frauen gibt. Es gibt noch nicht einmal ein Gesetz, das häusliche Gewalt bestraft. https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4usliche_Gewalt_in_Russland

Putins toxische Männlichkeit hat durchaus ihre Entsprechung in der russischen Mehrheitsgesellschaft.


...

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Quote[...] Laut gellt der Weltbevölkerung ein Signal in den Ohren: Es klingt, ein Dreivierteljahrhundert nach Beendigung des letzten Weltkriegs, nach dem Knirschen von Panzerketten. Wladimir Putin hat mit der Unterfertigung seines Dekrets zur Truppenentsendung in den Donbass und nach Luhansk die Zeiger der Weltuhr brutal zurückgedreht. Denn ganz gleich, welches Machtkalkül das Handeln des Kremlherrn leitet: Mit der Ausweitung der Kampfzone auf ukrainisches Staatsgebiet steigert Russlands Autokrat noch einmal den Hohn, mit dem er schon bisher Europas Staatschefs genasführt hat.

Man erinnert sich an ihn als melancholischen Gastgeber an viel zu langen Konferenztischen. Auch so lassen sich die Vertreter der Demokratie düpieren: indem man ihnen den Platz am Katzentisch zuweist und so die Logik der Kongressdiplomatie zur Karikatur verkleinert.

Mit der Anbahnung von Putins Imperialismus auf Raten feiert hingegen das Großmachtgehabe des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein erstaunliches Comeback. Nichts illustriert den Bruch mit zeitgenössischen Gepflogenheiten besser als Annalena Baerbocks händeringender Appell vom Dienstag. Die bundesdeutsche Außenministerin und ihre Kollegen würden noch immer, gleichsam engelsgeduldig, auf Putins Rückkehr an den Verhandlungstisch warten! Doch der fromme Verweis auf eine Praxis, die Politik zum Medium komplizierter Aushandlungsprozesse erklärt, verfängt bei Machttechniker Putin nicht im Geringsten.

Es mag die Wiederherstellung eines herbeifantasierten, großrussischen Hegemonialraums in der Tat Putins vordringlichstes Ziel sein. Auf verständigungskultureller Ebene wirkt der Bruch noch entschiedener. Ein Rat dünnlippiger Geronten – unter ihnen Geheimdienstvertreter und andere Säbelrassler – lässt die westlichen Demokratien mit voller Absicht abblitzen.

Unter dem Titel "Nationaler Sicherheitsrat" finden regelmäßig Mitstreiter wie Ratssekretär Nikolaj Patruschew in Putins Machtzentrale zusammen: der Genannte ein verdienter KGB-Mann, der für den westlichen Lebensstil nichts als Verachtung übrighat. In Europa, wo den Menschen die sündige persönliche Freiheit über alles gehe, würde laut Patruschew bereits die Ehe mit Tieren legalisiert. Ein weiterer Paladin wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu teilt mit seinem Sportsfreund, dem Kreml-Chef, nicht nur die politischen Ansichten, sondern – als Wandergefährte in den Weiten der sibirischen Taiga – auch das Zelt.

In einer solchen Sphäre bilden willfährige Funktionseliten geschlossene Systeme. Auf der Grundlage "männlich" codierter Körperideale wird eine Art immerwährender Mobilmachung beschworen. Nicht zufällig ließ sich Putin wiederholt als Power-Ranger fotografieren: wahlweise hoch zu Ross oder mit einem dicken Fisch am Haken.

Die mit Steroiden gepäppelte, als Warnsignal inszenierte Erinnerung an den "soldatischen" Körper ist das Erbteil einer in Wahrheit versunken geglaubten Geschichtsformation. Die Nachfahren dieser alten, soldatischen Männerbünde gefallen sich erfahrungsgemäß in Misogynie: In ihrem beruflichen Dunstkreis finden sich kaum jemals Frauen.

Die strikt antidiskursive Haltung dieser mit Borniertheit gepanzerten "Patrioten" verweist – mit gut hundertjähriger Verspätung – noch einmal auf das Männerphantasien-Projekt (1977/78) des Freiburger Gelehrten Klaus Theweleit. In dessen Rahmen wurde ausführlich dargetan, wie autoritär erzogene Männer, zu Bünden zusammengeschlossen, sich der Bedrohung durch alles Fließende, "Weibliche" mit roher, tödlicher Gewalt erwehren.

Die alten, rasselnden Panzer gehören folgerichtig zu einer Politik der aggressiven Verpanzerung. In ihr wird die Abwehr unkalkulierbarer Risiken zur alleinigen Maxime erhoben. Es wird des eisernen Festhaltens an der eigenen Vernunft bedürfen: der Anwendung vornehmlich ökonomischer Druckmittel, um die reaktionäre Retropolitik von Putin und Co wirksam in die Schranken weisen zu können. (Ronald Pohl, 23.2.2022)


Aus: "Putins Retropolitik: Machismo mit der Kraft der Steroide" (23. Februar 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000133566086/putins-retropolitik-machismo-mit-der-kraft-der-steroide

Quote
arslongavitabrevis


Der Autor hat ja grundsätzlich Recht, dass Putins Vorgehen inakzeptabel ist. Was mich aber dennoch stört, ist die Tatsache, mit welcher Selbstverständlichkeit die USA überall einmarschiert und wie im Irak Kriegsgründe erfindet ("Massenvernichtungswaffen") und das in keinem Zusammenhang thematisiert wird.

Was Putin hier macht, ist exakt dasselbe, was die USA seit Jahrzehnten machen: In anderen Ländern Stellung beziehen um das Kräftegleichgewicht zu erhalten/auszubauen.

Die NATO rückt Russland zu Leibe und Putin versucht das mit illegaler Annexion der Ukraine zu verhindern. Das ist selbstverständlich abzulehnen!

Trotzdem wäre mehr Ausgeglichenheit in der Berichterstattung angebracht
Das WIE unterscheidet sich wesentlich, nicht aber das WAS.


...

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Quote[...] Kulturwissenschaftler und Historikerinnen wie Klaus Theweleit und Ute Frevert haben in ihrer Forschung herausgearbeitet, wie grundlegend enthemmte Gewalt menschliche Beziehungen und die kollektiven Gefühle einer Gesellschaft beeinflusst, und das über Generationen hinweg. Krieg gibt Soldaten die Erlaubnis, zu morden. Die öffentliche Erteilung einer Morderlaubnis ist brandgefährlich, sie schafft eine Stimmung der enthemmten Gewalt, eine Lynchstimmung, die zur nationalistischen Hochstimmung wird: Sie gibt den Mordenden ein überwältigendes Gefühl des Lebens, der nationalen Erhabenheit über den Tod.

Gleichzeitig sitzen die Traumata, die im Krieg angesichts dieser Enthemmung von Gewalt erlebt werden, tief. Russische und ukrainische Soldaten sind dieser Gewalt jetzt ausgesetzt, üben sie aus. Ihre Familien sorgen sich um sie, und auf gewisse Weise ist jetzt schon klar, dass ihre Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern und Partner*innen nicht so zurückkehren werden, wie sie gegangen sind. Sie werden Ängste erlebt und Brutalität ausgeübt haben, die für Daheimgebliebene nie nachvollziehbar sein werden. Sie werden Dinge erlebt haben, die Einfluss auf die Beziehung zu ihren Kindern haben wird. Dieser Krieg wird das Aufwachsen von Kindern in der Ukraine, in Russland und in Osteuropa brutalisieren, wie es vielleicht schon so viele kriegerische Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg zuvor taten, in Jugoslawien, im Kosovo, in Georgien, in der Türkei.

Aber auch in Deutschland ist die Brutalisierung der Gesellschaft bereits zu spüren.  ... Tenor: Es herrscht Krieg, wir haben keine Zeit mehr für diesen Schwachsinn! Am Tag des Angriffs knüpft der Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt direkt an diese Argumentation an. Deutschland sei in den Nachkriegsjahren unter dem Schutz der Nato ,,schwach" geworden: ,,Die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Debatten der vergangenen Jahre waren Ausdruck einer geradezu liebenswerten Naivität und Entrücktheit, die sich jetzt rächen könnten", und: ,,Jetzt ist klar, dass man sich wehren muss und wehrhafter sein muss. Die Freiheit wird nicht am Tampon-Behälter in der Männertoilette verteidigt, eher am Hindukusch und ganz konkret bei unseren Freunden in der Ukraine, in Kiew, in der Ostukraine und im ganzen Land."

Das Feiern eines ,,luschigen, passiv-aggressiven Wohlstandszersetzungsaktivismus" sowie das ,,verlogene und verlorene Menschenbild, wie es auf evangelischen Kirchentagen und in der zeitgenössischen Kultur so verbreitet wird", sei für jemanden wie Putin ,,einfach ein Frühstück": ,,Wir müssen wehrhaft sein."

Krieg ist eine Gefahr für Zärtlichkeit, Weichheit, Sensibilität. Krieg ist eine Gefahr für die Offenheit einer Gesellschaft.

Klaus Theweleit hat in seinem Werk über soldatische Männlichkeit gezeigt, wie patriarchale Gewalt mit Kriegsgewalt zusammenhängt. Er hat gezeigt, wie männliche Körper – heutzutage sind es inzwischen auch weibliche Körper, was das für Folgen hat, wissen wir noch gar nicht – über Generationen von Kriegsgewalt geprägt sind: Alles muss diszipliniert werden. Die Angst vor allem Weichen, Fließenden, Unbestimmten – damit konnotiert: vor allem Weiblichen – ist eine Folge davon. Gewalt gegen Frauen ist eine Folge von Krieg. Nicht nur während des Kriegs, sondern lang darüber hinaus. Theweleit spricht darüber, wie Faschismus und Kriegsgewalt die Angst vor unkontrollierbaren ,,roten Flüssen" schürt. Poschardt schreibt gegen Tampon-Behälter am Tag des Kriegsausbruchs.

Ich möchte nochmal daran erinnern, dass dies keine Analyse der Schuld an diesem Krieg ist. Wladimir Putin hat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Dies ist eine Warnung vor den Folgen eines solchen Krieges auf das gesellschaftliche Miteinander. Denn unabhängig von der Schuldfrage besteht die Frage der Verantwortung für den Frieden weiter, und diese Verantwortung tragen alle Beteiligten.

...




Aus: "Bleibt weich, bleibt zärtlich!" Elsa Koester (24.02.2022)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/ukraine-konflikt-koennen-wir-in-kriegszeiten-zart-bleiben

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Spieglein an der Wand | Community

Das Handeln von Staaten wird von außenpolitischen Interessenlagen bestimmt, nicht von Moral oder dergleichen. Das wird im Rahmen einer idealistischen Sichtweise meist erst gar nicht verstanden oder einfach ignoriert, ist aber die Realität, an der kein noch so tief empfundener oder - wahlweise - scharf formulierter moralischer Appell auch nur das geringste ändert. Das Wollen von Bevölkerungen ist diesbezüglich gegenstandslos. Auch das wird im idealistischen Kontext üblicherweise nicht verstanden.


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wwalkie | Community

... Es macht einen (fast) sprach- , also hilflos, wenn man quasi von einen Tag auf den anderen "erlebt", mit welcher Wucht die Menschen zum Einheitsdenken verurteilt werden, wie sich die Wortwahl verändert, und wie plötzlich deutlich wird, dass bestimmte Wunden doch noch nicht vernarbt sind. Warum spricht man in den Medien (also auch im täglichen Gespräch) vom "Überfall auf die Ukraine" statt von "Invasion", "Einmarsch" etc. Kaum jemand redete 1999 vom "Überfall auf Serbien" oder 2003 vom "Überfall auf den Irak" oder 2011 vom "Überfall auf Libyen" oder oder oder...

Das Schlimmste (für uns hier) ist, dass die dumme, weil tötende Militärlogik auch in den Köpfen der Pazifisten Oberhand gewinnt - und dass wir uns tatsächlich mit ihnen, den Kriegstreibern, den buchsstäblich schrecklichen Vereinfachern zu identifizieren beginnen, weil ja "alle" so denken und man sich sonst lächerlich macht, wie Frau Koester sehr gut darstellt.

Das Ende des Beitrags ist mir zu sehr "Happy end". Frau Koester schreibt:

"Unserer Gesellschaft kommt jetzt eine große Verantwortung zu: Einen Weg zurück zum Frieden zu finden, mit Putin als Gegner. Ich wünsche mir, dass sie einen Weg findet, in dieser Brutalität des Krieges Zurückhaltung zu bewahren, und, ja: Zärtlichkeit. Im Miteinander, in der Sprache, in der Suche nach Auswegen."

Da fehlen die Subjekte. Und dass sie fehlen, hat benennbare Ursachen. Die Verantwortung tragen weniger "wir" als die Herrschenden. Biden und Rüstungskonzerne (um nur die zu nennen), NATO und Rüstungskonzerne, EU und Rüstungskonzerne, Putin und Rüstungskonzerne, ja, auch die ukrainische Regierung sind verantwortlich. Was Frau Koester als "unsere Gesellschaft" bezeichnet,meint wohl die Menschen, und die werden mehr oder weniger instrumentalisiert (ein hundert Jahre altes Business der Herrschenden), die Ukrainer mehr, "wir" weniger.

"Einen Weg zurück zum Frieden zu finden", kann nur heißen, einen Frieden zu finden, der Krieg so gut wie unmöglich macht. Und das geht nicht immer mit "Zärtlichkeit". Und da ist nicht nur Putin der Gegner. Wahrlich nicht.



QuoteGrigorij | Community

War gestern im Kino Toni in Berlin-Pankow. Lothar Warneke "Einer trage des anderen Last". DEFA-Film von 1988 spielt um 1950. Zwei Tbc-kranke, sehr junge Männer geraten in einer Klinik in ein gemeinsames Zimmer. Der Volkspolizist hängt sich seinen Stalin übers Bett. Der Vikar seinen Jesus. Beide mit ihrem Glauben.

Dann gehts los. Beide Männer unter den damaligen Verhältnissen eigentlich unrettbar krank. Heilung die pure Glückssache. Irgendwann fällt mal der Satz:Wir leben hier in diesem einen Zimmer und müssen also miteinander auskommen. Das begreifen beide. Immerhin. Und sie reden miteinander.

Immer wieder erstaunlich, welche Filme so in der DDR möglich waren.

Aber weder Putin noch Biden noch die ganze Polit- und Militär- und Medienmischpoke, die jetzt auf diese ganz bestimmte Weise hyperventiliert, wird sich einen solchen Film jemals anschauen. Und ihn als ihr ureigenes Thema verstehen. U.a. sowas wie die Sache mit dem Splitter und dem Balken....

Aber letztlich:Welche Rüstungsfirma kann mit Frieden schon Profit machen?


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