"Die meisten Journalisten sollten unsicher sein und dies auch kommunizieren" Thomas Pany (30. Juni 2018)
Michael Meyen ist Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitgründer des Netzwerks kritische Kommunikationswissenschaft.
Darüber hinaus ist er Autor der Bücher Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand und - zusammen mit Kerem Schemberger - "Die Kurden. Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion. ...
Im Rahmen der Veranstaltung Russland: Eskalation im Medienkino in der Reihe Telepolis-Salon sprach Telepolis mit ihm über das Russland-Bild in deutschen Medien.
Quelle:
https://www.heise.de/tp/features/Die-meisten-Journalisten-sollten-unsicher-sein-und-dies-auch-kommunizieren-4095271.html?seite=all---
"Der ökonomischen Konzentration folgt die publizistische Konzentration" Marcus Klöckner (13. Juli 2018)
Die Marktmacht großer Verlag wächst weiter: Der Dortmunder Zeitungsforscher Horst Röper hat vor kurzem die Ergebnisse seiner aktuellen Untersuchung zur Konzentration auf dem Markt der Regional- und Lokalpresse bekanntgeben. Die Untersuchung, die Röpers Medienforschungsinstitut formatt alle zwei Jahre durchführt, zeigt einen Rekordwert. Der Gesamtanteil der 10 größten Verlagsgruppen liege nun bei knapp 62 Prozent, die Konzentration habe um 1,8 Prozentpunkte zugenommen, so Röper im Telepolis-Interview. Ein Gespräch über Monopole auf dem Zeitungsmarkt und den immer enger werdenden Meinungskorridor in der Presse. ...
https://www.heise.de/tp/features/Der-oekonomischen-Konzentration-folgt-die-publizistische-Konzentration-4099043.html---
Kommentar Kai Schächtele: "Zynismus der Medienwirklichkeit - Wir Journalisten können nicht so weitermachen wie bisher" (12. Juli 2018)
Im Deutschlandfunk [ ] sprach Stefan Koldehoff am Montag einen Kommentar über die von vielen „im Internet“ geäußerte Kritik, dass Medien über die eingeschlossenen Kinder in Thailand so viel berichten, über die Hunderten von Kindern, die im Mittelmeer ertrunken sind, aber fast nicht. Die Geschichten der Kinder, die im Mittelmeer sterben, sagte er, ließen sich nicht so medienwirksam erzählen wie die der Jungen aus der Höhle. Es gebe keine Gesichter, keine Geschichten, keine Bilder. „Und deswegen wird über diese Kinder – das ist der furchtbar zynische Teil der Medienwirklichkeit – auch weniger berichtet.“ ... Warum tun sich Medien genau damit so schwer: angemessen auf das zu reagieren, was im Moment um uns herum geschieht? ... Die Debatte um Thailand ist ja nur das Symptom. Die Ursachen wurzeln tiefer und gehen dem Selbstverständnis des journalistischen Kosmos ans Mark. Wir stehen gerade an einem Wendepunkt unserer Geschichte. Bernd Ulrich von der ZEIT schreibt in seinem sehr lesenswerten Essay „Wie radikal ist realistisch?“: „500 Jahre europäische beziehungsweise 100 Jahre westlich-amerikanische Dominanz gehen zu Ende – und schlagen zurück. Mehr und mehr wird die vom Westen betriebene Globalisierung dialektisch.“ Wir müssten nun anfangen, auch in den Medien über die wirklich existenziellen Probleme unserer Zeit zu sprechen. Die wahren Bedrohungen unserer Zeit sind nicht Terror oder Migranten – es ist der Klimawandel, der den Planeten für unsere nachfolgenden Generationen schlicht unbenutzbar machen und Flüchtlingsströme auslösen wird, gegen die sich unsere Enkel wünschen werden, sie hätten unsere Probleme von heute. ... Natürlich ist niemandem geholfen, wenn Journalisten politischen Kampagnen aufsitzen oder ihre Skepsis aufgeben. Aber es hat auch keinen Sinn, jede Debatte zu beenden, bevor sie begonnen hat, mit dem Hinweis auf die journalistische Praxis der vergangenen Jahrzehnte. Wir stehen an einer Zeitenwende. Wenn ich mich entscheiden muss, ob ich weiter Journalist bleibe in einem Betrieb, der nicht willens oder in der Lage ist, sich zu hinterfragen, oder ob ich Partei ergreife für den Kampf um die Lebensverhältnisse auf diesem Planenten und Humanität, muss ich nicht lange nachdenken. Dann kündige ich und werde Aktivist, der mit journalistischen Mitteln davon erzählt, vor welchen Herausforderungen wir gerade stehen und wie wir sie in den Griff bekommen können. ...
https://uebermedien.de/29692/wir-journalisten-koennen-nicht-so-weitermachen-wie-bisher/ Heinz Schnabel
12. Juli 2018 um 18:21 Uhr
Herr Schächtele sollte sich entscheiden: Aktivist oder Journalist.
B. Hellwig
12. Juli 2018 um 21:24 Uhr
Jubel, Trubel, Heiterkeit bedient die Ansprüche der konsumgesteuerten Spaßgesellschaft. Hunger, Elend, Tod sind unerwünschte, geflissentlich zu verdrängende Nebenerscheinungen.
Sie können zur Primetime auf dem einen Kanal den besten Bericht über den Klimawandel senden und zeitgleich wird auf einem anderen Kanal live über das stofftiergespickte Kinderzimmer des jüngsten britischen Thronfolgers berichtet. Klar, dass „he is soooo sweet“ in seinem Aston Martin-Bobby-Car mehr Zuschauer anziehen wird.
Andererseits, zeigen z. B. die aufwendigen Dokus von Hannes Jaenicke („.. im Einsatz für…“), dass es durchaus möglich ist, die Menschen für Umweltschutz und Kimawandel zu sensibilisieren. Selbst, wenn von 1 Million Zuschauern, nur einige Zehntausend künftig mehr mit dem Rad fahren, weniger Plastikkram verbrauchen, Fair-Trade-Produkte kaufen oder einsehen, wieviele „arme Schweine“ in ihrem tollen iPhoneX stecken, dann ist immerhin auch schon ‚was erreicht worden.
LLL
12. Juli 2018 um 21:46 Uhr
„Die wahren Bedrohungen unserer Zeit sind nicht Terror oder Migranten – es ist der Klimawandel, der den Planeten für unsere nachfolgenden Generationen schlicht unbenutzbar machen und Flüchtlingsströme auslösen wird, gegen die sich unsere Enkel wünschen werden, sie hätten unsere Probleme von heute.“
Durchaus zutreffend – allerdings fallen mir auch einige andere Themen ein, die ziemlich relevant sind, in den Medien aber nur ein Schattendasein führen. Um nur mal ein paar markante Beispiele zu nennen:
– Die seit vielen Jahrzehnten und im Grunde seit der Kolonialzeit betriebene Politik des Westens, durch offene und verdeckte Kriege sowie Geheimdienstoperationen und Unterstützung von Diktaturen oder Terrororganisationen starken Einfluss auf ganze Regionen zu nehmen – so etwa auf den Nahen Osten. Zahlreiche Probleme, die zu Flüchtlingsströmen führten, wurden so erst geschaffen. (Es gibt natürlich auch andere Akteure, die man kritisieren kann, aber der Westen spielt hier traditionell die „erste Geige“.)
Nur einige Beispiele: Hilfe beim erfolgreichen Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Syriens Schukri al-Quwatli 1949; Sturz des liberalen Ministerpräsidenten Mossadegh in Persien 1953; Beförderung Saddam Husseins an die Macht als Alleinherrscher (1963). Zumindest einige andere Beispiele dürften bekannt sein, etwa die Entstaatlichung ganzer Länder in jüngerer Zeit.
– Die langjährige Wirtschaftspolitik etwa der EU, die vielen Menschen in Afrika schlichtweg die Existenzgrundlage raubt.
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandel-eu-importe-torpedieren-afrikas-wirtschaft-1.3314106
– Die Politik insbesondere der BRD, die aller Voraussicht nach de europäischen Währungsraum zerstören wird – mit verheerenden Folgen auch für Deutschland selbst.
https://makroskop.eu/2018/06/oekonomie-jenseits-der-schwaebischen-hausfrau/
Das – zusammen mit dem Klimawandel – wären wirklich wichtige und große Themen. In den Medien kommen sie eher am Rande vor. Donald Trumps Frisur oder die Eröffnung der grünen Wochen in Buxtehude scheint mitunter wichtiger zu sein.
Durch ihre Berichterstattung verzerren die Medien natürlich auch die Realitätswahrnehmung der Menschen. Ich erinnere mich noch, wie nach einer repräsentativen Umfrage der Zuzug von Osteuropäern als das größte Problem überhaupt angesehen wurde. Zu danken ist der damaligen CSU, die das Thema ganz groß auf die Agenda gesetzt hat – aber natürlich auch den Medien, die fleißig mitgemacht haben. Heutzutage kräht kein Hahn mehr nach dem Thema.
Gunter Frank
13. Juli 2018 um 10:44 Uhr
Michael Steinbrecher, der Journalismus lehrt, sagte mir einmal, dass man jungen Journalisten vor allem eine Haltung vermitteln muß, ganz so wie es auch dem Autor dieses Beitrages vorschwebt. Ich finde, dass ein Journalist, der ein Thema bearbeitet, nur eine Haltung haben sollte, nämlich gar keine. Hat er eine Haltung steht schon vor seiner Recherche die Überschrift fest. Das ist dann aber kein Journalismus mehr. ...
Andreas
13. Juli 2018 um 16:18 Uhr
Ich wundere mich vor allem darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kinder in der Höhle in Thailand in eine Relation zu ertrinkenden Flüchtlingen gesetzt werden. Das ist das gleiche Muster, das Horst Seehofer eine Mitschuld am Tod eines abgeschobenen Asylbewerbers gibt.
An die Stelle einer sachlichen Diskussion über Probleme tritt immer mehr eine Moralisierung von Problemen. Wahrscheinlich weil es einfacher ist für den Denkapparat. Eine Beobachtung, die leider nicht nur auf die Kommentarspalten zutrifft, sondern auch für die Medien gilt. Es ist einfacher, über Trumps neue Aussetzer zu moralisieren, als sich ernsthaft mit den Hintergründen seiner Politik auseinander zu setzen. Es ist einfacher, erschüttert über die schrecklichen Erlebnisse Einzelner in Libyschen Lagern zu sein, als sich mit den gesellschaftlichen Strukturen auseinander zu setzen, die dieses Leid verursachen. Dieser Mechanismus gibt dem Populismus seine Durchschlagskraft.
Der vorliegende Artikel stößt in das gleiche Horn und er zeigt auch einen Folgeeffekt der Moralisierung: Immer mehr Menschen scheinen mit immer größerer Sicherheit zu wissen, was richtig und was falsch ist. Moniert wird, das auf einer Veranstaltung zu wenig Journalisten waren, was impliziert, das viel mehr hätten vor Ort sein müssen. Es ist die Rede von der Angemessenheit der Berichterstattung, was impliziert, dass glasklar ist, was angemessen ist und was nicht.
Unsere Gesellschaft wird immer komplexer, differenzierter, schwerer zu durchblicken. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die den Durchblick haben. Über diesen Widerspruch liest man erstaunlich wenig im Internet. Ist halt ein schwieriges Thema.
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