• Welcome to LINK ACCUMULATOR. Please log in.

[Thomas Metzinger (Notizen) ... ]

Started by lemonhorse, February 12, 2013, 11:11:56 PM

Link

Thomas Metzinger (* 12. März 1958 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Philosoph und Professor für theoretische Philosophie an der Universität Mainz. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Philosophie des Geistes, die Wissenschaftstheorie der Neurowissenschaften und die Neuroethik. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Metzinger

"MIND ACADEMY TALK • Prof. Dr. Thomas Metzinger: Bewusstseinskultur und geistige Autonomie" (30.03.2019)
In diesem Vortrag werde ich einen Blick auf neuere Forschungsergebnisse zum Mind Wandering werfen und diese dann aus philosophischer Perspektive begrifflich interpretieren. Mind Wandering ist das scheinbar spontane Auftreten von Gedanken, die nicht mit der aktuellen Handlungsaufgabe oder Wahrnehmungsumgebung zu tun haben (,,stimulus and/or task-unrelated thought"), und es ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von anstrengungsloser Achtsamkeit. Ich werde zeigen, dass zwei Drittel unserer bewussten Denkvorgänge keine autonome Form des inneren Handelns darstellen – sie sind nichts, was wir selbst tun. In Wirklichkeit sind sie Aspekte eines subpersonalen Vorgangs, eine unabsichtliche und halb-automatische Form von geistigem Verhalten. Insbesondere fehlt ihnen die Eigenschaft der Veto-Kontrollierbarkeit: Wenn wir in zum Beispiel in einen manifesten Tagtraum hineingeraten, verlieren wir damit auch das Wissen um unsere Fähigkeit, diesen auch wieder zu beenden. Außerdem gibt es eine unbemerkte Diskontinuität in unserem Selbstbewusstsein, weil sich sein Inhalt mit dem Beginn und dem Ende jeder Episode des Mind-Wandering abrupt ändert. Ich werde dafür argumentieren, dass man diese Tatsache am besten als einen Verlust von Selbstbestimmung auf der mentalen Ebene beschreibt und dass dies eine neue Perspektive darauf eröffnet, was Meditation in Wirklichkeit ist: Eine systematische und formale Praxis zur Erhöhung der eigenen geistigen Autonomie.
https://youtu.be/DhDB-gaDoC4

The Ego Tunnel: Prof. Dr. Thomas Metzinger at TEDxRheinMain (03.03.2011)
Brain, bodily awareness, and the emergence of a conscious self: these entities and their relations are explored by Germanphilosopher and cognitive scientist Metzinger. Extensively working with neuroscientists he has come to the conclusion that, in fact, there is no such thing as a "self" -- that a "self" is simply the content of a model created by our brain - part of a virtual reality we create for ourselves.
But if the self is not "real," he asks, why and how did it evolve? How does the brain construct the self? In a series of fascinating virtual reality experiments, Metzinger and his colleagues have attempted to create so-called "out-of-body experiences" in the lab, in order to explore these questions. As a philosopher, he offers a discussion of many of the latest results in robotics, neuroscience, dream and meditation research, and argues that the brain is much more powerful than we have ever imagined. He shows us, for example, that we now have the first machines that have developed an inner image of their own body -- and actually use this model to create intelligent behavior. In addition, studies exploring the connections between phantom limbs and the brain have shown us that even people born without arms or legs sometimes experience a sensation that they do in fact have limbs that are not there. Experiments like the "rubber-hand illusion" demonstrate how we can experience a fake hand as part of our self and even feel a sensation of touch on the phantom hand form the basis and testing ground for the idea that what we have called the "self" in the past is just the content of a transparent self-model in our brains. Now, as new ways of manipulating the conscious mind-brain appear on the scene, it will soon become possible to alter our subjective reality in an unprecedented manner. The cultural consequences of this, Metzinger claims, may be immense: we will need a new approach to ethics, and we will be forced to think about ourselves in a fundamentally new way. At TEDxRheinMain 2011 he will share his thoughts on consciousness and the self and talk about the concept of the Ego-Tunnel.
Pro. Dr. Thomas Metzinger:
(*1958 in Frankfurt am Main, Germany) is currently Professor of Theoretical Philosophy at the Johannes Gutenberg‐Universität Mainz and an Adjunct Fellow at the Frankfurt Institute for Advanced Study. In 2009 he returned from a prestigious one‐year Fellowship at the Wissenschaftskolleg zu Berlin (Berlin Institute for Advanced Study), is past president of the German Cognitive Science Society and currently president of the Association for the Scientific Study of Consciousness. His focus of research lies in analytical philosophy of mind, philosophy of science and philosophical aspects of the neuro- and cognitive sciences as well as connections between ethics, philosophy of mind and anthropology. He has edited and published extensively in German and English, e.g. one major scientific monograph developing a comprehensive, interdisciplinary theory about consciousness, the phenomenal self, and the first‐person perspective ("Being No One -- The Self‐Model Theory of Subjectivity", Cambridge, MA: MIT Press, 2003). In 2009, he published a popular book, which addresses a wider audience and also discusses the ethical, cultural and social consequences of consciousness research ("The Ego Tunnel -- The Science of the Mind and the Myth of the Self", New York: Basic Books)
About TEDx, x = independently organized event
In the spirit of ideas worth spreading, TEDx is a program of local, self-organized events that bring people together to share a TED-like experience. At a TEDx event, TEDTalks video and live speakers combine to spark deep discussion and connection in a small group. These local, self-organized events are branded TEDx, where x = independently organized TED event. The TED Conference provides general guidance for the TEDx program, but individual TEDx events are self-organized. (Subject to certain rules and regulations.)
https://youtu.be/ZFjY1fAcESs

Reines Bewusstsein – was ist das eigentlich? | Gert Scobel & Thomas Metzinger
Kann die Philosophie das Rätsel um unser Bewusstsein lösen? Gibt es so etwas wie einen Kern des Bewusstseins, der allen Menschen gleich ist, unabhängig von Sprache und Kultur?
Philosophie-Professor Thomas Metzinger nähert sich der Frage aus dem Blickwinkel der Meditationsforschung. Dabei befasst er sich mit der These, ob unser Bewusstsein auch ohne Inhalte erfahrbar ist. Als reines Gewahrsein eines Zustandes frei von Erleben – ohne Ich-Gefühl.
Im Gespräch mit Gert Scobel erläutert Metzinger, was die Minimalanforderungen für das reine Bewusstsein sind. Und ob es möglich ist, eine Erfahrung ohne Inhalte in Worte zu fassen.
https://youtu.be/BZW4thvkzVQ

"Richard David Precht im Gespräch mit Thomas Metzinger" (2008)
https://www.youtube.com/watch?v=BXJU_srHqA0


Philosophie des Bewusstseins...
Vorlesungen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom Wintersemester 2007/2008
https://www.youtube.com/watch?v=cfGvEYxd6zg

Link

"Der Ego-Tunnel - Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik"
10.11.2010: Das viel diskutierte Buch des Mainzer Philosophen Thomas Metzinger ist jetzt als Taschenbuch erschienen  ... Die Erkenntnisse der Hirn- und Bewusstseinsforschung zeigen für Thomas Metzinger, Universitätsprofessor im Arbeitsbereich Theoretische Philosophie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dass das menschliche "Selbst" ein Konstrukt des menschlichen Gehirns ist, "eine Simulation von Neuronen". Damit formuliert er die Hypothese, dass das Bewusstsein ausschließlich über Hirnfunktionen zu erklären ist, was u.a. die Frage nach der Existenz der Seele aufwirft.  ...
https://www.uni-mainz.de/presse/40906.php


"Philosophie: Wenn die Nervenzellen tanzen" Hanna Leitgeb (7. Januar 2010)
Der Philosoph Thomas Metzinger erklärt uns aus neurowissenschaftlicher Perspektive das Bewusstsein
Vorsicht, wenn Sie glauben, Sie selbst lesen gerade diese Zeilen, dann unterliegen Sie einer fundamentalen Selbsttäuschung, denn Sie als ein Selbst gibt es gar nicht. So zumindest lautet die zentrale These der neurowissenschaftlich inspirierten Bewusstseinsforscher und Philosophen. Thomas Metzinger gehört weit über Deutschland hinaus zu ihren prominentesten Vertretern und hat jetzt ein Buch vorgelegt, in dem er für den Laien höchst plastisch und verständlich die neuesten Erkenntnisse seiner Disziplin beschreibt und nicht weniger als eine »neue Philosophie des Selbst« behauptet. So faszinierend die Details aus der neurowissenschaftlichen Forschung sind, die Metzinger zur Erklärung unserer Subjektivität heranzieht, so enttäuschend ist die rhetorische Einkleidung, mit der er seine eigene Argumentation meint, aufpeppen zu müssen. ...
http://www.zeit.de/2010/02/L-S-Metzinge

Quotervn
#3  —  10. Januar 2010, 19:42 Uhr

Metzinger mag

kein begnadeter Schriftsteller sein, aber allein daraus ein Sprungbrett in grenzenlose Ablehnung seiner Thesen zu bauen, halte ich nicht für angemessen.

Ich finde seine Thesen durchaus interessant, und lasse mich ohne Vorurteile irgendeines antiken Weltbildes nicht einschüchtern.

Es geht nicht darum, was gefällt oder nicht. Es geht darum, was wahr ist, und was nicht. Sollte es wahr sein, dass wir nur biologische Automaten sind, dann ist es so. Das müssen wir nun belegen und uns entsprechend anpassen, inklusive Rechtsvorstellungen, etc. pp.

Wie gesagt, wenn dem so sein sollte.


QuoteAZ
#3.1  —  10. Januar 2010, 23:09 Uhr

Auch biologische Automaten können wollen

Selbstverständlich sind wir "nur" biologische Automaten. Tagtäglich huldigen wir der Kausalität in allem was wir tun. Wie könnten wir da ernsthaft annehmen, daß wir - insbesondere unsere Hirne - nicht der Kausalität unterliegen?

Aber die Schlußfolgerung, "da kann kein Wille sein, da dort nur ein Haufen Neuronen (deterministisch) agiert", ist einfach Unsinn. Genauso unsinnig wie zu sagen, "da ist kein Hirn, es sind ja nur viele einfache Neuronen dort". Natürlich kann man komplexe Objekte auf verschiedenen Ebenen betrachten und beschreiben. Und manche Struktureigenschaften lassen sich eben auf manchen Ebenen recht natürlich beschreiben und auf anderen Ebenen nur extrem umständlich.

Ein Beispiel: ich schreibe diesen Text. Wenn man dieses "ich" nicht als nützliches Konzept zur Beschreibung meines Neuronenkneuls akzeptiert, muß man eben darauf zurückgreifen, Milliarden von "spike trains" (Aktivierungsmustern) von Milliarden von vernetzten Neuronen aufzuzählen. Eine präzisere, aber nutzlose Beschreibung meiner Aktivitäten. Ähnliches gilt für mein Wollen.

Ich finde diesen Verriß von Metzingers Buch sehr angemessen und geistreich. Auch ohne das Buch gelesen zu haben weiß ich, daß Herr Metzinger Lichtjahre davon entfernt ist, die Abbildung zwischen menschlichem Handeln (auf der üblichen Erfahrungsebene, mit bewährten Konzepten wie "wollen" und "verstehen") und deren neuronalen Korrelaten zu verstehen. Hier wird versucht, das Fell zu verkaufen, bevor der Biber erlegt ist.


QuoteRiktam
#5  —  10. Januar 2010, 20:30 Uhr

Metzinger ...

... hat Recht. Da ist Niemand


Quotetarantyno
#7  —  10. Januar 2010, 21:49 Uhr

Jaja,

das Gehirn ist nur ein banaler Haufen Zellen, die ein Bewusstsein vergaukeln. Das größte Glaubwürdigkeitsproblem der Neuowissenschaft liegt wohl darin, dass es Neurowissenschaftlern doch irgendwie zu gelingen scheint, mit ihrem banalem Haufen Zellen über die banalen Haufen Zellen der anderen zu reflektieren.


...

---

"Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel - Vom Mythos des Selbst zur Ethik des Bewusstseins"
Cover: Der Ego-Tunnel, Berlin Verlag, Berlin 2009
ISBN 9783827006301
Rezensionsnotizen ...
https://www.perlentaucher.de/buch/thomas-metzinger/der-ego-tunnel.html


Link

#2
"To Be or Not To Be: The Self as Illusion" Published on Jan 20, 2015
The New York Academy of Sciences
Wednesday, December 7, 2010
Evidence from studies of the brain and mind point to a construct of the Self resulting from complex neurobiological processes interacting with the environment. If distinct neurobiological correlates of consciousness do in fact exist, does that necessarily imply that the Self is an epiphenomenon and illusion? Furthermore, how do these characterizations of the Self affect the way we represent ourselves, our responsibilities, and our actions in the world?
Renowned philosophers Thomas Metzinger and Evan Thompson will join cardiologist and expert on near-death experiences, Pim van Lommel, to examine recent developments in neuroscience and philosophy that shed light on whether our conscious experience of a unified Self is reality or illusion. ...

https://www.youtube.com/watch?v=1KHTbmaKhAM

---

"Risikobewertung: Fukushima der Künstlichen Intelligenz" Carsten Könneker (19.11.2015)
Zeitgleich zum Digital-Manifest von "Spektrum.de" legten vergangene Woche mehrere Philosophen ein Diskussionspapier über die Risiken und Chancen von Künstlicher Intelligenz vor. Darin warnen sie vor historisch beispiellosen ethischen Herausforderungen durch die weitere KI-Entwicklung. Ein Gespräch mit Thomas Metzinger, einem der Autoren. ...
http://www.spektrum.de/news/interview-die-unterschaetzten-risiken-der-kuenstlichen-intelligenz/1377620

---

Thomas Metzinger: "Die Virtual Reality gibt es seit Millionen von Jahren" Eva Wolfangel / Karsten Schäfer (02.03.2016)
Für Thomas Metzinger, Professor für theoretische Philosophie an der Uni Mainz, ist alles, was wir wahrnehmen, eine Art virtuelle Realität. "Seit Millionen von Jahren existiert die virtuelle Realität in unserem Kopf", sagt Metzinger. "Es ist offenbar ein sehr gutes Modell der Wirklichkeit, wenn wir bis heute damit überlebt haben. Aber wenn wir es geschickt anstellen, glauben Sie, Sie seien in einem anderen Körper", erzählt er im Interview mit der Technology Review ...
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Thomas-Metzinger-Die-Virtual-Reality-gibt-es-seit-Millionen-von-Jahren-3123937.html

---

"Menschen gegen Roboter "Der Evolution ist ja egal, ob wir glücklich sind"" Moritz Honert (06.09.2017)
Darf man humanoiden Robotern Gewalt antun? Wenn der erste von ihnen Bürgerrechte fordert, ist es zu spät, sagt der Neuroethiker Thomas Metzinger. Warum humanoide Roboter bei uns "soziale Halluzinationen" erzeugen und was das mit unserer Psyche macht.
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/menschen-gegen-roboter-der-evolution-ist-ja-egal-ob-wir-gluecklich-sind/20268974-all.html


Link

"Prof. Thomas Metzinger bei Sternstunde Philosophie - Wenn Maschinen zu denken beginnen" (Sendung vom 15.11.2015)
https://www.youtube.com/watch?v=zHAXUonYH3o

Virtuelle Realität und künstliche Intelligenz – Neue Fragen für Gesetzgebung und Angewandte Ethik Referent: Prof. Dr. Thomas Metzinger (Johannes Gutenberg Universität Mainz), 07.02.2018 veröffentlicht
https://www.youtube.com/watch?v=XwiM2P3xHZs

Link

Quote[...] Barbara Weber: Was verstehen Sie unter Bewusstsein?

Thomas Metzinger: Das erste, was man, glaube ich verstehen muss, ist, dass das Problem des Bewusstseins nicht ein Problem ist, sondern ganz viele. Das ist ein Problem in der Philosophie, das ist auch ein Problem in der Neurologie und in der Hirnforschung, und das hat sehr viel verschiedene Aspekte, zum Beispiel die Einheit des Bewusstseins, das ist ein klassisches Problem, das zum Beispiel auch in der deutschen Philosophie viel diskutiert worden ist, wie kommt es eigentlich, dass meine Welt eine ist, meine erlebte Welt, wie kommt es, dass all das immer integriert ist in eine Situation mit einem Erleben im Selbst. Das wäre zum Beispiel das Problem der globalen Integration, das beschäftigt auch Hirnforscher, die würden sich fragen, wie wird das Modell der Welt im Gehirn global integriert, wie wird es zu einer Ganzheit.

Weber: Darf ich da mal kurz einharken. Das heißt, wir nehmen ganz viel wahr, wir sehen viel, wir hören viel, wir schmecken alles Mögliche, und das wird dann von unserem Gehirn als eine Einheit wahrgenommen. Ist das gemeint?

Metzinger: Ja, wir haben ja das Gefühl, in einer Welt zu leben und nicht in mehreren, und allein das übersieht man häufig, ist schon ein großes Problem. Wie schafft es das Gehirn eigentlich, Gerüche, Klänge, Farben, Kanten zu Gegenständen zusammenzuführen, das nennt man auch das Bindungsproblem, zu Dingen, die ich gleichzeitig tasten, hören , sehen kann, und wie kommt all das zusammen, auch mit meinen Bauchgefühlen, mit meiner Körperwahrnehmung, warum ist das so eine bruchlose Ganzheit.

Das ist das Problem der Einheit des Bewusstseins, und wenn man es genau betrachtet, stellt sich das auf verschiedenen Ebenen: Wie entstehen ganzheitliche Gegenstände in der Wahrnehmung, wie entsteht ein ganzheitliches Ich-Gefühl aber auch die Welt als Ganze.

Dann gibt es aber auch noch andere Probleme des Bewusstseins, zum Beispiel die Frage, gibt es sowas wie Atome des subjektiven Erlebens, kleinste, unteilbare Einheiten? Philosophen haben zum Beispiel sehr viel über so genannte Qualia gesprochen, die subjektiven Empfindungsqualitäten, also die Schmerzhaftigkeit bei einem Schmerzerlebnis oder die Qualität der Röte in einem Farberlebnis, die Geschmacksqualität der Süße. Und es gibt viele Leute, die denken, das ist zum Beispiel etwas, was eine Maschine nie haben kann, richtige subjektive Empfindungsqualitäten.

Die kann vielleicht Wellenlängen analysieren, aber viele Leute haben Schwierigkeiten, sich vorzustellen, die bewusste, selbsterlebte Qualität der Röte in einer Maschine auftreten könnte. Ich nenn noch mal einen dritten Aspekt des Bewusstseins-Problems: Warum ist das eigentlich alles subjektiv? Wenn wir das Gehirn öffnen, finden wir ja kein Bewusstsein oder finden wir auch kein selbst. Da sehen wir nur feuernde Neuronen, und scheinbar ist Bewusstsein das einzige Phänomen, das wir in der Wissenschaft kennen und auch in der Philosophie, das an eine subjektive Innenperspektive gebunden ist, also es gibt irgendwie jemand, der das erlebt als ein erlebendes Selbst. Und viele Leute haben sich gefragt, ob man das wissenschaftlich erklären kann, also die Subjektivität des Bewusstseins mit objektiven Forschungsmitteln, geht das?

Weber: Also das heißt, um das mal ein bisschen aufzudröseln, objektive Forschungsmittel wären ja jetzt, wenn ich zum Beispiel sage, ich untersuche das Gehirn mit irgendwelchen Methoden und schaue mir an, wie es funktioniert beispielsweise?

Metzinger: Genau! Sie können zum Beispiel sehen, immer, wenn sie ein Gelb-Erlebnis haben, sind diese Erregungsmuster im Gehirn vorhanden, in diesem Bereich des Gehirns, und immer wenn sie ein Grün-Erlebnis haben, sind diese Erregungsmuster vorhanden, und wenn man da eine Elektrode reinsteckt, kann man sogar ein Grün- und ein Gelb-Erlebnis machen, das wissen wir alles heute.

Trotzdem sagen viele Leute, nichts an diesen beiden Ereignissen im Gehirn zeigt mir, dass sich das grün anfühlen muss oder dass sich das Gelb anfühlen muss. Ein Marsmensch, der in unser Gehirn guckt, würde das nie verstehen, was wir da empfinden, und traditionell hat es viele Leute gegeben, die gesagt haben, dass es da etwas gibt, was die Wissenschaft nicht erklären kann, nämlich das, was der Marsmensch auch nicht verstehen würde.

Weber: Ich schließe jetzt daraus, dass man nicht sehen kann oder bis heute nicht weiß, wo das Bewusstsein im Gehirn ist?

Metzinger: Wir wissen viel, viel mehr als vor 30 Jahren. Wir kennen die neuronalen Korrelate von bestimmten Erlebnisinhalten teilweise sehr gut. Wir können zum Beispiel mit einer Elektrode im Gehirn ihnen das Gefühl geben, sie wären außerhalb ihres Körpers mit ihrem Ich-Gefühl. Wir schalten den Strom wieder ab, sie sind wieder im Körper, wir schalten ihn wieder an, sie sind wieder außerhalb, das heißt, auch die Grundlagen unseres Selbstgefühls werden langsam immer mehr und genauer bekannt, und wir haben sehr viel Detailwissen über viele verschiedene Formen.

Was wir noch nicht haben, ist eine vereinheitlichende Theorie bei der diese ganzen vielen kleinen Puzzle-Stückchen zusammenfallen in einem Bild. Davon sind wir weit entfernt.

Weber: Nicht nur wir Menschen haben Bewusstsein. In eingeschränktem Maße auch Tiere. Aber was ist mit den Dingen, die wir geschaffen haben? Hat Künstliche Intelligenz womöglich Bewusstsein? Und wenn ja, wie ist das zu beurteilen?

Metzinger: Ich halte das für ein Zukunftsrisiko, ich glaube nicht, dass wir morgen Maschinen mit Bewusstsein haben werden und auch nicht übermorgen. Das sage ich einfach als jemand, der sich seit 30 Jahren mit Bewusstseinsforschung beschäftigt, aber manchmal sind Sachen auch viel schneller und viel früher passiert.

Zum Beispiel hat Enrico Fermi noch ganz kurz vor der ersten erfolgreichen Kernspaltung mit Uran gesagt, dass das wahrscheinlich niemals gelingen wird, und dann hat er es selber durchgeführt und es gibt mehrerer solcher Beispiele, und sowas könnte uns im Moment auch passieren. Es könnte sein, dass es ein Zusammenwirken von KI-Forschung und Hirnforschung zum Beispiel gibt, die plötzlich zu Sachen führt, die wir nicht erwartet haben. Deswegen sag' ich, wir sollten da ganz, ganz vorsichtig sein.

Weber: Aber kann es nicht sein, dass unser Bewusstsein ein vollkommen anderes sein könnte als das, was eine KI entwickelt?

Metzinger: Das würde, glaube ich, mit Sicherheit ein ganz anderes sein, weil wir sind ja Lebewesen, die Angst vor dem Tod haben und Kinder haben wollen. Wir sind seit Millionen von Jahren darauf optimiert, unsere eigene Existenz zum Beispiel zu erhalten und nicht zu sterben. Wir sind Überlebensmaschinen. Eine Künstliche Intelligenz, die ganz vernünftig ist, könnte niemals ein Problem damit haben, wenn es Gründe gibt, sich selbst abzuschalten, das auch einfach zu tun aus vernünftigen Gründen, weil die hat ja diese kreatürliche Angst vor dem Tod nicht, die wir haben, und sie hat auch – wir wissen nicht, wie diese Systeme mal aussehen werden – aber sie hat ganz bestimmt nicht dieselbe Art von Embodiment wie wir, das heißt, sie haben keinen eigenen Stoffwechsel.

Sie atmen nicht. Sie essen nicht. Sie kennen alle solche Sachen wie Hunger, Durst, Krankheiten nicht, das heißt, es könnte eine Form von Intelligenz sein, die nicht so leiblich verankert ist wie wir, oder wenn sie in Robotern auftritt, auf eine so andere Weise sich selbst fühlt und sich selbst erlebt, dass wir das eigentlich gar nicht richtig verstehen können, was für eine Art von Bewusstheit das da ist, weil die so fremdartig ist, eben die erste nicht-biologische Form von Geist auf der Erde.

Weber: Merken wir das, wenn KI Bewusstsein entwickelt? Und woran könnten wir sowas merken?

Metzinger: Das ist eine sehr gute Frage. Man kann ja nur entscheiden, wann jemand Bewusstsein hat und wann nicht, wenn man eine Theorie des Bewusstseins hat. Das zeigt sich beim Menschen zum Beispiel ganz deutlich in der Komaforschung, wenn man wirklich wissen will, ob jemand wirklich noch etwas erlebt, bei verschiedenen Arten von Koma oder in der Narkoseforschung, wenn man Bewusstsein ausschalten will und welche Stufen da noch sind. Da braucht man eigentlich eine Theorie des Bewusstseins.

Und da wir die noch nicht haben, würde es uns auch bei Maschinen sehr schwer fallen, und im Prinzip – also das sind jetzt wirklich Science-Fiction-Szenarien – könnte es natürlich sein, dass da etwas entsteht, was wir nicht verstehen. Wir behandeln ja viele andere Lebewesen auf dem Planeten einfach wie Dinge oder wie Maschinen, und dasselbe Problem könnte da auftauchen. Es könnte sein, dass wir nicht genau hingeguckt haben und etwas ist schon längst entstanden. Es könnte auch sein, dass wir großes Leiden verursachen, ohne es zuerst zu verstehen, dass wir das tun.

Weber: Das aktuelle Buch zum Thema Bewusstsein von Thomas Metzinger heißt ,,Der EGO Tunnel – Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik" und ist bei Piper erschienen.

...


AUs: "Bewusstsein Das Geheimnis hinter der Intelligenz" (18.04.2019)
Der Philosoph und Autor Thomas Metzinger im Gespräch mit Barbara Weber
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/bewusstsein-das-geheimnis-hinter-der-intelligenz.1148.de.html?dram:article_id=446569

Link

#5
"Das philosophische Radio mit Thomas Metzinger – Aus dem "Ego Tunnel" - das Selbst" (06.05.2019)
Geist und Bewusstsein sind fest verankert in unserem Bild vom Menschen. Der Neuro-Philosoph Thomas Metzinger hält das allerdings für eine Konstruktion: Wir leben in einem Ego-Tunnel voller Illusionen.
Studiogast: Thomas Metzinger, Philosoph Moderation: Jürgen Wiebicke Redaktion: Gundi Große WDR 5 (2014)
https://youtu.be/MQascfS_dpA

-

Quote[...] Es sind wirklich gute Nachrichten: Europa hat gerade die geistige Führung in der heiß umkämpften globalen Debatte um den ethisch richtigen Umgang mit der Künstlichen Intelligenz übernommen. Am Montag hat die EU-Kommission in Brüssel ihre "Ethics Guidelines for Trustworthy AI" vorgestellt. Neun Monate hat die 52-köpfige High-Level Expert Group on Artificial Intelligence (HLEG AI), der auch ich angehöre, an dem Text gearbeitet. Herausgekommen ist ein Kompromiss, auf den ich nicht stolz bin – und der gleichzeitig das Beste ist, was es weltweit zum Thema gibt. Die USA oder China haben nichts Vergleichbares. Wie passt das zusammen?

Der zugrundeliegende Leitgedanke einer ,,vertrauenswürdigen KI" ist zunächst schon mal begrifflicher Unsinn. Maschinen sind nicht vertrauenswürdig, nur Menschen können vertrauenswürdig sein – oder eben auch nicht. Wenn ein nicht vertrauenswürdiger Konzern oder eine nicht vertrauenswürdige Regierung sich unethisch verhält und in Zukunft eine gute, robuste KI-Technologie besitzt, dann kann er oder sie sich noch besser unethisch verhalten.

Die Geschichte von der Trustworthy AI ist eine von der Industrie erdachte Marketing-Narrative, eine Gute-Nacht-Geschichte für die Kunden von morgen. In Wirklichkeit geht es darum, Zukunftsmärkte entwickeln und Ethikdebatten als elegante öffentliche Dekoration für eine groß angelegte Investitionsstrategie zu benutzen. Zumindest ist das der Eindruck, der sich mir nach neun Monaten Arbeit an den Richtlinien aufdrängt.

Die Zusammensetzung der Gruppe, die sie erarbeitet hat, ist Teil des Problems: Sie bestand aus vier Ethikern und 48 Nicht-Ethikern – nämlich Vertretern aus der Politik, den Universitäten, der Zivilgesellschaft und vor allem aus der Industrie. Das ist so, als würden Sie mit 48 Philosophen, einem Hacker und drei Informatikern (von denen zwei immer gerade in Urlaub sind) einen topmodernen, zukunftssicheren KI-Großrechner zur Politikberatung bauen. Wer immer für die extreme Industrielastigkeit der Gruppe verantwortlich war, hatte aber in mindestens einem Punkt Recht. Wenn man will, dass die europäische KI-Industrie sich an ethische Regeln hält, dann muss man ihr auch wirklich zuhören und sie von Anfang an mit ins Boot holen. Es gibt viele kluge Leute dort, man darf ihnen aber nicht das Ruder überlassen.

Als Mitglied der Expertengruppe bin ich insgesamt sehr enttäuscht von dem nun präsentierten Ergebnis. Die Richtlinien sind lauwarm, kurzsichtig und vorsätzlich vage. Sie übertünchen schwierige Probleme (,,explainability") durch Rhetorik, verletzen elementare Rationalitätsprinzipien und sie geben vor, Dinge zu wissen, die in Wirklichkeit einfach niemand weiß.

Zusammen mit dem ausgezeichneten Berliner Machine-Learning-Experten Urs Bergmann (Zalando) war es meine Aufgabe, in monatelangen Gesprächen die ,,Red Lines" zu erarbeiten – also nicht-verhandelbare ethische Prinzipien, die festlegen, was in Europa mit KI nicht gemacht werden darf. Der Einsatz von tödlichen autonomen Waffensystemen war ein naheliegender Punkt auf unserer Liste, ebenfalls die KI-gestützte Bewertung von Bürgern durch den Staat (Social Scoring) und grundsätzlich der Einsatz von KI, die Menschen nicht mehr verstehen und kontrollieren können.

Dass all dies gar nicht wirklich erwünscht war, habe ich erst verstanden als mich der freundliche finnische HLEG-Präsident Pekka Ala-Pietilä (ehemals Nokia) mit sanfter Stimme gefragt hat, ob wir die Formulierung ,,nicht verhandelbar" nicht doch aus dem Dokument streichen könnten? Im nächsten Schritt haben viele Industrievertreter und die an einer ,,positiven Vision" interessierten Gruppenmitglieder vehement darauf bestanden, dass das Wort ,,Red Lines" im ganzen Text löschen – obwohl ja genau diese roten Linien unser Arbeitsauftrag waren. Wenn Sie sich das Dokument nach der heutigen Veröffentlichung anschauen, werden Sie keine roten Linien mehr finden. Drei wurden komplett gelöscht, der Rest wurde verwässert und stattdessen ist nur noch die Rede von ,,critical concerns". Das passt ins Bild.

Ich beobachte derzeit ein Phänomen, das man als ,,ethics washing" bezeichnen kann. Das bedeutet, dass die Industrie ethische Debatten organisiert und kultiviert um sich Zeit zu kaufen – um die Öffentlichkeit abzulenken, um wirksame Regulation und echte Politikgestaltung zu unterbinden oder zumindest zu verschleppen. Auch Politiker setzen selbst gerne Ethik-Kommissionen ein, weil sie selbst einfach nicht weiterwissen – und das ist ja auch nur menschlich und ganz und gar nachzuvollziehen. Die Industrie baut aber gleichzeitig eine ,,Ethik-Waschmaschine" nach der anderen: Facebook hat in die TU München investiert – in ein Institut, das KI-Ethiker ausbilden soll, Google hatte die Philosophen Joanna Bryson und Luciano Floridi für ein ,,Ethics Panel" – das Ende vergangener Woche überraschend eingestellt wurde - engagiert. Wäre das nicht so gekommen, hätte Google über Floridi - der auch Mitglied der HLEG AI ist - direkten Zugriff auf den Prozess bekommen, in dem die Gruppe ab diesem Monat die politischen und die Investitionsempfehlungen für die Europäische Union erarbeitet. Das wäre ein strategischer Triumph des amerikanischen Großkonzerns gewesen. Weil die Industrie viel schneller und effizienter ist als die Politik oder die Wissenschaft, besteht das Risiko, dass wir nach ,,Fake News" jetzt auch ein Problem mit Fake-Ethik bekommen. Inklusive jeder Menge Nebelkerzen, hochbezahlter Industriephilosophen, selbsterfundener Gütesiegel und nicht-validierter Zertifikate für ,,Ethical AI made in Europe".

Wer könnte jetzt noch ethisch überzeugende ,,Rote Linien" für die KI entwickeln? Eigentlich könnte es nur die neue EU-Kommission sein, die nach dem Sommer ihre Arbeit beginnt. Das Amerika von Donald Trump ist moralisch diskreditiert bis auf die Knochen, es hat sich selbst aus dem Spiel genommen. Und China? Ist zwar weit vorn, was das Aushorchen seiner 1,4 Milliarden gläsernen Bürger angeht, und mit Blick auf die KI-Sicherheit  könnte es – das muss man sehen - als totalitärer Staat jedwede Richtlinie auch verbindlich durchsetzen. Aber echte Ethik?

Genau wie in Amerika gibt es auch hier viele kluge Leute im Land. Aber als digitaler ,,Totalitarismus 2.0" ist China natürlich keine irgendwie akzeptable Adresse ernstgemeinte Diskussionen. Deshalb trägt Europa jetzt die Last einer echten historischen Verantwortung.

Feststeht: Wir können es uns nicht leisten, diese Technologie politisch auszubremsen oder nicht weiter zu entwickeln. Weil gute KI aber ethische KI ist, haben wir jetzt auch eine moralische Verpflichtung, die Guidelines der High-Level Group selbst aktiv weiterzuentwickeln. Bei aller Kritik an ihrer Entstehung – die Ethik-Leitlinien, die wir uns in Europa gerade erarbeiten, sind trotzdem die beste Plattform für die nächste Phase der Diskussion, die wir je hatten. China und die USA werden sie genau studieren.

Ihre juristische Verankerung in europäischen Grundwerten ist ausgezeichnet. Die erste Auswahl der abstrakten ethischen Prinzipien ist zumindest passabel, nur die echte normative Substanz auf der Ebene von Langzeitrisiken, konkreten Anwendungen und Fallbeispielen wurde zerstört. Der erste Schritt ist gut. Aber es ist höchste Zeit, dass die Universitäten und die Zivilgesellschaft sich den Prozess zurückerobern und der Industrie die selbst-organisierte Diskussion wieder aus der Hand nehmen.

Alle spüren es: Wir befinden uns in einem rasanten historischen Übergang, der auf vielen Ebenen gleichzeitig stattfindet. Das Zeitfenster, innerhalb dessen wir ihn zumindest teilweise kontrollieren und die philosophisch-ethischen Grundlagen der europäischen Kultur noch wirksam verteidigen können, wird sich in wenigen Jahren schließen.


Aus: "EU-Ethikrichtlinien für Künstliche Intelligenz Nehmt der Industrie die Ethik weg!" Thomas Metzinger (08.04.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/eu-ethikrichtlinien-fuer-kuenstliche-intelligenz-nehmt-der-industrie-die-ethik-weg/24195388.html

Quotejonnyrotten 08.04.2019, 17:06 Uhr

Danke für diesen aufklärerischen Bericht.

"Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden." - Die Physiker, F. Dürrenmatt.

jonnyrotten 10.04.2019, 10:18 Uhr


    Ethisch verwerflich ist, wenn Menschen Technik schaffen, das Menschen nicht mehr beherrschen können

Ich bin auch für die Abschaffung der Handys.


Quoteyarramalong 08.04.2019, 20:18 Uhr

Wer KI mit Ethik verbinden will, sollte sich den Film 2001 Odyssee im Weltraum ansehen. Er zeigt, was Menschen einst (1968) mit Computern assoziierten. Überirdisch, eine Art Gottheit. Die Denke blieb nicht auf Filmemacher beschränkt, auch die Kybernetiker, damals selbsternannte Vordenker der technischen Entwicklung, wähnten Computer kurz vor dem Erreichen der menschlichen  Schöpfungskraft. Dabei waren alle Computer von damals, zusammen genommen, weniger intelligent als ein heutiger Autoschlüssel. Ob die Computer von heute es mit einem Esel aufnehmen können, ist keineswegs ausgemacht. Der Computer, der den Schachgroßmeister geschlagen hat, kann bei Halma allenfalls blöd blinken. 

Ethisch verwerflich ist, wenn Menschen Technik schaffen, das Menschen nicht mehr beherrschen können. So z.B. die Atomtechnik, deren Müll in einen Behälter soll, der eine Million Jahre dicht hält. Man wähnte sie sicher, weil bei einem Unfall sich die Technik eine halbe Stunde menschlichen Handlungen und Zugriffen entziehen würde, damit diese keinen Fehler machen können. Bereits diese Behauptung war ethisch nicht vertretbar. Sie entsprach auch nicht den Tatsachen und wurde in den 1990er Jahren verworfen. Denn bei Großkatastrophen waren die Planer der Technik viel stärker beteiligt als deren Bediener.

Wenn man sich anschaut, was viele "KI"-Experten von sich geben, kommt man aus dem Schaudern nicht heraus. Sie wissen nicht einmal, was Intelligenz ist. Und sind damit in bester Gesellschaft fast aller Menschen.

Nicht nur der Industrie muss die Ethik entzogen werden, sondern allen Technokraten. Von Menschen geschaffene Systeme sind immer potenziell fehlerhaft und funktionieren durch Checks-and-Balances wie z.B. politisch stabile Systeme. Böcke, die zum Gärtner ernannt werden, fressen zuerst den Salat.


...

Link

Quote[...] Philosoph Professor Thomas Metzinger denkt zwar nicht, dass wir unser Leben nur träumen. Aber das, was wir um uns herum wahrnehmen, ist definitiv nicht so, wie wir uns das denken und vorstellen, sagt er voller Überzeugung im Gespräch mit MDR WISSEN: "Wenn man die allerneuesten Theorien anschaut, dann ist das, was wir jetzt erleben, die Farben, die Formen, die Gerüche, die Bauchgefühle, eine kontrollierte Halluzination."

... Wir lassen uns also schon durch kleinste Veränderungen täuschen, im Fühlen und auch im Denken. Wenn wir genauer hinschauen, ist es einfach glitzerklar, dass wir die Welt gar nicht so sehen können, wie sie wirklich ist. Schon der Ort, an dem unser Hirn platziert ist, dort wo unser Bild von der Welt entsteht, lässt keine andere Möglichkeit zu.

Denn dieses Hirn befindet sich nicht in der vordersten Reihe zur Wirklichkeit. Mutter Natur hat es an einen geschützten, einsamen und dunklen Ort unter der Schädeldecke verfrachtet, einzig verbunden mit der Außenwelt durch kleine Drähte: den Nervenbahnen. Das heißt: Das alles, was da drin entsteht, ist nicht die Realität. Es ist ausgedacht, eine Idee von der Welt, ein Modell, erklärt Metzinger: "Das, was wir bewusst erleben, ist nur ein Modell. Das lässt sich an folgendem Beispiel gut verdeutlichen: Egal, wo Sie sind, es ist hell, das Licht ist jetzt an. Da, wo dieses Modell der Situation in ihrem Gehirn entsteht, ist aber garantiert kein Licht.

Das heißt, die Helligkeit, die Sie jetzt erleben, ist wirklich etwas Inneres." Das heißt: Vielleicht sind 'hell' und 'dunkel' nur eine Vorstellung, eine Idee unseres Gehirns, ausgelöst durch bestimmte Wellenlängen, die unsere Augen wahrnehmen können. Denn niemals hat auch nur ein Lichtstrahl unser Hirn erreicht, niemals hat echter Bratenduft eine Hirnzelle im Entferntesten auch nur gestreift, niemals hat sich eine Hirnzelle selbst an einem Streichholz verbrannt und das Gehirn hat niemals selbst in einen Apfel gebissen oder einen Hund gesehen.

Äußere Reize müssen in die Sprache unseres Gehirns in elektrische Impulse übersetzt werden. Aus denen bastelt sich das Hirn, viel besser, wäre: bastelt sich jedes Hirn sein Bild, sein Modell von der Welt. Niemals sind elektrische Impulse in der Lage, die Wirklichkeit 1:1 an unser Gehirn durchzureichen. Da passt der Spruch: Schwund gibt' s immer. Aber wenn 's nur das wäre. Den größten Teil der Welt, der Realität bekommen wir gar nicht mit, sagt Thomas Metzinger: "Die allermeisten Dinge nehmen wir gar nicht wahr. Radiowellen, W-LAN, die kosmische Strahlung, die dauernd in Schauern durch unseren Körper rast. All das nehmen wir überhaupt nicht wahr. Wir nehmen das wahr, was unsere Vorfahren wahrnehmen mussten. Das ist bei anderen Tieren ganz anders."

Aber damit noch nicht genug. Mit dem bisschen Information, das auch noch unvollständig in uns hineinkommt, passiert noch etwas anderes, etwas ganz Entscheidendes, sagt Psychologe Ole Nummssen: "Unsere Sinne funktionieren übersinnlich. Weil wir aus diesem Input viel mehr generieren als eigentlich physikalisch da ist. Wenn ich in meine Küche schaue und die verschiedenen Schattenwürfe, die räumlichen Distanzen erfasse, ist das erstmal ein Gefühl, das nicht auf Wellenlängen basiert, sondern ist eine Interpretation. Die interessante Frage für mich ist, wie kann der Geist aus diesen physikalischen Inputs so viel Informationen aufladen, die gar nicht in dem physikalischen Input messbar sind."

Was wir aus den Reizen machen, hängt also vom Hirn, sozusagen vom Endgerät ab. Wie es funktioniert, wie groß und wie vernetzt es ist. Es ist ein bisschen so, als ob man elektrische Impulse in ein Radio, einen Fernseher oder ein Bügeleisen gibt. Das was reinkommt, ist vergleichbar, aber jedes Gerät macht was anderes daraus: das Radio Töne, der Fernseher Bilder und das Bügeleisen Wärme. Und alle denken, na logisch, genauso muss es laufen. Das haben mir die elektrischen Impulse doch mitgeteilt.

Die Unterschiede, wie wir die Welt wahrnehmen, sind zwischen uns Menschen relativ klein, obwohl bei uns auch schon unterschiedliche Programme auf der Festplatte laufen. Aber die Welt, die in den Köpfen von Fledermäusen oder Walen entsteht, hat wahrscheinlich mit unserer nur wenig zu tun. Welche Welt der Wirklichkeit näher kommt, ist dabei völlig schnurz. Wichtig ist nur Folgendes, sagen Thomas Metzinger und Maren Urner: "Also erstmal ist es Sinn und Zweck so eines Gehirns im Organismus, den Organismus möglichst lange am Leben zu erhalten. Punkt!" - "Unser Bewusstsein und unser Wahrnehmungsmodell der Welt ist entstanden, um möglichst viele Kinder zu haben, unseren Fortpflanzungserfolg zu erhöhen."

Das Bild, das wir von der Welt haben, muss also nicht objektiv sein, muss die Welt nicht 1:1 widergeben. Wichtig ist, dass es uns handlungsfähig macht, dass unser Hirn aus den Informationen, die wir bekommen zuverlässige Vorhersagen treffen kann. Dabei gibt es Dinge, die der Realität möglichst nahe kommen müssen, um zu überleben. Forscher Metzinger sagt: "Ich glaube, alles, was mit unserem Körper zu tun hat: Wie schwer bin ich? Wenn ich mich von diesem Ast zum nächsten schwinge, schaffe ich das oder bricht der ab? Diese Sachen sind sehr physikalisch realistisch. Die Affen, die das nicht richtig konnten, waren auch nicht unsere Vorfahren." Es gibt Dinge, Verhaltensweisen, die uns beim Überleben geholfen haben, die vielleicht gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. "Also ich hab' zum Beispiel immer die Wahrnehmung, 'Och, ein bisschen könntest du noch essen.' Das ist in der Evolution sehr erfolgreich gewesen, weil es in der Welt unserer Vorfahren wenig zu essen gab und man hat nie gewusst, wann man das nächste Mal was kriegt. Gierig zu sein hatte eine Funktion."

... Trotzdem können wir es nicht so richtig glauben, dass das da draußen, das Licht, die Farben, die Gerüche und der Geschmack vielleicht nur als Wellenlängen und als Moleküle existieren und dass die Vorstellungen, die Bilder, die unser Hirn daraus zusammensetzt, nur ein ungefähres Modell der Wirklichkeit sind. Für uns macht das nämlich keinen Unterschied, sagt Thomas Metzinger: "Der Trick bei der Sache besteht darin, dass wir das nicht als Modell erleben. Ich hab', wenn ich die Augen aufmache, einfach das Gefühl, es ist da. Der Apfel auf dem Tisch, der ist nicht konstruiert aus meinem Gehirn, der ist einfach da."



Aus: "Wie real ist unsere Welt?" Karsten Möbius (17. Dezember 2021)
Quelle: https://www.mdr.de/wissen/wie-real-ist-die-welt-102.html

Link

#7
"Geistige Autonomie: Denkt die Person oder das Gehirn?" Thomas Metzinger (03.05.2022)
Denken ist komplexer als gedacht. Was genau passiert, wenn wir denken? Wie sehr haben wir überhaupt die Kontrolle über unsere Gedanken? ... Wer es ernst meint mit kritischer Rationalität, moralischer Subjektivität und dem politischen Erbe der Aufklärung, der muss neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den menschlichen Geist so ernst nehmen wie irgend möglich. Ich habe das als Philosoph während der letzten vier Jahrzehnte zu tun versucht – und das Ergebnis war oft ernüchternd. Viele meiner Kollegen und ich selbst haben im Dialog mit den Neurowissenschaften immer und immer wieder den "mereologischen Fehlschluss" erklärt: Man darf nicht Eigenschaften des Ganzen auf Eigenschaften von Teilen übertragen, Eigenschaften von Personen in Eigenschaften von Teilen des biologischen Gehirns verwandeln. Zellverbände oder Neuronen im visuellen Cortex "sehen" keine Stimuli, Personen sehen; das Gehirn denkt nicht, Personen denken. ...
https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/denkt-die-person-oder-das-gehirn-4667

-

"Interview: "Wir haben keine konsistente Theorie darüber, was genau Bewusstsein ist"" Daniela Wakonigg (16.09.2022)
Künstliche Intelligenz wird immer menschenähnlicher. Oder erzeugt wenigstens diesen Eindruck. Bekannt wurde in diesem Sommer der Fall des Google-Mitarbeiters Blake Lemoine, der seine Kündigung erhielt, nachdem er erklärt hatte, dass das Chatbot-System LaMDA ein künstliches Bewusstsein entwickelt habe. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit dem Philosophen und Kognitionsforscher Thomas Metzinger über erkenntnistheoretische und ethische Probleme rund um das Thema "künstliches Bewusstsein". ...
https://hpd.de/artikel/wir-haben-keine-konsistente-theorie-darueber-genau-bewusstsein-20671

Link

#8
Quote[...] Nostradamus und seine finsteren Exegeten braucht schon lange keiner mehr. Wo der unheilschwangere Blick in die Glaskugel einst das Geschäft von Obskurantisten war, hat er heute eine wissenschaftliche Grundlage. Die Erhellung unserer schwindenden Zukunft unterliegt zwar vielen Unwägbarkeiten, doch allein die Menge der irreversiblen Prozesse, von der Erderwärmung bis zur Abnahme der Biodiversität, kündet nur allzu deutlich von der Hinfälligkeit dieser Welt. Wie soll sich eine Menschheit verhalten, der früher oder später nicht mehr zu helfen ist? Wählt sie die Schweizer Lösung und schluckt tödliche Pillen? Oder sollen die letzten Überlebenden auf Erden zusperren und im All eine neue Heimat finden?

Die Übergangszeit bis dahin ist vielleicht die noch größere Herausforderung. Denn: ,,Wie bewahrt man seine Selbstachtung in einer historischen Epoche, in der die Menschheit als ganze ihre Würde verliert?" Das gehört nicht zum Typus der Fragen, die sich analytische Philosophen für gewöhnlich stellen.

Doch die neue ,,Bewusstseinskultur", die Thomas Metzinger im Titel seines jüngsten Buches als Haltung empfiehlt, hat eine psychohygienische Dimension, ohne die sein eigenes ,,Erkenntnisprojekt" so wenig Bestand hat wie jedes andere: ,,Realistisch betrachtet sind unsere Handlungsoptionen mittlerweile nur noch auf Schadensbegrenzung und ein möglichst intelligentes Krisenmanagement beschränkt."

Thomas Metzinger, 1958 in Frankfurt am Main geboren und zuletzt gut zwei Jahrzehnte Professor in Mainz, ist ein international renommierter Philosoph des Geistes – und wohl derjenige, der das Phänomen des Bewusstseins interdisziplinär und empirisch wie kaum ein anderer erforscht hat. Und das nicht zuletzt am eigenen Leibe: Aus dem jungen Mann, der offen war für  Drogenexperimente, wurde ein Langzeitmeditierender, der sein Ich-Bewusstsein immer wieder zugunsten eines reinen Bewusstseins ablegt.

Das subjektive ,,Jemand-Sein" hält er, wie er in seinem Buch ,,Der Ego-Tunnel" schreibt, für eine Innerlichkeitsillusion, und das ,,Being No One", wie die akademische Publikation heißt, die dieser Illusion auf den Grund ging, die Tatsache, mit der es sich abzufinden gilt. Mehr noch: Es gilt sich in diesem Niemand-Sein einzurichten, als einem Zustand, in dem ,,nicht ein bestimmter, verdinglichter Inhalt von einem erlebenden Selbst angeschaut wird, sondern in denen das reine, mit sich selbst vertraute Gewahrsein das ist, was schaut – selbsterkennend und ohne jedes Ich-Gefühl, in einem nicht-dualen Zustand."

Metzingers Plädoyer für eine Bewusstseinskultur lässt sich nicht einfach in ein Set von Regeln übersetzen. Auf dem Fundament eines Kritischen Rationalismus, den er als Voraussetzung einer ,,intellektuellen Redlichkeit" betrachtet, die der planetaren Krise ungehindert ins Auge blickt, geht es zunächst um eine Verbreiterung unserer Selbsterfahrung.

Was, fragt er, sind gute mentale Zustände, was sind schlechte? Und wie wirken sich Medikamente und Psychotechniken auf sie aus? Als ,,neuer Zweig der angewandten Ethik" sucht die Bewusstseinskultur Orientierung zwischen den Verführungskräften einer technologisch angeheizten Aufmerksamkeitsökonomie und den paradiesischen Versprechungen der Künstlichen Intelligenz.

Metzingers überwiegend nüchterner, nachrichtlich dürrer, manchmal fast formelhafter Ton vermittelt nur unzureichend, wie rabenschwarz seine Vision ist. Denn er prophezeit einen ,,globalen Panikpunkt", an dem die Unabwendbarkeit der Klimakatastrophe nicht nur intellektuell, sondern auch emotional realisiert werden wird.

,,Wir werden", prognostiziert er, als hätten die entsprechenden Prozesse nicht längst eingesetzt, ,,eine starke Zunahme des Öko-Terrorismus sowie das Entstehen von immer neuen Verschwörungstheorien, von Populismus und neuen religiösen Bewegungen beobachten; wir werden große Migrationsbewegungen und natürlich auch militärische Konflikte rund um den Globus erleben."

Und als wollte er das Eintreten dieses Panikpunkts beschleunigen, fordert er geradezu zu gezieltem Pessimismus auf: ,,Zweckoptimismus führt mittelfristig fast immer zu emotionalem Ausbrennen und zu einem Gefühl der Verbitterung, denn es handelt sich dabei um eine gezielte und vorsätzliche Verzerrung des eigenen inneren Modells der Realität."

Die trügerisch voraussetzungslose Lesbarkeit seines Buches gibt darüber hinaus oft nur in den Anmerkungen preis, wie viel theoretisches Beiwerk sich hinter so manch unschuldig klingendem Satz verbirgt. Wie nebenbei taucht da der Effektive Altruismus auf, dem sich Metzinger verpflichtet fühlt. Eine Denkschule, die das Leid in der Welt systematisch vermindern will, unter anderem, indem ihre Anhänger zehn Prozent ihres Einkommens an Organisationen spenden, die über Almosen hinaus langfristig Hilfe versprechen.

Auch nur im Vorübergehen erfährt man, dass er die Möglichkeit von synthetischem Bewusstsein nicht ausschließen kann und will. Metzinger, der als Teil einer Brüsseler Kommission daran scheiterte, ein Moratorium zur Entwicklung künstlichen Bewusstseins zu verhängen, scheut zwar das Hurra von KI-Forschern, die sich vor dem baldigen Durchbruch wähnen, lehnt aber deren moralische Hemmungslosigkeit ab: ,,Manche Menschen fürchten sich vor einer unkontrollierten Intelligenzexplosion in Maschinen, übersehen dabei aber, dass es auch eine Explosion bewussten Leidens auf postbiotischen Trägersystemen geben könnte. Wenn künstliche Systeme phänomenale Zustände entwickeln, wenn sie einmal echte subjektive Erlebnisse haben sollten, dann entsteht auch die Möglichkeit für Schmerz oder negative Gefühle." Man wird die Dimension dieser Überlegungen erst verstehen, wenn man sich den Aufsätzen widmet, die hier keinen unmittelbaren Eingang gefunden haben.

Seine Hoffnungen ruhen auf der Entwicklung einer aufgeklärten, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren ,,säkularen Spiritualität". Während er jede Form von dogmatisch gestütztem Glauben als ,,vorsätzliche Kultivierung eines Wahnsystems" ablehnt, also auch die christliche Religion, betrachtet er das ,,ethische Prinzip der intellektuellen Redlichkeit" als ,,Sonderfall der spirituellen Einstellung".

Das Wort Spiritualität sollte niemanden schrecken. Metzinger legt Wert darauf,,,dass vieles, was heute unter dem Deckmantel der Spiritualität auftritt, nichts anderes als Religion in diesem – zugegebenermaßen stark vereinfachten – Sinne ist.  Bewusstseinskultur würde dagegen bedeuten, den Begriff der Spiritualität endlich zurückzuerobern und von seinem Missbrauch durch die Vertreter adaptiver Wahnsysteme zu befreien." Und er leugnet nicht, ,,dass zumindest in sehr seltenen Fällen innerhalb der großen, erstarrten Religionen kleine Nischen existieren, in denen es zu vorsichtig tastenden Suchbewegungen kommt."

Als leuchtendes Vorbild für die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Rationalität und Spiritualität nennt er insbesondere Karl Popper. Dessen ,,streng erfahrungsbasierte Suche nach formaler Eleganz und Einfachheit" treffe den Kern ernsthafter spiritueller Praxis. In Kontakt mit der Wirklichkeit, paraphrasiert er ihn, ,,sind wir immer genau in dem Moment, in dem wir eine Hypothese falsifizieren." Oder in Metzingers eigenen Worten: ,,Der Moment des Scheiterns ist der Moment, in dem wir die Welt berühren."

Thomas Metzinger denkt politisch genug, um im Profitstreben großer Konzerne entscheidende Hindernisse für ein Umdenken zu sehen. Diesem steht der ganz normale Wachstumskapitalismus im Weg, der seine expansiven Bestrebungen unter dem Sorglosigkeitssiegel des Green Deal verkauft. Aber auch das Suchtpotenzial sozialer Medien torpediert eine vernünftige Selbstvergewisserung.

Ein Manko seines Plädoyers für eine Bewusstseinskultur, die über Achtsamkeitsseminare hinausgeht, liegt darin, wie wenig er berücksichtigt, dass der Sinneswandel ja nicht mit einem Verzicht auf konkrete Vorsorge einhergehen kann. Inmitten der planetaren Krise gibt es einen weitreichenden supranationalen Regelungsbedarf. Er umfasst die Einhegung von Umweltschäden wie Gerechtigkeitsfragen, zu denen auch Philosophen einiges beizutragen haben.

Darüber könnte man sich mit Metzinger sicher schnell einig werden. Generell fehlt der ,,Bewusstseinskultur" jenseits des Appellativen aber eine zündende Idee, wie man sie politisch-institutionell verankern könnte. Welche Parteien und Organisationen werden sich dafür stark machen?Welche Studienfächer greifen Metzingers säkulare Spiritualität auf? In welche Lehrpläne soll sie eingebettet werden? Welchen Widerstand werden die Kirchen leisten?

Schließlich lässt Metzinger offen, wo die Grenze zwischen Zweckoptimismus als nützlicher Illusion und schädlicher Selbstblockade verläuft. Mit anderen Worten: Wo schlägt die Erkenntnis des Unausweichlichen in Fatalismus um? Dabei mag sich die Perspektive eines gesellschaftlichen Kollektivs von der des Einzelnen gewaltig unterscheiden. Ja es könnte sein, dass die beiden Sichtweisen letztlich nicht miteinander zu vereinbaren sind.

Die Dringlichkeit von Thomas Metzingers Anliegen wird davon nicht beeinträchtigt. ,,Wenn sich die planetare Krise weiter zuspitzt", schreibt er, ,,steht plötzlich die Rechtfertigung aller bestehenden Regeln und Strukturen auf dem Spiel. Dann sind es die staatlichen Institutionen selbst, die in der öffentlichen Wahrnehmung ihre Legitimität verlieren. Was wiederum das Risiko für ein Erstarken populistischer Strömungen erhöht." Das hört sich alles andere als nach einer fernen Zukunft an.


Aus: "Klimakatastrophe und Spiritualität: Warten auf den globalen Panikpunkt" Gregor Dotzauer (10.02.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/klimakatastrophe-und-spiritualitat-warten-auf-den-globalen-panikpunkt-9327203.html

QuoteWinterschnee
10.02.23 21:21

"Bei den meisten Menschen ist zwar angekommen, dass sich das Klima aufgrund menschlichen Handelns verändert, aber es gibt eine Mehrheit insbesondere im Bereich der materiell komfortabel lebenden nördlichen Halbkugel, die sich weigert, sich damit überhaupt zu befassen und schon gar nicht um daraus für sich persönliche Konsequenzen zu ziehen"

Der o.g. Auszug aus dem Kommentar von Wilfried Wang kann ich nur zustimmen. Die Klimaerwärmung ist nicht mehr abzubremsen dazu ist es wirklich zu spät, es ist genauer gesagt fünf nach zwölf.
Mein Eindruck ist auch der, daß viele es gar nicht so schlecht finden diese Klimaerwärmung beschert er mittlerweile schöne warme, ja heiße Sommer mit viel schöner Trockenheit. Es wird auch nicht als Verlust empfunden, daß der Winter immer weniger in Erscheinung tritt. Wir haben alle eine tolle Zukunft vor uns.


QuoteZweiglein
10.02.23 19:27

Nichts gegen Herrn Metzingers Bewußtseinskultur, die er für die richtige hält und auch für spirituell, durchaus, mag sein - da berührt sie sich sowohl mit wissenschaftlichem als auch mit religiösem Denken.

Das ist das eine, das andere seine beileibe nicht hoffnungsfrohe Sicht auf das weitere Weltgeschehen, sicher richtig!
Seine Perspektive, und die müsste sich paaren mit so vielen anderen Perspektiven aus ganz anderen Welt- und Denkregionen - denn es geht nur multiperspektivisch..., wie kann das konkret umgesetzt werden? Mit welcher Macht?
Oder genügte Einsicht? Das würde zu viel voraussetzen.
Die meisten Menschen sind damit beschäftigt, überhaupt klar zu kommen mit ihrem täglichen Leben..., das frißt Energie und die reicht sicher nicht, aus seinem Ich in Metzingers Sinn herauszutreten in ein Nicht-Ich..., obwohl es viele Lebensphilosophen auf der Welt gibt, die nie studiert haben und doch wahre Philosophen sind!
Wie auch immer, Ethik, schon in der Schule, ist sicher super..., nur, wie weiter dann!?
Es wird chaotisch werden erstmal, das denke ich, leider, auch.


Quotewilfried.wang
10.02.23 18:28
Herr Metzinger denkt in Schemata des 19. Jahrhunderts. Sein "globaler Panikpunkt" setzt einen überall auf der Welt gleichzeitig verlaufenden Prozess der Wahrnehmung voraus, an dessen Ende eine Bewusstseinswerdung steht, die dann zur gleichzeitigen Panik führt.

Wie naïv.

... Der Klimawandel vollzieht sich linear und ungebremst, angefüttert von Jahrzehnten des Raubbaus. Es ist zu spät für einen globalen Sinneswandel, für eine globale Einsicht, selbst für eine globale Panik.

Parallel zum unaufhaltbaren Klimawandel wird sich ein schleichendes Dahinsiechen von breiten Teilen der Menschheit vollziehen.

Alles, was jetzt hinsichtlich des Klimaschutzes passiert, ist nur die Schaffung einer Kulisse für ein falsches Bewusstsein: von Greenwashing, Dach- und Fassadenbegrünung, CO2 Verpressung, über die Klima- und Artenschutzkonferenzen.

Alles zu spät und zu ineffektiv.

Daher, jeder, der es sich leisten kann, sollte sich eine Klimaanlage beschaffen. So wären zumindest die heißen Tage in den eigenen Wände zu ertragen.


...

-

Quote[...] "Wir müssen uns ehrlich machen. Die Menschheit befindet sich mitten in einer planetaren Krise". Zwei starke erste Sätze eines Buches, das klar und schonungslos die selbstverschuldeten Probleme unserer Welt und das Versagen der politischen Institutionen und handelnden Personen aufzeigt. Die Menschheit ist aufgrund mehrerer Faktoren in eine äußerst prekäre Situation gelangt, zu deren Umsteuerung nur noch wenig Zeit bleibt.

Der renommierte Philosoph und Buchautor Thomas Metzinger legt mit "Bewusstseinskultur" einen tiefgründigen wissenschaftlich-philosophischen Text vor, der eine radikale Form von Ehrlichkeit – "Wie bewahrt man seine Selbstachtung in einer historischen Epoche, in der die Menschheit als Ganze ihre Würde verliert" – und ein ernsthaftes Nachdenken darüber fordert, "wie neue gesellschaftliche Leitideen aussehen können, worin die richtige Einstellung zu der sich entfaltenden planetaren Krise besteht und was eine würdevollere Art zu leben sein könnte". Sind wir der sich rasant verschärfenden globalen Krise ausgeliefert, "oder können wir vielleicht doch noch rechtzeitig eine neue Art zu leben entwickeln, eine Lebensform, die uns ermöglicht, das giergetriebene Wachstumsmodell zu verlassen?"

Das von Machtstreben, Gier, Neid und rücksichtslosem Wettbewerb befeuerte kontinuierliche Wirtschaftswachstum führte in eine planetare Krise, deutlich ersichtlich an der Korrelation von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen. Mangel an moralischer Selbstachtung, fehlendes Mitgefühl für künftige Generationen sowie fehlende kulturelle Kreativität bilden weitere Faktoren. Die Klimakatastrophe beschleunigt sich spürbar, herkömmliche Handlungsoptionen bieten nur Schadensbegrenzung und Krisenmanagement. Zur Gegensteuerung fordert der Autor neue Handlungsnormen und ein weitreichendes, wesentlich tiefer gehendes Leitbild mit kulturellem Kontext: "Bewusstseinskultur" bietet ein solches Leitbild und eine praktische Strategie auf individueller und gesellschaftlicher Ebene in einem Worst-Case- und einem Best-Case-Szenario. "Das Ziel dieses Buches ist es, eine etwas ernsthaftere Diskussion über die Möglichkeit solch eines neuen kulturellen Kontextes zu beginnen".

Die meisten Menschen spüren, dass es intellektuell unredlich ist, Optimist zu sein beziehungsweise sich weiterhin selbst zu belügen. Aus rein physikalischer Perspektive wäre es zwar noch möglich, die Erderwärmung unter 1,5 oder vielleicht 2 Grad Celsius zu halten, "aufgrund unseres Wissens über unseren eigenen Geist und seine evolutionäre Geschichte, über die politischen Institutionen auf dem Planeten sowie über den aktuellen Zustand menschlicher Gesellschaften und Kulturen" ist aber realistischerweise anzunehmen, "dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten einen katastrophalen und weitgehend unkontrollierten Verlauf nehmen wird".

Thomas Metzingers Ausführungen beinhalten weder Zweckpessimismus noch Verteidigung von Defätismus und Passivität, es geht ihm im Gegenteil darum, in einem neuen kulturellen Kontext mehr zu tun – verbunden mit der Forderung nach intellektueller Redlichkeit und der Kultivierung epistemischer Offenheit sowie Lauterkeit und Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber. Um eine Chance zu haben, "müssen wir uns sowohl von ideologischen Formen eines Zweckpessimismus als auch von den vielen verlogenen Varianten eines reinen Zweckoptimismus befreien, es ist der Realismus, der auf eine neue Ebene gehoben werden muss". In diesem Zusammenhang beschreibt er die großen Beschleunigungen der Krise, wie Zunahme der Weltbevölkerung, Informationsflut, Geschwindigkeit des technologischen Wandels, Energie-, Wasser- und Flächenverbrauch, Zunahme der Treibhausgas-Emissionen, Versauerung der Ozeane, Verlust der Tropenwälder, Artensterben. Der Übergang zu einer nachhaltig entschleunigten Form des Wirtschaftens wurde nicht geschafft, was auch der Tiefenstruktur des menschlichen Geistes geschuldet ist: Gier, Neid, Dominanzstreben und Motivation durch Selbsttäuschung bildeten in der Welt unserer Vorfahren erfolgreiche Überlebens- und Vermehrungsstrategien.

"Die globale Finanzindustrie und die Wirtschaftslobby haben uns in eine ökologische Katastrophe geführt, und es scheint mehr als wahrscheinlich, dass sie weiterhin große Teile der Biosphäre des Planeten zerstören werden". Selbstverständlich könnten auch andere Entwicklungen eintreten, die der Autor beispielsweise anhand möglicher nuklearer Kriege oder Bioterrorismus via Gentechnik oder positiv im Hinblick auf künstliche Intelligenz beschreibt; "doch wenn es zu keinem dieser Ereignisse kommt, wird die Klimakatastrophe mit Sicherheit eintreten". Die Unumkehrbarkeit von Kipppunkten mit komplexen Rückkoppelungssystemen und die Trägheit physikalischer wie auch geistiger und sozioökonomischer Systeme und des eigenen Geistes und der Gesellschaften spielen dabei eine wichtige Rolle.

Es würde den Rahmen dieser Besprechung bei weitem sprengen, alle vom Autor vorgebrachten Gedanken und Vorschläge abzubilden. Vordringlich beschreibt er das Konzept einer "Bewusstseinskultur" als Möglichkeit der Überwindung des kapitalistischen Wachstumsmodells sowie als Forderung, ökonomisches Wachstum durch geistiges zu ersetzen. In einem erweiterten philosophischen Kontext wird sie "für den Einzelnen wichtig, falls die globale Situation eskaliert und die Menschheit als Ganze scheitern sollte". Bewusstseinskultur wird auch die Vorstellung verändern, die die Menschheit von sich selbst "als scheiterndes Wesen" erlebt, verbunden mit einem großen Umbruch des wissenschaftlich-philosophischen Selbstverständnisses, den der Autor eine "naturalistische Wende im Menschenbild" nennt: Genetik, kognitive Neurowissenschaften, Evolutionspsychologie und eine zeitgenössische Philosophie des Geistes liefern neue Bilder des Selbst, mit Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl.

Eine rationale Bewusstseinskultur kann als Suche nach einer neuen philosophischen Perspektive betrachtet werden und ermöglichen, dem Scheitern auf der Ebene der Spezies und des naturwissenschaftlichen Geistes gleichzeitig zu begegnen. In diesem Zusammenhang erläutert der Autor seine Strategie "säkularer Spiritualität". "Eine nachhaltige Antwort auf die planetare Krise könnte eine neue Form von Spiritualität erfordern, die eine radikale Form von intellektueller Redlichkeit mit einschließt". Säkulare Spiritualität wird mit "es geht um das Leben als Ganzes und auch um die Verminderung von Leiden" definiert, wobei einer "Spiritualität ohne Religion" großer Raum gegeben wird: "Die Naturalisierung der Religion bedeutet eine Herausforderung, auf die eine Bewusstseinskultur der Zukunft antworten muss".

Im Kapitel "Bewusstseinskultur und die planetare Krise" beleuchtet Thomas Metzinger die aktuelle und künftig wahrscheinliche Weltlage unter dem Gesichtspunkt: "Wir müssen uns ehrlich machen. Die planetare Krise rollt, die Klimakatastrophe ist in vollem Gange." Die "Panikpunkte" sind zwar noch weit entfernt, eine "neue innere Haltung, eine würdevollere Lebensform und ein kultureller Kontext, der zur veränderten Situation passt" sind jedoch unabdingbar: "Die organisierte Religion und das ökonomische Wachstumsmodell sind gescheitert, sie haben die sich nun beschleunigende Krise in wesentlichen Teilen mitverursacht."

Die vier wichtigsten Kriterien einer guten, rationalen Bewusstseinskultur:

1.
Bewusstseinskultur ist eine Ausstiegsstrategie mit Hilfe von Selbsterkenntnis und einer neuen Phase der Aufklärung; mit der Auflösung geistiger und politischer Trägheit, mit einem neuen Verständnis von säkularer Spiritualität und mit existenzieller Tiefe ohne Selbsttäuschung.

2.
Bewusstseinskultur beinhaltet Realismus und Skalierbarkeit, Optimismus ist keine Option. Sie muss wachsen, aber auch schrumpfen können und in verschiedenen Größenordnungen, sowohl vor als auch nach dem "Panikpunkt", funktionieren.

3.
Bewusstseinskultur muss dem Individuum wie auch ganzen Gruppen von Menschen ermöglichen, die eigene Würde zu bewahren, auch wenn die Spezies als Ganze scheitern sollte. Sie ist eine Kultur der Würde nach dem Prinzip der Selbstachtung.

4.
Bewusstseinskultur verbindet säkulare Spiritualität mit nicht-egoistischer Würde. "Der nicht-egoistische Raum des sich selbst erkennenden Bewusstheits-Bewusstseins kann ein viel tieferer Anker für ein würdevolles Leben sein als jede rein intellektuelle, von Philosophen erdachte Konstruktion."

"Bewusstseinskultur" ist ein populärwissenschaftliches Werk, das in schonungsloser Klarheit die Probleme der Menschheit benennt und – inhaltlich sehr dicht gepackt, intellektuell fordernd – auf Philosophie und Wissenschaft basierende Möglichkeiten aufzeigt, Wege daraus zu finden. Erläuterungen zu säkularer Spiritualität, verbunden mit Meditationsempfehlungen, vertiefen die Ausführungen. Im Schlusskapitel betont der Autor, dass es bei Bewusstseinskultur um den "Aufbau eines sozialen Netzwerkes, einer Art kultureller Plattform" geht, "von der aus wir angesichts der eskalierenden planetaren Krise ein neues Verständnis von Würde und ganz 'neue' Formen des würdevollen Lebens entwickeln können". Der Schlusssatz des Buches – "Bewusstseinskultur ist ein Erkenntnisprojekt, und in genau diesem Sinne ist unsere Zukunft auch weiterhin offen" – lässt dahingehend Optimismus zu; hoffen wir, dass der Autor damit Recht behält. Allen an diesem existenziellen Thema Interessierten kann das Buch uneingeschränkt empfohlen werden.

Thomas Metzinger, Bewusstseinskultur – Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise,
Berlin Verlag 2023, 205 Seiten, ISBN 978-3-8270-1488-7


Aus: "Rezension: Ein neues Leitbild für die planetare Krise" Gerfried Pongratz (14. Apr 2023)
Quelle: https://hpd.de/artikel/neues-leitbild-fuer-planetare-krise-21208


Link

Quote[...] Im zweiten Kapitel wird dann die "Bewusstseinskultur" näher ausformuliert. Diese wird mit Philosophie als "Pflege der Seele" (nach dem römischen Staatsmann und Philosophen Cicero, 106-43 v.Chr.) in Verbindung gebracht.

Konkret geht es Metzinger hier um drei Aspekte: erstens, Verantwortung für die eigenen geistigen Zustände; zweitens, das systematische Streben nach wertvollen Bewusstseinszuständen; und, drittens, die Einbettung dieser Zustände in unsere Kultur.

... Er selbst habe seit über 46 Jahren mehr als zweimal täglich meditiert. Und mehr als 65-mal habe er LSD, Psilocybin und einige synthetische Drogen verwendet; diese Erfahrungen hätten, "[g]enau wie meine Meditationspraxis [...] meinem Leben große Tiefe und Schönheit verliehen" (S. 101).

...     "Ob es uns gefällt oder nicht, wir beginnen unsere geistigen Fähigkeiten zunehmend als natürliche Eigenschaften zu begreifen, die eine sehr lange biologische und eine viel kürzere kulturelle Geschichte besitzen. Natürlich ist die gesellschaftliche Dimension weiterhin sehr wichtig, aber unsere geistigen Fähigkeiten beruhen letztlich auf funktionalen Eigenschaften, die mit den Methoden der Wissenschaft erklärt werden können. Im Prinzip sind sie technologisch kontrollierbar und könnten vielleicht sogar auf nicht-biologischen Trägersystemen realisiert werden. [...] Für viele der Gläubigen wird die naturalistische Wende im Menschenbild eine emotionale Kränkung bedeuten, deren mittelfristige politische Folgen schwer abzusehen sind."
    ibid., S. 113-114

... Was bleibt – und das irritiert mich am meisten – scheint unterm Strich der Geruch von moralischer Überlegenheit, der sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Auch Metzinger aber kann den technologischen Fortschritt der nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht vorhersagen.

Wenn es trotzdem so schlimm kommt, wie er erwartet, wem nutzt dann noch eine "Wir haben's euch ja gesagt!"-Haltung? Ob das genug ist, um die psychische Gesundheit der Metzingerianer zu verbessern, darf bezweifelt werden.

Metzinger, T. (2023). Bewusstseinskultur: Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise. Berlin: Berlin Verlag/Piper. 204 S.


Aus: "Bewusstseinskultur" (06. Jan 2023)
Quele: https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/bewusstseinskultur/

QuoteHakel
    06.01.2023, 10:52 Uhr

Der Mensch scheint doch wohl dafür geboren dass er permanent andere Menschen verletzt. Sei es in der Familie, im Beruf, in der Politik etc...Menschen haben ihre jeweils eigenen Interessen, Begierden, Ideologien etc. die sie unter allen Umständen erreichen wollen und da ist Intoleranz oft das einzige Mittel denn Toleranz gilt in dieser Gesellschaft scheinbar auch als Schwäche. Und wer will ,wer kann sich schon leisten in dieser Ellenbogengesellschacht "schwach" zu wirken ? Da wird geheuchelt, gelogen, manipuliert das sich die Balken biegen. Wer sich der Meditation bewusst ist scheint sich -und damit auch andere- besser zu kennen, also
müsste (sollte) aus dem Prinzip dieser Toleranz anders handeln, was wahrscheinlich aber auch genau so illusorisch scheint wie das Prinzip der Nächstenliebe in der Religion denn letztlich sind es immer gesellschaftlich geprägte Menschenbilder und durch Meditation wird diese Welt nicht besser, sie ist nur dann der Vogel Strass der seinen Kopf in den Sand steckt.
Die DDR ist auch damals daran gescheitert dass sie ein realitätsfremdes ideologisches Menschenbild prägte was eine realitätsfremde Politik beinhaltete. Wer nicht sieht das Menschen in der Regel auch Egoisten sind die auf Kosten anderer ihre Machtspiele treiben, wird nie in der Realität ankommen. Mit Meditation können sie also die Probleme dieser Welt nicht wegmeditieren sondern wahrscheinlich nur besser analysieren. ...


QuoteMartin Holzherr
    06.01.2023, 11:22 Uhr

Ideologisch/Religiös getriebenes Denken führt in meinen Augen (fast) immer zu schlechteren Lösungen als empirisch/praktisch orientiertes. Warum? Weil ein Ideologie/Moralist das Sollen/das gewünschte Ziel sehr viel stärker gewichtet als das Ist und weil er zu weniger Kompromissen bereit ist.  ...


Quotefauv
    06.01.2023, 11:34 Uhr

Martin Holzherr,
Der einfache Mensch, der nach Wohlstand strebt, ist auf dem richtigen Weg. Wer die Zeit verschläft landet bei der Altersarmut und die mögliche Wohnsitzlosigkeit. Wir haben derzeit über 140 000 Wohnsitzlose in Deutschland. ...


QuoteStephan Schleim
    06.01.2023, 12:07 Uhr

@Hakel: Mensch und Meditation

In der Meditation kann man sich auch verirren.

Mir sind schon Menschen begegnet, die seit Jahrzehnten täglich meditierten, und doch bei jeder Gelegenheit allen auf die Füße traten, mangels Empathie. Vergessen wir auch nicht, dass sogar der MPI-Direktorin Tania Singer, mit der Metzinger Meditationsforschung betrieben hat, schließlich "erhebliches Führungsfehlverhalten" attestiert wurde.

Zur DDR: Wir Angepassten [https://www.piper.de/buecher/wir-angepassten-isbn-978-3-492-30816-8]: Überleben in der DDR. Ich war auf einer Lesung mit Roland Jahn, habe das Buch aber noch nicht gelesen. Ich erinnere mich, dass er die Zeit in der DDR als ein "Theaterspiel" charakterisierte, bei dem sie alle wussten, dass die Theater spielen.

Ganz fremd ist mir dieses Gefühl nicht. Beispielsweise ist mir bisher kaum eine Führungskraft begegnet, die bei der Konfrontation mit Fehlern nicht erheblich gekränkt gewesen wäre – und stattdessen gemeinsam nach einer funktionierenden Lösung gesucht hätte.

Worüber reden wir gerade? Ich habe hier ja erst vor Kurzem einen verbindenden Ansatz vertreten. Dieser strebt nach intellektueller Bescheidenheit, statt "Redlichkeit" (und Überheblichkeit?).


QuotePetra Müller
    06.01.2023, 11:48 Uhr

Die "Klimakatastophe" im Wandel der Zeit....

https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article5489379/Als-uns-vor-30-Jahren-eine-neue-Eiszeit-drohte.html

"Eines steht schon fest: Es wird seit 30 Jahren kälter. Seit 1940 ist die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad gesunken"


QuotePaul Stefan
    06.01.2023, 13:21 Uhr

Petra Müller: ""Eines steht schon fest: Es wird seit 30 Jahren kälter. Seit 1940 ist die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad gesunken""

Ich weiß nicht, woher Sie diese Aussage haben. Sie ist eindeutig falsch! Die globale Erwärmung ist eine Messtatsache.

https://climate.nasa.gov/vital-signs/global-temperature/

Warum hängen Sie solchen Lügen an? Warum können Sie Fakten nicht akzeptieren?


QuotePetra Müller
    06.01.2023, 18:04 Uhr

"Leugner und Abwiegler"

Die "Leugnung" von heute ist wie Wahrheit von morgen.

Im Rückblick auf die Schweinegrippe wunderts sich z.B. selbst der Spiegel:

"Rückblickend war die Schweinegrippe-Pandemie in Wahrheit eher eine weltweite Massenhysterie. Heute kann man kaum noch glauben, dass alles wirklich so passiert ist, wie es passiert ist. Kann nicht fassen, dass niemand irgendwann auf den Tisch gehauen und gesagt hat: "Leute, jetzt wacht doch mal auf!"

Und dann weiter:

"Die Schweinegrippe-Pandemie, die die Glaubwürdigkeit von Behörden wie WHO, Robert Koch- und Paul-Ehrlich-Institut nachhaltig erschüttert hat, ist ein Lehrstück dafür, was passieren kann, wenn Hektik und hochkochende Emotionen die Diskussion bestimmen – und nicht Nachdenklichkeit, Fakten, Ehrlichkeit und ein klarer Kopf.

Sie ist ein Paradebeispiel dafür, was passieren kann, wenn Querdenker nicht gehört werden".

https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/schweinegrippe-pandemrix-nebenwirkungen-ignoriert-futter-fuer-impfgegner-a-1229428.html

(Schweinegrippe kann meiner Meinung nach auch durch Covid ersetzt werden)


QuoteErwin Neher
    06.01.2023, 19:21 Uhr

Für die stillen Leser ein paar Richtigstellungen zur Klimawandeldiskussion:

a) Global cooling:
https://www.scientificamerican.com/article/how-the-global-cooling-story-came-to-be/

Der menschengemachte Klimawandel war schon 1978 im deutschen Fernsehen ("Querschnitt" im ZDF):
https://www.youtube.com/watch?v=edvPBvJ2MqE

b) 97% Konsens der Wissenschaftler zum "Humans caused climate change"

97% ist in der Tat die inzwischen überholte Zahl von 2013.

Richtig sind über 99%
https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ac2966


Quotelittle Louis
    06.01.2023, 18:11 Uhr

Ich kann mich noch recht gut an eine Ausgabe von "Bild der Wissenschaft" (Kosmos Verlag, Stuttgart) aus dem Ende der 1970er Jahre (ich glaube Sommer 1979) erinnern.
Das Titelblatt thematisierte eine drohende Vergletscherung aufgrund eines prognostizierten allgemeinen Abkühlungseffektes.
(Womöglich kann jemand diese Ausgabe recherchieren.)

Das ist natürlich kein Beweis GEGEN eine derzeitige allgemeine Erwärmung, ist aber immerhin der Erwähnung wert.


QuoteSandra
    06.01.2023, 19:00 Uhr

Diese Rezension wirft ein einseitiges und voreingenommenes Licht auf den Inhalt des Buches und zeigt deutlich Verzerrungen, Scheinargumente und persönliche Vorurteile auf. Um Metzingers Ideen auf faire und ausgewogene Weise zu hinterfragen, ist es wichtig, ein tieferes Verständnis für die Perspektiven und Absichten des Autors zu haben und sich auf die Ideen selbst zu konzentrieren, anstatt auf schlecht getarnte persönliche Angriffe. Eine solche Diskussion würde uns helfen, ein tieferes Verständnis von Metzingers Ideen zu entwickeln. Leider scheinen die Rezension und einige Kommentare unfair und herablassend zu sein, was ein Zeichen von Ignoranz und Arroganz ist. Keine Spur von intellektueller Bescheidenheit.


QuoteArne K.
    08.01.2023, 13:51 Uhr

@Stephan Schleim

    Wobei es mir überhaupt nicht um meinen Standpunkt geht, sondern immer nur ums Finden des besten Arguments.

Dazu gehört (intellektuelle Redlichkeit skizziert nach Max Weber) erst einmal zu hören, ob es da auf der anderen Seite auch Argumente gibt.
Das wäre mal ein neuer Eindruck, den zu vermitteln das Ihnen zugeschriebene Menschenbild gut zu Gesicht stünde.

Ohne Ihnen ein "negatives Menschenbild" zu unterstellen, wie Sie es in Ihrer auf den Markt geworfenen Kritik mit dem ehemaligen Lehrer tun.


QuotePhilipp
    16.01.2023, 18:30 Uhr

@ fauv:

"Herr Metzinger will sich nur profilieren, wenn er solche Aussagen macht, wie, es gäbe kein Selbst."

Sie sollten sich erst einmal über Metzingers neurophilosophische self-model theory informieren bevor Sie Ihm so etwas unterstellen. Metzinger hat seine Position sehr ausführlich in Büchern und Papern dargestellt. Man muss seiner Position natürlich nicht zustimmen, aber ihm zu unterstellen dass er sich mit solchen Aussagen nur profilieren möchte ist absurd hoch drei.

Metzinger sagt nicht dass es kein Selbsterleben gäbe, oder dass Menschen sich nicht durch unterschiedliche Persönlichkeiten und Verhaltensweisen manifestieren.

Metzinger sagt letztendlich lediglich dass das Selbst keinen ontologischen Status hat, sondern das, so Metzinger, das Gehirn Selbst-Modelle entwickelt. Das ist eine philosophische Aussage bzw. Position. Die kann man als Unsinn ansehen und über die kann man streiten. Aber niemand schreibt zig Bücher und Paper über das Thema um sich mal eben damit zu profilieren. Außerdem steht Metzinger mit dieser Ansicht nicht alleine da; Philosophen wie die Churchlands etc. vertreten die gleiche Meinung.

Man kann wohl auch schlecht über Metzingers neues Buch urteilen ohne es gelesen zu haben.


QuoteStephan Schleim
    16.01.2023, 19:11 Uhr

@Philipp: Metzinger & Selbst

Danke für deine vernünftige Stimme. Wir sollten es vor allem unterlassen, über andere zu Urteilen, was in deren Köpfen vorgeht. Darum löschte ich gerade auch @Reutlingers Kommentar in dem er feststellte (natürlich, wie so oft, ohne jeglichen Grund), ich sei ein Gläubiger, der sich als Agnostiker ausgebe.

@fauv hat aber auch nicht ganz unrecht damit, dass wir alle natürlich auch auf eine gewisse Außenwirkung achten. Ich freue mich ja auch, wenn meine Blogbeiträge gelesen werden. Metzingers früheren Alarmismus habe ich selbst schon häufiger thematisiert, z.B. seine falschen Voraussagen im Bereich der Neuroethik (Gehirndoping).

Aber zum Selbst: In gewisser Weise kommt mir das vor wie Schattenboxen. Erst reifizieren westliche Philosophen dieses und jenes (Selbste, Seelen, Qualia) – und hinterher halten westliche Philosophen es für eine große Entdeckung, dass es diese Dinge nicht gibt – als Dinge.

Natürlich gibt es so etwas wie ein Selbstbild oder Prozesse, die mit einem selbst zu tun haben; Georg Northoff z.B. versucht das ja neuronal zu erklären, über Prozesse in den kortikalen Mittellinienstrukturen.

Wenn Anil Seth sein neues Buch ("Being You: A New Science of Consciousness", 2021) mit dem Gedanken vermarktet, unsere Wahrnehmungen als Illusion zu entlarven, dann kann ich nur noch gähnen.

Auch bei der buddhistischen Lehre vom "nicht-Selbst" (anatta) muss man genauer hinsehen um zu verstehen, dass es um die Ablehnung eines aus sich selbst heraus existierenden Selbst geht (wie jiva, die individuelle Seele, oder atman, das hohe Selbst, im Hinduismus). Aber damit ist nicht gesagt, dass es kein Selbst als Prozess gibt – der sich permanent verändert, wie alles in der Welt.


...

...

Link

Quote[...] Eine Gesellschaft müsse ,,gute" Bewusstseinszustände fördern, fordert er. Klingt gut. Doch wird nicht verraten, was genau gemeint ist.
Am konkretesten ist noch die Forderung nach Meditationsunterricht. Auch der Aufruf, Erkenntnisse der Hirnforschung zur Leidensfähigkeit von Tieren ernst zu nehmen, überzeugt. Aber es scheint doch zweifelhaft, dass das Ausloten neuer Bewusstseinszustände mit Hilfe von Neurotechniken oder Drogen beim Klimawandel helfen könnte.
Trotzdem funktioniert das Buch als Denkanstoß. Gerade weil es nicht um dramatische Klimakurven, sondern um so etwas vermeintlich Privates wie ,,intellektuelle Redlichkeit" geht, kann man sich dem dringlichen Aufruf, etwas zu ändern, schlecht entziehen. Auch wenn Meditation wohl nur für eine Minderheit der richtige Lösungsansatz sein dürfte.



Aus: "Die Antworten liegen im inneren Selbst bereit" (13.01.2023)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/thomas-metzinger-bewusstseinskultur-100.html

Link

Quote[...] Sie schreiben in Ihrem Buch "Bewusstseinskultur – Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise", dass die Menschheit in der Klimakatastrophe versagt, und fordern eine neue Bewusstseinskultur. Wie soll diese aussehen?

Wir sind in eine neue historische Epoche eingetreten. Die Vorstellung, dass wir das 1,5- oder 2-Grad-Ziel noch erreichen könnten, ist intellektuell unredlich geworden, also unehrlich. Viele Leute spüren das, trauen sich aber nicht, es zu sagen, weil sie das Gefühl haben, es gäbe eine Verpflichtung zum Zweckoptimismus. Natürlich werden wir lokale Klimaziele erreichen, in Schweden, Dänemark oder auch Marokko. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir Deutschen die Energiewende wider Erwarten doch noch schaffen.

Aber wenn man sieht, was die großen Klima-Schurkenstaaten wie Russland, Iran oder Saudi-Arabien tun oder in die USA blicken, wo nur 56 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel als Problem akzeptieren, die aber einen viermal so hohen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß haben wie wir, und dann noch Daten über die Trägheit physikalischer Systeme dazunimmt, dann schaut es überhaupt nicht gut aus. Und das verdrängen wir. Daraus entsteht für diejenigen von uns, die gern Teil der Lösung sein wollen, ein sich verschärfendes Problem.

Die Frage ist: Wenn die Menschheit gerade als Ganzes ihre Würde verliert, wie bewahre ich dann noch meine Selbstachtung? Oder einfacher: Wie schafft man es, nicht verrückt zu werden? Das alles ist eine Herausforderung für unsere geistige Gesundheit.

Wir erkennen gerade, dass nicht nur die physikalischen Systeme, sondern auch unsere politischen Institutionen sehr träge sind und das nötige Tempo nicht aufbringen, und dass dies aus der Trägheit unseres eigenen Geistes resultiert. Politik ist notwendig, Aktivismus ist notwendig, aber das wird nicht reichen. Wir brauchen im Grunde einen neuen kulturellen Kontext für die Schadensbegrenzung und für das intelligente Katastrophenmanagement. Wir müssen lernen, in Würde zu scheitern und trotzdem weiterhin das tun, was das Richtige ist, aber vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg. Und die Frage ist, welcher kulturelle Kontext das sein könnte.

Ich denke, wir sollten uns genauer mit unserem eigenen Geist beschäftigen, eben in einer neuen Art von Bewusstseinskultur. Wir sollten uns fragen, was sind gute Bewusstseinszustände? In welchen wollen wir sterben, welche wollen wir unseren Kindern zeigen? Was könnte so attraktiv sein, dass es uns erlaubt, aus dem Wachstumsmodell, aus dieser giergetriebenen Konsumgesellschaft, tatsächlich auszusteigen?

...

Leben wir nicht ohnehin schon in einer viel zu egozentrischen Gesellschaft?

Metzinger: Wenn man wirklich hinschaut, dann merkt man, dass man anderen Leuten nicht gut zuhören kann oder abdriftet. Man muss ja zuerst den eigenen Egozentrismus wirklich annehmen, bevor man Kritik üben kann. Man merkt, dass es neben der meditativen Geistesgegenwart auch so etwas gibt wie Herzensgegenwart, also eine gewisse Offenheit dafür, überhaupt zu spüren, dass jemand leidet oder einen inneren Konflikt hat. Achtsamkeit geht im Alltag weiter.

Ohne die Radikalität eines echten ethischen Kontexts wird Meditation zu McMindfulness, zu einer kapitalistischen Form von Selbstoptimierung. Genau da setzen die Tech-Konzerne ja ein. Darum interessiert sich die Industrie dafür. Aber welches Geschäftsmodell steht dahinter? Ist es gemeinwohlorientiert oder nicht? Was ist der ernstgemeinte ethische Kontext, wenn es denn überhaupt einen gibt? Auch das meine ich auch mit Bewusstseinskultur, nämlich "Bewusstseinsethik": Wir müssen uns auf die Suche machen nach guten, wertvollen Bewusstseinszuständen.

Was macht die Digitalisierung mit unserem Bewusstsein?

Metzinger: Die Aufmerksamkeitsökonomie ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Technologie ist schon lange dabei, unseren Geist zu verändern. Das weiß jeder, der unterrichtet und mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Was viele Leute noch nicht in seiner gesamten Schärfe verstanden haben, ist, wie amerikanische oder chinesische Plattformen die menschliche Aufmerksamkeit monetarisieren.

Wir haben eine begrenzte Ressource in unserem Gehirn. Unsere Aufmerksamkeit brauchen wir, um ein glückliches Leben zu leben, um anderen Leuten zuzuhören oder im Wald spazieren zu gehen.

Das Ziel der Tech-Konzerne heißt maximales Engagement: Man soll immer länger dran kleben bleiben, als man vorhatte, immer länger verweilen, sich verlaufen, in einer Nebengasse landen, Suchtverhalten entwickeln. Das ist mittlerweile eine Riesenindustrie und ein Kampf um mehr als drei Milliarden User auf der Welt. Das Spiel, das mit uns gespielt wird, ist schon lange nicht mehr, wer der Schachweltmeister oder Go-Weltmeister ist, sondern wer unsere Aufmerksamkeit kontrolliert, die knappe Ressource in unserem biologischen Gehirm. Und die Konzerne gewinnen.

Es gibt viele psychiatrische Daten zu Kindern und Jugendlichen, die zeigen, dass längst eine andere Generation herangewachsen ist, von denen viele Schwierigkeiten haben, Bücher zu lesen. Die klassische 90-minütige Universitätsvorlesung, mit der ich noch aufgewachsen bin, geht schon lange nicht mehr. Studierende brauchen nach 25 Minuten ein Video, damit wenigstens die Hälfte derer, die dauernd an ihrem Telefon unterm Tisch hängen, kurz aufschaut.

Ich denke, wir haben da möglicherweise schon mehrere Generationen verheizt.

Natürlich gibt es in jeder Generation acht bis zwölf Prozent, die sind fantastisch, autonom und schwimmen im Internet wie Fische im Wasser. Aber die Frage ist, wie die Mehrheit der jungen Leute mit ihren zerstörten Aufmerksamkeitsmechanismen mit den Krisen der Zukunft umgehen sollen – wenn sie auf einmal merken, sie können doch nicht mehr ausweichen in eine virtuelle Virtualität.

...


Aus: "Philosoph Thomas Metzinger über die Klimakrise und die Erforschung unseres Bewusstseins" Rieke C. Harmsen, Christine Ulrich (29. Januar 2023)
Quelle: https://www.sonntagsblatt.de/artikel/medien/podcast-ethik-digital-philosoph-thomas-metzinger-bewusstsein-klimakrise