• Welcome to LINK ACCUMULATOR. Please log in.

[Grundrechte & Global Issues... ]

Started by lemonhorse, August 04, 2008, 01:40:39 PM

Link

Quote[...] BERLIN taz | Die Killer kamen in zwei Vans, sie hatten großkalibrige Waffen. Ende September 2020 töteten sie den mexikanischen Wasser- und Indigenen-Aktivisten Óscar Eyraud Adams. Er hatte dagegen gekämpft, dass Konzerne wie die niederländische Brauerei Heineken in seiner Heimatregion im Bundesstaat Baja California riesige Mengen Wasser fördern, aber viele Indigene nicht einmal ihre Felder bewässern dürften. Eyraud wurde nur 34 Jahre alt.

Der Mexikaner gehört zu den weltweit mindestens 227 UmweltaktivistInnen, die der Nichtregierungsorganisation Global Witness zufolge vergangenes Jahr ermordet worden sind. Noch nie war die Zahl so hoch, nachdem sie bereits 2019 den damaligen Rekordwert von 212 erreicht hatte. ,,Während die Klimakrise sich verschärft, eskaliert die Gewalt gegen Verteidiger des Planeten", heißt es in einer an diesem Montag veröffentlichten Studie von Global Witness. Waldbrände, Dürren und Überflutungen verschlimmerten zudem die Lage vieler Bevölkerungsgruppen und Umweltschützer.

Seit im Jahr 2016 das Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz unterzeichnet wurde, sind den Angaben zufolge jede Woche im Schnitt vier Umweltschützer getötet worden. ,,Aber diese schockierende Zahl ist so gut wie sicher eine zu niedrige Schätzung", so Global Witness. Denn wahrscheinlich würden wegen zunehmender Einschränkungen von Pressefreiheit und Bürgerrechten etwa in Afrika nicht alle Fälle bekannt.

Mindestens 30 Prozent der erfassten Morde standen laut Studie im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Ressourcen – von der Holzgewinnung über Staudämme und andere Infrastrukturprojekte, Bergbau bis zur großflächigen Landwirtschaft. Die Forstwirtschaft wurde mit 23 Morden in Brasilien, Nicaragua, Peru sowie den Philippinen in Verbindung gebracht und steht damit auf Platz eins.

Die meisten Morde an UmweltaktivistInnen allgemein wurden erneut aus Kolumbien berichtet: Fast die Hälfte der 65 Fälle betrafen Kleinbauern. Wie auch weltweit richteten sich dort viele Angriffe gegen indigene oder afrikanischstämmige Gruppen. An zweiter und dritter Stelle stehen Mexiko mit 30 und die Philippinen mit 29 Morden. Europa war 2020 nicht betroffen.

Die höchste Mordrate im Vergleich zur Bevölkerung hatte Nicaragua mit 12 Fällen. Im Vorjahr waren dort 5 Aktivisten getötet worden. Die Gewalt in dem mittelamerikanischen Land hängt dem Report zufolge mit Siedlern in Gebieten von Indigenen und der Ausweitung der Viehwirtschaft, des Goldbergbaus und des Holzeinschlags zusammen. Die Regierungen seien mitverantwortlich, weil die Täter oft nicht bestraft würden.

,,Die Regierungen haben primär die Pflicht zu garantieren, dass die Menschenrechte der Aktivisten geschützt werden", schreibt Global Witness. Dazu müssten zum Beispiel Gesetze aufgehoben werden, mit denen Umweltschützer kriminalisiert werden.

Hoffnung setzt die Organisation auf zwei Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission: die Initiative für eine nachhaltige Unternehmensführung und Regeln zu Risikorohstoffen aus Wäldern. Global Witness forderte die EU auf, sicherzustellen, dass alle in der Union tätigen Unternehmen Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden in ihrer Lieferkette verhindern. Nötig seien auch Strafen für Firmen, die dieser Pflicht nicht nachkommen. Zudem dürften Unternehmen nur noch Holz importieren, wenn die betroffenen indigenen und lokalen Gruppen nach ausreichender Unterrichtung aus freien Stücken zugestimmt haben.


Aus: "Mehr Morde an UmweltschützerInnen" Jost Maurin, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt (13. 9. 2021)
Quelle: https://taz.de/Klimakrise-verschaerft-weltweit-Konflikte/!5795906/


Link

Quote[...] Wegen der angespannten Lage an der EU-Außengrenze mit Belarus will die EU-Kommission Polen, Litauen und Lettland für eine Dauer von sechs Monaten einen restriktiveren Umgang mit Asylbewerbern erlauben. Die Regierungen der drei EU-Staaten, die an Belarus grenzen, hatten mehr Flexibilität bei ihrer Abwehr von illegaler Migration gefordert.

Die Frist, in der die drei Staaten Asylbewerber registrieren müssen, wird von derzeit drei bis zehn Tagen auf vier Wochen ausgedehnt. Sie dürfen Asylbewerber künftig bis zu 16 Wochen in Aufnahmezentren nahe der Grenze unterbringen, die diese nicht verlassen dürfen. Und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber wird vereinfacht.

Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer faktischen Einschränkung des Asylrechts. Wenn Asylbewerber die Aufnahmelager nicht verlassen dürfen und diese zudem entfernt von regulären Siedlungen direkt an der Grenze liegen, gleiche das einer Haft.

Die Kommission betont hingegen, der neue Rechtsrahmen verstoße weder gegen Grundrechte noch internationale Verpflichtungen. Es gehe um eine befristete Ausnahme von den geltenden Regeln.

Der neue Kurs ist in der EU-Kommission umstritten und hatte bei internen Beratungen zu Kontroversen geführt. Es ist zugleich ein Kompromiss zwischen Deutschland und weiteren Ländern im Nordwesten der EU, die ein liberales Asylrecht vorziehen, und Mitgliedern im Osten und Süden, die eine konsequentere Abschreckung von Migranten fordern, da diese in der großen Mehrheit kein Anrecht auf Asyl haben.

Manche Kommissionsmitglieder haben die Hoffnung, dass sich die faktische Behandlung von Migranten in Polen verbessert. Die nationalpopulistische PiS-Regierung hat ihre Verpflichtung bekräftigt, Neuankömmlinge von Tag 1 an mit Nahrung, Unterkunft und medizinischer Betreuung zu versorgen und mit internationalen Organisationen wie dem Flüchtlingshilfswerk der UN (UNHCR) zusammenzuarbeiten. Bisher war das nicht der Fall.

Die Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, hatte Polens Regierung kürzlich bei einem Besuch in Warschau ermahnt, die Grundrechte von Migranten einzuhalten. Die PiS-Regierung argumentiert, sie habe es mit illegalen Grenzverletzern zu tun, die ihr Grundrecht auf Asyl gar nicht wahrnehmen, sondern nach Deutschland weiterreisen wollten.

Der Staatschef von Belarus, Alexander Lukaschenko, habe die Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten einfliegen lassen, um Druck auf die EU auszuüben, damit sie die Sanktionen gegen sein Regime lockert. In ihren Pässen seien belarussische Touristenvisa. Und sie sagten, man habe ihnen versprochen, dies sie ihr Weg ins reiche Europa.

Da Polen seit der Eskalation des Konflikts im September den Ausnahmezustand über die Grenzregion verhängt hat, haben internationale Medien keinen Zugang. Es gibt kaum unabhängige Berichte über die Lage und den Umgang mit den Migranten. Der Ausnahmezustand ist Ende November ausgelaufen.

Doch die PiS hat mit ihrer Mehrheit im Parlament rechtzeitig ein neues Gesetz verabschiedet, das den Ausschluss der Medien weiter ermöglicht. Danach darf der Innenminister in Rücksprache mit dem Oberbefehlshaber des Grenzschutzes den Zugang zur Grenze aus Sicherheitsgründen einschränken. Innenminister Mariusz Kaminski sagte am Dienstag, er werde diese Möglichkeit nutzen.

Die liberale Opposition und Polens Ombudsmann für Grundrechte, Marcin Wiacek, fordern einen unbehinderten Zugang für Medien und Hilfsorganisationen zur Grenzregion. Sie konnten sich damit aber nicht durchsetzen.


Aus: "Die EU verschärft vorübergehend ihr Asylrecht" Christoph von Marschall (01.12.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/notsituation-an-der-grenze-zu-litauen-die-eu-verschaerft-voruebergehend-ihr-asylrecht/27853350.html

Link

QuoteGuido F. Gebauer 10.12.21, 13:58

Assange droht doch Auslieferung - Der Wikileaks-Gründer muss nun damit rechnen, an die USA ausgeliefert zu werden. Ein Londoner Gericht kippte eine vorherige Entscheidung.

Ein Fall unter vielen, der nach meiner Einschätzung deutlich macht, dass sich unsere Menschenrechtspolitik ändern muss: Weg von der selektiven Fokussierung auf die Menschenrechtsverletzungen unserer Gegner, hin zur Abstellung unserer eigenen Menschenrechtsverletzungen und der unserer Verbündeten.

Wie sollen wir glaubwürdig für Pressefreiheit eintreten und gleichzeitig Assange ausliefern? Wie können wir gegen illegale Inhaftierung und Folter eintreten und es gleichzeitig weitgehend unkommentiert lassen, dass Guantanamo nach wie vor geöffnet ist und kein einzige der Verantwortlichen für die schweren Folterungen im Rahmen des Krieges gegen den Terror zur Verantwortung gezogen wird.

Was hilft es den Menschenrechten wirklich, wenn wir Prozesse führen gegen die schweren und unentschuldbaren Menschenrechtsverletzungen unserer Gegner und gleichzeitig selber Menschenrechtsverletzungen begehen?

Den Menschenrechten wirklich helfen könnte nur eine Umkehr, wo diese nicht mehr selektiv betrachtet und strategisch genutzt werden, sondern wo mit eigenem Vorbild vorangegangen und so Menschenrechte glaubhaft universal eingefordert werden können.

Leider sind wir von so einem Zustand bei weitem entfernt, wie u.a. täglich belegen der menschenverachtende europäischer Abwehrwall gegen Geflüchtete, die Tausenden, die wegen ihm mit dem Leben bezahlen und die unzähligen Menschen, die ins Verderben abgeschoben werden.

Menschenrechte sollten damit beginnen, dass wir sie selbst einhalten, sie bei unseren Verbündeten durchsetzen und dann mit moralischem Gewicht von allen einfordern können.

Momentan sehe ich keine Hinweise, dass beispielsweise die neue Bundesregierung zu so einer tatsächlich an Menschenrechten orientierten Politik wechseln wollte oder gar würde.


QuoteOskar 10.12.2021, 12:01

Das ist die westliche Demokratie die wir so lieben.


Zu: https://taz.de/Gericht-kippt-Ablehnung-von-US-Antrag/!5821667/

Link

Quote[...] Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi hätte eigentlich zu Ende des vorigen Monats aus dem Gefängnis entlassen werden müssen. Das ist aber nicht geschehen, Menschenrechtsorganisationen rufen daher die saudischen Behörden auf, Badawi sofort freizulassen.

Badawi hatte 2008 ein Online-Forum mit dem Namen "Die saudischen Liberalen" begründet, in dem er religiöse und gesellschaftliche Themen diskutierte. 2012 wurde er wegen seiner liberalen Ansichten verhaftet und ein Jahr später wegen "Beleidigung des Islams" zu zehn Jahren Gefängnis, 1000 Peitschenhieben, einer Geldstrafe von einer Million Rial und einem Ausreiseverbot für zehn Jahre nach Beendigung seiner Haftstrafe verurteilt. Im Januar 2015 bekam er öffentlich die ersten 50 Peitschenhiebe, der weitere Vollzug wurde aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt.

"Es ist empörend, dass Raif Badawi nach zehn langen Jahren noch immer im Gefängnis sitzt", sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter one Grenzen (RSF). "Er hätte nie auch nur einen einzigen Tag hinter Gittern verbringen dürfen. Jetzt, da er die volle Strafe abgesessen hat, gibt es für die saudischen Behörden keine rechtliche Grundlage mehr, ihn weiterhin festzuhalten."

Heba Morayef, Regionaldirektorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika, meint: "Raif Badawis anhaltende Inhaftierung zeigt die völlige Verachtung der saudi-arabischen Behörden für das Recht auf Freiheit, die Meinungsfreiheit und sogar ihre eigenen Gesetze. Es zeigt auch, dass ihre Versuche, der Welt ein progressives Bild zu präsentieren, kaum mehr als eine Nebelwand dienen, um ihre Unterdrückung zu verbergen."

Im April 2020 hatte Saudi-Arabien angekündigt, als Teil der "Vision 2030" die besonders grausame Form der Bestrafung mit Peitschen- oder Stockhieben abzuschaffen. Zur "Vision 2030" gehören auch Reformen im Bereich der Menschenrechte.

Neben Badawi sitzen derzeit mindestens weitere 28 Journalisten, Reporterinnen und Medienmitarbeitende in Saudi-Arabien im Gefängnis, erklärt RSF. Die Organisation habe vor diesem Hintergrund Anfang März 2021 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman eingereicht. Kernbestandteil der Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi, der im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul grausam ermordet worden.

Badawis Frau Ensaf Haidar lebt seit 2013 im kanadischen Québec. Sie bittet die kanadische Regierung, Badawi die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Sie wandte sich auch an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, das Ausreiseverbot zu erlassen.

(anw)


Aus: "Saudischer Blogger Raif Badawi hat Haftstrafe abgesessen, kommt aber nicht frei" Andreas Wilkens (07.03.2022)
Quelle: https://www.heise.de/news/Saudischer-Blogger-Railf-Badawi-hat-Haftstrafe-abgesessen-kommt-aber-nicht-frei-6541085.html

QuoteBoMbY, 07.03.2022 13:48

Ahh, ja. Das gute alte Saudi Arabistan ... unser treuer Verbündeter und Waffenkunde.


...

Link

"Weltbevölkerung - Wir werden demnächst acht Milliarden sein – oder sind es bereits" Klaus Taschwer (21. August 2022)
Laut neuer Uno-Schätzung wird die Weltbevölkerung im November die Acht-Milliarden-Marke überschreiten. Warum das schon passiert sein könnte und wie es bis 2100 weitergehen wird ... Offiziell wird das Ereignis für den 15. November vorhergesagt. Aber womöglich ist es bereits in den letzten Wochen passiert: Laut dem im Juli veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung an diesem Tag die Acht-Milliarden-Marke überschreiten. "Es kann gut sein, dass wir jetzt schon dort angelangt sind", sagt Wolfgang Lutz und erklärt das mit fehlenden Daten: "In Indien war die letzte Volkszählung 2011, und in vielen Ländern in Afrika hat man noch weniger neue Daten." ...
https://www.derstandard.at/story/2000138368366/wir-werden-demnaechst-acht-milliarden-sein-oder-sind-es-bereits

Quote
Liberale Meinung

Schrecklich.

Seit 1950 verdreifacht.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1716/umfrage/entwicklung-der-weltbevoelkerung/


Quote
elementaryOchS

Die andere - ergänzende Sicht: Vor 50 Jahren waren es rund 4 Milliarden. Das bedeutet in Summe rund die Hälfte weniger Belastung für die Umwelt. Ich kann das sagen, denn ich genieße das Privileg als Bauernbub aufgewachsen zu sein, und als solcher habe ich beim Entmisten der Ställe gelernt, dass halb so viele Schweine nur halb so viel Mist machen :-) Aber ich verstehe, das Privileg dieser Erkenntnis genießen nur wenige und daher fehlt auch das Verständnis. Es wird über Versiegelung, Verlusst der Biodiversität, Veränderung des Klimas etc. gejammert, ohne die Ursachen dieser Veränderungen anzusprechen. Und solange Symptome bekämpft werden nicht die Ursache ist Besserung kaum in Sicht.


Quote
Snowy, 21. August 2022, 13:29:34

Die Natur wird auch hier regelnd eingreifen bzw. tut sie dies bereits: Pandemie, Dürren, Hungersnöte. Die 9. Milliarde werden wir nie erreichen einfach weil uns Die Natur einen Riegel vorschieben wird


Quote
Menthol, 21. August 2022, 12:27:15

Bin ich froh, daß ich das alles nicht erleben werde. Max. noch 20 Jahre, denn ich will keine 100 werden, obwohl ich prinzipiell gerne lebe.
Ausserdem denke ich, dass wir den Klimawandel nicht packen werden, dafür ist die menschliche Spezies zu dumm.


Quote
NoMoreLies

Warum wird nie thematisiert, daß die Anzahl der Menschen das Problem #1 ist in Richtung Umweltverschmutzung, Zerstörung der Natur, Klimawandel
Das wird wegblendet und verdrängt.


Quote
Enthirnter

Weil aus der Ecke immer das Argument kommt "die Neger solln nicht so viel rammeln, dann geht's auch dem Klima gut", hier ein paar relevante Daten:
https://ourworldindata.org/grapher/cumulative-co-emissions
https://ourworldindata.org/grapher/co-emissions-per-capita
Letztere Karte zeigt zweifelsfrei wer den schwarzen Peter hat (es ist nicht der globale Süden).


Quote
Lucky Bee

Viel zu viele, und darum schafft das unser Planet auch nicht mehr...


Quote
Sigma7

Natur und Planten ist das völlig egal, ...


Quote
Hans Uhlik

Wenn sich die Bevölkerung weiterhin so vermehrt, dann brauchen wir über Klimaschutz gar nicht mehr nachdenken.


Quote
Gereon

Menschen die ihr Schicksal für Gottes Wille halten ... kommt man mit Rationalität nicht bei. ...


Quote
Hosenträgerträger

Wenn Gott aber seinen Willen mit "Seid fruchtbar und mehret euch" ausdrückt, sagt er das zu zwei Menschen und nicht zu 8 Mrd.
Und er sagt auch nicht: Grabt euch selbst das Wasser ab. Ohne ein gerüttelt Maß Rationalität wirds nix mit lebensdienlicher Exegese eines Offenbarungstextes ...


...

Link

Quote[...] Das Buch - Arnd Poll­mann: ,,Menschenrechte und Menschenwürde". Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 451 Seiten, 26 Euro

Der Philosoph Immanuel Kant veröffentlichte im Jahr 1795 – sechs Jahre nach der Französischen, knapp zwanzig Jahre nach der Amerikanischen Revolution – eine Schrift unter dem Titel ,,Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf", in der er die Utopie einer Weltgemeinschaft von Demokratien beziehungsweise Republiken erwog: einer Weltgemeinschaft, in der genau deshalb kein Krieg mehr herrschen würde, weil alle Staaten republikanisch regiert werden.

Im Dezember 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten, dreißig Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verkündeten die Vereinten Nationen die ,,Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", deren erster Artikel so lautete: ,,Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."

In seiner ebenso umfang- wie kenntnisreichen Schrift geht der Berliner Philosoph Arnd Pollmann dieser Thematik in drei großen Kapiteln nach. Sie beginnt mit der Frage der einschlägigen Begriffsbestimmungen, entfaltet sodann präzise die Funktionsbestimmungen von Menschenrechten und von Menschenwürde, um endlich auf deren ,,Inhaltsbestimmungen", also auf den Fortschritt von historischer Gewalt zu einem menschenwürdigen Leben aller einzugehen.

Eine solche Begründung ist unerlässlich: Waren doch die ,,Menschenrechte" seit den von Karl Marx in seiner Schrift zur ,,Judenfrage" geäußerten Argumenten scharfer Kritik ausgesetzt – einer Kritik, die bis zu Carl Schmitts Ausspruch ,,Wer Menschheit sagt, will betrügen" sowie Hannah Arendts Einwänden in ihrem 1943 publizierten Aufsatz ,,Wir Flüchtlinge" reichen. Hier und in späteren Arbeiten versuchte ­Arendt nachzuweisen, dass Menschenrechte ohne Zugehörigkeit zu einem Staat, also Staatsbürgerrechten, wertlos sind.

Man kann Pollmanns Studie als einen kritischen Kommentar zu diesen Einwänden lesen. Steht doch bei ihm – immer im Dialog mit Kant – die Frage nach der Positivierung der Menschenrechte im Zentrum. Vor allem: Verdienen die sogenannten Menschenrechte ihren Namen tatsächlich, solange es auch nur einen Staat auf dem Globus gibt, in denen sie nicht positiv-rechtlich gelten?

Diese Frage führt auf die philosophische Begründung der Menschenrechte im Begriff der ,,Menschenwürde" und damit zur Frage, ob und warum diese Rechte wirklich jedem einzelnen Exemplar der biologischen Gattung Homo sapiens zukommen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Fähigkeiten und eigenem moralischen Verhalten beziehungsweise Missverhalten.

Vor diesem Hintergrund stellt Pollmann – ganz im Sinne des Positivierungsproblems – eine historische These auf: ,,Nicht die ,Ideen' der Menschenwürde und der Menschenrechte sind neu, sondern deren systematische Verknüpfung im Rahmen eines revolutionierten Rechtsempfindens."

Und zwar aufgrund der an Grausamkeit nicht zu überbietenden Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Freilich beharrt Pollmann darauf, dass nicht die Idee der Menschenwürde die Menschenrechte begründet, sondern im Gegenteil, dass ein zeitgemäßer Begriff der ,,Menschenwürde" auf den inzwischen positivierten Menschenrechten aufbauen muss.

Indes hat der so positivierte Begriff der ,,Menschenwürde" dann auch Auswirkungen sogar auf unser alltägliches Verhalten: Wer auch nur die Würde eines einzelnen Menschen verletzt, stellt damit nicht nur die Würde aller Menschen, sondern sogar die eigene Würde infrage. Am Ende seiner Ausführungen unternimmt Pollmann den Versuch, die mit der Menschenwürde verbundenen Rechte im Einzelnen zu entfalten.

Demnach hat ein menschenwürdiges Leben diese Dimensionen: des Rechts auf materielle Sicherheit, auf wirtschaftliche Subsistenz, auf Schutz der Privatsphäre, des Rechts gegenüber staatlichen Behörden, auf politische Partizipation und auf gesellschaftliche Teilhabe. Rechte, die allenfalls ein Minimum dessen darstellen, was ein gerechtes gesellschaftliches Gemeinwesen ausmacht.

Pollmann beschließt sein ebenso informatives wie nachdenkliches Werk mit einer Überlegung zum Mehrheitswillen in Demokratien – einem Mehrheitswillen, der eventuell die Rechte von Minderheiten einschränkt. ,,Deshalb", so Pollmann ,,käme es besonders in historischen Krisensituationen darauf an, den Staat in menschenrechtliche Schranken zu verweisen, damit ein menschenwürdiges Leben für alle – und nicht nur für manche – möglich bleibt.


Aus: "Fragil, aber alternativlos" Micha Brumlik (12. 3. 2023)
Quelle: https://taz.de/Buch-ueber-Menschenrechte-und--wuerde/!5919888/


Link

#46
Quote[...] Arnd Pollmann lehrt als Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Zuletzt erschien von ihm Menschenrechte und Menschenwürde – Zur philosophischen Bedeutung eines revolutionären Projekts (Suhrkamp, 2022).

Es ist noch gar nicht lange her, da sah die Welt euphorisch einem globalen Siegeszug der Menschenrechte entgegen. Was am 10. Dezember 1948 in Paris mit der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begonnen hatte, schien spätestens mit dem Fall der Berliner Mauer und der Überwindung des Kalten Krieges in ein "Ende der Geschichte" zu münden: In Zukunft würde es kein um internationale Achtung bemühter Staat mehr wagen, sich offen gegen die Idee eines sowohl national wie völkerrechtlich überwachten Menschenrechtsschutzes auszusprechen. Eingebunden in eine globale Staatenwelt gegenseitiger Kontrolle, sollte sich fortan jede politische Herrschaft an der Präambel jener Allgemeinen Erklärung messen lassen, der zufolge die "Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unverlierbaren Rechte aller Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet".

Zwei Jahre lange hatte die von Eleanor Roosevelt geleitete UN-Expertenkommission um geradezu jede Formulierung dieser Erklärung gerungen. Schon damals erlaubte die Blockkonfrontation zunächst nur eine völkerrechtlich unverbindliche Absichtserklärung, die dann erst im Jahr 1966 in verbindliche Verträge umgemünzt werden konnte. Das bahnbrechend Neue an der Allgemeinen Erklärung war weniger die bereits seit dem 18. Jahrhundert geläufige Einsicht, dass legitime Herrschaft unter dem inneren Vorbehalt des Schutzes basaler Individualrechte steht. Revolutionär neu war die äußere Selbstverpflichtung souveräner Nationalstaaten, sich dabei fortan auf die Finger schauen zu lassen. Nach zwei Weltkriegen und dem nationalsozialistischen Zivilisationsbruch gab der UN-Menschenrechtsschutz das Versprechen ab, ein global koordiniertes Bollwerk gegen nationalstaatliche Willkür zu errichten, weil, so heißt es in der Präambel, "die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen".

Doch das vermeintliche Ende der Geschichte währte nur kurz. Schon bald nach 1989 setzte eine desaströse und bis dato nicht abreißende Serie globaler Desillusionierungen ein. Neue Kriege, Staatenzerfall, Völkermord, Terrorismus, Flucht, Klimakrise, Rechtspopulismus und Corona: Mit zunehmenden Vertrauensverlusten in den demokratischen Rechtsstaat schwanden zeitgleich auch einstige Hoffnungen auf eine internationale Ordnung zum Schutze des Friedens und der Menschenrechte. Die aktuellen Kriege in der Ukraine und in Gaza wirken da bloß wie allerletzte Nägel auf dem Sarg des UN-Schutzregimes. Die Strahlkraft dieser "letzten Utopie", wie es beim Rechtshistoriker Samuel Moyn heißt, sei endgültig verblasst. Die Menschenrechte seien eine Art "Kirche", die ihrer "Endzeit" entgegenblickt, sagt etwa der Politikwissenschaftler Stephen Hopgood.

Doch wie genau ist dieser Trend zum pessimistischen Abgesang zu erklären? Mit der kriegerischen Gewalt in der Ukraine und in Gaza drängt sich zunächst ein neuer weltpolitischer Realismus auf. Das dortige Grauen lässt den menschenrechtlichen Humanismus realitätsfern und idealistisch erscheinen. Was nützt den Opfern von russischer Invasion und Hamas das am Ende folgenlose Pochen auf Menschenrechte, wenn gegen rohe Gewalt letztlich nur handfeste Gegengewalt zu helfen scheint? Die Menschenrechte sind in ihrer Durchsetzung von völkerrechtlichen Selbstbindungen souveräner Staaten abhängig. Unter diesen greift derzeit eine neue Bereitschaft um sich, geltendes Völkerrecht schlicht zu ignorieren, falls dies der eigenen Selbsterhaltung dient. Wer da "Menschenrechte" ruft, wird belächelt oder auf bessere Zeiten vertröstet.

Erschwerend hinzu kommt die fatale Schwäche der UN, auf deren Zukunft derzeit kaum noch jemand einen Cent zu setzen gewillt ist. Die Friedensmissionen in Osttimor, Liberia oder Sierra Leone mögen erfolgreich gewesen sein. Aber was ist mit Ruanda, Srebrenica, Irak, Mali, Syrien, Afghanistan? Mit der Ukraine und nun Gaza? Das sich wiederholende UN-Versagen, das die Menschenrechte wie zahnlose Papiertiger erscheinen lässt, hat zum einen mit Konstruktionsfehlern im Sicherheitsrat zu tun, die es den Großmächten ermöglichen, jede für sie ungünstige Resolution per Veto zu blockieren. Zum anderen ist die Organisation bis in das höchste Spitzenamt von Generalsekretär António Guterres derart rückgratlos besetzt, dass sie sich, wie sonst nur die Fifa, von der arabischen Welt dirigieren lässt. In 2022 etwa hat die UN-Generalversammlung allein 15 Resolutionen gegen Israel lanciert – mehr als gegen alle anderen Staaten zusammen.
Der Ukraine-Krieg und die Hamas-Massaker haben zudem einen Trend verstärkt, der sich bereits im Zuge der auf den 11. September 2001 folgenden Kriege in Irak und Afghanistan andeutete: Immer häufiger verleiten solche Großkonflikte zu einem bekenntnishaften Freund-Feind-Denken. Man ist entweder bedingungslos für die Ukraine oder aber ein "Putinknecht". Man steht entweder vorbehaltlos an der Seite Israels oder sympathisiert mit der Hamas. Menschenrechtlich betrachtet ist diese einseitige Parteinahme deshalb problematisch, weil dabei der für die Menschenrechte zentrale Grundgedanke verloren geht: Nicht nur manche, sondern strikt alle Menschen sind als fundamental gleichwertig zu achten.

Doch spielt die Menschenrechtsrhetorik mitunter auch selbst eine unrühmliche Rolle. Es ist auf zynische Weise bezeichnend für deren "Erfolg", dass heute selbst autoritäre Gewaltherrscher nicht ohne den rhetorischen Rückgriff auf völkerrechtliche Schutzansprüche auskommen, wenn sie ihrerseits eine direkt menschenrechtsfeindliche Politik zu rechtfertigen versuchen. Man denke an Putin, der den Einmarsch in die Ukraine mit einem mutmaßlichen "Genozid" an der russischsprachigen Bevölkerung begründete. Und auch hinter dem – in der Sache berechtigten – Hinweis auf gleiche fundamentale Rechte der Menschen in Gaza versteckt sich nicht selten der Versuch einer nachträglichen Relativierung der bestialischen Hamas-Massaker vom 7. Oktober.
Zugleich ist dieser rhetorische Missbrauch, der auch schon den Irak-Krieg herbeiführen half, mitverantwortlich dafür, dass die universellen Menschenrechte heute wieder verstärkt als westliche Geheimwaffe geframet werden; so als ginge es hinterrücks bloß darum, Partikularinteressen der USA durchzusetzen. Wahlweise gelten die Ukraine und der vermeintliche Siedlerkolonialismus Israels dann als imperial verlängerte Arme der USA im osteuropäischen und arabischen Raum. Mal neurechts argumentierend, mal postkolonial, skandalisiert diese Kritik an US-amerikanischer Hegemonie mit den westlichen Verstrickungen in historisches Unrecht die universellen Rechte gleich mit.

Innenpolitisch macht sich dieser Anti-Universalismus vor allem in der Migrationsdebatte bemerkbar, und zwar vor allem in rechtspopulistischen Milieus. Die vermeintliche Überlegenheit des Eigenen soll gegen Veränderung von außen abgeschottet werden. Reaktionäre Angriffe auf den Rechtsstaat, wie man sie hierzulande vor allem von der AfD kennt, aber ähnlich auch von Trump, Erdoğan, Orbán oder der polnischen PiS, lassen sich so als Renaissance eines Kollektivismus nationalistischer oder rassistischer Selbsterhaltung deuten, der auf Kosten unveräußerlicher Menschenrechte anderer verfährt.
Diese kollektivistischen Begehrlichkeiten weisen Parallelen zu Diskussionen über Klimaschutz, Corona oder die Ukraine auf. Auch wenn sich die Positionen hier viel weniger eindeutig als bei der Migration am alten Links-Rechts-Schema orientieren: Angesichts kollektiver Bedrohungslagen und im Namen mutmaßlich höherer Ziele – Abschottung, Klimaschutz, Volksgesundheit, Landesverteidigung – gelten unverlierbare Individualrechte zunehmend als anachronistisch. Zwar lassen die Grund- und Menschenrechte sehr wohl "verhältnismäßige" Eingriffe zu. Doch die Bereitschaft, die verfassungsrechtlichen Kriterien dieser Verhältnismäßigkeit möglichst lax auszulegen, wird größer. Wo aber Gefahr ist, wächst der Kollektivismus auch.

Dabei wird deutlich, wie kostspielig ein konsequenter Menschenrechtsschutz wäre. Lange wurden die Menschenrechte – zumindest hierzulande – als Zumutung primär für Unrechtsstaaten betrachtet. So fiel es leicht, dafür zu sein. Nun aber werden diese Rechte vermehrt hier vor Ort eingeklagt. Und wer fürchtet, mit dem Verlust eigener Privilegien für die Rechte bislang marginalisierter anderer bezahlen zu müssen, wird diese Entwicklung mit Vorsicht genießen. Manche sträuben sich dagegen, dass auch Frauen, Andersgläubige, Eingewanderte, Arbeitslose, Homosexuelle oder Kinder als strikt gleich zu betrachten sind. Andere haben damit zu kämpfen, dass die Menschenrechte auch für Kriminelle, Rechtsradikale, sogenannte Schwurbler, Ungeimpfte oder Klimawandelleugner da sind.

All diese ernüchternden Befunde sprechen dafür, dass die nach 1948 und 1989 gehegten Hoffnungen tatsächlich zu hoch veranschlagt waren. Was man aber leicht übersieht: Die in diesen Krisen zum Tragen kommende Kritik an den Menschenrechten ist eher selten eine Kritik an ihrer Grundidee. Beklagt wird deren empirische Folgenlosigkeit aufgrund mangelnder politischer Konsequenz. Man kritisiert westliche Anmaßung, parteiische Auslegungen, rhetorischen Missbrauch oder ihre Kostspieligkeit. Und teilweise ja auch zu Recht. Doch die Grundidee einer politischen Gleichrangigkeit qua Menschsein wird meist "nur" noch von Personen mit völkischen, rassistischen, fundamentalistischen, misogynen, homophoben oder anderweitig menschenfeindlichen Einstellungen abgelehnt. Und wer in theoriemodische Abgesänge auf die Menschenrechte einstimmt, wird sich fragen lassen müssen, ob man sich mit diesen Gruppen gemein machen will.

An diesem 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wirkt die Forderung nach einer national wie weltweit durchzusetzenden Gleichberechtigung aller Menschen tatsächlich utopisch. Doch machen wir uns mit Blick auf Gaza klar, was verloren ginge, ließen wir dieses egalitäre Erbe fahren. Denn erst der Menschenrechtsgedanke ermöglicht es, darauf zu pochen, dass Gleichheit an Würde und Rechten für alle gilt: ob für Israelis oder Palästinenser, ob für Kinder, Alte, Frauen oder Männer. Ihr Leiden hat jeweils exakt dasselbe Gewicht. Und entsprechend haben all diese Menschen ein gleiches Recht darauf, vor Gewalt und Terror geschützt zu sein. Damit geraten die jeweils vor Ort Herrschenden, nicht die Zivilisten selbst ins Visier der menschenrechtlichen Kritik, wenngleich auf unterschiedliche Weise.

Kommt die Gewalt von außen, so haben die politischen Machthaber nicht nur die Pflicht, eigene Verstöße gegen Menschenrechte zu unterlassen, sondern auch die Aufgabe, ihre Zivilbevölkerung gegen diese äußeren Gefahren zu schützen. Das trifft auf die israelische Regierung zu, die berechtigt ist, Krieg gegen die Hamas zu führen, die aber deshalb keineswegs dazu berechtigt wäre, Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung zu begehen. Die Menschenrechte erlauben eine Gefahrenabwehr, die "verhältnismäßig" ist, nicht aber Rache oder Notwehrexzesse. Für die Hamas, deren bestialische Massaker vollends jenseits aller menschenrechtlichen Rechtfertigung verübt wurden, gilt diese Verpflichtung ebenfalls: Auch sie muss die eigene Zivilbevölkerung schützen, statt sie als Schutzschild zu missbrauchen und so internationale Anteilnahme zu provozieren.
Es ist zu befürchten, dass längst auch Israel Verstöße gegen das Völkerrecht begangen hat; etwa im Rahmen unkontrollierter Luftangriffe oder der Blockade von Strom, Wasser und Lebensmitteln. Dieser Befund darf keinesfalls als eine Relativierung der Verbrechen vom 7. Oktober verstanden werden, denn diese haben den Konflikt erst eskalieren lassen. Vielmehr wird deutlich, dass es in der aktuellen Situation auf die Entschlossenheit und Reformfähigkeit der UN ankäme. Gerade weil der universelle Menschenrechtschutz nicht zwischen israelischer und palästinensischer Menschenwürde unterscheidet, sind die UN längst dazu aufgerufen, deeskalierend und friedenstiftend einzuschreiten. Doch leider ist aufgrund der realpolitischen Kräfteverhältnisse derzeit kaum zu erwarten, dass es tatsächlich zu einer UN-Intervention kommt. Aber warum sollte man diese institutionelle Impotenz den Menschenrechten selbst zur Last legen?

Dieser Tage zeigt sich einmal mehr: Die Welt hätte aus Krieg und Gewalt erneut zu lernen. Derzeit aber schickt sie sich an, das Gegenteil zu tun: Sie verlernt die menschenrechtliche Botschaft. Das betrifft nicht zuletzt auch die historische Bedeutung des Staates Israel: Die Erinnerung an die totalitäre Judenvernichtung ist nicht nur in Artikel 1 des Grundgesetzes, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufgehoben. Das verpflichtet die UN auch menschenrechtlich zu einer besonderen Berücksichtigung des Existenzrechtes Israels. Aber zugleich eben auch dazu, den strikt egalitären Anspruch auf ein Leben in Menschenwürde nicht auf Kosten der palästinensischen Zivilbevölkerung abzustufen.
Das ist eine schwierige Gratwanderung. Zumal in Gaza die Grenzen zwischen der Hamas und der Zivilbevölkerung mitunter zu verschwimmen drohen. Wer aber übersieht, dass die Menschenrechte für ein historisch mahnendes Gewalterbe stehen, das neben den konkreten Opfern auch die Menschheit insgesamt betrifft, sollte sich klar sein, wem Abgesänge auf die Menschenrechte vor allem dienen: einem politisch sehr konkreten Relativismus rücksichtsloser Willkürgewalt. Aktuell geht es um Israel und Gaza oder auch um die Ukraine und Russland, aber doch zugleich auch um die universelle Frage, wie der Mensch als Mensch leben und wie er gerade nicht regiert werden will. An jedem 10. Dezember ist daran zu erinnern: Die Menschenrechte fordern einen politischen Gegenwiderstand, einen legitimen Widerstand gegen den illegitimen Widerstand autoritärer Herrscher und reaktionärer Denkweisen. Und ein solcher Gegenwiderstand ist besonders dann vonnöten, wenn sich das vielzitierte Rad der Geschichte zurückzudreht.


Aus: "Jedes Leid zählt"  Arnd Pollmann (10. Dezember 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2023-12/menschenrechte-vereinte-nationen-krieg-utopie

Arnd Pollmann (* 1970 in Remagen) ist ein deutscher Philosoph. Seit 2018 ist er Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin. ... Pollmann arbeitet schwerpunktmäßig zur Sozialphilosophie und Ethik, insbesondere zur Philosophie der Menschenrechte, aber auch zur angewandten Ethik in den Bereichen der Medizin, der Technik und des Tierschutzes. Seine Dissertation widmete er dem Begriff der Integrität.
https://de.wikipedia.org/wiki/Arnd_Pollmann

-

Krieg in Israel und Gaza seit 2023
https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Israel_und_Gaza_seit_2023

Chronologie des Krieges in Nahost seit 2023
https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_des_Krieges_in_Nahost_seit_2023

Israel / Palästinensische Autonomiegebiete: Anzahl der Todesopfer und Verletzten im Krieg zwischen Hamas und Israel seit dem 07. Oktober 2023
Anzahl von Todesopfern und Verletzten im Krieg zwischen Hamas und Israel 2023-2025
Beim Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf israelisches Staatsgebiet¹ am 07. Oktober 2023 sind rund 1.200 israelische und ausländische Todesopfer und mehr als 5.431 Verletzte in Israel verzeichnet worden (die israelischen Behörden haben laut Quelle frühere Angaben revidiert). Im Gazastreifen sind durch Angriffe des israelischen Militärs circa 47.161 Menschen gestorben, circa 111.166 wurden verletzt. Die Zahlen beziehen sich wieder auf die Angaben des Ministry of Health (MoH) in Gaza und nicht des Gaza Media Office², nachdem durch das MoH, aufgrund des Zusammenbruchs der Kommunikation in den Krankenhäusern am 10. November 2023, keine Aktualisierungen der Todes- und Verletztenzahlen übermittelt werden konnten.
Im Westjordanland³ sind seit dem 07. Oktober 806 palästinensische Todesopfer und rund 7.138 Verletzte bestätigt worden. Der Großteil der Toten und Verletzten im Westjordanland ist durch israelische Soldaten getötet worden, eine kleine Zahl durch israelische Siedler.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahlen-im-terrorkrieg-der-hamas-gegen-israel/

-

Quote[...] Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen den israelischen Premier Netanjahu, Ex-Verteidigungsminister Gallant und den Hamas-Anführer Deif erlassen. Es geht unter anderem um mutmaßliche Kriegsverbrechen. ...

Im Mai hatte Chefankläger Karim Khan den Antrag gestellt, nun die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag: Gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu wird ein Haftbefehl erlassen. Dies gilt auch für Israels Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant und den unter dem Namen Mohammed Deif bekannten Militärchef der palästinensischen Terrororganisation Hamas.

...  Netanjahu hat den gegen ihn erlassenen Haftbefehl scharf kritisiert. Israel "weist die absurden und falschen Aktionen mit Abscheu zurück", hieß es in einer Erklärung von Netanjahus Büro. Es gebe nichts Gerechteres, als den Krieg, den Israel im Gazastreifen führt. Die Haftbefehle seien "antisemitische Entscheidungen", getroffen von "voreingenommenen Richtern getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel", heißt es in der Erklärung weiter.

Die militant-islamistische Hamas bezeichnete die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant als einen historischen Schritt. Die Entscheidung sei ein "wichtiger historischer Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk", teilte die Terrororganisation mit. Zum ebenfalls erlassenen Haftbefehl gegen den militärischen Anführer der Terrororganisation Hamas äußerte sich die Hamas nicht.

...


Aus: "Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Führer" (21.11.2024)
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/haftbefehl-netanjahu-100.html

QuoteVor dem Hintergrund des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) eine Festnahme von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Falle eines Deutschland-Besuchs als ,,unvorstellbar" bezeichnet. Er werde ,,alles tun", um ,,eine entsprechende Vollstreckung dieses Spruchs des Internationalen Strafgerichtshofs abzuwenden", sagte Merz am Donnerstag in Berlin. ...


Aus: ",,Alles tun, um Vollstreckung abzuwenden"" (23.01.2025)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/alles-tun-um-vollstreckung-abzuwenden-merz-halt-festnahme-netanjahus-bei-deutschland-besuch-fur-unvorstellbar-13073767.html
-

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH; englisch International Criminal Court, ICC; französisch Cour pénale internationale, CPI) ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag (Niederlande)
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Strafgerichtshof

-

Quote[...] US-Präsident Donald Trump hat vorgeschlagen, Einwohner des Gazastreifens umzusiedeln. An Bord der Air Force One sagte er vor Journalisten, er wolle, dass Ägypten und Jordanien Menschen aufnehmen. "Sie sprechen da von anderthalb Millionen Menschen – und wir räumen das Gebiet einfach", sage Trump. Den durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas verwüsteten Küstenstreifen bezeichnete er als "Abrissgebiet".

Der Republikaner sagte, er habe bereits mit dem jordanischen König Abdullah II. über den Vorschlag gesprochen. Noch am Wochenende wolle er zudem mit dem ägyptischen Staatschef Abdel-Fattah al-Sissi sprechen. "Ich möchte, dass Ägypten Menschen aufnimmt. Und ich möchte, dass Jordanien Menschen aufnimmt", sagte Trump.

Im Laufe der Jahrhunderte habe es bereits "viele, viele Konflikte an diesem Ort" gegeben, sagte der US-Präsident. "Fast alles ist zerstört und die Menschen sterben dort. Deshalb würde ich lieber mit einigen arabischen Ländern zusammenarbeiten und an einem anderen Ort Wohnungen bauen, wo sie vielleicht zur Abwechslung einmal in Frieden leben können." Die Umsiedlung könne "vorübergehend oder langfristig" sein.

Zugleich gab Trump die von seinem Vorgänger Joe Biden zurückgehaltene Lieferung von 2.000-Pfund-Bomben an Israel frei. "Viele Dinge, die von Israel bestellt und bezahlt, aber von Biden nicht verschickt wurden, sind nun auf dem Weg", schrieb Trump in seinem Onlinenetzwerk Truth Social. Im vergangenen Jahr hatte die US-Regierung von Biden eine Lieferung der schweren Bomben aus Sorge gestoppt, sie könnten in bewohnten Gebieten im abgeriegelten Gazastreifen eingesetzt werden.

Vorschläge zur Umsiedlung von Palästinensern aus dem Gazastreifen gelten als höchst umstritten. Viele Palästinenser fürchten, dass eine entsprechende Maßnahme eine Rückkehr unmöglich macht und Israel Teile des Küstenstreifens besiedelt.


Aus: "Trump schlägt Umsiedlung von Palästinensern aus dem Gazastreifen vor" (26. Januar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-01/donald-trump-umsiedlung-palaestinenser-gazastreifen-aegypten-jordanien

QuoteMeikyo

"Umsiedlung" aus der Heimat in anderen Staaten...Würde Vertreibung nicht eher als Begriff passen?


QuoteMarbodius

Aber das am Ende eine Vertreibung das Ziel sei, war doch bisher Antisemitismus, wenn diese Vermutung geäußert wurde.


QuoteHenrybens

Trump vertritt halt westlichen Werte. ... Wie wäre es denn, wenn die USA die 1,5 Millionen aufnehmen und versorgen? Die Waffen für die Zerstörung das Gaza Streifens haben schließlich geliefert.


Quotewillmasosagen

So durchschaubar. Trump und Netanjahu treiben die Einstaatenlösung voran. Gaza wird israelisch, das Westjordanland ist auf dem Weg dorthin. Als Experte für Migrationsfragen veranschaulicht Trump wie "Lösungen" aussehen. Und Kumpel Netanjahu jubiliert.


QuoteSuper Nova

"Trump schlägt Umsiedlung von Palästinensern aus dem Gazastreifen vor"

Man könnte annehmen, es gibt so etwas wie eine arabische / islamische Solidarität, aber dem ist wohl eher nicht so.
Nach allem, was ich den Medien entnehme, geht die Bereitschaft bei den arabischen Staaten Palästinenser aufzunehmen gegen Null.


"Die arabischen Länder wissen, dass die Hamas das eigentliche Problem ist. Doch sie fürchten den Zorn ihrer eigenen Bevölkerung" Hamed Abdel-Samad (17.10.2023)
Die fehlende Solidarität arabischer Staaten gegenüber den Palästinensern gründet in der Furcht vor der Hamas. Arabische Monarchen, Islamisten, israelische Hardliner und westliche Linke nutzen den Nahostkonflikt ausserdem für ihre Propaganda.
https://www.nzz.ch/feuilleton/fehlende-solidaritaet-arabischer-staaten-mit-palaestina-ld.1761068


QuoteZeitgeist.24

Jo, der Chef des Dichtmachens der eigenen Grenze gibt Ratschläge Menschen aus Gaza in andere Länder zu verteilen. Ganz mein Humor.


Quote.Tannenberg.

Wenn man vorher so etwas, wie Trump nun fordert, als Ziel vermutet hatte, galt man als Antisemit.


QuoteZeitvergeuder

Das mit dem Umsiedeln ist ein super Idee. Ich schlage Texas und Florida vor. Die Einwohner dort würden sich sicherlich freuen ...


-

Quote[...] An der Seite grenzüberschreitender palästinensischer und israelischer Initiativen besteht medico darauf, dass das Recht auf menschenwürdige Lebensverhältnisse und auf Gesundheit für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan gilt.

Mehr als 100 Tage nach den Angriffen der Hamas und dem Beginn der israelischen Bombardierung von Gaza hat sich die deutsche Öffentlichkeit offenbar an den nächsten Krieg, an das nächste Grauen gewöhnt. Doch die Macht der Gewohnheit ändert nichts an Tatsachen, die kaum noch bestritten werden können: Die deutsche Bundesregierung, wie der Westen insgesamt, beteiligen sich durch politische Rückendeckung, Waffenlieferungen und die Blockade völkerrechtlicher Mechanismen an schwerwiegenden Völker- und Menschenrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza. Sie machen sich seit über drei Monaten in mehrfacher Hinsicht mitschuldig. Die Rückseite der öffentlich eingeübten militärischen Solidarität mit Israels Regierung ist das Totalversagen deutscher Außenpolitik.

Das hat erhebliche Folgen: Die deutsche Politik und ihre offensichtliche ethische Inkohärenz, die selbst mit dem Wort Doppelstandards nicht mehr angemessen beschrieben werden kann, werden weltweit von Intellektuellen, Regierungen, der Zivilgesellschaft und antikolonialen Bewegungen aufmerksam registriert und scharf kritisiert. Der schon jetzt entstandene Schaden, der nicht nur auf geopolitischer und zwischenstaatlicher Ebene, sondern auch im Alltag von Stiftungen, Kultureinrichtungen und globalen zivilgesellschaftlichen Kooperationen erzeugt wird, ist dramatisch. Die Langzeitfolgen sind unabsehbar. Die westliche Unterstützung für den Krieg gegen eine seit bald zwei Jahrzehnten eingeschlossene Bevölkerung in Gaza, aber auch die autoritären, obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen in Deutschland gegen palästinensische und zunehmend auch linke jüdische Stimmen, markieren einen Einschnitt, dessen historische Dimension schon jetzt nicht mehr bestritten werden kann.

Der jüngste Höhepunkt ist die skandalöse Haltung der Bundesregierung gegenüber dem Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Im Friedenspalast, der dem Gericht als Sitz dient, haben die südafrikanische Jurisprudenz und Regierung bereits jetzt Geschichte geschrieben. Vertreter:innen ihres Rechtswesens, ausgestattet mit dem tiefen Wissen um Apartheid und Rassismus, haben vor dem UN-Gericht den Staat Israel wegen des Vorgehens seiner Armee im Gazastreifen angeklagt. Die Rolle Südafrikas ist wegen des formellen Endes der Apartheid vor 30 Jahren in hohem Maße symbolisch: Südafrika verkörpert in der Den Haager Rollenverteilung auch die Hoffnung der Welt auf ein Ende des Rassismus, auf ein Ende kolonialer Bevormundung sowie auf historische Gerechtigkeit und den gemeinsamen Horizont des Menschenrechts schlechthin.

Drei Stunden lang sprachen die Jurist:innen aus, legten dar und zeigten Aufnahmen von dem, was die Welt nicht sehen und so schnell wie möglich vergessen soll: Die Zahl der Toten, die mittlerweile zu einer täglich steigenden und vorhersagbaren Statistik geworden ist. Die Schonungslosigkeit des israelischen Vorgehens gegen Kinder, Alte, Kranke. Die Zerstörung aller Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Das gezielte Aushungern und Verdursten lassen. Die Vertreibung von zwei Millionen Menschen, deren Rückkehr angesichts der Zerstörung und zurückgelassener, nicht detonierter Explosivmunition auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte unmöglich erscheint. Israel hingegen verteidigte sich vor dem Gericht so wie auf dem Schlachtfeld. Seine ,,Sicherheit" wird definiert über die Aufrechterhaltung totaler Überlegenheit über die palästinensische Bevölkerung. Wann diese Übermacht angesichts der politischen Perspektivlosigkeit in Ohnmacht umschlägt, ist eine Frage der Zeit.

Die deutsche Ankündigung [https://www.medico.de/blog/einigkeit-unrecht-und-freiheit-19347], im Fall eines vollumfänglichen Verfahrens zugunsten Israels zu intervenieren, ist ein deutliches Signal an Südafrika, den Internationalen Gerichtshof und an die Welt: Das Völkerrecht liegt entweder in der Deutungshoheit des Westens – oder es darf kein Völkerrecht geben. Damit sind alle Sätze der Bundesregierung über eine werte- und rechtebasierte Außenpolitik nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Das zunehmende Glaubwürdigkeits- und Legitimationsproblem eines von vielen als westlich und parteiisch empfundenen internationalen Rechts und seiner Institutionen wird weiter vertieft. So weist die Botschaft weit über den Gaza-Konflikt hinaus: Das Recht soll offenbar nur noch dann gelten, wenn es das Recht des Stärkeren absegnet. Und Deutschland stellt sich auf die Seite des Rechts des Stärkeren und verkleidet dies noch als einen Beitrag zu einem erinnerungspolitisch verkleideten ,,Nie wieder". Dieser Widersinn macht die Einsamkeit Deutschlands und großer Teile des Westens in der heutigen multipolaren Welt aus.

Es war zwar ein Zufall, dass das Den Haager Gericht die Anhörung am 120. Jahrestag des Aufstands der Herero im heutigen Namibia begann. Doch stellt sich unmittelbar ein erschütternder Zusammenhang her. In Reaktion auf einen verlustreichen Überfall auf deutsche Siedler:innen durch Herero-Kämpfer am 12. Januar 1904 und in den Tagen danach beging die ,,Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika" den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Aus namibischer Sicht legt sich die Geschichte des Herero-Aufstands und seiner Folgen, trotz aller Unterschiede, wie eine Folie auf die grauenvollen Geschehnisse seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober. Die Regierung Namibias kritisierte die deutsche Reaktion entsprechend unmittelbar und scharf.

Die Verbissenheit jedenfalls, mit der die deutsche Politik sich weigert, die an koloniale Geschichte erinnernden Anteile der israelischen Siedlungs- und Unterdrückungspolitik zur Kenntnis zu nehmen, hat unzweifelhaft auch mit der fehlenden Aufarbeitung eigener Verbrechen zu tun. Dabei müsste doch Deutschland im Stammbuch stehen haben: Ein Land, das zwei Völkermorde der modernen Geschichte verantwortet, hat mit äußerstem Ernst und Demut jeden seriös vorgetragenen Vorwurf einer genozidalen Absicht zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen.

Der Auftritt Südafrikas vor dem internationalen Gerichtshof hat jedoch auch ohne Unterstützung Deutschlands gezeigt, dass es eine Alternative gibt. Das ist und bleibt die Kraft des Völker- und Menschenrechts. Dafür wurden nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts Institutionen wie der Internationale Gerichtshof und später der Internationale Strafgerichtshof geschaffen. Sie können mit dem Weltrecht im Rücken ein Ende des Grauens verlangen und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Und zwar für alle, denen das Grauen angetan wird und wurde, auf beiden Seiten der Grenze. Die Region wird nur eine Zukunft haben, wenn die Straflosigkeit beendet und Gerechtigkeit hergestellt wird.

Das zur deutschen Staatsräson erklärte Bekenntnis der politischen Elite zum herrschenden israelischen Sicherheitsverständnis hingegen, das seit jeher auf das Recht des Stärkeren setzt, enthüllt sich als das, was es ist: eine Politik des Zwangs, die keine andere politische, juristische, philosophische oder historische Position zulässt. Von Demokratie ist in dieser Hinsicht nur noch schwer zu reden. Erst recht nicht von Politik, wenn man sie im unbedingten Sinne Hannah Arendts als Entscheidung des kollektiven freien Willens begreift.

Die Gleichgültigkeit der deutschen Politik gegenüber dem Geschehen in Gaza, in dessen Windschatten zusätzlich das Projekt zur weiteren israelischen Besiedlung radikal vorangetrieben wird, macht die Bundesregierung zu einem unglaubwürdigen Akteur in der Region. Niemals wirkte der appellhafte Rückgriff auf die Zwei-Staaten-Lösung so leer wie jetzt. Hinter all den Floskeln bleibt die Absicht kaum verborgen, das ohnmächtige Publikum an Verbrechen zu gewöhnen, die zum Bestandsschutz Deutschlands und des Westens nötig scheinen.

medico international am 18. Januar 2024



Aus: "Gaza-Krieg: Nie wieder, für alle!" (18.01.2024)
Quelle: https://www.medico.de/nie-wieder-fuer-alle-19348

...

Link

#47
"Der politisch-moralische Kern. Zur Geschichte des Völkerstrafrechts nach 1945" Alexa Stiller (14. April 2024)
[Alexa Stiller ist Ambizione Fellow am Historischen Seminar der Universität Zürich. Sie hat zur NS-Geschichte und zu den Nürnberger Prozessen geforscht und publiziert. 2022 ist ihr Buch ,,Völkische Politik: Praktiken der Exklusion und Inklusion in polnischen, französischen und slowenischen Annexionsgebieten, 1939-1945" bei Wallstein erschienen. Derzeit forscht sie zur Entstehungsgeschichte des internationalen Strafrechtsregimes in den 1990er Jahren.]
Das Gleichheitsversprechen des Völkerrechts, der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts wird immer wieder in Zweifel gezogen. Was bedeutet das für den Internationalen Strafgerichtshof IStGH in Den Haag? Über die Geschichte des Völkerstrafrechts und seine gesellschaftliche und politische Dimension.
https://geschichtedergegenwart.ch/der-politisch-moralische-kern-zur-geschichte-des-voelkerstrafrechts-nach-1945/

Link

#48
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH; englisch International Criminal Court, ICC; französisch Cour pénale internationale, CPI) ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag (Niederlande) außerhalb der Vereinten Nationen. Seine juristische Grundlage ist das multilaterale Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Er nahm seine Tätigkeit am 1. Juli 2002 auf.
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Strafgerichtshof

-

"Berichte über jahrelange Überwachung: Israel soll IStGH bespitzelt haben" Jannis Hagmann (29.5.2024)
Geheimdienste überwachen Recherchen zufolge seit Jahren das Weltstrafgericht. Sogar mit Drohungen sollen sie versucht haben, Ermittlungen zu stören. ... Netanjahus Büro erklärte, die Berichte enthielten ,,viele falsche Anschuldigungen, die Israel schaden sollen". ...
https://taz.de/Berichte-ueber-jahrelange-Ueberwachung/!6010426/

Link

"Who's Hungry? Millions and Millions of People"
Posted on Friday, Aug 30, 2024 4:00AM by Adele A. Wilby
Indeed, at the turn of the 21st century the success in winning the battle against hunger was so encouraging the world's governments publicly committed to eliminating hunger by 2030. That aspirational deadline however appears to have been kicked into the grass as tragically in 2023 it is estimated that 250 million people still faced acute hunger, double the number in 2020. ...
https://3quarksdaily.com/3quarksdaily/2024/08/whos-hungry-millions-and-millions-of-people.html

Link

UNHCR's 2024 Mid-Year Trends analyses changes and trends in forced displacement during the first six months of 2024. The report provides key statistics on refugees, asylum-seekers, internally displaced people and stateless people, as well as their main host countries and countries of origin.
https://www.unhcr.org/mid-year-trends-report-2024

Link

Quote[...] Notfalls müsse man auf die Flüchtlinge an der deutschen Grenze schießen, schlug die AfD-Politikerin Frauke Petry 2016 vor. Ihre Parteikollegin Beatrix von Storch legte bei Facebook nach und schloss auch Schüsse auf Frauen und Kindern nicht aus. Die Politik war empört ob dieser menschenfeindlichen Aussagen.

Zum Glück, möchte man meinen. Doch wer sich die heutige EU-Flüchtlingspolitik anguckt, kann die Empörung nur als eines bezeichnen: scheinheilig. Denn Europa schottet sich immer weiter ab, das Mittelmeer ist längst zu einem Massengrab geworden. In Tunesien, Mauretanien und Marokko herrscht ein brutales System, um die Flüchtenden auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten.

Dieses Vorgehen der afrikanischen Regierungen wird von der EU wissentlich mitfinanziert. Welche grausamen und tödlichen Folgen das hat, zeigt die BR-Dokumentation ,,Ausgesetzt in der Wüste".

Der 50-minütige Film ist das Ergebnis einer Recherchekooperation von Spiegel, Washington Post, der Organisation Lighthouse Reports und anderen internationalen Medien. Sie haben mithilfe von Videos, vertraulichen Dokumenten und Gesprächen mit Polizist_innen, Diplomat_innen und Politiker_innen recherchiert, wie das System funktioniert.

Geflüchtete werden von tunesischen Streitkräften festgenommen und dann in der Grenzregion zu Libyen, einer Wüste, ohne Wasser und Essen ausgesetzt. Ihnen werden die Handys, Pässe und manchmal auch die Schuhe weggenommen, sie werden verprügelt, damit sie nicht zurück laufen können.

Viele der Flüchtlinge sterben in der Wüste, sie verdursten, verbluten oder sterben wegen der Hitze. Manche von ihnen werden von libyschen Milizen oder der Grenzpolizei ,,gerettet". Wobei diese Rettung keine wirkliche ist, weil sie nicht selten in Internierungslagern oder im Sklavenhandel endet. Doch was hat die EU damit zu tun?

So einiges. Die EU-Kommissarin Ursula von der Leyen hat im vergangenen Jahr einen Deal mit dem tunesischen Präsident Kais Saied ausgehandelt: Die Regierung bekommt Finanzhilfen in Milliardenhöhe, dafür soll sie die Geflüchteten davon abhalten nach Europa zu kommen. Wie? Das wurde nicht näher definiert. Doch nicht nur das, die Recherchen zeigen, dass die tunesische Nationalgarde seit Jahren von der deutschen Polizei geschult und ausgerüstet wird.

Im Mai hatte die Regierung angekündigt, die Vorwürfe zu prüfen – eine Antwort ist sie bis heute schuldig. Und Tunesien ist hier nur ein Beispiel von mehreren.

Ein Skandal könnte man meinen, doch obwohl die Recherchen schon seit einem halben Jahr bekannt sind, regt sich in der deutschen Öffentlichkeit nur wenig Interesse.

Und die deutsche und EU-Politik scheinen es auch mit dem Prinzip Augen-zu-und-durch zu probieren. Keine_r der angefragten Politiker_innen möchte in der Doku Stellung beziehen: weder Innenministerin Nancy Faeser noch Kanzler Olaf Scholz oder Ursula von der Leyen.

Der einzige, der sich zum Gespräch bereit zeigt, ist Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Auf die Frage, ob man wirklich mit Regierungen zusammen arbeiten wolle, die Männer, Frauen und Kinder in der Wüste verbluten und dehydrieren lasse, sagt er lediglich: ,,Es gibt keine Alternative."

Und weiter: ,,An irgendeiner Stelle wird man klar sagen müssen, du darfst nicht einreisen. Es gibt für dich keine Perspektive in Europa." So habe das Tunesien-Abkommen zur Folge, dass heute weniger Menschen im Mittelmeer sterben würden.

Mit solchen zynischen Antworten sollte man weder die EU noch Deutschland davon kommen lassen. Doch dafür müsste die Gesellschaft hinschauen. Vielleicht kann die schwer verdauliche Doku ihren Dienst dazu leisten. Wer die kaum ertragbaren Bilder von Leichen und Menschen, die in der Wüste zusammen brechen oder ihre Wunden in die Kamera halten, einmal gesehen hat, wird sie nicht so schnell wieder vergessen.

Vor allem deswegen, weil der Film den Geflüchteten einen Namen und ein Gesicht gibt – sie aus der anonymen Masse herausholt. So wie Adam Ibrahim aus dem Sudan, der schon mehrfach in die Wüste an der tunesisch-libyschen Grenze ausgesetzt wurde. Ihm gehören die letzten Worte der Doku. Sie lauten: ,,Mein Ziel ist es, Europa zu erreichen. Solange ich leben, werde ich es versuchen."


Aus: "Doku zu EU-AsylpolitikIn die Wüste getrieben" Carolina Schwarz (7.11.2024)
Quelle: https://taz.de/Doku-zu-EU-Asylpolitik/!6044128/

-

Quote[...] Die derzeitige Politik der EU nehme nicht nur Gewalt in Kauf, sondern verlasse sich sogar darauf. ...


Aus: "Vorwürfe gegen Tunesien: Das Schweigen der Bundesregierung" Philipp Grüll, Erik Häußler (03.11.2024)
Quelle: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/vorwuerfe-gegen-tunesien-das-schweigen-der-bundesregierung,USqk3ij

Zu: Die ARD-Dokumentation "Ausgesetzt in der Wüste – Europas tödliche Flüchtlingspolitik"
Ab 1. November 2024 in der ARD-Mediathek zu sehen.
Eine Co-Produktion von BR, Deutscher Welle, NDR und Lighthouse Reports.

...

Link

Quote[...] Berlin taz | Mehr Konflikte, weniger Diplomatie, dazu die Klimakrise und eine wachsende Ungleichheit bei der globalen Einkommensverteilung: Das sind die wichtigsten Faktoren, die die humanitären Krisen auf der Welt verschärfen. Am Mittwoch legte die Hilfsorganisation International Rescue Committee ihre ,,Emergency Watchlist" vor. Auf der Liste ganz oben stehen die globalen Krisenregionen, in denen 2025 eine weitere Verschlechterung der humanitären Lage zu erwarten ist: Sudan, das ,,besetzte palästinensische Gebiet", Myanmar, Syrien und Südsudan.

Die Zahlen seien ,,erdrückend", sagte IRC-Direktor David Miliband. 305 Millionen Menschen – mehr als je zuvor – sind weltweit zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen. 82 Prozent von ihnen in den 20 Ländern auf der ,,Watchlist", obwohl diese Staaten nur elf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Mit Ausnahme von Haiti sind es durchweg Staaten mit Kriegen oder bewaffneten Konflikten. Auch 77 Prozent der Vertriebenen weltweit sowie 30 Prozent der Menschen, die unter extremer Armut leiden, seien in den Ländern der ,,Watchlist" beheimatet. Die meisten Länder liegen in Afrika.

An der Spitze steht dabei der Sudan. Dort herrsche die ,,größte humanitäre Krise aller Zeiten und zugleich die größte Vertreibungskrise weltweit," so das IRC. Das afrikanische Land mit seinen 50 Millionen Einwohnern steuere demnach auf einen verheerenden humanitären Zusammenbruch im Jahr 2025 zu.

Nach dem Sturz Assads in Syrien könnte sich die humanitäre Lage in dem Land verbessern. Bisher steht das Land auf Platz 4 der größten Krisen. 16,7 der 23,2 Millionen im Land verbliebenen Einwohner:innen haben laut IRC Bedarf an Unterstützung. 12,9 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelknappheit betroffen, 90 Prozent leben in Armut rund die Hälfte der medizinischen Einrichtungen sind ganz oder teilweise nicht funktionsfähig. Das IRC sprach von einer ,,massive Verunsicherung nach dem raschen Zusammenbruch der Regierungstruppen" am vergangenen Wochenende.

Syrien war wegen der Offensive der islamistischen Rebellen zum ersten Mal seit 2021 wieder in den Top Fünf der Emergency Watchlist aufgenommen worden. Nun sei die Lage ,,höchst ungewiss". Ob durch die jüngsten Verschiebungen die Syrer:innen im Jahr 2025 mit dem Wiederaufbau ihres Lebens beginnen können oder diese die die Krise noch verschärfen werden, bleibe eine offene Frage, so das IRC.

Eindeutig schlechter seien die Aussichten für Gaza. Mehr als einer von 50 Menschen kamen dort seit Oktober 2023 ums Leben; bei israelischen Luft- und Bodenangriffen wurden nach Angaben der Hamas mindestens 44.000 Palästinenser in Gaza getötet und mehr als 100.000 verletzt.

,,Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza – die von Israel als ,humanitäre Zone' bezeichnete Zone wird immer noch regelmäßig bombardiert" so das IRC. Mehr als 1,9 Millionen Menschen waren gezwungen zu fliehen, oft mehrmals.

,,Da sich die internationale Aufmerksamkeit zum Beispiel auf den Libanon verlagert, könnte sich die Waage weiter von der Diplomatie wegbewegen, und ohne stabile Sicherheit und Staatsführung wird es zu weiteren Konflikten kommen," fürchtet das IRC. Die katastrophale Ernährungsunsicherheit werde fortbestehen.

Es gebe heute mehr Ressourcen, um Hilfe zu leisten, als je zuvor in der Geschichte, sagte Miliband. Deshalb sei es ,,umso verwirrender, dass die Kluft zwischen humanitärem Bedarf und humanitärer Finanzierung größer ist als je zuvor." Dagegen stehe ein ,,humanitärer Imperativ", so Miliband: ,,Leben retten, wo wir müssen, und das Leben zu verbessern, wo wir können."

,,Die Welt steht in Flammen – und für Hunderte Millionen von Menschen ist dies tägliche Realität", erklärte IRC-Präsident David Miliband. Aus strategischer Sicht sei zu bedenken, dass Probleme zwar im Sudan oder in Syrien beginnen, aber dort nicht blieben. ,,Instabilität breitet sich aus."


Aus: "Globale Krisenregionen 2025: ,,Die Welt steht in Flammen"" (12.12.2024)
Quelle: https://taz.de/Globale-Krisenregionen-2025/!6055988/

Link

Quote[...] Belgrad taz | Wahlfälschung, gleichgeschaltete Medien, parteieigene Schlägertrupps, gehorsame Staatsanwaltschaft, politischer Missbrauch von Polizei und Geheimdiensten: Seit Jahren warnen serbische Aktivisten und kritische Journalisten, dass Serbien, das formal den Status eines EU-Beitrittskandidaten hat, längst keine Demokratie sei, sondern eine Autokratie, die in eine offene Diktatur abrutscht.

Es ist auch längst ein ,,offenes Geheimnis", dass der serbische Geheimdienst BIA Aktivisten, Journalisten und oppositionelle Politiker gesetzwidrig abhört, auf Anweisung ,,von oben". Unabhängige Medien berichteten, dass, wie einst die Stasi in der DDR, die BIA in die Verteidigung des Regimes von Kritikern eingespannt sei, die die regimetreue Boulevardpresse als ,,Auslandssöldner" brandmarkt.

Dass dem tatsächlich so ist, haben neulich Amnesty International und das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) nachgewiesen. Nach einer forensischen Analyse von Dutzenden Mobiltelefonen von ,,Staatsfeinden" veröffentlichten sie Mitte Dezember 2024 den Bericht ,,Digitales Gefängnis: Überwachung und Unterdrückung der Zivilgesellschaft in Serbien".

https://www.amnesty.org/en/documents/eur70/8813/2024/en/

,,Die serbischen Behörden setzen Überwachungstechnologie und digitale Repressionstaktiken als Instrumente einer umfassenden staatlichen Kontrolle und Repression gegen die Zivilgesellschaft ein", sagt dazu Charlotte Deiss, Juristin und Forschungsbeauftragte für Meinungsäußerungsfreiheit bei Amnesty International Österreich. ,,Der Bericht macht deutlich, wie hochinvasive Spyware das Recht auf Privatleben sowie die Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit von jedem Einzelnen gefährdet."

In der Praxis funktioniert das so: Aktivisten werden unter irgendeinem Vorwand zum ,,Informationsgespräch" in eine Polizeistation abgeführt. Ihre Mobiltelefone müssen sie abgeben, und während sie verhört werden, entschlüsselt man die Apparate mit einer eigens von der BIA entwickelten Software ,,NoviSpy". Dann wird die israelische Spysoftware ,,Cellebrite" installiert, die nicht nur Textnachrichten und Kontakte, sondern auch private Fotos einsammelt. Ganze Familien wurden so ausspioniert, Kameras und Mikrofone der Mobilgeräte ferngeschaltet, schreibt das BIRN.

,,In einem Land, in dem Bürgerproteste immer massiver werden und die Unzufriedenheit mit dem Regime immer lauter artikuliert wird, stellt diese Praxis einen direkten Angriff auf grundlegende Bürgerfreiheiten dar, einbegriffen das Recht auf friedliche Demonstrationen und Meinungsfreiheit", gab das Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik (BCBP) bekannt.

Der serbische Geheimdienst wehrte das alles als ein ,,Hirngespinst" ab, als einen ,,weiteren Beweis", dass Amnesty im ,,Interesse verschiedener Agenturen und Gruppen" arbeite, die Druck auf Serbien ausüben wollten. Auch das serbische Innenministerium dementierte, irgendetwas mit illegaler Spionage zu tun zu haben.

Die Interpretation des allmächtigen serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić, der sich fast täglich übers Fernsehen an sein Volk wendet: Alles gelogen, denn antiserbische ausländische Geheimdienste wollten ihn über einheimische Verräter aus dem Weg räumen, weil er Serbien stark gemacht habe und ihnen das starke Serbien ein Dorn im Auge sei.

https://taz.de/Studierendenproteste-in-Serbien/!6059002/


Aus: "Wenn die Regierung mithört und mitliest"  Andrej Ivanji (7.1.2025)
Quelle: https://taz.de/Pressefreiheit-in-Serbien/!6056998/

QuoteAjuga
07.01.2025, 13:19 Uhr

Der Unterschied zwischen Serbien und Deutschland ist: bei uns ist nie herausgekommen, wen Merkels Intimus, der AfD- und Sachsensumpf-Beschützer Maaßen, so alles bespitzeln ließ. Nur *dass* solche Aktivitäten auch in der CDU/CSU-BRD stattfanden ist gesichert.


QuoteMohammed Wasiri
07.01.2025, 09:32 Uhr

Hmmm- also das gleiche wie in der EU...wir erinnern uns an Pegasus und die ganzen Vorläufer aus den 80ern.....


...

Link

#54
Die Weltgesundheitsorganisation (englisch World Health Organization, kurz WHO oder französisch Organisation mondiale de la santé, kurz OMS) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Die Praxis der Organisation ist die Koordination des internationalen öffentlichen Gesundheitswesens. Sie wurde am 7. April 1948 gegründet, proklamierte das Recht auf Gesundheit als Grundrecht des Menschen und zählt heute 194 Mitgliedstaaten. Sie wird vom WHO-Generaldirektor geleitet, seit Juli 2017 ist das der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation legt als Ziel die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen fest. Hauptaufgaben sind die Bekämpfung von Erkrankungen mit besonderem Schwerpunkt auf Infektionskrankheiten sowie Förderung der allgemeinen Gesundheit der Menschen weltweit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgesundheitsorganisation

-

Quote[...] Viele hatten es befürchtet: Kaum im Amt, lässt Donald Trump sein Land aus der Weltgesundheitsorganisation austreten. Schon wieder. Oder besser gesagt: jetzt wirklich. Denn bereits 2020, in seiner ersten Amtszeit, hat er es versucht. Der Austritt wurde allerdings nicht wirksam, weil Trumps Amtszeit endete, bevor die festgeschriebene einjährige Wartefrist ablief. Joe Biden übernahm und machte den Austritt rückgängig. Diesmal ist Trump schneller. Diesmal wird es ernst.

Was aber bedeutet der Austritt? Für die WHO, für die Vorbereitung auf drohende Pandemien, für die USA selbst und den Rest der Welt?

Viele halten den Schritt für einen großen Fehler. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einem "schweren Schlag" für die weltweite Gesundheit. Ohne die USA werde es deutlich schwieriger, Ländern bei Krankheitsausbrüchen oder Umweltkatastrophen zu helfen. Auch die WHO reagierte mit Bedauern auf die Ankündigung. In einem Statement verweist sie auf die gemeinsamen Erfolge der jahrzehntelangen Zusammenarbeit – und erinnert daran, wie man gemeinsam die Pocken ausrottete und Polio an den Rand der Ausrottung brachte.

Die WHO "hat uns abgezockt", sagte dagegen Donald Trump. Was daran stimmt: Keiner der anderen 193 Mitgliedstaaten zahlt annähernd so viel wie die USA. Ungefähr 15 Prozent ihres gesamten Budgets erhält die WHO von den USA, erklärt Christian Franz, der mit seiner Firma CPC Analytics verschiedene internationale Organisationen berät, auch die WHO. Im Zweijahreszeitraum 2024–2025 wollten die USA mit fast einer Milliarde US-Dollar rund dreimal so viel geben wie etwa Deutschland, die zweitgrößte Geber-Nation, und rund fünfmal so viel wie China.

Entsprechend groß ist die Lücke, die der US-Austritt ins Budget reißt. Dabei fehlt es der WHO ohnehin an Geld. "Die Finanzkrise der WHO ist schon außerordentlich", sagt Ilona Kickbusch, Expertin für Globale Gesundheit am Genfer Graduate Institute. Sie verweist zudem darauf, dass es nicht nur um die Gelder für dieses Jahr und die Zukunft geht. Denn die USA hätten auch für das Jahr 2024 noch nicht bezahlt. "Und natürlich hat Trump kein Interesse, jetzt noch Geld für ein Jahr Biden zu zahlen."

"Besonders schmerzhaft ist der Wegfall der sogenannten assessed contributions", sagt Christian Franz. Gemeint sind die Pflichtbeiträge der Länder. Auch wenn die Mitgliedsstaaten die strategischen Prioritäten festlegen, kann die Organisation mit diesen Geldern eigene Schwerpunkte setzen – anders als mit vielen freiwilligen Beiträgen, die stark themen- oder projektgebunden sind. Mit dem Austritt der USA dürfte die WHO deshalb einiges an Manövrierfähigkeit verlieren.

"Es ist schon anzunehmen, dass nun durch den Rückzug der USA wesentliche große Public-Health-Programme etwa zu Tuberkulose, HIV und auch zu Pandemic-Preparedness-Initiativen zu Schaden kommen werden", sagte Beate Kampmann, Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit an der Charité Berlin, dem Science Media Center.

Auch ein Blick darauf, was mit den US-Geldern aktuell geschieht, macht klar, was der Austritt bedeuten könnte: Ein gutes Viertel fließt in Programme, die Gesundheitssysteme stärken sollen. Weitere 23 Prozent sollen bei akuten Gesundheitsnotständen helfen, die nationale Kapazitäten übersteigen, etwa bei Ebola-Ausbrüchen. 18 Prozent des Geldes fließen in den Kampf gegen die Kinderlähmung Polio, die die WHO seit Jahren ausrotten will, und gut 12 Prozent sollen dazu genutzt werden, Epidemien und Pandemien zu verhindern.

Nicht nur die finanzielle Lücke, die ein Austritt der USA hinterlassen würde, besorgt Experten. Sondern auch der Braindrain, der droht, wenn weltweit geschätzte Institutionen wie die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nicht mehr Teil des WHO-Netzwerks sind. "Die spielen eine unheimlich wichtige Rolle, und sie haben sehr viel Personal in die WHO geschickt", sagt Kickbusch, die selbst jahrelang bei der WHO gearbeitet hat. Überhaupt profitiert die Welt stark von der Global-Health-Expertise der USA. In vielen Fällen ist US-Forschung Grundlage für WHO-Empfehlungen. Diese Abhängigkeit könnte mit dem Austritt zum Problem werden.

Wahrscheinlich werden aber auch die USA selbst vom Ausstieg betroffen sein. Die Seuchenschutzbehörde CDC und andere Institutionen hätten bei einem Austritt der USA formal keinen Zugang mehr zu den WHO-Datenbanken, was die Entwicklung von Impfstoffen oder Medikamenten behindern könnte. Ein Beispiel: Im Jahr 2020 entschlüsselten chinesische Wissenschaftler die Gensequenz des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 – die Ergebnisse meldeten sie der WHO.

Es geht aber nicht nur um technische Details, wie Lawrence Gostin, Professor für Global Health Law an der Georgetown University gegenüber Stat News betont: Durch den Austritt aus der WHO würden die USA an Einfluss verlieren. Wann immer nun bei der Weltgesundheitsversammlung, der Hauptversammlung der WHO, Themen aufkämen, seien die USA nicht mehr mit am Tisch. "Wenn China versucht, Einfluss in Afrika, Lateinamerika oder in anderen Ländern geltend zu machen, in denen die USA sehr starke strategische Interessen im Bereich Handel oder Mineralstoffe haben, werden wir nicht da sein", sagt Gostin.

Überhaupt gehen viele Experten davon aus, dass sich durch den Rückzug der USA geopolitisch etwas verschieben dürfte. Die entscheidende Frage ist nun: Füllt jemand die Lücke, und wenn ja, wer? "Eine Möglichkeit wäre, dass sich die aufstrebenden Volkswirtschaften der Brics-Staaten stärker engagieren – womöglich auch mit ihren eigenen Prioritäten", sagt Franz.

Aktuell sei der Beitrag der Brics-Staaten, zu denen unter anderem China, Indien und Brasilien gehören, aber noch sehr gering. Sie geben 2024–2025 knapp eine halbe Milliarde US-Dollar, die G7 im Vergleich zwei Milliarden.

"China hält sich bisher sehr zurück", sagt Kickbusch. Angesichts des US-Austritts betont das Land zwar, dass es weiterhin zur WHO stehe. "Einen Begriff wie Führungsrolle scheut es aber dezidiert." Wohl auch, um nicht unter Druck zu kommen, mehr zahlen zu müssen. Zwar zahlt China nach den USA den zweithöchsten Anteil an Pflichtbeiträgen an die WHO – dafür aber wie auch die anderen Brics-Staaten fast keine freiwilligen Beiträge, die den größten Anteil des WHO-Budgets ausmachen.

Und die EU? Als Trump 2020 – mitten in der Coronapandemie – das erste Mal den Rückzug aus der WHO verkündete, sprang neben Ländern wie Deutschland auch die EU ein, um die Organisation finanziell zu stärken. Tatsächlich war die EU-Kommission zuletzt einer der stärksten Geber der WHO. Ob sie erneut zur Rettung kommt? "Diese Bereitschaft ist derzeit vonseiten der EU nicht mehr da", befürchtet Kickbusch. Das hänge auch damit zusammen, dass die EU als Ganzes keine Stimme in der WHO habe. "Sie kann nicht mitreden, sie kann nicht mitentscheiden, aber jeder will, dass sie sehr viel Geld gibt." Und das sei inzwischen nicht mehr populär in Brüssel.

Hinzu kommt: Auch in Europa wird der Einfluss der Populisten größer, die vor Gängelung durch internationale Institutionen warnen, die vermeintlich die nationale Souveränität bedrohen. Im schlimmsten Falle, sagt Kickbusch, könne es nach dem Austritt der USA zu "politischen Ansteckungseffekten" kommen.

Diese Skepsis einiger Regierungen erschwert aktuell auch die Verhandlungen um einen gemeinsamen Pandemievertrag. Der soll dafür sorgen, dass die WHO-Länder besser auf künftige Pandemien vorbereitet sind. Im vergangenen Jahr scheiterte das Abkommen, im Mai soll es bei der nächsten Weltgesundheitsversammlung einen neuen Anlauf geben. Wie stehen die Chancen, jetzt, da die USA ihren Austritt erklärt haben? Es sei zumindest denkbar, sagt Kickbusch, dass sich die übrigen Länder nun einen Ruck geben.

Was sich mit Sicherheit sagen lässt: Der Austritt der USA aus der WHO rüttelt die Weltordnung durcheinander. Für die Weltgesundheit wird entscheidend sein, welche Maßnahmen Trump noch ergreift. Die USA sind nämlich nicht nur der größte Geber der WHO, sondern investieren auch Milliarden in Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich, spenden also beispielsweise an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Tuberkulose, HIV und Malaria. Inwieweit die USA auch hier oder bei Projekten für die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen kürzen werden, ist ungewiss.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Bill Gates, der über seine Stiftung Milliarden in globale Gesundheitsprogramme gibt, war kürzlich mit Trump Abendessen, um mit ihm über Polio, HIV und Globale Gesundheit zu sprechen. Der Präsident, sagte Gates danach, habe großes Interesse gezeigt. Er sei "beeindruckt".

In den kommenden Wochen und Monaten aber stellt sich erst einmal eine andere Frage: Wie schnell kommen die USA eigentlich aus der WHO heraus? Trump hat zwar per Dekret den Austritt erklärt – was genau das bedeutet, ist aber gerade alles andere als klar. Denn für den Austritt gibt es keine klaren Regeln und nur einen Präzedenzfall: Einzig die Sowjetunion verließ 1949 die WHO wegen der Spannungen des Kalten Krieges. 1956 trat sie wieder bei.

Für die USA dürfte eigentlich gelten, was der US-Kongress formulierte, als er 1948 das Abkommen mit der WHO ratifizierte: dass die USA die WHO erst nach einer Karenzzeit von einem Jahr verlassen können – und wenn alle ausstehenden Beiträge für das laufende Fiskaljahr beglichen sind. Deswegen scheiterte auch Trumps erster Versuch, die WHO zu verlassen – er entschied sich zu spät in seiner ersten Amtszeit, sodass Joe Biden als neu gewählter Präsident die Entscheidung zurücknehmen konnte.

Trump könnte aber auch anders argumentieren und den Widerruf des Widerrufs erklären, sich also auf seine ursprüngliche Ausstiegserklärung aus dem Sommer 2020 berufen. In dieser Lesart wären die USA mit sofortiger Wirkung aus der WHO ausgetreten.

Ob nun Karenzzeit oder nicht, klar ist: Jetzt ist der Moment, in dem die Länder der Welt zeigen können, wie wichtig ihnen die Weltgesundheit wirklich ist.


Aus: "Was der Austritt der USA aus der WHO wirklich bedeutet"
Dr. Jakob Simmank, Jan Schwenkenbecher und Claudia Wüstenhagen (23. Januar 2025)
Quelle: https://www.zeit.de/gesundheit/2025-01/usa-who-austritt-donald-trump-finanzen

-

Quote[...] Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat die von US-Präsident Donald Trump verhängten Sanktionen scharf kritisiert. Der IStGH verurteile das von den USA erlassene Dekret, mit dem die ,,unabhängige und unparteiische juristische Arbeit" des Gerichts beeinträchtigt werden solle, erklärte der IStGH am Freitag in Den Haag.

Das Gericht stehe hinter seinem Personal und wolle ,,weiterhin für Millionen unschuldiger Opfer von Gräueltaten auf der ganzen Welt Gerechtigkeit und Hoffnung" schaffen.

US-Präsident Donald Trump hatte am Donnerstag per Dekret Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag angeordnet.

Laut dem vom Weißen Haus veröffentlichten Text ist Führungskräften, Angestellten und Mitarbeitern des IStGH sowie ihren engsten Familienangehörigen damit die Einreise in die USA verboten. Das Dekret sieht zudem das Einfrieren aller Vermögenswerte vor, die diese Personen in den USA besitzen.

Die Namen der Betroffenen wurden zunächst nicht veröffentlicht. Frühere US-Sanktionen unter Trump hatten sich jedoch gegen die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda und weitere ranghohe Mitarbeiter des Gerichts gerichtet.

Die niederländische Regierung erklärte, die Anordnung zu bedauern. ,,Die Arbeit des Gerichtshofs ist für den Kampf gegen Straflosigkeit unerlässlich", erklärte der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp am Freitag im Onlinedienst X.

Während Trumps erster Amtszeit hatte seine damalige Regierung bereits Sanktionen gegen das Haager Gericht wegen Ermittlungen zu mutmaßlichen US-Kriegsverbrechen in Afghanistan erlassen, sein Nachfolger Joe Biden hob diese wieder auf.

Der IStGH hatte 2006 erstmals Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsgräueln in Afghanistan eingeleitet. Im Jahr 2020 genehmigte er dann eine umfassende Ermittlung. Bensouda erklärte seinerzeit, es bestehe ein ,,begründeter" Verdacht auf Kriegsverbrechen durch die radikalislamischen Taliban sowie durch die US-Streitkräfte im Land und den US-Auslandsgeheimdienst CIA in geheimen Gefangenenlagern im Ausland.

Der derzeitige IStGH-Chefankläger Karim Khan erklärte jedoch 2021, er nehme die USA von der Untersuchung aus, da die ,,schlimmsten Verbrechen" in Afghanistan von den Taliban und der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat begangen worden seien.

Der IStGH ermittelt mittlerweile unter anderem gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Mit Blick auf Netanjahu erklärte Trump, dass das Gericht ,,seine Macht missbraucht" habe, indem es unbegründete Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den damaligen Verteidigungsminister Joav Galant erlassen hat, heißt es in Trumps Anordnung.

Der Republikaner wirft dem Gericht ,,bösartiges Verhalten" vor. Trump und Netanjahu waren am Dienstag im Weißen Haus zusammengekommen.

Der IStGH hat im November 2024 Haftbefehl gegen Netanjahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen. Auch der frühere israelische Verteidigungsminister Joav Gallant und das führende Hamas-Mitglied Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri wurden zur Fahndung von dem Gericht mit Sitz in Den Haag ausgeschrieben.

Israel kritisiert das Vorgehen des IStGH scharf. Er weise jeglichen von IStGH-Ankläger Khan gezogenen ,,Vergleich zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmördern der Hamas mit Abscheu zurück", erklärte Netanjahu damals. Khan warf er vor, ,,kaltschnäuzig Öl ins Feuer des Antisemitismus zu gießen".

Auch Trumps Vorgänger Biden verurteilte den ,,ungeheuerlichen" Haftbefehl gegen Netanjahu im November nachdrücklich.

Die USA zählen wie Israel und Russland nicht zu den 125 Staaten, die den Internationalen Gerichtshof tragen. Das seit 2002 tätige Gericht ist zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen.

Zu den Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs zählt auch Deutschland, das theoretisch den Haftbefehl gegen Netanjahu umsetzen müsste, sollte der israelische Ministerpräsident die Bundesrepublik besuchen. (Reuters, AFP, dpa)


Aus: "Gericht steht hinter seinem Personal: Internationaler Strafgerichtshof kritisiert Trumps Sanktionen scharf" (07.02.2025)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/internationales/gericht-steht-hinter-seinem-personal-internationaler-strafgerichtshof-kritisiert-trumps-sanktionen-scharf-13160455.html

Quotehshvh
07.02.25 10:11

Trump dreht vollkommen frei. Dass die USA den IStGH nicht anerkennen ist eine Sache. Internationale Institutionen zu verfolgen, deren Mitarbeiter sowie Familien zu sanktionieren, das kennt man nur aus "Schurkenstaaten".
Was kommt wohl nächste Woche? ...


QuoteDrehrummbumm
07.02.25 10:02
Die USA hat den eh nicht anerkannt und seit Bush Anfang der 2000er Jahre immer wieder gegen den ISTGH agiert. Die Sanktionen wurden bereits Ende 2024 voran gebracht und jetzt umgesetzt.

Trump setzt "nur" die amerikanische Haltung zum ISTGH weiter fort.


Quoteiddqd
07.02.25 09:49

[Die] Zivilisationsdecke ist leider sehr dünn...


Quoteeismann872
07.02.25 09:18

Kriminelle finden Gerichte doof. ...


QuoteNoRes
07.02.25 09:16

So machen das Autokraten halt.


Quotehertzfeldt
07.02.25 08:37

Es ist typisch für (möchtegern) Diktatoren die Gewaltenteilung, die Kontrolle durch die Justiz, als "bösartiges Verhalten " zu empfinden. Alle Länder, die eine freiheitliche Demokratie, einen Rechtsstaat bevorzugen, sollten die internationale Gerichtsbarkeit unterstützen und stärken!


...

Link

Quote[...] Ein vom Strafgerichtshof gesuchter Folterknecht der europäischen Migrationspolitik wird von Italien nach Libyen heimgeflogen. Abenteuerlicher als dieser Skandal sind nur noch die Ausreden der Regierung Meloni - und die aufgeflogene Spähaktion gegen Journalisten und Menschenrechtler.

Das kann man sich gar nicht ausdenken. Als Krimi-Drehbuch würde die Geschichte um die Blitz-Freilassung des Libyers Najeem Osama Almasri Hoabish aus italienischer Haft nicht einmal die erste redaktionelle Durchsicht überstehen. Zu unglaubwürdig, so ein Plot. Soll es etwa plausibel sein, dass ein Justizminister und früherer Richter öffentlich behauptet, er habe einen mutmaßlichen Mörder, Folterer und Vergewaltiger freilassen müssen, weil niemand in seinem Justizministerium den auf Englisch verfassten Haftbefehl lesen konnte?

Abgelehnt, würde die Redaktion über einen so dämlichen Autoren-Einfall urteilen. So dumm würde sich ein Minister nie herauswinden. Doch genau das ist in Italien passiert - und Schlimmeres noch. Die Realität hat in Italien ein Drehbuch geschrieben, das die Grenzen der Fantasie sprengt. Dieses Drehbuch ermöglicht jedoch im Gegenzug, einen klaren Blick hinter geheime Kulissen zu werfen. Es enthüllt die dreckigen, mörderischen Methoden bei der Eindämmung der Migration über die Mittelmeerroute nach Europa.

Gehen wir zum Anfang des Drehbuchs, ein paar Tage vor der obskuren Einlassung des Justizministers. Was war passiert? Almasri war am 18. Januar in Turin verhaftet worden, nachdem er über London nach Europa eingereist war und vier Tage lang in Deutschland gewesen war. Die ersten Tage in Europa hatte der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag den 47-jährigen Libyer nur unauffällig beobachten lassen. Eine Aufgabe, die die deutsche Polizei offenbar gewissenhaft erfüllt hatte.

Während Almasri dann von München nach Turin weiterreiste, stellte Den Haag einen internationalen Haftbefehl aus: Wegen 34-fachen Mordes, Folter und Vergewaltigung Minderjähriger. Zunächst machte Italien auch das Gebotene, schließlich erkennt die Regierung in Rom den Strafgerichtshof in Den Haag offiziell an. Die italienische Polizei-Einheit für politische Verbrechen, DIGOS, verhaftete Almasri in einem Turiner Hotel. Doch Almasri, der mit vier verschiedenen Pässen reiste - darunter ein türkischer und der eines Karibik-Staates - saß 60 Stunden später in einem Falcon-Jet des Geheimdienstes und flog zurück nach Tripolis. Das war Roms Entscheidung, statt ihn direkt nach Den Haag zu überstellen, wo ihm der Prozess gemacht werden sollte.

Eine Mischung aus unfreiwilliger Komik und Fremdschämen, das war dann der nachfolgende Auftritt des italienischen Justizministers Carlo Nordio. Am 5. Februar erklärte er nach langem Drängen der Opposition im Parlament, wie er das Ausfliegen des Festgenommenen begründet. Es sei dem Ministerium unmöglich gewesen, so Nordio, "den 40-seitigen Haftbefehl in so kurzer Zeit, am Wochenende, zu lesen, weil er auf Englisch verfasst war". Eine schlechtere Ausrede kann man sich kaum ausdenken. Wie gesagt: Ein Drehbuchautor, der einem Minister solch ein Argument in den Mund legen würde, bekäme zu hören: "So dumm ist doch keiner!"

Doch damit nicht genug. Nordio begründete die Express-Ausweisung per VIP-Transfer nach Tripolis damit, dass Almasri "eine Gefahr für Italien" gewesen sei. Die sofortige Ausweisung sei ihm als Justizminister deswegen erlaubt gewesen. Das schlägt dem Fass gewissermaßen den Boden aus: Italiens Justizminister soll sich über einen Strafbefehl aus Den Haag hinwegsetzen können, obwohl sich Italien - anders als die USA - dem Internationalen Strafgerichtshof vertraglich verpflichtet hat? Zudem war Almasri überhaupt keine Gefahr für Italiens Sicherheit. Weder hatte er seine Straftaten in Italien begangen, noch hatte er vor, sie in Italien zu begehen - zumal aus der Haft heraus. Rom hätte den Mann nur nach den Haag überstellen müssen.

Die überlebenden Opfer des Foltergefängnisses von General Almasri, die in Italien vor die Presse traten, sind entsetzt. Da hatte man ihren Folterer endlich in den Händen und dann das. Der Justizminister verstieg sich zu den peinlichsten Erklärungen, doch wenn überhaupt, drohte Italien ganz woanders Gefahr- nämlich in Libyen. In Tripolis war man sehr erbost über Almasris Verhaftung. Auf Facebook und Tiktok erschienen Drohbotschaften wie "Gebt uns Almasri zurück, sonst greifen wir den italienischen Gas- und Öl-Konzern ENI an".

Ein weiteres Motiv für Almasris Schonung war seine Rolle in Libyen: Der von ihm befehligte Clan "Rada" verfügt über eine Miliz, die seit Jahren im Kampf gegen Migranten eingesetzt wird. Die Miliz beaufsichtigt insgesamt drei Gefängnisse mit etwa 15.000 Insassen. Almasri leitet davon das Mitiga-Gefängnis, entscheidet dort über Leben und Tod, wie die Den Haager Ermittler schreiben. Doch darüber wollte Italiens Premierministerin Giorgia Meloni selbst nicht öffentlich sprechen. Deswegen musste Carlo Nordio in die Bütt und hanebüchenen Unsinn erzählen, gewürzt mit Angriffen auf eine vermeintlich "links-politisierte" Richterschaft.

Die Opposition empörte sich lauthals über Nordio und Meloni. Sie sei ein "Hasenfuß" - "Meloni-Coniglio". Dabei sollte die größte Oppositionspartei Partito Democratico (PD) besser schweigen: Der frühere PD-Innenminister Marco Minniti unterzeichnete schon 2017 ein "Memorandum" mit den libyschen Milizen. Dieses bestand darin, dass Italien mit EU-Mitteln die Milizen dafür bezahlte, den Migrantenstrom über das Mittelmeer zu stoppen. Das Memorandum ist seitdem von allen Regierungen immer wieder erneuert worden.

Italien stellte der sogenannten libyschen Küstenwacht Schnellboote zur Verfügung, mit denen die Migranten-Boote wieder eingefangen wurden, notfalls mit Gewalt. Der Chef dieser "Küstenwacht" war ein gewisser Abd al-Rahman al-Milad, auch bekannt als Bija - ein international als Kriegsverbrecher bekannter Kriegsherr und Milizenchef, der in der Zwischenzeit einem Mordanschlag in Libyen zum Opfer gefallen ist. Bija kam im Mai 2017 nach Italien auf offizielle Regierungseinladung. Er besuchte das größte Flüchtlingscamp auf Sizilien, das Cara von Mineo, und war zu Gast im Kommando der italienischen Küstenwacht.

Bija gehörte zum Clan von Abu Hamyra, der auch die Öl-Raffinerie und den Hafen von Zawiyah schützte, von dem aus Italien Öl- und Gaslieferungen erhält. Die Aufgabe der Clans ist es, die italienischen Interessen zu schützen: Öl- und Gaslieferungen zu garantieren und die Migrantenzahlen niedrig zu halten. Die Migration ganz zu unterbinden, ist nicht im Interesse der Clans. Einige zehntausend arme Seelen, die in Italien pro Jahr landen, halten den Erpressungsdruck aufrecht, damit das Geld aus Europa weiter an die Clans fließt.

Wie geradezu herzlich die Beziehungen Italiens, ja direkt zwischen der Regierungschefin und den libyschen Miliz-Bossen sind, zeigte sich auch im Sommer 2024. Aus Anlass des Tripolis-Besuches von Giorgia Meloni am 7. Mai 2024 hatte Italien die libyschen Fußballteams nach Italien eingeladen, um dort die Endrunde der libyschen Fußball-Meisterschaft auszuspielen. Einer der Ehrengäste der italienischen Regierung war Abdel Ghani al-Kikli, auch bekannt als Gheniwa, Chef des "Stability Support Apparatus". Das ist eine Miliz, die sich auf das Einfangen von Migranten an Land und auf See spezialisiert hat. Al-Kikli war auch schon Kommandant des berüchtigten Abu Salim-Gefängnisses. Natürlich ermittelt Den Haag auch gegen Al-Kikli wegen zahlreicher Verbrechen.

Ein neuer Geheimdienst-Leak zeigt, wie sehr sich Rom um den Schutz seiner Beziehungen nach Libyen bemüht - auch vor den eigenen Landsleuten. 90 Handys italienischer Journalisten und Aktivisten wurden mit der Spionage-Software "Graphite" der israelischen Firma Paragon infiziert. Unter den Spähzielen befinden sich der Direktor des investigativen Online-Newsmagazins "Fanpage" und der Missionschef einer privaten Seenotrettungsorganisation. Auch ein Mann, der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Sudan organisierte, war betroffen.

Paragon, Weltmarktführer im Ausspionieren von Handys, hat den Vertrag mit Italiens Regierung nach Bekanntwerden des Spionage-Angriffs sofort gekündigt. Das ist die Nachricht hinter der Nachricht: Paragon verkauft die Lizenz zum Ausspionieren privater Handys nur an demokratische Regierungen. Mehr als peinlich, dass Roms Regierung seit Monaten italienische Journalisten und NGO-Aktivisten ausspionieren ließ, aber strafgerichtlich gesuchte "mutmaßliche" Folterer mit dem Luxusflieger nach Hause brachte, um sie vor einem Prozess zu schützen.

Der Strafgerichtshof von Den Haag hat Italiens Regierung nun aufgefordert, die ausgebliebene Überstellung von Almasri nach Den Haag zu erklären. Im Gegenzug hat Roms Regierung einen Appell von 79 Ländern nicht unterschrieben, der US-Präsident Donald Trump um eine Rücknahme der angekündigten Sanktionen gegen den Gerichtshof bittet. Trump reagierte damit auf einen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant wegen Menschenrechtsverbrechen in Gaza. Die EU-Kommission, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich stellen sich mit dem Brief schützend vor den Internationalen Strafgerichtshof. Italien reihte sich konsequenterweise nicht ein: Entweder für oder gegen das internationale Recht, beides zusammen geht nicht.

Quelle: ntv.de


Aus: "Affäre um Foltergeneral wird für Meloni immer peinlicher" Udo Gümpel, Rom (10.02.2025)
Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Affaere-um-Foltergeneral-wird-fuer-Meloni-immer-peinlicher-article25549899.html


Link

#56
"Omri Boehm: Dieser Mann ist ein Ärgernis (für viele)" Thomas Assheuer (5. April 2025)
Der Philosoph Omri Boehm darf nicht zum Gedenken an die Befreiung des KZ Buchenwald sprechen. Aber was macht sein Denken gerade für die israelische Regierung so anstößig? ... In seiner Redensammlung Die Realität der Ideale (2024) spricht Boehm – früher selbst Soldat in der israelischen Armee – von "unvorstellbaren Verbrechen" im Gazastreifen. "Meine palästinensischen Freunde wissen, dass jeder, der das, was mein Land in Gaza tut, 'Selbstverteidigung' nennt, meine Identität zutiefst beschämt." Deshalb sei es höchste Zeit, an die humanistischen Maximen des Judentums zu erinnern, an den biblischen Monotheismus. Nicht nur die israelische Regierung, sondern der normativ erschöpfte Westen insgesamt solle ihn als sein "lebendiges Erbe erkennen". An dieser Stelle beruft sich Boehm auf den Schriftsteller Navid Kermani: Der habe recht mit seiner Klage, dass der Platz des prophetischen Kosmopolitismus leer sei und in der politisch-intellektuellen Kritik keine Rolle mehr spiele. "Weder die amerikanische noch die europäische Geisteswelt", so Boehm, hätten den radikalen Universalismus der Bibel "aus der kantischen Tradition aufgegriffen, der Postkolonialismus schon gar nicht, und auch in der Frankfurter Schule scheint er mir aktuell nicht lebendig zu sein". Radikaler Universalismus ist auch der Titel einer 2022 erschienenen, in Teilen polemischen Intervention Boehms. Naturgemäß ließ die Kritik nicht lange auf sich warten, die Einwände gegen Boehms normativen Ansatz lagen schließlich auf der Hand. Seine Ideale, so lautete der Tenor kritischer Stimmen, seien subjektiv gut gemeint, aber objektiv hilflos und stünden im metaphysisch luftleeren Raum ohne Bodenhaftung mit irdischer Politik. Kurz: Der Bibelleser Omri Boehm ist ein idealistischer Traumtänzer. Von der herrlich komplexen Moderne versteht er – nichts. ...
https://www.zeit.de/kultur/2025-04/omri-boehm-philosoph-universalismus-denken-werk/komplettansicht

QuoteSemon

Er ist ein Ärgernis "für Viele"? Warum nicht präziser: Er ist ein Ärgernis für den Israelichen Staat und für Politiker die sich nicht dem Humanismus sondern der "deutschen Staatsräson" verpflichtet fühlen.


Quotetea for one

Ich hätte seine Rede gerne gehört - gerade in Zeiten wie diesen.


...

-

Quote[...] Gerade jetzt eine große Verteidigung des Universalismus zu schreiben, erscheint so zwingend wie waghalsig. Zwingend, weil die Idee ja theoretisch immer noch gut ist, waghalsig, weil die Defizite der Ordnungen, die sich auf den Universalismus berufen, so offen zutage liegen. Viele Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund erleben Tag für Tag, dass vieles eben doch nicht so universal gilt, sondern uneingeschränkt höchstens für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaften. Man übertreibt nicht, wenn man feststellt, dass damit nicht weniger als die Grundfesten der liberal-demokratischen westlichen Ordnung infrage stehen.

Gewagt hat die Verteidigung jetzt der 1979 geborene deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm, der an der renommierten New Yorker New School for Social Research lehrt. Bekannt wurde er vor gut zwei Jahren mit seinem Buch "Israel - eine Utopie", in dem er zur Lösung des Israel-Palästina-Konflikts einen föderalen, binationalen Staat Israel vorschlug, eine "Republik Haifa". Sein neues Buch, das gerade einmal 155 Seiten hat, trägt den Titel "Radikaler Universalismus - Jenseits von Identität". Das - man ahnt es -, was in westlichen liberalen Demokratien unter Universalismus verstanden wird, ist für Omri Boehm bloß noch die "leere Hülse des Begriffs".

Die Liberalen samt ihren berühmtesten Theoretikern von John Dewey und John Rawls bis Richard Rorty und Mark Lilla huldigten einem "falschen", nur auf individuelle Rechte fixierten Universalismus, der in Wahrheit nur ihren eigenen Interessen diente. Die "identitäre Linke" wiederum habe mit diesem falschen Universalismus mehr gemein, als sie sich eingestehen würde. Mit ihrem partikularistischen Fokus auf Identität betreibe sie auf ihre eigene Weise die "Zerstörung des Begriffs der Menschheit".

Dagegen setzt Boehm das, was er den "wahren Universalismus" nennt, den er in drei schwungvollen Kapiteln aus drei berühmten Quellen der Ideengeschichte destilliert: erstens der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Diskussion über Sklaverei und Bürgerrechte der Afroamerikaner; zweitens aus Kants Schriften, insbesondere dem Aufsatz "Was ist Aufklärung?" (die Ideen des Philosophen verteidigt Boehm leidenschaftlich gegen dessen jüngst viel thematisierten rassistischen Äußerungen); und drittens aus der Erzählung von der Opferung Isaaks im 1. Buch Mose im Alten Testament.

Am dritten und kürzesten Kapitel des Buch lässt sich gut zeigen, worum es Boehm genau geht. Es beginnt mit Kants berühmter Antwort auf die Frage "Was ist Aufklärung?": "Aufklärung", schrieb Kant 1784, "ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit", Unmündigkeit wiederum ist für Kant "das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen". Böhm aber will es noch einmal ganz genau wissen: Was soll das eigentlich heißen, "sich seines Verstandes zu bedienen"? Mit der ersten, negativistischen Antwort Kants, dass selbst denken eben vor allem bedeute, seine Gedanken nicht irgendeiner Autorität zu unterwerfen, ist es für Boehm nicht getan.

Die Definition Kants, auf die es Boehm eher ankommt, läuft darauf raus, dass die schädlichste Form der Unmündigkeit nicht einfach Nichtdenken oder das Delegieren des eigenen Denkens ist, sondern eine Denkweise, "bei der wir unseren Verstand auf tote oder mechanische Weise" gebrauchen: "Satzungen und Formeln", so Kant, "sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit."

In Bezug auf die Frage, was dies nun für Boehms Rechtfertigung seines radikalen Universalismus bedeutet, wird es dann allerdings wieder heikler. Denn Boehm schließt sich Kants Überzeugung an, dass Aufklärung und Selbstdenken dieser anspruchsvollen Art - angesichts der Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit - doch wieder erst durch einige wenige erreicht werden muss, deren Beispiel dann gefolgt werden kann. Das aber, Boehm sieht es sofort, ist nichts anderes als eine Form von Prophetie, die Vermittlung von Wahrheit durch Auserwählte. Und war und ist das nicht genau die Art von Kommunikation, die die Aufklärung gerade überwinden wollte?

Was nun? Boehm versucht eine neue Definition dessen, was wir unter Prophetie verstehen sollten. Motto: Wenn die Begriffe nicht passen, haben wir sie bisher nur falsch verstanden. Nach einer schwungvollen Lektüre des Dekalogs und der Geschichte von Abrahams Opferung seines Sohnes Isaak (Genesis 22, 1-19) sowie von Maimonides' Interpretation der beiden Bibelstellen in seinem Buch "Führer der Unschlüssigen" steht für Boehm fest: Die höchste Form der Prophetie ist nicht die von Mose, der den Menschen einfach Gottes Gesetz verkündet, sondern die Abrahams.

Die übliche Deutung der Opferung Isaaks geht von einem frommen Abraham aus, der bereit ist, seinen Sohn zu opfern und dann von einem Engel aufgehalten wird. Soll heißen: Der Wille ist Gott genug, die grausame Tat ist nicht nötig. Boehm betont dagegen textkritisch, dass die Engelstelle später hinzugefügt wurde. Lässt man sie weg, trifft nicht mehr Gott die Entscheidung, Isaak am Leben zu lassen und stattdessen einen Widder zu opfern, sondern Abraham selbst. Für Boehm gehorcht er an dieser Stelle einer moralischen Autorität, die noch über Gott steht: der Gerechtigkeit.

Das Beharren darauf, so Boehm, "dass die Gerechtigkeit jede Autorität übersteigt", sei Abrahams ganz eigene Neuerung. Mithin bestehe die wesentliche Behauptung und entscheidende geistige Innovation des ethischen Monotheismus auch nicht darin, dass es nur eine einzige wahre Gottheit gebe, sondern eben darin, dass "selbst diese einzig wahre Gottheit dem Moralgesetz unterworfen" sei. Anders gesagt: Die Bibel hat mit Boehm eine universelle Idee des Menschen als einem Wesen, das für das "absolute Gesetz" offen ist, für das es aber keinen Gott mehr braucht, nicht mal nur einen einzigen. Man muss nicht gläubig sein, um das für erstaunlich zu halten.

Trotzdem bleibt auch dem wohlwollenden Leser der Eindruck, dass das Buch höchstens nur ein halbes ist. Der Versuch, originell und mutig gegen den grassierenden Partikularismus - die dunkle Seite der Identitätspolitik - zu argumentieren, ist ehrenwert und nötig. Eine so stichfeste Begründung für den "radikalen Universalismus", wie Böhm zu liefern vorgibt, gelingt ihm aber leider nicht.

Die (stark von Kant inspirierte) Idee, einer metaphysischen, vollkommenen Idee von Gerechtigkeit in uns und über uns allen ist sehr schön, bleibt letztlich aber doch einen Hauch zu nebulös. Und ein klassischer Fehlschluss von einem Sollen auf ein Müssen. Man könnte umgekehrt einwenden: Merkwürdig aufwendige Systeme wie Glauben, Religion oder der Rechtsstaat hat man sich gerade deshalb ausgedacht, um Gerechtigkeit ethisch plausibler und faktisch zwingender erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist!

Eher säkular-soziologisch gestimmte Kritiker haben Boehm entsprechend vorgeworfen, mit der Rechtfertigung eines Vorrangs der Wahrheit vor der Demokratie dem Fanatismus das Wort zu reden. Immerhin implizit in Kauf nimmt er ihn, kein Zweifel. Im Auftrag der wahren Gerechtigkeit muss in Boehms Logik alles erlaubt sein. Andererseits ist philosophisches Denken nun einmal nicht so intersubjektiv orientiert wie soziologisches.

Vor allem aber gerät aus dieser Perspektive ein interessanter und zeitdiagnostisch relevanter Impuls des Buchs völlig aus dem Blick: Boehm will gegenüber dem Recht die Pflichten wieder stärker machen, die Menschen haben. Dabei will er allerdings weder - das ist ihm zu konservativ - traditionalistisch argumentieren noch liberal-demokratisch. Westliche liberale Demokratien sind für ihn - hier ist er sich mit identitären Linken einig - "für immer auf der gewaltsamen Unterdrückung anderer gegründet".

Sein radikaler Universalismus soll ein ganz anderer Weg sein, ein neuer alter guter Grund für Gerechtigkeit. Und die einzige nicht-nihilistische Möglichkeit, die Gegensätze, die entstehen, wenn alle auf ihre Identitäten bestehen und die andere Seite dann nur noch "gecancelt" sehen wollen, aufzulösen. In seinem Kern ist das so scharfsinnige und temperamentvolle Buch, mit dem sich Boehm zwischen alle Stühle setzt, vor allem der zutiefst humanistisch motivierte Versuch, die Menschen ideell wieder auf die "absolute Liebe zur Menschheit" zu verpflichten, indem es daran erinnert, wie alt dieser Gedanke ist. Das ist - theoretisch jedenfalls - das Gegenteil von Fanatismus. Aber natürlich auch halsbrecherisch schwärmerisch.


Aus: "Omri Boehm: "Radikaler Universalismus":Die einzig wahre Autorität" Jens-Christian Rabe (15. September 2022)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/omri-boehm-radikaler-universalismus-identitaetspolitik-1.5657989

-

Quote[...] Mit jedem Vortrag redet Omri Boehm seinen Zuhörern ins Gewissen, erinnert sie daran, wie leicht sie Mythen und Schimären aufsitzen und das dann für vernünftiges Denken halten. Drei seiner Vorträge versammelt dieses Bändchen, alle drei gehalten nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf israelische Siedlungen am 7. Oktober 2023. Ein Tag, mit dem nicht nur eine doppelte Tragödie begann, sondern auch eine Debatte, bei der man sich nur noch an den Kopf fassen kann.

Mit lauten Vorwürfen des Antisemitismus, Uni-Besetzungen, enthemmen Demonstrationen und einer Flut von Selbstgerechtigkeit, bei der der Philosoph sich wohl berechtigterweise fragt: Haben die Europäer eigentlich vergessen, warum sie Europa gegründet haben? Warum sie Sätze wie ,,Die Würde des Menschen ist unantastbar" in ihre Verfassungen schrieben? Warum seit 300 Jahren europäische Philosophinnen und Philosophen an der Aufklärung arbeiten und versuchen, den streitenden und wütenden Menschen tatsächlich die Grundlagen des Menschseins zu vermitteln?

Die erste Rede hielt er am 15. November 2023 in München. Da waren die Ereignisse im Gaza-Streifen schon kulminiert und die israelische Regierung hatte einen Krieg entfesselt, der das ganze Gebiet verheerte und Tod und Leid über die Palästinenser brachte, die dort lebten.

Die zweite Rede hielt er am 20. März 2024 in Leipzig bei der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung. Den bekam er für sein Buch ,,Radikaler Universalismus", das sich natürlich genau mit dem beschäftigt, was das deutsche Grundgesetz formuliert. Und was seine Wurzeln bei Kant hat und Moses Mendelssohn und Lessing. Lessings ,,Nathan der Weise" erwähnt er explizit, weil dessen Drama in Szene setzt, wie der kategorische Imperativ eines Kant tatsächlich mit Leben erfüllt wird.

Millionen deutscher Schulkinder beschäftigen sich mit dem Drama. Aber was lernen sie daraus? Warum vergessen die meisten dann, wenn sie hinaus ins politische Leben treten, was die Botschaft der Ringparabel ist? Nein: Toleranz ist es nicht. Und es geht auch nicht nur um das friedliche Zusammenleben (oder Koexistieren) dreier Weltreligionen. Auch wenn das Lehrplan-Material dies so in den Vordergrund stellt.

Es geht um Freundschaft. Freundschaft über Glaubensgrenzen hinweg. Freundschaft, die erst Respekt, Vertrauen und Frieden ermöglicht. Erst Freundschaft im wesentlichen Sinn schafft die Basis für so etwas wie die Europäische Gemeinschaft.

Und über die redete Boehm besonders ausführlich am 7. Mai 2024 in Wien in seiner ,,Rede an Europa". Auch diese Rede – wie schon in Leipzig – vom Rand des Publikums gestört. Die Lautstarken versuchen ja immer wieder, sich Gehör zu verschaffen und die vermeintliche Gegenseite zum Schweigen zu bringen. Jeder will absolut im Recht sein. Und liegt gerade deswegen falsch.

So wie auch die Streitparteien im Gaza-Streifen falsch liegen. Und wie auch Angela Merkel falsch lag, als sie die Unversehrtheit des Staates Israel zur deutsche Staatsraison erklärte. Dabei ist sie eine kluge Frau. Aber das Wesentliche hat sie ganz offensichtlich nicht verstanden. Das Wesentliche, das bei Autorinnen wie Hannah Arendt steht. Oder bei jüdischen Autoren wie Ernst Cassirer, die ja selbst erlebt haben, wie eine ins Absolutum getriebene Staatsdoktrin zum Verhängnis für einen ganzen Kontinent wurde.

Weshalb die Europäer nach dem Ende des Hitlerreiches eben keinen Staatenbund souveräner Staaten gründeten, wie es die heutigen Rechtspopulisten als Ziel deklarieren. Solche Staatenbünde gab es in der europäischen Geschichte immer wieder. Und sie endeten alle in Kriegen. Denn genau das hatte Immanuel Kant schon begriffen, dass es einen Frieden unter den Nationen erst geben kann, wenn die Nationen Teile ihrer Souveränität an die Gemeinschaft abgeben.

Und damit den Hobbes'schen Leviathan zähmen. Den Omri Boehm natürlich auch immer wieder erwähnt. Vor allem als Mythos, zu dem ihn Konservative und Reaktionäre nur zu gern machen, auch wenn sie sich dann ,,nur" als stolze Patrioten verkaufen. Was immer wieder auf dasselbe hinausläuft: Nationalismus, eine mythische Überhöhung von Nation und Volk und irgendwelche obskuren Werte.

Diese Denkweise sitzt tief, stellt Boehm fest – bei Rechten und bei Linken. Beide pflegen einen Kult der Identitäten – und negieren damit das, was allen Menschen gemeinsam ist.

Und jetzt Omri Boehm im Originalton: ,,Während Europas Antwort auf sein zerfallendes Imperium darin lag, seine Souveränität zu dekonstruieren, indem es sie durch Würde begrenzte, lag die Antwort der Opfer darin, ihre nationale Souveränität für unantastbar zu erklären." Das bezieht sich auf die israelische Verfassung, die den jüdischen Staat als oberstes Postulat setzt, nicht die Menschenwürde.

Und das hat tragische Folgen – vor allem dann, wenn erzkonservative Regierungen wie die aktuelle unter Benjamin Netanjahu an die Macht kommen.

Omri Boehm: ,,Jede Seite beansprucht, etwas Ultimatives, Absolutes zu verkörpern, das die menschliche Würde desjenigen relativiert, die zur anderen Gruppe gehören." Das ist der alte Nationalismus, den die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg hinter sich zu lassen versuchten, indem sie Freundschaft und Würde zu gelebten Idealen machten. Wobei Omri Boehm auch sehr genau auseinander dividiert, was Ideal ist und was Mythos.

Und wenn ein nachdenklicher Philosoph entsetzt sein darf, dann klingt das bei Omri Boehm durchaus an. Denn diese ,,Relativierung der Würde der anderen Gruppe" beschränkt sich nicht nur auf Israel und Palästina. Sie beherrscht auch das einträchtige Aufeinander-Einprügeln im europäischen Diskurs, der über Identitäten geführt wird, nicht über den Anspruch auf Menschenwürde, die für alle gilt.

Wem das in die Hände spielt, ist offensichtlich. Omri Boehm benennt es auch. Als nur zu berechtigte Frage: ,,Wie berührt die Duldung der entmenschlichten Logik eines totalen Krieges in Israel und Palästina Europas eigene jüdische und muslimische Bürgerinnen? Überlässt man damit nicht der populistischen nationalistischen Rechten das Feld, die überall um uns herum auf dem Vormarsch ist und sich auf die nationale Souveränität beruft, die das Völkerrecht infrage stellt und eine Staatsbürgerschaft auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit fordert?"

Darauf gibt es viele Antworten. Aber ganz bestimmt keine, die wieder vom ,,Stolz der Nationen" palavert. Von dem lassen sich zwar reine Menge Leute blenden – aber sie merken nicht, dass sie dabei wieder für falsche und verlogene Mythen in Anspruch genommen werden, die Staatsmythen einer Vergangenheit, welche die Europäer mühsam überwunden haben.

Und so appelliert Omri Boehm genau an das, was die Europäer tatsächlich verbindet: ,,Besteht auf der Realität eurer Ideale. Sie sind umso wichtiger aufgrund eurer historischen Verantwortung ..."

Genau deshalb versuchen die Nationalisten ja, die EU zu schwächen oder gar zu zerstören und den Menschen wieder nationale Heldenlieder in die Hirne zu pflanzen. Ihnen also einzureden, der Mythos bestimme die Geschichte und Ideale seinen etwas für Träumer. Kraftmeiern konnten die Nationalisten schon immer. Ihre Kraftmeierei aber will Menschen dumm, blind und folgsam machen. Auch, indem sie Angst und Zynismus produziert.

Omri Böhm im Vorwort zu diesem Büchlein: ,,Zynischen Konservativen, von denen es auch nicht gerade wenige gibt, war es immer schon dienlich, den Unterschied zwischen Idealen und Mythen zu leugnen. Verzweiflung und zynischer Konservatismus gehen Hand in Hand. Und implizieren, ob aus Hoffnungslosigkeit oder Zynismus, dass es die Vernunft selbst nicht gibt, denn sie ist von einem Vermögen, welches Ideale aufzustellen (und natürlich auch zu kritisieren) vermag, auf ein Werkzeug im Dienste bequemer Mythen reduziert worden."

Also auf etwas, was Kant nur ein grimmiges Kopfschütteln entlockt hätte. Mit Vernunft in seinem Sinne hat das alles nichts mehr zu tun.

Und so merkt man mit Boehm, wie sehr der Diskurs – nicht nur der über Europa – von zynischen Konservativen in den vergangenen Jahren immer mehr verdreht wurde. Und wie die Seelenverkäufer des Nationalismus wieder überall von Souveränität schwadronieren, wo sie in Wirklichkeit permanent die Würde anderer Menschen infrage stellen oder für entbehrlich erklären. Die gesamte verblödete Migrationsdebatte steht genauso dafür.

Und dabei war es genau das, wovor vor allem jüdische Autoren und Autorinnen warnten: die ,,Idolisierung des Mythos". Denn die bedeutet immer, dass der ,,Leviathan"-Staat wichtiger ist als der einzelne, gefährdete Mensch in seiner Würde.

Stoff genug zum Nachdenken. Drei Reden, die es sich lohnt, immer wieder nachzulesen, weil sie uns eine Wahrheit sagen, die man im politischen Geplärre von Identität und Souveränität kaum noch wahrnehmen kann. Auch weil Narren aller Farben den Zynikern nachplappern, statt mutig die Würde des Menschen zu verteidigen. Und zwar gerade dann, wenn imperiale Kraftmeier meinen, ihre Interessen mit Krieg oder Terror kundtun zu müssen.

Zu: Omri Boehm ,,Die Realität der Ideale" Ullstein Propyläen, Berlin 2024


Aus: "Die Realität der Ideale: Omri Böhms Reden über die eigentliche Idee Europas" Ralf Julke (9. September 2024)
Quelle: https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2024/09/die-realitat-der-ideale-omri-bohms-reden-idee-europas-602498

...

Link

Quote[...] Wohnverhältnisse, Einkommen, Bildung und andere soziale Faktoren beeinflussen die Gesundheit nach einer Studie stärker als Genetik oder die Qualität des Gesundheitssystems. Die Lebensumstände sowie Benachteiligung und Diskriminierung bestimmten vielfach, wie viele Jahre jemand gesund leben könne, berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Solche sozialen Faktoren bestimmten die Gesundheit zu mehr als 50 Prozent.

In der WHO-Studie geht es um die ,,sozialen Determinanten der Gesundheit" und die definiert die WHO so: ,,Die Bedingungen, unter denen Menschen geboren werden, aufwachsen, leben, arbeiten und altern, sowie der Zugang der Menschen zu Macht, Geld und Ressourcen." Das Fazit des Vorgängerberichts von 2008 gelte bis heute: ,,Soziale Ungerechtigkeit tötet im großen Stil."

,,Je benachteiligter die Region ist, in der die Menschen leben, je niedriger ihr Einkommen und je weniger Ausbildungsjahre sie haben, desto schlechter ist ihr Gesundheitszustand und desto weniger gesunde Lebensjahre können sie erwarten", berichtet die WHO. Sie nennt auch Einkommen, Rassismus und Diskriminierung, Einsamkeit, Zugang zu Computern, Konflikte und Vertreibungen und Sozialleistungen als wichtige Faktoren.

Menschen in Ländern mit der höchsten Lebenserwartung lebten im Durchschnitt 33 Jahre länger als diejenigen in Ländern mit der niedrigsten Lebenserwartung, heißt es in dem Bericht. Die Sterberate von Kindern unter fünf Jahren sei in Ländern mit geringem Einkommen 13-mal höher als in reichen Ländern. Die Unterschiede gebe es auch innerhalb von Ländern zwischen armen und reichen Menschen, und vielfach seien sie dort in den vergangenen Jahren größer statt kleiner geworden.

Die Lösungen liegen laut WHO auf der Hand: Die ökonomischen Ungleichgewichte müssten beseitigt werden, es müsse für alle Menschen angemessenen Wohnraum, öffentliche Verkehrsmittel, Gesundheitsversorgung und soziale Hilfen geben, Konflikte müssten gelöst und Diskriminierung bekämpft werden.

Investitionen lohnten sich finanziell: gesündere Menschen seien produktiver und brauchten weniger ärztliche Hilfeleistungen. Nichts zu tun sei dagegen immens teuer.

Nur hätten viele arme Länder kein Geld für höhere Investitionen, weil sie unter Schulden ächzen: 3,3 Milliarden Menschen lebten nach WHO-Angaben im vergangenen Jahr in Ländern, die mehr Geld für Zinsen ausgaben als für Gesundheit und Bildung zusammen. (dpa)


Aus: "Soziale Ungerechtigkeit tötet: 33 Lebensjahre Unterschied zwischen arm und reich" Christiane Oelrich (07.05.2025)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/soziale-ungerechtigkeit-totet-33-lebensjahre-unterschied-zwischen-arm-und-reich-13646185.html

Link

Quote[...] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nach einem zehn Jahre dauernden Rechtsstreit einem Demonstranten Recht gegeben, der bei den Protesten gegen die Europäische Zentralbank im Jahr 2015 ein selbstgebasteltes Visier in Form einer Plastikfolie dabei hatte – und dafür in Deutschland verurteilt worden war. Die deutschen Gerichte hatten die Plastikfolie als sogenannte Schutzbewaffnung eingestuft. Dies sah das Europäische Gericht nun anders: Die deutschen Gerichte hätten nicht dargelegt, warum das Tragen eines provisorischen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle.

Rechtsanwalt Mathes Breuer, der den Demonstranten verteidigt hatte, sagt: ,,Das heutige Urteil stärkt die Versammlungsfreiheit. Wer auf Versammlungen nur sich selbst schützen will, ohne jemanden zu gefährden, darf deshalb nicht bestraft werden. Der Gesetzgeber muss nun das Urteil umsetzen und das Versammlungsgesetz dringend reformieren."

Laut dem Anwalt hatte das Bundesverfassungsgericht im März 2020 eine Klage seines Mandanten Benjamin Ruß abgelehnt. Der reichte daraufhin im September 2020 Klage in Straßburg ein. Zuvor war er durch das Landgericht Frankfurt wegen Schutzbewaffnung auf einer Kundgebung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte das Urteil damals bestätigt.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte dem Demonstranten die Konstruktion aus einer Overhead-Folie und einem Gummiband als sogenannte Schutzbewaffnung ausgelegt. Der EGMR stellte nun fest, dass die Urteile gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Das Urteil könnte laut dem Klagenden und seinem Anwalt Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit in Deutschland haben. In der Pressemitteilung heißt es, dass die Mehrheit der deutschen Gerichte § 17a Absatz 1 des Versammlungsgesetzes bisher dahingehend interpretiert habe, dass jeder Gegenstand, mit dem sich Versammlungsteilnehmer schützen wollen, verboten sei – unabhängig davon, ob andere dadurch gefährdet werden oder nicht. Dieser Ansicht habe der EGMR eine deutliche Absage erteilt und festgestellt, dass diese Interpretation gegen die Versammlungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße.

Die Praxis der Plastikfolien mit Gummiband war eine Zeit lang bei Aktionen des zivilen Ungehorsams üblich, um sich vor Pfefferspray durch die Polizei zu schützen. Der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstrierende wird seit Langem von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Amnesty International monierte unter anderem den unverhältnismäßigen Einsatz der Reizstoffe.

In kriegerischen Auseinandersetzungen ist der Einsatz von Pfefferspray laut dem Genfer Protokoll verboten. Anders ist die rechtliche Situation beim Gebrauch durch die Polizei gegen Zivilisten in Deutschland. Er ist recht lax geregelt, wird häufig rechtswidrig eingesetzt und es gibt zudem unzureichende Dokumentationspflichten für die Beamt:innen. Dabei können die chemischen Stoffe gefährliche gesundheitliche Schäden verursachen.

Das kritisiert auch Benjamin Ruß: ,,In Deutschland gilt Straffreiheit für Polizeibeamte, die Pfefferspray auf Versammlungen völlig willkürlich einsetzen. Mit diesem Urteil wird klargestellt: Schutz gegen Polizeiwillkür ist ein Menschenrecht."


Aus: "Urteil zu Versammlungsfreiheit: Plastikfolie ist keine Schutzbewaffnung" Markus Reuter (20.05.2025)
Quelle: https://netzpolitik.org/2025/urteil-zu-versammlungsfreiheit-plastikfolie-ist-keine-schutzbewaffnung/

QuoteAndreas sagt:   
21. Mai 2025 um 11:49 Uhr   

Wie sieht es denn jetzt mit einer Taucherbrille aus? Die gefährdet ja wohl auch niemanden, oder?


...