[...] In den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen schließen sich unterschiedliche Milieus gegen „die da oben“ zusammen, beobachtet der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß. Der Glaube an eine „alternative Weltsicht“ verbinde Esoteriker, Fundamentalisten und Rechtsextreme, sagte er im Dlf.
Christian Röther: Herr Grünschloß, was verstehen Sie als Religionswissenschaftler unter dem Begriff „Esoterik“?
Andreas Grünschloß: Der Begriff Esoterik ist etwas schwammig, wird auch meistens heute etwas breiig gebraucht. Zunächst mal bezeichnet er das Innere – oder auch dann in seiner Verwendung häufig das Geheime. Also gerade im religiösen Zusammenhang spricht man von esoterischen religiösen Traditionen, also solche Traditionen, wo der Zugang zu dem eigentlichen wichtigeren religiösen Wissen nicht allen zugänglich ist, sondern nur einem Kreis von Eingeweihten. Also religiöse Traditionen, die so eine Art Initiation brauchen, um die Leute eben in bestimmten Stufen eventuell auch an die inneren Geheimnisse heranzuführen. Man könnte sagen: Esoterische Religiosität ist eigentlich eine Geheimreligiosität.
Das Ganze ist dann so ein bisschen ein Widerspruch, weil eigentlich bezeichnen wir mit Esoterik heute alle die nicht in großen, verfassten religiösen Traditionen operierenden Diskurse, sondern Gruppierungen oder auch Einzelakteure, die eine modernere, alternative Weltsicht, häufig auch eben durch Inputs aus verschiedenen religiösen Traditionen, betreiben.
Und wenn man versuchen möchte, zusammenzustellen, was charakterisiert das, was wir mit Esoterik meinen, dann meinen wir damit eben religiöse Weltdeutungen, die zum einen eine Art von einem spirituellen höheren Selbst im Menschen annehmen – also, wenn man mit einem indischen Begriff arbeiten möchte, eine „Atman“-artige Seelensubstanz, die den Kern der eigentlichen Person bildet.
Daher finden Sie eigentlich auch fast durchgängig in den esoterischen Traditionen die Vorstellung von Wiedergeburt beziehungsweise Reinkarnation, dass eben genau dieser Seelenkern sich immer wieder verkörpert. Teilweise ist das auch weltbildartig dann ausgeweitet, dass eben auch das gesamte Universum, die gesamte Welt lebendig ist – also die Gaia-Hypothese, dass auch die Erde ein Organismus ist, eben auch so eine Atman-artige Seelensubstanz besitzt. Also das wäre so der eine Punkt, der sehr häufig anzutreffen ist.
Dann Entsprechungen zwischen dem, was im Mikrokosmischen und im Makrokosmischen vorgeht. Also ein bestimmter Laut, so wie in der indischen Mantra-Meditation, hat eine Auswirkung nicht nur auf meine Psyche und auf meine Seele, sondern setzt in der Umgebung auch makrokosmische Entsprechungen heraus. Das Paradebeispiel wäre etwa die Transzendentale Meditation des Maharishi Mahesh Yogi, der gesagt hat, wenn ein bestimmter Prozentsatz von Meditierenden in einer Stadt sind, dann wird die Kriminalitätsrate runtergehen, wird das sofort eine Auswirkung auf den Makrokosmos haben. Und solche Thesen gab es dann jetzt auch in der Coronazeit, dass eben durch den Einsatz von Meditation tatsächlich auch das Virus wegmeditiert, eingedämmt werden könne.
Röther: Und jetzt fällt der Begriff Esoterik eben öfters in Zusammenhang mit den Corona-Protesten in Berlin jetzt am Wochenende, aber auch schon vorher. Inwiefern passt dieser Begriff Esoterik auf die Menschen dort, oder auf Teile der Menschen dort, die da gegen die Anti-Corona-Maßnahmen protestiert haben?
Grünschloß: Also in dem Falle, wo es um eine religiös motivierte – die Menschen, die so was vertreten, nutzen nicht so gerne den Begriff Esoterik für sich, zumindest nicht mehr, das war in den 80er- und 90er-Jahren noch ein bisschen anders, häufig ist heute der Esoterik-Begriff so mit Dubiosität und „spinnerter“ Weltsicht verbunden im öffentlichen Sprachraum.
Aber was wir häufig haben, die Idee oder die Sehnsucht danach, den Graben zwischen einer materialistisch ausgerichteten Naturwissenschaft und der spirituell-religiösen, geisteswissenschaftlichen Dimension des Menschen zu überbrücken. Das findet sich seit dem 19. Jahrhundert als durchgehender Tenor bis heute, eine holistische, neue, integrale Wissenschaft zu entwickeln, die beides überbrückt. Deswegen eben auch Offenheit für alternative Heilverfahren, alternative Wissenschaftskonzeptionen.
Und gerade im Bereich von Corona kann man dann natürlich zu Thesen kommen, dass hier eine andere Form von Heilung möglich sein muss als das, was die Autoritäten sagen. Dass vielleicht das, was vorgeschoben wird vor Corona, was ganz anderes ist, dass ganz andere Akteure im Hintergrund virulent sind. Also die Affinität zu Verschwörungstheorien, weil man eben an eine integralere, umfassendere Weltsicht glauben möchte, das ist ein Motiv, das nun Verschwörungstheoretiker, esoterisch gestimmte Menschen, aber auch zum Teil eher rechtslastige Leute oder auf der anderen Seite auch fundamentalistisch-christlich orientierte Leute wieder miteinander vereinen kann bei so einer Demonstration, weil sie sagen, wir kämpfen im Prinzip gegen denselben Feind. Das, was die da oben uns erzählen wollen, ist nicht die wahre Sache, wir haben hier eine alternative Weltsicht. Das wäre so ein vager Anlaufversuch, wo gibt es da Affinitäten.
Röther: Jetzt gibt es Aufnahmen vom Wochenende, wo Menschen dort „Hare Krishna, Hare Rama“ singen am Brandenburger Tor im Kontext dieser Proteste. Also ein Mantra aus dem Hinduismus, das auch aus neuen religiösen Bewegungen, aus der Hare Krishna-Bewegung eben, ISKCON, bekannt ist. Es verwundert auf den ersten Blick trotzdem, dass es jetzt da in Berlin am Wochenende zu hören war. Hat es Sie auch verwundert?
Grünschloß: Natürlich, klar. Ich hätte gedacht, wenn das jetzt eine Demo gewesen wäre in den 70er-Jahren, dann ist das klar, dann haben alle noch irgendwie George Harrison „My Sweet Lord“ im Kopf und haben auch die Bilder von missionierenden Hare Krishna-Anhängern, also die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, die ihre Büchlein verteilen auf den Straßen. In der Spät-Hippie-Zeit war das immer noch so im Diskurs. Das ist es ja heute eigentlich nicht mehr, auch die Hare-Krishna-Gemeinschaft ist ja weitestgehend aus der sichtbaren Oberfläche vielfach verschwunden.
Aber da war offenbar eine Gruppe dabei, die eben typisch da mit ihren Trommeln unterwegs waren und dieses Mantra gechantet haben. Das ist eben eine neo-hinduistische Bewegung, die in den 60er-Jahren entstanden ist in New York durch Swami Prabhupada, der als neo-hinduistischer Missionar in den Westen kam, um eben die Gottesliebe in Gestalt der Krishna-Verehrung unter die Menschen im Westen zu bringen. Aber das ist eher, würde ich sagen, ein Zufall, dass die halt auch dort waren und dass dann andere da miteinstimmen in den Gesang.
Wie der eine Reporter, der es dann nicht mal identifizieren konnte, was singen die da, was ist das, kenne ich gar nicht. Das ist eigentlich eher anachronistisch fast und eher ein Zufallsprodukt, dass hier nun, weil da eben ein paar Hare Krishna-Anhänger eben das gesungen haben, dann auch mehrere da miteingestimmt haben. Das würde ich jetzt erst mal aus der Ferne versuchen so zu diagnostizieren – so wäre mein Eindruck zumindest.
Röther: Aber, was Sie auch schon sagten, es ist dann ja wiederum kein Zufall, dass eben Menschen, die dieses Mantra kennen, weil sie eben in esoterischen Kontexten unterwegs sind, dort anzutreffen sind. Um das noch mal aufzugreifen, Sie haben es eben schon angedeutet, weil die durchaus eben, ich sage mal weltanschauliche Berührungspunkte haben eben mit Reichsbürgern, Menschen, die an Verschwörungen glauben, Rechtsextremisten. Trifft man sich da in dieser gemeinsamen Ablehnung der bestehenden Ordnung oder in der Esoterik, was Sie genannt haben, dass man sich im Besitz einer höheren Wahrheit eben wähnt?
Grünschloß: Ja, das wäre schon so eine Gemeinsamkeit, das man sagt, die Welt ist hintergründiger als das, was uns die etablierten Medien, die etablierten Wissenschaften und natürlich auch die etablierten politischen Autoritäten weismachen wollen. Dieser Vorbehalt gegenüber der, ich sage mal Oberfläche der etablierten Diskurse, das wäre etwas, was sie alle gemeinsam haben.
Es kommt noch meines Erachtens ein wichtiger Punkt mit hinzu: Das ist, dass aufgrund der – trotz allen kleineren Fehlern, die man gemacht hat, aber doch auch aufgrund der relativ umsichtigen Corona-Politik, die in Deutschland relativ schnell dann ja begonnen hat als es klar wurde, die Pandemie droht, kennen die meisten von uns hier in Deutschland das Virus eigentlich nur vom Hörensagen. Und von daher ist es relativ leicht, zu behaupten, das ist unplausibel und der Lockdown, das alles ist überzogen, da ist eine andere Motivation dahinter als das, um diese angebliche Krankheit zu verhindern.
Gerade in der Anfangsphase der Corona-Pandemie gab es ja eine Fülle von esoterischen oder sagen wir mal „alternativen“ Deutungen dessen, was hier im Gange ist: Dass es sich hier gar nicht um ein Virus handelt, sondern das sind Strahlen der Übertragungsmasten und what have you. Also eine ganze Reihe von alternativen Deutungsmustern.
Und das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Wir kennen es nur vom Hörensagen – und wenn man dann mit Beeinträchtigungen leben muss, dann kann man sich natürlich relativ leicht darüber hinwegsetzen und behaupten, diese ganzen Reduzierungsvorschriften, die sind unplausibel, ich kenne überhaupt niemanden, der das Virus gehabt haben soll. Das kommt auch noch mit hinzu.
Und dann eben das gepaart, sei es nun aus einer alternativen politischen Utopie, also ich sage mal einer Reichsbürger-affinen Ideologie heraus oder sei es aus einer esoterischen Weltdeutung heraus, wo man sagt, hier sind gewisse Mächte im Gange, die im Hintergrund ihre Fäden ziehen, auch in der esoterischen Weltdeutung gibt es ja Verschwörungstheorien, es muss nicht, aber es gibt sie, und so können dann natürlich so bestimmte Argumentationsmuster sich ergänzen. Und dass man zumindest da dann sich auf einer Demo zusammenfinden kann und sagen, wir haben einen gemeinsamen Feind, und das sind die etablierten, diskursmächtigen Größen, die uns hier was weismachen wollen.
Aus: "Esoterik, Rechtsextreme und Proteste gegen Corona-Maßnahmen „Gegen denselben Feind“" Andreas Grünschloß im Gespräch mit Christian Röther (02.09.2020)
Quelle:
https://www.deutschlandfunk.de/esoterik-rechtsextreme-und-proteste-gegen-corona-massnahmen.886.de.html?dram:article_id=483421-
[...] Als am 28. Februar 1933 der Reichstag brannte, wurden die Flammen zum Fanal des Untergangs. Sie markieren das Ende der ersten deutschen Demokratie. Hitler, vier Wochen zuvor zum Reichskanzler ernannt, nutzte das Ereignis, um mittels der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ seine Macht auszubauen. Am vergangenen Wochenende war das Reichstagsgebäude wieder Schauplatz einer bizarren Versammlung. Antidemokraten versuchten, ein Zeichen zu setzen.
Die Grundrechte der Weimarer Verfassung galten nicht länger. Gegner des Nationalsozialismus, unter ihnen viele kommunistische Abgeordnete, wurden inhaftiert. Erste Konzentrationslager entstanden. Angst regierte. Wer konnte, floh. Der Theaterkritiker Alfred Kerr tauchte unter und rettete sich nach Prag. Seine Tochter Judith Kerr beschreibt den Abschied in ihrem Erinnerungsbuch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“.
Vorhergesagt worden war der Reichstagsbrand von Erik Jan Hanussen. Der „Hellseher“ hatte das Übernatürliche zum erfolgreichen Geschäftsmodell gemacht. In seiner „bunten Wochenschau“, einer astrologischen Zeitschrift mit einer sagenhaften Auflage von 140 000 Exemplaren, schrieb er von einem bevorstehenden kommunistischen Anschlag. Als er am 26. Februar 1933 in der Lietzenburger Straße einen „Palast des Okkultismus“ eröffnete, orakelte er über einen Großbrand.
Hanussen hieß in Wirklichkeit Hermann Chajm Steinschneider, er war auch kein Däne – wie er behauptete –, sondern Österreicher und hatte seine Karriere als Zauberkünstler begonnen. Obwohl er Jude war, begeisterte er sich für Hitler. Hanussen/Steinschneider ist im März 1933 von einem SA-Kommando verhaftet und „auf der Flucht“ erschossen worden. Lion Feuchtwanger diente er als Vorbild für den Telepathen Oskar Lautensack in seinem Gesellschaftsroman „Die Brüder Lautersack“.
Die Verbindung von Esoterik, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus, wie sie sich bei der von der Initiative Querdenken 711 veranstaltete Berliner Corona-Demonstration zeigte, hat eine lange Tradition. Sie reicht mindestens ins 19. Jahrhundert zurück, im Kern handelt es sich bei dem ideologischen Amalgam um eine Gegenbewegung zur Moderne und ihren Zumutungen. Dabei flossen Heilserwartungen und Fortschrittsskepsis ineinander, immer schon ging es um alternative Wahrheiten. Auf komplizierte Fragen mussten einfache Antworten gefunden werden. Manchmal wurden sie auch von Toten gegeben, die bei spiritistischen Sitzungen zu reden begannen.
Esoterik, im Altgriechischen der Begriff für Innerlichkeit, bezeichnet einen anti-intellektuellen Weg zur Erkenntnis, der nur demjenigen zugänglich ist, der sich spirituell öffnet. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, von dem Historiker Joachim Radkau „Zeitalter der Nervosität“ genannt, war eine Ära rasanten technischen Aufschwungs, boomender Industrialisierung und mäandernder Sinnsuche. Zwar waren Dampflok, Telegraf und das elektrische Licht erfunden worden. Doch was fehlte, war Orientierung.
In seinem Roman „Der Zauberberg“ beschreibt Thomas Mann gleich zwei Wunder. Die in einem Schweizer Sanatorium versammelte Gesellschaft von Kranken und Genesenden lauscht staunend der aus einem Grammophon klingenden Musik, „es war ein strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses“.
Kurz danach werden tischerückend Geister angerufen. „Ist eine Intelligenz zugegen?“, wollen die Patienten wissen. Nach kurzem Zögern kippt das Glas auf dem Tisch, was heißt: Der Geist bejaht. Thomas Mann hatte selbst an einer spiritistischen Sitzung teilgenommen, bei der ein Taschentuch zum Schweben gebracht wurde. Eine Erfahrung, über die er später spottete.
Man mag den wilhelminischen Spuk für Hokuspokus halten, aber unterscheidet ihn wirklich so viel von den Methoden heutiger Kryptoaktivisten und Parawissenschaftler? „Mainstream“-Bezweifler erkennen in den Kondensstreifen von Flugzeugen („Chemtrails“) Bedrohungslagen oder besitzen Geheimwissen über unterirdische Menschenexperimente („QAnon“). Und ist tatsächlich sicher, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe? In den Tiefen des Internets lassen sich die wildesten Thesen finden.
Esoterik ist eine Form der Gegenaufklärung. Sie unterliegt Moden, alles kehrt irgendwann wieder. Um 1900 war der Wunsch nach einem radikalen Neuanfang, nach Umdenken und Alternativen besonders groß. In der Lebensreformbewegung bündelten sich Sehnsüchte. Zu ihrem Symbol wurde der Monte Verità, Berg der Wahrheit, im Schweizer Kanton Tessin.
Dort trafen sich Pazifisten, Vegetarier, Aussteiger, Theosophen und Sonnenanbeter und schufen eine modellhafte, auf Partizipation und Gleichheit beruhende Kommune. Der Wunsch, zur Natur zurückzukehren, war groß. Nietzsche hatte in seinem Buch „Jenseits von Gut und Böse“ den „homo natura“ zum Vorbild ausgerufen.
Hermann Hesse kletterte nackt über Felsen, schlief in einer Holzhütte und ernährte sich von Beeren. Er hoffte, wie in seinem autobiografisch grundierten Roman „Peter Camenzind“ formuliert, „auf den Herzschlag der Erde zu hören, am Leben des Ganzen teilzunehmen“. Auch Erich Mühsam reiste an, sah sich aber von seiner Vision eines „großen sozialen Versuchs“ enttäuscht.
Den Ernährungsregeln widmete er ein Schmähgedicht: „Wir essen Salat, ja wir essen Salat / Und essen Gemüse von früh bis spat. / Auch Früchte gehören zu unsrer Diät./ Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht.“
Am Ende zerstritten sich die Gründer der Bergbehausung, wobei es auch um die Frage ging, wie sehr die Unterkunft kommerzialisiert werden solle. Doch die Ideen, die dort den Schritt von der Theorie in die Praxis schaffen sollten, leben weiter. Sie finden sich noch bei den Grünen, die sich 1980 in ihrem ersten Parteiprogramm gegen eine „eindimensionale Produktionssteigerungspolitik“ wandten und forderten, „uns selbst und unsere Umwelt als Teil der Natur zu begreifen“. Die Lebensreformbewegung, zu der auch Rudolf Steiners Anthroposophie gehört, verzweigte sich in sozialistische, anarchistische und völkische Stränge.
Verzicht zu üben, aufs Land zu ziehen und sich selbst zu ernähren, das blieb der Versuch, eine Utopie im Kleinen zu verwirklichen. Während der Weimarer Republik ließen sich mitunter linke gleich neben rechten Projekten nieder. „Heimland“ nannte sich eine völkische Siedlung bei Rheinsberg, ins Leben gerufen von einem antisemitischen Publizisten. Nur wenige Kilometer weiter bei Neuruppin orientierte sich die Handwerkerkommune Gildenhall an sowjetischen Wirtschaftsformen und der Bauhaus-Ästhetik.
War der Nationalsozialismus nicht auch eine anti-rationale Bewegung, vielleicht die größte, die Deutschland hervorgebracht hat? Ihre Ideologie entwickelte sich aus rassistischen, sozialdarwinistischen und pseudoreligiösen Versatzstücken. 1943 – dem letzten Jahr, aus dem gesicherte Zahlen vorliegen – hatte die NSDAP 7,7 Millionen Mitglieder.
Aus: "Esoterik und Extremismus: Geister, die sie rufen" Christian Schröder (02.09.2020)
Quelle:
https://www.tagesspiegel.de/kultur/esoterik-und-extremismus-geister-die-sie-rufen/26144918.html-
[...] Sie sprechen von "Menschlichkeit" und der "Harmonie des Universums", doch ihre Ideologie ist rassistisch. Sie halten sich für unpolitisch, aber bejubeln Holocaustleugner und besuchen Seminare von Rechtsextremen. Seit Monaten versuchen Anhänger der sogenannten "Anastasia-Bewegung", im Großraum Berlin Fuß zu fassen. An diesem Montag wollen sie sich auf einem Hof im Nordwesten Brandenburgs zur gemeinsamen Feier der Wintersonnenwende treffen.
Die Veranstaltung findet auf einem Hof bei Putlitz im Landkreis Prignitz statt. Organisiert wird sie von den Gründern des geheimen Telegram-Kanals „Familienlandsitz & Siedlungsforum“, in dem sich derzeit 3300 Anhänger vernetzen.
Bei der Anastasia-Bewegung handelt es sich um einen ökoesoterischen Kult, der Menschen verspricht, sie könnten übersinnliche Fähigkeiten wie Hellsicht und Telepathie erlangen, wenn sie nur als Selbstversorger in die Natur ziehen . Sektenbeauftragte und Experten warnen, die Bewegung sei eine "Rutschbahn in den Rechtsextremismus". Neugierige, die lediglich im Einklang mit der Natur leben wollten, würden mit Ideen der Rassenlehre und brauner Esoterik indoktriniert.
Geistiges Idol der Bewegung ist eine Romanfigur: eine junge Frau namens Anastasia, die angeblich in der Wildnis Sibiriens lebt. Erschaffen wurde sie vom russischen Autor Wladimir Megre, 70.
Sehr aktiv in der Gruppe ist der Rechtsextremist Frank Willy Ludwig aus Liepe bei Eberswalde. Er berät und belehrt Neuankömmlinge im Forum, klärt über die Bedeutung von Runen und Hexagrammen auf, möchte nach eigener Auskunft mit seinen "Erfahrungen dienen".
Frank Willy Ludwig sagt, sein Auftrag sei, „das arische Wissen in den Stämmen wieder zu erwecken“. Ludwig hält deutschlandweit Vorträge, in denen er etwa über die „Gesetze der Reinheit des Blutes“ spricht und erläutert, warum die Menschenrassen unter sich bleiben sollten: Mischlinge hätten das Problem, nicht zu wissen, zu welchen Ahnen sie Kontakt halten sollten.
Zudem besitze jede Rasse ihre „eigenen Wahrnehmungskanäle“. Arier hätten 16, Asiaten zwölf, Schwarze sechs. Arier seien eigentlich Außerirdische und kämen vom Sternbild des Kleinen Wagens. Einmal sei versucht worden, „den Schwarzen ein Gewissen einzupflanzen“, doch dann habe „man gemerkt, an den Genen darf man nicht rumpfuschen“.
In der Telegram-Gruppe, die zur Feier am Montag einlädt, ist Ludwig eine Respektsperson. Andere Mitglieder loben ihn für sein Wissen und seine Erklärkünste. Er selbst sieht sich als "göttliches Wesen bedingungsloser Liebe". Ludwig wirbt in der Gruppe auch für eine mehrtägige Reise nach Rügen, die er für Interessierte organisieren will. Dort könne er, gegen einen Unkostenbeitrag von 360 Euro, über wichtige Zusammenhänge aufklären.
In der Gruppe werden Tipps zur Verwendung von Heilkräutern geteilt, aber auch Holocaustleugner wie Ursula Haverbeck und Horst Mahler bejubelt. Nicht alle Forenteilnehmer haben die Anastasia-Bücher gelesen, einige wissen daher nichts von dem dort gepredigten Antisemitismus. Der Anastasia-Erfinder Wladimir Megre schreibt in einem Band etwa, Juden seien programmierte „Bio-Roboter“. Sie hätten „die Presse verschiedener Länder unter ihre Kontrolle gebracht“, die globalen Geldströme würden „zum größten Teil von Juden kontrolliert“. Seit Jahrtausenden versuchten sie, „mit allen Mitteln so viel Geld wie nur möglich in ihren Händen zu konzentrieren“.
Einer, der die Umtriebe der Anastasia-Bewegung seit längerem verfolgt, ist der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Martens. Im November hat er der Bundesregierung die Frage gestellt, ob die Anastasia-Bewegung inzwischen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder anderen Diensten beobachtet werde - und eine bemerkenswerte Auskunft erhalten. Zum Beobachtungsstatus der Bewegung könne man keine Antwort geben, heißt es in der Antwort des Innenministeriums. Und weiter: "Die angefragten Informationen sind so sensibel, dass auch die geringfügige Gefahr eines Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann."
Dies ist erstaunlich, denn erst im vergangenen Jahr hatte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) eine ähnliche Anfrage zur Anastasia-Bewegung gestellt. Damals wurde eine Beobachtung noch eindeutig ausgeschlossen.
Wo genau die Feier zur Wintersonnenwende stattfindet, haben die Organisatoren lange geheim gehalten. Die exakten Koordinaten, die zu einem Hof am Rand von Lütkendorf, einem Ortsteil der Stadt Putlitz, führen, wurden erst an diesem Wochenende verschickt. Ob der Betreiber der Hofs von der Gesinnung der Feiernden weiß, ist unklar. Für den Tagesspiegel war er am Sonntag nicht zu erreichen.
Dass die Feier wegen der hohen Infektionszahlen sowieso nicht stattfinden dürfte, ist den Anastasianern egal. Viele von ihnen leugnen die Existenz des Virus. Frank Willy Ludwig warnt allerdings davor, sich auf Corona testen zu lassen. Diese Gelegenheit würde von den Herrschenden zur Zwangsimpfung genutzt.
Aus: "Rechte Öko-Sekte „Anastasia-Bewegung“: Wo die Anhänger der Rassenlehre am Lagerfeuer feiern" Sebastian Leber (20.12.2020)
Quelle:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/rechte-oeko-sekte-anastasia-bewegung-wo-die-anhaenger-der-rassenlehre-am-lagerfeuer-feiern/26735250.html-
[...] Eine Mehrheit der AfD-Anhänger hält eine "Corona-Verschwörung" einer Umfrage zufolge mindestens für wahrscheinlich. In der von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 24 Prozent der AfD-Anhänger an, "es handele sich bei der Corona-Pandemie um eine Verschwörung zur Unterdrückung der Menschen", berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS). Weitere 41 halten dies demnach für wahrscheinlich.
Auch jenseits der AfD finden sich Anhänger von Corona-Verschwörungstheorien. Jeder Elfte - neun Prozent - hält es für wahrscheinlich, dass die Pandemie nur ein Vorwand zur Unterdrückung der Menschen ist. Weitere fünf Prozent sind sich da sogar sicher. Nach Parteien unterschieden sind bei Anhängern von Union, SPD und Linken neun bis zwölf Prozent sicher oder halten es für wahrscheinlich, dass es sich bei der Pandemie um eine Unterdrückung handelt, so die "FAS".
Trotz dieser Zahlen hat der Glaube an eine Weltverschwörung insgesamt aber abgenommen, heißt es dem Bericht zufolge in der Studie weiter. Vor der Corona-Krise seien elf Prozent der Deutschen sicher gewesen, die Welt werde durch geheime Mächte gesteuert - nun sind es noch acht Prozent. Vor Corona hielten weitere 19 Prozent es für wahrscheinlich richtig, dass geheime Mächte die Welt steuern - jetzt seien es mit 16 Prozent ebenfalls weniger. Nur bei AfD-Anhängern sei der Glaube an eine Weltverschwörung weiter gestiegen.
Quelle: ntv.de, jhe/AFP
Aus: "Umfrage zu Verschwörungstheorien Viele AfD-Wähler halten Corona für Erfindung" (Sonntag, 20. Dezember 2020)
Quelle:
https://www.n-tv.de/politik/Viele-AfD-Waehler-halten-Corona-fuer-Erfindung-article22247897.html