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[Urbanistik & Stadtforschung & Widerstand... ]

Started by Link, April 21, 2011, 01:05:44 PM

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Quote[...] Der Preisanstieg bei Wohnimmobilien hat sich beschleunigt. Nach vorläufigen Auswertungen des Statistischen Bundesamtes lag der sogenannte Häuserpreisindex im zweiten Quartal 2021 um 10,9 Prozent über dem Wert des Vorjahresquartals – der stärkste Anstieg seit Beginn der Statistik im Jahr 2000. Im ersten Vierteljahr des laufenden Jahres waren die Kaufpreise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser innerhalb eines Jahres nach jüngsten Berechnungen durchschnittlich noch um 8,9 Prozent gestiegen.

Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser verteuerten sich im Frühjahr 2021 gegenüber dem Vorquartal im Schnitt um 3,7 Prozent. "Die Preise stiegen sowohl in den Städten als auch in ländlichen Regionen deutlich", heißt es im Bericht des Bundesamtes.

Besonders kräftig stiegen die Preise in den sieben Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf. In diesen Städten erhöhten sich die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um 14,7 Prozent, Eigentumswohnungen verteuerten sich um 12,9 Prozent. In den anderen kreisfreien Großstädten stiegen die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um 11,9 Prozent binnen Jahresfrist, Eigentumswohnungen kosteten dort 10,5 Prozent mehr.

Auch in dünn besiedelten ländlichen Kreisen stiegen die Häuserpreise um 11,8 Prozent, die Preise für Wohnungen um 9,2 Prozent. In den Werten sind die Nebenkosten eines Immobilienkaufs, zum Beispiel Maklerkosten, nicht abgebildet.


Aus: "Preisanstieg bei Wohnungen und Häusern beschleunigt sich" (24. September 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-09/statistisches-bundesamt-immobilienpreise-deutschland-2000-gestiegen

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Quote[...] Die Berlinerinnen und Berliner haben sich für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. 56,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten am Sonntag in einem Volksentscheid dafür, 39,0 Prozent lehnten das Vorhaben ab, wie die Landeswahlleitung am Montagmorgen mitteilte. Lediglich in den Berliner Bezirken Steglitz-Zehlendorf sowie Reinickendorf fand sich keine Mehrheit für den Volksentscheid.

Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey sicherte dem klaren Votum der Berlinerinnen und Berliner eine ernsthafte Prüfung zu. "Dieser Volksentscheid ist zu respektieren und die notwendigen Schritte sind einzuleiten", sagte Giffey im ARD-Morgenmagazin. Der politische Auftrag sei nun, dass die Umsetzbarkeit des Volksentscheids anhand eines Gesetzentwurfs geprüft werde.

Dabei äußerte Giffey allerdings Zweifel an der Umsetzbarkeit der mit dem Volksentscheid verbundenen Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne: "Wenn das nicht verfassungskonform ist, können wir es auch nicht machen." Giffey erneuerte auch ihre Position aus dem Wahlkampf zur Wahl des Abgeordnetenhauses, dass Enteignungen ihrer Meinung nach nicht zum Bau der benötigten neuen Wohnungen beitragen.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen hatte keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt, sondern eine Aufforderung an den Senat formuliert, sich damit auseinanderzusetzen. Dieser ist nicht an den Beschluss gebunden. Auf Twitter schrieb die Initiative, sie wolle den Gesetzgebungsprozess "eng begleiten". Betroffen wären alle privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt, ausgenommen die Genossenschaften. Nach Angaben der Initiative geht es um rund 240.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin. 

Auch nach Ansicht der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch muss die neue Berliner Landesregierung das Ergebnis des Volksentscheids ernstnehmen. "Das gehört in Koalitionsverhandlungen", sagte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch der Nachrichtenagentur dpa. Die Politik müsse prüfen, ob eine Umsetzung des Bürgervotums machbar sei. "Es gibt für ein solches Gesetz aber noch viele rechtliche und praktische Fragen zu klären."

Jarasch warb als Alternative für ihr Konzept eines Mietenschutzschirms, also eines freiwilligen Pakts zwischen Politik, Vermietern und anderen Beteiligten für Neubau und faire Mieten. "Die Wohnungsunternehmen haben das in der Hand", sagte Jarasch.

Erste Ergebnisse des Volksentscheids hatten lange auf sich warten lassen, weil die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zuerst die Stimmen zur Bundestagswahl, zur Abgeordnetenhauswahl und zur Bezirksverordnetenversammlung auszählen sollten und erst dann der Volksentscheid dran war.

In Berlin war es am Sonntag zudem vor zahlreichen Wahllokalen in der ganzen Stadt zu langen Warteschlangen gekommen. Wahlberechtigte mussten mitunter länger als eine Stunde anstehen. Der Bezirk Mitte meldete für das Wahllokal 100 zeitweise Wartezeiten von mehr als zwei Stunden.

Unbeeindruckt vom Volksentscheid hat der schwedische Immobilienkonzern Heimstaden rund 14.000 Wohnungen in Berlin gekauft. Das Unternehmen teilte am Sonntagabend mit, es erwerbe von Akelius insgesamt 17.600 Wohnungen in Berlin und Hamburg. Nach Angaben von Akelius befinden sich 14.050 in Berlin und knapp 3.600 in Hamburg. Der Abschluss des Geschäfts sei für Ende 2021 geplant, teilte Heimstaden weiter mit. Ein Preis wurde nicht genannt.   


Aus: "Mehrheit der Berliner stimmt für Enteignungen großer Wohnungskonzerne" (26. September 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-09/volksentscheid-berlin-deutsche-wohnen-und-co-enteignen

QuoteKultourist #6

Im Tagesspiegel war zu lesen, dass die überwiegende Mehrheit der Berliner Enteignungen nicht als Lösung sehen, aber eine knappe Mehrheit dafür stimmt.
Ist also eher ein Denkzettel an die Politik und nicht der Volkswille.


QuoteÜktzyxvR #6.1

Na, wenn der Tagesspiegel das sagt.


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"Verdrängung von Wagenplätzen in Berlin: Die Köpi ist eine Bremse" Peter Nowak (3.10.2021)
Am 15. Oktober soll der Wagenplatz des Hausprojekts Köpi geräumt werden. Dagegen demonstrierten am Samstag über 1.000 Menschen.
Es wurde daran erinnert, dass zunehmend Wa­gen­be­woh­ne­r*in­nen aus Berlin vertrieben werden, wie es aktuell an der Rummelsburger Bucht zu sehen ist, wo die Wagenburg Molli teuren Immobilienprojekten weichen muss und keinen Ausweichplatz hat. ,,Die Köpi war und ist eine reale Gentrifizierungsbremse", sagte eine Rednerin und verwies auf die nie fertiggestellten Rohbauten direkt vor dem Areal. Dort sind seit den 1990er Jahren Projekte geplant und warten seither vergeblich darauf, dass die Köpi geräumt wird.
Die Köpi-Unterstützer*innen haben in den letzten Monaten auch mit künstlerischen Interventionen versucht, die Räumung des Wagenplatzes zu verhindern. Unter dem Motto ,,Hands of(f) our Homes" entwickelte die Künstlerin Frauke Decoodt eine Postkartenserie. Damit sollte Berlins Innensenator Andreas Geisel aufgefordert werden, die Räumung des Köpi-Platzes zu stoppen.
Die Postkarten waren auch Teil einer Kunstausstellung in der Neuen Schule für Fotografie. ,,Der Slogan ,Hände weg von unseren Häusern' ist ein zentraler Satz bei vielen unserer Aktionen gewesen. Er wurde auch sehr groß auf die Seitenwand der Köpi gemalt", erklärt die Künstlerin gegenüber der taz. ...
https://taz.de/Verdraengung-von-Wagenplaetzen-in-Berlin/!5801355/

"Freiräume in Berlin: Køpi und Co. retten" Kolumne von Desiree Fischbach (6.10.2021)
Wieder droht die Räumung eines traditionsreichen alternativen Wohnprojektes. ...
https://taz.de/Freiraeume-in-Berlin/!5805348/

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#83
Quote[...] Bisher war es dem Kampfgeist und auch ein bisschen Glück zu verdanken, dass direkte Angriffe wie z.B. die Zwangsversteigerungen erfolglos blieben. Nun haben wir erfahren, dass die Stadt die Baugenehmigung für unseren Wagenplatz erteilt hat. Wir erwarten daher zeitnah die Kündigung und die Aufforderung den Platz zu räumen. ...


https://koepi137.net/koepi-wagenplatz.html (2021)

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Quote[...] Die Polizei kam am Freitagmorgen mit einem beträchtlichen Fuhrpark technischer Geräte zum ,,Köpi"-Wagenplatz in Berlin-Mitte. Mit Räumpanzern, Gerüsten, Motorsägen und auch Äxten begannen die Einsatzkräfte der technischen Einheit um 10.24 Uhr, den Zaun rund um das linksalternative Wagendorf aufzubrechen. Sie leisteten damit der Gerichtsvollzieherin Amtshilfe, die einen gerichtlichen Räumungsbescheid umsetzen ließ.

Die Bewohner:innen hatten den Zaun in den vergangenen Wochen mit Stahlplatten und Stacheldraht verstärkt, auch von innen war der Platz verbarrikadiert. Zudem verkündeten sie bereits vor Beginn der Räumung über einen Lautsprecher, dass sich einzelne Personen von hinten an die Barrikaden gekettet hätten.

,,Wenn ihr die Barrikade stürmt, nehmt ihr in Kauf, dass Leute sterben", schallte es über die Köpenicker Straße. Dazwischen immer wieder laute Musik, sowohl aus der ,,Köpi" – dem neben dem Wagenplatz gelegenen legalen linksalternativen Hausprojekt – als auch von mehreren Kundgebungen am Rande der polizeilichen Sperrzone. Dort hatten sich ein paar wenige Hundert Unterstützer:innen gesammelt, um gegen die Räumung zu protestieren.

Die Barrikaden hielten allerdings nur kurze Zeit Stand. Die Einsatzkräfte bearbeiteten den Zaun an mehreren Stellen gleichzeitig mit unterschiedlichen Gerätschaften. Dabei wurden sie immer wieder mit Flaschen und Steinen aus dem Inneren des Geländes beworfen und offenbar auch mit einem Feuerlöscher besprüht.

Zum Teil rammten die Einsatzkräfte den Zaun mit dem Räumpanzer. Direkt dahinter befanden sich allerdings, von außen klar erkennbar, Personen in den Bäumen.

Nach knapp 20 Minuten hatten die Einsatzkräfte ein Loch in den Zaun geschnitten, die ersten Beamt:innen betraten das Gelände. Dabei wurden sie laut Angaben von Polizeisprecherin Anja Dierschke, die ebenfalls vor Ort war, erneut attackiert.

Kurze Zeit später riss die Polizei auch ein großes Loch in den Zaun auf Höhe der Grundstücksgrenze. Nach und nach begannen die Einsatzkräfte, das Gelände zu räumen.

Die überwiegende Zahl der rund 40 Personen, die auf dem Platz waren, verließen ihn ohne Widerstand. Zwei Personen wurden von Polizeikräften rausgetragen. Als die Gerichtsvollzieherin um 13.17 Uhr das Gelände betrat, waren allerdings noch einige Menschen auf den Bäumen über ihr. Sie hatten sich festgekettet und brüllten Parolen wie ,,Hass, Hass, Hass wie noch nie" und beleidigten die Einsatzkräfte.

Erst gegen 15.25 Uhr gelang es der Polizei, die letzte verbliebene Person vom Gelände zu führen. Die Identitäten der rund 40 Menschen wurden festgestellt, dann durften sie wieder gehen. Sollten sich einzelnen von ihnen Straftaten, etwa Flaschenwürfe auf Beamt:innen, zuordnen lassen, würden Anzeigen gegen sie erstellt. Das sagte Polizeisprecherin Dierschke.

Insgesamt verlief die Räumung ihrer Aussage nach Plan. Rund um das Gelände blieb es verhältnismäßig friedlich. Bei den Kundgebungen am Rande kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant:innen und Polizei, dabei wurden mindestens 50 Menschen vorübergehend festgenommen, weil sie etwa Widerstand gegen Einsatzkräfte geleistet haben sollen.

Insgesamt waren laut einer Sprecherin rund 2000 Polizist:innen rund um die Räumung im Einsatz, die Polizei hatte dabei auch Unterstützung aus anderen Bundesländern.

Für den Freitagabend hatte die linke und linksradikale Szene zu einer sogenannten ,,Tag X"-Demo aufgerufen. Autonome kündigten Ausschreitungen an, um den Köpiplatz ,,zu rächen" – und so kam es auch. Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Abend in Kreuzberg. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Die Polizei verlor zeitweise die Kontrolle.

Für den Freitagabend hatte die linke und linksradikale Szene zu einer sogenannten ,,Tag X"-Demo aufgerufen. Autonome kündigten Ausschreitungen an, um den Köpiplatz ,,zu rächen" – und so kam es auch. Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Abend in Kreuzberg. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Die Polizei verlor zeitweise die Kontrolle.

Die Menge zog weiter durch die Oranienstraße. Vermummte zertrümmerten einige Scheiben des Oranien-Hotels. In der Adalbertstraße wurde ein Polizeiwagen angegriffen. Die Polizei brauchte fast eine halbe Stunde, um die Ausschreitungen zu unterbinden.

Danach zog die Demo weiter bis zur abgesperrten Köpenicker Straße. Vor der Köpi hatte die Polizei eine Sperre und einen Wasserwerfer aufgestellt. Der Demozug zog durch die Adalbertstraße. An der Ecke Oranienstraße löste der Versammlungsleiter die Demo offiziell auf. Ein Teil der Demonstrant:innen ging nach Hause. Doch noch kurz vor Mitternacht Beschäftigte eine große Gruppe von etwa 300 Menschen in der Oranienstraße die Polizeikräfte.

Am Samstagmorgen war dann wieder Ruhe eingekehrt. Nach der Demonstration sei die Nacht in der Hauptstadt sehr ruhig verlaufen, teilte die Polizei am Samstagmorgen mit.

Bereits in den Vortagen der Räumung hatte es Demonstrationen und Brandanschläge gegeben. In der Nacht zu Freitag zogen Autonome durch die Ritterstraße in Kreuzberg und demolierten mehrere Autos. Zuvor waren unter anderem Barrikaden in Brand gesetzt worden, zudem hatten Autonome mehrere Scheinbesetzungen verkündet.


Aus: "Berliner ,,Köpi"-Wagenplatz geräumt – Tausende bei ,,Tag X"-Demo am Abend" Julius Geiler, Madlen Haarbach, Christoph Kluge (16.10.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-im-grosseinsatz-berliner-koepi-wagenplatz-geraeumt-tausende-bei-tag-x-demo-am-abend/27710770.html

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"Auf zum letzten Gefecht" Dorian Baganz | Ausgabe 42/2021
Berlin Die Polizei räumt den Bauwagenplatz des legendären Wohnprojekts ,,Köpi". Eine Reportage darüber, wie die Stadt ihre letzten Freiräume verliert ... Es scheint, als ob der Staat jede Angst vor der autonomen Szene verloren hat. Die Räumung der Mainzer Straße im Jahr 1990 führte noch zu einer Straßenschlacht um die 13 besetzten Häuser in Friedrichshain, die rot-grüne Koalition in Berlin wurde daraufhin gesprengt. Dreißig Jahre später wählen die jungen Leute entweder FDP oder trommeln dafür, auf die ,,Wissenschaft" zu hören, um die Klimakatastrophe in den Griff zu kriegen. Da wirken ein paar gesichtstätowierte Autonome in der Köpi, die schreien, dass sie ,,unregierbar" seien, wie aus der Zeit gefallene Dinosaurier: Die kriegt die Obrigkeit schon unter Kontrolle. Um zwanzig nach zehn rollen Panzerfahrzeuge der Polizei an und rammen die Barrikade. Beamte flexen die Wellblech-Oberfläche des Schutzwalls weg. Sie schaffen auch eine Bühne her, auf die Einsatzkräfte klettern, um von dort aus den Stacheldraht kaputtzuschneiden, den die Köpi-Besetzer oben am Zaun angebracht haben. Es ist ein voyeuristisches Fest, bei dem sich die Presseleute versammeln, um möglichst martialische Bilder vor die Linse zu kriegen – während sie inständig hoffen, dabei keinen Pflasterstein auf den Kopf zu bekommen. ...
https://www.freitag.de/autoren/dorian-baganz/auf-zum-letzten-gefecht


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Quote[...] Rund 8,5 Millionen Menschen in Deutschland haben zu wenig Wohnraum. Im vergangenen Jahr lebten damit 10,3 Prozent der Bevölkerung in Wohnungen, die nach europäischer Definition als überbelegt gelten, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mitteilte. Menschen in Städten, Alleinlebende sowie Alleinerziehende und deren Kinder waren überdurchschnittlich häufig betroffen.

Als überbelegt gilt eine Wohnung, wenn sie über zu wenige Zimmer im Verhältnis zur Personenzahl verfügt. Das heißt konkret ein Raum pro Paar, das in dem Haushalt lebt, ein Raum für jede weitere Person ab 18 Jahren, ein Raum für zwei Kinder unter 12 Jahren, ein Raum für zwei Kinder desselben Geschlechts zwischen 12 und 17 Jahren, ein Raum je Kind zwischen zwölf und 17 Jahren, wenn sie unterschiedlichen Geschlechts sind.

Eine Überbelegung erlebten im Jahr 2020 mehr als 16 Prozent der Minderjährigen in Deutschland zu. Sie sind damit die Altersgruppe, die am häufigsten zu beengt wohnt. Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren lagen mit einem Anteil von elf Prozent leicht über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Hingegen lebten nur drei Prozent der ab 65-Jährigen zu beengt.

Gemäß europäischer Definition muss ein Ein-Personen-Haushalt mindestens zwei Zimmer haben, etwa ein Wohn- und ein Schlafzimmer, damit die Wohnung nicht als überbelegt gilt.

Die Überbelegungsquote in den deutschen Städten war demnach besonders hoch. Gut jeder Siebte (15 Prozent) hatte hier zu wenig Wohnraum zur Verfügung. In Kleinstädten und Vororten waren dagegen nur etwa halb so viele Menschen betroffen, hier wohnten 7,9 Prozent in überbelegten Wohnungen. Auf dem Land betraf dies nur 5,8 Prozent der Bevölkerung.

Gemäß europäischer Definition muss ein Ein-Personen-Haushalt mindestens zwei Zimmer haben (etwa ein Wohn- und ein Schlafzimmer), damit die Wohnung nicht als überbelegt gilt. Insgesamt 13 Prozent der Alleinlebenden wohnten in zu beengten Verhältnissen, beispielsweise in Ein-Zimmer-Appartements. Demgegenüber lebten nur 2,4 Prozent der Menschen in Haushalten mit zwei Erwachsenen in überbelegten Wohnungen.

Unter den Haushalten mit Kindern war die Überbelegungsquote bei Alleinerziehenden am höchsten – 29,9 Prozent der Alleinerziehenden und deren Kinder hatten zu wenig Wohnräume. Dagegen wohnten nur 7,3 Prozent der Haushalte mit zwei Erwachsenen und einem Kind sowie acht Prozent der Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern in solchen Verhältnissen.

Vergleiche mit Vorjahresergebnissen sind aufgrund der Neugestaltung der Erhebung im Jahr 2020 nicht möglich. Im EU-Vergleich hingegen waren die Überbelegungsquoten in Rumänien und Lettland mit 45,1 Prozent beziehungsweise 42,5 Prozent am höchsten. Die Inselstaaten Zypern (2,5 Prozent) und Malta (4,2 Prozent) hatten dagegen EU-weit 2020 am wenigsten mit Überbelegung zu kämpfen. (AFP/dpa/KNA)


Aus: "Zehn Prozent der Deutschen haben zu wenig Wohnraum" (04.11.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/minderjaehrige-besonders-betroffen-zehn-prozent-der-deutschen-haben-zu-wenig-wohnraum/27768378.html

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"Einer der letzten selbstverwalteten Freiräume Freiburgs vernichtetPlötzlicher Abriss der G19"
Am Montag, den 29.11.2021, gegen 8 Uhr morgens werden die zwei Häuser in der Gartenstraße 19 abgesperrt. Kurz darauf beginnen Abrissarbeiten. Damit wird einer der letzten selbstverwalteten, unkommerziellen Freiräume in Freiburg vernichtet. Bis vor kurzem wurden von den Besetzer*innen thematische Café-Nachmittage, unkommerzielle Veranstaltungen und das Gemeinschaftsbeet vor dem Gebäude gehegt und gepflegt. ...
https://rdl.de/beitrag/pl-tzlicher-abriss-der-g19

Die G19 verstehen wir dabei als anarchistischen Lern-, Vernetzungs-, Rückzugs- und Begegnungsraum, der dazu einlädt, sich nach eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten einzubringen. ...
https://g19freiburg.blackblogs.org/

Seit dem 23.04.2010 besetztes Häuschen in der Freiburger Innenstadt - bis am Tag der Räumung täglich vielseitig genutzt!
https://twitter.com/G19Freiburg

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Quote[...] Der schon länger angekündigte Abbruch des einst besetzten Häuschens G19 in der Freiburger Altstadt hat am Montagmorgen begonnen. Die Polizei hat die Gartenstraße für den Verkehr gesperrt.

In der Frühe rollte der Abrissbagger und die Abrissmannschaft an. Der Abbruch des Häuschens in der Gartenstraße läuft. Der Besitzer hatte eine Genehmigung für die Arbeiten erhalten, die schon längere Zeit angekündigt waren. Die Polizei hat am Morgen über den Beginn des Abrisses informiert, der von der Polizei abgesichert wird. Der Zugang zur Gartenstraße sei derzeit sowohl für Verkehrsteilnehmer als auch für Fußgänger nur eingeschränkt möglich, heißt es.

Das Haus und das zugehörige Hinterhaus waren seit dem April 2010 bis zum Mai dieses Jahres besetzt – mit Duldung des Besitzers. Als er diese Duldung beendete, hatten die Nutzerinnen und Nutzer vor knapp einem halben Jahr die beiden Gebäude verlassen – wenn auch nur unter Protest. Es gab vor Ort danach mehrere Kundgebungen. Am Montagmorgen blieb zunächst alles ruhig.

Die G19 war über die Jahre von verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Konzepten als Treffpunkt genutzt werden. Das Haus verfügt über keinen Wasser- und keinen Stromanschluss.

Der Eigentümer, der in Nordrhein-Westfalen lebt, sagte im Mai der Badischen Zeitung, dass er den Neubau eines Mehrfamilienhauses plane, der "in enger Abstimmung mit der Stadt Freiburg erfolgen soll". Das solle möglichst bald erfolgen, "eine Brachfläche ist nicht geplant und nicht gewünscht", so seine Aussage. Über die Genehmigungsfähigkeit eines möglichen Bauprojekts gibt es einen mehrjährigen Rechtsstreit.



Aus: "Besetztes Haus in Freiburg - Abbruch der G19 in der Gartenstraße hat begonnen" (Mo, 29. November 2021)
Quelle: https://www.badische-zeitung.de/abbruch-der-g19-in-der-gartenstrasse-hat-begonnen--206853887.html

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Quote[...] Entgegen den Aussagen des Eigentümers und der BZ gab es weder eine ,,Beendigung der Duldung", noch das ,,Verlassen des Hauses" der Nutzer*innen. Hier wurde kein leeres Gebäude abgerissen, sondern ein noch bis gestern Abend genutzter Raum zerstört.

Die G19 ist und war kein Störfaktor sondern eine Bereicherung für Freiburg. In den letzten 10 Jahren stellten die Räumlichkeiten einen wichtigen Knotenpunkt für viele kulturelle, politische und vor allem engagierte Menschen dar, denen jetzt buchstäblich das Dach wegfliegt
.
Während der Eigentümer das Haus nicht nutzte sondern verwahrlosen lies, kümmerten sich Menschen um dessen Erhalt und Nutzung. In den letzten Jahren wurde viel Energie in diese Räume gesteckt, um endlich einen Raum in Freiburg zu gestalten, der verschiedenen Bedürfnissen gerecht wird. Wieder einmal wird diesem Wunsch in Freiburg keinerlei Gehör geschenkt. Dieser Tag reiht sich ein in die Räumung und Zerstörung unkommerzieller Freiräume in Freiburg, wie zuletzt an der Schließung des Spätis deutlich wurde.


Aus: "Freiburg: Besetzte G19 und Bikekitchen wurden gestern abgerissen!" (30. November 2021)
Quelle: https://emrawi.org/?Freiburg-Besetzte-G19-und-Bikekitchen-wurden-gestern-abgerissen-1901

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#86
"Wohnungskrise zwischen Luxuswohnungen, Airbnb und verfallenen Hütten" (Betriz Ramalho da Silva,  11.01.2022)
Wohnungsmarkt Lissabon gilt als europäische Boomtown. Menschen und Kapital aus der ganzen Welt zieht es in die portugiesische Hauptstadt, die Mieten explodieren – mit katastrophalen Folgen für Mieter*innen und das soziale Stadtgefüge ...
https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/wohnungskrise-zwischen-luxuswohnungen-airbnb-und-verfallenen-huetten

Wealthy overseas buyers lured by 'golden visas' helped create a city where workers struggle to find homes
by Beatriz Ramalho da Silva
https://www.theguardian.com/world/2021/dec/22/luxury-homes-short-lets-and-shacks-inside-lisbons-housing-crisis

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"Explosion der Bodenpreise: Friede den Baugruben, Krieg den Goldgruben" (Benjamin Knödler | Ausgabe 08/2022 )
Bodenpreise Ein unbebautes Stück Land ist heute oft Millionen wert – vor allem in den Städten. Gleichzeitig steigen die Mieten immer weiter. Was bedeutet das für den urbanen Raum? Und vor allem: Was kann man dagegen tun? ... Um satte 2.308 Prozent sind die Baulandpreise zwischen 1962 und 2017 im bundesdeutschen Durchschnitt angestiegen. Im Durchschnitt, das heißt: mancherorts weniger, anderswo, und vor allem in den Städten, mehr. Besonders deutlich zeigt das der Blick auf das Extrembeispiel München. Zwischen 1950 und 2017 stiegen die Baulandpreise dort um sagenhafte 39.390 Prozent. Von durchschnittlich drei Euro auf 1.876 Euro pro Quadratmeter. ...
https://www.freitag.de/autoren/bennyk/so-wird-wohnen-wieder-bezahlbar

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"Kriegsmittel ,,Urbizid": Über die Zerstörung der Städte" (Ulrich van Loyen | Ausgabe 13/2022 )
Urbizide Von Mariupol gingen in den letzten Wochen Bilder von zerstörten Häuserfronten, ausgebrannten Autos und zerbombten Infrastruktur um die Welt. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn die Städte ausgelöscht werden? ... Als Michael Moorcock 1963 den Begriff des ,,Urbizids", des Stadtmords, kreierte, wollten er und andere Stadtsoziologen ihn eigentlich für die Gewalt der Umstrukturierung und Ghettoisierung in westlichen Metropolen reservieren. Also für Eingriffe, die häufig aus der Perspektive der administrativen Eliten angeordnet werden und die die subkutane Verflechtung, den Lebensnerv eines Ortes – oft genug kennt man ihn nicht, bevor man ihn durchschneidet – zerstören. Verkehrsknotenpunkte, Plätze, Boulevards, aber auch Schulen, Krankenhäuser, Parks machen aus einer Stadt mehr als eine Siedlung, sie verleihen ihr historische und räumliche Perspektive, und sie vermitteln zwischen der Intimsphäre des Einzelnen, seinem Selbstbild, seinen Wünschen – und dem Raum, in den er sie hineinträgt. Urbizide sind Angriffe auf das Leben selbst, auf seine Möglichkeit, sich zu regenerieren. Sie sind Früchte des Hasses nicht weniger als des Weltverlusts: dort, wo Eliten oder Militärs an Modellen operieren, die das Wirkliche nur vertreten.
Städte seien, so der Kolumbianer Eduardo Mendieta, ,,lebende Gebilde", deren Werden und Vergehen sich rationaler Planung entziehen. Dennoch scheint es verwundbare Zonen zu geben, an denen man eine Stadt so treffen kann, dass sie danach ,,tot" ist, ihre Wiederbelebung künstlich erscheint, man eine Art zweiter Stadt um die tote zu errichten hat. Urbizide sind also auch Historisierungsmaschinen, in einem Eroberungskrieg bereiten sie die Kolonialisierung der kollektiven Erinnerung an der Stelle vor, wo die spätere Macht sich ansiedeln wird. Dem Urbizid zu entgehen, das vermögen indes die Menschen, die die gemordete Stadt in sich an einen anderen Ort tragen und dort wiedererstehen lassen. So könnte es sein, dass man sich aus ihrer Umklammerung und sie aus der Umklammerung ihrer Zerstörer befreit. Die klassische und die moderne griechische Literatur stehen dafür ein. In Mariupol, heißt es, lebten zuletzt 10.000 Griechen. ...
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/grosny-aleppo-mariupol-angriff-auf-die-seele-der-staedte

"Einstiger ,,Köpi"-Wagenplatz erneut besetzt – Gelände nach Stunden geräumt" (16.04.2022)
Protest gegen den ,,Köpi"-Eigentümer: Autonome drangen am Karfreitag auf das Gelände ihres alten Symbolprojekts ein, Sympathisanten versammelten sich davor. Pascal Bartosz Alexander Fröhlich
Der Konflikt um eines der letzten linken Symbolprojekte in Berlin ist am Karfreitag wieder aufgeflammt: Das Areal des früheren Wagenplatz an der Köpenicker Straße im Bezirk Mitte wurde am Abend besetzt. Bis zu 20 Männer und Frauen überwanden um circa 18.30 Uhr die Zäune zu dem Grundstück, sie zündeten Feuerwerk, Knallkörper und Rauchtöpfe, beschallten das Areal mit Musik und hissten Transparente. Es folgten Reden auf Deutsch und Englisch.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/linkes-symbolprojekt-in-berlin-einstiger-koepi-wagenplatz-erneut-besetzt-gelaende-nach-stunden-geraeumt/28257346.html

Quote... Wir sind hier, um zurückzufordern, was uns gehört. Es war nicht nur ein Stück Land für uns. Es war unser Zuhause, es war Familie, es war ein Ort, um Menschen aus der ganzen Welt willkommen zu heißen, um voneinander zu lernen und sich zu unterstützen, zum wachsen und sich verbinden. Auf ganz einfache und wundervolle Art, war es unsere Gemeinschaft und unser Leben. Und nun wurde unsere Gemeinschaft auseinander gerissen und mehr als alles andere wollen wir wieder zusammen sein.

6 Monate sind vergangen seit der scheiß Räumung des Køpi Wagenplatzes und es hat sich nichts verändert. Der Platz ist immer noch leer, bis auf einige angeheuerte Idioten, die den Platz bewachen, der voll ist mit den Trümmern, die einst unser Zuhause und unser Leben waren.

Das Angebot der Stadt und Howoge wurde nicht entworfen, um uns zu unterstützen, es sollte uns eher in eine Zwickmühle treiben, in der wir auf unakzeptable Weise auseinander gebracht werden sollten. Es gab das Angebot 70 Prozent der Fläche abzutrennen und uns den kläglichen Rest zu überlassen, um dort ein paar Wägen unterzubringen. Das lehnten wir ab. Der Wagenplatz sind wir alle oder niemand und wir bleiben eine Familie, die jetzt gezwungenermaßen getrennt und in der Stadt verteilt ist und wir suchen immer noch einen Platz, an dem wir wieder zusammen leben können.

Ein weiteres Mal wurde ein Wagenplatz direkt neben dem Køpi Gebäude geräumt. Das letze Mal vor 23 Jahren war es die Räumung des Mad Max Wagenplatzes rechterhand der Køpi. Ein Altersheim sollte dort gebaut werden und wie nach unzähligen anderen Räumungen lag das Grundstück brach und nach DREIUNDZWANZIG Jahren ist dort immer noch nur eine leere Gebäudehülle, die für viele von uns ein Zuhause sein könnte. Wird das auch die Zukunft des Køpiplatzes sein?

Wie unser Platz, stehen die Projekt Räume der Meuterei und vom Syndikat nach deren Räumungen leer. Auch die Liebig34 ist noch unbewohnt, während die Menschen der Rigaer 94 konstant Angriffen der Stadt ausgesetzt sind. Wir sind hier um DIE große Frage zu stellen: WOZU? Warum verlieren Menschen ihr Zuhause und ihre Projekt Räume, ihr Leben und echte Verbindungen? Für gar nichts?!

Das sind nur einige Beispiele aus der letzten Zeit. Wir finden, dass wir es verdienen, fair behandelt zu werden und für alle anderen, die in den letzten Jahren Räumungen ausgesetzt waren, fordern wir Neuunterbringung und einen Ort für alle Kamerad:innen aus Berlin und in der ganzen Welt, um dort etwas fabelhaftes und selbstbestimmtes erschaffen zu können.

Es ist offensichtlich, dass die Taktiken der letzten Jahre darauf abzielen unsere Bewegung aus ihren Wurzeln zu heben und uns zu ermüden, mit sich wiederholenden Angriffen auf unsere Art zu leben. Aber das wird nicht funktionieren. Unsere gebündelte Wut schweißt uns zusammen in angstfreierer Solidarität.

Wir ruhen nicht in Frieden oder geben uns zufrieden bis anerkannt wird, dass man uns nicht einfach räumen und unter den Teppich kehren kann, als würde es uns nicht geben. Gehorsam und lautlos. Nein! Wir bleiben überzeugt von autonomen Plätzen und Gemeinschaften und führen unsere Art zu leben weiter, egal mit welchen Konsequenzen.

Viva Køpiplatz! Viva autonome frieraume ! One struggle, one fight!


https://kopibleibt.noblogs.org/post/2022/04/15/we1/

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 Von der Gentrifizierung zum Verfall und wieder zurück
Dokumentarfilm ,,We are all Detroit" vergleicht den Prozess der Deindustrialisierung in der einstigen Motor City und in Bochum
Silvia Hallensleben | Ausgabe 19/2022
We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden Ulrike Franke, Michael Loeken Deutschland 2021, 119 Minuten
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/dokumentarfilm-we-are-all-detroit-deindustrialsierung-in-detroit-und-bochum


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Quote[...] HAMBURG taz | Es gibt derzeit rund 13.000 Wohnungsnotfälle in Hamburg. Das vermeldet das ,,Hamburger Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik". Im Bündnis sind unter anderem die Diakonie und der Mieterverein ,,Mieter helfen Mietern" vereint, die einen Neustart bei der Bekämpfung der Wohnungsnot vom Hamburger Senat fordern.

,,Die Situation hat sich in den letzten Jahren verschlechtert", sagt Stephan Nagel von der Diakonie. Mit den aktuell 13.000 Fällen, die dringend auf eine passende Wohnung warten, sei ein Allzeithoch erreicht.

Als dringend auf eine Wohnung angewiesen gelten Personen, die entweder eine barrierefreie Wohnung brauchen oder von Gewalt betroffen sind. Auch aus dem Gefängnis oder aus der Eingliederungs-, Behinderten- oder Jugendhilfe entlassene Menschen zählen zu dieser Gruppe.

Weil Armut sich in diesen Fällen als zusätzliche Belastung auswirkt, haben sie Schwierigkeiten, auf dem freien Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb erhalten sie einen Dringlichkeitsschein, damit ihnen die Fachstellen der Bezirksämter eine Wohnung vermitteln.

Nur bekommen sie dann nicht sofort eine neue Wohnung. Vor sechs Jahren betrug die Zahl der Wohnungsnotfälle in Hamburg noch etwa 8.000. Aus Sicht des Bündnisses reagiert die Politik auf diese gestiegene Zahl an vordringlich wohnungssuchende Menschen allerdings nur zögerlich. ,,Wir teilen dem Senat seit Jahren mit, dass er entschiedener handeln muss", sagt Nagel. ,,Das Problem hat sich verstärkt und darauf muss der Senat reagieren."

Die gestiegene Zahl von Wohnungsnotfällen sieht das Bündnis in einer fehlerhaften Wohnungsbaupolitik des Senats begründet. Um die Situation zu ändern, fordert das Bündnis, den Anteil der Sozialwohnungen bei Neubauten auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen. Die Vorgabe der Stadt ist bislang, dass der Anteil von Sozialwohnungen 33 Prozent betragen muss.

Dabei wurde nach dem jüngsten Bericht über die fertiggestellten Neubauten deutlich, dass der Anteil der Sozialwohnungen gesunken ist. Waren 2020 3.472 öffentlich geförderte Wohnungen mit sozialer Mietpreis- und Belegungsbindung fertiggestellt worden, waren es 2021 nur noch 1.875 – das ergibt ein Minus von 45 Prozent.

Zudem verlangt das Bündnis, dass mehr Wohnungen explizit für Wohnungsnotfälle vorgesehen werden. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga solle dafür jede zweite Neuvermietung an vordringlich wohnungssuchende Haushalte vergeben.

Die Forderung stützt sich darauf, dass der Senat seine selbst gesteckten Ziele zuletzt nicht erreicht hatte: So wollte die Stadt im vergangenen Jahr 300 Wohnungen für diese Personengruppe fertiggestellt haben. Tatsächlich waren es aber nur 101 Sozialwohnungen mit entsprechender Bindung.

Die Sozialbehörde verweist darauf, dass es ein umfangreiches Hilfsangebot für Betroffene gebe. Das Hilfesystem der Stadt setze an unterschiedlichen Stellen an. ,,Die Fachstellen unterstützen Menschen dabei, Kündigungen abzuwehren und die bestehende Wohnung zu sichern", teilt die Sozialbehörde mit. Außerdem helfe sie bei anstehenden Wohnungsräumungen und in Fällen von Obdachlosigkeit bei der Suche nach einer neuen Bleibe. Zudem gehe nun das Housing-First-Projekt an den Start, bei dem 30 Wohnungen an obdachlose Menschen vermittelt werden.

Für das Bündnis greifen diese Ansätze allesamt zu kurz. Eine sinkende Zahl der Notfälle sei deshalb nicht in Sicht.


Aus: "Warten auf ein neues Zuhause in Hamburg: Höchststand bei Wohnungsnotfällen" Valeria Bajaña Bilbao (9. 6. 2022)
Quelle: https://taz.de/Warten-auf-ein-neues-Zuhause-in-Hamburg/!5856765/


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Raphael Knipping @RaphaelKnipping
6:08 nachm. · 13. Juni 2022 aus Hannover, Deutschland
Im Winter 2020 besetzten wohnungslose Menschen in #Hannover heimlich ein leerstehendes Haus. @mic_tra
und ich begleiteten die Besetzung über 1,5 Jahre mit der Kamera. Jetzt ist unser Film: ,,Eigenbedarf - Leben auf dem Schleudersitz" fertig. ....
https://twitter.com/i/status/1536380025859149824

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"Wagenburg in Berlin: Besetzt, geräumt, verkauft" Timm Kühn (21.10.2022)
Das Gelände des einstigen Köpi-Wagenplatzes soll verkauft werden – ein Skandal, denn dann wäre nur für einen profitablen Verkauf geräumt worden. ... Ephraim Gothe (SPD), zuständiger Stadtrat des Bezirks Mitte, sagte der taz, man wisse schon länger über die Verkaufsabsicht des Eigentümers. Konkrete Informationen über einen Grundstückskauf erhalte der Bezirk aber erst nach der Unterzeichnung eines Kaufvertrags. An­woh­ne­r:in­nen berichten der taz, in letzter Zeit seien immer wieder Menschen zu beobachten gewesen, die das Areal begutachten. Man vermute, dass es sich um In­ves­to­r:in­nen handle. ... Sollte ein Verkauf gelingen, würde sich Besitzer Nehls sein Immobilienpoker vergolden lassen – schließlich dürfte sich der Grundstückswert wesentlich gesteigert haben, seit die widerständigen Be­woh­ne­r:in­nen weg sind. Über ein vorgeschobenes Firmengeflecht besitzen Nehls und die Sanus AG die Köpi vermutlich seit 2007. Mehrmals wechselte das Areal seitdem den formalen Besitzer, 2013 kam erstmals der letzte offizielle Eigentümer, die Briefkastenfirma Startezia GmbH, ins Spiel. Dass sich die Sanus AG offen zum Besitz der Köpi bekennt, ist neu. ... Nicht abgeschrieben werden sollte dagegen der Widerstand der Köpi-Bewohner:innen. ,,Wir sind immer noch hier und immer noch wütend!", verkünden sie in einer Mitteilung. Auch für den neuen Besitzer des Köpi-Areals dürfte also gelten, was schon seit 1990 gilt: Die Köpi bleibt Risikokapital. ...
https://taz.de/Wagenburg-in-Berlin/!5885926/

"Räumung des Köpi-Wagenplatzes in Berlin: Kein Zuhause mehr vor der Köpi" Sara Guglielmino (15. 10. 2021)
Am Freitag räumt die Polizei mit einem Großaufgebot den Wagenplatz der Köpi. 38 BewohnerInnen werden vom Gelände geholt. Abends TagX-Demo. ...
https://taz.de/Raeumung-des-Koepi-Wagenplatzes-in-Berlin/!5808168/

"Bedrohter Wagenplatz in Berlin: Und wieder ist die Köpi in Gefahr" Erik Peter (14.5 2021)
Dem Wagenplatz des Hausprojekts droht die Räumung. Dagegen wird am Wochenende demonstriert. Der Bezirk hofft derweil auf eine Verhandlungslösung. ...
https://taz.de/Bedrohter-Wagenplatz-in-Berlin/!5766324/


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Quote[...] In Deutschland hat im vergangenen Jahr mehr als jeder zehnte Einwohner auf überbelegtem Wohnraum gewohnt. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach waren 2021 rund 8,6 Millionen Menschen betroffen. Das entspricht einem Anteil von 10,5 Prozent an der Bevölkerung.

Vor allem Haushalte mit Kindern waren demnach betroffen. Bei ihnen lag die Überbelegungsquote bei 15,9 Prozent. In Haushalten mit zwei Erwachsenen und mindestens drei Kindern waren es sogar 30,7 Prozent, bei Alleinerziehenden 28,4. Die Überbelegungsquote bei Minderjährigen war mit 17,8 Prozent rund sechsmal so hoch wie etwa bei älteren Menschen ab 65 Jahren, dort waren es drei Prozent.

Als überbelegt gilt eine Wohnung, wenn sie über zu wenige Zimmer im Verhältnis zur Personenzahl verfügt. Dabei wird sich nach der europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen gerichtet, der sogenannten EU-SILC. Als überbelegt gilt demnach eine Wohnung, wenn etwa kein Gemeinschaftsraum oder kein einzelnes Zimmer je Erwachsenem vorhanden ist.

In Haushalten ohne Kinder lag die Überbelegungsquote mit 6,5 Prozent niedriger als über alle Haushaltsformen hinweg. Anteilig am seltensten lebten zwei Erwachsene ohne Kinder in überbelegten Wohnungen. Dort lag der Wert bei 2,7 Prozent.

Laut dem Statistikamt gab es einen deutlichen Unterschied zwischen Stadt und Land. So war der Anteil der Menschen in überbelegten Wohnungen in größeren Städten mit 15,5 Prozent rund dreimal so hoch wie in ländlichen Gebieten mit 4,9 Prozent.

EU-weit steht Deutschland besser da als der Durchschnitt. Die Überbelegungsquote in der EU lag im Jahr 2021 laut der Statistikbehörde Eurostat mit 17,1 Prozent deutlich höher als in Deutschland.


Aus: "Wohnungsmangel: Mehr als jeder Zehnte wohnt auf überbelegtem Wohnraum" (17. November 2022)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-11/wohnraum-ueberbelegung-alleinerziehende-statistisches-bundesamt

Quoteostrowo09 #22

Einerseits immer mehr qm pro Bewohner, andererseits immer mehr Überbelegung. Wie passt das zusammen? ...


QuoteDer große Blaue #6

Wenn sie zu wenig Platz haben, sollen sie halt in größere Wohnungen ziehen!

(/s)


QuoteUnlock #6.2

Und wenn dafür das Geld nicht reicht, sollen sie halt härter arbeiten!


Quoteabrie #13

Ein Altbau in Berlin. Von sechs >150 qm-Wohnungen sind vier mit nur 1-2 Personen bewohnt. Wir, Boomer, leben hier seit >30 Jahren, inzwischen auf zu viel Raum. Eine Alternative ist nicht zu finden, vor allem nicht für einen Mietpreis von 10€/m2.
Bei Neuvermietung bliebe es dabei nicht, evtl. würde auch eine Umwandlung in Eigentum erfolgen. Es scheint ausweglos und ist sozial und ökologisch ein Unding.


QuotenogII #16

Hier im Haus wohnen Menschen allein/ zu zweit/ zu dritt/ zu viert auf ca. 150 qm. Da ich ungefähr weiß was die Altmieter bezahlen deren Kinder mittlerweile aus dem Haus sind, wundert mich das nicht und ich würde auch nicht ausziehen. Der Wohnungsmarkt bietet letztlich nur weniger Wohnraum für mehr Geld.


QuoteOllec #21  —  vor 18 Minuten
4

Es ist schon interessant, in den letzten Wochen und Monaten habe ich derart viele Zahlen und Statistiken zuvielen Themen Bereichen lesen dürfen z. B.

- Altersarmut
- immer mehr Kinderarmut
- immer mehr Menschen die kaum noch sparen können
- viele Studenten die Armuts gefährdet sind
- immer mehr Menschen bei der Tafel
- immer größerer Fachkräfte Mangel
- immer mehr Vorstände / CEO's die große Gehaltssteigerungen haben

Und viele viele andere Dinge, und nun liest man wieder was neues und alles ist negativ und hat keine gute Entwicklung. Was ist aus diesem Land geworden? Wir sind doch angeblich reich? Wie kann das sein? Wieso passiert nichts? Ist unsere Politik korrupt und eine Geisel der Wirtschaft?

...


QuoteBoesor #21.2

Wenn Sie diesen Bericht richtig gelesen haben geht es um eine Überbelegung von gut 10%. Also umgekehrt 90%, die nicht in überbelegten Wohnungen wohnen.

Wenn man also Deutschland auf dem Weg zum "failed State" sieht, liegt das manchmal auch daran, das die Einordung von Zahlen nicht gelingt.

Alles eine Frage der Wahrnehmung.
Was wissen Sie denn über die Zustände in Japan oder Süd Korea?


QuoteWahl-O-Mate Motzarella #21.6

"Alles eine Frage der Wahrnehmung."

... Also entweder ich ordne Daten angemessen und nach bestimmten Kriterien ein oder ich nehme diese bloß irgendwie wahr. Beides als gemeinsames Argument zu verwenden und für gültig zu erklären ist da eher schwierig. Die Dinge verschlechtern sich in der Tat, messbar. ...


Quotefronti68 #24

Es gibt noch eine andere Form der Überbelegung, häufig anzutreffen in 1-R-Hochhauswohnungen. Dort gibt es häufig Belegungswohnungen des ambulant betreuten Wohnens für Strafentlassene, ehemalige Obdachlose, psychisch Kranke, Geflüchtete. Die Kumpels aus dem Knast, von der Platte oder dem Asylbewerberheim kommen dann vorbei zum Rauchen, saufen, Sex oder auch nur zum friedlichen Kochen und Feiern (bei letzteren), sind froh, dass einer ein Dach über dem Kopf hat.
Hier bei uns zündete neulich einer aus blanker Verzweiflug seine Wohnung an, um diese Saufkumpane loszuwerden. Konstruktivere Lösungen hatte er nicht gelernt.


QuoteDer_Kommentierende #27

Wieder so eine Nachricht über eine fast belanglose Statistik. Wäre Überbelegung ein singuläres Problem, würde diese Nachricht Sinn ergeben. Als Symptom eines größeren Problems fehlt dessen Darstellung beziehungsweise die Aufnahme der Statistik in dieses.

Tatsächlich ist es doch genau umgekehrt. Würde diese Überbelegung nicht existieren, dann müsste man aufhorchen. So aber ist sie schlicht eine logische Folge, die zudem in ihrer Ausprägung abgeleitet werden kann. Angesichts der Wohungsproblematik und einem frei wuchernden Mietpreis, besonders in Ballungsräumen, kann es eben nicht anders sein, dass Menschen notgedrungen auf zu wenig Raum leben und dass dies um so mehr der Fall sein wird, je mehr diese Menschen gleichzeitig stärker von Armut gefährdet sind oder in einer Großstadt leben.

Das ist keine Nachricht wert. Würde man bei dieser sinnfreien Statistik etwas anderes festgestellt haben, wäre auch dies anders. So aber könnte man nur eine kurze Notiz machen: Auch bei der Überbelegung zeigt sich das Wohnungsproblem.

Ohnehin fehlen in der Nachricht wichtige Details. Etwa ab welchem Alter Kinder berücksichtigt werden oder ob Wohnungs- bzw. Oddachlose auch mitgezählt wurden. Dazu mangelt es ebenso an einer Facette der Gegenseite: Wieviel Wohnungsraum liegt ungenutzt brach herum oder wird für touristische Zwecke benutzt? Ach ja, wie gehen Zweitwohnungen ein?


....

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Quote[...] Der Garten der Finzi Contini ist ein italienisch-deutsches Filmdrama von Vittorio De Sica aus dem Jahr 1970 nach dem Roman Die Gärten der Finzi-Contini (Il giardino dei Finzi-Contini) von Giorgio Bassani. ...


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Garten_der_Finzi_Contini

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Quote[...] "Die Gärten der Finzi-Contini" ist einer der bekanntesten italienischen Romane betitelt, zugleich Hommage an die Stadt Ferrara. In Ferrara mit seiner gewaltigen mittelalterlichen Burg, den engen Gassen und den großen Gärten mitten in der Stadt erlebte der junge Giorgio Bassani die Diskriminierung und Deportation der jüdischen Bevölkerung. Seine ,,Gärten der Finzi-Contini" wurde auch durch die Verfilmung von Vittorio De Sica weltberühmt. Ein schlankes blondes Mädchen sitzt auf einer steinernen Gartenmauer, ein Mann blickt zu ihr auf. Die hohe Gartenmauer steht für die Barriere zwischen den unterschiedlichen Ideologien und zwischen den Gesellschaftsgruppen während der Zeit des Faschismus. Eine Hauptrolle in Roman und Film spielt die emilia-romagnolische Stadt Ferrara selbst. Die Stimmung und die Topografie der als ,,Città Ideale" erdachten und verwirklichten Stadt am rechten Ufer des Flusses Po ist in Bassanis Werk dermaßen eindrucksvoll dargestellt, dass immer wieder Reisende das Ferrara der Finzi-Contini suchen und die Orte Bassanis sofort wiedererkennen.

Für den Film wurde die Szene, in der Micòl Finzi-Contini als kleines Mädchen zum ersten Mal den Erzähler einlädt, in den Garten zu kommen, auf dem weitläufigen und stillen jüdischen Friedhof von Ferrara gedreht, jenem Ort, an dem auch der Roman ,,Die Gärten der Finzi-Contini" beginnt. Am Anfang der Geschichte steht die Beschreibung des Familiengrabes der Finzi-Contini. Ein aufwendiges Grabmal von weißem Marmor aus Carrara und rosafarbenem aus Verona. Giorgio Bassani schöpfte für die fikitive Familiengeschichte der Finzi-Contini aus seiner eigenen Erinnerung an seine Jugend in einer bürgerlich-liberalen Arztfamilie. Während des Zweiten Weltkriegs schloss sich Bassani der antifaschistischen Untergrundbewegung an. Nach dem Krieg zog der Autor nach Rom, wo er in den 1950er-Jahren als Vizepräsident die RAI lenkte, das staatliche italienische Radio- und Fernsehunternehmen. Obwohl er den Großteil seines Lebens in Rom verbrachte, wollte Bassani auf dem jüdischen Friedhof von Ferrara bestattet werden. Sein eigenes Grabmonument versinnbildlicht Zerstörung und eine Wunde, die niemals verheilt. Besucher legen Steine zum Andenken auf Bassanis Grab.

In Bassanis Roman ist das monumentale Grabmonument der Finzi-Contini leer. Die Körper von Micòl Finzi-Contini und ihrer Familie wurden nie gefunden. Der Leser weiß von Anfang an von ihrem Tod, erst nach und nach erfährt er von der nie erfüllten Liebesgeschichte zwischen Giorgio und Micòl.

Die eigene Atmosphäre von Ferrara ist auch dem Nebel zu verdanken. ,,Wegen der besonderen Beschaffenheit unseres Klimas erlaubt dir der Nebel nicht, mit den Augen zu sehen", meint die Kunsthistorikerin Emanuela Mari. ,,Deshalb musst du auf eine andere Art schauen, du musst mit dem Geist sehen." Emanuela Mari ist in Ferrara geboren und hat in der Stadt studiert. Für ihre Doktorarbeit befasste sie sich mit der Renaissance in Ferrara, der humanistischen Blütezeit der Stadt. Wie viele Ferrareser ist auch Emanuela Mari hauptsächlich mit dem Fahrrad in Ferrara unterwegs. ,,Die Maße von Ferrara sind noch immer jene der Renaissance, das heißt, die Stadt ist nach dem Maß des Menschen gebaut. Das Fahrrad ist das ideale Fortbewegungsmittel zur Kontemplation. Es gibt Zeit zu schauen, zu denken und zu hören."

Und so gleiten Ferrareser ebenso wie Reisende in der Renaissancestadt mit dem Fahrrad durch die Addizione Erculea, jenen Bereich der Stadt, der vom Herzog Ercole I. d'Este angelegt wurde, einen ausgedehnten Bereich von Grünanlagen und Friedhöfen. Die Addizione Erculea war das erste städtebauliche Projekt Europas. Sie ist umgeben von einer neuen, hohen Stadtmauer, die auch den jüdischen Friedhof begrenzt. Mit ihrem exakten Straßenraster, ihren idealen Proportionen und den prächtigen Bauwerken ist die Addizione Erculea ein planerisches Avantgardeprojekt, das städtisches Treiben mit Oasen der Stille kombiniert. Viele Teile waren der Kontemplation gewidmet. Klöster, Paläste und Gärten der Familie Este, deren Mitglieder, typisch für die Kultur der Renaissance, einen großen Glauben an Astrologie und an Magie hegten. Die Vorliebe für die Astrologie zeigt sich auch in der architektonischen Anlage der Addizione Erculea, die auf dem Reißbrett nach der Zeichnung eines Horoskops entworfen wurde.

Ferrara erhebt sich aus dem flachen Land der Po-Ebene, einer Gegend, die jahrhundertelang von der Armut in den Sumpfgebieten und dem Kampf gegen das Wasser beherrscht war. Im Zentrum von Ferrara macht sich das massige Castello Estense breit, das heute noch den Namen jener Herrscherfamilie trägt, die Ferrara prägte. Nördlich vom Castello verläuft die großzügige Prachtstraße von Ferrara, der schnurgerade Corso Ercole I. d'Este. In der Planung der Stadt wurden ungewöhnlich viele Gärten verwirklicht, und so ist es kein Zufall, dass Giorgio Bassani seinem Roman den Titel ,,Die Gärten der Finzi-Contini" gab. Der Garten ist ein Teil der Renaissancetradition von Ferrara, die ihrerseits einer noch viel älteren Tradition entspringt, jener des Gartens der Liebe.

Der Garten der Liebe ist ein literarisches Thema, in der französischen Literatur des 13. Jahrhunderts, im ,,Roman de la Rose", findet sich auch die Figur der Engelsfrau, die blond ist wie Micòl Finzi-Contini. Im ,,Roman de la Rose" ist der Liebhaber ein Träumer, der den Garten betritt und eine Reihe von gefährlichen Abenteuern bestehen muss, um sich seiner Frau würdig zu erweisen – so wie der Ich-Erzähler Giorgio. Die ersten Begegnungen von Giorgio mit Micòl finden in der Schule statt. Micòl und ihr Bruder Alberto werden zu Hause von ihrem hochgebildeten Vater unterrichtet und legen in der öffentlichen Schule nur ihre Prüfungen ab. Später kommen Micòl und Giorgio einander näher, weil die Einführung der Rassengesetze beide zu Außenseitern gemacht hat. Der Vater von Micòl erweist sich als eine Art Schutzherr für die bedrängte jüdische Gemeinde in der Stadt.

Vittorio De Sica warder Regisseur der erfolgreichen Verfilmung der ,,Gärten der Finzi-Contini". Giorgio Bassani war zunächst an der Erstellung des Drehbuchs beteiligt, distanzierte sich im Laufe des Projektes aber von dem Film. Vor Gericht wurde der Streit zwischen Bassani und De Sica entschieden: Im Abspann des Films musste festgestellt werden, der Film handle ,,frei nach dem Roman von Bassani". Dem Autor ging es dabei wohl vor allem um die Darstellung der Beziehung von Micòl zu Giorgios Nebenbuhler aus Mailand, Malnate. Das Verhältnis, das die Figur Giorgio im Roman zu ihrem Vater hat, spiegelt das tatsächliche Verhältnis Giorgio Bassanis zu seinem Vater. Ein großer Teil der Juden von Ferrara war in das politische und gesellschaftliche System des Faschismus zunächst eingebunden. Als 1938 die Rassengesetze in Kraft gesetzt wurden, war der Bürgermeister von Ferrara ein Jude namens Renzo Ravenna.

Der Garten der Finzi-Contini existiert in Wirklichkeit nicht. Bassani beschreibt den Garten der Finzi-Contini jedoch sehr detailliert, und er imaginiert ihn an einer Stelle der Stadt Ferrara, wo sich früher eine Delizia der Familie Este befand. Die Delizie der Este waren Paläste, umgeben von ausgedehnten Gärten, Orte der Erholung und der Unterhaltung. Im nördlichen Teil der Stadt Ferrara lag die Delizia del Bel Fiore, ein berühmtes Lustschloss der Renaissance, das im 17. Jahrhundert zerstört wurde. In seiner Vorstellung verlegt Bassani den Palast und den Garten der Finzi-Contini dorthin, wo sich die Delizia del Bel Fiore befand, und zwar genau ans Ende des Corso Ercole I. d'Este, der in der Renaissance Viale degli Angeli, Straße der Engel, genannt wurde.

Im ,,Finzi-Contini"-Film sind die Szenen, in welchen die jungen Leute Tennis spielen, unvergesslich. Das Weiß der Tenniskleidung ist Symbol für die Jugend und Unschuld, und das Tennisspiel steht für die Liebe, die für Micòl Finzi-Contini immer ein Kampf mit einem Sieger und einem Verlierer darstellt. Im Jahr 1938, als die Rassengesetze eingeführt werden, darf Giorgio als Jude nicht mehr in den Tennisklub – genauso wie der Autor Giorgio Bassani. Giorgio wird von Micòl in den Garten der Finzi-Contini eingeladen. Er und eine Gruppe andere junger Leute, die teilweise Juden sind, können dann den privaten Tennisplatz der Familie Finzi-Contini benützen. Der Tennisplatz im Garten wird ein Ort der an den Rand Gedrängten. Sie sind einerseits von der Gesellschaft ausgeschlossen, andererseits sind sie Auserwählte, weil sie den Garten der Finzi-Contini betreten dürfen. Der Tennisklub ,,Mafisa d'Este" befindet sich heute noch mitten in der Stadt, er ist einer der stillen Gärten der idealen Renaissancestadt. Dunkellilafarbene Rosen sind an Spalieren hinaufgezogen. Die Tennisplätze liegen friedlich da. Niemand spielt an diesem Vormittag. Nur ein paar ältere Herren sitzen bei Cappuccino und tratschen müßig im warmen Sonnenlicht.

Ein Besuch in Ferrara führt unweigerlich auch an das gewaltige, ziegelrote Castello, das Symbol von Ferrara. Heute ist die mittelalterliche Trutzburg teils Museum und teils Sitz der Stadtregierung. An der wehrhaften Mauer, die das Castello umgibt, zeigt Emanuela Mari einen Gedenkstein, der an das Jahr 1943 erinnert: ,,An dieser Stelle fand ein schreckliches Massaker statt. Im Jahr 1943 wurden elf Menschen hier ermordet. Sie wurden von den Faschisten festgenommen, die sich in der Republik von Salò wieder organisiert hatten, nachdem die Alliierten in Italien gelandet waren und am 8. September 1943 ein Waffenstillstand bekannt gegeben worden war." Die Faschisten der Republik von Salò brachten in der Nacht des 14. November 1943 diese elf Antifaschisten an die Mauern des Castello Estense. Sie wurden erschossen. Ohne jeden Prozess, und ganz ohne Verurteilung.

Ausgehend vom brutalen Mord an den Antifaschisten in Ferrara verfasste Giorgio Bassani die Erzählung ,,Eine Nacht des Jahres 1943", die in der Sammlung ,,Fünf Ferrareser Geschichten" erschien. Bassani macht in seiner Version der Ereignisse einen Faschisten aus Ferrara namens Sciagura zum Verantwortlichen der Morde an der Mauer des Castello Estense. Bassanis Erzählung verarbeitete der Ferrareser Regisseur Florestano Vancini zu einem Film mit dem Titel ,,Die lange Nacht von 43". Vancini selbst hatte am 15. November als Schüler auf dem Weg zur Schule die Körper der Ermordeten gesehen, die zur Abschreckung vor dem Castello liegen gelassen worden waren, Eindrücke, die ihn zu seinem Spielfilm bewogen. ,,In Italien gab es keinen Nürnberger Prozess, die Faschisten wurden nicht zur Verantwortung gezogen", sagt Emanuela Mari. ,,In Italien ist also eine offene Wunde geblieben, die nie verarztet wurde, sondern die versteckt werden musste."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2011)


Aus: "Die Gärten, die es nie gab" Christina Höfferer (04.03.2011)
Quelle: https://www.diepresse.com/639408/die-gaerten-die-es-nie-gab

Link

"Meet the Americans who live in their vans, buses and cars in pursuit of a simpler life using less energy" Leslie Kaufman (10. April 2023)
The movement has resulted from a confluence of factors. During the Covid‑19 pandemic, the hashtag #vanlife surged on Instagram. More than 14 million posts celebrated the movement, which extols life on the road. At the same time, the US Census Bureau reported that 3.3 million Americans were displaced by natural disasters in 2022. ... The location, not far from the Colorado River, has little to distinguish it from the uninhabited desert other than hundreds of buses, campers, vans and RVs parked alongside one another forming long, snaking avenues. It's a desiccated landscape punctuated only by scrubby vegetation and purplish hills in the distance. There's no running water, bathrooms or trash services. The main attraction is that authorities aren't likely to bother the Skoolies here, even though the event is unpermitted. ... It isn't possible to count how many Americans live in their vehicles. The US Census Bureau and the Department of Housing and Urban Development lump vehicle dwellers in with the homeless. But groups that monitor the trend—including the National Alliance to End Homelessness, the Homes on Wheels Alliance Inc. and governments in greater Seattle and Los Angeles—all report that the nomad population is surging. The reasons can vary, including skyrocketing property prices and more frequent climate-driven natural catastrophes such as wildfires and hurricanes destroying homes. ...
https://www.bloomberg.com/features/2023-vanlife-rvs-climate-change/

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#94
"Ein Markt so kaputt wie ungerecht" Lukas Tobler (Nr. 17 – 27. April 2023)
Die Preise für Wohnungen steigen seit Jahren. Immer mehr von ihnen gehören institutionellen Vermietern mit riesigen Anlagevermögen. Der Wohnungsmarkt ist komplex – seine Wirkung nicht: Umverteilung nach oben. ... Vor allem in den städtischen Zentren sind die Immobilienpreise so hoch, dass es eines enormen Anlagevermögens bedarf, um überhaupt auf dem Markt mitmischen zu können. Die Voraussetzungen dafür erfüllen institutionelle Anleger, also Unternehmen, Fonds und Pensionskassen. Ihr Anteil am Wohnungsmarkt hat in den letzten zwanzig Jahren zulasten der privaten Vermieter:innen deutlich zugenommen. Und damit auch ihr Anteil am jährlichen Geldsegen von rund vierzig Milliarden Franken, den Mieter:innen der Schweiz jährlich abdrücken müssen. ... Der grösste Player unter den institutionellen Vermietern ist neu die UBS. Mit der Übernahme der CS ist ein Gigant entstanden. Die neue UBS wird rund 70 000 Mietwohnungen in der ganzen Schweiz kontrollieren. Wobei Markus Germann, Mediensprecher der UBS, insistiert, dass die Wohnungen sich nicht tatsächlich im Besitz der Bank befinden, sondern zum grössten Teil zu Immobilienfonds und anderen Anlagegefässen gehören – und damit den Investor:innen, die Anteile daran halten. In Immobilienfonds können auch kleinere Anleger:innen investieren und damit von den satten Renditen des Immobilienmarkts profitieren. Einzige Voraussetzung dafür: Kapital. ...
https://www.woz.ch/2317/mietwohnungen/ein-markt-so-kaputt-wie-ungerecht/!GBP0EBBD3QXQ

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"«Solange die Schweizer nicht das Weltall erobern»"  Kaspar Surber (Nr. 17 – 27. April 2023)
Von der Allmende über die Bodeninitiative zur Enteignung der CS-Immobilien: Die Geschichte der Gemeingüter in der Schweiz weist einen Weg aus der Wohnungskrise. ... «Uns gehen die Wohnungen aus», («Beobachter», 2. März), «In der Schweiz fehlen bald 50 000 Wohnungen» («Die Zeit», 20. April), «Im Aargau wurde für eine Asylunterkunft 49 Mietern gekündigt» («Watson», 27. Februar): So lauten einige der Schlagzeilen, die in den letzten Monaten die Wohnungskrise in der Schweiz zum Thema hatten. Auffällig an den Berichten ist: Allzu gerne wird die Wohn- sogleich mit der Asyl- und Migrationsdiskussion vermischt und die Knappheit an Wohnungen auf die Einwanderung zurückgeführt: Da kommt ja eine Kleinstadt pro Jahr!
Als ob es nicht andere, etwas kompliziertere Treiber dafür geben würde, dass die Leerwohnungsziffer als wichtigster Indikator auf dem Wohnungsmarkt speziell in den Zentren derzeit tief ist. Auf der Seite der Nachfrage ist die Zunahme von Haushalten mit nur ein oder zwei Personen zu nennen als Folge von Individualisierung und gestiegener Lebenserwartung: In den letzten drei Jahrzehnten ist gemäss dem Bundesamt für Statistik die fürs Wohnen genutzte Fläche fast doppelt so stark gewachsen wie die Bevölkerung.
Auf der Seite des Angebots macht sich der Einfluss von privaten, renditegetriebenen Gesellschaften als Vermieter bemerkbar. Ihr Anteil stieg in der Stadt Zürich laut offiziellen Daten im gleichen Zeitraum um sechs Prozentpunkte, während jener von gemeinnützigen Wohnungen sogar um zwei Punkte gesunken ist. Nimmt günstiger Wohnraum mit Vorschriften zur Mindestbelegung ab, wächst die Wohnfläche pro Person ebenfalls. ...
https://www.woz.ch/2317/anleitung-zur-enteignung/solange-die-schweizer-nicht-das-weltall-erobern/!EFTQR6DQMQGW

«Der Begriff ‹Enteignung› gibt der Wut ein Ventil»  Daniela Janser, Anna Jikhareva (Interview) (Nr. 17 – 27. April 2023)
Wie ist Privateigentum eigentlich entstanden? Wieso empfinden wir es als selbstverständlich, dass die grosse Mehrheit eigentumslos ist? Und wie kommen wir aus diesem Denken raus? ... In meinem Buch «Keine Enteignung ist auch keine Lösung» spreche ich von drei Bedeutungen des Begriffs «Enteignung». Die erste ist die juristische. Im deutschen Grundgesetz ist das Recht des bürgerlichen Staates zur Enteignung verankert – wenn der Staat dies für das öffentliche Wohl macht und die enteignete Person entschädigt wird. 2019 gab es etwa 200 Enteignungsverfahren, vorwiegend für Strassen oder Kohleabbau. Diese Enteignung wird als legitim erachtet. In Berlin ist die Enteignungsdebatte extrem aufgeladen, die Konservativen behaupten, Enteignung sei Gulag und Stalinismus. Aber wenn der Staat für Kohleabbau oder Autobahnen enteignet, hört man nichts. ... Eine Form von Sozialbindung von Eigentum existiert eigentlich überall: Sobald du Eigentum in der Verfassung verankerst, musst du eine Einschränkungsmöglichkeit für den Staat vorsehen – der berühmte Spruch «Eigentum verpflichtet». Hätte der Staat keine Eingriffsmöglichkeiten, würde das Privateigentum frei flottieren. Das wäre gefährlich für den Staat und das Kapital selbst – die Wahrscheinlichkeit, dass die Wachstumslogik des Privateigentums irgendwann seine eigenen Grundlagen zerstört, ist zu gross. ... Man darf zwei zentrale Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht vergessen: das drastische Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich – nicht nur im globalen Massstab, sondern auch in den einzelnen Ländern. Das liegt nicht zuletzt an der Dominanz von Privateigentum in den letzten vierzig Jahren. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat hergeleitet, dass die Privatisierungsoffensiven eine der Hauptursachen für die wachsende soziale Ungleichheit seien. ...
https://www.woz.ch/2317/woerterkunde/der-begriff-enteignung-gibt-der-wut-ein-ventil/!SW7ZFSJC5B0Y



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Quote[...] Die Ausstellung ,,Jetzt und zehn Jahre davor" in den Kunst-Werken versucht den Prozess der Gentrifizierung in Berlin-Mitte und in New Yorker Stadtvierteln abzubilden. Das Sammelsurium der Exponate aber lässt den unkundigen Besucher oft ratlos

... Es ist eines der beliebtesten Themen der Stadtsoziologie. Der amerikanische Geograf und Urbanismusforscher Neil Smith definiert die Problemstellung so: ,,Gentrification ist der Prozess, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und Freizeitnutzungen der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert werden." Mit dem Verhältnis von Kulturproduktion, Gentrifizierung und Stadtentwicklung befasst sich nun eine Ausstellung in den KunstWerken.

Der explizit künstlerische Gesichtspunkt erklärt sich dadurch, dass es KünstlerInnen selbst sind, die das Phänomen Gentrifizierung überhaupt erst in Gang bringen. Vereinfachend: Künstler sucht billigen Wohn- und Arbeitsraum, Künstler entdeckt von der Stadtpolitik und Immobilienwirtschaft vernachlässigte Quartiere; sein Kunstschaffen führt zum Imagewandel des Viertels, bald ziehen Galeristen, Kreative und Bohemiens nach, Spekulanten involvieren sich. Resultat: Luxussanierung, Mietenexplosion, Verdrängung der ursprünglichen Bewohner und – hier beißt sich die Katze in den Schwanz – auch der Künstler.

... Die gesellschaftliche Funktion von Kunst manifestiert sich manchmal erst aus der Distanz. An dem Punkt, wo Erinnerungen entweder vergessen oder historisiert und bewahrt werden, setzt die Ausstellung ,,Jetzt und zehn Jahre davor" an.

,,Jetzt und zehn Jahre davor", Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis zum 9. Januar


Aus: "Die Archäologie der Aufwertung" MARCUS WOELLER (3. 12. 2004, Berlin S. 23)
Quelle: https://taz.de/Die-Archaeologie-der-Aufwertung/!666138/

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Quote[...] Die Kreation von ,besonderen Orten' geht mit der Überführung von Ortsbezügen in künstlerische Darstellungen einher. So verweist Richard Lloyd in seiner Beschreibung der Aufwertung in Wicker Park in Chicago auf die Zunahme von kulturellen Events im Quartier und die vielfache Nutzung der Nachbarschaft als Filmkulisse sowie in einer die Bohème idealisierenden Literatur (Lloyd 2006: 165f.). Andere Studie zeigen, dass insbesondere literarische Repräsentationen des Stadtteils den tatsächlichen Veränderungen vorausgingen und als symbolische Gentrifizierung den späteren Aufwertungen vorgelagert waren (Lang 1994: 499). Auch die Gestaltung und Benennung von Galerien, Clubs und Kneipen orientieren sich oft an literarischen Zitaten, die sich nur auf der Basis einer kultur-affinen Vorbildung rezipieren lassen. Künstler/innen und ihre Ausdrucksweisen verbinden sich in diesem Zusammenhang direkt mit der Konstitution eines neuen Raumbildes. Am Beispiel von Prenzlauer Berg in Ostberlin wurden ,,Kulturschaffende als Pioniere und Kunst als Türöffner der Aufwertung" beschrieben (Bernt/Holm 2005). Internationale Beispiele zeigen, dass selbst  zenespezifische Ausdrucksformen und Protestbewegungen in solche neuen verwertungsorientierten Raumbilder integriert werden können (Blechschmidt 2007; Griesser; Ludwig 2008; Pruijt 2003, 2005; Uitermark 2004).

... In der zweiten Phase der Gentrifizierung wandelt sich die Wahrnehmung der Nachbarschaften. In Folge der Konzentrationsprozesse von kulturellen Aktivitäten. Zuvor unscheinbare oder vernachlässigte Quartiere werden zunehmend als In-Viertel, urban hotspots, Galerienmeilen und Künstlerquartiere rezipiert und verwandeln sich durch oftmals gezielte Marketinganstrengungen in der Wahrnehmung vieler zu ,besonderen Orten'. Durch die raumwirksamen Kulturpraktiken zunächst der noch wenigen ansässigen Kulturproduzenten (als Pioniere), später auch der von weiter weg kommenden Kulturkonsumenten (die dem symbolischen Lockruf des ,,In"-Viertels bzw. der ,,In"-Szene folgen) verändern sich die Raumbilder (zunächst als Image, dann auch real) der entsprechenden Nachbarschaft. In vielen Gentrifizierungsstudien wird diese Phase als eine symbolische Aufwertung beschrieben, die materielle Aufwertungsprozesse im Raumbild vorwegnimmt (Lang 1994).

... Doch welchen Einfluss haben künstlerischen Aktivitäten, wie Ausstellungen gestaltende Künstler/innen, Lesungen von Literaten, Auftritte von Musiker/innen oder Theateraufführungen (Lloyd 2006: 10ff.) auf die Veränderung der sozialen Zusammensetzung in Aufwertungsgebieten? Peter Marcuse unterscheidet in seiner Verdrängungssystematik (Marcuse 1986) nicht nur zwischen direkten (physical and economic displacement) und indirekten (exclusionary displacement) Verdrängungen, sondern ermöglicht uns mit dem Begriff des Verdrängungsdruckes (displacement pressure) eine Beschreibung individueller Auszüge oder Fluchten, die auf diesen Druck zurückgehen (Marcuse 1986: 156). Sozialstudien in vielen Aufwertungsgebieten bestätigen diese Verdrängungseffekte einer sich etablierenden Kunst- und Alternativszene: Noch ohne oder zu Beginn von baulichen Erneuerungsarbeiten im Gebiet ist im Ergebnis selektiver Wanderungsprozesse ein deutlicher Anstieg von Bewohner/innen mit höheren Bildungsabschlüssen zu verzeichnen. So ver doppelte sich in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg in Berlin der Anteil von Abiturient/innen bzw. Hochschulabsolvent/innen zwischen 1993 und 1998. Der bauliche Durchführungsstand zu diesem Zeitpunkt lag bei lediglich 30 Prozent des Gebäudebestandes. Die in den vergangenen Jahren
durchgeführten Modernisierungsarbeiten in mittlerweile fast 80 Prozent der Gebäude und die damit verbunden Mietsteigerungen haben drastischen Verschiebungen hinsichtlich der ökonomischen Situation der Bewohner/innen ausgelöst, die Anteile der Bildungselite haben sich in dieser Zeit nicht wesentlich verschoben (PFE 2008). Richard Lloyd berichtet ähnliche Entwicklungen in Wicker Park in Chicago. Dort hat sich in den ersten Jahren der Aufwertung die Anteil der Hochschulabsolvent/innen sogar verdreifacht, während die baulichen Aufwertungsmaßnahmen erst mit einer Verzögerung
zu den sozialen Bevölkerungsverschiebungen erfolgten (Lloyd 2006: 115ff.). Hintergrund für diese frühen Sozialstrukturveränderungen ist die selektive Attraktivität, die von der Etablierung kultureller und subkultureller Einrichtungen ausgeht.

... Der Rolle von Kultur und kulturellem Kapital in Gentrifizierungsprozessen geht weit über die Beteiligung von Künstler/innen als Akteure und künstlerischen Aktivitäten als Indikatoren der Aufwertung hinaus. In allen Phasen und verschiedenen Ebenen von Gentrifizierungsprozessen lassen sich kulturell vermittelte Aufwertungsdynamiken erkennen. Eine Kultur der Aufwertung umfasst dabei Aspekte der symbolischen Umbewertung von Nachbarschaften ebenso wie solche der immobilienwirtschaftlichen Aufwertung und des Bevölkerungsaustausches. Kultur ist Motor der symbolischen Aufwertung, Medium der Inwertsetzung und Instrument der sozialen Exklusion in aufgewerteten Wohnvierteln. Insbesondere in Pionierphasen der Aufwertung tragen künstlerische Aktivitäten und kulturell aufgeladene Raumnutzungen wesentlich zur Attraktivierung von Wohngebieten bei und sind oft Kern der medialen Rezeptionen und veränderten Raumbilder. Die auch infrastrukturelle Etablierung einer Kunst- oder Alternativszene wirkt in diesem Zusammenhang als Motor der Aufwertung, der nicht auf die Pionierphase der Aufwertung beschränkt bleibt. Insbesondere die Images von Szenevierteln wirken selbst nach dem Fortzug vieler Künstler/innen der Pionierphase nach und werden in die Vermarktungsstrategien des Immobilienmarktes inkorporiert: So verweisen etwa Immobilienanzeigen im Berliner Bezirk Friedrichshain – mit über 30 besetzten Häusern in den 1990er Jahren eine regelrechte Hochburg der besetzten Häuser – regelmäßig auf die ,,lebendige Atmosphäre" und die ,,vielfältigen kulturellen" Angebote. Für die Vermarktung von modernisierten Luxuswohnungen in einem ehemals besetzten Haus wurde explizit die Artefakte der Besetzerzeit erhalten: ,,Das Treppenhaus ist nach altem Vorbild instand gesetzt und geschmackvoll farblich gestaltet. Die schönsten Graffiti-Kunstwerke der Vergangenheit wurden mit Klarlack in das neue Treppenhaus integriert und erhalten." (IMMS 2009) – bei Mietpreisen von 2.500 Euro je Monat ein schmückendes Extra.

... Diese Aufwertungspotentiale der Kultur beschränken sich nicht auf den Kontext von Gentrifizierungsprozessen sondern werden seit den 1990er Jahren von Teilen der Immobilienwirtschaft und Stadtpolitik als gezieltes Instrument in Brandingstrategien für einzelner Standorte (Springer 2007, Lange 2007) oder als Entwicklungs- und Marketingkonzepte ganzer Städte (Häußermann/Siebel 1993; Lindner/Mutzner 2005; Mattissek 2008) aufgegriffen.

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Aus: "Gentrifizierung und Kultur: Zur Logik kulturellvermittelter Aufwertungsprozesse" Andrej Holm (2010)
Quelle: https://www.budrich-journals.de/index.php/stadtregion/article/download/4698/3869

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Quote[...] Im New Yorker Institut für Architektur und Stadtforschung zeigte Gordon Matta-Clark 1976 seine Fotoserie ,,Window Blow Outs": demolierte Fenster von Häusern in der Bronx, die Objekte von Immobilienspekulation geworden waren. In einer Nacht schlich der Künstler mit einem Luftgewehr in den Ausstellungsraum und schoss auch hier die Scheiben heraus. Eine Kampfansage an eine Stadtplanung, die sich am Reißbrett orientiert statt am Individuum. Und ein durchschlagendes Beispiel für einen Kunstanspruch, der über den zugestandenen Rahmen hinausgeht.

Mit seinem Aufschwung zur Kohlenmine des globalen Kunstbetriebs ist Berlin zuletzt oft mit dem New York der Sechziger verglichen worden. Nach den Mietsteigerungen und dem Rückgang frei verhandelbarer Räume zu urteilen, sind allerdings bereits die Siebziger im Gange.

Ein gewichtiger Unterschied zu damals ist, dass die Politik heute eine grundsätzlich andere Wertschätzung für Kunst zeigt. Kreative, aufgeschlossene Talente sind nach den Thesen des Soziologen Richard Florida die Kernressource für die Metropolen der Zukunft. In den Senatskanzleien von Hamburg und Berlin hat man diese Lehre womöglich besser verstanden als in der von Florida so genannten ,,kreativen Klasse" selbst. Und so ist auch die Kunst zur Spekulationsmasse im Standortwettbewerb geworden.

Der ursprüngliche Plan für die Ausstellung ,,Based in Berlin" brachte dieses Kunstverständnis ins Bild: Ein Zelt- und Containerdorf auf den vakanten Bauflächen am Hauptbahnhof als anregende Kulisse für Investorengespräche, bestückt von den Billiglohnkräften der Kunst. Die Zelte wären hinterher abgebaut worden, die Container umgenutzt, die Künstler weitergeschickt – die Investoren aber sollten bleiben. Strukturell betrachtet ist das so, als ob man den Strick, an dem man sich aufhängt, selbst gestalten darf.

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Aus: "Kunst und Stadt: Nur zur Dekoration" Kolja Reichert (04.07.2011)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/nur-zur-dekoration-4563508.html

Quote2monitor 05.07.11 11:05

Die Immobilienwirtschaft bemächtigt sich des Raumes, in dem kreative Arbeit stattfindet und vereinnahmt damit die geleistete Arbeit der Kreativen, durch die Städte bewohnbar, menschlich und lebenswert werden, der Lohn ist dann die Verdrängung der Kreativen aus dem urbanen Raum durch gestiegene Mieten. Und die Politik flankiert dieses Handeln. ...


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Quote[..] Innenstadt – Im Oktober eröffnet in der Innenstadt Kölns größte offene Kunstgalerie. Zahlreiche Besucher sind ihr gewiss, denn Ausstellungsorte sind die Hohe Straße und die Schildergasse. In Schaufenstern leerstehender Ladenlokale werden auf großformatigen Flächen Kunstwerke gezeigt. An der Aktion ,,Open Art Gallery" sind die Stadt und der Verein Stadtmarketing beteiligt, die Köln Business Wirtschaftsförderungs-GmbH sowie Unternehmen aus der Immobilienbranche.

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Aus: "So will die Stadt Schildergasse und Hohe Straße aufwerten" Clemens Schminke (15.09.2022)
Quelle: https://www.ksta.de/koeln/koelner-innenstadt/stadt-koeln-neues-konzept-fuer-innenstadt-345067

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Quote[...] Wer in Berlin in der Bildenden Kunst tätig ist und einen Atelierplatz sucht, hat es schwer: Immer häufiger müssen Künstlerinnen und Künstler ihre Häuser räumen, weil Investoren andere Pläne mit der Immobilie haben. Vielen Gemeinschaften sind dabei die Hände gebunden, Ausweichorte schwer bis überhaupt nicht zu bekommen. In Treptow-Köpenick hat sich deshalb das Netwerk NWAGTK gegründet, kurz für NetzwerkAteliergemeinschaften Treptow-Köpenick [https://nwagtk.de/].

,,Die Atelierräume gehen verloren, die Preise steigen, es gibt keine Ausweichmöglichkeiten mehr! Es muss etwas passieren, was uns Künstler:innen das Arbeiten dauerhaft und sicher in Berlin ermöglicht! 2.000 subventionierte Ateliers reichen nicht. Subventionen können auch nicht die Lösung sein", schreiben sie in ihrem Aufruf für das erste Vernetzungstreffen, das am Sonnabend, 25. März, am Flutgraben 3 in Treptow stattfindet

.,,In Treptow-Köpenick haben wir erreicht, dass die Ämter Kultur, Stadtentwicklung, Bauen und Wirschaftsförderung mit uns zusammenarbeiten. Wir brauchen euch – wir müssen uns zusammentun, um jetzt mit der Senatsebene weiterzuverhandeln", heißt es weiter.

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Aus: "Ateliers in Not: Neues Berliner Netzwerk will Räume für Kunst schaffen" Julia Schmitz (23.03.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/atelierplatze-netzwerk-will-raume-fur-kunst-schaffen-9529190.html

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Quote[...] Berlin mag seine Kunst- und Kreativszene weiterhin als touristisches Aushängeschild nutzen, Fakt ist aber auch: Die Räume, in denen Künstlerinnen und Künstler ihrer Arbeit nachgehen können, werden immer weniger. Häuser werden verkauft, Mieten sprunghaft erhöht, Ausweichorte sind nur schwer zu finden. Die Situation ist prekär: Allein in Oberschöneweide sind derzeit über 100 Kunstschaffende von Verdrängung bedroht.

... Zwar können Kunstschaffende als Einzelpersonen Stipendien und Unterstützung vom Senat bekommen, eine strukturelle Förderung von Atelierhäusern gibt es hingegen nicht. Es bleibe die Frage, sagt Körbs, ob Berlin noch Kreativhauptstadt sei. ,,Gibt es die berühmte ,Berliner Mischung' überhaupt noch?"

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Aus: ",,Die Lage ist prekär": Künstler:innen wollen Ateliersterben verhindern" Julia Schmitz (15.05.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/die-lage-ist-prekar-kunstlerinnen-wollen-ateliersterben-verhindern-9788057.html


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#96
"Aktivistinnen und Aktivisten besetzen Brachfläche neben Ostbahnhof" Stefan Simon (27.08.2020)
Eine Gruppe von zehn Leuten hat die Brachfläche neben dem Ostbahnhof mit ihren Bussen besetzt. Das Gelände befindet sich leicht versteckt neben dem Ostbahnhof und gegenüber dem Danziger Platz. Am Eingang zur Brachfläche hängt gut sichtbar ein großes Banner mit einem bunten Graffiti. Darauf steht: ,,We need homes to stay at home" (,,Wir brauchen Häuser, um zu Hause zu bleiben"). ... In einem offenen Brief, den die Gruppe auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichte, schreibt sie, dass es gerade in der Zeit der Pandemie besonders problematisch sei, dass viele Menschen kein Zuhause hätten und obdachlos in Frankfurt leben müssten. ,,Es gab bereits von vielen Seiten die Forderung, Hotels und Leerstand, den es in Frankfurt ja zu genüge gibt, für Menschen ohne festen Wohnsitz zur Verfügung zu stellen." Doch die Forderungen fanden in ihren Augen bisher zu wenig Beachtung. Deswegen wollen sie durch Aktionen weiterhin auf die Problematik aufmerksam machen. ...
https://www.fr.de/frankfurt/aktivisten-besetzen-brachflaeche-neben-dem-ostbahnhof-90032059.html

"Gruppe vom Bauwagenplatz am Ostbahnhof: Situation nach Umzug ist prekär" (04.06.2023) Christoph Manus
Die Stadt will der Gruppe zumindest ermöglichen, dass sie das Grundstück in Kalbach, auf dem einmal eine Schule entstehen soll, ein Jahr länger nutzen darf. ,,Wir arbeiten zurzeit an einer vertraglichen Regelung, die den Verbleib des Bauwagenplatzes auf dem Gelände an der Talstraße sichert", teilt Markus Radermacher mit, Büroleiter von Baudezernentin Sylvia Weber (SPD). Das Dezernat sei zudem auf der Suche nach einer langfristigen Perspektive für die Bewohner:innen, habe aber noch kein Ergebnis erzielt, heißt es weiter. ...
https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-leben-im-bauwagen-92319387.html

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"350 Menschen demonstrieren in Bremer Innenstadt gegen Überwachung " (4. März 2023)
In der Bremer Innenstadt hat am Samstag eine Demonstration der Bauwagen-Szene am Güterbahnhof stattgefunden. An dem Protestzug mit sechs Bauwagen nahmen laut Polizei etwa 350 Menschen teil. Gegen 19 Uhr fand eine Abschlusskundgebung an der Theodor-Heuß-Allee statt. Die Demo richtete sich gegen das angebliche Ausspionieren der Szene durch die Behörden. Nach einer Presseinformation der Organisatoren soll der Bauwagenplatz "Querlenker" mit aufwendiger Kameratechnik überwacht worden sein. Demnach sei die Kamera im Papageienhaus gegenüber aufgefunden worden. Außerdem verweist das Kolletiv auf ein Schreiben, wonach Immobilien Bremen dem Raum dort der Polizei überlassen habe. Das Bremer Innenressort weißt zurück, dass Stellen des Landes beteiligt seien und antwortet schriftlich. Laut Innenressort soll das Thema auch noch in der Bremischen Bürgerschaft im März Thema sein.
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/demonstration-wagenplatz-ueberwachung-polizei-bremen-100.html

"Bremer Bauwagenplatz ausgespäht: Eigentümer von Monster-Tele gesucht"
Gernot Knödler, Hamburg-Redakteur (20. 12. 2022)
In Bremen ist der Bauwagenplatz Querlenker offenbar observiert worden. Der Bremer Senat dementiert, dass Stellen des Landes beteiligt waren.
https://taz.de/Bremer-Bauwagenplatz-ausgespaeht/!5903261/

"Bremer Bauwagen-Siedlung ,,Querlenker": Wagenburg muckt auf" (19. 2. 2019)
Die Obdachlosen-Siedlung am Güterbahnhof ist geräumt. Jetzt fürchten auch die Bauwagen-Bewohner, verdrängt zu werden.
https://taz.de/Bremer-Bauwagen-Siedlung-Querlenker/!5571001/

von: anonym am: 15.12.2022 - 10:13
Themen: Repression
Was ist passiert?
Vor kurzem wurde im links-alternativen queer-feministischen Kulturprojekt ,,p.ara" in der Bremer Bahnhofsvorstadt Überwachungstechnik der Bullen oder des Geheimdienstes entdeckt, mitgenommen und unschädlich gemacht. Ziel der Überwachung war offensichtlich der linke Wagenplatz 'Querlenker' auf der gegenüberliegenden Seite der Schienen. Die Kameras zielten direkt auf den Eingang des Wagenplatzes. Seit wann die Maßnahme lief, ist bislang unklar.
https://de.indymedia.org/node/245569


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Quote[...] 40 Künstler verlieren in der Adalbertstraße ihre Ateliers. Am Wochenende feierten sie den Kehraus. Und reflektieren ihre Rolle als Gentrifizierer.

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Gelbe Pfeile weisen den Weg in die oberen Stockwerke. ,,Bereit für ein paar Treppen?", fragt Gilad Baram. Er ist Filmemacher und Fotograf. Seit elf Jahren lebt er in Berlin, vor drei Jahren bezog er ein Atelier in der Adalbertstraße in Kreuzberg.

Er teilt sich den L-förmigen Raum mit zwei Kolleginnen. Ende Juni müssen sie raus. Insgesamt 40 Mieter:innen verlieren oder verloren in der Adalbertstraße ihre Ateliers. 2021 kaufte die Wohninvest Zeta das Haus einem Privateigentümer ab, und veräußerte es an die Immobiliengesellschaft Coros Management, die das Gebäude nun leer haben will.

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10.000 Künstler:innen leben in Berlin hat eine kürzlich veröffentlichte Studie des Atelierbüros im Kulturwerk des Berufsverbandes bbk berlin ergeben. 63 Prozent verlieren gerade ihre Ateliers oder haben schon keines mehr. Obwohl die ständig steigenden Gewerbemieten schon seit Jahren ein riesiges Problem sind, steigt der Druck immer weiter. Jetzt kommen Inflation, gestiegene Energiekosten und Mieten mit einer angespannten Berliner Haushaltslage zusammen.

In einem jüngst veröffentlichten offenen Brief appellierten Berliner Kunstinstitutionen und Verbände an die Politik, die Kulturszene in den kritischen, kommenden zwei Jahren nicht kaputtzusparen. Für das besondere Berliner Kulturökosystem stünden ,,aktuell nur 3% des Gesamtvolumens des Berliner Haushalts zur Verfügung, gemessen an der Bedeutung der Kultur für die Stadt ist das verschwindend gering", schreiben sie.
Wer sein Atelier verloren hat, findet meist keines mehr. So wie die Künstler Ela Buria und Johan Reisang, die gleich nach dem Eigentümerwechsel 2021 ihr Studio im Dachgeschoss der Adalbertstraße räumen mussten. Bis heute arbeiten sie zu Hause, obwohl in ihrer Wohnung viel zu wenig Platz für ihre Kunst ist.
Den Begriff ,,Kreuzberger Mischung" kennen sie hier alle. Das Stadtentwicklungskonzept sieht für James Hobrechts Blockrandbebauung aus dem 19. Jahrhundert vor: Wohnen in Vorderhaus und Seitenflügel, Gewerbe in Hinterhaus und Hof, das führte zur jetzt verschwindenden sozialen Mischung.
Die Künstler-Gemeinschaft der Adalbertstraße ist sich der langen Tradition, in der sie stehen, bewusst. Sie sind eine von vielen gewachsenen Strukturen rund um Kottbusser Tor und Oranienstraße, denen es an den Kragen geht. Der Kunstverein NGBK, das Museum der Dinge, der Buchladen Kisch & Co. Sie alle mussten oder müssen aus ihren Gewerbehöfen raus. Nur dass im Falle der Kulturinstitutionen das Land einspringt und neue Bleiben zur Verfügung stellt.

,,Nutzungskonzepte im Dialog entwickeln", ,,langfristige Werte für die Stadtgesellschaft generieren", Dinge dieser Art hat sich Coros Management, die in Berlin auch in Neukölln oder Gesundbrunnen große Immobilienprojekte entwickeln, auf die Website geschrieben.

Magnus Bjerk und seine Kollegen haben andere Erfahrungen gemacht. Um auf die Diskrepanz hinzuweisen haben sie den Text auf ein regenbogenfarbenes Poster siebgedruckt, dazu einen Artikel aus einem Yachtmagazin über den Berliner Immobilienentwickler-CEO Jakob Mähren gehängt, den sie über verschachtelte Wege hinter Coros vermuten.
Hier hat der Feind ein Gesicht. Oft, wenn die Firmenkonstrukte noch komplexer sind, hat er keins. Professionelle Immobiliengesellschaften profitieren enorm vom Image des Kreativstandorts Berlin – und zerstören ihn zugleich.
3,58 Euro pro Quadratmeter hat Magnus Bjerk 2007 in der Adalbertstraße bezahlt, der aktuelle Preis liegt bei 11 Euro. Coros hat nun 32 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Undenkbar für frei arbeitende Künstler:innen mit einem Durchschnittseinkommen von knapp 20.000 Euro jährlich.

Bjerk geht davon aus, dass bis Oktober alle Mieter:innen des Hauses ihre Studios verloren haben werden, die Räume dann leer stehen, bis sie vom Eigentümer umgestaltet werden. Eine Anfrage des Tagesspiegels zu den genauen Plänen ließ Coros unbeantwortet.

Dass sie eine widersprüchliche Rolle spielen in dieser Entwicklung ist auch den Expats, den aus dem Ausland zugezogenen Künstler:innen, klar. Ihnen ist bewusst, dass sie Teil des Gentrifizierungsprozesses sind. Dass sie sich instrumentalisieren lassen, indem sie sich auf kurzzeitige, kulturelle Zwischennutzungen einlassen, die als kostenloses Marketing am meisten dem Immobilienentwickler nutzen. Wie also diesen Kreislauf verlassen?
In einem Gemeindezentrum auf der Oranienstraße treffen am Freitagabend bei einer Podiumsdiskussion Künstler und Aktivisten unterschiedlicher Couleur aufeinander. Historiker Sebastian Rodenfels erzählt, wie es am Kottbusser Tor zur bunten Mischung aus Migranten, Gewerbe, Handwerk und Künstler:innen kam.
Die Künstler:innen Daniele Tognozzi und Sonja Hornung veranstalten eine szenische Lesung zum Thema Art Washing. Es kommen vor: der Kurator, die Marketingfirma, der Investor, der selbstgerechte Künstler, der prekäre Künstler, der nach jedem Strohhalm greift. So, wie es in der Realität eben ist.

Ob eine Protestausstellung wie ,,Speculative Properties" das richtige Mittel ist, um gegen Immobilienspekulation vorzugehen, darüber kann man geteilter Meinung sein. Die Arbeitsgruppe ,,Im Dissens" des Kreuzberger Kunstvereins NGBK versucht dem erzwungenen Wegzug ihrer Institution aus der Oranienstraße mit Recherchen zu Gentrifizierungsprozessen und Zahlen und Fakten beizukommen.
Sie haben aktuelle Eigentumsverhältnisse in der Oranienstraße mit Daten aus 1993 verglichen, die Nachbarschaft zu ihren Mietverhältnissen befragt, Protestformen analysiert und in einer Zeitung publiziert.
Die Mietergemeinschaft Kotti & Co. geht da noch realpolitischer vor. Sie haben den schlechten Zustand, die teuren Nebenkosten der Sozialwohnungen am Kottbusser Tor auf die politische Agenda gebracht. Mittlerweile sind diese Wohnungen rekommunalisiert. Auch den Volksentscheid ,,Deutsche Wohnen & Co enteignen" haben sie befördert. Eigentum sei einfach falsch, wenn es um Wohn- und Arbeitsräume gehe, sagt Joerg Franzbecker von der NGBK-Gruppe beim Talk.

Planungssicherheit gibt es für Künstler derzeit höchstens in landeseigenen oder senatsgeförderten Liegenschaften. Der Bedarf an geförderten Ateliers ist groß. Derzeit gibt es laut Angaben des Berliner Atelierbüros 1214 geförderte Ateliers in Berlin. Gebraucht würden auf Dauer etwa 3500. Ein weiteres Manko: Bisher gelten alle Förderungen nur für einzelne Künstler, Gruppen können sich nicht bewerben. So fangen die Netzwerke immer wieder von vorne an.



Aus: "Teufelskreis der Aufwertung: Adieu Gewerbehof – Künstler am Kotti müssen raus" Birgit Rieger (18.06.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/teufelskreis-der-aufwertung-adieu-gewerbehof--kunstler-am-kotti-mussen-raus-10005208.html

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Quote[...] Enteignungen sind nichts Neues in Deutschland. Schon immer wurde in Ost wie West für Straßen, Zugstrecken, Flughäfen oder den Kohlebau privates Land gegen eine Entschädigung zwangsweise verstaatlicht.

Aber noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Grundgesetz-Artikel 15 angewandt. Demnach kann der Staat nicht nur einzelne Vermögensbestandteile enteignen, sondern ganze Unternehmen und sogar Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft überführen, also: vergesellschaften.

Was gerade in Berlin passiert, ist deshalb nicht eine sozialistische Spinnerei in einer ohnehin als etwas verrückt geltenden Stadt, sondern die Blaupause für Kommunen und Städte in allen sechzehn Bundesländern, wenn es darum geht, wofür der Staat eigentlich da ist, nämlich: die Daseinsvorsorge.

Tatsächlich reicht das juristische Gutachten der unabhängigen und überparteilich besetzten Expertenkommission weit hinaus über den eigentlichen Anlass, also den erfolgreichen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen.

Der Bericht macht klar, dass die Politik gegenüber allen großen Unternehmen, die Menschen mit dem versorgen, was sie zu einem würdigen, sicheren und gesunden Leben brauchen, ein mächtiges Instrument in der Hinterhand hält.

Die Berliner Koalition hat das Ergebnis der Expertenkommission in ihrem Regierungsprogramm bereits weitgehend unbemerkt antizipiert - und sich zudem in einer noch anderen Dimension nutzbar gemacht. Denn dort heißt es, dass ein Rahmengesetz zur Anwendung von Artikel 15 nicht nur das Wohnen betreffen wird, sondern grundsätzlich alle Arten der Daseinsvorsorge. Explizit genannt werden Wasser und Energie.

Dazu passt, was der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner kürzlich im Tagesspiegel sagte: ,,Wir müssen klären, wann eine Gemeinschaft von vier Millionen Menschen sagen darf oder sogar muss: Ein bestimmter Sektor ist für das Zusammenleben so wichtig, dass man im Zweifel und gegen eine Entschädigung auch enteignen darf." Der SPD-Chef Raed Saleh äußert sich ähnlich.

Das heißt allerdings nicht, dass die Berliner Koalition die Seite wechselt und jetzt wild alles enteignet, was ihr im Weg steht. Denn genau betrachtet sind die entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag und die Äußerungen des politischen Spitzenpersonals keine Ankündigung, sondern eine Drohung - gerichtet an große Unternehmen, die eine bedeutende Rolle auf dem Wohnungsmarkt und bei der Energieversorgung spielen.

In Berlin betrifft das zum Beispiel ganz konkret Vattenfall. Das schwedische Unternehmen versorgt in der Hauptstadt 1,4 Millionen Kunden mit Wärme, im vergangenen Jahr wurden die Preise erhöht. Vattenfall will diese Sparte des Geschäfts veräußern, der Senat möchte übernehmen - aber der Energieversorger ging in ein offenes Bieterverfahren.

Die Strategie der Berliner Koalition ist es, spekulative Interessenten allein schon mit der Möglichkeit einer Vergesellschaftung abzuschrecken. Mit dem 150 Seiten starken Gutachten in der Hand wirkt diese Aussicht gleich deutlich realistischer.

Dass der Senat jetzt konkret Tempo macht, ist deshalb weder nötig noch zu erwarten. In einem Rahmengesetz, das eine disziplinierende Wirkung in der Wirtschaft entfalten könnte, werden erst einmal die möglichen Wege zur Vergesellschaftung beschrieben, dann soll das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit prüfen, in Kraft treten wird es erst nach zwei Jahren.

Zudem hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner bei der Vorstellung des Gutachtens seine grundsätzliche Skepsis gegenüber Enteignungen bekräftigt.

Die Wohnungskrise muss also zumindest auf absehbare Zeit anders gelöst werden. Mehr Bauen wäre vielleicht eine Idee. Das Gesetz zur Vergesellschaftung als Drohkulisse und die zinsbedingt sinkenden Immobilienpreise helfen dem Senat womöglich zusätzlich dabei, das eine oder andere Wohnungspaket günstig zu erwerben - ganz ohne Enteignungsverfahren.


Aus: "Drohung mit der Enteignung in Berlin: Die Politik hält ein mächtiges Instrument in der Hinterhand"  Ein Kommentar von Lorenz Maroldt (28.06.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/meinung/drohung-mit-der-enteignung-die-heimliche-macht-der-politik-10062409.html


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Quote[...] Akute Angst vor dem Verlust ihrer Wohnung treibt derzeit Tausende Mieter in Pankow um. Kürzlich demonstrierte die ,,Pankow gegen Verdrängung" vor und während der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Pankow gegen den Wegfall Tausender Sozialbindungen im Bezirk. Sie fordert einen Berliner Krisengipfel und Sofortmaßnahmen zum Schutz vor Verdrängung.

,,In Pankow explodiert gerade eine soziale Zeitbombe", erklärte Hannah Rose von der Initiative. ,,Mit dem Auslaufen Tausender Sozialbindungen droht der letzte bezahlbare Wohnraum im Bezirk wegzufallen." Viele alteingesessene Mieter seien nun ,,akut von Verdrängung bedroht".

Die betroffenen Wohnungen liegen in den ehemaligen Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg und im Pankower Florakiez. Dort wurden im Rahmen des Programms ,,Soziale Stadterneuerung" seit dem Jahr 1993 rund 7.000 Wohnungen mit öffentlichen Fördermitteln saniert. Im Gegenzug mussten die Eigentümer für 20 bis 30 Jahre Verpflichtungen zum Mieterschutz eingehen.

Nun läuft diese Sozialbindung aus – es drohen heftige Mieterhöhungen bis zu 50 Prozent. Zudem befürchten viele Mieter akut Kündigungen wegen Eigenbedarfs, nachdem ihre Mietshäuser bereits in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden.

Pankows Bezirksamt räumte die Brisanz der Angelegenheit bereits ein. ,,Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge, denn nach dem Wegfall der Förderbindungen unterliegen diese Wohnungen dem allgemeinen Mietrecht", sagte die ehemalige Baustadträtin Rona Tietje (SPD) unlängst.

Insgesamt wird Pankow zwischen 2018 und 2025 knapp 4500 Wohnungen mit Sozialbindung verlieren. ,,Anfang 2026 werden dann nur noch 830 Wohnungen der Belegungsbindung unterliegen", sagte Tietjes Nachfolger Cornelius Bechtler (Grüne).

Von den politischen Verantwortlichen im Bezirk und auf Landesebene fordert die Initiative einen Krisengipfel, um ,,Lösungen für das Problem der auslaufenden Sozialbindungen" zu finden. ,,Die BVV haben wir als Ort ausgewählt, weil wir auch den Bezirk in der politischen Verantwortung sehen – neben dem Land Berlin und dem Bund", entgegnet Johannes Schorling von der Initiative.

Er wünscht sich vom Bezirk, dass er ,,proaktiv auf die Vermieter zugeht und sie zu Gesprächen einlädt, um sozialverträgliche Lösungen" auszuloten. Der Protest vor der BVV ,,wird nur der Auftakt sein, wir werden uns im weiteren Verlauf auch an die Landespolitik richten".

Allerdings sei der Bezirk der falsche Adressat für den Protest, sagte Bechtler dazu. Seine Möglichkeiten seien ,,sehr, sehr eingeschränkt". Schon Tietje hatte dazu erklärt, der Bezirk könne zwar Milieuschutzgebiete ausweisen und tue das auch, wo immer es gehe. Das Mietrecht generell sei aber Bundessache, als Steuerungsmaßnahme kämen eine Schärfung der Mietpreisbremse oder ein befristetes Mietenmoratorium infrage.

Auch Bechtler verwies erneut darauf, dass ,,die Möglichkeiten der Mietsteigerung über das Bürgerliche Gesetzbuch durch den Bund geregelt" werden. Sein zerknirschtes Fazit an die Protestierenden: ,,Wir können Sie leider nur beratend unterstützen – auch wenn Sie diese Aussage nicht zufriedenstellen wird."


Aus: "Protest gegen Verdrängung: Sozialbindung für Tausende Mieter in Berlin-Pankow läuft aus" Christian Hönicke (28.07.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/protest-gegen-verdrangung-sozialbindung-fur-tausende-mieter-in-berlin-pankow-lauft-aus-10228342.html