"Gefahrengebiet Schluss mit dem Theater" Frank Drieschner (23. April 2015)
Die Polizeiaktionen in einem angeblichen "Gefahrengebiet" im Schanzenviertel Anfang vergangenen Jahres stellt man sich am besten zusammen mit linker Randale und Bürgerprotest als doppelte Inszenierung vor: eine Bühne, aber zwei Ensembles, die vor zwei unterschiedlichen Arten von Publikum auftreten. ... http://blog.zeit.de/hamburg/schluss-mit-dem-theater/"„Die sollen erstmal kommen“" Jan Zombik (5. Mai 2015)
Etwa 50 Menschen haben sich am frühen Abend des 4. Mai vor der Liebfrauengemeinde in der nördlichen Neustadt versammelt. Hierhin hatte der Vorstand der Mainzer Wohnbau die Bewohner_innen der Soemmeringstraße 48-54 zu einer nicht-öffentlichen Mieter_innenversammlung geladen. Die betreffenden Gebäude sollen abgerissen werden. Eine Entschädigung gibt es dafür nicht, alternative Wohnungen bietet die Wohnbau den Mieter_innen nicht an. Um gegen die geschlossene Versammlung zu protestieren, hatten die Betroffenen die solidarische Öffentlichkeit eingeladen. ...https://www.zwischenze.it/die-sollen-kommen/---
"Gentrifizierung in San Francisco - Willkommen in der Hyperzivilisation" Johannes Kuhn, San Francisco (24. Juni 2015)
Je nach Schätzung verlassen zwischen 5000 und mehr als 20 000 Bewohner im Jahr San Francisco - in der Regel unfreiwillig. Weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können oder aus ihrer Wohnung geklagt werden. ... Die Stadt mit ihren 850 000 Einwohnern feiert Homosexualität und die freie Wahl des Geschlechts als Teil der Identität. Sie setzt konsequent auf erneuerbare Energien und plant, spätestens 2020 den eigenen Müll zu 100 Prozent zu recyceln. Die Zahl der Elektro- oder Hybrid-Fahrzeuge, der Bio-Läden und Öko-Restaurants ist beeindruckend.
San Francisco ist jedoch auch eine überforderte Stadt. Sie leidet wie der Rest der USA an einer maroden Infrastruktur. Bei Regen kann in einigen Bezirken schon mal der Strom ausfallen; die öffentlichen Verkehrsmittel sind hoffnungslos überfüllt und veraltet. Vor allem aber leidet San Francisco an Ungleichheit: 5460 Bürger besitzen ein Vermögen von je mehr als 30 Millionen Dollar; etwa 7000 San Franciscans sind obdachlos, viele davon haben psychische Krankheiten.
Morgens erheben sich die Obdachlosen aus ihren Pappkarton-Schlafquartiers und nur wenige Meter weiter stehen die Gruppen der Tech-Arbeiter am Straßenrand und warten auf die Spezial-Busse, die sie direkt zu Google, Facebook, Yahoo oder Apple bringen. Die Stadt ist längst mit dem Silicon Valley verschmolzen, zum Zentrum und Versuchslabor der Tech-Kultur geworden. Von Lebensmitteln und Shopping-Artikeln über Massagen bis zum medizinischen Marihuana - alles lässt sich per Smartphone ordern und in zehn bis 60 Minuten in Empfang nehmen.
Der Komfort dieser Hyperzivilisation macht eine Konfrontation mit der Realität für Tech-Arbeiter theoretisch überflüssig. ...
Viele Menschen sind ratlos und haben Angst. Einige verstehen nicht, was gerade passiert, weil sie nur an einer Gegenwart Interesse haben, in der sich beliebig viele Realitäten ausblenden lassen. Andere sind sich unsicher, was San Francisco gerade ist und künftig sein wird. ...http://www.sueddeutsche.de/leben/gentrifizierung-in-san-francisco-willkommen-in-der-hyperzivilisation-1.2528338"These Are the Faces of San Francisco’s Homelessness Crisis" Photography by Phoebe Heaton / Text by Keith A. Spencer (2016)
The greatest power of the photograph is its ability to pause time. Things that we would not dare stare at for more than a fleeting moment are made still by the shutter — frozen in a moment, forever, compelling us to return to them again and again. Homelessness is a crisis that needs to be frozen. It is something that is, from our perception, always fleeting. We look for a second, drop a coin or look away, and then we forget. ...https://thebolditalic.com/these-are-the-faces-of-san-franciscos-homelessness-crisis-8fd3750edacc---
"Wir sind das Gemüse" Jan Brandt (7. Juli 2015)
Es ist Mittwoch, ein warmer Sommerabend, die Sonne scheint, voller Kampfeslust gehe ich die Wrangelstraße entlang. Die Wrangelstraße, die vom Mariannenplatz zur Taborkirche reicht, ist zurzeit ständig in den Medien. Wegen Bizim Bakkal. Bizim Bakkal ist Türkisch und heißt "Unser Lebensmittelladen". Bizim Bakkal ist der letzte Gemüseeinzelhändler in der Gegend, die letzte Bastion gegen Konzerne, die Globalisierung, die durchkommerzialisierte Stadt. Jetzt soll Bizim Bakkal schließen. Der neue Eigentümer des Hauses mit der Nummer 77 hat der Familie Çalişkan, die seit 28 Jahren im Erdgeschoss Gemüse verkauft, gekündigt. Ende September soll sie raus. Das will die Nachbarschaft nicht zulassen. Seit fünf Wochen gibt es Proteste. Jeden Mittwoch versammeln sich mehr und mehr Menschen vor Bizim Bakkal und demonstrieren dafür, dass er bleibt, wo er ist. ...http://www.zeit.de/freitext/2015/07/07/bizim-bakkal-wrangelkiez-berlin/---
"Gentrifizierung: Ihr kriegt uns hier nicht raus" Jana Gioia Baurmann (12. Juli 2015)
Im "Horrorhaus" in Berlin stinkt es, überall liegt Müll, ständig ist die Polizei da. Der Eigentümer benutzt offenbar Roma, um Altmieter zu vergraulen. Doch eine Frau wehrt sich. ... Das Haus ist 2012 verkauft worden, Eigentümer ist seitdem die G 87 Grundbesitz GmbH. Repariert wird schon lange nichts mehr, weil das Haus gewinnbringend weiterverkauft werden soll – dafür müssen die 19 Bestandsmieter raus. Die Roma sind kein Problem, ihre Verträge sind befristet. ...http://www.zeit.de/2015/26/roma-haus-berlin-grunewaldstrasse---
Seit der Besetzung 1990 gibt es in der Linienstrasse 206 ein lebendiges, politisches Wohnprojekt. In den vergangenen 22 Jahren gab es immer mal neue Eigentümer_innen, die versuchten ihre Vorstellung davon mit dem Haus Profit zu machen umzusetzen. So auch die neuen Eigentümer Frank Wadler und Bernd-Ullrich Lippert: Nach erzwungenen Hausbesichtigungen und diversen von ihrer Seite abgelehnten Gesprächsangeboten kamen jetzt die ersten Abmahnungen, Kündigung und zu einem seit Herbst 2012 anhaltenden Rechtsstreit. Das ist eine klare Kampfansage, die wir selbstverständlich nicht unbeantwortet lassen!...http://linie206.blogsport.de/http://linie206verteidigen.blogsport.de/http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/linkes-wohnprojekt-linie206-zwei-wohnungen-in-linienstrasse-geraeumt/13574262.html"Wohnprojekt geräumt: "Linie206" war das letzte umkämpfte Haus in Mitte" Gerd Nowakowski (10.05.2016)
Vor 26 Jahren wurde die "Linie206" besetzt - am Dienstag wurde sie von der Polizei geräumt. Das Berliner Haus und seine Bewohner wirkten schon im vergangenen Sommer wie aus der Zeit gefallen. ... Das heruntergekommene Gemäuer wirkt wie aus einer anderen Welt; einer, die Berlin auch einmal war. Ein Fremdkörper in der „Spandauer Vorstadt“, die heute als Inbegriff der Gentrifizierung gilt, wo seit dem Mauerfall die Sanierungen und steigenden Mieten den größten Teil der ehemaligen Bewohner verdrängt haben.
„Wir gehen nicht, wir bleiben“, sagt Johannes, ein schlanker Mann in T-Shirt und Jeansjacke, bestimmt. Er und die übrigen Bewohner sehen sich als Mitglieder des letzten umkämpften Hausprojekts in Berlin. Besetzt wurde die „Linie206“ im Mai 1990, in jenen wilden Zeiten nach dem Mauerfall, als sich die bürokratische Ordnung gewissermaßen eine Auszeit nahm, weil die alten SED-Kader sich lieber unsichtbar machten und die neuen Kräfte noch nicht in ihre Rolle gefunden hatten. Die Häuser denen, die drin wohnen, hieß es da, was besonders für jene galt, in denen niemand lebte, weil die DDR sie hatte verkommen lassen. Also zogen dort Menschen ein, die eben diese Hinterlassenschaften des zusammengebrochenen DDR-Sozialismus als durchaus fruchtbar für ihre eigenen Utopien sahen.
Es ist schwer, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Ein offenes Haus ist das nicht. Es braucht mehrere Besuche, um hineinzukommen: jedes Mal langes Ausharren vor dem Eingang, bis endlich wer öffnet – aber nur einen Spalt breit. Immer wieder eine Abfuhr; das Plenum müsse beraten, heißt es. Dann, im fünften Anlauf, gibt es doch Einlass und die Möglichkeit zu einem Gespräch. Allerdings unter Auflagen. Keine Fotos von den Wohnungen und vom Hof, keine von den Bewohnern, auch keine Nachnamen, so hat es das Plenum entschieden. Man wisse ja nie, was die andere Seite plant. Die andere Seite, das sind die Eigentümer dieses bunten Hauses. ... „Wir haben einen undogmatischen, linksradikalen und anarchistischen Anspruch“, – so haben sie sich mal in einer Selbstdarstellung beschrieben – „und versuchen, ein möglichst selbstbestimmtes, hierarchiefreies Leben zu realisieren.“ Wie schwer so etwas im Alltag sein kann, trotz wöchentlichen Plenums, kann man ahnen. ... Das Thema Stadtzerstörung sei doch aktuell wie nie, sagt Johannes. Trotzdem stoße man damit in der Stadt auf „taube Ohren“. Da komme er sich vor wie ein „altmodischer Revoluzzer“, sagt er, was aus seinem Mund irgendwie merkwürdig klingt. Wie sich die Stadt verändert habe, dafür „geben wir nicht denen die Schuld, die im St. Oberholz sitzen“, beteuert er.
„Wir wollen kein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“, unter diesem Motto feiern dieser Tage einige ehemals besetzte Häuser den wilden Ost-Berliner Sommer vor 25 Jahren. Um die ganze Bäckerei aber geht es längst nicht mehr, sie müssen mit den Krümeln zufrieden sein. Mitte 1990 gab es in Ost-Berlin nahezu 120 besetzte Häuser, geduldet vom Ost-Berliner Magistrat. Erst ab August galt auch in den Ost-Bezirken die sogenannte „Berliner Linie“, nach der neu besetzte Häuser innerhalb von 24 Stunden geräumt werden. Bewohnern bis dahin besetzter Häuser wurden dagegen Verträge angeboten. Die Besetzer der Linie 206 waren schon 1990 für Mietverträge – und konnten damals nicht ahnen, dass diese bis heute die Existenz des Projekts sichern würden. ... Wie es enden könnte, irgendwann, haben die Bewohner der „Linie206“ nicht weit entfernt täglich vor Augen, auf der anderen Seite des Rosenthaler Platzes. Dort wurde 2010 das ehemals besetzte Haus „Brunnen183“ geräumt. Auch hier wurden vom Gericht die Mietverträge für nichtig erklärt. Heute existiert die Fassade mit dem Spruch „Wir bleiben alle“ nur noch als Postkartenmotiv. Seit Ende 2014 steht auf der nun schwarz gestalteten Fassade des inzwischen sanierten Hauses in meterhohen goldenen Lettern „183“. Es wirkt fast wie ein arroganter Hinweis, dass dies goldene Zeiten für Spekulanten sind.
http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/wohnprojekt-geraeumt-linie206-war-das-letzte-umkaempfte-haus-in-mitte/12180220.html---
Kirche von Unten, Kremmener Straße 9-11 (Berlin)
Vielmehr bildet das Verantwortungsbewußtsein jedes Einzelnen die Grundlage für einen partnerschaftlichen Umgang miteinander und läßt in der Gruppe keine Hierarchien zu. Dem liegt unser Anspruch zugrunde, keine Strukturen zu dulden, die andere Menschen unterdrücken. Dieser Idealfall muß allerdings im Beziehungsgeflecht unserer Gruppendynamik immer wieder aufs neue erkämpft und hinterfragt werden. Die Erfahrungen aus solchen Auseinandersetzungen erzeugen eine spezielle Form des Miteinander-Umgehens in der VV und lassen diese besonders schüchternen Außenstehenden häufig als abgeschottete, verschworene Gemeinschaft erscheinen. Die KvU ist aber weder eine Therapiegruppe für Althippies, Anarchopunks und andere seltsame Sitzengebliebene, noch will sie sich zum Billigst-, Veranstaltungs- und Saufort bestimmen lassen. Sie ist allenfalls eine Mischung aus beidem. Die spezifischen Würze jedoch ergibt sich aus der sensiblen Basissuppe unserer sozialen und politischen Vorstellungen, deren unbeirrter praktischer Anwendung und nicht zuletzt einem wohldosierten Spritzer Bier. ...http://kvu.blogsport.de/---
Wir sind Kotti & Co – die Mietergemeinschaft vom Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg. Wir sind ca. 20 Peronen im engeren Kreis (Kerngruppe) – plus Familien und Verwandte – und natürlich unsere Freunde und Freundinnen. Darüber hinaus gibt es viele die sich bei unserem Protesthaus (Gecekondu) engagieren oder wieder andere die eher im Hintergrund uns mit ihrer Stadt- und Mietenpolitischen Expertise zu Rat stehen. Desweiteren gibt es seit Mitte 2013 eine Jugend AG (Kotti-Youth) mit ca. 15-20 Mitgliedern. Alles weitere entnehmt bitte unseren Veröffentlichungen auf dieser Webseite...http://kottiundco.netDer Kotti-Shop ist ein experimenteller, non-profit Kunst- und Projektraum, im Erdgeschoss des Neuen Kreuzberger Zentrums, direkt am Kottbusser Tor in Berlin.
Er betreibt eine eigene kleine Druckwerkstatt "Copyroboter“ mit maschinellen Siebdruckmaschinen....
http://kotti-shop-blog.tumblr.com/ |
http://www.kotti-shop.net/...
"Raub und Schläge am Kottbusser Tor in Berlin Selbst für Kreuzberg zu krass" Hannes Heine (18.02.2016)
Seit 30 Jahren gehört das Kottbusser Tor zu den Berliner Problemplätzen. Nun ist es richtig gefährlich geworden. 50 Prozent mehr Überfälle, 100 Prozent mehr Diebstähle. Ex-Hausbesetzer und türkische Gastronomen haben genug. ..."Kriminalität in Berlin-Kreuzberg Wachschutz soll für Sicherheit am Kottbusser Tor sorgen" Jörn Hasselmann (15.03.2016)
Die Hausverwaltungen am Kottbusser Tor wollen einen Wachschutz bezahlen, damit sich die Mieter sicherer fühlen. 20.000 Euro monatlich soll das kosten. ...http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/kriminalitaet-in-berlin-kreuzberg-wachschutz-soll-fuer-sicherheit-am-kottbusser-tor-sorgen/13320636.html onkelrie
15.03.2016 07:26 Uhr
Das ist Sache der Polizei
Die Hausverwaltungen werden das nicht aus eigener Tasche bezahlen, sondern auf die Mieter umlegen. Die sozial Schwachen sollen nun auch noch eine originäre Staatsaufgabe selbst bezahlen. Warum bezahlen eigentlich die Politiker ihren Personenschutz nicht aus der eigenen Tasche, wenn die Polizei ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen kann?
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Unser Bündnis besteht aus unterschiedlichen Gruppen, Organisationen und Individuen, die gemeinsam gegen die Politik der sozialen Ausgrenzung in Berlin protestieren und für eine soziale und solidarische Stadt kämpfen. ...https://bsolidarischestadt.wordpress.com/---
Friedrichshain-Blog - Berlin Friedrichshain & Kreuzberg
http://friedrichshainblog.de/MieterInnen aus der Palisadenstraße 41-46 gegen ihre Verdrängung durch hohe Mieten... Wir sind die MieterInnen aus der Palisadenstraße 41-46 in Berlin-Friedrichshain. Wir stehen vor großen Mieterhöhungen, die unsere Renten bei Weitem übersteigen. Wir wehren uns dagegen, weil die Wohnung mehr als ein Sack Kartoffeln ist, den man auf dem Markt erwirbt. ...http://palisaden-panther.blogspot.de/---
ABRISSBERLIN vernetzt Menschen und Initiativen gegen Abrisspolitik und Privatisierung – für Aufbruch und Ausbrüche! Gegen Stadtlifting. Für den Mut zur Unordnung am Sehnsuchtsort Berlin. ...
http://www.abriss-berlin.de/---
"In Hamburgs Bahnhofsviertel sterben die Spelunken" Lorenz Hartwig (August 13, 2015)
Henrik Malmström: Als meine damalige Freundin und ich 2010 eine günstige Wohnung in der Robert-Nhil-Straße gefunden haben, war draußen auf der Straße die Prostitution in vollem Gange. In einem ersten Projekt habe ich von meinem Wohnzimmerfenster aus die Frauen fotografiert. Dann führte mich meine Neugier in die Kneipen. ...https://www.vice.com/de/read/hansaplatz-st-georg-kneipe-henrik-malmstroem-332---
"Steht's noch? Architektur und Abriss in Hamburg (3): Mach’s gut, altes Haus!" Hanno Rauterberg (DIE ZEIT Nº 31/2015)
Zertrümmert, zerlegt und zerbröselt: Hamburgs Geschichte ist eine Geschichte aus Staub und Asche. Kein alter Stein, so scheint es, darf auf dem anderen bleiben. Was Brände und Kriege nicht erledigen, geht in den Schlachten der Immobilienwirtschaft unter. Hamburg, so schrieb einst Alfred Lichtwark, der erste Direktor der Kunsthalle, "hätte die Stadt der Renaissance sein können, des Barock und des Rokoko. Doch alle diese Schätze wurden stets begeistert dem Kommerz geopfert."
Die Statistiken geben Lichtwark noch immer recht. Längst hat die Abrissbirne auch weite Teile der Gründerzeit vernichtet, noch nicht mal mehr zehn Prozent aller Gebäude in Hamburg sind heute älter als 100 Jahre. ... Im Grunde ist so ein Haus ja auch nur ein Mensch. Und wenn kein Mensch, dann zumindest ein sehr eigentümliches Ding, weil es uns, die Bewohner, umschließt und umfasst, weil es belebt wird und damit selbst zu leben beginnt und eine eigene Geschichte birgt.
In alten Häusern ist etwas verwahrt, das die Gegenwart nicht künstlich produzieren kann, man könnte es den Geist der Verbundenheit nennen. Weil so ein betagtes Bauwerk schon ganz andere Zeiten gesehen hat, weil sich ihm viele Spuren des gelebten Lebens eingeschrieben haben, setzt es die Menschen in Beziehung: mit anderen, mit einer Vergangenheit, vielleicht sogar mit sich selbst.
Alte Häuser können wie Erbstücke sein, die man auch dann noch mit sich trägt, wenn man nicht weiß, was sie ihren früheren Besitzern wirklich bedeuteten. Man verwahrt sie: aus einem Gefühl der Demut heraus.
Kostbar wird so ein altes Haus eben nicht allein aus materiellen Gründen. Kostbar ist es, weil es die eigene Lebensspanne überragt – es war schon da, und es wird noch da sein. Es lässt Menschen spüren: Sie leben nicht allein aus sich heraus. Sie dürfen sich anlehnen an das, was auf sie kam. Dürfen sich daran reiben, können darüber staunen. Im Angesicht alter Häuser weitet sich der Blick auf das, was allen eigen ist: geteilte Geschichte, im Guten wie im Schlechten. Und vermutlich deshalb empfinden manche den Abriss eines Bauwerks als eine Form von kollektiver Enteignung. Der Mensch ist ja, immer noch, ein spürendes Wesen. Es verlangt ihn nach Zugehörigkeit, nach Kontemplation, nach dem Schönen – und all das vermögen alte Häuser zu bieten.
Erst im Umgang mit ihnen zeigt sich, was der Gegenwart wichtig ist. Was bedeutet ihr die Treue zu sich selbst und also zur eigenen Vergangenheit? ...
http://www.zeit.de/2015/31/architektur-alte-gebaeude-abreissen-erhalten