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[Zur Geschichte (Bruhstuecke) ... ]

Started by Link, December 27, 2008, 05:07:42 PM

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"Missing Link: Vor 75 Jahren ging ein Krieg zu Ende"  Detlef Borchers (16.08.2020)
Im Radio erklang 1945 erstmals die Stimme des japanischen Kaisers: Er befahl seiner Regierung, die Potsdamer Erklärung anzuerkennen. Japan kapitulierte.  Am 15. August 1945 wurde die Radioansprache des japanischen Kaisers Hirohito ausgestrahlt, in der dieser seiner Regierung befahl, die Potsdamer Erklärung anzuerkennen und die bedingungslose Kapitulation zu unterschreiben. Mit dem "Kaiserlichen Erlass zur Beendigung des Großostasiatischen Kriegs" endete der Zweite Weltkrieg. Die Gyokuon-hōsō (Übertragung der kaiserlichen Stimme) oder "Jewel Case Broadcast" genannte Ansprache erfolgte im klassischen Japanisch, das nur wenige Japaner verstehen konnte. Deshalb musste ein Radiosprecher unmittelbar nach der kaiserlichen Rede erläutern, dass Japan kapituliert. Es war das erste Mal, dass Japaner ihren Tennō hören konnten. ...
https://www.heise.de/hintergrund/Missing-Link-Vor-75-Jahren-ging-ein-Krieg-zu-Ende-4871620.html?seite=all


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Quote[...] Der Mann auf Spiegel TV [https://www.youtube.com/watch?v=bCaTX7gd32E] ist sich sicher. ,,Wir wollen unseren Kaiser zurück! Wir wollen zurück auf Ehrlichkeit, auf Menschlichkeit!", sagt er auf einer Coronademo in Baden-Württemberg. In Berlin wird wenig später die Treppe des Parlamentsgebäudes von schwarz-weiß-roten Reichsflaggen geflutet. Während die Reichskriegsflagge – die mit dem Eisernen Kreuz in der Mitte – schon immer ein verkapptes Erkennungszeichen von Neonazis war, scheinen die Reichsflaggenschwenker, vor allem aber ihre Mitläufer, ein diffuseres Bild abzugeben. Ihr gemeinsamer Nenner ist offenbar: Sie fantasieren von einer Einheit zwischen ,,dem Volk" und dem starken Mann an der Spitze, ohne lästige, korrupte Politiker dazwischen, die den ,,Volkswillen" ignorieren. Und der Chef greift, wenn nötig, mal so richtig durch.

Würden sie sich mit dem Kaiserreich ein bisschen näher beschäftigen – die Kette der Enttäuschungen wäre sehr lang. Das fängt mit dem Namensgeber an. Der durfte sich nicht ,,Kaiser von Deutschland" nennen, sondern er hieß, ziemlich profan, ,,Deutscher Kaiser". Ein feiner Unterschied und ein Kompromiss mit den Fürsten der Einzelstaaten, die sich nicht als Untertanen des neuen Kaisers sahen. Der Kaiser hatte Macht, aber sie war nicht absolut. Jede Entscheidung musste er sich vom Reichskanzler absegnen lassen, selbst öffentliche Reden. Zwar konnte der Kaiser den Kanzler jederzeit entlassen, aber ein starker Regierungschef wie Bismarck schaffte es, 19 Jahre lang drei Kaiser zu beeinflussen, gar zu lenken.

Der Reichstag besaß für damalige Verhältnisse ziemlich viele Rechte. Gesetze mussten durch das Parlament gehen. Im Reichstag saßen Fraktionen, die im Laufe der Jahre feste Lager bildeten. Fraktionen, Parteien? Fänden diejenigen, sie sich heute hinter Reichsflaggen versammeln, wohl nicht so gut.

Das Deutsche Reich war kein Führerstaat, sondern ein kompliziertes Geflecht aus Machtzentren, die sich gegenseitig relativierten. Hätten die heutigen Bewunderer des Kaiserreichs damals gelebt, hätten sie wohl, wie heute, von ,,denen da oben" gesprochen. Denn auch das damalige politische Getriebe war auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen.

Sie wären außerdem entgeistert von den sehr unterschiedlichen politischen und sozialen Verhältnissen. Im Jahr 1892 brach in Hamburg die Cholera mit 8.500 Toten aus, weil der Stadtstaat das Trinkwasser direkt aus der Elbe bezog. Das benachbarte preußische Altona blieb von der Cholera verschont, dort wurde das Trinkwasser besser aufbereitet. Mittelalter und Moderne lagen ziemlich nahe beieinander – Föderalismus in Extremform. Und sehr wahrscheinlich hätten die Reichsfans, hätten sie damals gelebt, zur großen Mehrheit der Besitzlosen gehört. Wenn sie Fabrikarbeiter gewesen wären, hätten sie täglich 10 bis 12 Stunden schuften müssen, als Dienstmädchen in der Regel noch länger. Die Wohnbedingungen gerade in den Großstädten wären für sie elendig gewesen.

Das Deutsche Reich war keine harmonische Volksgemeinschaft, sondern eine harte Klassengesellschaft. Die Regierungspolitik verschärfte die Spaltungen noch. Zwölf Jahre lang war die Sozialdemokratische Partei verboten. Während ihre Funktionäre als ,,Reichsfeinde" verfolgt und ins Gefängnis gesteckt wurden, bildeten die Arbeiter eine Subkultur; sie schotteten sich ab, weil sie vom Staat wenig zu erwarten hatten. Wilhelm-Fans waren sie eher nicht – sie hatten einen eigenen Kaiser: den ,,Arbeiterkaiser" August Bebel, den SPD-Vorsitzenden.

Mit seinem sogenannten Kulturkampf versuchte Bismarck die katholische Kirche aus dem öffentlichen Raum zu drängen und ihren Einfluss zu beschneiden – was schließlich auch die Katholiken in die innere Emigration trieb. Der Kulturkampf hatte aber noch eine zweite Ebene: Er war ein Krieg des preußischen Rationalismus gegen diejenigen, die von einer alternativen, transzendenten Wahrheit überzeugt waren. Der preußische Staat schickte schon mal die Polizei vor, wenn es zu Massenaufläufen wegen angeblicher Ma­rien­erscheinungen kam. Menschen, die nicht der protestantisch-preußischen De-facto-Staatsreligion anhingen, waren marginalisiert. Auch esoterisch Veranlagte und Impfgegner – auch die gab es damals schon – hatten wenig zu lachen. Im Jahr 1874 wurde, von Preußen initiiert, das Reichs­impf­gesetz auf den Weg gebracht, durch das für Kinder die Impfpflicht gegen die Pocken durchgesetzt wurde. Eltern, die dem nicht nachkamen, mussten mit Geld- oder Haftstrafen rechnen.

Das Deutsche Reich war ein innerlich zerrissenes, mehrfach gespaltenes Staatsgebilde, dessen Widersprüche durch äußeren Pomp nur mühsam verdeckt wurden. Auch ohne den Ersten Weltkrieg wäre es sehr wahrscheinlich zusammengebrochen.

Die Reichsfans wird man mit solchen Argumenten nicht erreichen können. Aber das Kaiserreich sollte aus der Tabuzone geholt werden. Gedenkpolitisch ist es eine Leerstelle; der Politik ist es entweder peinlich oder egal. Aber wie es mit Tabus so ist: Wird nicht darüber geredet, steigt bei vielen erst die Faszination dafür. Nicht nur bei den Demonstranten vor dem Reichstag. Auch in gediegenen Milieus kann es passieren, dass, natürlich erst nach dem dritten Whisky, dem Gast plötzlich die Liebe zum Kaiserreich gestanden wird. Geredet werden sollte auch über die verborgenen Erbschaften, die bis heute nachwirken: das Statusdenken breiter Schichten etwa, die sich nach unten abgrenzen; die oft maßlose Angst vor sozialer Deklassierung in der Mittelschicht. Oder die notorische Skepsis süddeutscher Bundesländer gegenüber ,,Berlin". Reden über das Kaiserreich sollte gerade eine Bundesrepublik, die allen Ernstes den Wohnsitz des ehemaligen Kaisers, auch als Berliner Schloss bekannt, wieder aufbauen lässt. Nächstes Jahr gibt es eine prima Gelegenheit für all das: Dann jährt sich die Reichsgründung zum 150. Mal.




Aus: "Coronaleugner mit Reichsflaggen: Tabu Kaiserreich" Kommentar von Gunnar Hinck (17. 9. 2020)
Quelle: https://taz.de/Coronaleugner-mit-Reichsflaggen/!5709925/

QuoteSAMS

Der Traum vom gerechten Monarchen, der selbstlos das beste für die Gemeinschaft anordnet, ist wohl so alt wie illusorisch! Aus der Geschichte ist mir jenseits hagiographischer Verklärungen kein Fall bekannt. Macht hat noch jede Moral verdorben und die eigene Sippe ist einem immer näher als die Masse eines Staatsvolks. Das ist biologisch angelegt und stammt aus Zeiten, als der Mensch in Großfamilien durch die Steppe zog!

Dieser Wunsch nach dem starken Führer entspringt natürlich der Suche nach Sicherheit. Man will sich mit den drängenden Fragen der Zeit nicht selbst beschäftigen um seine demokratische Wahlentscheidung zu treffen. Demokratie braucht aber ein gewisses Maß an Mitarbeit und Mitdenken und ihr Ende ist vorprogrammiert, wenn die Mehrheit des Stimmvolks diese Anstrengung nicht mehr aufbringen will oder kann. Einen gewissen Präsidenten als korrupten Idioten zu entlarven, ist ja nun wirklich nicht schwer, aber trotzdem machen im Herbst wohl viele Amis ihr Kreuz für ihn. Einfach weil sie es nicht gewohnt sind, über ihre Entscheidung nachzudenken oder ein Faktencheck seiner Propagandalügen jenseits ihrer Möglichkeiten liegt. Mag es an der medialen Filterblase liegen oder schlicht am Intellekt...


QuoteHaresu

Jawoll. Samstags gab es übrigens auch keine Demo, da wurde gearbeitet. Abends dann mit viel Glück alle hintereinander in die Badewanne, Erbseneintopf, dann ins Bett, weil total erschöpft. Manchem möchte man das glatt mal wünschen.


QuoteRolf B.

Danke, taz. Wie immer klärst Du, liebe taz, rein sachlich auf. Z.B. wenn Du schreibst, dass in Berlin die Treppe zum Reichstag "von schwarz-weiß-roten Reichsflaggen geflutet" wurde. Ich habe da im Fernsehen ein paar Verrückte gesehen, die angetrieben von einer Heilpraktikern aus der Eifel, von 3 Polizisten aufgehalten wurden, die mit ihrem Knüppel drohten. Streng genommen eine Lachnummer.

Und dnke taz, dass Du aufklärst und deutlich klarstellst, dass das Leben unter den deutschen Kaisern von einer regiden Klassengesellschaft geprägt war.

Es hat sich viel getan. Statt Pickelhaube oder Tschako nun Schutzkleidung und schwarze Helme, Vermummung, Kampfgas und Wasserwerfer, die jede Demonstration sprengen können, unterstützt mit neuen Polizeigesetzen.

Was dem einen die Reichsflagge, ist dem anderen sein Berliner Schloss oder die Garnisonskirche in Potsdam.

Und was dem einen die Demokratie ist, ist dem anderen eine Klassengesellschaft.

Die wirren TrägerInnen der Reichsflagge sind doch letztendlich Teil unserer Gesellschaft, genauer Produkt dieser Gesellschaft, die wie schon zu WII Zeiten auch eine Klassengesellschaft ist. Aber selbstverständlich eine moderne. Aber ist sie auch aufgeklärter?


Quotejoaquim

"Diejenigen, die sich heute den Kaiser zurückwünschen, hätten unter ihm nichts zu lachen gehabt." Das kann man über die heutigen Nazis und Hitler wohl genauso sagen.


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Quote[...] Hunderttausende Menschen mussten ab 1933 Deutschland verlassen. An der Ruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin soll ein Museum an sie erinnern.

Bis zur Machtübernahme der Nazis war Hertha Nathorff, geborene Einstein, eine erfolgreiche Kinderärztin. 1923 hatte sie die Leitung eines Entbindungs- und Säuglingsheims in Berlin-Charlottenburg übernommen. Wenig später baute sie mit ihrem Mann Erich, ebenfalls ein Arzt, zusätzlich eine private Praxis auf. 1933 wurden beide als Juden aus dem Klinikdienst entlassen.

Fünf Jahre später verloren sie die ärztliche Approbation. Erich Nathorff wurde während der Novemberpogrome schwer misshandelt. Ein Jahr später verließ das Ehepaar Berlin in Richtung New York. Völlig mittellos musste sich Hertha Narthoff als Krankenpflegerin, Barpianistin, Küchenhilfe und Dienstmädchen durchschlagen. Ihr Studienabschluss und der ihres Mannes war in den USA nicht anerkannt worden.

Das ist die Kurzfassung eines Wikipedia-­Eintrags zu Hertha Narthoff, die 1993 in New York gestorben ist. Dass ihr Schicksal der Nachwelt überliefert ist, ist Wolfgang Benz zu verdanken. 1986 veröffentlichte der Historiker ihr Tagebuch. ,,Es hat mich immer gestört, dass vom Exil im Deutschland der Nachkriegszeit nur im Zusammenhang mit Geistesgrößen wie Thomas Mann die Rede war", sagt Benz heute. Das Exil der kleinen Leute habe dagegen niemanden interessiert. ,,Die waren vergessen."

So entstand mit der berührenden Geschichte von Hertha Nathorff auch eine Lebensaufgabe für den inzwischen 79-Jährigen. 1991 veröffentlichte Benz sein Buch ,,Das Exil der kleinen Leute". Mittlerweile ist der emeritierte ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin Berater einer Ini­tiative, die den 500.000 Deutschen und Österreichern, die vor den Nazis ins Ausland fliehen mussten, eine späte Anerkennung zuteil werden lassen will.

In Berlin soll auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs ein Exilmuseum entstehen. Eine Wiedergutmachung wäre ein solches Museum für Wolfgang Benz nicht, denn ein Leben außerhalb des eigenen Landes, der Sprache, der Freunde und Familie sei nicht wiedergutzumachen. ,,Aber es ist vielleicht eine stellvertretende Wiedereinbürgerung im Abstand von vielen Generationen", sagt er.

Seitdem im August der Architekturwettbewerb entschieden wurde, steht das Bild des Exilmuseums mit dem wuchtigen, geschwungenen Baukörper der Kopenhagener Architektin Dorte ­Mandrup hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs da wie ein mahnendes Fragezeichen. Warum erst jetzt? Warum nicht schon früher?

Dass es bislang kein solches Museum gab, lag für Wolfgang Benz daran, dass das Thema Exil in Deutschland lange ,,suspekt" gewesen sei. ,,Diejenigen, die zu Hause geblieben waren, hatten ein Rechtfertigungsbedürfnis. Dazu gehörte auch die Vorstellung, dass die Menschen, die Deutschland auf der Flucht vor Hitler verlassen haben, in Saus und Braus gelebt haben, während man selbst im Bombenkrieg zitterte oder an der Ostfront die Knochen hinhalten musste." Benz nennt das die ,,Lebenslügen und Selbstbeschwichtigungen derjenigen, die Hitler zugejubelt oder ihn stillschweigend unterstützt haben".

Vielleicht bedurfte es erst einer Frau wie Herta Müller, die selbst die Erfahrung des Exils gemacht hatte – die Schriftstellerin musste 1987 ihre Heimat Rumänien verlassen. Vor neun Jahren schrieb die spätere Literaturnobelpreisträgerin an Kanzlerin Angela Merkel und brachte die Idee eines ,,Museums des Exils" ins Spiel. Vier Jahre danach veröffentlichte der Fotograf Stefan Moses den Fotoband ,,Deutschlands Emigranten", zu dem Christoph Stölzl die Texte beisteuerte.

,,Zweitausend dieser Bücher hat dann der Gründer des Auktionshauses Villa Grisebach, Bernd Schultz, als Sonderdruck verschickt und eine riesige Resonanz bekommen", sagt Stölzl, der ehemalige Berliner Kultursenator und Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, der nun auch Gründungsdirektor des Exilmuseums ist. Seitdem ging alles ganz schnell.

Schultz versteigerte aus seinem Privatbesitz Grafiken und brachte den Erlös von 6 Millionen Euro in die neue Stiftung Exilmuseum ein. Schirmfrau und Schirmherr des Museums wurden Herta Müller und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. Es ist, als hätten Berlin und Deutschland geradezu auf diese Initiative gewartet. Auch die grün dominierte Bezirksregierung von Friedrichshain-Kreuzberg, die die Unterstützung der Bundeswehr bei der Kontaktnachverfolgung der Coronafälle ablehnt, ist voller Enthusiasmus – und will das bezirkliche Grundstück an die Stiftung geben. So viel kulturpolitische Eintracht ist selten.

Was aber soll das Museum erzählen nach so vielen Jahren des schlechten Gewissens?

Christoph Stölzl ist zum Gespräch in die taz-Kantine gekommen. Im Rucksack, den er über seinen Anzug geschwungen hat, hat der 76-Jährige sein MacBook verstaut, nach dem Gespräch muss er noch ein paar Mails schreiben, bevor er wieder in den Zug nach Weimar steigt. Dort ist Stölzl Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt. Das Exilmuseum, das spürt man sofort, ist Stölzl eine Herzenssache, seine Tante floh vor den Nazis nach New York. ,,Sie starb dort an Heimweh."

Wenn Stölzl über das Exilmuseum redet, sprudelt es aus ihm heraus. Er erzählt von dem Architekten Victor Gruen (Victor David Grünbaum), der in den USA die Shopping Mall erfunden hat und darüber so unglücklich war, dass er sich nach seiner Rückkehr nach Wien mit dem ökologischen Stadtumbau beschäftigt habe. Oder von Hedwig Eva Maria Kiesler, die als Hedy Lamarr zur Hollywood-Schönheit wurde und für die US-Navy eine Steuerung für Torpedos entwickelte – eine Voraussetzung für drahtlose Verbindungen wie WLAN oder Bluetooth.

Es sind vor allem die Schicksale der Menschen, die Christoph Stölzl im Exilmuseum erzählen will. Von Menschen wie Hertha Nathorff und den vielen anderen bekannten und unbekannten Exilantinnen und Exilanten, die allerdings vieles gemeinsam haben: den Verlust der Heimat, den Verlust des Passes, den Verlust der Sprache, den Verlust von Gewissheit. All das zusammen, so sieht es das Ausstellungskonzept der Stiftung vor, soll einen ,,Pfad des Exils" ergeben, der in den Ausstellungsräumen nachverfolgt werden kann. ,,Warten" ist eine der Etappen des Pfads, andere sind ,,Verwurzelung", ,,Die Krankheit Exil", ,,Sprachwechsel" und ,,Aufbruch – Rückkehr".

Beginnen wird die Ausstellung mit einem Raum, in dem über das Jahrhundert der Vertreibungen informiert werden soll, das für die Ausstellungsmacher mit den Balkankriegen vor dem Ersten Weltkrieg beginnt. Dem folgt eine Momentaufnahme von 1930, in der davon erzählt wird, was die Menschen, deren Schicksal vorgestellt wird, gemacht haben, bevor sie entwurzelt wurden. ,,Dabei stellt sich heraus, dass es unabhängig von dem Beruf, den sie haben, oft diejenigen sind, die zu einem reformerischen Flügel gehören", sagt Christoph Stölzl.

,,Zu den Reformpädagogen, den Sexualreformern, den modernen Architekten, den Reformern in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien. Es ist also die zukunftsfähige Weimar-Culture. Der weltfähige Teil der deutschen Kultur wurde gezielt vertrieben. In ihren neuen Heimaten haben die Exilanten oft großen Einfluss gewonnen. Das deutsche Exil kann man auch als frühe Etappe der Globalisierung verstehen."

Für Stölzl ist das Museum deshalb auch ,,eine Art Bringschuld. Die Deutschen haben sich in einem suizidalen, brutalen Verstümmelungsakt ihres besseren Teiles entledigt. Vor diesem verneigen wir uns nun."

Eine zweite Momentaufnahme widmet sich nach dem Pfad des Exils dem Nachkriegsjahr 1955. ,,Da geht es darum, was aus den Exilierten geworden ist", sagt Stölzl. ,,Kaum jemand ist zurückgekommen, vor allem bei den jüdischen Vertriebenen." Von den politischen Exilanten, vor allem Angehörige der Linken, ist immerhin ein Drittel zurückgekehrt. ,,Willy Brandt ist da ein Beispiel", erinnert Stölzl. ,,Die Kommunisten kehrten überwiegend in die DDR zurück. Im Westen halfen die Remigranten beim ,,Reeducation"-Programm: dem Aufbau demokratischer Medien und Institutionen."

Willy Brandt ist auch ein Beispiel dafür, welche Stimmung den Exilantinnen und Exilanten nach ihrer Rückkehr entgegenschlägt. Stölzl erinnert sich noch gut an den ersten Wahlkampf mit Brandt als Kanzlerkandidat der SPD 1961. ,,Die Union hat ihn damals als Emigranten verunglimpft. Man appellierte an ein gängiges Vorurteil: Das war ein gängiges Muster: Wo wart ihr denn, als wir den Kopf hingehalten haben?" Damals sagte CSU-Ikone Franz Josef Strauß in Vilshofen: ,,Eines wird man doch aber Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben."

Insgesamt 40 Millionen Euro wird das Museum kosten, davon entfallen 27 Millionen auf den Bau. Vor seinem Besuch in der taz-Kantine hat Stölzl den Berliner Kultursenator Klaus Lederer besucht. ,,Aber er hat kein Geld", bedauert Stölzl. Aber das bringt ihn nicht aus dem Konzept. Zwar hofft er, dass der Bund und das Land einmal in die Finanzierung der laufenden Kosten einsteigen. Doch das Exilmuseum ist für ihn vor allem eine bürgerschaftliche Initiative. ,,Wenn es staatlich gewesen wäre, hätte es lange gedauert", lächelt er. ,,Wir sind so utopisch, dass wir sagen: Wir wollen 2025 eröffnen."

... Natürlich verweise die Geschichte, sagt auch Schirmherrin Herta Müller, ,,auf die Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen. Umso wichtiger ist es, den Inhalt des Wortes Exil zu begreifen." Für Herta Müller bedeutet er: ,,Das Risiko der Flucht, das verstörte Leben im Exil, Fremdheit, Angst und Heimweh."

... Christoph Stölzls Enthusiasmus hat sie alle angesteckt, wenn er Sätze wie diese sagt: ,,Die Autoren wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger kennt man, aber schon die Unternehmer oder die Künstler der Unterhaltungskultur sind meistens vergessen. Je mehr man den Deckel lüftet, desto riesiger wird das versunkene Atlantis." Er sagt dann auch: ,,Das Thema Exil ist gut erforscht. Wir haben kein Forschungsproblem, sondern ein Vermittlungsproblem."

Zu diesem Vermittlungsproblem gehört auch die Frage, mit welchen Mitteln die Geschichten derer, die für das Schicksal von einer halben Million Exilantinnen und Exilanten stehen, erzählt werden sollen. Von vielen, wie etwa der Kinderärztin Hertha Nathorff, gibt es nur Tagebücher. Schriftliche Zeugnisse aber sind wenig, wenn man, so wie Stölzl, eine sinnliche Ausstellung entwickeln will – erst recht, wenn es kaum noch Zeitzeugen gibt.

Die Stiftung Exilmuseum hat auf das Problem reagiert und ein Team von Leuten damit beauftragt, eine riesige Datenbank zu füttern. Sie wird gewissermaßen der Maschinenraum des Museums sein, das archivierte Gedächtnis in Wort und Bild und Ton. ,,Wir versuchen zum Beispiel auch Filmausschnitte aus Hollywood zu bekommen", sagt Stölzl.

Und lässt sich, wenn man all die Lebensläufe vor Augen hat, etwas herausdestillieren für den Erfolg und den Misserfolg des Ankommens heute? Ja, sagt Stölzl und spricht lächelnd von einer ,,Grammatik des Ankommens". Der Erwerb der neuen Sprache und echtes Interesse für die Kultur der neuen Heimat gehört für ihn dazu, aber auch die Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, etwa Berufsabschlüsse anzuerkennen. ,,Man muss ein Hybrid sein, der Bürger eines neuen Landes wird und zugleich seine Wurzeln nicht vergisst. Diese Hybridexistenzen positiv zu sehen, von beiden Seiten, das ist entscheidend für den Erfolg des Ankommens."


Aus: "Geplantes Exilmuseum in Berlin:Späte Wiedereinbürgerung" Uwe Rada (25.10.2020)
Quelle: https://taz.de/Geplantes-Exilmuseum-in-Berlin/!5720557/

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#63
Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile. Der drei Jahre zuvor demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende nahm sich das Leben, nachdem die Luftwaffe begonnen hatte, den Präsidentenpalast La Moneda zu bombardieren, und Putsch-Militär in den Palast eingedrungen war. Eine Junta unter der Führung von Augusto Pinochet regierte Chile daraufhin bis zum 11. März 1990 als Militärdiktatur.
https://de.wikipedia.org/wiki/Putsch_in_Chile_1973

Bei der US-Intervention in Chile führte der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA ab 1963 in Chile eine Reihe verdeckter Operationen durch mit dem Ziel, die Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum Staatspräsidenten zu verhindern. Nachdem diese Aktionen erfolglos geblieben waren, gingen die USA zu massiven Geheimdienstoperationen über mit dem Ziel, die linke Regierung in Chile zu destabilisieren und die Voraussetzungen für den Militärputsch am 11. September 1973 zu schaffen.
https://de.wikipedia.org/wiki/US-Intervention_in_Chile

",,Mission erfüllt, Präsident tot" Staatsstreich prägt Chile bis heute" (11.09.2013)
Vor 40 Jahren putschte das chilenische Militär gegen Präsident Salvador Allende. Er wollte das Land demokratischer machen. Bis heute ist unklar, welche Rolle die US-Regierung unter Richard Nixon dabei spielte.
https://www.handelsblatt.com/technik/das-technologie-update/themen-und-termine/mission-erfuellt-praesident-tot-staatsstreich-praegt-chile-bis-heute/8767190-all.html

"Chile / Großbritannien: Britische Verbindungen zum Militärputsch in Chile 1973"  Malte Seiwerth (01.10.2020)
Entklassifizierte Dokumente belegen: Britische Labour Regierung bereitete Putsch gegen Allende mit vor
https://amerika21.de/2020/10/243856/grossbritannien-putsche-mit-gegen-allende

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#64
"Erinnerungskultur in Berlin: Hertie erinnert sich nicht" (12.11.2020)
Studierende der Hertie School fordern Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit der ehemaligen Kaufhauskette Hermann Tietz. Der Konzern wurde ,,arisiert". 1943 wurde Kurt Seelig mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ein Stolperstein erinnert heute in der Schivelbeiner Straße in Pankow an ihn. Seelig arbeitete für die Warenhauskette Hermann Tietz. Im Zuge der ,,Arisierung" des Unternehmens verlor er seine Arbeit.
Die Warenhauskette Hermann Tietz ist heute kaum bekannt, der Name Hertie hingegen schon. Doch Hertie steht für: Hermann Tietz. 1882 gab der deutsch-jüdische Kaufmann seinem Neffen Oscar das Startkapital für die Gründung eines Textilgeschäfts in Gera. Dieser benannte die expandierende Firma nach seinem Onkel, Hermann Tietz OHG. Seine Nachkommen machten daraus bis 1928 einen der weltweit größten Warenhauskonzerne.
Zu Beginn der 1930er Jahre brachten die Wirtschaftskrise, vor allem aber wachsender Antisemitismus und Repressalien den Konzern in finanzielle Schwierigkeiten. 1933 verweigerte ein Bankenkonsortium auf Druck der Nazis einen bereits zugesagten Kredit. Der Konzern wurde unter Bankenaufsicht gestellt, die jüdischen Besitzer hinausgedrängt. Der nun ,,arisierte" Konzern erhielt einen neuen, nichtjüdischen Namen: Hertie. ...
https://taz.de/Erinnerungskultur-in-Berlin/!5727059/

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"Profiteure der NS-Politik? - Hertie-Stiftung stellt sich "Arisierungs"-Geschichte" Christoph David Piorkowski  (30.11.2020)
Studierende der Hertie-School fordern seit Längerem eine Aufarbeitung des NS-Erbes der Hertie-Stiftung. Diese beauftragt nun eine umfassende Studie. ... Die gemeinnützige Hertie-Stiftung hat eine seit Längerem angekündigte wissenschaftliche Untersuchung zur Vorgeschichte ihres Vermögens beauftragt. Das hat der Vorstand der Stiftung nun bekanntgegeben. Die Frankfurter Gesellschaft für Unternehmensgeschichte soll bis 2022 unabhängig untersuchen, wie die ,,Arisierung" des Kaufhausunternehmens Hermann Tietz im Zuge der NS-Herrschaft vonstattenging.
Die in der Nachkriegszeit als Symbol des Wirtschaftswunders geltende Warenhauskette gehörte bis 1933 der jüdischen Unternehmerfamilie Tietz, die mittels antisemitischer Repressionen aus dem Geschäft gedrängt wurde. In den 1970er-Jahren war das Unternehmen vom damaligen Geschäftsführer Georg Karg in die gemeinnützige Hertie-Stiftung überführt worden. ...
https://www.tagesspiegel.de/wissen/profiteure-der-ns-politik-hertie-stiftung-stellt-sich-arisierungs-geschichte/26672906.html

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Verrückte Geschichte @drguidoknapp
1937: Michail N. Tuchatschewski, Marschall der Sowjetunion, schreibt einen durch Folter erzwungenen "Geständnisbrief" an den Chef des NKWD. Er sei ein "trotzkistischer Verschwörer". Das Papier ist mit seinen Blutspritzern übersät. Bald darauf wird er erschossen.
https://twitter.com/drguidoknapp/status/1326955077614055426

Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski (russisch Михаи́л Никола́евич Тухаче́вский, wiss. Transliteration Michail Nikolaevič Tuchačevskij; * 4.jul./ 16. Februar 1893greg. auf Alexandrowskoje (heute Slednewo) bei Safonowo, Gouvernement Smolensk, Russisches Reich; † 12. Juni 1937 in Moskau) war einer der ersten fünf Marschälle der Sowjetunion der Roten Armee in der UdSSR. Tuchatschewski trug den Beinamen ,,Der rote Napoleon". Er fiel als einer der ersten Militärbefehlshaber den Säuberungen unter der Diktatur Stalins zum Opfer. ... In der historischen Forschung war lange Zeit die These verbreitet, Tuchatschewski sei einer deutschen Intrige zum Opfer gefallen: Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) habe Belastungsmaterial gegen ihn gefälscht und auf Veranlassung von Obergruppenführer Reinhard Heydrich über den Doppelagenten Nikolai Skoblin dem ahnungslosen tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš zugespielt, der es an den sowjetischen Botschafter Alexandrowski weitergab. Tuchatschewski wurde in den gefälschten Dokumenten als Agent des SD unter der offiziellen Nummer S-G-UA-6-22 geführt. Dies war die höchste Prioritätsstufe eines Agenten dieses Geheimdienstes.[VA 17][GT 68][RS 28][GT 69][VA 18][17] Neuere Forschungen ergaben, dass hinter diesen gefälschten Beweisen der sowjetische Geheimdienst NKWD steckte, der die Deutschen dazu veranlasste, weiteres Belastungsmaterial gegen Tuchatschewski zu produzieren, um ihn zu Fall bringen zu können. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Nikolajewitsch_Tuchatschewski (30. September 2020)

Wassili Konstantinowitsch Blücher (* 19. Novemberjul./ 1. Dezember 1889greg. in Barschtschinka, Rajon Rybinsk, Gouvernement Jaroslawl; † 9. November 1938; russisch Василий Константинович Блюхер, wiss. Transliteration Vasilij Konstantinovič Bljucher; geboren als Wassili Konstantinowitsch Gurow) war General der Roten Armee und Marschall der Sowjetunion.  ... Im Sommer 1938 gelang es Blücher, einen japanischen Angriff auf das Staatsgebiet der Sowjetunion in der Schlacht am Chassansee vom 29. Juli bis zum 11. August 1938 abzuwehren. Dass es den Japanern gelungen war, am 31. Juli auf sowjetisches Territorium vorzudringen, wurde Blücher von Seiten des sowjetischen Volkskommissariats für Verteidigung als schweres Versagen angelastet. Er wurde zurück nach Moskau beordert und von seinem Kommando entbunden. Am 22. Oktober 1938 wurde Blücher verhaftet und zunächst in die Zentrale des NKWD gebracht. Er wurde kurz darauf der Spionage für Japan und des Verrats bezichtigt.[2] Für die Untersuchung seines Falles war der stellvertretende Volkskommissar des NKWD, Beria, zuständig. Blücher wurde mit erzwungenen Geständnissen seines Stellvertreters Iwan Fedko, des Korpskommandeurs Chacharjan sowie seines Bruders Pawel Gurow konfrontiert, weigerte sich aber, die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu gestehen.[13]
Am 3. November wurde Blücher auf Anweisung Berias in das Lefortowo-Gefängnis verlegt und dort schwer gefoltert. Laut einem Artikel des Historikers Safonow waren Beria und sein Stellvertreter Iwanow die einzigen Personen, die für die Befragung Blüchers verantwortlich waren. Unter dem Druck ständiger Gewaltanwendung begann Blücher ein Geständnis zu schreiben, das aber unvollendet blieb, da er aufgrund innerer Verletzungen am Abend des 9. November 1938 verstarb. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Wassili_Konstantinowitsch_Bl%C3%BCcher (6. Juli 2020)

Kategorie:Opfer des Großen Terrors (Sowjetunion)
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Opfer_des_Gro%C3%9Fen_Terrors_(Sowjetunion)

Kategorie:Täter des Großen Terrors (Sowjetunion)
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:T%C3%A4ter_des_Gro%C3%9Fen_Terrors_(Sowjetunion)

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#66
Quote
QuoteBeautiful cover of the forthcoming Oxford Handbook of the Weimar Republic, with contributions by Mary Nolan, @Daniel_Newcast
, @erhochman
, @KerryWallach
and many others. @WeirTodd
and I also have a chapter on confessional politics and religious cultures.

1:50 nachm. · 8. Okt. 2020·Twitter

https://twitter.com/udi_greenberg/status/1314171362014113793


The Oxford Handbook of the Weimar Republic 
Edited by Nadine Rossol and Benjamin Ziemann
ISBN: 9780198845775
Published online:    Oct 2020
https://www.oxfordhandbooks.com/view/10.1093/oxfordhb/9780198845775.001.0001/oxfordhb-9780198845775

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#67
Die Mosse-Lectures sind eine international und interdisziplinär angelegte Vortragsreihe an der Humboldt-Universität zu Berlin. Veranstalter der Reihe ist seit ihrer Etablierung 1997 das Institut für deutsche Literatur. Im Andenken an den Historiker George L. Mosse widmen sich die Mosse-Lectures seit dessen Tod 1999 ausdrücklich der Wissensvermittlung und der Darstellung historischer Sachverhalte und Konflikte, insbesondere auch der Vergangenheit und Gegenwart jüdischen Lebens, Denkens und Handelns in Deutschland.
... Zu den Referenten der Mosse-Lectures zählen international bedeutende Persönlichkeiten aus dem akademischen Umfeld ebenso wie Politiker, Journalisten, Künstler und Literaten. Die Absicht ist, die Referenten und ihre Arbeitsgebiete einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Die Veranstaltungen stehen seit 2002 semesterweise unter einem leitenden Thema, zu dem in der Regel vier Vorträge bzw. Lesungen gehalten werden. Im Anschluss an den Vortrag der Referenten gibt es in aller Regel eine offene Diskussion. Üblicherweise finden die Veranstaltungen im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin statt und werden meist in deutscher oder englischer Sprache gehalten. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Mosse-Lectures

Die Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität zu Berlin
Die Mosse-Lectures sind ein interdisziplinär und international angelegtes Forschungs- und Veranstaltungsprojekt, gegründet 1997 von dem Historiker George L. Mosse und dem Literaturwissenschaftler Klaus R. Scherpe. Mit ihrem Wahlspruch zur »Öffentlichkeit von Kultur und Wissenschaft« erinnern die Mosse-Lectures an die Geschichte und das Erbe der deutsch-jüdischen Familie Mosse, insbesondere an die Tradition des von Rudolf Mosse gegründeten Verlagshauses, das mit seinem Flaggschiff des liberalen »Berliner Tageblatt« großen Einfluss hatte auf die demokratische Öffentlichkeit der Weimarer Republik. Nachkommen der Familie hielten im Exil und bis in die Gegenwart mit ihrem politischen und philanthropischem Engagement an dieser Tradition fest. Dafür steht insbesondere das Werk des 1999 verstorbenen Historikers des Faschismus, George L. Mosse, der mit seinem Vortrag »Das liberale Erbe und die national-sozialistische Öffentlichkeit« am 14. Mai 1997 die Veranstaltungsreihe eröffnete. Mehr als 190 Vorträge wurden seitdem gehalten. ...
https://www.mosse-lectures.de/


Die Mosse-Lectures sind eine interdisziplinär und international angelegte Vortragsreihe an der Humboldt-Universität zu Berlin.
https://www.youtube.com/user/MosseLectures/featured

https://www.youtube.com/user/MosseLectures/videos


Andreas Reckwitz: Die Spätmoderne und ihre Drei-Klassen-Gesellschaft (Mosse Lecture vom 31.10.2020) | https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Reckwitz
In den Gesellschaften des globalen Nordens erlebt die Sozialstruktur in den letzten Jahrzehnten eine tiefgreifende Transformation. Der Vortrag verfolgt die These, dass es sich dabei nicht nur um eine Verstärkung sozioökonomischer Ungleichheiten, sondern auch um eine Divergenz von Mustern der kulturellen Lebensführung handelt, welche die Form eines Paternoster-Effekts annimmt: Aus der nivellierten Mittelstandsgesellschaft der industriellen Moderne steigt in der Spätmoderne eine neue, hochqualifizierte Mittelklasse empor, während eine neue prekäre Klasse absteigt und die traditionelle Mittel-klasse sich in einer Sandwich-Position wiederfindet. Prozesse der Valorisierung (Aufwertung) und Entwertung verlaufen parallel. Der Vortrag fragt nach den Ursachen, den Strukturmerkmalen und den künftigen Folgen dieser Entwicklung.
Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, zahlreiche Arbeiten zur Kulturtheorie in den Sozialwissenschaften, zur Soziologie der Subjekt-werdung und zum Strukturwandlung moderner Vergesellschaftung. Publikationen u.a.: ,,Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung", Berlin 2012; ,,Kreativi-tät und soziale Praxis", Bielefeld 2016; ,,Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne", Berlin 2017; ,,Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spät-moderne", Berlin 2019. In diesem Jahr erhielt er den Leibniz-Preis der DFG.
https://youtu.be/_PSRIXR_Ygs

Quote
Dadec

Furchtbar abgehoben und viel zu abstrakt formuliert, hier spricht ein Soziologe zu Soziologen. Schade für den Rest, denn das Thema ist spannend.


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Johannes F. Lehmann: »Wut als Alarmsystem« (Mosse Lecture vom 12.11.2020)
Zur historischen und politischen Dimension von Konzepten des Zorns«
Einführung und Gespräch: Josef Vogl
Konzepte des Zorns (und verwandter Emotionen wie Wut, Ärger, Empörung, Hass etc.) sind, wie alle Emotionen, historisch variabel. Im Feld des Zorns ereignet sich um 1800 eine grundlegende Verschiebung im Begriff und im Konzept des Zorns. Ergebnis dieses Prozesses ist ein moderner Begriff der Wut, der das Selbstgefühl energetischer Blockaden und nicht länger die Ehransprüche der Mächtigen ins Zentrum stellt. Vor diesem zu entfaltenden Hintergrund entwickelt der Vortrag eine Theorie der Wut als einer genuin politischen Emotion. Sie begreift Wut als eine Art Alarmsystem im Spannungsfeld von Handeln und Zuschauen und fragt nach ihrer Erklärungskraft für politische und populistische Zornphänomene unserer Gegenwart.
Johannes F. Lehmann ist seit 2014 Professor für Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Forschungen zur Gegenwartsliteratur und zur Literatur- und Theatergeschichte seit dem 18. Jahrhundert, aktuelle kulturpolitische Beiträge; Buchveröffentlichungen u.a. »Zur Geschichte des Theaterzuschauers und des Visuellen bei Diderot und Lessing« (2000), »Im Abgrund der Wut. Zur Kultur- und Literaturgeschichte des Zorns« (2012), »›Gegenwart‹ denken. Diskurse, Medien, Praktiken«, hg. mit Kerstin Stüssel (2020), z.Zt. Fellow der DFG- Forschungsgruppe »Imaginarien der Kraft« in Hamburg.
https://youtu.be/UyHQeXTGSp4


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Quote[...] Das notorisch klamme Haus Hohenzollern fordert trotz brauner Vergangenheit weiter Geld vom Staat. Jetzt gehen auch die letzten Gutachter von Bord. Mehrfach zitierte der Historiker Christopher Clark zuletzt zustimmend den Historiker Stephan Malinowski. Nichts Ungewöhnliches, möchte man meinen. Historiker zitieren Historiker, so ist das halt. Doch vor Kurzem war Malinowski für Clark noch der ärgste Widersacher.

Malinowski ist der Autor des Buchs ,,Vom König zum Führer". Für das Land Brandenburg war er als Gutachter tätig, als es um Forderungen der heutigen Hohenzollern auf Entschädigung ging. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Hohenzollern in erheblichem Maße zum Fall der Weimarer Republik und Aufstieg der Nazis beitrugen.

Clark, seines Zeichens der berühmte Autor des Werks ,,Die Schlafwandler", schrieb im Auftrag der Hohenzollern ein entgegengesetztes Gutachten. Es entlastete die frühere Kaiserfamilie. Ein Gutachten mit weitreichenden Folgen. Denn die Repräsentanten des heutigen ,,Hauses Hohenzollern" streiten mit Bund und Ländern seit Jahren um Rückgabe und Ausgleichszahlungen für ihre im Osten Deutschlands nach 1945 eingezogenen Vermögen.

1994 war nämlich gesetzlich festgelegt worden, dass, wer dem Faschismus ,,erheblichen Vorschub" geleistet hatte, auch nach der Wiedervereinigung keine Restitutionen zu erwarten habe.

,,Auf dem Spektrum fürstlicher Kollaboration mit dem Dritten Reich kann man den Kronprinzen daher mit guten Gründen als eine der politisch zurückhaltendsten und am wenigsten kompromittierten Personen bezeichnen." So lautet der abschließende Satz von Clarks Gutachten 2011. Heute sagt Clark, er wäre sich der Tragweite der Auseinandersetzung nicht bewusst gewesen.

Lange blieben die Verhandlungen zwischen Staat und Hohenzollern geheim, auch Clarks Gutachten. Erst 2019 wurde es geleakt. Fast alle namhaften Historiker widersprachen in der Folge Clark. Etwa der britische Historiker Richard Evans. Er führte in einem Essay aus, wie die 1918 gestürzte Kaiserfamilie alles daransetzte, um mit der Nazibewegung 1933 zurück auf den Thron zu gelangen.

Als Vorbild diente Italien, wo der Faschist Mussolini in den 1920er Jahren ein Arrangement mit dem König getroffen hatte. Doch Hitler war nicht der Duce. Einmal an der Macht, wollte er sie mit niemandem teilen. Im Bündnis mit den Nazis hatten sich andere einzuordnen, auch die rechtsextremen monarchistischen Kräfte. Und viele taten das auch.

Historiker Clark leugnet in seinem Gutachten von 2011 nicht die rechtsextreme Gesinnung des Kronprinzen Wilhelm von Preußen, dem Sohn des 1918 gestürzten Kaisers Wilhelm II. Der Kronprinz plädierte vor 1933 für den Zusammenschluss der paramilitärischen Verbände von Stahlhelm und SA. Er agitierte 1932 gegen das kurzzeitig erlassene Verbot von SA und SS. Er gehörte selber der SA an. Und während sein Vater, der Ex-Kaiser, verbittert im holländischen Exil in Doorn antisemitischen Verschwörungstheorien nachhing, verstand sich sein Sohn der Kronprinz als ein Mann der Tat.

Seine Familie stiefelte mit Hakenkreuzbinden auf Schloss Cecilienhof in Potsdam herum und posierte für die Kameras. Die taz veröffentlichte Aufnahmen aus der dänischen Illustrierten Berlingske illustreret Tidende von 1934, die dies eindrücklich dokumentieren. Er prahlte damit, Hitler zwei Millionen Stimmen verschafft zu haben. Am berüchtigten Tag von Potsdam im März 1933 zelebrierte er symbolisch wirkmächtig den Schulterschluss mit Adolf Hitler, von ,,alter" und neuer Rechter.

Alles das beschreibt auch der Gutachter Clark 2011. Und kam dennoch zu dem überraschenden Schluss: Die damaligen Vertreter des ,,Hauses Hohenzollern" seien zwar braun eingefärbt, aber historisch zu unbedeutend gewesen, um eine größere Rolle gespielt zu haben. Eine interessante Interpretation für eine der mächtigsten Familien der deutschen Geschichte, die ihr ganzes Gewicht in die Zerstörung der Republik legte. Nur Vertreter des neurechten Historikerspektrums vertreten solch relativierende Thesen. Und Wolfram Pyta, der im Auftrag der Hohenzollern ein weiteres Gutachten schrieb.

Im Frühjahr ruderte Clark im Schriftwechsel mit David Motadel in der New York Review of Books zurück. Historiker Motadel hatte Clark in seinem Beitrag ,,What Do the Hohenzollerns Deserve" scharf kritisiert. Clark liefere den heutigen Hohenzollern nicht nur die Stichworte, um an zusätzliche – ihnen nicht zustehende – staatliche Vermögenswerte zu gelangen.

Er helfe auch ein glorifizierendes Preußenbild zu restaurieren, an das rechts-nationalistische Kräfte seit der Wiedervereinigung verstärkt suchten anzuknüpfen. Für dieses steht stellvertretend die AfD mit Alexander Gauland im Bundestag, der die zwölf Jahre Nazi-Terrorherrschaft als ,,Vogelschiss" bezeichnet und bagatellisiert. Clark erwiderte Motadel, ebenfalls in der New York Review, solch reaktionäre Motive lägen ihm fern. Er fühle sich instrumentalisiert. Er betrachte den Kronprinzen sehr wohl als einen ,,gewalttätigen, ultrarechten Charakter", der mit Hitler sympathisierte und zur ,,finalen Abrechnung mit der deutschen Linken drängte".

Doch hatte er den Kronprinzen schlicht für zu unintelligent und auch isoliert gehalten, als dass dieser eine größere politische Rolle hätte einnehmen können. Inzwischen, so Clark weiter, habe sich jedoch die Quellenlage verändert und er sähe es anders. Die in Princeton forschende Historikerin Karina Urbach hatte bereits letztes Jahr neues Material ausgewertet. Es zeigt, wie systematisch und skrupellos die kaiserliche Familie den Aufstieg der Nazis zum eigenen Nutzen beförderte (,,Nützliche Idioten, Die Hohenzollern und Hitler").

Von Stephan Malinowski erscheint bei Oxford University Press gerade das Buch ,,Nazis and Nobles". Es ist die überarbeitete englische Fassung seines früheren Buchs ,,Vom König zum Führer". Und er forscht weiter. Doch allein was bereits vorliegt, sollte die erhebliche verbrecherische Energie, den notorischen Antisemitismus und die absolute Demokratiefeindlichkeit der Hohenzollern bis 1945 ausreichend belegen. Die Nachfahren der Hohenzollern wären gut beraten, dies zur Kenntnis zu nehmen und mit der historischen Schuld angemessen umzugehen.

Dazu gehörte auch, ihre vielen gegen kritische Journalisten und Historiker wie Malinowski, Urbach oder Winfried Süß gerichteten juristischen Winkelzüge einzustellen. Wie sagt Clark, der ehemalige Kronzeuge der Hohenzollern, jetzt in einem FAZ-Interview deutlich: ,,Stephan Malinowski hat gezeigt, wie energisch der Kronprinz gearbeitet hat, auch nach der Machtergreifung, um die Berührungsängste der Konservativen gegenüber den Nationalsozialisten zu überwinden."

In seinem jetzt erschienenen Essayband ,,Gefangene der Zeit" (DVA) stimmt Clark demonstrativ Malinowski zu. Er zitiert ihn ausführlich, so es um die Braunfärbung von Kaiserfamilie und altem deutschen (Hoch-)Adel geht. Der Kronprinz, so Clark in der FAZ, war ,,kontinuierlich an den Versuchen beteiligt, die Demokratie zugrunde zu richten. Und die Zerstörung der Demokratie ist wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für die Machtergreifung der Nationalsozialisten."

Der Ururenkel von Kaiser Wilhelm II., Georg Friedrich Prinz von Preußen, der als heutiger Wortführer des ,,Hauses Hohenzollern" auftritt, hat sich in die Abgründe der Geschichte gestürzt. Er würde gerne mehr vom Tafelsilber seiner Ahnen abbekommen, ohne auf die fragwürdige Provenienz zu schauen. Sogar den holländischen Staat hat er versucht zu verklagen.

Dies berichtet Klaus Wiegrefe Ende November im Spiegel. Man sähe sich ,,leider gezwungen," so die Anwälte des heutigen Preußen-Wortführers 2014, ,,einen formellen Anspruch auf den Besitz von Haus Doorn, das dazugehörige Inventar und das umliegende Gut sowie zwei dazugehörende Bauernhöfe zu erheben".

Nach Doorn war der 1918 gestürzte Kaiser Wilhelm II. geflüchtet, samt seiner sagenumwobenen 59 Waggons mit Werten aller Art. Vom Exil aus wünschte er ,,Presse, Juden und Mücken" den Tod (,,,das Beste wäre Gas") und forderte seine Angehörigen auf, aktiv am Nationalsozialismus teilzuhaben. Hitler beglückwünschte er 1940 zu seinen Feldzügen. Nach der Befreiung von den Deutschen wurde Haus Doorn vom holländischen Staat konfisziert. Das kleine Schloss dient als Museum.

Nur das Mausoleum des 1941 hier beigesetzten letzten deutschen Kaisers befindet sich im Privatbesitz der Familie. Nichts Ungewöhnliches, möchte man meinen. Die deutsche Politik könnte sich an den Holländern ein Beispiel nehmen.


Aus: "Kampf um das Tafelsilber" Andreas Fanizadeh (12. 12. 2020)
Quelle: https://taz.de/Preussen-Historiker-Clark-rudert-zurueck/!5734272/

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Quote[...] Angeblich treiben Gespenster ihr Unwesen, wo ein Fluch über einem Ort hängt. Geschichten davon berichten dann stets vom Gewesenen, von der Vergangenheit: Vertuschte ungesühnte Taten geben keine Ruhe. Solchen Legenden liegt eine reale seelische Dynamik zugrunde, jene der Wiederkehr des Verdrängten.

Solange dieses nicht ans Licht geschafft und bearbeitet wurde, rüttelt es nicht nur an den Toren der Gegenwart, sondern treibt sich in ihr herum, eben als Gespenst. Zu erkennen, was bestimmte Gespenster repräsentieren, versucht eine Anthologie mit Blick auf das Polen der Gegenwart. Sie beleuchtet, woher dessen aktuelle, so dramatisch antidemokratische Strömungen stammen. ...

Verdrängung ist kein Mittel gegen Gespenster. Das machen sämtliche Aufsätze dieses reichhaltigen, ausgezeichneten Bandes deutlich. Daher ist er keineswegs ein Polen-Buch, sondern spricht akut und intelligent zu einer Gegenwart, die an den Spuren der Totalitarismen arbeiten muss, um sich ihnen nicht auszuliefern.

...


Aus: "Das Erbe des Totalitarismus: Wie Polen von seinen Traumata heimgesucht wird" Caroline Fetscher (21.12.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-erbe-des-totalitarismus-wie-polen-von-seinen-traumata-heimgesucht-wird/26735424.html

Wiederkehr des Verdrängten? - Psychoanalyse und das Erbe der Totalitarismen
Kann die »antidemokratische Wende« in Polen und in anderen postkommunistischen Ländern, die auch in Deutschland und Westeuropa spürbar ist, als Erbe der Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts und als Wiederkehr des Verdrängten verstanden werden? Oder ist sie Ausdruck einer neuen Regression zu archaischen Ängsten und Aggressionen angesichts der Herausforderungen durch die Globalisierungsprozesse? Vor diesem Hintergrund stellen die Autor*innen die Frage nach dem kritischen Potenzial der Psychoanalyse. Verfügt sie über das Erkenntnispotenzial, um die beunruhigenden sozialen Phänomene zu erklären?
Mit Beiträgen von Lisa Appignanesi, Jakub Bobrzyński, Bernhard Bolech, Felix Brauner, Paweł Dybel, Lilli Gast, Ewa Głód, Tomas V. Kajokas, Ewa Kobylinska-Dehe, Andrzej Leder, Rosalba Maccarrone Erhardt, Ewa Modzelewska-Kossowska, Małgorzata Ojrzyńska, Katarzyna Prot-Klinger, Annette Simon, Wojciech Sobański, Krzystof Szwajca, Nadine Teuber, Joanna Tokarska-Bakir, Hans-Jürgen Wirth und Anna Zajenkowska
Ewa Kobylinska-Dehe, Pawel Dybel, Ludger M. Hermanns (Hg.)
Wiederkehr des Verdrängten?
Psychoanalyse und das Erbe der Totalitarismen
https://www.psychosozial-verlag.de/2938

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#70
"Sonnenfinsternis und Morgenröte" Peter von Becker (29.12.2020)
Arthur Koestlers "Sonnenfinsternis" ist ein Jahrhundertbuch über den modernen Totalitarismus. Nun ist ein Band über seine Zeit in Israel erschienen. ... Vor 80 Jahren, 1940 in London, ist ein Jahrhundertbuch erschienen: Arthur Koestlers ,,Darkness at Noon", der Schlüsselroman über den modernen Totalitarismus am Beispiel der stalinistischen ,,Säuberungen" und Schauprozesse in den 1930er Jahren. Erst 1946 folgte die französische Übersetzung, die mit Millionen verkauften Exemplaren den Welterfolg einläutete. Noch im selben Jahr kam Koestlers ,,Sonnenfinsternis" dann auch auf Deutsch heraus, noch als Exilausgabe und wieder in einem Londoner Verlag.
Das abenteuerlich Kuriose der 1938 begonnenen Entstehungsgeschichte war, dass Arthur Koestler als Emigrant und zwischenzeitlich in Spanien während des Bürgerkrieg und in Frankreich nach der deutschen Besatzung inhaftierter Autor die ,,Sonnenfinsternis" zunächst auf Deutsch verfasst hatte. Vor und nach der rettenden Flucht nach Großbritannien übersetzte Koestlers damalige englische Geliebte Daphne Hardy den Text portionsweise ins Englische, und bald galt das deutsche Urmanuskript als verschollen.
Die erste deutsche Ausgabe beruhte wiederum aus einer von Assistenzkräften betreuten Rückübersetzung Koestlers, der als Autor mittlerweile ins Englische gewechselt war. Erst 2015 hat dann der Literaturwissenschaftler Matthias Weßel in Zürich ein Typoskript des Romans aus dem Jahr 1940 entdeckt, worauf vor zwei Jahren ,,Sonnenfinsternis" erstmals als gut kommentierte Edition ,,nach dem deutschen Originalmanuskript" publiziert werden konnte (Elsinor Verlag, Coesfeld 2018, 256 Seiten). ...
https://www.tagesspiegel.de/kultur/arthur-koestler-in-israel-sonnenfinsternis-und-morgenroete/26750274.html

Arthur Koestler (geboren 5. September 1905 in Budapest, Österreich-Ungarn; gestorben 1. März 1983 in London) war ein österreichisch-ungarisch-britischer Schriftsteller. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Koestler

Stalinsche Säuberungen (russisch Чистка Tschistka, Чистки Tschistki (Pl.)) ist die Bezeichnung für eine Periode der sowjetischen Geschichte während der Herrschaft Josef Stalins, die durch massive Verfolgung und Ermordung von aus stalinistischer Sicht politisch ,,unzuverlässigen" und oppositionellen Personen gekennzeichnet war. Die Gesamtzahl der Opfer aus dieser Zeit ist nicht bekannt und schwer zu verifizieren, Schätzungen von Historikern reichen von mindestens etwa 3 Millionen Toten bis hin zu weit über 20 Millionen.
Bereits Mitte der 1920er Jahre begann Stalin, echte oder vermeintliche politische Gegner aus der Kommunistischen Partei (KPdSU) ausschließen zu lassen. Später wurden die Betroffenen häufig mit gefälschten Vorwürfen in Schau- und Geheimprozessen zum Tod oder zu Lagerhaft und Zwangsarbeit im Gulag verurteilt, entsprechende Geständnisse wurden regelmäßig unter Folter erpresst. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Stalinsche_S%C3%A4uberungen

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"Wir halten es für notwendig, auf diese Zuschrift näher einzugehen..." @Tagesspiegel
#OTD 1946 #Tagesspiegel75
https://twitter.com/Erik_Reger/status/1360913798350184450

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Quote[...] Deutschland stellt sich gerne als ein geschichtsbewusstes Land dar. An einer Stelle tun sich aber gewaltige Wissenslücken auf: wenn es um die deutsche Kolonialgeschichte geht. Das zeigt sich auch an einigen Orten in Berlin-Mitte. Der Verein Berlin Postkolonial klärt darüber in der Tour ,,Decolonize Mitte" auf. ,,Obwohl Berlin nur wenige Jahrzehnte Hauptstadt einer Kolonialmacht war, hat die Stadt über Jahrhunderte hinweg von der Ausbeutung und vom Sklavenhandel in den Kolonien profitiert", sagt der Historiker Christian Kopp, der die Führung gemeinsam mit seinem tansanischen Kollegen Mnyaka Sururu Mboro leitet. Im Stadtbild werde die Geschichte oft falsch oder glorifiziert dargestellt.

Die Tour führt zur ehemaligen Kassenhalle der Deutschen Bank in der Mauerstraße 27. Über dem Eingang ist ein Fries, auf dem Europäer Afrikanern die Eisenbahn als große technische Errungenschaft übergeben wie ein Geschenk. In Wirklichkeit wurde die auch von der Deutschen Bank finanzierte Eisenbahnstrecke auf dem Gebiet der Herero in Westafrika errichtet, erklärt Kopp. Als diese sich gegen die Besatzer wehrten, wurden die Aufstände blutig niedergeschlagen, es folgte der Völkermord an den Herero Anfang des 20 Jahrhunderts. Die Eisenbahnstrecke wurde von den Gefangenen in Zwangsarbeit gebaut.

Das Gebäude in der Mauerstraße wird gerade renoviert und soll vom Bundesgesundheitsministerium genutzt werden. Was dann aus dem Fries wird, weiß Kopp nicht. ,,Eine Tafel mit einer kritischen Erklärung wäre nicht ausreichend", sagt er. Angemessener fände er eine Art bemalte Glasscheibe vor dem Fries, die künstlerisch mit der Botschaft der Darstellung bricht.

Auch das Humboldt Forum, das Raubkunst aus der Kolonialzeit ausstellt und für seine unzureichende Aufklärung und Provenienzforschung kritisiert wird, liegt auf der Route (mehr dazu hier). Weniger bekannt ist der Grabstein von Carl Constantin von Schnitter in der Nikolaikirche. Schnitter ging als Kommandant und Festungsbau-Meister in die deutsche Geschichte ein. Dass er in seine Festung in Westafrika Sklaven sperrte, wissen allerdings die wenigsten.

Der Verein Berlin Postkolonial fordert einen anderen Umgang mit dieser Geschichte. ,,Das ist bisher kein Schulstoff", sagt Kopp. Es gebe online ein Wissensquiz für Schüler:innen, darin wird gefragt was Carl Constantin von Schnitter von Beruf war. Antwortmöglichkeiten: Kommandant, Musikant, Komödiant. Für Kopp ist es ein typisches Beispiel für die weiße Ignoranz gegenüber dem in der Kolonialzeit verursachten Leid und dem Unrecht.

Im Bezirk ist der Umgang mit diesem Erbe umstritten. Das zeigt auch immer wieder die Diskussion um den von vielen als rassistisch empfundenen Namen der Mohrenstraße. Die Umbenennung in Wilhelm-Amo-Straße wurde von der Bezirksverordnetenversammlung im August 2020 beschlossen. Doch bis die neuen Schilder hängen kann es noch dauern.

Im Afrikanischen Viertel in Wedding, wo Straßennamen nach Kolonialverbrechern benannt sind, dauert dieser Vorgang bereits zwei Jahre, weil Anwohner:innen dagegen geklagt hatten.


Aus: "Wo Kolonialgeschichte in Berlin-Mitte sichtbar wird" Julia Weiss (26.05.2021)
Quelle: https://leute.tagesspiegel.de/mitte/intro/2021/05/26/172706/

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Quote[...] Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord an. Die Nachkommen will Deutschland in den kommenden 30 Jahren mit 1,1 Milliarden Euro unterstützen und offiziell um Vergebung bitten.

Darauf haben sich Regierungsdelegationen aus beiden Ländern nach fast sechs Jahren Verhandlungen verständigt, wie Außenminister Heiko Maas am Freitag bekanntgab. ,,Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen", sagte er. Aus deutscher Sicht war es wichtig, jetzt noch vor der Bundestagswahl zu einer Einigung zu kommen. Denn auch die beiden Parlamente sollen noch zustimmen.

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die Kolonialherren einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt. Historikern zufolge wurden etwa 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet.

Bereits seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt den Begriff des Völkermords in seinem allgemeinen Sprachgebrauch für den Vernichtungskrieg in Namibia. Jetzt werden die Gräueltaten auch ganz offiziell als Völkermord bezeichnet.

Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt der Gräueltaten gegen die Herero und Nama, gab es diesen juristischen Begriff noch gar nicht. Erst 1948 beschloss die UN-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Holocaust die ,,Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" und machte Völkermord damit zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend, deswegen ergeben sich für Deutschland aus der Anerkennung des Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen.

Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund auch immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gibt. Dass sie nun trotzdem eine Summe von 1,1 Milliarden Euro locker macht, sieht sie als politisch-moralische Verpflichtung. Es sei eine ,,Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde", sagte Maas. Das Geld soll über einen Zeitraum von 30 Jahren vor allem in Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama gesteckt werden. Dabei soll es um Landreform, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Wasserversorgung sowie Berufsbildung gehen.

Auflistung der wichtigsten Territorien deutscher Kolonien:

    * Deutsch-Südwestafrika (1884-1915): Ältestes ,,Schutzgebiet" und einzige Kolonie mit einer nennenswerten Anzahl deutscher Siedler.
    * Deutsch-Ostafrika (1885-1918): Mit fast einer Million Quadratkilometern und 7,75 Millionen Einwohnern größte deutsche Kolonie. Auch hier gab es immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen mit Einheimischen.
    * Kamerun (1884-1916): Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet bedeutendste Kolonie; großflächiger Kakao-Plantagenanbau.
    * Togo (1884-1914): Handelskolonie mit geringer europäischer Bevölkerung (nie mehr als 350 Personen); wurde neben Samoa als einzige Kolonie ohne Reichszuschüsse verwaltet.
    * Deutsch-Neuguinea (1885/1899-1919): Umfasste unter anderem Nauru und die Palau-Inseln sowie Teile von Papua-Neuguinea, Mikronesien und den Salomonen.
    * Deutsche Samoa-Inseln (1900-1914): Deutschlands ,,Perle in der Südsee" blieb ebenso wie Deutsch-Neuguinea wirtschaftlich unbedeutend, kam aber wie Togo ohne Reichszuschüsse aus.
    * Kiautschou (1898-1914): Die Ermordung zweier Steyler Missionare gab den Deutschen den Vorwand, 1897 die Bucht von Kiautschou in Nordchina zu besetzen. Gedacht als Flotten- und Handelsstützpunkt, erfüllten sich die Erwartungen nicht. Stattdessen war die brutale Niederschlagung des Boxeraufstands (1900) ein weiterer Tiefpunkt in der kurzen Geschichte des deutschen Kolonialismus.

Das dritte Kernelement der gemeinsamen politischen Erklärung, die in den nächsten Wochen noch feierlich unterzeichnet werden soll, ist die Bitte um Vergebung. Berichten zufolge soll sie durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem feierlichen Akt im Parlament von Namibia ausgesprochen werden. Offiziell angekündigt wurde das vom Bundespräsidialamt aber noch nicht.

,,Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden", sagte Maas. Er betonte aber auch, dass die Vereinbarung mit Namibia keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit bedeute. ,,Die Anerkennung der Schuld und unsere Bitte um Entschuldigung ist aber ein wichtiger Schritt, um die Verbrechen aufzuarbeiten und gemeinsam die Zukunft zu gestalten", betonte er. Ziel ist es, die Zusammenarbeit beider Länder nun deutlich zu intensivieren.

Die Verhandlungen wurden von Beauftragten der beiden Regierungen geführt, die Herero und Nama waren aber eng eingebunden. Bei einigen Vertretern der Volksgruppen hatten erste Hinweise auf das Abkommen jedoch bereits Kritik ausgelöst. Es sei nichts weiter als ein PR-Coup Deutschlands und ein Akt des Betruges der namibischen Regierung, hatte es in einer Erklärung der Ovaherero Traditional Authority und Nama Traditional Leaders Association geheißen.

Nach Angaben ihrer deutschen Vertreterin haben beide Gruppen zudem eine entsprechende Petition im Bundestag eingebracht. Die Ovaherero Traditional Authority ist nur eine von vielen Herero-Gruppen, von denen acht offiziell von der Regierung anerkannt und in der namibischen Verhandlungsdelegation vertreten sind. Auch die Nama Traditional Leaders Association ist nicht repräsentativ für alle Nama-Gruppen.

Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Es verfügte damit über das viertgrößte koloniale Gebiet und war Besatzungsmacht nicht nur in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), sondern auch in Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf Pazifikinseln. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien dann unter den Siegermächten aufgeteilt.

Die jetzt abgeschlossenen Verhandlungen hingen lange Zeit an der heiklen Frage einer finanziellen Entschädigung für koloniale Ausbeutung und Unterdrückung fest. Über lange Strecken muteten sie wie ein Geschacher um Bedingungen und Umstände für die längst überfällige Entschuldigungsgeste Deutschlands an. Die Bundesregierung habe einer ,,bedingungslosen Entschuldigung" an die namibische Regierung, ihr Volk und die betroffenen Gemeinden zugestimmt, wolle aber nicht den Begriff ,,Reparationen" benutzen, hatte Namibias Präsident Hage Geingob noch im vergangenen August geklagt. Auch der Begriff ,,Heilung der Wunden" wurde als unzureichend abgelehnt. (dpa)


Aus: "Milliardenzahlungen an Namibia: Deutschland erkennt Völkermord an Herero und Nama an" (28.05.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/milliardenzahlungen-an-namibia-deutschland-erkennt-voelkermord-an-herero-und-nama-an/27235054.html

QuoteBlancoBlack 12:08 Uhr

Hat sich der Hohenzollernsprössling eigentlich zu diesem Thema geäussert? Oder wird hier nach der Devise verfahren, der Steuerzahler 21 Jh. zahlt sowohl für die Verbrechen des Kaiserhauses, als auch die "Wiedergutmachung" desselben?


"Entschädigungsforderungen der Hohenzollern"
Die von Georg Friedrich Prinz von Preußen als Familienoberhaupt mit dem Staat geführten Verhandlungen um die Rückgabe mehrerer tausend Kunstgegenstände und den anfänglich geäußerten Nutzungswunsch von Schloss Cecilienhof in Potsdam wurden im Jahr 2019 bekannt, nachdem der brandenburgische Finanzminister Christian Görke (Die Linke) die darüber seit 2014 im Stillen geführten Verhandlungen abgebrochen hatte, um bis August 2020 eine gerichtliche Entscheidung zu erzwingen. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Entsch%C3%A4digungsforderungen_der_Hohenzollern

"Rechtsstreit: Hohenzollern fordern Entschädigung für Enteignungen – Weiter keine Einigung in Sicht" (24.07.2019)
Die Nachfahren des letzten deutschen Kaisers fordern unter anderem die Rückgabe von Kunstgegenständen, Wohnrecht in mehreren Schlössern und eine Millionensumme vom Land Brandenburg. ...
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rechtsstreit-hohenzollern-fordern-entschaedigung-fuer-enteignungen-weiter-keine-einigung-in-sicht/24697566.html


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"Global Justice - Poland's Current Memory Politics Are Rewriting History" Mikhal Dekel (June 01, 2021)
Not all research is at stake, however, only work that reveals the role of ethnic Poles in the persecution of Poland's Jews. ... This year, for the first time in history, an individual used Poland's "Holocaust Law" to sue in a civil court. This was also the first time that the law, which forbids blaming the Polish nation for the crimes of the Holocaust, was used against academics—two Polish Holocaust historians, Jan Grabowski and Barbara Engelking. Grabowski and Engelking are co-editors of Dalej jest noc: losy Żydów w wybranych powiatach okupowanej Polski (Night Without End: The Fates of Jews in Selected Counties of Occupied Poland), a 1600-page, two-volume micro-history of wartime Poland that was published in 2018. The book has 3,500 footnotes, one of which is at issue in the case. On February 9, 2021, a District Court in Warsaw convicted Grabowski and Engelking of "violating the honor" of Edward Malinowski, a Polish man who had served as mayor of a village in Poland during WWII. ... Poland is not the only post-communist country where the Holocaust remains a hot and contested topic even seventy-five years after its end. In Hungary the Holocaust museum "House of Fates" is under fire for downplaying the role of Hungarian fascists in the extermination of Jews. In Lithuania a much commemorated "national hero" widely celebrated for fighting communism, Jonas Noreika, has recently been outed by his granddaughter, Silvia Foti, as a former Nazi who facilitated the extermination of thousands of Lithuanian Jews. (Foti is now the target of endless threats.) The Ukraine, Russia, and Romania are part of the same story. In these countries Nazi Germany is portrayed as the sole perpetrator of the Holocaust, the crimes of which are often equated to Communist crimes against the countries' local, non-Jewish populations. Often, "Communists" means "Jews," which implies an equivocation between "Jewish" and "non-Jewish" crimes. Poland, in fact, is probably the best of these countries when it comes to Holocaust research and historical reckoning; it still has independent newspapers, publishing houses, and researchers, such as Grabowski, Engelking, and others. ...
http://bostonreview.net/global-justice/mikhal-dekel-poland-holocaust-law-rewriting-history


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#74
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft - 69. Jg., Heft 6 (2021)
Erscheint am 12. Juni 2021
Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft erscheint monatlich. Sie ist ein Fachorgan für Historiker, Geschichtslehrer, Archivare, Studierende und Interessenten an Geschichte und verwandten Disziplinen wie Völkerkunde, Politische Wissenschaft, Altertumswissenschaften, Kunstgeschichte u. a.
https://metropol-verlag.de/wp-content/uploads/2021/05/inhalt-zfg-6_2021-1.pdf

https://metropol-verlag.de/produkt/zeitschrift-fuer-geschichtswissenschaft-69-jg-heft-6-2021/

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Daniel Siemens (* 1975 in Bielefeld) ist ein deutscher Historiker und Professor für Europäische Geschichte an der School of History, Classics and Archaeology der Newcastle University in England.
https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Siemens

Hinter der "Weltbühne": Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Aufbau-Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-351-03812-0.

Do. 07.04.22, 15:00 Uhr
Kaum ein Linksintellektueller überlebte mehr Regimewechsel und war auf so unterschiedliche Weise wirksam wie Hermann Budzislawski: ob in der Nachfolge von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky als Leiter der "Weltbühne" nach 1933, als Mitarbeiter von Dorothy Thompson in den USA oder als prägende Figur der sozialistischen Journalistik in der DDR. Mit seiner neuen Biographie "Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert" (Aufbau Verlag) zeichnet der Historiker Daniel Siemens ein komplexes Panorama des 20. ...
https://www.hr2.de/programm/sendezeiten/am-nachmittag,epg-am-nachmittag-1202.html


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#75
Sebastian Haffner - Von Bismarck zu Hitler
https://www.youtube.com/results?search_query=Sebastian+Haffner+-+Von+Bismarck+zu+Hitler

7 CDs, 478 Minuten. Gelesen von Sebastian Haffner. Produktion: Rundfunk Berlin-Brandenburg. Haffners letztes großes Buch, 1987 erschienen, behandelt die Geschichte des Deutschen Reichs von der Gründung unter Bismarck bis zu seinem Untergang durch Hitler. In zehn Kapiteln erläutert der große Publizist, wie der erste deutsche Nationalstaat entstehen konnte, wie sein Charakter sich in kurzer Folge immer wieder veränderte und warum sein Scheitern schließlich nicht nur eine Folge des Zweiten Weltkrieges, sondern auch eine logische Konsequenz aus Konstruktionsfehlern war.
https://www.perlentaucher.de/buch/sebastian-haffner/von-bismarck-zu-hitler.html

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"Zeitgeschichte - Mehr Anerkennung für Holocaustforscher Raul Hilberg in Wien" Peter Payer (7. August 2022)
Am 4. August 2007 verstarb der Historiker und "Doyen der Holocaustforschung" Raul Hilberg. Für seine Geburtsstadt Wien wäre es an der Zeit, mit einer Gedenktafel an ihn zu erinnern
https://www.derstandard.at/story/2000138056038/mehr-anerkennung-fuer-holocaustforscher-raul-hilberg-in-wien


Raul Hilberg (* 2. Juni 1926 in Wien; † 4. August 2007 in Williston, Vermont, USA) war ein amerikanischer Historiker und Holocaustforscher österreichischer Herkunft und jüdischen Glaubens. Mit der mehrfach aktualisierten Fassung seiner Dissertation The Destruction of the European Jews (Die Vernichtung der europäischen Juden) schrieb er das Standardwerk zur Geschichte des Holocausts. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Raul_Hilberg

Das Buch Die Vernichtung der europäischen Juden – im englischen Original The Destruction of the European Jews – ist die 1961 erschienene Dissertation des amerikanischen Historikers Raul Hilberg. Hilberg wertete für das Buch zahlreiche bis dahin kaum verwendete Quellen der deutschen nationalsozialistischen Führung von 1933 bis in die unmittelbare Nachkriegszeit aus. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Vernichtung_der_europ%C3%A4ischen_Juden

Liste der Konzentrationslager des Deutschen Reichs
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Konzentrationslager_des_Deutschen_Reichs

Ethics after the Holocaust (Raul Hilberg)
University of Oregon: An international conference exploring the nature of good & evil; the possibilities of hope & compasssion; and humanity's obligation to fight indifference, hatred, and opression. May 6-8, 1996
https://youtu.be/fg0gLvAfBfU

"Die Zurückdrängung des Gewissens in der NS-Zeit - Vortrag von Raul Hilberg" (17. März 2001)
Prof. Dr. Raul Hilberg (Wien 1929 – Burlington, Vermont/USA 2007) forschte und schrieb mehr als 50 Jahren lang über ein Thema: die Vernichtung der europäischen Juden. Er gilt als Vater der Holocaustforschung.
Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung sprach er am 17. März 2001 in Freiburg über das Gewissen der Täter.
Herstellung der Videodokumentation mit Unterstützung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und des Fördervereins Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V.  - Wir danken für die Unterstützung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und dem Förderverein Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V. Kamera, Ton und Schnitt: IMAGOFILM Bodo Kaiser, Freiburg i. Br.
https://youtu.be/WqQIVnqHxvQ


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#76
Kronstädter Matrosenaufstand
Der Kronstädter Matrosenaufstand (russisch Кронштадтское восстание), auch Kommune von Kronstadt genannt, in der Sowjetunion auch häufig als Kronstädter antisowjetische Meuterei (russisch Кронштадтский антисоветский мятеж) bezeichnet, war ein von Ende Februar bis zum 18. März 1921 währender Aufstand von Matrosen der Baltischen Flotte der Sowjetischen Marine, der Kronstädter Festungsgarnison und der Einwohner von Kronstadt gegen die Regierung Sowjetrusslands und die Politik des Roten Terrors und des Kriegskommunismus. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Kronst%C3%A4dter_Matrosenaufstand

«Aus der Räte-Idee keinen Fetisch machen!» Über Sowjets in der Russischen Revolution und warum das kein Schnee von gestern ist.
Posted byby Paul Kellner 30. März 2018
Unzählige Bücher sind im letzten Jahr zur Russischen Revolution erschienen. Einige davon beschäftigen sich nicht erneut mit den berühmten Figuren und ihren vermeintlich genialen Streichen, sondern wagen etwa eine Geschichte «von unten». Dazu gehört auch Rainer Thomanns und Anita Friedetzkys «Aufstieg und Fall der Arbeitermacht in Russland». Das Buch richtet den Fokus auf die Masse der Arbeiter*innen, Soldaten und Bäuer*innen – also auf die eigentlichen Protagonist*innen der Revolution von 1917 – und beleuchtet eingehend deren genuine Organisationsform: die Räte. Wir haben mit dem Winterthurer Autor gesprochen.
https://www.ajourmag.ch/arbeitermacht-sowjets-russische-revolution-3/

"1921: Schwarze Garde" Ralf Höller (Ausgabe 38/2021)
Zeitgeschichte Der Anarchist Nestor Machno gibt in der Ukraine mit seinen Milizen den Kampf auf und flieht vor der Roten Armee ins Exil. Was folgt, ist eine Odyssee quer durch Europa
... Lange waren die Streiter unter der schwarzen und der roten Fahne Verbündete; vor allem, als es galt, sich gegen einen gemeinsamen Feind zu behaupten. Darüber, was geschehen würde, nachdem dieser besiegt war, hatten die Anarchisten keine Illusionen. Einer von ihnen, Wsewolod Eichenbaum, späterer Mitkämpfer Machnos mit dem Decknamen ,,Volin", hatte 1917 nach einer Begegnung mit Leo Trotzki erklärt, er sei sich völlig sicher, dass dessen Genossen ,,schließlich in Russland die Macht an sich reißen" würden. ,,Und dann: Wehe uns Anarchisten! Sobald eure Herrschaft gefestigt sein wird, werdet ihr uns verfolgen und schließlich wie die Rebhühner abknallen." ...
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/1921-schwarze-garde


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Quote[...] Die Bundesanwaltschaft war bis in die 1970er Jahre hinein personell von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Juristen aus dem NS-Justizapparat geprägt. Die formale Belastung sei ,,erdrückend" gewesen, schreiben die Autoren einer großen Aufarbeitungsstudie im Auftrag des Generalbundesanwalts, die am Mittwoch als Sachbuch erschien. Sie seien in den Gründungsjahren der Karlsruher Behörde aber auch auf sehr unterschiedliche Einzelschicksale gestoßen.

Für die Untersuchung, die die Jahre 1950 bis 1974 beleuchtet, hat die Bundesanwaltschaft erstmals Einsicht in teils als vertraulich oder geheim eingestufte Personal-, General- und Verfahrensakten gewährt. Generalbundesanwalt Peter Frank will den Abschlussbericht am Donnerstag gemeinsam mit der geschäftsführenden Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) der Öffentlichkeit präsentieren.

In den vergangenen Jahren hatten auch schon andere Sicherheitsbehörden und Ministerien ihr NS-Erbe in der Nachkriegszeit wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Die Bundesanwaltschaft sei eine ,,besondere Herausforderung" gewesen, schreiben die beiden Autoren, der Historiker Friedrich Kießling und der Strafrechtler Christoph Safferling. In der eher kleinen Behörde hätten einzelne Personen einen viel stärkeren Einfluss auf die Institution gehabt.

1951 hatten für den Behördenchef, der bis 1957 Oberbundesanwalt hieß, nur drei Bundesanwälte, vier Oberstaatsanwälte und drei Hilfskräfte gearbeitet. 1974 gab es 51 Juristinnen und Juristen im höheren Dienst. 16 von ihnen waren Bundesanwälte, darunter die erste Frau.

Im höheren Dienst war die NS-Belastung zwischen 1953 und 1959 prozentual am höchsten, als um die 75 Prozent der Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Bei den Bundesanwälten waren 1966 zehn von elf früher in der Partei gewesen, 1974 waren es noch 6 von 15. Die Oberstaatsanwälte waren zeitweise - 1952 und 1953 - sogar durchgängig betroffen. Der letzte durch eine NSDAP-Mitgliedschaft belastete Bundesanwalt schied laut Studie 1992 aus dem Dienst aus.

In der SA waren insgesamt 23 Beamte gewesen. Auf ehemalige SS-Angehörige stießen die Autoren nicht, auch nicht auf NSDAP-Mitglieder, die der Partei schon vor 1933 beigetreten waren.

Gleichzeitig hatten sehr viele Beamte im höheren Dienst auch im Nationalsozialismus im Justizdienst gestanden. 1953 lag die Quote bei knapp 83 Prozent. Zehn Jahre später hatten noch 74 Prozent der Bundes- und Oberstaatsanwälte Amtserfahrung aus der Zeit vor 1945. Erst von 1972 an waren frühere NS-Juristen klar in der Minderheit.

Diese Zahlen sagten zwar nichts über das tatsächliche Verhalten einzelner Personen und deren individuelle Schuld aus, schreiben Kießling und Safferling. ,,Die große und lange Amtskontinuität wie die hohe Zahl an formal belasteten Beamten zeigen aber sicher eines: Einen Bruch, gar einen bewussten Bruch mit der NS-Vergangenheit hat es auch im Fall der Bundesanwaltschaft nicht gegeben."

Eine gezielte Suche nach unbelasteten Kandidaten oder gar emigrierten Kollegen habe sich nicht feststellen lassen. Wie bei anderen Bundes- und Sicherheitsbehörden habe bei der Personalauswahl die fachliche Eignung im Zentrum gestanden, Fragen der politischen Haltung seien zweitrangig gewesen. Die Autoren weisen darauf hin, dass insbesondere die Bundesanwaltschaft auf Mitarbeiter mit erheblicher Berufserfahrung angewiesen war. ,,Die Chance, dass hierunter auch belastete Beamte sein würden, war entsprechend hoch."

Dabei seien juristische Vorerfahrungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 so normal behandelt worden, als seien sie in der Weimarer Republik oder im Kaiserreich gemacht worden. ,,Die Verflechtung des allgemeinen Justizwesens mit NS-Recht im ,,Dritten Reich" wollten viele vor wie nach 1945 nicht wahrhaben."

Eine Person, der sich die Studie besonders intensiv widmet, ist Wolfgang Fränkel, dessen Amtszeit als Generalbundesanwalt 1962 nach nur wenigen Monaten mit einem ,,der größten NS-Skandale in der alten Bundesrepublik" endete. Aus der DDR gestreute Informationen belegten, dass Fränkel in seinen Jahren als sogenannter Hilfsarbeiter der Reichsanwaltschaft in Leipzig zwischen 1936 und 1943 mit Nichtigkeitsbeschwerden auf Dutzende Todesurteile hingewirkt hatte.

Über das Instrument der Nichtigkeitsbeschwerde konnte der Oberreichsanwalt eigentlich rechtskräftige Strafurteile nachträglich verschärfen lassen. Nach den Recherchen von Kießling und Safferling war Fränkel auf diese Weise für mindestens 30 Todesurteile verantwortlich. Einmal wurde etwa ein Hühnerdieb hingerichtet, den Fränkel, der später ab 1951 für die Bundesanwaltschaft arbeitete, als ,,völlig unwürdiges Glied der Volksgemeinschaft" bezeichnet hatte.

,,Strafrechtliche oder auch nur disziplinarrechtliche Konsequenzen hatte die Sache für ihn nicht", heißt es in dem Abschlussbericht des wissenschaftlichen Aufarbeitungsprojekts. ,,Das galt auch für alle anderen Juristen an der Bundesanwaltschaft, die eine materielle NS-Belastung aufwiesen, sei es, dass sie an Sonder- oder Militärgerichten während der NS-Zeit an Todesurteilen beteiligt gewesen waren oder in anderer Weise am NS-Unrecht mitgewirkt hatten." (dpa)


Aus: "Das Nazi-Erbe der Bundestaatsanwaltschaft" (17.11.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/je-hoeher-im-dienst-desto-staerker-die-ns-verflechtung-das-nazi-erbe-der-bundestaatsanwaltschaft/27806740.html

QuoteFriedrich Kießling, Christoph Safferling
Staatsschutz im Kalten Krieg
Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF
Staatsdiener der Diktatur, Anwälte der Demokratie

Die Bundesanwaltschaft hat den Auftrag, den Staat zu schützen und zur Rechtseinheit beizutragen. In der frühen Bundesrepublik ging sie mit harter Hand gegen Kommunisten vor, war in die Spiegel-Affäre verwickelt und musste sich Anfang der 1970er-Jahre mit der Bekämpfung der aufkommenden RAF einer bis dahin unbekannten Bedrohung stellen. Zugleich scheute die Bundesanwaltschaft eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihrer eigenen Mitarbeiter – obwohl viele bereits im »Dritten Reich« wichtige juristische Positionen bekleidet hatten. Erstmals wird in diesem Buch die Geschichte der Bundesanwaltschaft zwischen 1950 und 1974 erforscht. Es wirft ein Schlaglicht auf die heute hochaktuelle Frage, wie eine Demokratie den Staat schützen kann, ohne die eigenen Werte zu verraten.

Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 608 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3423282649
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3423282642
November 2021


https://www.dtv.de/buch/friedrich-kiessling-christoph-safferling-staatsschutz-im-kalten-krieg-28264/


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Quote[...] Tom Drechsel ist Promovend der Migrations- bzw. Zeitgeschichte an der Universität Jena und arbeitet als freier Historiker

... In den 1950er Jahren herrscht in der Bundesrepublik erheblicher Fachkräftemangel, weshalb die Regierung Adenauer 1955 beschließt, italienische Arbeitskräfte zu holen. Es folgen sieben weitere Verträge zur Anwerbung von Ausländern; einer davon Ende Oktober 1961 mit der Türkei. Wer kommt, wird in die Industriereviere an Rhein und Ruhr geschickt, in die großen Städte Baden-Württembergs, Bayerns und Hessens oder nach Westberlin, wo nach dem Mauerbau die Industrie den Wegfall der Pendler aus Ostberlin ausgleichen muss.

Zeitgleich führt in der Türkei eine zusehends mechanisierte Agrarwirtschaft zu Massenarbeitslosigkeit und Landflucht. An der Peripherie türkischer Städte entstehen mit den ,,Gecekondular" abschreckende Slums, die eine Arbeit in Deutschland attraktiv erscheinen lassen. So wird von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung Personal für Firmen wie AEG Telefunken, Siemens oder Osram rekrutiert. Dabei empfinden Frauen die strenge, oft deutschen Ärzten überlassene medizinische Inspektion als entwürdigend. Es werden Zeugnisse verlangt, die berufliche Eignung und das Strafregister überprüft. Besteht man alle Tests, geht es in einem überfüllten Zug, in dem es an Verpflegung, fließendem Wasser, Heizung und Schafmöglichkeiten fehlt, von Istanbul nach München und von dort an die Einsatzorte. Männliche Arbeitskräfte werden im Bergbau, dem Baugewerbe oder der Werftindustrie eingesetzt, Frauen arbeiten in der Textil-, Nahrungs- oder Genussmittelindustrie, dazu vielfach als Reinigungskräfte, Kranken- und Altenpflegerinnen.

Es sind Tätigkeiten, die meist in Schicht- und Akkordarbeit verrichtet werden, körperlich anstrengend, dazu monoton sind, und die deutsche Arbeiter nicht mehr übernehmen wollen. Verdient wird wenig. Untergebracht vor allem in firmeneigenen Wohnheimen, leben die ,,Gastarbeiter" isoliert von der restlichen Bevölkerung und müssen es sich vorschreiben lassen, wann sie ausgehen dürfen. Ein Privatleben ist unter diesen Umständen extrem reglementiert. Dass es trotz eines allein der Arbeit untergeordneten Daseins auch Raum für die Lust am Abenteuer gibt, zeigt der Roman Die Brücke vom Goldenen Horn von Emine Sevgi Özdamar, die in den 1960er Jahren als Industriearbeiterin in Westberlin für Telefunken Radiolampen montiert und in einem Kreuzberger ,,Wonaym" unterkommt.

Zunächst planen weder die einreisenden Arbeitskräfte noch der deutsche Staat, dass der Aufenthalt von Dauer sein soll, weshalb in den Regierungsabkommen ein Zeitmaximum von zwei Jahren festgeschrieben wird. Um den temporären Charakter einer Beschäftigung zu unterstreichen, wird der Begriff ,,Gastarbeit" eingeführt. Doch sind es letztlich ökonomische Gründe, die dafür sorgen, dass 1964 die Befristung aufgehoben wird. Die Unternehmen sind es schlicht leid, nach spätestens zwei Jahren immer wieder neue Arbeiterinnen und Arbeiter anzulernen. Als die Aufenthaltsbeschränkung entfällt, beginnen viele Türken, eine Wohnung zu suchen. Bei der Vergabe oft diskriminiert, ziehen viele in abrissreife Altbauten mit Außentoilette und Ofenheizung, an denen sonst kaum jemand Interesse hat. In den 1970er Jahren machten sich türkische Industriearbeiter zudem selbstständig und eröffneten Restaurants, kleine Läden oder Reisebüros. Sanierungsbedürftige Viertel in Großstädten verdanken es migrantischen Infrastrukturen, dass sie wiederbelebt und aufgewertet werden.

Als das Wohnheim verlassen und nach Arbeit auch jenseits staatlicher Vermittlung gesucht werden kann, beginnt ab Mitte der 1960er ein allmählicher Familiennachzug. Mit der Ölkrise 1973 und deren Folgen geht dann aber ein Anwerbestopp für alle Arbeitskräfte einher, die nicht aus EG-Mitgliedsstaaten kommen. Obwohl die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt de facto ein Einwanderungsland ist, wird dies weiter geleugnet und entsprechend Politik gemacht. Nach dem Anwerbestopp sind ein politisches Asyl, eine Heirat oder Familiennachzug die verbliebenen Optionen für Türken, legal nach Deutschland zu kommen. Die Politik versuchte auch diese Möglichkeiten einzuschränken: Nachgezogene Eheleute dürfen während der ersten vier, ab 1980 drei Jahre nicht arbeiten. Auch wird es schwierig, Kinder nachzuholen, die das 18. Lebensjahr erreicht haben. Da die 1970er Jahre in der Türkei von Instabilität, Gewalt und wirtschaftlichem Niedergang gezeichnet sind, entscheiden sich viele Türken – im Unterschied zu Portugiesen, Spaniern, Griechen oder Italienern –, trotz bürokratischer Hürden in Deutschland zu bleiben und ihre Familien ins Land zu holen. Worauf die Politik mit teils repressiven Maßnahmen antwortet. 1980 wird unter der Regierung von Helmut Schmidt (SPD) eine Visumspflicht eingeführt und ein Jahr später die Ausländerpolitik vom Arbeits- ins Innenministerium verlagert. Das heißt, sie wird zu einem ordnungs- und sicherheitspolitischen Thema erklärt. Die Regierung unter Helmut Kohl (CDU) geht ab 1984 dazu über, ausländischen Arbeitskräften Rückkehrprämien anzubieten, wenn sie Deutschland verlassen, wobei die bereits gezahlten Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung verloren gehen. All dies korrespondiert mit einer Zunahme rassistischen und rechtsgerichteten Denkens in der bundesdeutschen Gesellschaft.

Eine ambivalente Rolle spielen die Gewerkschaften. Sie sind aus Angst vor Lohndumping zunächst mehrheitlich gegen eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Nach dem von ihnen mit betriebenen Anwerbestopp wird überdies verlangt, die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse zu beschränken. Andererseits zählen Gewerkschaften zu den wenigen Anlaufstellen für migrantische Arbeitskräfte, wenn diese Konflikten im Betrieb ausgesetzt sind oder sich politisch engagieren wollen. Auch setzen sich die Gewerkschaften für eine sozial- und tarifrechtliche Gleichstellung aller in Deutschland tätigen Arbeitnehmer ein. Dies wäre kaum ohne den Druck türkischer Arbeitskräfte möglich gewesen, die sich innerhalb gewerkschaftlicher Strukturen bemerkbar machen.

Nach der Wiedervereinigung 1990 verschlechtert sich vielerorts die Lage für die Türken in Deutschland, da die Einheit auch zum Anstoß für Rassismus und völkischen Nationalismus wird, was sich im gesellschaftlichen Diskurs, in politischer Ausgrenzung und gewalttätigen Übergriffen zeigt. Hinzu kommt, dass türkische Bürger, die in Westdeutschland leben, stark von den einsetzenden ökonomischen Veränderungen betroffen sind. Aus Kostengründen siedeln Unternehmen nach Ostdeutschland über oder stellen billigere Arbeitskräfte ein. Etliche Branchen werden wegen einer beschleunigten Globalisierung und der Radikalität des neoliberalen Kapitalismus umstrukturiert, was auch in den westlichen Bundesländern zu Stellenabbau, stillgelegten Produktionsstätten, einem expandierenden Dienstleistungssektor, mehr Leiharbeit oder Outsourcing ganzer Firmenbereiche führt. Häufig sind migrantische Arbeitskräfte als Erste davon betroffen. Deren Erwerbsquote sinkt auf ein historisches Tief.

Es ist an der Zeit, die türkische Community angemessen in die Geschichtsschreibung aufzunehmen. Nur so lässt sich verstehen, welchen enormen Anteil Arbeitsmigranten an der Wirtschaftskraft dieses Landes haben, wie sie die kulturelle Landschaft geprägt und unter widrigsten Bedingungen zum Teil ganze Viertel wieder aufgebaut haben, die einst von den meisten Deutschen verschmäht wurden und heute zu den begehrten Wohngegenden des Landes gehören – ein eindrückliches Beispiel hierfür ist Berlin-Kreuzberg während der zurückliegenden 60 Jahre. Es ist also nicht primär eine Frage der Solidarität, heute zu fordern, dass migrantische Personen gleichberechtigten Zugang zu politischen und gesellschaftlichen Ressourcen erhalten – es ist eine der historischen Gerechtigkeit.


Aus: "1961: Asyl im ,,Wonaym"" (Tom Drechsel | Ausgabe 45/2021)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/1961-asyl-im-wonaym

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Quote[...] Warlam Schalamow, russischer Dichter und Schriftsteller, Überlebender der Zwangsarbeitslager des GULag in der eisigen Kälte der fernöstlichen Kolyma-Region, schrieb diese Sätze aus der Erzählung ,,Der Handschuh" im Frühjahr 1971, zu einer Zeit, als in der Sowjetunion die Re-Stalinisierung vorangetrieben wurde. Schalamow schrieb im quälenden Bewusstsein, dass die von Chruschtschow in der ,,Tauwetter"-Zeit begonnene Aufklärung über den Massenterror unterbunden wurde und die Verbrechen an der eigenen Bevölkerung wieder tabuisiert wurden. Vierzig Jahre später versucht die politische Macht in Russland erneut, das Gedächtnis der russischen Gesellschaft auszulöschen: Am 11. November 2021 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation die Auflösung der Internationalen Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge ,,Memorial". Am 14. Dezember wird die Verhandlung fortgesetzt. ...

,,Memorial" wird vorgeworfen, systematisch Auflagen verletzt zu haben, die mit der vor einigen Jahren erfolgten Einstufung als ,,ausländischer Agent" verbunden sind. Gemeint ist die Verpflichtung, jede Publikation mit der Markierung als ,,ausländischer Agent" zu versehen, ein Vorgehen, das an die stalinistische Brandmarkung als ,,Volksfeind" erinnert.

Die Anwälte von ,,Memorial" stellten bei der ersten Verhandlung klar, dass in den wenigen Fällen, in denen die Markierung vergessen wurde, die administrative Strafe längst entrichtet worden war. Das politische Ziel der beabsichtigten Liquidierung von ,,Memorial" ist offensichtlich. Ein Verbot des internationalen Dachverbands von Memorial in Moskau würde bedeuten, dass auch die lokalen Memorialverbände unter Druck geraten, dass kaum noch, wie auf der Website von ,,Memorial Deutschland" formuliert, ,,über aktuelle und vergangene Menschenrechtsverletzungen geforscht, geschrieben und kritisch gesprochen werden könnte sowie Archivbestände von unschätzbarem historischen Wert für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich sein würden."

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Aus: "Das Gedächtnis der Menschen lässt sich nicht vernichten" Franziska Thun-Hohenstein (12. Dezember 2021)
Quelle: https://geschichtedergegenwart.ch/das-gedaechtnis-der-menschen-laesst-sich-nicht-vernichten/