• Welcome to LINK ACCUMULATOR. Please log in.
Menu

Show posts

This section allows you to view all posts made by this member. Note that you can only see posts made in areas you currently have access to.

Show posts Menu

Messages - Link

#2121
Quote...

Yannah Alfering: Du beschreibst, wie du als Jugendliche wegen deines Klamottenstils gemobbt wurdest. Wie war das damals für dich?

Katja Krasavice: Normale Mädchen tragen irgendein Oberteil, eine Hose und Schuhe. Ich hatte halt keine Sneaker oder Flipflops an sondern High Heels. Ich trug meistens bauchfrei und einen Minirock. Das fand keiner cool: weder die Lehrer, noch meine Mitschüler. Aber mich hat mein Look glücklich gemacht. Ich fand es schon früher fake, mich anzupassen, nur damit mich andere mögen.
In der Schule haben sich die anderen manchmal abgesprochen, mich wochenlang zu ignorieren. Es gab Tage, an denen keiner mit mir geredet hat. Und wenn doch, wurde ich beleidigt. Diese Erfahrung hat mich auf jeden Fall geprägt. Ich bin stärker geworden. Hate prallt an mir ab. Trotzdem fühle ich mich manchmal noch wie das kleine Mädchen von früher, das sich nicht schön findet und gemobbt wird.

...

Yannah Alfering: Bist du Feministin?

Katja Krasavice: Ich möchte, dass Frauen endlich ernstgenommen werden und machen können, was sie wollen. Andererseits bin ich total antifeministisch, weil ich mich als Sexobjekt darstelle. Ich kenne mich mit Feminismus nicht so gut aus, aber viele Feministinnen sagen mir, dass ich mich nicht so sexy zeigen soll. Das finde ich sehr schade, weil eine Frau soll ja eigentlich machen, was sie gerade geil findet.

Yannah Alfering: Ich finde es eigentlich sehr feministisch, einfach dein Ding zu machen.

Katja Krasavice: OK, gut. Dann bin ich vielleicht viel feministischer, als ich dachte.

...


Aus: "Wir haben Katja Krasavice gefragt, warum sie eine "Bitch Bibel" geschrieben hat" (09 Juni 2020)
Quelle: https://www.vice.com/de/article/bv8nea/wir-haben-katja-krasavice-gefragt-warum-sie-eine-bitch-bibel-geschrieben-hat

Katja Krasavice
https://de.wikipedia.org/wiki/Katja_Krasavice
#2122
Quote[...] Die Kommunikationswissenschaftlerin Nayla Fawzi (Uni München) hat sich durch eine repräsentative Umfrage angesehen, wie die deutsche Bevölkerung Medienleistungen einschätzt. Pauschal gesehen, bestehe eine ,,diffuse" Zufriedenheit in der Bevölkerung. 61 Prozent äußerten sich zufrieden, 29 teilweise, neun gar nicht. Bezogen auf die konkreten Einzelleistungen hingegen ist das Bild durchwachsen.

Ihre politischen Funktionen, so die Sicht des Publikums, erfüllen Journalist*innen recht gut: Rund die Hälfte hat den Eindruck, dass Medien Politik und Wirtschaft kritisch beobachten, Skandale aufdecken und dass ihnen gelingt, zur Meinungsbildung beizutragen. Zwischen 14 und 18 Prozent hingegen finden, die Medien leisten dies nicht.

Dann wird es enger: nur noch 39 Prozent sind der Meinung, dass Medien komplexe Sachverhalte gut erklären. Und nur jeder dritte teilt die Ansicht, dass Medien das Interesse für politische Fragen wecken, fast gleich viele finden, dass sie das nicht schaffen.

Die größten Defizite nimmt die Bevölkerung bei sozialen Medienfunktionen wahr; hier ist der Anteil jener, die sich unzufrieden äußern, durchweg höher als der der Zufriedenen. Anliegen von Minderheiten und benachteiligten Gruppen der Gesellschaft zur Geltung bringen, einen guten Austausch zwischen Gesellschaft und Politik herstellen, ein Grundverständnis schaffen, das die Gesellschaft als Ganzes verbindet: Zwischen 31 und 25 Prozent der Befragten finden, dass Medien dies nicht leisten, nur zwischen 24 und 28 Prozent sind zufrieden mit der journalistischen Arbeit in diesen Bereichen.

Jeder dritte hat das Gefühl, Medien sind nicht das Sprachrohr für die Gesellschaft, das sie sein sollten, und 41 Prozent vermissen ein hinreichendes Maß an Lösungsvorschlägen für die Probleme der Gesellschaft.

Gewiss sind solche Einschätzungen individuell und hängen auch davon ab, wie medienkompetent die Befragten sind. Zum Grundverständnis von aufklärenden Medien gehört zudem, sich Rezipienten-Interessen nicht einfach anzupassen und unterzuordnen.

Diese sind zum einen nicht homogen. Zum kann es sich keine demokratische Gesellschaft leisten, auf eine nötige Auseinandersetzung mit relevanten Themen zu verzichten, weil sie für ein Publikum unangenehm sind oder ihm nicht gefallen.

Aber: in den Befunden stecken wichtige Aufträge, wo Berichterstattung besser und näher an dem, was die Bevölkerung umtreibt, werden kann. Wie bedeutsam eine verlässliche Vermittlungsleistung ist, belegt ein Forscherteam am Reuters-Institut der Universität Oxford. Es verglich den Grad des Vertrauens, das Menschen in 23 europäischen Ländern in insgesamt 226 Nachrichtensender und damit in den Informationsjournalismus haben, damit, wie Experten die Genauigkeit der Arbeit dieser Sender einschätzen.

Die Einschätzungen wichen wenig ab. Experten und Öffentlichkeit schrieben höchstes Vertrauen den öffentlich-rechtlichen Medien zu. Die Bevölkerung vertraut Zeitungen und Onlineplattformen etwas weniger und dem kommerziellen Fernsehen etwas mehr als Experten dies tun. ,,Vertrauen haben" in ein Medium, heißt zwar nicht, es auch zu nutzen. Aber die Studie stimmt optimistisch, weil sich offenbar die Bevölkerung in Nachrichtenumgebungen recht gut zurechtfindet.


Aus: "Wie Menschen Medien wahrnehmen" Marlis Prinzing (14.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/media-lab-wie-menschen-medien-wahrnehmen/25915098.html
#2123
Quote[...] Der ehemalige Fraktionschef der CDU, Friedrich Merz, hat davor gewarnt, in der Diskussion um Rassismus die Situation in Deutschland mit der in den USA zu vergleichen. Er halte es für unzulässig, "die Bilder aus Amerika eins zu eins auf Deutschland zu übertragen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Amerikaner haben seit der Abschaffung der Sklaverei das Problem der Rassendiskriminierung bis heute nicht wirklich gelöst. In Deutschland gibt es das in dieser Form nicht – und es gibt bei uns auch keinen latenten Rassismus bei der Polizei."

Laut Merz hat US-Präsident Donald Trump die Proteste in den USA verstärkt. In den vergangenen Jahren habe es schon breite Proteste nach ähnlichen Vorfällen wie dem Tod von George Floyd gegeben. "Wahrscheinlich wären die Demonstrationen aber auch dieses Mal im bekannten Rahmen geblieben, wenn nicht der Präsident so viel Öl ins Feuer gegossen hätte." In den USA wurden die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt teilweise auf Anweisung Trumps durch die Nationalgarde zurückgedrängt.

Die Lage in den USA könnte sich zudem angesichts der Präsidentschaftswahl verschärfen. Fünf Monate vor dem Wahltermin hatte Trump die Idee ins Spiel gebracht, die Armee in amerikanischen Städten in Stellung zu bringen, um Ausschreitungen zu unterbinden. "Man mag sich ja gar nicht vorstellen, was er fünf Wochen vor der Wahl tut, falls er dann mit dem Rücken zur Wand stehen sollte", sagte Merz.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte zuvor ebenfalls der Funke-Mediengruppe gesagt, dass es auch in Deutschland latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte gebe, "die durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen". Innenministerkonferenz-Chef Georg Maier hatte die Aussage Eskens kritisiert.


Aus: "Friedrich Merz sieht keinen latenten Rassismus bei der Polizei" (11. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/friedrich-merz-rassismus-vergleich-deutschland-usa-polizei

Quoteagneta andersson #34

Als Transfrau habe ich immer wieder erlebt, dass diejenigen, die sich am lautesten über Rassismus beschwert haben, mich am häufigsten mit dem Untermenschenbegriff ,,Transe" belegt haben. Die deutsche Polizei hat mich dagegen immer freundlich behandelt.


QuoteJeanLuc7 #35

Platte Antwort von Herrn Merz, der sich allein durch sein Fachgebiet als Wirtschaftspolitiker sehr gut im Bereich der Sicherheitspolitik auskennt.

Aber mal im Ernst - diese Antwort aus dem Politikerhandbuch war doch vorhersehbar. Ein CDU-Politiker stellt sich nicht gegen die Sicherheitskräfte - schon gar nicht, wenn die Gegenseite auch politisch auf anderer Linie liegt. ...


Quotepicealupusiana #20

Ein Konservativer erkennt keinen Rassismus, wer hätte das gedacht. In der guten alten Zeit gabs das ja offiziell auch noch nicht und wurde öffentlich nicht thematisiert. Woher soll der Blackrock-Mitarbeiter das auch kennen?


Quoteredshrink #9

Merz' Sachkenntnis zu allen Lebenslagen beeindruckt immer wieder. Er weiß auch über "latenten Rassismus" bei der Polizei Bescheid. Möchte er dem staunenden Publikum verraten, worauf er seine Beurteilung stützt?

Dass die Polizei rassistischer sei als das Gros der deutschen Bevölkerung, möchte ich auch nicht behaupten. Allerdings stellt der alltägliche deutsche Rassismus – welcher nicht nur von weißen Deutschen ausgeht – bei der Polizei ein besonderes Problem dar; denn sie repräsentiert die Staatsgewalt. Sie darf andere Menschen anhalten und ihre Papiere kontrollieren, muss Konfliktsituationen meistern und Streit schlichten, das Verhalten von Menschen interpretieren, evtl. mit Gewalteinsatz einschreiten, oder sogar Menschen verhaften oder in Gewahrsam nehmen, und sie muss Berichte schreiben, welche dann vor Gericht ein besonderes Gewicht haben.

Rassismus kommt nicht unbedingt als böswillige Haltung oder bewusste Feindlichkeit daher, sondern oft auch als Unverständnis, die Übernahme bestimmter Stereotypen, die falsche Interpretation von Verhalten usw. Dies meistert Polizisten nicht schlechter als andere Menschen – aufgrund ihrer Ausbildung in vielen Fällen sogar besser – aber ihr Rassismus hat für Betroffene größere Folgen als die pöbelnde Oma im Bus (und ja, die gibt's). Daher müssen an die Polizei höhere Anforderungen im Umgang mit Rassismus gestellt werden als an Rentner, Steuerberater oder Fleischereifachverkäufer.


Quotekevman12 #2

Selbstverständlich gibt es latenten Rassismus - in unserer Gesellschaft (plötzlich sind wir uns nicht mehr einig darüber!?) - und gerade in der Polizei.


QuoteLachkeks #3

Und wieder ein weißer, extrem wohlhabender Mann, der keinen Rassismus bei der Polizei sieht. Was eine Überraschung.


Quoteder_hasan #4

"In Deutschland gibt es das in dieser Form nicht – und es gibt bei uns auch keinen latenten Rassismus bei der Polizei.""

Als Ausländer widerspreche ich Hern Merz vehement und er hätte gut daran getan, sich vorher mit Ausländergruppen zusammenzusetzen, bevor er so eine Behauptung verlautbart.


QuoteSchelmchen #4.3

Wie kommen Sie auf die Idee, dass Merz sich einen vollumfänglichen Überblick über die Polizei Arbeit verschafft. Merz dessen neoliberale Agenda dafür sorgt, dass junge Polizisten einen Nebenjob brauchen um sich die Miete in Großstädten leisten zu können. ...


QuoteAutor.innenkollektiv Tabitha #4.11

Ja, es reicht mit dem Zug über die Grenze zu pendeln oder etwas Zeit an Bahnhöfen zu verbringen. Oder einfach mit 'ausländisch' aussehenden Bekannten zu reden.


QuoteUrlaubsliebhaber #5

Es mag ja durchaus sein, dass die Situation in den USA deutlich bedenklicher ist als bei uns. Dass aber auch wir ein Problem mit strukturellem Rassismus (auch in der Polizei) haben, sollte jedem klar sein. Jeder, der nicht "Deutsch" aussieht, kann das wohl bestätigen.


QuoteCarina Si-Fi #5.1

"jeder, der nicht Deutsch aussieht, kann das wohl bestätigen" Diese Aussage ist völlig übertrieben.

Die Polizei der USA mit der deutschen Polizei zu vergleichen, finde ich bedenklich.


QuoteGrüße aus der Provinz #5.2

"Jeder, der nicht Deutsch aussieht, kann das wohl bestätigen."

Woher wissen Sie das? Haben Sie mit all diesen Leuten gesprochen?
Ich habe eine "schwarze" Pflegetochter und kenne viele Syrer und Afghanen, die Ihre Vorurteile nicht bestätigen würden.


QuotePan0007 #6

Es stimmt, dass man die deutsche und die us-amerikanische Polizei nicht vergleichen kann. Dennoch sollte man bei der deutschen Polizei auch mal genauer hinsehen und vor allem sich die Erfahrungen von Deutschen mit Mitrationshintergrund anhören.

Ich verstehe nicht, wie man nach den NSU-Verbrechen noch glauben kann, dass es keinen strukturellen Rassismus in Deutschland gibt. Ja, Polizeigewalt kommt hier weniger vor. Rassismus hat viele Gesichter und sollte in all seinen Formen bekämpft werden.

Wichtig ist, dass wir eine Kultur der Selbstreflektion, des Hinsehens und des Zuhörens etablieren. Das gilt auch für Merz.


QuoteBejsaar #7

Tja, dass Friedrich Merz noch nicht mit Polizeigewalt konfrontiert war ist jetzt zunächst keine Überraschung. Ebensowenig, dass er noch nicht in einer Polizeikontrolle herausgezogen worden ist, während alle anderen mit einer anderen Haarfarbe, oder einem kleineren vielleicht sogar blonden Vollbart nicht gefilzt wurden. Man könnte auch sagen mit einem "arischerem" und weniger "arabischen" Aussehen.
Er hat recht, dass wir die Probleme aus den USA nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen könne. Aber wir haben in Deutschland unser ganz eigenes Rassismusproblem.


QuoteIceteamango #8

Vielleicht gibt's bei einigen Beamten aber eine berufsbedingte Deformation in der Wahrnehmung. Schließlich hat nun mal ein großer Teil ihrer "Kunden" einen Migrationshintergrund,


Quotedeep_franz #16

Jeder machtbewusste Politiker wird immer jede gesellschaftliche Strömung dazu nutzen, seine eigene Agenda besser zu positionieren. Die Agenda des Friedrich Merz ist seinem Weg zur Kanzlerschaft gewidmet und folgerichtig führt er seinen Wahlkampf dort, wo er seine Chance zum Erfolg sieht.
Was inzwischen alles im Kielwasser eines brutalen Polizeieinsatzes in den USA weltweit seine Anhängerschaft sucht, zeigt m.E. ein strukturelles Problem unserer Zeit.



QuoteThomasP1965 #18

Es ist eine typische Unionsargumentation, die Merz hier fährt und auch die AfD fährt gerne diesen Stil. Keiner hat von einer eins zu eins Übernahme der Bilder aus den USA gesprochen, aber er baut seine Argumente / Kritik darauf auf.
Ein netter Stil, etwas in den Raum zu stellen, das keiner behauptet hat und es dann scheinbar zu widerlegen.
Natürlich haben wir eine andere Situation, angefangen mit der Bevölkerungsverteilung, dem Recht, der Polizeiausbildung und auch der sozialen Absicherung. Also wäre es Quatsch unseren Rassismus mit dem der USA gleichzusetzen.
Aber eine Behauptung aufzustellen, unsere Polizei und unser Justizsystem, von denen ich dennoch viel halte, hätte kein Rassismusproblem ist naiv. Unsere Polizei insbesondere hat in Teilen ein Rassismusproblem. Der Beispiele sind viele und jeder, der Augen hat hat diese schon mitbekommen. Wie ein Türke oder sonstiger fremd Aussehender - und mag er auch in Deutschland geboren sein, besser Deutsch als der Polizist sprechen - aus der Bekanntschaft dauernd kontrolliert wird, wie ungleich schwerer es für diese ist Arbeitsplätze oder Wohnung zu finden usw.
Natürlich nicht auf dem rassistischen Niveau der USA - unter anderem wegen unserer und EU-Gesetzgebung -, aber der Rassismus existiert und gehört eliminiert.


Quotequalia #37

Na also wenn Merz keinen Rassismus sieht, dann wird es auch keinen geben, oder?
Vielleicht fragen wir nochmal Donald Trump um eine neutrale Zweitmeinung.


...
#2124
Quote[...] 18 Etagen, 400 Wohnungen – Göttingens Iduna-Zentrum gilt als Infektionsherd. Und ist ein idealer Nährboden für Vorurteile.

... Ein Virus befällt, wen es kriegen kann. Trotzdem haben Seuchen einen Klassencharakter. Zwar verbreitete sich das Coronavirus offenbar zunächst mit heimkehrenden Après-Ski-Feiernden aus Ischgl quer durch Europa.

Seit einigen Wochen aber trifft es die reiseaffinen Mittelständler seltener, sondern infiziert diejenigen, die oft als einkommensschwach und kinderreich, als am gesellschaftlichen Rand lebend bezeichnet werden. ...  In geschlossenen Räumen ist die Gefahr deutlich größer als in einem Garten. Wo enger zusammengehockt, diskutiert, gelacht, gesungen, geweint wird, da überträgt sich das Virus eher.

... Auch in Deutschland gilt, das beobachtet Sozialmediziner Trabert, dass die eigene Familie für arme Menschen, für diejenigen, die nicht über anerkannte Jobs und vielfältige Kontakte verfügen, oft einen höheren Stellenwert hat. In ihr träfe man diejenigen, die noch zu einem hielten. Sperrstunden und Kontaktverbote erschwerten das Leben sozial Benachteiligter stärker, als sie das von besser Verdienenden beeinträchtigten.

...


Aus: "Corona-Ausbruch in Göttingen – ein Virus mit Klassencharakter" Hannes Heine (11.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/die-burg-der-beschuldigten-corona-ausbruch-in-goettingen-ein-virus-mit-klassencharakter/25905638.html
#2125
Quote[...] Er brauchte einen klaren Kopf, also ging Norbert Walter-Borjans in den Wald. Ein privater Termin hatte den SPD-Chef über Pfingsten ins Erzgebirge geführt. In Berlin standen wichtige Entscheidungen an; SPD und Union wollten ein milliardenschweres Rettungspaket für die corona-geschädigte Wirtschaft schnüren. Aber Walter-Borjans wusste, egal wie viele Milliarden sie bewegen würden, am Ende würde es Enttäuschte und Verärgerte geben, die mit dem Finger auf die SPD zeigen und sagen: Ihr seid schuld.

Genauso ist es gekommen. 130 Milliarden Euro haben Union und SPD lockergemacht; die Mehrwertsteuer wird gesenkt, der Staat investiert in Forschung und Infrastruktur, dafür gab es Lob von allen Seiten. Nur aus einer Ecke nicht: Weil die Autoindustrie keine Abwrackprämie für Autos mit Verbrennermotor bekam, ist die mächtigste deutsche Gewerkschaft mächtig sauer. Zwischen IG Metall und SPD, einst natürliche Verbündete, knirscht es.

Die SPD-Spitze ist in diesen Konflikt nicht hineingestolpert. Sie hat ihn in Kauf genommen. Vor dem langen Pfingstwochenende hatte sie zum "Branchendialog" geladen. Auf Gewerkschaftsseite war klar: Eine Kaufprämie muss her. Walter-Borjans aber sah die Politik an einer Abrisskante: Der Staat investiert in eine alte Technologie anstatt in den Wandel? Der SPD-Chef kommt aus Nordrhein-Westfalen. Die drängende Autoindustrie erinnerte ihn an die Energieriesen in den dortigen Kohlerevieren, die sich lange gegen Veränderungen gesperrt hatten.

Auf seinem Waldspaziergang traf Walter-Borjans eine Entscheidung. Anschließend telefonierte er mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, und sagte ihm, mit der SPD werde es keine Kaufprämie für Benziner und Diesel geben. Fraktionschef Rolf Mützenich war eingebunden und einverstanden, auch Vizekanzler Olaf Scholz akzeptierte die Verhandlungslinie, wenn auch schweren Herzens. Pfingstmontag soll die Kanzlerin informiert worden sein, dass sich die SPD in dieser Sache "nullkommanull" bewegen werde.

Roman Zitzelsberger sagt, er habe letztlich erst aus der Pressekonferenz der Kanzlerin erfahren, dass es tatsächlich nichts wird mit der Prämie für Verbrenner. "Ein Stück weit abgezeichnet" habe es sich zwar schon vorher, räumt der Leiter des IG-Metall-Bezirks Baden-Württemberg ein. Viel hätten sie erklärt, wenig sei angekommen. "Aber die Hoffnung war da, dass da trotzdem noch was geht."

Und jetzt? "Industriepolitisch ist das problematisch", sagt Zitzelsberger, der Metaller aus dem Südwesten. Die IG Metall wirft der SPD vor, Arbeitsplätze zu gefährden und die Autobranche um ihre Zukunft zu bringen. Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht sagte, seine Kollegen aus der Auto- und Zulieferindustrie seien "stinksauer". Doch der Konflikt geht tiefer: IG-Metall-Chef Hofmann sprach unverblümt von einem massiven Vertrauensverlust zwischen Autoarbeitern und SPD. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, klagt: "Wir vermissen, dass die SPD ihr ehemaliges Markenzeichen, den sozialen Ausgleich zwischen Arbeit und Umwelt, prägnant vorbringt." Für "Irritationen" habe das Verhalten der SPD schon gesorgt.

Die Metaller tragen schwer am Nein der Koalition zur Prämie für Benziner und Diesel. Besonders schwer aber tragen sie daran, dass sie dieses Nein der SPD zu verdanken haben, "ihrer" SPD, deren Mitglied viele sind. Klar, es gab auch in der Union mehr Gegner als Fürsprecher. Die Lautstärke und Entschiedenheit aber, mit der die SPD-Spitze ihr Nein in die Verhandlungen getragen hat, führt jetzt dazu, dass sie den Ärger der IG Metall exklusiv abbekommt, während der nette Herr Söder von der CSU, der die Prämie gefordert und dann darauf verzichtet hatte, als Lichtgestalt erscheint.

Das Verhältnis von SPD und Gewerkschaften hat schon seit gut 17 Jahren eine kurze Zündschnur. Im März 2003 brachte Gerhard Schröder als Kanzler der rot-grünen Regierung die Agenda 2010 auf den Weg und die Gewerkschaften gegen sich auf. Den größten Hort des Widerstands vermutete Schröder stets im Berliner Büro der mächtigen IG Metall, in dem damals eine gewisse Andrea Nahles arbeitete. Auch mit DGB-Chef Michael Sommer verscherzte Schröder es sich. Nach einem Staatsbesuch in Ghana Anfang 2004, bei dem Sommer zur Delegation gehörte, sagte Schröder vor der Abreise auf dem Flughafen von Accra zum ghanaischen Präsidenten John Kufuor, er möge doch den DGB-Chef dabehalten, der mache ihm zu Hause nur Probleme. "Das war kein Frotzeln", erinnerte sich Sommer später. "Er wollte den anderen zeigen: Den schneiden wir jetzt!"

Sommers Nachfolger Hoffmann verneint den aktuellen Streit mit der SPD keineswegs. Der damalige um die Agenda 2010 aber habe eine ganz andere Qualität gehabt, "da ging es ums Ganze". Heute sehe er "deutlichen Klärungsbedarf, aber keinen anhaltenden Konflikt". An anderer Stelle laufe die Zusammenarbeit ja auch gut, in der Rentenpolitik zum Beispiel.

Erfolgreicher als Schröder buhlte nach 2005 die neue CDU-Kanzlerin Angela Merkel um die Gewerkschaften. Nach dem Wahlsieg von Union und FDP 2009 erklärte der damalige IG-Metall-Chef Berthold Huber sogar: "Ich setze auf die Vernunft von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hat bisher gegenüber Arbeitnehmern einen fairen Kurs gefahren." Kurz danach revanchierte sich Merkel mit der Einladung zu einem festlichen Essen im Kanzleramt, zu Hubers 60. Geburtstag.

Von solchen Bildern verfolgt, versuchten die früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, das Verhältnis ihrer Partei zu den Gewerkschaften zu entkrampfen. Durchaus erfolgreich, wie das neue Sozialstaatskonzept zeigt, das Korrekturen an der Agenda-Politik vorsieht. Doch die Wunden heilen langsam.

Als Walter-Borjans am Montag dieser Woche vor die Presse tritt, übt er sich in Angriff und Verteidigung: Klar würde die SPD im Blick haben, wie sich die Branche entwickelt. Mehr aber nicht. Und dann erwähnt er noch die Versäumnisse der "Autobosse", so viel Feindbild muss sein.

Es ist nicht so, als würde die IG Metall das bedeutend anders sehen. "Einige Hersteller haben in den vergangenen fünf Jahren viel Vertrauen verspielt", sagt Zitzelsberger. Dass es bis heute nicht gelungen sei, die Stimmung zu drehen, hätten sie sich selbst zuzuschreiben. "Die Mitarbeiter aber sind mehr als ein paar Vorstände, die das zu verantworten hatten", ärgert sich der Bezirkschef. Missverstanden fühlt sich die Gewerkschaft auch beim Klimaschutz. Sie sieht sich nicht als Truppe von Verweigerern, auch Fridays for Future unterstütze man, sagt Zitzelsberger, selbst wenn sie nicht in allen inhaltlichen Punkten übereinstimmten. "Wir sind keine Verbrenner-Lobby, die sich nicht um Klimaziele schert. Wir haben die aufziehende Klimakatastrophe sehr wohl im Blick und versuchen, gegenzusteuern. Aber die notwendige CO₂-neutrale Zukunft muss nun mal mit den Produkten von heute finanziert werden." Gleichzeitig macht Zitzelsberger deutlich, dass seine Organisation kein Interesse an einer Verewigung der Debatte hat. "Es ist entschieden, Punkt."

Vielleicht ist die entscheidende Frage gar nicht, ob die SPD die Autoarbeiter schon verloren hat. Sondern ob sie noch glaubt, sie zu brauchen. Er sei der felsenfesten Überzeugung, dass eine SPD sich immer um die Industriebeschäftigten kümmern müsse, sagt Zitzelsberger, selbst seit 30 Jahren SPD-Mitglied. Und er sorgt sich, dass der Autoarbeiter, der Angst um seinen Job hat, die AfD wählt. "Die demonstrieren jetzt schon vor den Werkstoren für den Diesel und verleugnen den Klimawandel." Auch DGB-Chef Hoffmann warnt, dass die AfD "in den klassischen Arbeitermilieus mit plumpen Parolen zu punkten versucht".

Gustav Horn kennt die SPD, und er kennt die Gewerkschaften. Früher leitete er das Wirtschaftsforschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, jetzt sitzt er im Vorstand der SPD und gilt als Vertrauter Walter-Borjans. Die Entscheidung gegen die Kaufprämie trägt er mit, den Konflikt mit der IG-Metall hält er dennoch für brandgefährlich für seine Partei. "Steckt das Land im Herbst 2021 noch in der Krise, dürfte es Schuldzuweisungen geben - auch an die SPD."


Aus: "Zwischen IG Metall und SPD knirscht es" Nico Fried, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin (11. Juni 2020)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/spd-gewerkschaften-kritik-abwrackpraemie-1.4931918
#2126
Quote[...] Parteichefin Saskia Esken hat es stattdessen fertiggebracht, mit Klagen über einen latenten Rassismus der deutschen Sicherheitskräfte eine beeindruckende Phalanx gegen sich aufzubringen: die Bundesjustizministerin und fast alle Innenminister der SPD, die Gewerkschaft der Polizei (GdP), den Beamtenbund sowie den Städte- und Gemeindebund. Esken ist Wiederholungstäterin, sie wurde schon im Januar gemahnt, nachdem sie einen Polizeieinsatz in Leipzig öffentlich in Zweifel gezogen hatte.

...


Aus: "Wie man Erfolge schreddert" Hans Monath (10.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/die-polizeikritik-der-spd-chefin-wie-man-erfolge-schreddert/25905272.html

-

Quote[...] Es ist ein Misstrauensvotum. Als hätten einige in der SPD nur auf einen neuen Anlass gewartet, den nach der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu Parteivorsitzenden mühsam aufrecht erhaltenen Burgfrieden aufzukündigen.

Esken war von Anfang an der besonders kritisch beäugte Teil des Führungsduos. Das Echo auf ihre Rassismusvorwürfe gegen Teile der deutschen Polizei ist gewaltig. Im Hintergrund geht es auch um offene Rechnungen – und die K-Frage.

Erst war es vor allem IG Metall-Chef Jörg Hofmann, der aufbegehrte gegen die Parteiführung, weil die in den Verhandlungen über das Corona-Konjunkturpaket eine Kaufprämie für Verbrenner-Autos blockiert hatte. Das sollte das Profil schärfen: Die neue SPD will dem Klimaschutz eine größere Bedeutung beimessen. Es ist auch der Versuch, gerade städtische Milieus mehr zu binden.

Wenngleich Kritiker dieses Kurses auf das Beispiel der CSU verweisen, die einige Zeit versuchte, der AfD beim Thema Asyl so nachzulaufen, wie die SPD in der Klimafrage den Grünen. Das Argument, am Ende werde meist das Original gewählt, zog nicht. Fast alle sind sich einig, dass eine neue Abwrackprämie alle anderen Elemente des Konjunkturpakets so diskreditiert hätte, wie seinerzeit der niedrige CO2-Preis von 10 Euro je Tonne Kohlendioxid das Klimapaket diskreditierte.

Nach positiven Kommentaren über ihre Verhandlungsrolle beim Konjunkturpaket (Der ,,Spiegel" titelte: ,,Die Schattenkanzlerin") schaltete sich Esken dann in die aus den USA nach Deutschland geschwappte Rassismusdebatte ein.

,,Zigtausende Demonstranten in aller Welt stehen auf, weil der gewaltsame Tod von George Floyd durch einen Polizeieinsatz in den USA kein Einzelfall ist. (...) Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte", sagte sie der Funke-Medien-Gruppe. ,,Deshalb muss eine unabhängige Stelle mit der Bearbeitung solcher Beschwerden betraut werden."

An die Spitze der internen Kritiker der Parteichefin stellte sich bei diesem Thema der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Im Deutschlandfunk kritisierte er, dass Esken einen direkten Zusammenhang zur Situation in den USA herstelle und den Eindruck erwecke, dass Problem sei hierzulande ähnlich groß. ,,Die deutsche Polizei wird völlig anders ausgewählt und ausgebildet." Natürlich gebe es in Deutschland Alltagsrassismus. Es gebe auch Formen von Rassismus in den Reihen der Polizei. ,,Aber es ist kein strukturelles Problem, kein struktureller Rassismus und kein institutioneller, und das ist ein ganz wesentlicher Unterschied," sagte Pistorius.

Es gäbe zudem längst Beschwerdestellen – aber er gibt zu: keine unabhängigen. Schon zu Jahresbeginn hatte Esken im SPD-nahen Teil der Polizei für Empörung gesorgt, als sie nach linken Randalen in Leipzig-Connewitz die Polizeitaktik aus der Ferne kritisierte. Besonders bemerkenswert ist nun eine gemeinsame Mitteilung des Bundesvorsitzenden des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, und Gerd Landsberg, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst würden höchstes Vertrauen genießen, betonen beide. ,,

Sie jetzt mit Rassismusvorwürfen zu konfrontieren, geht an der Lebenswirklichkeit in den Städten und Gemeinden vorbei." Einer Forsa-Umfrage nach den angesehensten Berufen zufolge sind in Deutschland in der Coronakrise die Ärzte auf Platz 1 gestiegen, die Polizei folgt mit 82 Prozent.

Sogar aus der Riege der Bundesminister aus der SPD kommt Kritik an Esken. ,,Die absolute Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten in Deutschland hat mit Rassismus absolut nichts am Hut", sagte Justizministerin Christine Lambrecht der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Und der Chef des größten SPD-Landesverbandes, der nordrhein-westfälische SPD-Chef Sebastian Hartmann betont: "Ich habe großes Vertrauen in die Arbeit unserer Polizei- und Sicherheitsbehörden und weise jede pauschale Verurteilung der Sicherheitsbehörden und die kritisierte Formulierung deutlich zurück". Sowohl in Corona-Zeiten und vielen Einsätzen bis hin zu den bitteren und extrem belastenden Einsätzen in der Kindesmissbrauchs-Bekämpfung in Münster wird Herausragendes geleistet. Dafür sind wir dankbar", betont er - und verweist auf viele empörte Zuschriften.

Der Bundesvorsitzende der AG Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt, pflichtet Esken dagegen bei: ,,Man könnte das auch deutlich stärker formulieren, wenn wir an den NSU denken oder was wir zum Beispiel im Osten sehen." Die Debatte wirke so, ,,als ob man Frau Esken mürbe machen will". Der interne Angriff gehe von Niedersachsen aus. Bozkurt vermutet eine Retourkutsche der SPD-Landesregierung wegen Eskens Veto gegen eine Kaufprämie, die gerade VW geholfen hätte. Zudem habe die SPD schon im NSU-Abschlussbericht selbst eine unabhängige Beschwerdestelle gefordert, meint Bozkurt. ,,Die eigene Politik zu verunglimpfen, ist schizophren."

Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz hat als damaliger Hamburger Bürgermeister nach den gewaltvollen G20-Protesten und dem rabiaten Einsatz die dortige Polizei 2017 in Schutz genommen. Ihm kann die Debatte gar nicht gefallen. ,,Wir müssen am besten noch vor der Sommerpause die K-Frage klären", heißt es im Regierungslager. Walter-Borjans könne sich besser als Esken mit Scholz als Kanzlerkandidaten arrangieren.

Doch die beiden sind Vorsitzende, weil sie einen Anti-Scholz-Wahlkampf machten, dem sie indirekt vorwarfen, den SPD-Bus in die neoliberale Richtung gesteuert zu haben. Im Regierungslager geht man davon aus, dass weder Fraktionschef Rolf Mützenich, noch Generalsekretär Lars Klingbeil oder Arbeitsminister Hubertus Heil sich von Esken und Walter-Borjans gegen Scholz zum Kanzlerkandidaten ausrufen lassen würden.

Esken hat ihre Position gerade nicht gestärkt – auch nicht, um Scholz zu verhindern. Was bleibt, ist das Problem, dass viele Bürger bei der SPD ihre Lebenswirklichkeit nicht richtig abgebildet sehen - und dass die inneren Widersprüche zwischen Parteiführung und der pragmatischeren "Regierungs-SPD" bleiben und vielleicht wie aktuell offen ausbrechen könnten. Esken will sich nach ihrer Polizeikritik nun erstmal vor Ort ein Bild machen: Am Donnerstag besucht sie die Polizeiakademie Hannover - auf Einladung von Pistorius.


Aus: "Weshalb die SPD-Chefin Esken plötzlich alleine dasteht" Georg Ismar (10.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/rassismus-vorwuerfe-gegen-deutsche-polizei-weshalb-die-spd-chefin-esken-ploetzlich-alleine-dasteht/25905732.html

-

QuoteAndre S.
@adotslaw Replying to @ebonyplusirony and @writingKye

Wenn @EskenSaskia
sogar in der SPD, die sich als Bollwerk gegen den Faschismus sieht dafür angegriffen wird, dass sie den Rassismus in der Polizei anspricht, dann zeigt das, was für ein weiter Weg das noch ist.
Es muss sich endlich tatsächlich was ändern.
https://twitter.com/adotslaw/status/1270782138225491968
#2127
Quote[...] BERLIN dpa/epd/taz | SPD-Chefin Saskia Esken bekommt für ihre Äußerung, in den Reihen der Sicherheitskräfte in Deutschland gebe es einen latenten Rassismus, Unterstützung der Türkischen Gemeinde in Deutschland. ,,Sie hat auf ein Problem aufmerksam gemacht, auf das wir seit langem aufmerksam machen", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). ,,Dass wir in der Polizei einen latenten Rassismus haben, das wissen wir seit den NSU-Morden", betonte Sofuoglu. Damals sei ,,vieles vertuscht" worden.

Sofuoglu räumte aber ein, dass die Polizei überwiegend bemüht sei, ihre Aufgaben ,,im Rahmen des Grundgesetzes" zu erfüllen. Auch gebe es Fortschritte. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mittlerweile von Rassismus sprächen, sei ebenso ein Fortschritt wie die Tatsache, ,,dass das Thema überhaupt diskutiert wird". Wer sich rassistisch äußere, sollte auch Sanktionen erfahren, mahnte Sofuoglu. Überdies sollten Betroffene zu Anzeigen ermutigt werden. ,,Das geht aber nur, wenn sie das Gefühl haben, dass dem auch nachgegangen wird", sagte der Gemeinde-Vorsitzende.

Auch Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt in der SPD wies auf die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses hin. Es fehle bis heute an unabhängigen Beschwerdestellen für polizeiliches Fehlverhalten auf Bundes- und Landesebene. ,,Wir unterstützen diese Forderung und wünschen uns, dass gerade SozialdemokratInnen in Verantwortung sich konsequent für eine Realisierung einsetzen."

Hintergrund der Debatte um Eskens Aussage ist der Tod des Schwarzen George Floyd in den USA bei einem brutalen Polizeieinsatz Ende Mai. Am vergangenen Wochenende hatte dies auch in zahlreichen deutschen Städten Proteste ausgelöst. Esken hatte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montag) gesagt: ,,Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, die durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen."

Die Aussage der SPD-Chefin war daraufhin von einigen Seiten kritisiert worden. Bei Horst Seehofer stieß der Vorwurf auf ,,abolutes Unverständnis", auch die SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen wies die ,,Generalkritik an unserer Polizei sowie aufkeimende Unterstellungen, dass die Grundhaltung der Beamtinnen und Beamten von latentem Rassismus durchzogen sei (...) mit voller Überzeugung zurück."

Unterdessen bekamen die Grünen-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck für ihre Forderung, den Begriff ,,Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen, Rückendeckung aus der SPD. Die stellvertretende Parteichefin Serpil Midyatli sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: ,,Der veraltete Begriff ,,Rasse" hat im Grundgesetz nichts zu suchen, er muss aus Artikel 3 gestrichen werden. Es gibt keine Rassen, diese Klarheit wünsche ich mir auch in unserer deutschen Verfassung", sagte sie. Midyatli sprach sich zudem dafür aus, den Kampf gegen Rassismus im Grundgesetz als Staatsziel zu verankern.


Aus: "Debatte über Rassismus in Polizei: ,,Wissen wir seit den NSU-Morden"" (10. 6. 2020)
Quelle: https://taz.de/Debatte-ueber-Rassismus-in-Polizei/!5692129/

QuoteRolf B.

... spätestens, allerspätestens seit den NSU Morden kann die Aussage von Frau Esken doch nicht ernsthaft bestritten werden.


...
#2128
Quote[...] ANARCHISTS!", schimpfte Donald Trump auf Twitter, kaum waren die Proteste gegen den Mord an George Floyd ausgebrochen. Es ist verwunderlich, dass der Präsident so genau über die politischen Überzeugungen der überwiegend Mund-und-Nasen-Schutz tragenden Demonstranten Bescheid wusste (was für eine Ironie, dass quasi über Nacht das Vermummungsverbot in ein Maskierungsgebot umgewandelt wurde). Es verwundert aber nicht, dass er just diesen Begriff verwendete. Seit je wird der Anarchismus, angeblich ein weltfremder Unsinn, auf diese und ähnliche Weise diffamiert, um sich nicht ernsthaft mit einer wichtigen politischen Weltanschauung beschäftigen zu müssen. In mediengängigen Formulierungen wie etwa: ,,In Somalia herrscht Anarchie."

Genauer besehen ergeben solche Zuschreibungen wenig Sinn. Anarchie bedeutet im Griechischen ,,ohne Herrschaft", doch die derart bezeichneten Verhältnisse leiden meist nicht an zu wenig, sondern an zu viel Herrschaft. In Somalia etwa an der Allmacht der Warlords und der fanatischen Al-Shabaab-Sekte. Wenn also von ,,Anarchisten" gesprochen wird, die auf nächtlichen Straßen ,,wüten", ist vielmehr beabsichtigt, diese Menschen als gesetzlose Vandalen abzutun. Als Barbaren also. Als Feinde der Zivilisation, die bekämpft oder gar vernichtet werden müssen. Jene, die um ihre Rechte kämpfen, werden nach althergebrachten Mustern entrechtet, was ihren Protest erst recht rechtfertigt.

Präsident Trump dürfte sich mit Anarchismus genau so wenig beschäftigt haben wie mit Sozialismus oder Liberalismus. Hätte er auch nur einige Seiten von, sagen wir, Michail Bakunin oder Emma Goldman, Erich Mühsam oder Murray Bookchin gelesen, wäre er erstaunt, dass Anarchismus nicht die Plünderung eines Foot-Locker-Ladens (schicke Sneakers!) bedeutet, sondern das Streben nach größtmöglichem Gemeinwohl bei größtmöglicher individueller Freiheit. Also das Gegenteil von neoliberaler Ausbeutung und polizeilicher Willkür.

Gewiss, es gibt auch im Anarchismus viele Strömungen, aber eines haben sie doch gemein: Solidarität als gesellschaftliches Grundprinzip, nicht Konkurrenz und Rivalität. Anders formuliert: Denkt man die Losungen der Französischen Revolution sowie die Allgemeinen Menschenrechte logisch zu Ende, landet man beim Anarchismus, nicht bei Donald Trump oder einer Polizei, die BürgerInnen umbringt. Letzteres verstößt natürlich gegen das Recht, nicht nur das national kodifizierte, sondern das universell humane. Die Rechtlosen sind somit nicht die als gesetzlos beschimpften Protestierenden, sondern jene, die andere Menschen misshandeln, foltern oder gar töten.

Wäre dies ein Einzelfall, könnte man die jetzige Rebellion als übertriebene Reaktion erachten. Aber es handelt sich nicht um eine Ausnahme, sondern um eine weitere unter vielen individuellen Tragödien. Im Jahr 2016 wurden in den USA 1.093 Menschen von der Polizei getötet (vergangenes Jahr 1.042). Der Guardian machte sich vor einigen Jahren die Mühe, diese Fälle zu dokumentieren (zu finden unter ,,The Counted"), und die Lektüre der kurzen Nachrufe ist herzzerreißend. Die Opfer sind psychisch kranke Nackte, traumatisierte Veteranen, gläubige Rentner, deren Kruzifix als Waffe angesehen wurde, wegen einer Bagatelle Verhaftete, die getasert wurden und keine medizinische Betreuung erhielten, fälschlich Beschuldigte.

AnarchistInnen sind der festen Überzeugung, dass es bessere Formen des sozialen Miteinanders gibt als das Aufmarschieren paramilitärisch ausgerüsteter Sicherheitskräfte, die zuschlagen oder schießen, bevor sie Fragen stellen. Insofern hat Präsident Donald Trump doch recht, wenn er von ,,Anarchisten" spricht: Die vielen Menschen auf den Straßen, inzwischen nicht nur in den USA, verlangen eine bessere Welt, und wie ernst es ihnen damit ist, beweist die Tatsache, dass sie sich in Zeiten der Pandemie einer doppelten Gefahr aussetzen.

Machtlegitimierung basiert oft auf absurden Rechtfertigungen, weswegen ein US-Senator wie Tom Cotton mit dem Spruch ,,Null Toleranz gegenüber Gewalt" ein hartes Vorgehen von Polizei und sogar Armee fordern kann, obwohl sich die Proteste gerade gegen die systematische Tolerierung staatlicher Gewalt richten. Ob es sich nun hierbei um zweierlei Maß oder hochamtliche Heuchelei handelt, der anarchistisch geschulte Blick gehört zu den schärfsten Instrumenten, solche verlogene Rhetorik der Macht zu entlarven.

Nicht zum ersten Mal löst ein gewalttätiges Eingreifen der Polizei Gegengewalt aus, die wiederum ein gewalttätiges Eingreifen der Polizei hervorruft. Ein Teufelskreislauf. Die Opfer sind dieses Mal übrigens auch viele JournalistInnen, die teilweise absichtlich mit Pfefferspray besprüht oder mit Gummikugeln beschossen wurden. Kein Wunder, gelten sie doch neuerdings wieder als ,,Volksfeinde".

Die Feministin und Aktivistin Tamika Mallory zerfetzte letzte Woche in einer wütenden, im Internet weit verbreiteten Rede einen eklatanten Widerspruch: Verfechter einer Wirtschaftsweise, die massenhaft Menschen sowie den Planeten ausplündert, empören sich geradezu hysterisch, wenn die Entrechteten in ihrem seit Jahren und Jahrhunderten aufgeladenen Zorn einige Geschäfte plündern. Im Original: ,,Looting is what you do. We learned it from you." Sie steht damit in der kritischen Tradition, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Verbrechen des herrschenden Status quo mit verschlossenen Augen, die Übertretungen des Widerstands hingegen mit der Lupe betrachtet werden.

Wenn also jemand wie Donald Trump Protestierende als Anarchisten beschimpft, sollten all jene, die sich eine gerechtere Welt wünschen, lautstark erwidern: Ja, wir sind Anarchisten. Und das ist gut so.


Aus: "Proteste gegen Polizeigewalt: Achtung, Anarchisten!" Aus einer Kolumne von Ilija Trojanow (10. 6. 2020)
Quelle: https://taz.de/Proteste-gegen-Polizeigewalt/!5688158/

QuoteGenerator

Tja. Willkommen im Land der Namensgebung in der Nicht-Wissenschafts-Welt. Und das läuft so: Irgendetwas bekommt einen Namen und wenn der von vielen Leuten benutzt wird dann ist das eben so. Da interessiert sich niemand dafür was die so Beannten oder irgendwelche Minderheitsgruppen dazu sagen.

Wenn die Leute morgen anfangen mit "Anarchist" ein Kleidunsstück zu meinen, dann ist das eben so.

In Punkte Anarchisten heißt das konkret: Anarchisten sind entweder Leute mit Schlapphüten die kugelförmige Bomben auf Adelige werfen oder die Leute die im Schwarzen Block stehen.
Die paar Verdrehten die sich mit der politischen Theorie einer utopischen (und btw. unrealistischen) Gesellschaftsform beschäftigen werden das wohl aushalten müssen.

Trump hat das Wort richtig verwendet. Nämlich so wie 90% der Bevölkerung auch.


QuoteClobert


... Endlich mal ein Artikel dessen Kernaussagen ich aus vollem Herzen zustimmen kann.Durch die stattfindende Konditionierung denkt der Durchschnittsbürger sofort an plündern,vergewaltigen und brandschatzen,sobald der Begriff "Anarchie" ins Spiel kommt.Warum wohl ist Anarchismus niemals Thema im Politikunterricht an unseren Schulen?


...
#2129
Quote[...] Sven Olof Joachim Palme (* 30. Januar 1927 in Stockholm; † 28. Februar 1986 ebenda) war ein sozialdemokratischer schwedischer Politiker und zweimaliger Ministerpräsident Schwedens (1969–1976 und 1982–1986). Er galt international als Stimme für Abrüstung und Verständigung und setzte sich für die Belange der Dritten Welt ein. Palme wurde am 28. Februar 1986 nach einem Kinobesuch auf offener Straße im Zentrum Stockholms mit einer Schusswaffe ermordet.

... Noch bevor die eigentlichen Ermittlungen in Gang kamen, wurden bereits am Mordabend handwerkliche Fehler von der Polizei begangen. Der Tatort wurde nur sehr engräumig abgesperrt und daher konnten sich Passanten ungehindert am Mordplatz frei bewegen und können somit wichtige Spuren vernichtet haben. Die Verletzungen an Palmes Frau Lisbet wurden nie untersucht, was einem Untersuchungsbericht zufolge ein Fehler war, da hier wichtige Anhaltspunkte für den Tathergang in seiner Gesamtheit hätten gefunden werden können.[11] Auf Nachlässigkeiten deutet auch hin, dass die beiden Projektile nicht von der Polizei, sondern von Passanten gefunden wurden.[12]

... Ende 2018 erschien das Buch Stieg Larssons Erbe des Journalisten Jan Stocklassa, der darin die Recherchen des 2004 gestorbenen Stieg Larsson zum Mord an Palme auswertete und weiterführte. Demnach gibt es Indizien für eine Zusammenarbeit zwischen dem südafrikanischen Geheimdienst und schwedischen Rechtsextremisten beim Attentat.[50]

Eine andere Theorie verdächtigte die linksextremistische deutsche terroristische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF). Angebliche RAF-Mitglieder bekannten sich zu der Tat; sie sei aus Rache für das schwedische Verhalten bei der Geiselnahme von Stockholm (24. April 1975) verübt worden. Die Polizei hielt diese Aussagen für nicht glaubhaft.

...


Quelle:     
    Seitentitel: Olof Palme
    Herausgeber: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
    Autor(en): Wikipedia-Autoren, siehe Versionsgeschichte
    Datum der letzten Bearbeitung: 10. Juni 2020, 12:32 UTC
    Versions-ID der Seite: 200824786
    Permanentlink: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Olof_Palme&oldid=200824786
    Datum des Abrufs: 10. Juni 2020, 12:57 UTC
-

Quote[...] Mehr als 34 Jahre nach dem Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme haben die Ermittler nach eigenen Angaben den mutmaßlichen Täter ausgemacht. Weil der Mann mit dem Namen Stig Engström bereits vor Jahren gestorben sei, könne keine Anklage mehr gegen ihn erhoben werden, gab der mit den Ermittlungen betraute Staatsanwalt Krister Petersson am Mittwoch bekannt. Die Palme-Ermittlungen werden deshalb eingestellt.

,,Ich bin der Ansicht, dass wir so weit gekommen sind, wie man es von der Untersuchung verlangen kann", sagte Petersson. Weil Engström tot sei, seien eine Anklage oder ein Verhör des Mannes unmöglich. Der Fall gilt als Schwedens größter Kriminalfall des vergangenen Jahrhunderts. Auch international war das Interesse enorm.

Der Sohn Palmes zeigte Verständnis für die Einstellung der Ermittlungen. Zugleich stellte sich Mårten Palme im schwedischen Radio hinter die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft. ,,Ich glaube auch, dass Engström der Schuldige ist. Aber leider gibt es keinen richtig abschließenden Beweis, damit man mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann, dass er es gewesen ist", sagte Palme.

Olof Palme war am Abend des 28. Februars 1986 um kurz vor Mitternacht gemeinsam mit seiner Frau auf dem Rückweg aus einem Stockholmer Kino gewesen, als ihn ein Mann auf offener Straße von hinten erschossen hatte.

Der Sozialdemokrat war zu diesem Zeitpunkt seit knapp dreieinhalb Jahren wieder Ministerpräsident gewesen, nachdem er dieses Amt bereits von 1969 bis 1976 innegehabt hatte. Palmes Frau Lisbet erlitt einen Streifschuss. Sie überlebte die Tat leicht verletzt.

Die Ermittlungen in dem Mordfall waren zunächst nur schleppend in Gang gekommen. Die immer wieder wechselnden Ermittler hatten im Laufe der Jahre unzählige Spuren und Hinweise verfolgt, die zu einzelnen Tatverdächtigen geführt hatten, unter anderem aber auch zur kurdischen PKK und zum südafrikanischen Geheimdienst.

Engström geriet nach einem größeren Personalwechsel 2016/17 ins Visier der Ermittlungen, wie Fahndungsleiter Hans Melander sagte. Die Ermittler seien das Material zum Tatort und den dort befindlichen Personen neu durchgegangen. ,,Es gab dabei eine Person, die nicht ins übrige Bild hineinpasste. Seine Angaben konnte man nicht mit denjenigen anderer Zeugen verbinden." Der Spur Engströms sei man immer weiter gefolgt, obwohl der Mann bereits 2000 im Alter von 66 Jahren starb.

In Medienberichten wurde Engström - benannt nach seinem Arbeitgeber, einem schwedischen Versicherungsunternehmen - oft als ,,Skandia-Mann" bezeichnet. Er hatte sich nach dem Mord in einem TV-Interview als Zeuge präsentiert. Er soll durch einen Bekannten Zugang zu Schusswaffen gehabt und zudem Palmes Politik gehasst haben.

Petersson sagte, Engströms Kleidung stimme mit der überein, die der Täter nach Aussagen mehrerer Zeugen getragen hatte. Er habe Geld- und Alkoholprobleme gehabt. Am Mordabend habe er sich noch spät an seinem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe zum Tatort befunden. Um 23.19 Uhr habe er sich ausgestempelt - um etwa 23.21 Uhr und 30 Sekunden sei dann auf Palme geschossen worden. Die Mordwaffe wurde bis heute nicht gefunden.

Der Palme-Mord gilt als einer der größten Kriminalfälle Europas, die Mordermittlungen zählen zu den umfassendsten und teuersten der Welt. Für Schweden stellen die Tat und die lange mangelnde Aussicht auf wesentliche Antworten in dem Fall ein nationales Trauma dar.

Die Polizei befragte Tausende Menschen. Mehr als 130 Personen gestanden das Verbrechen. Dass es der schwedischen Polizei all die Jahre nicht gelang, den Täter zu finden, löste erhebliche Kritik an ihr aus. Die Akten zu dem Fall nehmen 250 Regalmeter ein. (dpa, Reuters, AFP)


Aus: "Mutmaßlicher Täter ist schon tot: Ermittlungen im Mordfall Olof Palme werden eingestellt" (10.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/mutmasslicher-taeter-ist-schon-tot-ermittlungen-im-mordfall-olof-palme-werden-eingestellt/25903616.html

Quoteprovinzler 10:58 Uhr

Na das waren ja zügige Ermittlungen.


Quotecoroner 12:04 Uhr

Der vermutete Täter ist seit vielen Jahren tot.
Ermittlungen werden eingestellt.

Das läßt nur zwei Schlüsse zu:
Entweder die schwedischen Ermittlungsbehörden wollen gar nicht wissen, wer ihren Staatschef umgebracht hat, oder sie sind vollkommen unfähig.
Wenn sie noch nicht mal den Mord an der wichtigsten Person ihres Landes aufklären können, dann kann man solche Ermittlungsbehörden auch gleich abschaffen.


Quoteprovinzler 12:15 Uhr
Antwort auf den Beitrag von coroner 12:04 Uhr

    sie sind vollkommen unfähig

Das kann man ja vielleicht noch ein bisschen unter den Teppich kehren, wenn die Ermittlungen jetzt eingestellt werden.


Quotecarolina 11:32 Uhr

Was ist mit "Skandia-Mann" gemeint?
Und welche Motive und Überzeugungen soll der Mann gehabt haben?
Ohne diese Infos ist dieser Artikel eigentlich keine journalistische Nachricht


QuoteWeberkarde 10:44 Uhr

Genau, der berühmte Einzeltäter!


QuotePat7 10:08 Uhr

Wie praktisch dass die Verdächtigen tot sind.


-

Quote[...] TÄLLÄNG taz | Schwedens Anklagebehörde hält die Ermordung des damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme nach 34 Jahren für aufgeklärt. Der Mann, der am 28. Februar 1986 um 23.21 Uhr in Stockholms Innenstadt zwei Schüsse abgefeuert habe, sei Stig Engström gewesen.

Der damals 52-jährige Versicherungsangestellte habe mit dem ersten Schuss den 59-jährigen Palme getötet, der nach einem Kinobesuch zusammen mit Ehefrau Lisbeth zu Fuß auf dem Nachhauseweg war. Durch einen zweiten Schuss war Lisbeth Palme leicht an der Schulter verletzt worden.

Oberstaatsanwalt Krister Petersson, Leiter der Palme-Sonderkommission, teilte auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Stockholm neben diesem Ergebnis auch mit, dass die Ermittlungen im Mordfall Palme damit eingestellt würden. Gegen den nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Schuldigen könne es keinen Prozess mehr geben – er verstarb vor 20 Jahren mit 66 Jahren, laut Totenschein an einer Kombination von großen Mengen Whisky und einer Überdosis Schmerztabletten.

Engström hatte sich 1986 am Tag nach der Tat selbst bei der Polizei gemeldet: Nach Überstunden habe er um 23.19 Uhr sein Büro verlassen, das nur 50 Meter vom Tatort entfernt liegt. Die Schüsse habe er auf dem Weg zur U-Bahn gehört, sei dann schnell zum Tatort geeilt, habe Erste Hilfe geleistet und sogar einige Worte mit Lisbeth Palme gewechselt.

Engström sorgte dafür, dass diese Geschichte in mehreren Medien veröffentlicht wurde. Nur hatte ihn keiner der anderen Tatortzeugen dort jemals gesehen. Bei Polizeiverhören und in Medieninterviews machte er immer wieder widersprüchliche Aussagen, zeitweise wurde in der damaligen Sonderkommission diskutiert, ob er womöglich der Täter sein könnte.

Doch er wurde als bloßer ,,Wichtigtuer" ad acta gelegt. Er sei nicht der ,,passende" Tätertyp, habe kein ersichtliches Motiv, und es blieb unklar, wie er an eine Waffe gekommen sein soll.

In mehreren Interviews kritisierte Engström die Ermittlungen der Polizei als ineffektiv. Man würde seine Aussagen nicht ernst genug nehmen. In einem letzten Interview äußerte er 1992 die Vermutung, der Mörder Palmes sei sicher ein mit der Politik des Ministerpräsidenten unzufriedener Einzeltäter gewesen. Dem sei Palme vielleicht zufällig über den Weg gelaufen, so Engström, der Täter habe vielleicht zufällig eine Waffe dabeigehabt und dann: ,,Du Scheißkerl – Peng! Das ist ja leider menschlich oder wenn man so will unmenschlich."

Dass diese Rolle Engström selbst eingenommen hat, glaubt nun die Palme-Kommission. Warum man Engström nie wirklich als möglichen Täter in Betracht gezogen habe, sei unverständlich, sagte Oberstaatsanwalt Petersson.

Zwar sei durch zwischenzeitliche Digitalisierung das umfangreiche Ermittlungsmaterial nun leichter zugänglich als Ende der 1980er Jahre. Aber seiner Meinung nach habe es damals einen nicht nachvollziehbaren Umgang mit Zeugenaussagen gegeben: Oft seien diese nicht analysiert, sondern offenbar einfach abgeheftet worden.

,,Gar keine Lösung ist das", kritisierte der Kriminologie-Professor Leif GW Persson die Ermittlungsergebnisse. Weder die Frage nach der Waffe, nach dem Tatmotiv, noch ob Engström als Einzeltäter oder Teil eines Komplotts gehandelt habe, sei beantwortet, kritisierten erste Analysen. Und wenn Ermittler die Frage, woher Engström einen Revolver haben sollte, damit beantworteten, er müsse ja einen gehabt haben, sonst wäre Palme nicht erschossen worden, sei kaum eine schwächere Argumentation denkbar.

Offenbar habe man die Ausschlussmethode benutzt, vermutet Rechtsanwalt Peter Althin: ,,Alle anderen, die in Tatortnähe waren, können es nicht gewesen sein, also war Engström es." Sein Kollege Leif Silbersky: ,,Man kann doch nicht einen Verstorbenen als Täter präsentieren, wenn man nicht den geringsten Beweis hat." Man hätte die Ermittlungen besser mit dem Fazit ,,Täter unbekannt" einstellen sollen, glaubte aber offenbar, irgendein Resultat auf den Tisch legen zu müssen, meint Rechtsanwältin Hanna Lindblom.

Ein solcher Abschluss der Ermittlungen sei so unbefriedigend wie deren gesamter Verlauf, kommentiert Dagens Nyheter: ,,Statt Klarheit in der Schuldfrage haben wir das Monument über ein polizeiliches Fiasko bekommen." Es sei eine Auflösung, die gar nichts löse und nur die ,,Inkompetenz der schwedischen Polizei bekräftige". Sie verstehe die Kritik, sagte Lina Nitz, Vorsitzende der Polizeigewerkschaft: ,,Ich habe auch mehr erwartet." Andere Kommentare wiesen darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft nichts weiter getan habe, als die Erkenntnisse aus zwei Büchern zu kopieren. 2016 hatten der Verfasser Lars Larsson und 2018 der Journalist Thomas Petersson ausführliche Recherchen präsentiert, die auf eine Täterschaft Engströms hindeuteten.

Zumindest Palme-Sohn Mårten Palme überzeugt das Ergebnis: ,,Ich glaube, er war es. Schade, dass es keinen 100-prozentigen Beweis gibt." Palme-Amtsnachfolger und Ex-Ministerpräsident Ingvar Carlsson äußerte: ,,Das scheint mir glaubwürdig. Weiter kann man mittlerweile wohl auch gar nicht mehr kommen. Aber weil es keine handfesten Beweise gibt, ist das natürlich kein Schlussstrich. Theorien wird es weiter geben." Und Ministerpräsident Stefan Löfven meint, die Tür für weitere Ermittlungen sei ja nicht völlig geschlossen worden: ,,Wie ich es verstehe, kann man die ja wieder öffnen, wenn es neue Erkenntnisse gibt."


Aus: "Ermordung von Olof Palme vor 34 Jahren: Zeuge oder Täter?" Reinhard Wolff - Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum (10. 6. 2020)
Quelle: https://taz.de/Ermordung-von-Olof-Palme-vor-34-Jahren/!5692116/

#2130
Quote[...] Der Bonner Virologe Hendrick Streeck bezweifelt, dass der Lockdown im März wirklich nötig war. Nach den ersten Einschränkungen wie den Absagen von Großveranstaltungen habe das Infektionsgeschehen bereits abgenommen, sagte er der ,,Neuen Osnabrücker Zeitung".

,,Die weiteren Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen hätte ich dann vom tatsächlichen Verlauf abhängig gemacht" - auch um zu sehen, wie die einzelnen Beschränkungen wirken und ob zusätzliche Schritte wirklich nötig seien.

,,Dafür sind wir aber zu schnell in den Lockdown gegangen, weil die Sorge überwog, dass die Intensivbetten womöglich nicht reichen und auch ein gewisser Druck in der Öffentlichkeit bestand", so Streeck.

Auch den Nutzen der von der Bundesregierung angekündigten Corona-App zieht er in Zweifel. Sie käme ,,ein bisschen spät", sagte er, ,,zumal man nicht weiß, ob sie überhaupt etwas dazu beitragen kann, in Deutschland eine Pandemie zu kontrollieren".

Den Nutzen der zahlreichen Corona-Tests stellte der Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn angesichts der hohen Kosten ebenfalls infrage. ,,Je nach Labor kommen im besten Fall 59 Euro pro Test auf das Gesundheitssystem zu - bei 400.000 Stück pro Woche bedeutet es eine Stange Geld. Wenn dann noch systematisch gescreened werden soll, wird es noch mehr. Wenn wir nur 1 positives Ergebnis auf 100 Tests sehen, fragt sich ja, ob das noch lohnt."

Streeck regte zudem eine Diskussion über die Maskenpflicht an. ,,Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdigerweise keine Rolle mehr zu spielen scheinen.

Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze."

Mit Blick auf Schulen und Kitas erklärte der Professor, ,,Kinder sind nicht die großen Virenschleudern". Virologisch sei zur Frage der Öffnung alles gesagt. ,,Die Entscheidung muss nun politisch getroffen werden. Lehrer jedenfalls haben kein höheres Infektionsrisiko als andere Berufsgruppen, die in vergleichbarer Weise mit Menschen arbeiten." (mit KNA)


Aus: "Virologe Streeck sieht Lockdown, Tracing-App und Masken kritisch" (10.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/coronavirus-pandemie-virologe-streeck-sieht-lockdown-tracing-app-und-masken-kritisch/25903816.html

-

Quote[...] Hendrik Streeck von der Uniklinik Bonn erforschte in der Heinsberg-Studie die Ausbreitung des Coronavirus. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert der Virologe seine Einschätzung zur Pandemie.

Philipp Jacobs: Herr Streeck, die Uniklinik Bonn, an der Sie arbeiten, plant eine weitere Corona-Studie im Kreis Heinsberg. Worum soll es da gehen?

STREECK: Der Plan ist es, zu verstehen, ob bereits genesene Corona-Patienten sich wieder infizieren beziehungsweise wie lange eine Immunität nach überstandener Erkrankung andauert. Aber es gibt noch keine Entscheidung zur Förderung für die Studie. Deshalb ist es bislang auch wirklich nur eine Überlegung.

Philipp Jacobs: Wie lässt sich eine Immunität wissenschaftlich korrekt nachweisen?

STREECK: Eine grundsätzliche Immun­antwort können wir im Reagenzglas mit einem Bluttest nachweisen. Die Frage ist aber, ob diese Immunantwort des Körpers auch mittel- oder langfristig gegen das Virus schützt. Und das können wir ja nur überprüfen, wenn eine genesene Person wieder in Kontakt mit dem Virus gekommen ist und keine Infektion stattgefunden hat.

Philipp Jacobs: An Ihrer ersten Studie in Heinsberg gab es Kritik, vor allem wegen der Präsentation der Zwische­­n­ergebnisse und der Beteiligung der Berliner Kommunikationsagentur Storymachine. Fühlten Sie sich damals ungerecht behandelt?

STREECK Ja. Ich habe damals nicht gemerkt, in was für eine politische Gemengelage ich da gerutscht war. Welche Landesregierung derzeit an der Macht ist, ist für mich als Forscher erstmal unerheblich. Die Freiheit der Wissenschaft findet sich im gleichen Paragrafen des Grundgesetzes wie die Pressefreiheit. Forscher sind unabhängig, gleichwohl brauchen sie Geld für ihre Forschung. Wir sind damals mit über 40 Studenten nach Gangelt gefahren und haben infizierten Menschen Blut abgenommen. Keiner der Studenten hat sich infiziert. Wir sind da hochprofessionell rangegangen. Um so eine Professionalität zu gewährleisten, braucht es einfach Geld. Deshalb waren wir froh, dass die Landesregierung einen Teil der Kosten übernommen hat. Ob die Landesregierung damit ein Wunschergebnis verbunden hat, ist für uns eine Nebensache. Solche Forschung verläuft immer ergebnisoffen. Und wenn ein Ministerpräsident da bestimmte Hoffnungen hineininterpretiert, kann er das gerne machen, aber die Resultate sind vollkommen ergebnisoffen. Ich finde es schade, dass es jetzt immer heißt: die umstrittene Heinsberg-Studie. Daran ist überhaupt nichts strittig. Diejenigen, die das behaupten, kennen entweder die Studiendaten nicht, oder sie bewerten die Studie nur anhand der Art, wie sie präsentiert wurde.

Philipp Jacobs: Und das Thema Storymachine?

STREECK: Der Druck, der auf dieser Studie und damit auf mir lastete, war schon enorm. Das Interesse der Öffentlichkeit war immens. Jede Fernsehstation hat bei mir angefragt, ob man die Studie begleiten könne. Ich hatte mein E-Mail-Postfach sowie meinen Twitter- und Facebook-Kanal nicht mehr unter Kontrolle. In dieser Zeit hat mir ein Freund mit seiner PR-Agentur Storymachine Hilfe angeboten. Die habe ich angenommen. Ich finde daran nichts Verwerfliches. Wenn man gestresst nach Hause kommt und der Partner fragt einen, ob er für einen kochen soll, sagt man doch auch dankend: ja.

Philipp Jacobs: Bei den Hygiene-Demos wird immer wieder die Meinung vertreten, das Coronavirus sei im Vergleich zum Influenzavirus harmlos. Was denken Sie darüber?

STREECK: Wir leben in einem demokratischen Staat, jeder kann seine Meinung äußern. Was diese Menschen aber nicht sehen, ist, dass sich das Virus nicht wegdemonstrieren lässt. Wir werden weiterhin damit leben müssen. Die Einschätzung, dass das Coronavirus harmloser sein soll, teile ich nicht. Es ist ein ernstzunehmendes Virus, das wir nicht bagatellisieren dürfen. Aber es ist genauso wichtig, nicht überzudramatisieren. Diese Gratwanderung ist entscheidend und nicht für jeden Menschen eindeutig. Bei dieser Pandemie haben wir es vor allem mit Angst zu tun. Die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Das ist evolutionär betrachtet eine sinnvolle Eigenschaft, sorgt aber derzeit dafür, dass die Situation hitzig wird. Man wird dadurch leicht manipulierbar. Die Angst tritt dann nicht nur aufgrund des Virus auf, sondern auch aufgrund des drohenden Verlusts der Existenz. Darin steckt ein unglaubliches Potenzial der Vereinnahmung.

Philipp Jacobs: Haben auch Sie Angst?

STREECK: Ich habe grundsätzlich Respekt vor dem Virus. Ich bin nicht entspannt. Ich habe die harmlosen wie die grausamen Seiten des Virus gesehen. Angst hatte ich, als enge Familienangehörige infiziert waren. Ich habe damals jeden Tag ein- bis zweimal angerufen und gefragt, wie es ihnen geht. Ich habe mir große Sorgen gemacht, weil beide auch deutliche Vorerkrankungen haben. Ich weiß von dem Virus, dass es am Anfang sehr harmlos sein kann, im späteren Verlauf dann aber plötzlich sehr gefährlich wird. Zum Glück ist es bei einem vorübergehenden Geruchs- und Geschmacksverlust sowie einem Kratzen im Hals geblieben.

Philipp Jacobs: Gab es politische Entscheidungen, über die Sie sich geärgert haben?

STREECK: Ich bin immer noch der Meinung, dass wir zu schnell zu viele Eindämmungsmaßnahmen getroffen haben. Man muss dem Virus Zeit lassen. Ob Maßnahmen wirken, sehen wir erst zehn bis 14 Tage später. Diese Zeit hätten wir uns bei so manchen Verschärfungen nehmen sollen. Man konnte damals nicht mehr nachvollziehen, welche Maßnahme eigentlich am besten gegriffen hat. Virologisch gesehen hätte ich mir gewünscht, dass man mehr abgewartet hätte. Ich muss aber auch sagen, dass ich es verstehen kann, dass man sich so entschieden hat. Die Gefahr einer Infektionswelle, die das Gesundheitssystem womöglich überlastet hätte, war real. Wir dürfen sowieso nicht ausschließlich die virologische Sicht zurate ziehen. Wenn wir nur auf die Virologen hören würden, dürften wir keine Partys mehr feiern, keinen Sex mehr haben und uns nicht mehr küssen, weil dabei ja eine erhöhte Chance diverser Virusübertragungen besteht. Das würde das Leben ganz schön trist machen. Bis zu einem gewissen Grad ist die virologische Sicht interessant.

Philipp Jacobs: Warum sind Sie Virologe geworden?

STREECK: Ich bin da mehr reingerutscht, ehrlich gesagt. Mich hat das Thema schon immer irgendwie fasziniert. Ich habe damals, 1995, den Film ,,Outbreak" gesehen und fand das alles total spannend. Ich hatte auch immer ein Interesse an der Mikrobenwelt. Aber ich habe keine geradlinige Biografie, die mich direkt in die Virologie gebracht hat. Ich wollte erst Komponist werden, habe Musikwissenschaften und VWL studiert und bin dann über Umwege bei der Medizin gelandet. Nach dem Grundstudium habe ich den Facharzt für Virologie gemacht. Die Wenigsten wissen übrigens, dass die Virologie zusammen mit der Mikrobiologie ein eigener Facharzt ist. Von uns gibt es nicht so viele. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum wir so im Fokus stehen.

Philipp Jacobs: Würden Sie eine Prognose wagen, wie diese Pandemie enden wird?

STREECK: Ich glaube nicht, dass sie so gesehen enden wird. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen. Ob wir einen Impfstoff haben werden, weiß man nicht. Das kann sehr schnell gehen, das kann aber auch sehr lange dauern. Bisher haben wir gegen kein Coronavirus einen Impfstoff gefunden. Es wird wohl so sein, dass wir in der Gesellschaft eine Teil­immunität entwickeln, wodurch das Virus endemisch wird. Es wird also immer mal wieder auftauchen, aber keine starken Infektionswellen hervorrufen. Das Virus wird jedoch nicht ausrottbar sein.

Philipp Jacobs: Sie glauben also nicht so recht an einen Impfstoff?

STREECK: Doch. Ich denke schon, dass wir einen haben werden. Die Frage wird aber sein: Wie gut wirkt er? Es wäre ungünstig, wenn der Impfstoff nur eine Effektivität von 50 bis 60 Prozent hat. Ich bin da aus der HIV-Forschung ein gebranntes Kind. Es gab bisher zahlreiche Impfstoffkandidaten. Keiner hat funktioniert.

Philipp Jacobs: Hätte uns ein längerer und vielleicht auch härterer Lockdown schneller durch diese Krise gebracht?

STREECK Nein. Die Eindämmung hätte früh in China erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Alles andere führt nur zu einer Verschiebung der Pandemie. Selbst wenn wir das Virus in Deutschland komplett ausgerottet hätten, hätte ein Reisender den Erreger direkt wieder eingeschleppt.

Philipp Jacobs: Das heißt, eine strikte Isolation zur Verhinderung der Pandemie bringt nur am Ausbruchsort etwas?

STREECK: Genau.

Philipp Jacobs: Wie haben Sie die Krise bisher erlebt?

STREECK: Das war schon ein abenteuerlicher Ritt. Ich war in dieser Zeit auch nicht frei von Fehlern. Aber mir ist es immer darum gegangen zu helfen. Mir wurde von vielen Seiten zu viel gewarnt, zu viele Ängste wurden geschürt. Es ist immer leicht zu warnen, aber schwierig, eine realistische Einschätzung zu geben. Das ist wie beim Wetterdienst. Ich bin meiner Einschätzung von Anfang an treu geblieben. In der Hochzeit wurde ich dafür kritisiert, dass ich eine viel schlimmere Welle riskieren würde. Es wurde auch über Ostern eine Todeswelle vorhergesagt. All das ist nicht eingetreten. Mittlerweile schwenken auch die anderen ein. Zwischenzeitlich fühlte ich mich entrückt von meiner Wahrnehmung der Pandemie und der Wahrnehmung der anderen und habe mich gefragt, ob ich mich nicht zurückziehen soll. Ich habe dann aber gemerkt, dass ich das gar nicht kann. Allein schon aufgrund meines Berufsethos.

Philipp Jacobs: Ihr Kollege Christian Drosten befindet sich derzeit im Zwist mit der Bild-Zeitung. Diese kritisiert seine Studie zur Viruslast bei Kindern als grob falsch. Was haben Sie gefühlt, als Sie das mitbekommen haben?

STREECK: Das ist eine unangenehme Situation, in der Christian gerade ist. Auch wenn er mich öffentlich kritisiert hat, ohne den Dialog zu suchen. Ich fühle da jetzt aber mit ihm, denn am Ende sind wir ein Stand. Wir sind alle ein Team Wissenschaft.

Philipp Jacobs: Gibt es etwas, das Sie den Menschen mit auf den Weg geben möchten?

STREECK: Man muss versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich darauf zu besinnen, dass Politiker Entscheidungen treffen, die man vielleicht nicht gut findet, die aber im Gespräch mit vielen Experten abgewogen wurden. Darauf auch ein Stück weit zu vertrauen ist wichtig.


Aus: "Interview Hendrik Streeck: ,,Zu viele Ängste wurden geschürt"" Philipp Jacobs (5. Juni 2020)
Quelle: https://www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/politik/inland/virologe-hendrik-streeck-es-wurde-mir-zu-viel-gewarnt_aid-51517347

-

Quote[...] Neil Ferguson, ein führender britischer Wissenschaftler, hat die späten Ausgangsbeschränkungen für die hohe Zahl der Coronavirus-Toten in Großbritannien verantwortlich gemacht. Wäre der Lockdown nur eine Woche früher angeordnet worden, hätte es nur halb so viele Tote gegeben, sagte der Professor für mathematische Biologie am Imperial College im Parlament in London.

Im März sei unterschätzt worden, wie schnell sich das Virus ausbreite, sagte Ferguson vor dem Ausschuss für Wissenschaft und Technologie im Unterhaus. Demnach hätten sich vor Einführung der Ausgangsbeschränkungen die Infiziertenzahlen alle drei bis vier Tage verdoppelt und nicht alle fünf bis sechs Tage wie gedacht.

Gemeinsam mit Kollegen hatte Ferguson in Modellberechnungen Mitte März davor gewarnt, dass es in Großbritannien ohne drastische Beschränkungen bis zu 250.000 Tote durch das Coronavirus geben könnte. Premierminister Boris Johnson ordnete aber erst eine Woche später Ausgangsbeschränkungen an, die es in anderen europäischen Ländern schon gab.

Johnson, der selbst mit der Krankheit Covid-19 im Krankenhaus war, verweist nun auf Wissenschaftsexperten. Demnach seien die Entscheidungen auf Grundlage der Empfehlungen der Scientific Advisory Group for Emergencies getroffen worden. "Natürlich wissen wir, dass wir dazulernen müssen", sagte Johnson. Dafür sei es jedoch noch zu früh, weil zu viel noch unbekannt sei.


Aus: "Britischer Wissenschaftler kritisiert späten Lockdown" (10. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-06/coronavirus-grossbritannien-lockdown-kritik-tote-boris-johnson

Quoterunner_64 #14

Neil Ferguson lag schon vor 10 Jahren meilenweit daneben mit der Schweinegrippe.
Aber er lernt halt nicht wirklich aus Fehlern.
https://www.sueddeutsche.de/wissen/h1n1-schweinegrippe-aehnelt-pandemie-von-1957-1.448481


QuoteResponsibleGambling #20

Der bestmögliche Zeitpunkt für einen Lockdown kann genauso wenig vorhergesagt werden wie der Krankheitsverlauf für jeden einzelnen Neuinfizierten. Was die Wissenschaft momentan weiß ist: Das Virus ist infektiös genug um eine Gesellschaft relativ schnell auf breiter Front anzustecken. Das Virus ist gefährlich genug um für 10-25% seiner Bevölkerung gefährlich zu werden (Primär in Abhängigkeit der Alterpyramide u. Lebensstil). Das Virus ist nicht einfach zu therapieren, bindet daher wertvolle medizinisch-technische Kapazität für tw. sehr lange Zeiträume und hinterlässt bei den Patienten mit schweren Verläufen bleibenden Schaden an Organe und Seelenheil. Bei so viel vorausgegangener Unwissenheit über die Krankheit Covid19 erachte ich jede verfrühte Vorsichtsmaßnahme für besser als keine oder im Nachgang wissenschaftlich attestierte verspätete Maßnahme.


QuoteTanja Gönner #6

>>Johnson... verweist nun auf Wissenschaftsexperten. Demnach seien die Entscheidungen auf Grundlage der Empfehlungen der Scientific Advisory Group for Emergencies getroffen worden. <<

Dies zeichnet einen typischen armseligen Entscheider aus. Wenn's gut war, war's er und er lässt sich für feiern, bei Fehlern sind natürlich die Berater schuld und die Entscheidung wurde gemeinsam gefällt. Sorry, so geht das nicht. Wenn man in Verantwortung ist entscheidet man auch darüber, welchem Ratschlag man folgt.


Quote123Stadtmusikant123 #23

Hinterher ist man immer schlauer. Das betrifft alle betroffenen Staaten. Bis vor ein paar Wochen wurde der Sinn des Mund-Nase-Schutzes noch negiert.


QuotePeter Pekster #23.1

Zitat. Bis vor ein paar Wochen wurde der Sinn des Mund-Nase-Schutzes noch negiert. Zitat

Nicht in Asien (China, Thailand, Japan ect) und Afrika!


QuoteJadoo6 #25

Das ist eine merkwürdige Diskussion. An UK, USA oder Russland zeigt sich doch eher, welche dramatischen Folgen eine Fehleinschätzung einer Pandemie und deren Folgen auf Gesellschaft und damit auch Wirtschaft hat.

Ein fehlender Lockdown führt genauso wie der Lockdown selbst zu Kollateralschäden. Schweden bekommt gerade zu spüren, dass eine Abweichung von der Strategie der Nachbarn nicht zum Erfolg, sondern zu einer unfreiwilligen Isolierung mit unterschätzten Kollateralschäden in der Gesellschaft führt.

In Europa wurde der Virus von konservativen Eliten und Poltikern unterschätzt. Erst als die Bilder aus Italien und Spanien führten zu einem dann drastischen Umdenken. Fast überall.

Und welche Chancen man mit zu späten drastischen Maßnahmen verpasst, sieht man gerade in Neuseeland, wo es gelungen ist, den Virus in der ersten Welle auszuhungern. Auch diese Chance haben wir hier bisher verpasst. Auch weil Staaten wie UK oder Schweden durch ihr Handeln zu Risikogebieten für die anderen geworden sind. In UK wurden sogar erst jetzt Regelungen auf Flughäfen verschärft, obwohl längst die Inländer die größere Gefahr für die Einreisenden darstellen.


...
#2131
Quote[...] Leopold war Anhänger kolonialistischer Ideen und gründete in Zentralafrika den offiziell eigenständigen Kongo-Freistaat, dessen absoluter Monarch und persönlicher Eigentümer er von 1876/1885 bis 1908 war. Zu dieser Zeit wurde aus dem Kongo vor allem Elfenbein und Kautschuk exportiert.


... Der Bedarf an diesem Rohstoff war seitdem stetig gewachsen. 44 Jahre, nachdem sich Goodyear die Vulkanisierung des Kautschuks hatte patentieren lassen, erfand John Boyd Dunlop den Luftreifen. Er war angesichts der damaligen gepflasterten Straßen und der Schlaglöcher auf den Landstraßen ein Erfolg, der die Nachfrage nach Kautschuk nochmals deutlich steigerte. Die Truppen des Königs überfielen Dörfer, und die Bewohner erhielten den Befehl, eine bestimmte Menge Kautschuk zu sammeln, sonst würde das ganze Dorf niedergebrannt werden. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Um zu kontrollieren, ob die Soldaten nicht nur gejagt hatten, mussten sie für verbrauchte Munition die Hände der erschossenen Menschen vorlegen. Wenn Soldaten doch gejagt hatten, wurden deshalb auch lebenden Menschen die Hände abgehackt. Eine andere Deutung der Praxis, die Hände abzuhacken, ist laut der Fachzeitschrift Message, dass Druck auf die Zulieferer ausgeübt wurde: Wer nicht genug Kautschuk liefert, dem wird eine Hand abgehackt. Zudem bewirkte der Druck auf die Einheimischen, ständig Kautschuk zu sammeln, dass diese immer weniger dazu kamen, ihre Felder zu bestellen. So verhungerten in manchen Gegenden 60–90 % der Bevölkerung oder verließen ihre Dörfer, um sich dem Zugriff des ,,Staates" zu entziehen. Betrug 1890 der Kautschukertrag lediglich 100 Tonnen im Jahr, waren es 1901 bereits 6.000 Tonnen.

Die Methoden, mit denen belgische Handelsgesellschaften und das Militär im Kongo vorgingen, sind unter anderem in Joseph Conrads Buch Herz der Finsternis (veröffentlicht 1899) geschildert. Conrad (1857–1924) hatte 1890 als Kapitän eines Flussschiffes angeheuert. Er wurde jedoch schon bald nach seiner Ankunft krank. Auch was er im Kongo mit ansehen musste, ließ ihn so bald wie möglich nach England zurückkehren. Unter anderem sah er, wie die Soldaten Körbe voller verwesender Hände zum Zählen zu ihren Stützpunkten schafften. Er sah auch, wie an einem Stützpunkt die Köpfe von Hingerichteten auf Pfählen ausgestellt waren.

Zudem begünstigten die Strukturen des ,,Staates" den Missbrauch der Macht. Von einem wirklichen ,,Staat" konnte man nur in der am Atlantik gelegenen westlichsten Provinz Kongo Central sprechen. Der überwiegende Teil des riesigen Landes von der Größe Westeuropas wurde von rund 3.000 Europäern kontrolliert und sollte so billig wie möglich verwaltet werden. Viele belgische Offiziere kamen aus dem Kleinbürgertum und hatten keine Vorstellungen von Afrika und seinen Lebensbedingungen. Auf einen einsamen Posten fernab jeder vertrauten Umgebung versetzt, von Malaria und Luftfeuchtigkeit geplagt, bildeten sich unter den Offizieren oftmals Ängste, Melancholie bis hin zu komplettem Wahnsinn und Allmachtsfantasien, was schließlich in zahlreichen Massakern endete. Auch gab es faktisch keinerlei Rechtswesen. Durch das Fehlen von Gerichten, überhaupt weitgehenden Gesetzen, oder einer Gewaltenteilung war dem Machtmissbrauch der Offiziere, der Beamten und der Angestellten der Gesellschaften Tür und Tor geöffnet. So bildete erst der belgische Staat nach dem Ende des Freistaates eine erste unabhängige Staatsanwaltschaft (procureur général), die gegen korrupte oder gewalttätige Beamte vorgehen konnte. Bis dahin waren weite Gebiete des Kongo auch de jure in einer absoluten Despotie der örtlichen Beamten gefangen, die sowohl politisch als auch juristisch vor Ort die oberste Instanz bildeten und deren Exzesse nur im Umland der Hauptstadt Boma (in der einige europäische Mächte offizielle Gesandtschaften eingerichtet hatten) unterblieben. So ließ Leon Fievez in den ersten vier Dienstmonaten als Distrikt-Kommissar der Provinz Équateur 572 Menschen ermorden. Anschließend unternahm er immer wieder Strafaktionen. Bei einer einzelnen Strafexpedition ließ er 162 Dörfer niederbrennen und 1.346 Menschen hinrichten. In seiner Provinz wurde der höchste Kautschukertrag erzielt.

...


Aus: "Leopold II. (Belgien)" (10. Juni 2020)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_II._(Belgien)

-

Quote[...] Antwerpen – Als Reaktion auf die Proteste tausender Belgier gegen Rassismus haben die Behörden in Antwerpen eine Statue des früheren Königs Leopold II. entfernt. Die Statue soll künftig im Depot eines örtlichen Museums aufbewahrt werden.

Wegen der brutalen belgischen Kolonialherrschaft im Kongo im 19. und 20. Jahrhundert ist das Andenken an den damaligen Monarchen seit langem umstritten. Wie in zahlreichen anderen Ländern weltweit beteiligten sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis auch in Belgien tausende Menschen an Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Seit Beginn der Proteste wurden mehrere Statuen und Büsten von Leopold II. beschmiert.

Die Gruppe "Reparons L'Histoire" (Die Geschichte reparieren), die sich für die Aufarbeitung der belgischen Kolonialverbrechen einsetzt, forderte die Entfernung aller Denkmäler für Leopold II., der Belgien von 1865 bis 1909 regierte. Sie bezeichnete den König, "der für einige ein Held" sei, als "Henker, der zehn Millionen Kongolesen getötet hat".

Im Namen der "Zivilisationsmission" Belgiens im Kongo errichtete Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts ein Kolonialregime, das von Historikern als eines der gewalttätigsten der Geschichte bezeichnet wird. Rohstoffe wie Kautschuk plünderten die belgischen Kolonialherren durch Sklaverei und Gewalt systematisch aus.

Auch in Großbritannien haben Aktivisten im Rahmen der Proteste gegen Rassismus die Entfernung von Denkmälern gefordert, die an Menschenrechtsverbrechen während der Kolonialzeit erinnern. Am Sonntag hatten Demonstranten im englischen Bristol eine mehr als fünf Meter hohe Bronze-Statue des Sklavenhändlers Edward Colston gestürzt und im Hafen versenkt.

Parallel zur Beisetzung George Floyds in Houston kündigten Aktivisten in Oxford an, die Statue für den Bergbaumagnaten Cecil Rhodes in Oxford zu stürzen, der im 19. Jahrhundert für die britische Krone mehrere Kolonialgebiete im Süden Afrikas erwarb. (APA, AFP, 9.6.2020)


Aus: "Antwerpen entfernt Statue König Leopolds II" (9. Juni 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117986944/antwerpen-entfernt-statue-koenig-leopolds-ii

Quote
Christian Kreil

Primitivität, unsere Baustelle

Das gute an der Diskussion: König Leopold und sein monströses Gewaltregime im Kongo werden thematisiert. ... Was wir benötigen, sind keine Denkmäler, sondern Narrative: Das wissen, das "unsere Zivilisation" eben exakt mit jener Bestialität, Wildheit, Primitivität und Rohheit zu agieren vermochte, die die "Neue Rechte" anderen Kulturen anheftet.


...
#2132
Quote[...] Berlin boomt – aber nicht überall. Die Stadt könnte sich ähnlich entwickeln wie Paris und andere Großstädte vor ihr: Wohlstand und Wachstum in City-Lagen und Großsiedlungen am Stadtrand, in denen die aus den begehrten Gebieten verdrängten Haushalte mit geringen Einkünften leben.

Dies zeigt das aktualisierte ,,Monitoring Soziale Stadt" der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Und hat dabei noch einige weitere überraschende Ergebnisse.

So konzentrieren sich die ,,Verschlechterungen" der sozialen Lage im Westen Berlins. Betroffen auch dort ausschließlich: die ,,äußere Stadt". Die Planer sprechen deshalb auch von einer ,,Peripherisierung sozialer Benachteiligung". In Paris wird die Autobahn, die an den Stadtrand führt, ,,Périphérique" genannt.

Gleichsam als ,,Banlieues" von Berlin, mit einer Konzentration ,,sozialer Benachteiligung", listet der Bericht Reinickendorf und das Märkische Viertel, die Gropiusstadt, das Falkenhagener Feld, Charlottenburg-Nord, Gesundbrunnen, Britz sowie weitere Ortsteile von Neukölln, aber auch von Spandau sowie Moabit, Kreuzberg und als einzigen Ost-Berliner Stadtteil Hellersdorf auf.

Wobei Hellersdorf zugleich auch als Stadtteil mit überdurchschnittlich guter Entwicklung aufgeführt wird. Die Erklärung ist einfach: Teilweise liegen auf- und abwärtsstrebende Gebiete dicht beieinander. Kleinteilig mit Reihen- und Einfamilienhäusern bebaute Viertel in den grünen Vorstädten sind oft von Pendlern mit mittleren Einkommen bewohnt, dort, wo in der Nachbarschaft Großsiedlungen während der 1960er bis 1980er Jahren entstanden, leben überdurchschnittlich viele Haushalte mit geringen Einkommen.

Darauf reagiert der Senat mit einem Strauß an Beratungs- und Unterstützungsprogrammen. Das bekannteste darunter ist das ,,Quartiersmanagement", das den Bewohnern einen oder mehrere Ansprechpartner stellt, die bei Bedarf bei Ämter- und Behördenkontakten helfen oder in schweren Konflikten einen kurzen Draht zur örtlichen Polizei haben.

24 Standorte in Berlin will der Senat außerdem vor dem Kippen bewahren, indem er Mittel aus dem neuen Bundesprogramm ,,Stärkung Berliner Großsiedlungen" abruft.

,,Es ist erfreulich, dass sich die sozialen Unterschiede leicht verringert haben, trotzdem ist Berlin auch weiterhin durch räumliche Unterschiede geprägt", sagt die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Linke). Die ,,nachhaltige Bekämpfung sozialräumlicher Problemlagen" müsse ,,mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie fortgeführt" werden.

Tatsächlich schließt der Bericht mit dem Hinweis, dass die Folgen des Lockdowns auf Handel und Wirtschaft nicht berücksichtigt sind. Die Daten im Bericht gehen auf Statistiken und Umfragen zurück, die teilweise über ein Jahr alt sind. Berlin lag damals noch in einem wirtschaftlichen Aufholprozess, mit überdurchschnittlich hohem Wachstum.

Gewachsen waren auch Einkommen und Beschäftigungen – zwei der wichtigen Faktoren zur sozialen Einordnung der Stadtquartiere – Arbeitslosigkeit, Transferbezug trotz Beschäftigung sowie Kinderarmut. Dabei prüfen die Forscher den Status eines Gebiets zum Zeitpunkt der Erhebung und vergleichen das mit der Lage zwei Jahre zuvor – daraus leiten sie eine positive oder negative Dynamik ab. Und geben entsprechende Empfehlungen an den Senat, etwa welche Gebiete einen ,,besonderen Aufmerksamkeitsbedarf" haben, wenn sich die soziale Lage dort verschärft.

Anlass zur Sorge und neu zu dieser Gruppe hinzugekommen sind im aktuellen Bericht die ,,Planungsräume" Gesundbrunnen (Wedding/Mitte), Volkspark Prenzlauer Berg (Pankow), Plötzensee (Charlottenburg-Wilmersdorf), Gütersloher Weg (Spandau), Wissmannstraße und Goldhähnchenweg (Neukölln) sowie das Gelbe Viertel (Marzahn-Hellersdorf).

Dem stehen neun Planungsgebiete mit positiven Tendenzen gegenüber. Das sind ,,vornehmlich Planungsräume in Spandau". Spandau, von West-Berlinern zu Mauerzeiten gerne noch mit dem Zusatz ,,bei Berlin" versehen, hatte im letzten Jahrzehnt etwas den wirtschaftlichen Anschluss verloren. Dabei ist der Bezirk dank Anbindung mit einer schnellen U-Bahn-Linie, reichlich hübscher Wasserlagen und zuletzt reger Bautätigkeit eine Alternative zu überfüllten, hochverdichteten Stadtlagen. Die Entlassung gleich mehrerer Quartiere aus dem Kreis städtebaulicher Sorgenfälle spricht dafür, dass dies nun zunehmend erkannt wird.

Von solchen Gebieten ,,mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf" haben die Forscher 42 in Berlin identifiziert, einer von zehn Planungsräumen der Stadt (426) ist betroffen. Betroffen sind Quartiere mit sehr niedrigem ,,sozialen Status" und zugleich ,,negativer Dynamik" – einfach ausgedrückt: wenn überdurchschnittlich viele Arbeitslose oder Geringverdiener dort leben, deren Kinder aufgrund der geringen Haushaltseinkommen von Armut bedroht sind – und die Zahl der somit sozial Benachteiligten in den vergangenen zwei Jahren noch zugenommen hat.

Beim größtem Wohnungsverband Berlin und Brandenburg (BBU) hieß es auf Anfrage: ,,Die Ergebnisse zeigen, dass gerade bei den zurzeit neu entstehenden Siedlungsprojekten wie den Buckower Feldern oder Tegel von Beginn an auf eine ausgewogene Mieterschaft, eine gute Verkehrsanbindung sowie gute Kitas und Schulen geachtet werden muss", sagt Sprecher David Eberhart.


Aus: "Berlin spaltet sich in ein reiches Zentrum und arme Ränder" Ralf Schönball (09.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-banlieues-der-hauptstadt-berlin-spaltet-sich-in-ein-reiches-zentrum-und-arme-raender/25898066.html

#2133
Quote[...] Der großangelegte Lockdown samt Grenzschließungen, Kontaktsperren und Schulschließungen habe allein in elf europäischen Ländern bis Anfang Mai womöglich etwa 3,1 Millionen Todesfälle verhindert und eine Kontrolle des Pandemie-Verlaufs ermöglicht, berichten Forscher um Seth Flaxman vom Imperial College London (Großbritannien) nach der Analyse der Todesfallzahlen im Fachmagazin ,,Nature".

In einer zweiten Studie berichtet ein Forscherteam, dass die Maßnahmen in den sechs von ihnen betrachteten Ländern bis zum 6. April rund 530 Millionen Infektionen verhindert hätten. Die Wissenschaftler hatten den Infektionsverlauf bis zu diesem Stichtag in China, Südkorea, Italien, Iran, Frankreich und den USA analysiert und stellen ihre Ergebnisse ebenfalls in ,,Nature" vor.

,,Ich denke, kein anderes menschliches Unterfangen hat jemals in so kurzer Zeit so viele Leben gerettet", sagte Studienleiter Solomon Hsiang von der UC Berkeley (USA).

Experten in Deutschland raten zu einer vorsichtigen Interpretation der Zahlen. ,,Das ist ein erster Aufschlag, der wichtig auch in der politischen Debatte um künftige Maßnahmen und deren Lockerungen ist", sagte der Statistiker Gerd Antes von der Universität Freiburg in einer ersten Stellungnahme zu der Studie. ,,Schaut man sich die Zahlen an, sieht man, dass sie eine enorme Schwankungsbreite haben - das verdeutlicht die Unsicherheiten, die mit solchen Analysen einhergehen."

Grundsätzlich sei es vernünftig, zur Analyse des Pandemie-Verlaufs auf die Todeszahlen zu schauen, da die Infektionsraten zu sehr davon abhängen, wie viel in einem Land getestet wird. Aber die Zahlen der Todesfälle brächten eigene Schwierigkeiten mit sich, zum Beispiel, weil nicht immer klar ist, ob jemand an oder mit Covid-19 gestorben ist.

Die Forscher um Flaxman hatten für ihr Modell die erfassten Covid-19-Todeszahlen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC zugrundegelegt und den Verlauf der Infektionszahlen und der Reproduktionsrate rückblickend ermittelt. Sie verglichen den Einfluss der Lockdown-Maßnahmen bis zum 4. Mai mit einem Szenario, in dem die Reproduktionszahl seit Beginn der Pandemie unverändert blieb. So ermittelten sie, wie viele Todesfälle ohne Maßnahmen wahrscheinlich vorgekommen wären.

Der Ansatz habe einige Schwächen, sagen auch die Forscher. So könnten Todesfälle zu Beginn der Pandemie übersehen worden sein. Zudem gebe es bei der Meldung von Todesfällen Unterschiede zwischen Ländern und im Verlauf der Zeit. Schließlich könne es zu Verzögerungen bei der Meldung von Todesfällen kommen. Die Forscher versuchten dies so gut wie möglich in ihrer Auswertung zu berücksichtigen, etwa indem sie Daten mehrerer Ländern zusammen analysierten.

Zu Beginn der Pandemie habe die Reproduktionszahl im Schnitt aller Länder bei 3,8 gelegen. Zehn Infizierte steckten also im Mittel 38 weitere Menschen an. In allen Ländern sei die Reproduktionszahl infolge der ergriffenen Maßnahmen auf unter 1 gesunken. Das Ergebnis decke sich mit Untersuchungen in einzelnen Ländern. (dpa)


Aus: "Lockdown verhinderte wohl allein in Europa mehr als drei Millionen Todesfälle" (08.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/studien-zu-corona-massnahmen-lockdown-verhinderte-wohl-allein-in-europa-mehr-als-drei-millionen-todesfaelle/25897498.html

#2134
Quote[...] Für die "Nachdenkseiten" hat Marcus Kloeckner mir einige Fragen zur derzeitigen Verschwörungsinflation gestellt:

Marcus Kloeckner: Herr Bröckers, man kann Sie als alten Schlachtenbummler bezeichnen, wenn es um das Thema Verschwörungstheorien geht. Spätestens seit Ihren Büchern zum 11. September haben Sie den Kampf zwischen den großen Medien und alternativen Formaten sozusagen live und in Farbe erlebt und selbst mitgestaltet. In einem aktuellen Blogbeitrag von Ihnen bezeichnen Sie sich selbst als ,,Konspirologen" und ,,elder Statesman der Verschwörungstheorie". Hilft Ironie bei der aktuellen Diskussion rund um Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretiker?

Mathias Broeckers: Ohne Humor und Ironie ist das doch gar nicht auszuhalten und ich wäre längst schon schwer depressiv, weil ich mich schon über 25 Jahre mit diesem Thema beschäftige. Und von daher nur zu gut weiß, dass es eben nicht nur verrückte und haltlose Verschwörungstheorien gibt, sondern auch sehr vernünftige und gut belegbare – und natürlich viele, die sich als wahr und richtig erwiesen haben. Umgekehrt gibt es auch viele offiziell verkündete Wahrheiten, die sich als haltlose und gefährliche Verschwörungstheorie herausgestellt haben, zum Beispiel die Massenvernichtungswaffen des Irak, mit der ein Krieg mit einer Million Toten angezettelt wurde. Oder nehmen wir die Tatsache, dass der US-Geheimdienst NSA jedes Handy bis hin zu dem der Bundeskanzlerin abhört – wer das vor den Enthüllungen von Edward Snowden behauptet hätte, wäre sofort als durchgeknallter, paranoider, anti-amerikanischer Verschwörungstheoretiker abqualifiziert worden.

Was heute noch offizielle Wahrheit ist, kann sich morgen als Verschwörungstheorie herausstellen – und umgekehrt. Um den nur noch als Denunziations- und Diffamierungsvokabel verwendeten Begriff zu retten, hatte ich schon in meinem ersten Buch über 9/11 (,,Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. September", Verlag Zweitausendeins, 2002) vorgeschlagen, künftig von ,,Konspirologie" zu sprechen und die Bildung von Hypothesen über mögliche Verschwörungen als wissenschaftlich legitimes, heuristisches Verfahren zu betrachten. Derzeit ist dieser Begriff aber nach wie vor ausschließlich als Diskurskeule im Einsatz, um unerwünschte Meinungen oder Berichte abzuqualifizieren.

Marcus Kloeckner: Derzeit wettern Vertreter von Leitmedien verstärkt gegen Verschwörungstheorien. Auf Spiegel Online waren vor kurzem die folgenden Zeilen zu lesen: ,,Man will in die wirre Gedankenwelt mancher Demonstranten gar nicht allzu tief eindringen. Leider haben viele, die auf den Straßen und im Netz gerade die große Verschwörung beschwören, chronisch einen an der Waffel. Für manche Demonstranten hält die Psychiatrie effektivere Hilfen bereit als die Politik." [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-proteste-die-politik-darf-sich-von-verwirrten-verschwoerern-nicht-verrueckt-machen-lassen-a-00000000-0002-0001-0000-000170923471]
Wie nehmen Sie diese Aussagen auf?

Mathias Broeckers: In die erleuchtete Gedankenwelt von Journalisten, die so etwas schreiben, möchte man gern ein wenig tiefer eindringen. Zum Glück sind viele, die in Zeitungen und Fernsehen beschwören, dass alles in bester Ordnung ist, im chronischen Alleinbesitz der absoluten Wahrheit.

Marcus Kloeckner: Wie erklären Sie sich einen derartigen ,,Journalismus"?

Mathias Broeckers: Das  geisterhafte Erscheinen eines unsichtbaren Virus hat einen Glaubens- und Religionskrieg entfacht. Was kein Wunder ist, denn bis vor ein paar Monaten war dieses Wesen völlig unbekannt, es gab kein Wissen über seine Verbreitung, keine Fakten über seine Wirkung, seine Gefährlichkeit. Es herrscht also große Unsicherheit, großes Unwissen und das führt fast zwangsläufig zu Angst – jeder will wissen, was ihn erwartet und was er oder sie möglicherweise zu befürchten hat. Wirklich Bescheid weiß keiner, denn dieses Wesen ist neuartig und nicht unter Kontrolle, es ist ja nicht einmal klar, ob es ganz natürlich entstanden ist oder eine Chimäre, an der gentechnisch herumgeschraubt wurde. So viel Unsicherheit und Unwissen ist schwer auszuhalten. Deshalb haben die ,,Kirchen der Angst" zur Zeit mehr Gläubige versammelt als je zuvor, und zwar in beiden ,,Konfessionen": Angst vor einer Massenvernichtungs-Pandemie auf der einen Seite und Angst vor einer Massenüberwachungs-Diktatur auf der anderen. Und in beiden Kirchen orgeln Panik-Orchester ihre allein seligmachende Wahrheit, den wahren Glauben. Das funktioniert bekanntlich nur, wenn den Glauben der anderen als gefährlichen Irrglauben denunziert.

Marcus Kloeckner: Warum haben so manche Vertreter großer Medien eine Aversion gegen Verschwörungstheorien?

Mathias Broeckers: Aversionen herrschen dort keineswegs gegen alle Verschwörungstheorien. Die offiziell erwünschten werden ja in epischer Breite und auf allen Kanälen verkündet. Von den 19 Teppichmessern als 9/11-Alleintätern über die Massenvernichtungswaffen des Irak bis ,,Russiagate". Mit haltlosen, unbewiesenen und sehr gefährlichen Verschwörungstheorien haben die Leitmedien also kein grundsätzliches Problem. Wenn der Krieg dann gelaufen ist und eine Million Menschen das Leben gekostet hat, entschuldigt sich die ,,New York Times" für das ,,Versehen", Aluminiumrohre und nicht Saddams Massenvernichtungswaffen auf die Titelseite gehievt zu haben. Und weiter geht's als ,,paper of the record" und ,,große alte Dame" des Pressewesens – irgendwie zur Rechenschaft gezogen wird diese Art von ,,Journalismus" nicht. Ich habe die VertreterInnen des lügenden Gewerbes manchmal als "Pre$$titutes" beschimpft was aber eigentlich noch eine Verharmlosung ist , da die KollegInnen aus dem liegenden Gewerbe niemals solche Schäden anrichten wie diese Verbreiter offizieller Verschwörungstheorien.

Marcus Kloeckner: Es gibt durchaus eine berechtigte Kritik an Verschwörungstheorien und verschwörungstheoretischem Denken. Aber ist die pauschale Kritik, wie sie immer wieder in den Leitmedien zu finden ist, angebracht?

Mathias Broeckers: Als Diffamierungswaffe im Rahmen der psychologischen Kriegsführung wurde der Begriff ja 1967 von der CIA scharf gemacht, die ihren Medienpartnern damals empfahl, mit dieser Keule gegen die Kritik an den Ermittlungen zum Attentat auf John F. Kennedy und der These vom Einzeltäter Lee Harvey Oswald vorzugehen. Seitdem feiert er immer dann fröhliche Urstände, wenn es darum geht, unpassende Meinungen und Behauptungen zu diskreditieren. ,,Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen" , hatte George W. Bush vor der UN-Vollversammlung gepredigt und der Gemeinde die Wahl gelassen: ,,Mit uns oder mit den Terroristen." Seitdem gibt es also kein Vertun mehr, 9/11 ist der Lackmus-Test für den wahren Glauben. Hier müsste Kritik an Verschwörungstheorien ansetzen, denn die Anschläge sind bis heute nicht wirklich aufgeklärt, die Ursachen für den Einsturz der Türme nicht ordentlich ermittelt – doch jeder Zweifel, wie zum Beispiel zwei Flugzeuge drei Wolkenkratzer pulverisieren können, gilt als ketzerischer Irrglaube und gefährliche Verrücktheit.

So ähnlich läuft es jetzt mit Corona und der Pandemie: Zweifel sind nicht zugelassen, selbst wenn es gute Gründe dafür gibt, weil das Wissen über das Virus eben unsicher ist. Dass sich die Politik in dieser Lage weltweit auf den ,,worst case" eingestellt und Lockdown verordnet hat, ist richtig und nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar und falsch ist, jede Kritik an den in unsicherer Lage getroffenen Maßnahmen und den extremen Rechtseinschränkungen als Verschwörungstheorie zu denunzieren. Da kommt es dann dazu, dass die solide Recherche und seriöse Berichterstattung von heute schon morgen schon als gefährliche Verschwörungsideologie gilt. So erfüllt es jetzt schon den Tatbestand der Blasphemie wenn man darauf hinweist, dass noch vor kurzem in der "Zeit" , der ARD und anderswo ausführlich begründet wurde, warum man Bill Gates nicht  die Kontrolle der Weltgesundheitsorganisation und Milliardären nicht die globale Agenda überlassen dürfe. Weil solche Hinweise aber mittlerweile als irre  "Corona-Mythen" gelten, hat der SWR seiner Doku von 2017 mit dem Titel: "WHO am Bettelstab – Wo's lang geht bestimmt Bill Gates" – dann auch schnell noch ein Link vorangestellt, zu einem neuen Beitrag aus dem wir erfahren, dass Onkel Bill natürlich schwer in Ordnung ist. [https://www.swr.de/swr2/wissen/who-am-bettelstab-was-gesund-ist-bestimmt-bill-gates-100.html]

Marcus Kloeckner: Wie gehen Leitmedien vor, wenn sie gegen Verschwörungstheorien zu Felde ziehen? Welche Beobachtungen haben Sie gemacht? Gibt es bestimmte Strategien?

Mathias Broeckers: Es geht eigentlich immer nach demselben Rezept: man vermenge die rationalen Argumente der Kritiker mit möglichst irrationalen, unappetitlichen Zutaten. Dass in Deutschland dann unweigerlich auch der Diskurshammer schlechthin (Holocaust/Antisemitismus) zum Einsatz kommt, hatte schon der verstorbene Kollege Wiglaf Droste als politische Debattenregel Nr. 1 erkannt: ,,Wer zuerst Auschwitz sagt, hat gewonnen!" Wenn dann bei einer Million Demonstranten gegen das transatlantische TTIP-Abkommen ein paar hundert Nazis mitlaufen, wird in ,,Spiegel" und ,,Panorama" vor einer gefährlichen ,,Querfront" gewarnt. Dasselbe auch bei den Friedens-Mahnwachen und jetzt bei den Corona-Demos. Die Stigmatisierung läuft da nicht über Argumente, sondern über Kontaktschuld.

Marcus Kloeckner: Wie nehmen Sie als Journalist dieses Medienverhalten wahr?

Mathias Broeckers: Nicht zufällig fühlen sich im Moment ja viele Ex-Ossis an DDR-Verhältnisse erinnert, was angesichts der ,,coronistischen" Einheitsparteien im Bundestag und dem völligen Gleichschritt der Großmedien auch kein Wunder ist. Und in der logischen Folge zu einem großen Zulauf bei den alternativen Medien führt, was wiederum die Großmedien zu einem um so heftigeren Bashing dieser Konkurrenz provoziert. Mit einer Kultur der Debatte und demokratischer Öffentlichkeit hat das nicht mehr viel zu tun und schon gar nicht mit einer rationalen Diskussion darüber, ob etwa Bill Gates' Vision eines RNA-Impfstoffs, der in das menschliche Genom eingeschleust wird, eine segensreiche Idee ist oder ein gefährliches Geschäftsmodell, den Menschen gegen Viren so resistent zu machen wie den gen-manipulierten Mais gegen die ,,round-up"-Pestizide von Monsanto. Kritik an solchen Ideen einfach unter ,,irre Verschwörungsmythen" abzubuchen, ist verantwortungslos, aber genau das wird im Medienmainstream getan.

Marcus Kloeckner: In einer aktuellen Umfrage [https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/corona-berichterstattung-umfrage-oeffentliche-meinung-taeuschung-medien-politik?page=2#comments] heißt es, 20 Prozent der Wahlberechtigten haben Zweifel am Wahrheitsgehalt der Corona-Berichterstattung in den Medien. Was sagt Ihnen diese Zahl?

Mathias Broeckers: Eine Zustimmung von 80% ist ein sehr gutes Ergebnis für die Konsens-Fabriken und ich verstehe nicht, warum das mit dem Geschrei um die Großgefahr durch Verschwörungstheorien noch auf 99,5 % geknüppelt werden muss. Was den Wahrheitsgehalt der Aussagen über ,,SARS-Cov-2" angeht, kann der ja gar nicht 100-prozentig sein, weil über das Virus und den Verlauf der Krankheit einfach noch zu wenig bekannt ist. Die Regierungen mussten in dieser Lage, auf Basis einer Gleichung mit vielen Unbekannten Entscheidungen treffen. Die gingen weltweit in die Richtung eines mehr oder weniger strengen Lockdowns und können mehr oder weniger fehlerhaft gewesen sein – was sich aber genauer erst ex post, im Nachhinein, wird feststellen lassen können. Wer überzeugt ist, dass Regierungen immer lügen, wird den Wahrheitsgehalt dieser Ergebnisse auch dann noch geringschätzen, aber mit solchen Zweiflern und Skeptikern muss man leben können. Auch wenn es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Trump, Putin, Xi , Merkel, Macron & Co. im Verborgenen alle unter einer Decke stecken und einer gemeinsamen Agenda folgen, die ihnen von Big Pharma eingeflüstert wird – 100-prozentig ausschließen kann man selbst eine solche Großverschwörung nicht. Genauso wenig sollten aber auch die Lockdown-Kritiker ausschließen, dass ihre Regierungen möglicherweise richtig gehandelt und viele Infektionen und Todesfälle verhindert haben. Die Inbrunst beim Verbreiten von Panik und der Hoffnung auf die Wunderwaffe Impfstoff ist genauso ,,covidiotisch" wie die 100-prozentige Überzeugung, dass mal wieder alles Lüge, Fake und Faschismus ist.

Marcus Kloeckner: Wolfgang Schäuble hatte auch ein paar Worte zu den Demonstrationen zu sagen: "Um sich vor Beifall aus der falschen Ecke zu schützen und um nicht irgendwelchen Verschwörungs-Spinnern auf den Leim zu gehen, empfehle ich, genau zu prüfen und zu überlegen: Ist das Umfeld, in dem ich demonstriere, das richtige?" Wenn es um Verschwörungstheorien geht, sind sich Politik und Medien ziemlich einig, oder?

Mathias Broeckers: Wenn man bei Demos nach den Empfehlungen und dem geschmacklich kompatiblen Umfeld von Herrn Schäuble ginge, müsste man immer brav zu Hause bleiben. Das sehen aber selbst schwäbische Haufrauen durchaus anders – in Stuttgart war ja eine der größten Demos. Dass dort wie eigentlich bei jeder Demo auch einige Verrückte und Extremisten dabei sind, ist unvermeidlich. Wenn aber wie bei der Demo in Leipzig die verrücktesten Parolen von der selbsternannten ,,Antifa" präsentiert werden und diese dann die einzigen sind, die in den ARD-Nachrichten auftauchen, kann man sich schon fragen, ob hier nicht ein verrücktes ,,Umfeld" inszeniert wird, mit dem die demonstrierenden ,,Normalos" gar nichts zu tun haben. Dann noch einen fundamentalistischen Impfgegner vor die Kamera, der eine Suada gegen Big Pharma und die neue Weltregierung ablässt und fertig ist der Bericht von der ,,Verschwörungs-Spinner"-Demo. So läuft das und da marschieren Politik und Medien völlig im Gleichschritt – dem Tabu ,,Verschwörungstheorie" sei dank kann jede Form der Kritik ausgeblendet und ausgeschaltet werden. Regierenden und Machthabern jeder Couleur erleichtert eine solche Verengung des Meinungskorridors seit jeher die Arbeit. Wer an demokratischen Verhältnissen interessiert ist, sollte sich von dem Dumm-Wort Verschwörungstheorie nicht irre machen lassen.


Aus: "Im chronischen Alleinbesitz der absoluten Wahrheit" Mathias Broeckers (02.06.2020)
Quelle: https://www.broeckers.com/2020/06/02/im-chronischen-alleinbesitz-der-absoluten-wahrheit/

#2135
Quote[...] Mit raunenden Quanten-Hinweisen kann man Leichtgläubigen viel anpreisen: Der 5GBioShield "mit Nano-Schicht" nutze "quantenholographische Katalysatortechnologie". ... Unter anderem in Großbritannien stellen Verschwörungstheoretiker beim Ausbau des 5G-Mobilfunks ein echtes Problem dar: Sie stecken 5G-Funkmasten in Brand, weil sie angeblich zur Verbreitung des Coronavirus beitrügen. Die Angst solcher Menschen nutzt das Unternehmen BioShield Distribution, um einen herkömmlichen USB-Stick als Wunderwaffe gegen die vermeintlich gefährliche 5G-Strahlung zu verkaufen.

Den 5GBioShield entlarvt ein Bericht der BBC als normalen USB-Stick ohne besondere Technik – mit einer Kapazität von 128 MByte kostet die Technik Centbeträge in der Produktion. Die ,,Erfinder" halten trotzdem an der Wirksamkeit fest.

Und wie das nun mal so ist, wenn man etwas nicht erklären kann, komme Quantentechnik zum Einsatz: ,,Der 5GBioShield USB-Stick mit der Nano-Schicht [nutzt] eine quantenholographische Katalysatortechnologie zum Ausgleich und zur Harmonisierung der schädlichen Auswirkungen unausgeglichener elektrischer Strahlung. Der Nanoschicht-Betriebsdurchmesser beträgt entweder 8 oder 40 Meter."

Die offizielle Webseite [https://5gbioshield.com/] führt zwei ,,Erfinder" auf: Ilija Lakicevic, laut eigenen Angaben Dr. Res. Prof. Prof., ,,hat sein Leben der Entdeckung von sich selbst und wahren Konzepten und Gesetzen der Schöpfung gewidmet". Vor zehn Jahren ,,entdeckte er die Wahrheit über den Menschen und wahre universelle Konzepte und Gesetze der Schöpfung". Lakicevic sieht sich als ,,Pionier der New Energy Physik".

Jacques Bauer ,,[spezialisierte sich] aufgrund seines Interesses am Immunsystem auf Ernährungsimmunologie, Psycho-Neuro-Immunologie, Quantenbiologie und den Einfluss elektromagnetischer Wellen auf das Immunsystem."

Laut BBC wollen britische Behörden den Verkauf des 5GBioShield wegen eines offensichtlichen Betrugsverdachts verbieten. ,,Anfällige Menschen müssen vor dieser Art des skrupellosen Handelns geschützt werden", erklärte ein Mitarbeiter. Zu solchen ,,anfälligen Leuten" gehören offenbar sogar Entscheidungsträger in Großbritannien: Toby Hall, Mitglied des beratenden Ausschusses für den Glastonbury-Stadtrat zum Thema 5G, empfahl die Nutzung des 5GBioShield: ,,Wir nutzen dieses Gerät und finden es hilfreich", sagte Hall.

Über 5gbioshield.com kostet ein einzelner USB-Stick 283 britische Pfund, ab drei gibt es bereits einen Mengenrabatt. Amazon dient normalerweise als willkommener Marktplatz für allerlei skurrile Produkte, hat den Verkauf des 5GBioShield inzwischen aber gestoppt.

Mit umgerechnet rund 315 Euro war der 5GBioShield dort sogar ein vergleichsweise günstiger Reiniger negativer Schwingungen: Panotophia etwa verkauft seit Jahren den ,,Orpanit Orgonit Cloudbuster Sky Beamer" für mehr als 3600 Euro. Das Konstrukt harmonisiere mittels Klinkenkabel ,,Frequenzen, Zapper oder sonstige Frequenzen" mit der Natur.


Aus: "5GBioShield: Stinknormaler USB-Stick als "Schutz vor 5G-Strahlung"" Mark Mantel (29.05.2020)
Quelle: https://www.heise.de/news/5GBioShield-Stinknormaler-USB-Stick-als-Schutz-vor-5G-Strahlung-4769483.html

QuoteBernd Paysan, 29.05.2020 15:01

Eingebildete Schwurbeltechnik SCHÜTZT vor eingebildeter Schwurbelgefahr!

Die Leute, die uns erzählen, dass 5G die größte Gefahr seit dem Chicxulub-Impaktor ist, schwurbeln genauso daher. Natürlich schützt dich dieser USB-Stick, wenn du nur genügend dran glaubst, vor der 5G-Gefahr, die auch nur existiert, wenn du genügend an sie glaubst.

Siehe auch: https://islieb.de/kinderarzt/


QuoteEric Mueller, 29.05.2020 14:11

Lasst sie doch - Besser ein überzeugter 5G "Geschädigter" kauft einen USB Stick
als dass er/sie Mobilfunk Masten anzündet oder sonstwie sabotiert ...
Ich sehe das Problem an diesem Angebot jetzt nicht :)


Quotecdonat, 29.05.2020 14:11

Bin ja fast neidisch auf diese geniale Idee, die 5G-Aluhüte auzunehmen. Der Verkäufer hat meiner Meinung nach jeden Cent verdient, den er damit gemacht hat.


QuoteMOK24, 29.05.2020 14:48

Toll!

Können wir es bitte einführen, solche Artikel wie diesen hier - mit vergleichbaren Inhalten - jeden Freitag zu posten?
Ich musste gerade breit grinsen, als ich den Artikel las - da geht man doch gleich viel besser gelaunt ins Wochenende!

Danke heise!
:)


QuoteWelllensitttich, 29.05.2020 15:04

Hildegard Orgonakkumulator?

Kennt einer von Euch noch den Hildegard Orgonakkumulator auf Amazon? Den gab es jahrelang dort. Das war ein schön gemachtes Holzbrettchen mit ein paar Dekoreinlagen.
Der sollte auch vor allem Möglichen schützen.

Das Schönste daran waren aber die vielen hundert Bewertungen darunter: Ganz viele Amazon Benutzer hatten sich einen Scherz daraus gemacht, dem Dingens alles Mögliche zuzuschreiben und schrieben Wunderdinge aus der täglichen Benutzung. So schrieb eine Frau, dass Sie es ihrem müden Ehemann heimlich unter die Matratze gelegt hatte. Heidewitzka, sei das danach abgegangen.
Andere schafften (angeblich) ihren Kühlschrank ab und legten das Obst "wochenlang" zum Frischhalten darauf. Das Durchlesen machte echt Spaß.

Oh, ich sehe gerade, Bei Ebay Kleinanzeigen gibt es noch welche davon für ein paar Hundert Euro das Stück. Schnäppchen

:)


...
#2136
Quote[...] Ich weiß, wir sind in der Vergangenheit eher selten dazu gekommen, aber ich würde mit Ihnen gerne über Penisse sprechen. Das mag jetzt nicht unbedingt das unverfänglichste Thema sein, aber mit 85 Kolumnen im Rücken können wir schon mal die Hosen runterlassen und uns anschauen, was Sache ist. Mich macht das neugierig. Genauer gesagt möchte ich wissen, wo all die Schwanzbilder herkommen, mit denen Frauen ungebeten im Internet überschwemmt werden, wer sie anfertigt und vor allem: warum? Wieso halten es Männer für eine gute Idee, Dick Pics an Frauen zu versenden, die daran vorher kein Interesse hatten? Denn Interesse scheint mir dabei das entscheidende Kriterium zu sein.

Was erwachsene Menschen auf Tinder oder anderswo in gegenseitigem Einvernehmen an Sexting und Nacktfotoaustausch betreiben, um sich gegenseitig anzuheizen, geht niemanden etwas an und bedarf auch keiner Bewertung. Ob das jetzt meine oder Ihre Kragenweite wäre, ist vollkommen unerheblich. Aber der Umstand, dass laut Umfragen 41 Prozent der Frauen zwischen 18 und 36 Jahren ungebetene Dick Pics erhalten, zugleich aber nur fünf Prozent der Männer gleichen Alters zugeben, dass sie ungefragt Bilder von ihrem Penis an Frauen verschicken, ist dann doch schon ziemlich interessant.

    Despite 46% of 18-36 year old women saying they have ever been sent a "dick pic", only 22% of men the same age say they have sent one (and only 5% confess to having sent an unsolicited penis photo) https://twitter.com/yougov/status/964424520739123200?lang=de
    — YouGov (@YouGov) February 16, 2018



Vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das unaufgeforderte Versenden von Schwanzbildern zumindest in Deutschland als "Verbreitung von pornografischen Schriften" gewertet wird und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet wird.

Es steht also schon etwas auf dem Spiel. Zumal wenn man in Betracht zieht, dass seinen Dödel zu entblößen womöglich nicht die erfolgversprechendste Strategie ist, um einen sexuellen Kontakt zu initiieren. Oder dass die meisten von uns im realen Leben sehr viel Wert auf ihre Privatsphäre legen und nicht wollen würden, dass man Bilder ihrer Genitalien an Freund*innen, Verwandte oder Arbeitskolleg*innen weiterleitet.

Aber selbst wenn wir annehmen, dass sich so ein Penisknipser anonym und sicher fühlt, bleibt die Frage nach dem Warum. Dazu existieren einige wissenschaftliche Spekulationen und Befragungen, die nahelegen, dass es den einen Grund nicht gibt. Einige Männer geben an, dass sie der Akt des Fotografierens und die Vorstellung der Reaktion erregen. Andere sehen ein Dick Pic als Möglichkeit, einer längeren Konversation vorzubeugen, von der sie sich von Anfang an erhoffen, dass sie ausschließlich auf Sex hinausläuft.

Sie wählen quasi die Penisabkürzung, weil ihnen Texten zu anstrengend ist – egal wie wenig erfolgversprechend die Option ist. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass der Selbstversuch einer jungen Frau, den Spieß einmal umzudrehen und Männer unaufgefordert mit Vulvabildern einzudecken, daran scheiterte, dass das mehrheitlich nicht als Bedrohung oder Belästigung aufgefasst wurde. Von 40 Männern haben drei nicht reagiert und 37 wollten sich umgehend treffen.

Es gibt aber noch ein Motiv, und das scheint mir für die nicht enden wollende Würstchenparade in den Mailboxen von Frauen, die sich in sozialen Netzwerken aufhalten, das ausschlaggebende zu sein. Eine kürzlich erschienene Studie belegt, dass die Schwanzbildfreunde sich grundsätzlich sehr viel narzisstischer und sexistischer verhalten als Männer, die keine ungebetenen Dick Pics versenden.

Es geht also nicht nur um ein Kommunikationsmissverständnis oder um einen angeborenen beziehungsweise anerzogenen Unterschied in der Wahrnehmung von Sexualität zwischen Männern und Frauen. Sondern es geht – wie so oft – um Dominanz, Kontrolle und Einschüchterung. Genitalpräsentation als Drohgebärde und Imponierverhalten. Als Machtdemonstration: Hier ist mein Schwanz, was sagst du jetzt! Es ist eine bewusst eingesetzte Belästigungsstrategie. Eine sexualisierte Zermürbungstaktik, die Betroffenen unmissverständlich klarmachen soll, wer den Längeren und das Sagen hat. Mit Sex hat das nichts zu tun. 2016 stellte die Künstlerin Whitney Bell 200 Dick Pics in einem Raum aus, der ihrem Schlafzimmer nachgebildet war.

    'Whitney Bell: I didn't ask for this: A Lifetime Of Dick Pics' at @ThinkTankDTLA pic.twitter.com/EHFME4MS4b
    — Curate LA (@curate_LA) October 7, 2017



Auch um zu verdeutlichen, dass sie vor dieser Form von Belästigung selbst als Alleinlebende in den eigenen vier Wänden nicht sicher ist. Sie stellt klar, dass es sich dabei nicht um Flirten handelt: "Es ist, als würdest du eine Frau aus dem Auto heraus anschreien. Du tust es, weil du es kannst und weil die Welt dir beigebracht hat, dass es okay ist." Das Erstaunlichste an diesem Verhalten ist die Illusion von Kontrolle. Während Männer damit beschäftigt sind, Frauen Abbilder ihrer Penisse ins Gesicht zu drücken, merken sie gar nicht, dass ihre Schwänze eigentlich mit ihnen wedeln. Denn Belästigung, Übergriffigkeit und Gewalt sind und bleiben die erbärmlichste Version von Kommunikation. (Nils Pickert, 7.6.2020)


Aus: "Dick Pics: Männer und ihre Penisporträts" Nils Pickert (7. Juni 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117904069/dick-pics-maenner-und-ihre-penisportraets

QuotePurpleWood
7. Juni 2020, 11:24:21
Das ist kein neues "Problem", sondern ist schon länger so. Gabs schon weit vor Tinder und betrifft nicht nur "die Jugend".

War vor über 10 Jahren mal bei einer Singleplattform registriert. Da waren sie noch halbwegs seriös. Bekam trotzdem ab und zu ungefragt schon mit der ersten Anfragemail Dick Pics. Oder mal wen auf einer After Work Party kennengelernt, Tage später ein Date (Essen + Spazieren), danach kam ein Dick Pic.

Diese Typen sind für mich lächerliche Trotteln.


Quote
StopptÖxitOxen

Weiterleiten - Sollte jemand so etwas unbestellt bekommen, dann handelt es sich mit Sicherheit um ein Versehen. Eigentlich war es für den Arbeitgeber bestimmt. Bitte weiterleiten!


Quote
kreuz100

Entweder sind solche Typen pubertierende Idioten oder psychiatrische Fälle, wenn die schon Erwachsen sind. Unfassbar jedenfalls, was für bullshit Frauen offenbar ertragen müssen.


Quote
Brillenschlange01

meiner geht glatt als Rüssel eines Babyelefanten durch :)


Quote
HomerJ
Guy Incognito 5

grau und verrunzelt?


Quote
stoaschädlerin

So schen is des net
würd ich zrückschreiben


Quote
zuter

Nur Anfänger verschicken die Fotos vom Eigenen:-)
Spaß beiseite, wie kommt man nur auf die Idee, dass dies irgendwer sehen will?


Quote
bixente uhudla

Dass nur 5% der Männer zugeben, dass sie ungefragt Dick-Pics versenden finde ich nicht verwunderlich, weil ich denke, das das nur ein solche kleine Minderheit ist, die das macht-die dann aber öfters und wahrscheinlich auch ziemlich wahllos...

das war/ist ja bei klassischen Exbhitionisiten die sich in der Öffentlichkeit entblössen auch das gleiche, dass da auf einen Täter oft viele bis dutzende Opfer kommen, bis die mal erwischt werden...

Aber zum Rechtfertigen und Schönreden gibt es da nichts, solche Leute gehören in psychiatrische Behandlung und wenn abgesehen davon zurechnungsfähig auch ordentlich bestraft...


Quote
Anton Szanya

"Klar ist, mit Sex hat das nichts zu tun – vielmehr soll es unmissverständlich klarmachen, wer das Sagen hat"
Ein Verhalten wie bei den Pavianen. Wieder ein Beweis mehr, dass der Mensch vom Affen abstammt.


Quote
ratschkattl 62

Das stimmt, glaube ich, so nicht. Wir stammen nicht vom Affen ab, sondern sind selbst welche und haben die gleichen Vorfahren wie die sog. Menschenaffen. So zumindest mein Wissensstand.

Alter Witz dazu: "Papa, heut hamma in der Schule gelernt, dass der Mensch vom Affen abstammt."
"Ja, du vielleicht. Aber i nit. "


Quote
LiebeFreiheitSolidarität

Meine Tochter bekommt regelmäßig solche Fotos von in etwa Gleichaltrigen zugeschickt seit sie 14 ist. Die wollen damit tatsächlich anbandeln. Was ist bloß in der Sozialisation bei solchen Burschen fehlgelaufen, wenn sie meinen, dass sie damit Erfolg haben könnten. So ein Foto zu schicken ist Ausschließungsgrund Kontakt haben zu wollen Nummer Eins. Meine Tochter lacht kopfschüttelnd und klickt sie weg.


Quote
LiebeFreiheitSolidarität

Die Wahrheit ist, man kann sich als Frau nicht ohne Belästigung durch den öffentlichen Raum bewegen, weder virtuell noch real. Schon gar nicht, wenn man so hübsch wie meine Tochter ist. Sie braucht nur in Shorts in den Supermarkt zu gehen und 50-jährige spechteln ihr mit geilem Blick hinterher. Sie braucht nur eine Einkaufsstraße entlang gehen, und sie wird von jungen Männern angesprochen. ...


Quote
margoll

Fakt ist, dass das Versenden von Dick-Pics ist in Österreich nicht strafbar ist - im Gegensatz zu Deutschland nach §184 StGB Verbreitung pornographischer Schriften.

Es wäre allerdings ein spannendes soziales Experiment, eine Plattform zu schaffen, auf der Frauen, die ohne ihre vorherige Einwilligung mit Fotos belästigt werden, diese hochladen könnten.


Quote
Ancalagon the Black
Trollosaurus Rex 69

Für alle, die nicht ganz kapieren (wollen), worum es im Artikel geht:
Es geht nicht *generell* um dick pics.
Das Austauschen intimer Bilder ist etwas, das heute in - nennen wir es mal gewisse Situationen - normal und in solchen Situationen auch beiderseitig gewollt ist.
Hier geht es um *unaufgefordert* versendete Bilder.


Quote
J.J. Gittes

Problem bei der Sache - wenns ums unaufgefordert geht kann ein Mann halt lang warten beim Dating wenn er nicht aktiv ist, eine Frau kann sich oft finden lassen, als Mann funktioniert das nur in absoluten Ausnahmefällen.


Quote
twatcharlie

Wenn Sie als Lösung für dieses Dilemma anfangen, Dick Pics zu verschicken, werden Sie noch länger warten.


Quote
Ancalagon the Black
Trollosaurus Rex 69

Also ich bin da vielleicht ein wenig altmodisch, aber in meiner Jugend war es ja auch nicht üblich, dass man gleich in der Disco die Hosen runter ließ um dem Hauptinteresse des jeweiligen Abends den Schwanz zu zeigen.

Das erste mal gegenseitig nackt zu sehen kam natürlich vor, manchmal ging das auch relativ schnell, aber es war immer einvernehmlich, immer beiderseitig und für beide Beteiligten immer ein intimer und aufregender Moment. ...


Quote
J.J. Gittes

Wenn Frauen in Sachen Anbahnung so aktiv sein und soviel Aufwand hineinstecken müssten wie Männer würden sie noch viel abstrusere Sachen machen und zumindest die Vaginapics nur so fliegen. In der Hinsicht wissen Frauen gar nicht wie gut sie es haben.


Quote
illegitimate

Sind sie ein so genannter Incel?


Quote
recouvrer_la_raison

Wieder einer, der das unaufgeforderte Schicken von Schwanzfotos außerhalb von Datenplattformen (und selbst dort teilweise ein No-Go) als "Flirten" absichtlich missversteht. Jämmerlich.


Quote
J.J. Gittes

Wieder so eine die das senden von Schwanzfotos als Machtgehabe missversteht.


Quote
recouvrer_la_raison

Wieder so einer, der nichts verstanden hat.


Quote
Makeluv Notwar

Die Frauen sollten froh sein! Da ist die Katze gleichmal ausm Sack
Würde man mir vorab Nippel und Vagina zeigen, wüsste ich gleich ob ich noch weiter interssiert bin.

So muss man sich durch Date und blabla quälen nur um dann festzustellen, mit diesen brustwarzen kann ich nicht!


Quote
Leilani

D.h. an einer Frau sind einzig Nippel und Vagina interessant?  ...


Quote
andix222

Ich versteh das Problem nicht. Es wird doch keine erwachsene Frau traumatisiert sein von einem Dickpic.
Manchen Frauen taugt das, solche Bilder zu erhalten, wird wahrscheinlich nicht die Mehrheit sein.

Falls sich Frau bei der Einschätzung eines Flirts vertan hat, und ein Dickpic erhält, kann sie ja immer noch den Kontakt abbrechen. Vielleicht sollte sie sogar froh sein, so einen eindeutigen Grund erhalten zu haben...

Ich glaub eher es geht den Frauen rein um Empörung und Effekthascherei. Darf er das denn? Vielleicht nicht, er machts trotzdem. That's life.


Quote
Abiona

Was viele hier offenbar nicht verstehen: Wenn 41% aller Frauen schon solche Bilder ungefragt bekommen haben, und der Großteil dieser das nicht leiwand findet, ja sogar grausig und als Übergriff, dann ist es nicht nützlich, wenn Männer hier im Forum (und dann vor allem im richtigen Leben) davon schwafeln, dass das alles nicht so tragisch ist, man könne es ja ignorieren, oder man solle halt einfach was zurückschreiben, oder die sind einfach nur intellektuell benachteiligt - man solle sich also als Frau nicht so anstellen.

Niemand von euch muss sich verteidigen, denn ich denke, dass die allermeisten hier im Forum niemals sowas verschicken würden. Es würde also reichen, zu sagen, das ist scheiße und sollte Frauen nicht passieren. Fertig.


Quote
KelAdo

"Es geht den Frauen rein um Empörung und Effekthascherei..."

Klar, die Frauen sind wieder einmal schuld. Gut, dass Sie das bei ihrem Post untergebracht haben. Gratuliere.


Quote
andix222

Bitte um Erläuterung. Was is so arg wenn sich Leute Dickpics schicken? Manchen taugt das, den meisten nicht. So what?
Ich kenn auch Männer, die Dickpics schicken und damit "Erfolg" haben.
Es gibt auch Leute die Pornodarsteller sind.


Quote
MiliTant

Haben Sies nicht verstanden? Oder reiten Sie per amüsement ein totes Pferd?


Quote
Mr. You Dont Say

Ist nicht so schwer eigentlich...
Konsens ist der springende Pkt.
Vorher darüber reden dann erst schicken.
Denk mal drüber nach.


Quote
Mr. You Dont Say

... Ich frag mich warum is die Hemmschwelle zu fragen (was auch immer) größer als ein Bild von seinem Schwanz zu schicken? Das versteh ich nicht.


Quote
andix222

Ich vertseh auch nicht, warum manche Leute das tun. Aber sich drüber aufzuregen, finde ich eben ein bisserl heuchlerisch. Einerseits wollen manche Frauen lieber den prolligen Fitnesscenter-Idioten, der ist hald bisserl deppert und schickt ihnen Dickpics. Den sensiblen Literaturstudenten, der ihnen ein Gedicht schickt, den ignorieren sie lieber, weil er ein "Schlappschwanz" ist. Also was jetzt?


Quote
Es gibt kein Gut und Böse

Bitte nicht von ein paar Trotteln auf alle Männer schließen, danke. ...


Quote
Muhkuh die Göttliche

Schwanzbilder sind lustig find ich. Aber das ist sicher nicht was die Absender bezwecken wollen...


Quote
J.J. Gittes

ich hoffe einmal, dass sich Frauen die sich über Penisbilder aufregen selbst nie versuchen über die Schiene der sexuellen körperlichen Reize zu kommen.
Ich kenne aber auch keine Frau die sich über das Eehalten von Penisbildern ernsthaft aufregt muss ich sagen.


Quote
Muhkuh die Göttliche

Wir Frauen finden das furchtbar lächerlich. Das ist eigentlich alles.


Quote
BKA1010

Sie wissen, was alle Frauen denken? Eine erstaunliche Gabe!


Quote
Muhkuh die Göttliche

Naja, die meisten halt...
Und zumindest alle die ich kenne. Ja, wir Frauen reden über sowas. XD


Quote
dieNausikaa

Das unterschreib ich.


Quote
Marinelli

Ich muss sagen, dass ein dickpick für mich eher weniger eine Drohung darstellt. Ein Mann, der mir sowas schickt, macht sich halt absolut uninteressant und lächerlich. Und ich frag mich auch, warum viele Männer den Eindruck, den ihr Penis auf Frauen macht, so dermaßen maßlos ueberschaetzen. Nichts für ungut, aber es gibt interessantere Dinge zum Anschauen


Quote
MerlinZauberer

Es wird geschrieben, dass Männer nichts dagegen haben, soche Fotos von Frauen zu erhalten.
Evtl. ist dies auch der Grund, warum sie solche Fotos an Frauen senden.. Vielleicht verstehen es Männer garnicht, dass Frauen dazu abgeneigt sind. Das ganze Machtdemonstrationsblabla, immer wieder zurück auf Unterdrückung und Ungleichberechtigung der Frauen, das wirkt auf mich schon etwas nervend und ausgelutscht.
Natürlich wird es Fälle geben, wo das zutrifft, aber so zu verallgemeinern finde ich etwas daneben.
Komisch auch, warum Männer nicht anderen Männern ihre Dickpics schicken um klarzumachen, wer den größeren hat und somit Macht zu demonstrieren...


Quote
Je m'appelle Mirabelle L.

Nach dem Motto: ein Penis sagt mehr als 1000 Worte?


Quote
erhengl

Einfach nur unnötig! Das ganze Thema und der Artikel im Besonderen!


Quote
Joe_Chip

Eh, wenn es nicht so viele erbärmlich deppen geben würde die so etwas machen bräuchte es keinen Artikel.


Quote
Cookie_

"unmissverständlich klarmachen, wer das Sagen hat"
So läuft das sicher immer ab: "hier, schau mal" - "wow, jetzt habe ich großen Respekt vor dir und du hast das sagen"

Also ich glaube nicht mal Typen die so hirnverbrannt sind und ungefragt dick pics schicken, glauben, dass sie damit in irgendeiner Form Dominanz beweisen. Viel mehr sind das wohl ein bisschen sozial zurückgebliebene, die sich erhoffen dadurch den Weg des Flirtens abzukürzen und Interesse beim Gegenüber zu wecken. Dass das halt nach hinten losgeht, checken die Affen wohl nicht.


Quote
Abiona

Ich liebe das, wenn Männer sich gegenseitig entschuldigen mit "mah, Mänmer sind einfach ein bissi dumm, die verstehen das halt nicht".


Quote
Canonista66

20 jahre im internet - nie ein dic-pic erhalten - was mache ich falsch?


Quote
ländliche Genreszene

herr pickert hat vergessen einen versuch zu starten dick pics ungefragt an männer zu versenden .. wie da wohl die reaktion ausfallen könnte? ..


Quote
shapeshifting is my hobby 12

es gab da auch mal im tv einen versuch, wo jeweils ein attraktiver mann und eine attraktive frau 10 gegengeschlechtliche menschen angesprochen und gefragt haben, ob sie sofort unverbindlichen sex mit ihnen haben wollten.

10 frauen - 0 ja
10 männer - 8 ja, 2 "leider nein, bin schwul."


Quote
BernhardvonAosta

Wenn ein Mann das gerne macht wird er diese Bilder nicht nur einer einzigen Frau schicken, sonder immer wieder verschiedenen.
Wenn 5 von 100 Männern jetzt jeweils 10 Dickpicks an verschiedene Frauen schicken, dann sind das 50 Frauen.

Und mit ein bisschen logischem Nachdenken ist die Diskrepanz gar nicht mehr so interessant wie sie der Autor darstellt.


Quote
Leilani

Egal, wie wenige Männer es machen:
Aus Sicht von Empfängerinnen IST es ein Massenphänomen.


Quote
(°)(°)
Snjezana Pron 8

das wird sich aufhören sobald die schwanzerkennungssoftware online geht ...


...
#2137
Billy Wilder (* 22. Juni 1906 als Samuel Wilder in Sucha, Galizien, Österreich-Ungarn; † 27. März 2002 in Los Angeles, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Drehbuchautor, Filmregisseur und Filmproduzent österreichischer Herkunft.
https://de.wikipedia.org/wiki/Billy_Wilder

Portrait of a '60% Perfect Man': Billy Wilder interview (1982)
French film critic Michel Ciment interviews Billy Wilder about his life and film-making.
Cast
Billy Wilder          Himself
Michel Ciment  Himself - Interviewer
Jack Lemmon  Himself
Walter Matthau  Himself
I.A.L. Diamond  Himself
https://youtu.be/cg46YX1gqcU

-

Claude Sautet (* 23. Februar 1924 in Montrouge; † 22. Juli 2000 in Paris) war ein französischer Drehbuchautor und Filmregisseur. Er war ein Chronist der französischen Gesellschaft in der Nachkriegszeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Claude_Sautet


"Unstillbare Sehnsucht - Die Filme von Claude Sautet" Bettina Karrer (Mai 2015), Marburger Schriften zur Medienforschung
Claude Sautets Filme sind auch unterhaltsame, zeitlose Geschichten über die kleinen und größeren Widrigkeiten des Lebens herausragend besetzt mit den populärsten Stars jener Zeit. Aber, sie sind weitaus mehr. Die Monografie Unstillbare Sehnsucht. Die Filme von Claude Sautet ist das erste deutschsprachige Buch zu dem Werk, zudem die erste analytische Gesamtdarstellung.
380 Seiten, 148 x 210 mm, zahlreiche Abbildungen
ISBN 978-3-89472-909-7
https://www.schueren-verlag.de/film-und-medien/filmgeschichte/titel/447-unstillbare-sehnsucht-msm-56.html

Claude Sautet - Regisseur der Zwischentöne | Doku HD Reupload | ARTE
Claude Sautet war einer der bedeutendsten Regisseure Frankreichs. In seinen poetisch-melancholischen, komischen und dramatischen Gesellschaftsfilmen gelang es ihm, den französischen Zeitgeist der 1970er und 80er Jahre einzufangen. ...
Dokumentation von Amine Mestari (F 2020, 52 Min)
https://www.youtube.com/watch?v=X9qTGnHlWok
#2138
Quote[...] Bill Gates sind die ganzen Verschwörungstheorien zu seiner Person zu blöd. Wie "Business Insider" berichtet, wurde der Tech-Milliardär im Rahmen einer Telefonkonferenz mit Journalisten zu so manchen Thesen angesprochen. Unter anderem, ob Gates mit einem Corona-Impfstoff Tracking-Chips in Menschen einpflanzen wolle. "Ich habe nichts mit solchen Microchip-Sachen zu tun. Es fällt mir fast schon schwer, das zu leugnen, weil es so dumm und merkwürdig ist", kommentierte der Microsoft-Gründer die Frage.

Seit Monaten wird Gates im Netz massiv angefeindet. Der Tech-Milliardär steckt viel Geld seiner Privatstiftung in die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Corona. Seither werden die wildesten Theorien im Netz verbreitet. Unter anderem wird Gates nachgesagt, dass er für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich sei, um mit dem Impfstoff viel Geld zu machen. Tatsächlich warnt der US-Amerikaner schon länger vor einer Pandemie. In einem TED-Talk aus dem Jahr 2015 gibt er etwa sein Wissen zum Besten.

Das Problem an all den Verschwörungstheorien ist allerdings, dass viele Menschen daran glauben. Eine Befragung von Yougov ergab etwa, dass 40 Prozent der Republikaner-Sympathisanten denken, dass ein Impfstoff von Gates einen Mikrochip injiziert. Nur 26 Prozent dieser Gruppe glauben, dass dies ein Blödsinn ist. Der Tech-Milliardär sagte, dass er dies "ein wenig beunruhigend" finde. Viel schwerwiegender sieht Gates allerdings die Tatsache, dass Impfgegner es deutlich erschweren würden, eine Herdenimmunität zu erreichen. " Die Welt muss zusammenarbeiten, um sichere und effiziente Impfungen zu entwickeln", so der Microsoft-Gründer. (red, 5.6.2020)


Aus: "Bill Gates hat genug von Verschwörungstheorien: "Dumm und merkwürdig"" (5. Juni 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117914718/gates-hat-genug-von-verschwoerungstheorien-dumm-und-merkwuerdig?ref=rec

Quote
Daruma-San

Niemals Chips essen!! Wenn die Chips mal im Körper sind.... wissen die alles!!


-

Quote[...] Impffeindlichkeit fußt nicht auf Argumenten, sondern auf Werten und latenten Ideologien. Jene, die pro Impfungen sind, brauchen bessere Bilder und emotionalisierende Erzählungen ... Impfungen sind das Gift der Juden. Zumindest suggeriert das ein Sujet im Nazi-Hetzblatt "Der Stürmer" aus dem Jahr 1933. Eine deutsche Mutter hält ihr Baby im Arm bei einem Arztbesuch. Die blonde Frau klagt besorgt: "Es ist mir sonderbar zumut, Gift und Jud' tut selten gut." Der Arzt hat eine Spritze in der Hand und eine Hakennase und er lächelt diabolisch, als er die Nadel ansetzt. Der Sonderdruck der "Reichsdeutschen Impfgegner" ist bereits vergilbt, die Geisteshaltung dahinter quillt trotzdem hie und da an die Oberfläche. Die Nazis warnten davor, sich in die Hand "naturferner und verirrter Mediziner zu begeben." Heute warnt die sprichwörtliche Anti-Vax-Mom in der Schlange an der Kasse des Bioladens vor "Schulmedizin", "Big Pharma" und dem "Giftcocktail" der Impfungen. Die antisemitischen Codes sind diesem Soziotop mitunter nicht bewusst. ...

... Keine Gesellschaft, kein Herdenschutz. Im Jahr 1987 brachte die britische "Eiserne Lady" Margaret Thatcher den Neoliberalismus auf den Punkt: "So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht." Das Inidviduum hätte sich um sich zu kümmern und um seine Familie. Impfgegner haben das Wesen dieser Ideologie durchaus plausibel für ihre Agenda verinnerlicht. Welchen Sinn soll ein Herdenschutz haben, wenn es so etwas wie eine Gesellschaft nicht gibt? Wer bei Diskussionen moniert, dass Impfungen nicht nur das Ego schützen sollen, sondern alte, verletzliche, kranke und schwache Mitglieder der Gesellschaft, stößt zumeist auf blankes Unverständnis. Man hört: "Ich gehöre gar nicht zur Risikogruppe, warum sollte ich mich impfen lassen?" Sehr schön bringt dieses Gemenge von Egoismus, Arroganz und Ignoranz ein in der Szene beliebtes Meme auf den Punkt: "Wenn ungeimpfte Menschen geimpfte Menschen gefährden, gegen was hilft dann die Impfung?" Auch wenn es manchen politischen Proponenten schwer fallen wird: Ohne Solidarität zu adressieren und Verantwortung für die Gesellschaft einzumahnen, wird der Appell zu Impfungen inhaltsleer erscheinen und eine Impfpflicht argwöhnisch betrachtet werden.

... Ein kleiner Teil der Bevölkerung ist nicht mehr erreichbar. Wer die Tatsache nicht akzeptiert, dass Impfungen zu den größten Erfolgsgeschichten der Medizingeschichte zählen, wird mit Statistiken zur weltweiten Auslöschung von Seuchen nicht zu beeindrucken sein.

...


Aus: "Blog: Stiftung Gurutest - Impfgegner sind wie Alkolenker – verantwortungslos" Christian Kreil (4. Juni 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117681081/impfgegner-sind-wie-alkolenker-verantwortungslos


Quote
Hier steht Ihr Postingname

Ich bin kein Impfgegner, aber ich Empfinde die Überschrift des Artikels als bodenlose Frechheit. Eine pauschale Unterstellung ohne jegliche kritische Reflexion der Gesamtsituation wirkt befremdlich.
Das Kernproblem ist, dass der Medizin-Sektor ein Milliardengeschäft für die Pharmakonzerne ist und viele Ärzte Ihre Entscheidungen rein aus finanziellen Aspekten wählen. Durch diese Abhängigkeit darf man nicht erwarten, dass Entscheidungen immer neutral und rein zum Nutzen der Patienten getroffen werden.
Zusammenfassend: Ich begrüße eine Impfung gegen den Covid Virus ist, aber ich warne davor blind den Werbeaussagen der Pharmakonzerne zu vertrauen. Viel wichtiger ist die Expertise von wirklich unabhängigen Fachleuten.


Quote
TableTopToby

Der Kreil zieht Impfgegner und -kritiker auf die Ebene von Nazis...
Ich dachte, vom Niveau her wären wir schon ganz unten....


Quote
Sven Dirks

Als vor 200 Jahren die Pockenimpfung aufkam
War es allen voran Maria Theresia, die selbst die Pocken durchgemacht hatte, die ihre Kinder impfen ließ. Das Impfrisiko war weiland 50:1 für Komplikationen. Als wenig später der Impfstoff aus Kuhpocken hergestellt wurde, sank das Impfrisiko in den (wie heute) infinitesimalen Bereich.

40 Jahre Pockenimpfpflicht und die Pocken gelten heute als ausgerottet.
Aber nein, die Seuchenfreunde haben ja "das Recht auf den eigenen Körper" als höheren Wert auserkoren als den einer leidlich gesunden Bevölkerung.
Mir will diese intellektuelle Wohlstandverwahrlosung einfach nicht in Kopf.


Quote
konsens@konsent

populismus pur!
solange nur unterschieden wird zwischen kompromisslose impfbefürworter und uneingeschränke impfgegner, ist der ganze diskurs blos ein populistischer mumpitz!


Quote
Pippilotta27

Das Problem ist halt, dass diejenigen, die von sich behaupten, dieses Thema differenziert zu betrachten, in den meisten Fällen null Ahnung von der Materie haben und auch nicht fähig sind, ExpertInnen von Schwachsinnigen zu unterscheiden. Insofern ist das ein Problem. Das trifft natürlich auch auf jede andere medizinische Massnahme zu, dabei bin ich aber meistens nur selbst betroffen und deswegen gibt es das sogenannte Recht auf Unvernunft. Problem ist nur, dass es beim Impfen nicht allein um mich geht, sondern um die Gesellschaft und auch um Kinder, die davon abhängig sind, ob sie bescheuerte oder nicht bescheuerte Eltern haben.


Quote
Echo aus dem Wald

Kreil spaltet und hetzt. Nichts weiter. Dabei schert er alles über einen Kamm und lässt bewusst vollkommen außer Acht, daß es unzählige Arten von Impfungen gibt, die kaum miteinander zu vergleichen sind.
Ich befürworte die Zeckenimpfung, auch jene gegen Masern, Mumps und Röteln und rate anderen auch dazu. Gegen Tetanus bin ich auch geimpft, wobei ich es nicht unbedingt für nötig halte. Einer Grippeimpfung stehe ich persönlich allerdings aufgrund der verfügbaren Daten eher kritisch gegenüber.
Was bin ich jetzt? Impfgegner und somit in den Augen Kreils jemand, den man aufs derbste diskreditieren darf? Oder bin ich Befürworter und somit einer von erhabenen Guten, die über andere richten dürfen?
Das wäre so, als würde er von "Tablettenbefürwortern vs. Tablettengegner" schwadronieren.


Quote
Christian Kreil

Meine Erfahrung zeigt, dass differenzierende Positionen in der Realität äußerst selten sind.

Den Ton geben die Leute an, die Impfungen generell ablehnen und die werden auch den Ton angeben, sollte eine Corona-Impfung am Markt sein. Für die wird es VÖLLIG UNERHEBLICH sein, wie es mit der Wirksamkeit oder Sicherheit aussieht.


...

-

Quote[...] Dana Buchzik ist Journalistin und Dozentin. Sie war Redaktionsleiterin der No-Hate-Speech-Kampagne des Europarates und hat an der FU Berlin Kulturjournalismus gelehrt. Heute leitet sie Workshops zum Umgang mit Hass und Verschwörungstheorien im Netz und berät Menschen, die im direkten Umfeld mit Radikalisierung konfrontiert sind.


Wir leben in einem Frühling der Verschwörungsideologien. Das ist spätestens deutlich geworden, seit Menschen zu Tausenden auf die Straßen ziehen, weil sie glauben, dass Bill Gates nicht nur schier endlos dauernde Windows-Updates, sondern auch eine globale Pandemie zu verantworten hätte. Seit katholische Bischöfe behaupten, es drohe sowohl eine Impfpflicht als auch eine sämtliche Bürgerrechte unterjochende "Weltregierung".

Trolle oder Sektenmitglieder, Verschwörungsgläubige, Islamisten oder Neonazis agitieren schon seit Langem, auch in unserer Mitte. Doch menschenfeindliche Ideologien werden oft erst dann als Problem erkannt, wenn sie nicht nur den privaten, sondern auch den öffentlichen Frieden bedrohen. Wenn Menschen öffentlichkeitswirksam hetzen, Umsturz propagieren oder, im schlimmsten Fall, zu Attentätern werden.

Der Polizistenmord eines Reichsbürgers, der islamistische Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt oder das rechtsterroristische Attentat in Hanau sind tragische Beweise für die Gefahr dieser Ideologien. Die sich weiter aufheizende Stimmung in Deutschland, die vielen Drohungen gegen öffentliche Akteure, die demokratiefeindlichen Parolen bei Hygienedemos – sie verleihen der Frage eine neue, schmerzhafte Dringlichkeit: Wie schafft man es, Menschen zu erreichen, die in die Fänge des Extremismus geraten sind?

Ein Radikalisierungsprozess lässt sich mit einer Emulsion vergleichen: Es verbindet sich, was eigentlich nicht zusammenpasst. Daniel Köhler, Direktor des German Institute on Radicalization and De-radicalization Studies (Girds), beschreibt, dass negative Emotionen, etwa Trauer oder Angst, mit positiven Emotionen, etwa dem Versprechen von Gerechtigkeit oder Rettung, zu einer Heldengeschichte verknüpft werden, mit dem Radikalisierten als schillerndem Protagonisten, der den einzigen Grund aller Probleme dieser Welt kennt, der um die einzig mögliche Lösung weiß und der die einzige Zukunft gesehen hat, für die es sich zu leben (oder auch: zu sterben) lohnt.

Der Emulgator für dieses Gemisch ist Vertrauen. Radikale Gruppen, die sehr schnell gewachsen sind, wie der IS oder die Moonies (Vereinigungskirche), missionieren psychologisch fundiert. Ihre Anwerber sind darin geschult, die Persönlichkeit ihrer Gegenüber schnell einzuschätzen und ihre Gesprächsstrategie entsprechend anzupassen. Potenzielle Opfer werden in Sozialen Medien, Messenger-Gruppen und offenbar sogar auf Dating-Plattformen kontaktiert und mit Strategien wie Love Bombing in Scheinfreundschaften hinein manipuliert. Im Anfangsstadium geht es nicht um die Eliminierung von Feinden. Es geht um Katzenbilder. Um Gutenacht- und Gutenmorgengrüße, um harmlose Witze. Um eine glückliche, freie Welt, die am Horizont aufscheint und den Alltag überstrahlt.

Jede Radikalisierung ist die Geschichte einer Verführung. Zu einer Verführung gehört das Glück des Anfangs. Wer ehrlich überzeugt ist, die Lösung für die Probleme der Welt gefunden zu haben, wer glaubt, tiefe und unverbrüchliche Freundschaft zu erleben, ist glücklich. Deswegen erleben Familie und Freunde die frühen Phasen der Radikalisierung nicht als Warnzeichen, auch wenn sich schon erste Verhaltensänderungen zeigen, etwa in Form eines "züchtigeren" Kleidungsstils, einer Vernachlässigung alter Freundschaften, nächtelanger Computersessions, einer Fixierung auf religiöse Alltagsregeln oder ständige Verweise auf germanisch-heidnische Geschichte. Oft wird erst, wenn der Honeymoon vorbei ist, für das Umfeld sichtbar, was geschieht.

Eine radikale Ideologie bedeutet nur kurzzeitig psychische Entlastung. Eine Heldengeschichte funktioniert auf Dauer nur, wenn ihr Protagonist auch Heldentaten vollbringt. Eine Einzelperson aber, die in einem demokratischen System lebt, kann nicht auf die Schnelle ein Germanisches Reich, das Kalifat oder den Himmel auf Erden einläuten. Sobald die radikalisierte Person ihr Heldennarrativ als gefährdet erlebt, baut sich psychischer Druck auf. Es folgen häufig Versuche, das direkte Umfeld zu missionieren, inklusive aggressiver Ausbrüche, sobald jemand zu widersprechen wagt. Nach dem unvermeidlichen Scheitern der Missionierungsbemühungen wird die Frustration oft online ausagiert: Bei Twitter, in Kommentarspalten oder als Drohmails an Politiker oder Journalisten. Wenn jetzt nicht interveniert wird, droht der Betroffene in einen Teufelskreis abzurutschen. Er wird immer radikalere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um sein erklärtes Ziel zu erreichen.

Wie lässt sich mit solcher Wut umgehen? Online werden meist zwei Strategien propagiert; beide aber verschlimmern eher das Problem. Die erste Strategie kann man als Rhetorikpingpong bezeichnen. In dem lebhaft diskutierten Werk Mit Rechten reden etwa behaupteten Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, es seien vor allem pointierte Rückfragen nötig, um rechtsradikale Weltsichten in sich zusammenfallen zu lassen. Auch NGOs plädieren gern für "Gegenrede" und bewerben Argumentationsworkshops. Einer radikalisierten Person aber geht es oft gar nicht um die Inhalte, die sie permanent propagiert. Es gibt zahlreiche Beispiele von Menschen, die von einer Sekte in die nächste geschlittert, vom Links- zum Rechtsextremismus oder auch vom Rechtsextremismus in den Islamismus gewechselt sind. Ideologien sind Vehikel, um das eigene Leben als Heldengeschichte erzählen zu können; ihre Inhalte sind austauschbar.

Wer also mit Verschwörungstheoretikern konfrontiert ist, muss sich nicht über QAnon und Adrenochrom einlesen. Mehr noch: Er sollte es lassen. Sich mit solchen Inhalten auseinanderzusetzen, löst im besten Fall Unverständnis, im schlechtesten Fall Wut aus, die ein konstruktives Gespräch erschweren können. Der Versuch rein faktenbasierter Entkräftung ist fast immer Zeit- und Energievergeudung: Selbst nicht radikalisierte Menschen verarbeiten Informationen nicht objektiv und wehren unbewusst Fakten ab, die ihr Weltbild ins Wanken bringen könnten. Bei radikalisierten Personen ist die jeweilige Ideologie so stark mit dem persönlichen Lebenssinn verwoben, dass jede inhaltliche Entkräftung wie ein lebensbedrohlicher Angriff wahrgenommen wird. Das kann gerade online, wenn sich der Radikalisierungsgrad des Gegenübers nicht einschätzen lässt, sehr gefährlich werden.

Die zweite Strategie wählen die meisten: blockieren (online) oder Kontaktvermeidung (offline). Online mag das ratsam sein, offline aber gilt es, eines zu bedenken: Angehörige und Freunde sind die mächtigste Allianz gegen Radikalisierung. Ihr Rückhalt kann Menschen am besten dabei helfen, gewalttätige Gangs, Sekten oder terroristische Vereinigungen hinter sich zu lassen. Akteure wie Women without Borders oder Girds arbeiten seit Jahren mit Angehörigen, im Speziellen Müttern, von radikalisieren Personen. Im Fokus stehen hier nicht Argumente, sondern persönliche Bindung und deeskalierende Kommunikation.

Psychologisch fundierte Unterstützung wird in Deutschland vor allem im Bereich Islamismus und Rechtsextremismus angeboten. Angesichts der Scham, die Angehörige und Freunde oft empfinden – wer gibt schon gern zu, dass der eigene Partner gerade zum Reichsbürger wird oder die eigene Mutter bei Hygienedemos mitläuft? –, bräuchte es mehr professionelle Beratungsangebote auch für andere Formen der Radikalisierung.

Wer mit einer radikalisierten Person konfrontiert ist, erlebt Abwertung und Aggression. Er muss in Betracht ziehen, eine Beratungsstelle oder auch die Polizei zu kontaktieren, sobald Gewaltfantasien geäußert werden. Er muss Zeit und Kraft aufbringen, ohne zu wissen, ob seine Mühe irgendwann Früchte tragen wird. Es ist niemandem vorzuwerfen, sich schützen zu wollen und den Kontakt zu einer radikalisierten Person abzubrechen. Man muss sich aber bewusst sein, dass damit das Problem nicht gelöst wird.

Der Psychologe Ahmad Mansour erklärte den Erfolg der islamistischen Ideologie bei Jugendlichen einmal folgendermaßen: "Salafisten sind die besseren Sozialarbeiter." Familien sind, um es mit den Worten Daniel Köhlers zu sagen, "lebende Gegenerzählungen". Sie kennen die radikalisierte Person besser als jeder Menschenfänger. Aus ihrem Wissen über Stärken, Wünsche, Verletzlichkeiten, Werte und Lebensziele einer Person kann die Geschichte einer Heldenreise entstehen, für die der Held oder die Heldin nicht den Boden humanistischer Werte verlassen muss.


Aus: "Umgang mit Verschwörungstheoretikern: It's the family, stupid" Dana Buchzik (6. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-06/umgang-mit-verschwoerungstheoretikern-deradikalisieung-rechtsextremisten-strategien-verhalten/komplettansicht

Quote
Pascal Kaap #22

Es faellt mir extrem schwer voellig abgedrifteten Leuten mit Respekt zu begegnen. Es ist wie mit Trump: Waer es nicht so dermassen traurig, koennte man drueber lachen.

Man bleibt erstaunt zurueck.


QuoteInana77 #8

Aus meiner Sicht wäre es erst mal sinnvoller, das Thema etwas genauer zu beleuchten. Man hat inzwischen teilweise den Eindruck, dass die große, große Verschwörungstheorie-Problematik eine Art Medien-Hype ist, die völlig verschiedene Themen in einen Topf wirft - von ernsthaften politischen Radikalisierungen, zu Ken Jebsen- und Kopp-Verlag-Fans, die die Inhalte oft nur bedingt glauben, zu Leuten, die einfach anderer Meinung in einigen Punkten sind. Und mit denen muss man natürlich unterschiedlich umgehen.
Richtig ist sicher, dass persönlicher Kontakt erfolgreicher, als belehrende Gegenfragen, die dann oft auch nicht sehr fundiert sind.


QuoteSchmittie #4

... Will ich Leute wirklich erreichen, sollte ich ihnen nicht sofort ein "Schandmal" aufsetzen ("Pack", "Kopftuchmädchen", "Nazis", "Linksfaschisten" ...), sondern erstmal zuhören, "annehmen", Verbindung schaffen. Erst Gefühl, dann Verstand (und Bewertung vielleicht erstmal komplett lassen...). Theoretisch Küchenpsychologie, praktisch extrem schwierig. Hier hätte ich mir noch mehr Anregungen gewünscht.


QuoteNorthi05 #5

Wer legt fest, was Verschwörungstheoretiker bzw. Verschwörungstheorien sind?


QuotekleinerDrache #12

Nähe?

Ich möchte Menschen die Meinung nicht auf Fakten bilden nicht nah sein, hab es versucht und bin schwer enttäuscht worden.
Erst ist es nur ein Verschwörung und bei längerem zuhören werden es immer mehr absurde Mythen!

Nein Danke


QuoteDenkprozess #6

Wie schön wäre es, alle Probleme dieser Welt durch Nähe lösen zu können. Ein bisschen kuscheln und der Weltfrieden ist da. Wenn Jugendliche in die Pubertät kommen ist die Abgrenzung zum Elternhaus geradezu Pflicht. Hier helfen Nähe aber vielmehr Berechenbarkeit, Konsequenz und die Fähigkeit, nicht alles auf die Goldwaage zu legen. Wenn das Kind das Gefühl behält geliebt und beschützt zu sein ist schon fast alles gewonnen.
Das hat mit Verschwörungstheorien so gar nichts gemein. Diskussionen sind zwecklos. Und Nähe bringt auch nichts mehr. Hier muss die Gesellschaft nur verhindern, dass kein Schaden entsteht.


QuoteAm Anfang war Vernunft #9

Endlich mal ein sinnvoller Artikel über die Art und Weise, wie man mit Gefährdeten und Radikalisierten umgehen kann.
Seit Jahren habe ich solchen Menschen nicht die Gemeinschaft verweigert - aber einer alleine schafft das nicht.
In den NBL, wo ich lange lebte, wurde die offene rechtsradikale Gesinnung immer deutlicher und immer ungenierter "ausgelebt".
Meine liberalen Bekannten waren einfach zu feige, sich offen zu meine Versuchen zu stehen, bei Feiern "Auswüchse" zu begrenzen ... so dass ich letztlich wieder in die ABL zurückgezogen bin.

Der hier geschilderte Ansatz, der Nähe, der familiären Bezüge - ist theoretisch okay; die andere Seite ist die konsequente Ahndung durch den Staat.
Das heißt, es muss angezeigt werden, wenn Volkshetze passiert, wenn zu Gewalt aufgerufen wird ... und es müssen Strafen verhängt werden, die soziale Fortbildung beinhalten.
Ist ein Täter entlarvt, angeklagt und verurteilt ... dann ist es wichtig, dass ihm die gesellschaftliche Nähe nicht entzogen wird, als zwischen Mensch und Tat unterschieden wird.

Ich wage zu bezweifeln, ob es bei Hardlinern, die ein gewisses Alter überschritten haben, "greift", weil internalisierte Formen des Denkens und Handelns nicht aus den Köpfen gehen. Da hilft dann nur die harte Strafe und notfalls die dauerhafte Verwahrung ... und zuvor der deutliche staatsrechtliche Hinweis, dass ebensolche droht.
Ich wünschte, es wäre anders.


QuoteWiesner.G #10

// wer gibt schon gern zu, dass der eigene Partner gerade zum Reichsbürger wird oder die eigene Mutter bei Hygienedemos mitläuft? //

Der Autor und somit auch ZON betreiben mal wieder Framing par excellence.
Wenn ein Fünftel der deutschen Bevölkerung sich von den großen Medien getäuscht fühlen, dann liegt das vor allem an solchen diffamierenden Artikeln.
Schreiben Sie gerne über Sekten und deren Methoden. Aber werfen Siie sie nicht in einen Topf mit der großen Mehrheit der Menschen auf den Demos für Grundrechte, denen diese VTs und die Netzwerke die dahinter stehen fremd sind.
Tun Sie es doch, haben Sie verdient was Ihnen immer öfter entgegenschallt.


QuoteBodycheck #11

Danke für diesen Artikel. Er beschreibt sehr gut, wie die Wirkungsweise von Bedürftigkeit und Gehirnwäsche funktioniert.
Es wird deutlich, dass Kampf und Abwertung nicht hilfreich ist. Jeder der auf diese Karten setzt, muss sich dann also hinterfragen, was seine Beweggründe sind, ob es ihm um Veränderung und ein beserres Miteinander geht, oder doch nur um Selbstbefriedigung. ...


QuoteAm4ranth #13

Guter Artikel, jedoch wenn gleich mehrere Personen aus dem eigenen Umfeld abrutschen, durch verschiedene esoterische Strömungen beeinflusst, dann wird es schwierig. Diese Menschen meinen, die Wahrheit zu kennen. Und man selbst wird belächelt mit dem wiasendem Blick einem Schlafschaf gegenüber zu sitzen. Das muss sich keiner bieten lassen in meinen Augen. Seit Jahren bin ich dabei mit meinen Eltern darüber zu streiten, bin jedoch nicht gewillt den Kontakt abzubrechen, eben aus den im Artikel genannten Gründen. Jedoch ist die Radikalisierung irgendwann so weit fortgeschritten, dass man keine Grundlage mehr hat, weil alles uns umgebende angezweifelt wird.
Hier meine Kritik am Artikel: Es muss nicht gleich QAnon sein, es geht viel subtiler: jegliche Heilpraktikerausbildung öffnet Tür und Tor für so Dinge wie heilige Geometrie, Wasserfilteranlagen, um unser von der Industrie verdorbendes Wasser zu reinigen oder Essential Oils. Das ist viel subtiler und plötzlich wird sich nicht mehr geimpft, die pharmalobby ist übermächtig und so weiter. ...


QuoteLadyCapulet #24

Ein Problem ist, dass Radikalisierte sich dorthin bewegen, wo sie eine gleichgesinnte Schicksalsgemeinschaft finden. Bei der Moon-Sekte, dem IS oder der 'Transzendentalen Meditation' hat man sich körperlich aus dem öffentlichen Leben in die Gruppe begeben. Bei den 'Verschwörungstheoretikern' geschieht dies online in der Weise, dass sie sich vom pluralen und freien Internet in eine Meinungsblase bei Facebook oder WhatsApp zurückziehen oder nur noch über 'alternativen Medien' Meinungen einholen und kommunizieren. Dort kann man die Person schwerlich erreichen, der zu suchende Kontakt ist schon abgebrochen.


QuoteSunTsu #17

"Trolle oder Sektenmitglieder, Verschwörungsgläubige, Islamisten oder Neonazis agitieren schon seit Langem, auch in unserer Mitte. Doch menschenfeindliche Ideologien werden oft erst dann als Problem erkannt, wenn sie nicht nur den privaten, sondern auch den öffentlichen Frieden bedrohen."

Dazu zwei Anmerkungen:

1. "Als Verschwörungstheorie wird im weitesten Sinne der Versuch bezeichnet, einen Zustand, ein Ereignis oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken einer meist kleinen Gruppe von Akteuren zu einem meist illegalen oder illegitimen Zweck.
Das Wort wird zum Teil sachlich-analytisch verwendet, zum Teil abwertend oder als Kampfbegriff."

Seien wir also auf der Hut, wenn vor allem die Herrschenden, den "Verschwörungstheorie" geschickt als abwertenden Kampfbegriff nutzen, um Kritik abzuwehren. Wer den Begriff als Kampfbegriff nutzt, impliziert, er habe Recht, die anderen sind verblendete Spinner.

Hätte ich z.B. in den 90er Jahren gesagt, dass die CDU durch eine umfangreiche illegale Spendenpraxis reicher Gönner finanziert wurde - natürlich mit dem Ziel der Einflussnahme - und besonders die Hessen-CDU das Schwarzgeld in der Schweitz als "jüdisches Flüchtlingsgeld" deklariert, hätte mir keiner geglaubt. Ich hätte als Spinner und Verschwörungstheoretiker gegolten. Dabei war alles noch viel schlimmer und umfangreicher... (Wikipedia: CDU-Spendenaffäre).


...
#2139
Quote[...] Chiles Gesundheitsminister scheint sein eigenes Land nur schlecht zu kennen. ,,Ich hatte keine Ahnung vom Ausmaß der Armut und der Enge, in der diese Menschen zusammenleben", sagte Jaime Mañalich vor wenigen Tagen.

Er sprach jüngst über die Armenviertel am Rande der Hauptstadt Santiago de Chile. Sie erweisen sich derzeit als eines der großen Probleme beim Versuch, das Coronavirus einzudämmen.

Denn rund 15 Prozent der Chilenen, die infiziert sind, gehen mindestens einmal pro Woche arbeiten, wie eine Studie der Universidad de Chile zeigt. Es sind Menschen, die im informellen Sektor beschäftigt sind und ohne ein wenig Einkommen nicht überleben könnten.

Ihre Wohnverhältnisse wiederum sind so beengt, dass sich das Coronavirus in ihren Vierteln explosionsartig ausbreitet. Wegen der prekären Situation kam es Ende Mai bereits zu Protesten in einigen Armensiedlungen an der Peripherie Santiagos. Es gab Plünderungen und Festnahmen.

Sie zögen es vor, am Coronavirus zu sterben als zu verhungern, sagten die Demonstranten der spanischen Zeitung ,,El País". Wie in anderen Ländern Lateinamerikas zeigt sich auch in Chile, dass die Armut eins der größten Hindernisse ist, um die Kurve der Covid-Infektionen abzuflachen.

Derzeit verzeichnet Chile mehr als 105.000 Covid-19-Fälle und fast 1200 Tote. Es sind zwar Zahlen, die weit unter denen Brasiliens liegen, das in Südamerika die Statistik der Kranken und Toten anführt. Dennoch zählt auch Chile zu einem der Krisenherde der Pandemie, weil die Rate der Ansteckungen immer noch stark steigt.

Es wird nun befürchtet, dass Chiles Gesundheitssystem mit der Zunahme gravierender Fälle ans Limit geraten könnte.

Gesundheitsminister Mañalich hat zugegeben, dass man mit diesem Szenario nicht gerechnet hatten. ,,Unsere Projektionen sind wie ein Kartenhaus zusammengefallen", sagte er. Chiles Regierung hatte eigentlich schon Ende April damit beginnen wollen, die strengen Quarantänemaßnahmen zu lockern und die ,,sichere Rückkehr" zu einer ,,neuen Normalität" zu verkünden. Diese ,,Normalität" will sich jedoch bis heute nicht einstellen.

Wegen der Krise hat der konservative Präsident Sebastián Piñera nun die Opposition trotz großer Animositäten zur Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans eingeladen. Wie überall in Südamerika hat die Pandemie auch Chiles Wirtschaft besonders hart getroffen.

Der Zentralbank zufolge schrumpfte sie im April um 14 Prozent, ein ,,einmaliger" Negativwert, wie die Regierung geschockt betonte. Sie hat bereits ein Paket zur Stimulierung der Wirtschaft in Höhe von 17 Milliarden Dollar präsentiert, das Kredite für Kleinunternehmer vorsieht sowie finanzielle Hilfen für die Arbeiter im informellen Sektor.

Außerdem sollen 2,5 Millionen sogenannte Lebensmittelkörbe verteilt werden.

Präsident Piñera ist offenbar bemüht, eine Wiederholung des Szenarios von Ende 2019 zu verhindern. Damals gingen Millionen Chilenen wochenlang für eine gerechtere Nation auf die Straße. Das Land zählt zu den wirtschaftlich stärksten Ländern Südamerikas, doch der Reichtum ist extrem ungleich verteilt.

Selbst Angehörige der Mittelklasse müssen ums Überleben kämpfen, weil die Lebenshaltungskosten unverhältnismäßig hoch sind. Auch für Bildung und Gesundheit müssen sie enorme Summen aufwenden, weil beide privatisiert worden sind.

Die Demonstrationen mündeten in teils extremer Gewalt, zwei Dutzend Menschen starben, mehr als Tausend wurden verletzt. Schließlich einigte sich Präsident Piñera mit der Opposition auf ein Referendum über eine neue Verfassung, in der auch soziale Rechte verankert werden sollten.

Sie sollte die alte Verfassung ersetzen, die noch aus der Zeit des Diktators Augusto Pinochet stammt. Das Referendum war für den 26. April angesetzt. Dann kam Corona – und stellte das Land vor eine neue Herausforderung, ohne dass das Verfassungsproblem gelöst war. Die Volksabstimmung ist nun für Oktober geplant

Der Wirtschaftsrat für Lateinamerika und die Karibik warnt davor, dass sich durch die Coronakrise weiterer sozialer Sprengstoff in Chile ansammeln dürfte, weil sie die strukturellen Defizite des Staates offenbare. Selbst Chiles Gesundheitsminister wird offenbar auf diese gerade aufmerksam.


Aus: "Pandemie in Chile: ,,Wir sterben lieber am Virus als zu verhungern"" Philipp Lichterbeck (04.06.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/pandemie-in-chile-wir-sterben-lieber-am-virus-als-zu-verhungern/25887060.html
#2140
Quote[...] Mehr Geld für Familien und Kommunen, Entlastungen beim Strompreis – und eine Senkung der Mehrwertsteuer: Mit einem riesigen Konjunkturpaket will die schwarz-rote Koalition die Wirtschaft in der Corona-Krise ankurbeln. Das Paket umfasst 130 Milliarden Euro. 120 Milliarden Euro entfallen laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf den Bund. Zur Deckung der Ausgaben müssten neue Schulden aufgenommen werden.

Merkel sprach von einem guten Ergebnis. Es gehe darum, die schwerste wirtschaftliche Krise in den Griff zu bekommen. Diese zeige sich an den mehr als sieben Millionen Kurzarbeitern. Das alles brauche eine mutige Antwort. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) fasste es mit den Worten zusammen: "Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen." In einem 15-seitigen Papier haben die Verhandler 57 Maßnahmen festgelegt.

Die größte Überraschung war, dass die Regierungsparteien sich auf eine Senkung der Mehrwertsteuer einigten. Vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 soll der Mehrwertsteuersatz von 19 auf 16 Prozent und für den ermäßigten Satz von 7 auf 5 Prozent gesenkt werden. Diese Maßnahmen werden den Staat 20 Milliarden Euro kosten.

Die Verbraucher sollten die Mehrwertsteuer-Senkung in den kommenden Monaten auch im Portemonnaie spüren, sagte der Vizekanzler. Er erwarte, dass die Wirtschaft sie nicht zu ihrem Vorteil nutze, sondern an die Bürger weitergebe.

Eine mögliche Fristverlängerung der Mehrwertsteuerregelung ist laut Angaben des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nicht ausgeschlossen. Voraussetzungen dafür seien eventuelle Rückschläge in der Corona-Pandemie im Herbst oder dass sich die Wirtschaft nicht erhole.   

Auch Familien sollen finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Die Spitzen von Union und SPD haben sich dafür auf einen Kinderbonus von einmalig 300 Euro pro Kind geeinigt, der mit dem Kindergeld ausgezahlt werden soll. Das sei eine wichtige "Sache der Gerechtigkeit", diene aber auch der Unterstützung der Konjunktur.

Außerdem sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei den Stromkosten entlastet werden. Dafür soll die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostrom-Anlagen ab 2021 über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt abgesenkt werden, wie aus einem Beschlusspapier hervorgeht.

Die finanziell schwer getroffenen Kommunen bekommen wegen der Coronavirus-Krise Milliardenhilfen vom Bund. Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen von Bund und Ländern sollen zusammen ausgeglichen werden. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte, die enorme Entlastung werde die Kommunen investitionsfähig machen. Außerdem will der Bund weitere Kosten für Unterkünfte übernehmen.

Zudem wurde eine zusätzliche Unterstützung in Milliardenhöhe für Branchen, die von der Coronavirus-Krise besonders belastet sind, beschlossen. Geplant sind Überbrückungshilfen im Umfang von maximal 25 Milliarden Euro. Damit soll eine Pleitewelle bei kleinen und mittleren Firmen verhindert werden. Außerdem soll es steuerliche Entlastungen geben, damit die Liquidität von Firmen gesichert wird und diese Spielräume für Investitionen haben.

Die Bahn soll vom Bund wegen Einnahmeausfällen in der Corona-Krise Milliarden-Hilfen bekommen. Demnach sollen zur Aufstockung des Eigenkapitals weitere fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Geplant sind außerdem Hilfen von 2,5 Milliarden Euro für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). 

Die schwarz-rote Koalition will auch Deutschlands Wäldern und der Holzwirtschaft helfen, mit 700 Millionen Euro zusätzlich. Das Geld solle für die Aufforstung, den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern bereitgestellt werden. Nach zwei Dürrejahren habe auch 2020 trocken begonnen, die Holzpreise seien – auch wegen der Corona-Pandemie – stark gesunken. Vergangenen Herbst hatten Bundesregierung und Länder bereits 800 Millionen Euro Nothilfen für Wälder angekündigt.

Außerdem will die Regierung mehr Geld in Zukunftstechnologien investieren – etwa für die Künstliche Intelligenz sowie für den Ausbau des neuen superschnellen Mobilfunkstandards 5G. Der digitale Wandel soll auch in der öffentlichen Verwaltung vorangebracht werden.

Dagegen entschieden sich die Verhandler gegen eine Kaufprämie für abgasarme Benziner und Dieselautos. Sie beschlossen allerdings deutlich höhere Prämien für Elektroautos. Vor allem die SPD hatte sich vehement gegen Prämien für Benziner und Diesel gestemmt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, mit der Senkung der Mehrwertsteuer für alle Motoren und Klassen und Preiskategorien könnten nicht nur die Hersteller, sondern auch die Gewerkschaften gut leben.


Aus: "Corona-Krise: Koalition einigt sich auf Konjunkturpaket" (3. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-06/koaltionsausschuss-einigt-sich-ueber-konjunkturpaket

-

Quote[...] Was das Konjunkturpaket dem Land bringt, wird man erst in einigen Monaten wissen. Aber dass es in der SPD für gute Stimmung sorgt, kann man schon am Morgen danach feststellen. Anders als noch beim Klimapaket, das parteiintern umstritten blieb, klingen die sozialdemokratischen Kommentare zum Ergebnis der zweitägigen Verhandlungen im Kanzleramt nach seltener Harmonie.

Das liegt einerseits daran, dass mit dem 300-Euro-Bonus für Kinder vielen etwas zukommt, ebenso wie die Senkungen der Verbrauchssteuern zumindest potentiell für alle einen kleinen Einkaufsvorteil bringen können. Investitionen für Schulen, Kitas und die Kultur entlasten kommunale Haushalte ebenso wie das zusätzliche Geld für kommunale Sozialleistungen. Das alles findet in der SPD breite Anerkennung. 

Die größten Verhandlungserfolge bestehen aus Sicht der Partei allerdings in dem, was nicht kommt. Das betrifft vor allem das Ausbleiben einer Kaufprämie für Benzin- oder Diesel-Autos. Dagegen hatte sowohl die SPD-Fraktion als auch die Parteispitze mobil gemacht. Der Widerstand hatte sich vor allem wegen der überaus arroganten Auftritte einzelner Auto-Manager und ihrer Verbandsspitze verhärtet. Spätestens, seit die Parteivorsitzende Saskia Esken zu Beginn der Gespräche im Kanzleramt erklärt hatte, dass es mit der SPD eine Kaufprämie nicht geben werde, war die SPD-Linie unverrückbar geworden, zumal das Vorhaben auch in der Union nur begrenzt Anklang gefunden hatte.

Bemerkenswert ist dabei der Einflussverlust der Niedersachsen-SPD. Stephan Weil, Ministerpräsident in Hannover und in Wolfsburg Repräsentant des Landes bei VW, hat offenbar keinen großen Einfluss mehr auf das Geschehen in der Parteiführung. Nun rächt sich der Absentismus, den Weil und andere in der letzten Führungskrise gezeigt hatten, indem sie schließlich einer unbekannten Digitalpolitikerin und einem pensionierten Landesminister den Vortritt ließen.

Olaf Scholz hingegen, eben noch Verlierer der monatelangen Kandidatenkür, hat sich offenbar mit dem Führungsduo Saskia Esken und Nobert Walter-Borjans bestens arrangiert. Auch der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich spielte im Team SPD eine eher stille, aber tragende Rolle. Gemeinsam und ohne Brimborium haben die Vier in den Verhandlungen Akzente gesetzt, ohne dabei krampfhaft roten Lack zu verpinseln. Vernunft und eine große Portion Hoffnung prägten die Verhandlungen, bei denen alle Beteiligten darauf verzichteten, parteipolitische Lieblingsprojekte durchzusetzen – so die Entschuldung der Kommunen für die SPD, die Ganz-Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die Union.

Abermals, wie schon in vielen anderen Verhandlungsrunden, beweist die SPD damit, dass ihr Beitrag zum Gemeinwesen etwas zählt. Die Koalition, die unter den Parteilinken noch vor einem halben Jahr als abzuschaffen galt, hat ihre nächste Bewährungsprobe in der Krise bestanden. Schwer auszudenken, wie es wäre, wenn die Partei den Wünschen etwa derjenigen gefolgt wäre, die noch vor Jahresfrist den sofortigen Ausstieg aus dem Regierungsbündnis verlangt hatten. Allerdings machen Vernunft und ruhiger Pragmatismus die SPD vielleicht in Hamburg populär, nicht jedoch bundesweit. Ganz ohne Charisma und visionären Schwung  geht es eben doch schwer voran. Und in dieser Hinsicht unterbieten Scholz, Esken, Walter-Borjans und Mützenich einander noch auf niedrigstem Niveau. Wenn das so bleibt, werden am Ende der Krise viele der SPD viel zu verdanken haben und doch wenige sie wählen.


Aus: "SPD und Konjunkturpaket : Seltene Harmonie dank großer Verhandlungserfolge" Peter Carstens, Berlin (04.06.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wer-dankt-der-spd-fuer-den-erfolg-beim-konjunkturpaket-16799947.html