Quote[...] Die für Samstag geplante Demonstration von Kritikern der Corona-Politik darf nicht stattfinden. Die Versammlungsbehörde hat am Mittwoch entschieden, dass mehrere angemeldete Demonstrationen nicht stattfinden dürfen. Das teilte die Innenverwaltung am Vormittag mit.
Begründet wird das Verbot damit, dass "es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird".
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) begrüßte die Entscheidung: ,,Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz."
Man sei weiter in der Pandemie mit steigenden Infektionszahlen. "Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden."
Die Organisatoren, die Stuttgarter Initiative Querdenken 711, will das Verbot nicht hinnehmen. ,,Wir gehen juristisch gegen die Entscheidung des Innensenators vor und gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht diesen feindlichen Angriff auf das Grundgesetz zurückweisen wird", teilte der Initiator der Demonstration, Michael Ballweg, am Mittwoch mit. ,,Diese, wie die anderen Versammlungen von Querdenken in Berlin werden stattfinden."
Ballweg erklärte, die Initiative Querdenken habe ,,mehrere sehr gute Kooperationsgespräche mit der Polizei" geführt, ,,in denen wir insbesondere die Problematik der Hygienekonzepte gut und kooperativ miteinander abgestimmt haben." Er fügte hinzu: ,,Ganz offensichtlich geht es dem Berliner Innensenator Andreas Geisel nicht um infektionsschutzrechtliche Befürchtungen, die seine eigene Polizeibehörde nicht teilt, sondern ausschließlich um die Gesinnung der Teilnehmer."
Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte, man werde eine mögliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts abwarten und wenn nötig, dann auch den Rechtsweg bis zum Oberverwaltungsgericht gehen. Vorwürfe, das Verbot sei wegen der politischen Intention der Demonstranten erfolgt, wies er zurück: ,,Der Senat misst nicht mit zweierlei Maß. Es wird im Einzelfall entschieden. Es gibt nicht links erlauben, rechts verbieten. Das ist Unsinn."
,,Wir werden sehen, wie die Gerichte dazu entscheiden", sagte der Innensenator bei einer Pressekonferenz am Mittwochmittag. Es sprach davon, dass es den Demonstrierenden nicht darum geht, gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, sondern das sich deren Anliegen gegen ,,unsere Freiheit" richtet.
Er zeigte sich besorgt, dass es am Wochenende zu Gewalt kommen könnte. Es habe erhebliche Drohungen gegen seine Behörde und die Polizei im Zuge des Demoverbots gegeben. Das verdeutliche in seinen Augen das Gefährdungspotenzial des Teilnehmerspektrums.
Nachdem bei einer Großdemonstration am 1. August Zehntausende Corona-Gegner ohne Abstand und bewusst ohne Mund-Nasen-Schutz demonstriert hatten, war ein Verbot von weiteren Anti-Corona-Protesten wiederholt gefordert worden.
Der Innenverwaltung zufolge habe die Versammlung von Anfang August den Ausschlag für die Entscheidung der Versammlungsbehörde gegeben. Wie bereits vor einigen Wochen hatte auch dieses Mal die Stuttgarter Initiative "Querdenken 711" in ganz Deutschland für die Proteste mobilisiert und Reisebusse gechartert.
"Die Anmelder der Versammlungen, die Anfang August in Berlin stattfanden, haben ganz bewusst die Regeln gebrochen, die sie vorher in Gesprächen mit der Polizei akzeptiert hatten", sagte Geisel. Dazu gehörten das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und das Einhalten des 1,5-Meter-Abstands. "Ein solches Verhalten ist nicht akzeptabel. Der Staat lässt sich nicht an der Nase herumführen", sagte der Innensenator.
Laut einem Schreiben, das der Organisator der Demonstrationen, Michael Ballweg, an seine Unterstützer schickte, hat die Versammlungsbehörde alle Kundgebungen vom 28. August bis zum 6. September verboten - inklusive möglicher Ersatzversammlungen der Anmelder.
Ballweg postete das in einer internen Chatgruppe. Demnach wurden die Demonstrationen nach Paragraf 15 des Versammlungsgesetzes untersagt. Dieser besagt, dass Demonstrationen verboten werden können, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist.
In den zahlreichen Social-Media-Gruppen der "Querdenker" herrscht in Reaktion auf das Demo-Verbot eine regelrechte "Jetzt erst Recht!"-Stimmung.
So ruft unter anderem der in der Szene bekannte Aktivist und Verschwörungstheoretiker Oliver Janich in einer Sprachnachricht seine Anhänger dazu auf, sich ungeachtet des Verbots am Samstag in Berlin zusammenzufinden.
Gleiches verbreitet Attila Hildmann, veganer Kochbuch-Autor und antisemitischer Verschwörungstheoretiker, dessen regelmäßige Versammlungen bereits Ende Juli von der Innenverwaltung wegen Volksverhetzung und drohender Verletzung der Corona-Maßnahmen verboten worden ist.
Ein User in der Telegram-Gruppe der Berliner ,,Corona-Rebellen" schreibt: ,,Das war abzusehen, jetzt bloß nicht einschüchtern lassen! Jetzt erst recht nach Berlin". Vielfach geteilt wird ein Bild mit der Aufschrift ,,Der Vorteil einer verbotenen Demo ist, es gibt keine Auflagen."
Weitere Nutzer des Messengerdienstes Telegram ziehen zwischen dem samstäglichen Verbot der ,,Querdenken"-Demo Parallelen zur DDR. Der bekannte Musiker und Verschwörungstheoretiker Xavier Naidoo ließ über seinen eigenen Telegram-Kanal die Nachricht verbreiten ,,Was schlägt die Uhr: Dikatatur".
Innensenator Geisel kündigte zudem ein konsequentes Vorgehen der Polizei an, sollten sich am Samstag trotz Verbot große Menschenansammlungen bilden. ,,Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.
Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen."
Der Innensenator äußerte sich in der Mitteilung außerdem zu angekündigten Zeltlagern in Berlin. ,,Wir dürfen nicht zulassen, dass Berlin zu einem großen Campingplatz für vermeintliche Querdenker und Verschwörungsideologen gemacht wird."
Die Versammlungseigenschaft eines Zeltlagers sei nach Auffassung der Versammlungsbehörde nicht gegeben, da anzunehmen sei, dass Zeltlager hauptsächlich für Übernachtungszwecke genutzt werden.
Während sich Abgeordnete der Linken, Grünen und SPD positiv zu dem Verbot äußerten, kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Berliner AfD, Georg Pazderski, die Entscheidung scharf: "Jetzt hat der Senat eine Grenze überschritten! Unabhängig von der Frage der Zustimmung zu den Inhalten der Demo, ist ein Verbot absolut unverhältnismäßig und damit in keiner Weise gerechtfertigt."
Aber auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken, Halina Wawzyniak, kritisiere das Verbot. Sie schrieb auf Twitter: "Habe null Sympathie für rechtsoffene Demo am Samstag. Bin für Proteste gegen diese in Sicht- und Hörweite." Aber das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit mit der vorgelegten Begründung einzuschränken sei nicht überzeugend, schrieb sie. "Da gibt es mildere Mittel." (mit dpa)
Aus: "Berlin verbietet Corona-Demos – Organisatoren wollen das nicht akzeptieren" Felix Hackenbruch, Julius Betschka, Julius Geiler (26.08.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/erwartete-verstoesse-gegen-infektionsschutzverordnung-berlin-verbietet-corona-demos-organisatoren-wollen-das-nicht-akzeptieren/26128346.html