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Messages - Link

#1861
Quote[...] Wann fühlt sich ein Orgasmus für Frauen besser an: Wenn sie sich selbst befriedigen oder wenn sie mit einem Mann schlafen? Shere Hite war Anfang 30, als sie mit anderen Feministinnen in New York zusammensaß und diese Frage diskutierte. Das war 1972, Hite engagierte sich da erst seit Kurzem feministisch. Weibliche Sexualität war das große Thema. 

Die Frauen konnten sich nicht einigen, ob ein Penis nun wichtig war. Irgendwann schwiegen die meisten von ihnen, dann schlug eine vor, Shere Hite sollte der Frage nachgehen. So erzählte es Hite später in ihrer Autobiografie. Sie hatte für ihre Dissertation ohnehin über weibliche Sexualität forschen wollen, was an der Columbia University in New York nicht ging. Nun tat sie es als Leiterin des Feminist Sexuality Project der National Organization of Women.

Sie verschickte 3.000 Fragebögen an Frauenorganisationen im ganzen Land. "Masturbieren Sie gerne?", fragte sie darin etwa, oder "Täuschen Sie manchmal einen Orgasmus vor?" Hite bekam seitenlange Berichte zurück. Frauen erzählten davon, wie genau sie masturbierten, warum ihnen Sex mit Männern oder mit Frauen wichtig war. Shere Hite veröffentlichte die Antworten 1976 in ihrem Buch The Hite Report: A Nationwide Study of Female Sexuality (auf Deutsch erschien Das sexuelle Erleben der Frau ein Jahr später). Es war eine Studie, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte, mehr als 500 Seiten über Sex aus weiblicher Perspektive.

Mit dem Hite-Report hat Shere Hite Frauen eine mächtige Stimme gegeben, die bis heute viele fasziniert. So direkt und offen waren die Berichte. So vielseitig hatten Frauen nie über Sex gesprochen. Manche derer, die auf die Fragebögen antworteten, waren wütend, andere nachdenklich. Ihre Berichte wurden breit diskutiert, ja, über sie wurde gestritten. Das Buch wurde knapp 50 Millionen Mal verkauft. Feministinnen fühlten sich darin bestätigt, dass weibliche Sexualität immer noch weitgehend unterdrückt war. In der feministischen Forschung kommt bis heute niemand daran vorbei. Hites Fragebögen waren ein feministischer Coup.

Der Hite-Report erschien auf dem Höhepunkt des Siebzigerjahre-Feminismus – in den USA auch "Zweite-Welle-Feminismus" genannt. Die "erste Welle" hatte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem um das Frauenwahlrecht bemüht. In den Siebzigerjahren beschäftigten sich Feministinnen nun ausführlich mit dem weiblichen Körper, mit sexuellen Normen, mit Vergewaltigung, Homosexualität, Pornografie. Die Autorin Erica Jong schrieb Fear of Flying (1973), einen Roman über die sexuellen Fantasien der Protagonistin. Das Buch prägte den Begriff des "zipless fuck", der meint, dass man als Frau auch einfach Bock auf Sex haben kann. 

Die Frauen, die Hites Fragebögen ausfüllten, fühlten sich allerdings gar nicht frei. Viele von ihnen hielten die sexuelle Liberalisierung, die die Popkultur und die Mode seit den Sechzigerjahren versprachen, für eine Illusion. Shere Hite zeigte in ihrem Buch genau dies: Wie sehr Vorstellungen von weiblicher Sexualität an alte Mythen gekettet waren. Im Hite-Report geht es vor allem um den des weiblichen Orgasmus.

Sexualforscherinnen und -forscher wie Virginia Johnson und William Masters oder Helen Kaplan hatten bereits in den Sechzigerjahren gezeigt, dass jeder Orgasmus auf die Stimulierung der Klitoris zurückgeht. Die Frauen, die Hite antworteten, unterschieden in ihren Antworten aber selbst immer wieder zwischen einem "klitoralen Orgasmus" ("without a penis inside") und einem "vaginalen Orgasmus" ("with a penis inside"). Nach wie vor herrschte die patriarchale Idee, dass ein Orgasmus während der Penetration mehr bedeuten musste als einer während der Selbstbefriedigung. Auf Hites Fragebögen schrieben die Frauen aber nun: "Mit Penis sind meine Orgasmen leichter, und sie verflüchtigen sich schneller", "schwer zu sagen, aber ich finde einen vaginalen Orgasmus eher verschwommen", "ich spüre weniger". Wenn sie sich selbst befriedigten, schrieben viele Frauen, "ist mein Orgasmus mehr fokussiert", "intensiver", "elektrifizierend".

So sehr die feministische Forschung die Studie beachtete, so sehr verurteilten andererseits vor allem männliche Kritiker Hite dafür. Sie warfen ihr vor, "Ehen zu zerstören", im Playboy nannte man ihr Buch "Hate Report". Vertreter der christlichen Rechten in den USA kritisierten Hite dafür, ihr eigenes "unorthodoxes" Verständnis von Familie zu propagieren.

Shere Hite selbst ist tatsächlich eher unkonventionell aufgewachsen. 1942 wurde sie als Shirley Diana Gregory im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri geboren, da war ihre leibliche Mutter 16 Jahre alt. Die trennte sich bald von Shirleys Vater, den Namen Hite bekam die Tochter vom zweiten Mann der Mutter, ihrem Stiefvater, der Shirley adoptierte. Sie selbst nannte sich Shere (ausgesprochen: "share"). Eine Weile lang lebte sie bei ihren Großeltern, später bei einer Tante in Florida. Ihr feministisches Engagement hat Shere Hite selbst einmal darauf zurückgeführt, dass sie "von drei Müttern" großgezogen worden sei.

Immer wieder wurde Shere Hite auch für ihre Forschungsmethode kritisiert. Die Antworten auf den Fragebögen seien "nicht repräsentativ" gewesen, "eine Art Journalismus im Wissenschaftsgewand", hieß es. Es hätten zu wenige Frauen geantwortet und wenn, dann vor allem solche, die in ihrer Ehe unglücklich gewesen seien. Die Fallbeispiele mochten eine bestimmte Perspektive zeigen. Doch was nicht von der Hand zu weisen war: Der Hite-Report zeigte, wie wenig bis dahin über weibliche Sexualität geforscht worden war. Bis heute beruft sich Sexualforschung auf Hite. 

Zugleich wurde die Kritik an Hite schon vor gut drei Jahrzehnten zunehmend persönlich. Da hatte sie zwei weitere Bücher veröffentlicht, Hite-Report: Das sexuelle Erleben des Mannes (1982) und Women in Love (1990). Hite erhielt daraufhin Drohbriefe, sah ihre Forschungsfreiheit eingeschränkt. 1989 zog sie mit ihrem deutschen Mann nach Köln, 1995 tauschte sie ihren US-Pass gegen einen deutschen ein. Sie lehrte weiterhin international, zuletzt länger in Paris. Am vergangenen Mittwoch ist Shere Hite im Alter von 77 Jahren gestorben.


Aus: "Die Frau, die Frauen eine mächtige Stimme gab" Sarah Schaschek (13. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-09/shere-hite-tot-sexualforscherin-feministin-nachruf/seite-2
#1862
Quote[...] 2006 hatte Christina Motejl von ihren Eltern erfahren, dass ihr sozialer Vater nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie war zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt. Sie bat Katzorke, den behandelnden Arzt ihrer Mutter, in einem Brief um Unterlagen der Uni-Klinik, mit denen sie Hinweise auf ihren leiblichen Vater finden könnte. Katzorke antwortete: nichts mehr vorhanden, ,,meines Wissens nach". Motejl gab nicht auf, sie erfuhr, dass die Klinik nur zehn Spender hatte, als ihre Mutter dort behandelt wurde. Damals war das Sperma noch nicht tiefgekühlt, also musste der Spender zur gleichen Zeit wie ihre Mutter in der Klinik gewesen sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1989 entschieden: Jeder Bürger hat ein Recht, seine eigene Abstammung zu kennen. Die Juristin Motejl weiß das, sie verklagte die Klinik. Diese erklärte, die Unterlagen seien geschreddert. Damals war die juristische Mehrheitsmeinung, dass Unterlagen nur zehn Jahre aufbewahrt werden müssten. Christina Motejl verlor vor Gericht. Die ,,Zeit" hatte den Fall detailliert beschrieben.
Motejl beschrieb ihre Geschichte auf einer eigenen Website und suchte Austausch mit anderen Spenderkindern. Irgendwann meldete sich Anne Meier-Credner. Zusammen mit weiteren Betroffenen gründeten sie 2009 den Verein ,,Spenderkinder". Danach entbrannte ein mediales Duell zwischen Christina Motejl und Katzorke. Immer ging es um das Schicksal von Spenderkindern. Katzorke schrieb etwa in einer Fachzeitschrift: ,,Familie ist eine soziale Konstellation; die sog. Blutsbande wurden in der Vergangenheit (...) überschätzt und mythisch erhöht." Motejl hielt öffentlich dagegen. Jahrelang ging das so. Niemand ahnte, dass sich hier Vater und Tochter stritten.

Christina Motejl gab die Suche nach dem Namen ihres Erzeugers nicht auf. Sie machte weitere DNA-Tests, ließ sie in einer Datenbank prüfen, erfuhr, dass sie in Kanada einen Cousin ersten oder zweiten Grades namens Guido hat. Dann fand sie eine Todesanzeige von Guidos Vater. Zu den Trauernden gehörte dessen Neffe ,,Dr. Thomas Katzorke of Germany". Sie wurde hellhörig. Ein zweites Labor schrieb ihr. Es gebe eine Übereinstimmung, Kürzel ,,TK".

Jetzt war für die Juristin klar: Thomas Katzorke ist der Mann, den sie so lange gesucht hatte. Er hatte seine DNA in einer Datenbank speichern lassen, warum, ist unklar.

Christina Motejl ist nicht die einzige, die einer Samenspende Katzorkes entstammt. In einem Interview mit der ,,Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" räumte der Mediziner 2019 ein, dass er an der Uniklinik Essen ,,zwei, drei Mal" sein eigenes Sperma zur Verfügung gestellt habe. Als Notlösung quasi. Ein Spender habe einen vereinbarten Termin platzen lassen, da sei er eingesprungen. Damals, als Christina Motejl gezeugt wurde, habe ,,Pionierzeit" geherrscht. Und in solchen Zeiten gehe es eben, auch was Dokumentationen betreffe, schon mal ein bisschen wild und unordentlich zu. Ob sich andere Kinder von Katzorke gemeldet haben, ist nicht bekannt.

... Motejl habe Katzorke einen Brief geschrieben, sagt Meier-Credner, sie hätten miteinander telefoniert, ein Treffen war angedacht, sei aber letztlich gescheitert. Katzorke habe nicht über Persönliches reden wollen. Auch auf eine Anfrage des Tagesspiegels reagiert er nicht, sein Anwalt teilt mit, er wolle vor dem Prozess keine Stellung nehmen. Auch Christina Motejl ließ eine Anfrage unbeantwortet.

...


Aus: "Frauen eigenes Sperma injiziert: Wenn Ärzte Vertrauen missbrauchen" Frank Bachner (14.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/frauen-eigenes-sperma-injiziert-wenn-aerzte-vertrauen-missbrauchen/26183324.html
#1863
Quote[...] Sexismus und sexualisierte Gewalt gehören zu unserem Alltag. Wir spüren die Blicke von Männern auf der Straße. Wir kennen das Gefühl, wenn unsere Körper gegen unseren Willen bewertet werden. Wir – Frauen, Lesben, inter und nichtbinäre Personen, Trans und Queers (FLINT*) – teilen die Erfahrung, objektiviert und sexualisiert zu werden. Schon in der Kindheit wurde uns gesagt, wie wir uns zu verhalten haben. Dass wir zu gefallen haben und gehorchen sollen. Und dass wir uns gleichzeitig vor Übergriffen schützen müssen. Es ist die Gewalterfahrung, die Erfahrung verletzbar zu sein und verletzt zu werden, die uns überall auf der Welt verbindet.

Anfang des Jahres 2020 wurde bekannt, dass ein Mann auf einem linken Festival, auf ,,Monis Rache", heimlich auf Dixie-Klos gefilmt hat. Er hat Videos von uns über das Streamingportal xHamster online angeboten, sie getauscht und verkauft. Solche Plattformen sind Räume, in denen Gewalt normalisiert wird und nicht konsensuelle Handlungen als ,,Porno" getarnt und vermarktet werden. Keine der gefilmten Personen wusste davon. Es gab Menschen im Umfeld des Täters, die von den Videos erfahren haben. Diese Personen haben unverantwortlich gehandelt, da sie sich ausschließlich mit dem Täter beschäftigt haben, aber weder Betroffene, noch Umfeld des Täters oder die Festivalorganisator*innen informiert haben.

Das ist nicht der erste Fall, das ist ein Beispiel von vielen.

Immer wieder versuchen Männer, Macht über unsere Körper zu bekommen. Nirgends sollen wir uns sicher fühlen, nicht einmal auf der Toilette. Heimlich werden FLINTS* gefilmt: beim Duschen, Pinkeln oder Umkleiden. Ungefragt wird auf der Straße unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografiert. Das zeigen zahlreiche Fotos und Videos im Internet, die dort ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung verbreitet und als "Porno" verkauft werden. Männer behaupten, sie würden mit den Videos ihrer ,,sexuellen Neigung" nachgehen. Doch es ist keine sexuelle Neigung, es ist kein Fetisch, wenn etwas gegen den Willen oder ohne das Wissen der Beteiligten passiert. Es ist eine gewaltvolle Ausübung von Macht, die unsere Selbstbestimmung und Persönlichkeit zutiefst verletzt. Das ist sexualisierte Gewalt!

...


Aus: "Demo: Rache am Patriarchat! My body is not your porn. Still <3ing my Choice" (Freitag, 14 Februar 2020)
Quelle: https://radar.squat.net/de/event/berlin/stressfaktor/2020-02-14/demo
#1864
Quote... "Stripperinnen sind entweder dumm und vögeln sich durch die Welt oder total geldgeil und eindimensional. Mit dem Kollektiv wollen wir mit diesem Stigma brechen." ...

Handelt ihr in eurem Job also immer selbstbestimmt?

Mia: Das ist auch so ein Argument von radikalen Feministinnen, das ich schon in mehreren akademischen Essays gelesen habe: Sexarbeiterinnen können gar nicht einvernehmlich handeln, Sexarbeit sei im Grunde Vergewaltigung. Das finde ich absurd. Warum müssen wir uns von radikalen Feministinnen bevormunden lassen, die an einem Schreibtisch sitzen und sich von Mami und Papi das Leben finanzieren lassen? Sie machen uns zum Objekt; zum reinen Gegenstand ihrer Argumente. Wenn wir sagen, dass wir einvernehmlich handelnde erwachsene Menschen sind, dann sind wir das. Das entscheiden wir und niemand anderes.

...


Aus: "Diese Berliner Stripperinnen brechen mit Klischees von Sexarbeit" Tim Geyer (11 September 2020)
Quelle: https://www.vice.com/de/article/qj45np/fotos-diese-berliner-stripperinnen-berlin-strippers-collective
#1865
Matthias Pöhlmann: "QAnon wächst in Deutschland rasant"
Sie halten Corona für eine Biowaffe und Trump für einen Erlöser: Die Anhänger von QAnon gewinnen auch hierzulande Einfluss. Ein Gespräch mit dem Sektenexperten Matthias Pöhlmann über die religiösen Bezüge der Bewegung und ihre Radikalisierung
Interview: Silke Weber (9. September 2020)
https://www.zeit.de/2020/38/matthias-poehlmann-qanon-bewegung-radikalisierung-corona?

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QuoteBiagobaer #31

Eine Freundin von mir glaubt auch daran. Sie war schon immer esoterisch angehaucht - Glaube an Engel / Rituale.

Sie weigert sich z.B.das Kreuzzeichen zu machen weil sie davon überzeugt ist , die Kirche habe dies eingeführt weil man damit seine Chakren verschließt.
Die Kirche will dass die Chakren verschlossen sind , weil sie so Macht ausüben kann.
Jetzt glaubt sie an unterirdische Bunker wo Kinder gequält werden um Adenochrom herzustellen.
Das hört sich ja komplett nach Wahnsinn an. Aber sie ist ein erfolgreicher Mensch. Fröhlich, kreativ, empathisch. Steht mit beiden Beinen im Leben. Im Beruf erfolgreich, beliebt....

Ich habe ihr auch gesagt dass ich total krass finde ,dass sie so einen Schwachsinn glaubt.

Sie sah mich mitleidig an. Ich würde auch noch aufwachen.Ich soll mich nicht verarschen lassen.Ich zähle noch zu den Schlafschafen.Weil ich mich beeinflussen lasse.Ich soll mal dieses und jenes lesen oder mir anschauen.....

Sie ist natürlich auch gegen Masken , findet dass Corona eine Erfindung ist. Will ich darüber diskutieren sagt sie " Wir sind freie Kinder Gottes "
Das ist Standardantwort auf kritische Nachfragen. Ich komme damit schwer klar.Ich will sie aber nicht als Freundin verlieren. Ganz schwierig....


...

Quote[...] Helena nahm an Black-Lives-Matter-Demos teil – ihre Mutter an den Ausschreitungen vor dem Kapitol. Wie sie einander in vier Jahren Trump fremd geworden sind.

"Hi Mom. Erinnerst du dich, wie du mir gesagt hast, ich solle nicht zu Black-Lives-Matter-Protesten gehen, weil sie gewalttätig werden könnten... Bist das du?" Mit diesen Worten teilte Helena Duke am 7. Januar auf ihrem Twitter-Account ein Video, auf dem eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von Trump-Anhänger*innen und einer Schwarzen Frau zu sehen war. Die 18-jährige US-Amerikanerin erkannte ihre Mutter unter den Demonstrant*innen. Die Szene spielte in Washington, D. C., einen Tag, bevor Trump-Anhänger*innen das Kapitol stürmten. Hier erzählt sie, was sie dazu bewegt hat, ihre Mutter öffentlich anzuprangern, und wie es sich anfühlt, wenn Familienmitglieder zu Trump-Supporter*innen werden.

Am Morgen nach dem Angriff auf das Kapitol in Washington, D. C. sah ich auf meinem Handy eine Instagram-Nachricht von meiner Cousine Patty: "dude... your mom". Ich wusste überhaupt nicht, was sie meinte, ich war gerade erst aufgewacht und mit meiner kleinen Schwester zu Hause. Auf meine Nachfrage schrieb sie mir "Oh shoot you don't know?!" – und schickte mir ein Video, das auf Twitter viral gegangen war. Aufgenommen worden war es am Abend des 5. Januars. Man sieht eine Menschenmenge, die eine Schwarze Frau in Uniform umringt. Man sieht, wie mehrere Menschen auf sie einreden. Eine Frau greift nach dem Handy der Beamtin. Diese schlägt der Frau ins Gesicht, das Blut strömt aus ihrer Nase. Die Frau ist meine Mutter.

Als ich sie erkannte, war ich geschockt. Es fühlte sich surreal an und dauerte etwas, bis ich wirklich begriffen hatte, dass diese Frau in dem Video tatsächlich meine Mutter ist. Inzwischen bin ich einfach nur wütend. Im Frühjahr verbot meine Mutter mir, auf Black-Lives Matter-Demonstrationen zu gehen, weil die gewalttätig seien. Und dann sah ich sie auf solchen Bildern, wie sie selbst gewalttätig wurde.

Meine Mutter hat mir vorher nicht gesagt, dass sie nach Washington fahren würde. Sie hat mir nur gesagt, dass sie für drei Tage verreise, um meine Tante zu einer medizinischen Behandlung zu begleiten. Diese Tante und mein Onkel sind auch auf den Videoaufnahmen zu sehen. 

Seit ich denken kann, war meine Mutter Demokratin. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als Donald Trump gewählt wurde. Ich kam die Treppe herunter, meine Mutter saß vor dem Fernseher und war sehr unglücklich. Sie sprach davon, dass sie nach Kanada auswandern wolle. Damals hat sie Hillary Clinton gewählt. Ein Jahr später war sie eine rechte Trump-Supporterin mit sehr radikalen Ansichten.

Wie es dazu kam, kann ich nicht einmal sagen, es ging sehr schnell. Ich weiß noch, dass ich eines Tages von der Schule nach Hause kam und meine Mutter sah, wie sie auf der Couch saß und Fox News schaute. Meine Mutter schaute nie Fox News. Ich war damals 15 Jahre alt und habe nicht sofort verstanden, was das bedeutet. Das war eine der ersten Veränderungen. Sie kam plötzlich mit Verschwörungsmythen um die Ecke, die anfangs gar nicht politisch waren. Einmal wollte sie mir zum Beispiel erklären, Michelle Obama sei eigentlich ein Mann. 

Ich hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zu meiner Mutter. Seit der Trennung von meinem Vater vor etwa sechs Jahren hat sie sich stark verändert. Sie wurde launisch, war schnell wütend und dann plötzlich wieder sehr liebevoll. Ich wollte nach der Schule oft nicht nach Hause gehen, weil ich nie genau wusste, in welcher Laune ich meine Mutter vorfinden würde. Ich vermute, dass sie vielleicht deshalb zu einer Trump-Anhängerin geworden ist: Weil es ihr zu der Zeit nicht gut ging und ihre Geschwister, die schon lange politisch rechts sind, großen Einfluss auf sie genommen und sie von ihren Ansichten überzeugt haben. 

Seit Trump an die Macht kam, haben wir uns immer weiter entfremdet. Anfangs spielte Politik für mich noch keine Rolle, bei Trumps Amtsantritt war ich 14 Jahre alt. Aber während ich mich langsam immer mehr für liberale Ansichten interessierte, driftete meine Mutter immer weiter nach rechts. Alles, was Trump sagte, nahm sie für bare Münzen und wiederholte es zu Hause. Es kam mir so vor wie in dem Roman 1984 von George Orwell: Die Regierung beschallte meine Mutter mit Propaganda, sie nahm es blind auf.

Zu Hause mehrten sich rassistische, homophobe und xenophobe Äußerungen. Sie sagte zum Beispiel, dass trans* Menschen krank seien. Ich bin selbst homosexuell, meine Mutter weiß das bis heute nicht, ich habe mich nie bei ihr geoutet. Wenn sie homophobe Sprüche brachte, verletzte mich das. Wirklich wütend machte es mich aber, wenn sie rassistische Dinge sagte. Sie wusste, dass sie mich damit provozieren konnte. Ich ließ mich dann auf die Diskussion ein und versuchte, sie mit Fakten zu überzeugen. Sie ging überhaupt nicht darauf ein, sagte darauf immer nur: "Nein, das stimmt nicht". Die Diskussionen endeten meistens damit, dass ich auf mein Zimmer ging. Das war sehr anstrengend. Irgendwann habe ich sie ignoriert. Bis wir wegen der Black-Lives-Matter-Proteste gestritten haben.

Nach dem Tod George Floyds wollte ich zu einer der Demos gehen, sie verbot es mir. Meine Mutter ist fest davon überzeugt, dass Black Lives Matter eine gewalttätige Organisation ist. Wir stritten deshalb heftig, bis ich wütend auf mein Zimmer stürmte. Als meine Mutter herausfand, dass ich trotzdem zu der Demo gegangen war, setzte sie mich vor die Tür. Sie schrie mich an und sagte mir, ich habe keinen Platz unter ihrem Dach. Ich packte ein paar Sachen zusammen und habe daraufhin bei Freund*innen gewohnt. Natürlich hat mich das Verhalten meiner Mutter verletzt, aber ehrlich gesagt habe ich es als sehr wohltuend empfunden, mal eine Zeit lang in intakten Haushalten zu wohnen. Erst nach drei Wochen kehrte ich wieder nach Hause zurück. Entschuldigt hat meine Mutter sich nie. 

Nach dem Angriff auf das Kapitol hat das FBI darum gebeten, die Identitäten von Beteiligten bekannt zu geben. Ich habe deshalb beschlossen, meine Mutter, Tante und Onkel auf Twitter zu outen. Der Tweet wurde Tausende Male geteilt. Ich bereue es nicht. Sie haben falsch gehandelt und sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Meine Tante habe ich mittlerweile auf allen möglichen Kanälen blockiert, sie bedrohte mich und nannte mich eine Soziopathin. Seit dem Tag, an dem ich den Tweet abschickte, habe ich auch keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter. Sie schrieb mir nachts, dass ich den Tweet bitte löschen solle und ich dabei wäre, mein Leben zu ruinieren. 

Seit ich den Tweet abgesetzt habe, bin ich zu meinem Vater gezogen. Mein Vater und ich hatten keine besonders enge Beziehung, das ändert sich aber gerade. Er ist Demokrat und teilt meine Ansichten. Es ist ein schönes Gefühl, zu Hause endlich über Politik zu reden, ohne dass daraus ein Streit erwächst. Nachdem ich das Video auf Twitter gepostet hatte, fuhr ich mit ihm zu meiner Mutter, um meine Sachen zu holen. Und um nachzusehen, ob es meiner kleinen Schwester gut geht. Meine Mutter machte die Tür nicht auf und rief stattdessen die Polizei. Der Beamte begleitete mich auf mein Zimmer. Er sah auch nach meiner Schwester, ich durfte sie nicht sehen. Ich mache mir große Sorgen um sie.

Dass Joe Biden als Präsident vereidigt wird, ändert nichts zwischen meiner Mutter und mir. Ich glaube auch nicht, dass seine Regierung ihre politischen Ansichten ändern kann. Sie glaubt ja nicht mal, dass Biden wirklich gewonnen hat.

Alle der im Text erwähnten Chatverläufe liegen der Redaktion vor. Wir baten Helenas Mutter um ein Gespräch, erhielten jedoch keine Antwort. Ihr Arbeitgeber bestätigte gegenüber ze.tt, dass mehrere Mitarbeiter*innen an dem Angriff auf das Kapitol beteiligt gewesen wären, nannte allerdings keine Namen.


Aus: ""Meine Mutter war Demokratin – bis Donald Trump gewählt wurde"" (Protokoll: Laura Dahmer 21. Januar 2021)
Quelle: https://www.zeit.de/zett/politik/2021-01/usa-spaltung-gesellschaft-demokratie-familie-beziehung-streit/komplettansicht

QuoteMister Horizon #18

Schade dass die Mutter nicht zu einem Gespräch bereit war. Ihre Perspektive muss ja eine komplett andere sein - wäre sicher eine spannende Gegenüberstellung gewesen.


QuotePit_Hamburg #8

Donald, der Rattenfänger. Warum gerade so viele Frauen auch unter seinen Fans sind, ist für mich nicht zu begreifen.
Und es ist nicht die einzige Familie die er mit zerstört hat. Traurig, traurig...


QuotePaul Freiburger #19.1

In den Jahren des dschihadistischen Terrorismus und des IS sprach man gerne von "Blitzradikalisierung".

Es geht nicht um Dämonologie, sondern um Psychologie. Warum werden "normale" Menschen zu Nazis, Maoisten, IS-Terroristen, QAnon-Anhängern etc. ? Darauf gibt die Wissenschaft durchaus Antworten, ich kenne mich aber nicht gut genug aus, um sie jetzt hier korrekt zusammenzufassen.

Die Mutter war sicherlich vorher schon desorientiert und unglücklich. Mit QAnon fand sie dann eine neue Orientierung, eine neue Erklärung für die Welt, alle scheinbaren Widersprüche verschwanden und damit der Stress, mit Widersprüchen zu leben. Sie konnte Teil einer neuen Bewegung werden, größer als sie selbst, und Kämpferin für "Wahrheit" und "Gerechtigkeit".
Dass das alles Lügen waren, hat sie ausgeblendet.


QuoteFra Mauro #23

"Ich hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zu meiner Mutter. Seit der Trennung von meinem Vater vor etwa sechs Jahren hat sie sich stark verändert. Sie wurde launisch, war schnell wütend und dann plötzlich wieder sehr liebevoll. Ich wollte nach der Schule oft nicht nach Hause gehen, weil ich nie genau wusste, in welcher Laune ich meine Mutter vorfinden würde. "

Kingt nach psychischer Erkrankung. Was aber wiederum gut ins Profil von Qanon, Trumpisten passt.


QuoteCarol Grimes #9

Sehr interessant zu lesen, die Recherchehinweise am Ende sind hilfreich zur Beurteilung.
Was für ein Wahnsinn ist passiert in diesem Land? Millionenfache Gehirnwäsche?


Quotesonneleipzig #10

Krasse Sache. Ich wünsche Helena viel Kraft und alles Gute. Ich hoffe sie fühlt sich bei ihrem Vater wohl und kann ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten, lieben wen sie will, den Beruf ausüben den sie will und weiter politisch aktiv werden wenn sie das will.

Diesen Konflikt gibt es in vielen Schattierungen auch in unseren Familien. Auch bei meiner Familie gibt es den. Wir verstehen uns eigentlich sehr gut und können auch offen diskutieren. Bei den wichtigen Dingen sind wir auch grundsätzlich einer Meinung. Trotzdem sehen meine Eltern rot, wenn es um linke Ansichten geht. Auch sie haben aus verschiedenen eher rechten Quellen Ansichten übernommen die ich nicht so hinnehmen kann. Weil ich auch nicht nachvollziehen dass diese Ansichten eigentlich völlig konträr zu dem sind was meine Eltern eigentlich sonst wichtig finden.

Auf der anderen Seite sehe auch ich Tendenzen in einigen wichtigen Medien die ich nicht für gut halte. Tagesschau ist für mich zum Teil genauso simpel und vereinfacht wie die Nachrichten von Kika für Kinder. Aber das liegt wohl daran dass ein Großteil der Bevölkerung solch simple Informationen braucht, weil sie sich nicht genauer damit beschäftigen. Trotzdem denke ich dass durch dieses Vereinfachen auch Informationen vorenthalten werden, Hintergründe fehlen, so dass man das Gefühl hat in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden. Ich kann mir das nicht mehr anschauen.


QuoteHank O'Hara #11

Ein Lehrstück, wie schnell Menschen politisch abdriften können.
So wird auch ein bisschen klar, wie es damals bei der Machtergreifung
der Nazis abgelaufen sein muss.


Quotetartan #12

Das mag erklären, warum DT 2020 mehr Stimmen bekommen hat als 2016. ...


Quotenozomi07 #14

... Wie können Menschen so in den Wahnsinn und die irrationalität abgleiten. Das macht mich fassungslos. Wir dachten immer, wir hätten die Nazizeit halbwegs aufgearbeitet - aber der Mechanismus, der zu so einem Verhalten führt, ist und bleibt das große ungelöste Rätsel. Wenn die Menschheit das nicht löst, werden immer wieder Gesellschaften abkippen.



QuoteMelafefon #17

Heidewitzka, wer so eine Mutter hat, hat´s nicht einfach.
Verschwörungstheorien und Rassismus (in Wort und Tat) und das ganze in der Familie, da würd ich auch eine Trennung vollziehen. Ist so,wie wenn deine Mutter AfD Fanatikerin ist und bei den Querdenkern. Gruselig und halt auch so weit weg von der Realität, da kommste eh nicht mehr ran.
Lieber ein Ende mit Schrecken, als sich den Blödsinn ein Leben lang anhören zu müssen. Jeder kann seinen Verstand bedienen, und wenn jemand nur noch einem Faschisten wie Trump hinterherquakt...selber schuld.


...
#1866
"The Persecution of Julian Assange - System Update with Glenn Greenwald" (Apr 22, 2020)
The Intercept - In the fourth episode of The Intercept's weekly show, host Glenn Greenwald focuses on the case and prosecution of WikiLeaks founder Julian Assange. Glenn talks to human rights lawyer Jennifer Robinson, who represents Assange, and Washington Post media columnist Margaret Sullivan, who is an outspoken and consistent defender of press freedom.
https://youtu.be/gG_9j6aquaY

-

"Julian Assange: Das Auswärtige Amt ist vor Ort" (14. September 2020)
Beim Prozess gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange schaut das Auswärtige Amt nicht weg. Im Gegenteil: Aus der ganzen Welt lässt es sich von seinen Diplomaten berichten und entsendet eigene Prozessbeobachter nach London, wie interne Dokumente zeigen. Nach außen hin bleibt das Amt allerdings stumm. ...
https://fragdenstaat.de/blog/2020/09/14/julian-assange-prozess-auswaertiges-amt-london/
#1867
Quote[...] Die IS-Fanatikerin ist Elina F. nicht mehr anzusehen. Statt der Vollverschleierung, in der sie jahrelang das Haus verließ, trägt sie an diesem Morgen eine blassrosa Bluse und kräftiges Make-up, die blondierten Haare stecken unverhüllt in einem Zopf. Sie sieht wieder aus wie damals als Jugendliche, als sie in Tonndorf lebte und im Einzelhandel arbeitete, als sie am Wochenende mit Freundinnen zum Tanzen ging. Eine Angeklagte, sagt die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, die das Gegenteil der Frau ist, die sie zwischenzeitlich war. Sieben Jahre lang war Elina F. in Syrien beim IS. Der Staatsschutzsenat verurteilt sie dafür zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und setzt die Strafe zur Bewährung aus.

Elina F., die Angeklagte, wächst in Hamburg auf. Sie geht zur Schule, macht ihren Abschluss, hat anschließend einen festen Job. Mit 19 Jahren lernt sie Serkan E. kennen. Er ist ihre große Liebe. Ein Mann, der damals polizeibekannt ist, er ist Mitglied bei den Hells Angels. Doch Serkan E. macht eine erstaunliche Wandlung: Er entdeckt den Islam für sich, wird von der Rotlichtgröße zum Glaubensbruder. Elina F. macht diese Wandlung mit.

Sie konvertiert zum Islam. Heiratet Serkan E. in einer Moschee am Steindamm, geht regelmäßig zum Gebet. Die beiden radikalisieren sich immer mehr. So sehr, dass sie sich 2013 entschließen, in den Dschihad zu ziehen, den heiligen Krieg. Serkan E. reist nach Syrien aus, Elina F. kommt zwei Monate später hinterher.

An dieser Stelle beginnt das Kapitel ihres Lebens, mit dem sie rückblickend so schnell wie möglich abschließen will. Deshalb akzeptiert sie auch das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts sofort. Sie will keine Rechtsmittel mehr, nur noch ein neues Leben. Nach dem Urteil weint sie vor Erleichterung, mit einer Bewährungsstrafe davongekommen zu sein. Dann öffnet Elina F., umringt von Freundinnen und ihrer Mutter, vor dem Gerichtsgebäude mit lautem Knall einen Sekt.

Die heute 30-Jährige hat sich endgültig vom IS abgewandt. Und sie hat ausgepackt. Sie hat nichts beschönigt, sondern eingeräumt, sogar Propaganda für das Leben im IS-Kalifat gemacht zu haben. Das betont die Vorsitzende Richterin, und sie begründet damit, wieso Elina F. mit einer Bewährungsstrafe davongekommen ist. Das ist ungewöhnlich in einem solchen Fall. Anderen Syrien-Rückkehrerinnen drohen viele Jahre Gefängnis. So auch Omaima A., der Witwe des früheren Rappers und späteren IS-Kämpfers Denis Cuspert alias Deso Dogg, die zurzeit parallel in Hamburg angeklagt ist. Für sie hat der Oberstaatsanwalt am Montag vier Jahre und zehn Monate Haft verlangt.

Das Geständnis und die Abkehr unterscheiden den Fall Elina F. fundamental von anderen. Viele Syrien-Rückkehrerinnen geben sich vor Gericht ganz naiv, als hätten sie kaum gewusst, dass der IS Menschen terrorisiert. Sie behaupten, nur ihrem Mann den Haushalt geführt zu haben, mehr nicht. Auch Omaima A., die Cuspert-Witwe, hat vor Gericht nur zögerlich über ihr Leben in Syrien ausgesagt. Der Staatsanwalt bedauerte in seinem Plädoyer am Montag, dass sie keine Lebensbeichte abgelegt habe. "Sie sind mit einzelnen Taten des IS nicht einverstanden," sagte er. "Aber Sie haben sich nicht grundsätzlich distanziert."

Anders Elina F. Sie hat einen hohen Preis für ihren Fanatismus bezahlt. 2014 kam ihr Mann Serkan E. bei Kämpfen in Syrien ums Leben, als sie im sechsten Monat schwanger war. Anschließend lebte sie weiter im sogenannten Kalifat, "wie eine Prinzessin", wie sie selbst sagt: als Märtyrerwitwe war sie hoch angesehen. Dann aber heiratete sie erneut, war der Gewalt ihres Mannes ausgesetzt, floh mit ihm und den inzwischen zwei Kindern aus Rakka, als die Bombardierungen dort zunahmen. 2017 kam auch ihr zweiter Ehemann ums Leben. Elina F. ließ sich von Schleusern an die türkische Grenze bringen. Dort landete sie in einem kurdischen Gefangenenlager. Zwei Jahre lang lebte sie dort unter katastrophalen Bedingungen, wie die Richterin sagt, und wollte nur noch weg: Zurück nach Hause. Nach Hamburg.

Diesen Januar wurde sie ausgewiesen. Mitte des Monats kam sie mit den Kindern auf dem Flughafen Fuhlsbüttel an. Ihre Anwältin Ina Franck hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, schließlich hatte sich auch das Auswärtige Amt für die Frau und ihre beiden Kinder eingesetzt. Das sei keine Selbstverständlichkeit, sagt die Richterin: "Bei einer selbst gewählten Ausreise zum IS gibt es keine Rückholgarantie."


Aus: "Ehefrau von IS-Kämpfer: Radikal ehrlich"  Elke Spanner, Hamburg (10. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/hamburg/2020-09/ehefrau-is-kaempfer-hamburg-urteil-gericht-familie
#1868
Quote[...] Wien – Nach unmissverständlichen Todesdrohungen gegen Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und andere Regierungsvertreter ist ein 68-Jähriger festgenommen und am Dienstag in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeliefert worden. Wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Abend mitteilte, verfügte ein Journalrichter des Landesgerichts für Strafsachen die vorläufige Anhaltung des Mannes.

Dem 68-Jährigen ist laut einem von der Justiz eingeholten Gutachten eine höhergradige geistig-seelische Abnormität eigen. Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann stufte ihn als nicht zurechnungsfähig und damit als nicht schuldfähig ein. Hofmann zufolge hat sich bei dem Mann ein krankhaftes Wahngebilde entwickelt, das ihn gefährlich macht. Demnach wären Straftaten mit schweren Folgen zu befürchten, sollten nicht Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Der 68-Jährige betreibt eine umstrittene Website, die seit längerem mit rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten auffällt. Wegen mehrerer Beiträge mit diffamierenden Äußerungen über nichtweiße und arabischstämmige Menschen, die er seit 2016 veröffentlicht hat, ist gegen den Mann am Landesgericht bereits ein Verfahren wegen Verhetzung anhängig. Da er sich beim ersten Verhandlungstermin im Juni äußerst ausfällig verhielt – unter anderem gab er als Angeklagter zu Protokoll, ein "Systemwechsel" stehe bevor, er selbst werde bald zum Grafen geadelt –, ließ der Richter ein psychiatrisches Gutachten einholen.

Auf Basis dieses Gutachtens und nach Gewaltdrohungen gegen die Bundesregierung und Justizministerin Zadić war für die Staatsanwaltschaft schließlich Gefahr im Verzug gegeben. Nach einer gerichtlichen Anordnung wurde der 68-Jährige festgenommen. Vor wenigen Tagen hatte er das "Auslöschen" der Bundesregierung durch Dritte angekündigt und über die schwangere Justizministerin verbreitet, diese werde die Geburt ihres Kindes "garantiert nicht mehr erleben".

Ob der Mann in der Justizanstalt Josefstadt bleibt oder in eine öffentliche Krankenanstalt für Geisteskrankheiten überstellt wird, dürfte sich in den kommenden Tagen entscheiden. (APA, 8.9.2020)


Aus: "Wien - 68-Jähriger nach Todesdrohungen gegen Justizministerin Zadić festgenommen" (8. September 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000119872630/68-jaehriger-nach-todesdrohungen-gegen-justizministerin-zadicfestgenommen

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ittonips

freie meinungsäußerung gehört tatsächlich therapiert?


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Schuwidu

Wer, [das] was der Irre über social-media an Mord- und sonstigen Drohungen gegen offenbar unzählige Menschen v.a. Politikerinnen verbreitete, für freie Meinung hält gehört eigentlich mit in die Klapsmühle.


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Crom

Mal wieder einer von denen die einen Systemwechsel prophezeien. Wir befinden uns in den letzten Minuten des Endgames steht auf der Website. Danach wird alles anders.
Ich hab das in den letzten Jahren schon so oft gelesen und auch schon von einigen Leuten selbst gehört. Da frag ich mich schon, ja wann denn jetzt endlich?? Wieso passiert denn die ganze Zeit nix?


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Pat Thetic

Das ist wie mit diversen Sekten und dem Weltuntergang, ja.
Nur ist auch dort das Problem, dass ihn dann manche selbst herbeiführen wollen.


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Toerk Hvijed

Er schreibt die angeblichen Leserbriefe selber, die ihn entlasten sollen. Schon irre der Typ.


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Eifelgeist

Man soll sich nicht darauf versteifen das es sich hier um einen alten verwirrten Mann handelt, sondern um das was dieser auslösen kann. ... Wir brauchen keine Politiker Leichen wie in Hessen.


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susi strolcher

wär er "aus einem anderen kulturkreis" liefe er unter "einsamer wolf terrorist" so ist er ein armer kranker, der halt nicht mit den besorgniserregenden entwicklungen in unserer welt zurechtkommt ;-(


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Marquis de Sade

Wir haben auch Politiker, die davon reden alle zu überflügeln, vom Bevölkerungsaustausch schwadronieren und hinter allem die Rothschilds vermuten...

sind die auch krank und haftunfähig?

Ich frage mich übrigens nicht nur, was der wohl gewählt haben könnte, sondern auch, was man einem Menschen über Jahre oder Jahrzehnte zureden muss, damit er zu so einer Meinung kommt. Das ist nämlich das, was ich der FPÖ und Strache vorwerfe (und auch der ÖVP, die ist ja eine hellblaue Version der FPÖ): sie züchten solche Leute!
Da darf man sich dann nicht wundern, wenn das ein oder andere Pulverfass mal hochgeht.


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Bessermacher

... trotzdem ist jedes Individuum auch für sich selbst verantwortlich und nicht immer Opfer der Umstände.


Quotefizcaraldo

Warum steht das in der Kategorie "Web"? Würdet ihr es unter "Kultur" einordnen wenn der Mann seine Todesdrohung in einem Museum ausgesprochen hätte?


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miu miu

Rassismus, Verhetzung, Wahnvorstellungen. Da gibts aber noch ein paar andere. Manche sogar in der Politik.


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#1869
Quote[...] In Essen, einer einstigen Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie, liegt die SPD in einer aktuellen WDR-Umfrage für die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag nur noch bei 19 Prozent, nach 34 Prozent bei der Kommunalwahl 2014. 1975 holte man hier noch knapp 55 Prozent und regierte jahrzehntelang.

... Letztlich ist Essen ein Spiegelbild für die Zerrissenheit gerade der Sozialdemokraten. Auf der einen Seite eher konservative Pragmatiker, die das Kippen von Stadtteilen wie Altenessen und neue AfD-Hochburgen vermeiden wollen. Auf der anderen Seite Funktionäre, die sich nach Links orientieren und die Grünen zu kopieren versuchen. ... vor allem der Umgang mit den ankommenden Flüchtlingen und die Ghettobildung in Stadtteilen wie Altenessen stellte und stellt die Essener SPD vor Zerreißproben.

... So wie damals bei der Tafel-Debatte [https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-aufnahmestopp-fuer-auslaender-die-essener-tafel-will-wieder-allen-helfen/21058372.html]vermisst Sartor gerade bei der SPD ein Sich-Ehrlichmachen und die Auseinandersetzung mit realen Problemen. Bei der Bundestagswahl erzielte die AfD im Essener Norden mancherorts bereits 23 Prozent – er betont, ein Gegner der Partei zu sein, die auch viele frühere SPD-Wähler gewonnen hat.

Der stämmige Tafel-Chef glaubt, dass die SPD nicht mehr nah genug bei den Menschen ist. Den Kassierer, der von Tür zu Tür ging, die Mitgliedsbeiträge kassierte und wusste, wo der Schuh drückt, gibt es nicht mehr. Corona und Parteipolitik im Netz machen es nicht einfacher. Die Kneipe als Ort der Begegnung, der Stammtisch, kaum noch existent in Essen – ein Problem nicht nur hier.

Sartor führt durch den kachelgefliesten großen Raum im Erdgeschoss des Wasserturms, wo die Helfer Toastpakete, Milch, Käse, Bananen, Tomaten und Äpfel für die Kunden sortieren, in Corona-Zeiten gibt es feste Zeitfenster, ab halb eins geht es los. Draußen warten schon lange vor dem Einlass vor allem ältere Mitbürger, gestützt auf Rollatoren.

Etwa 40 Prozent der Sozialhilfeempfänger in Essen sind Ausländer. Ziel der Tafel war es, bei den Tafelbesuchern eine ähnliche Quote zu erreichen. Das ist gelungen. "Das ist der Vorteil dieses Riesentheaters gewesen, alle haben verstanden, dass es anders nicht mehr geht." Das Miteinander sei jetzt viel besser. 1800 Plätze gibt es heute, wegen Corona kommen aber aktuell nur rund 1600 Kunden regelmäßig zur Lebensmittelabholung vorbei, wird es wieder mal knapp, werden bevorzugt Alleinstehende ab 50, Alleinerziehende oder Familien mit kleinen Kindern neu aufgenommen.

Der SPD-OB-Kandidat in Essen ist Geschäftsführer des AWO Kreisverbands, Oliver Kern ist gelernter Erzieher, Gesundheits- und Sozialökonom. Sartor regt sich über ihn auf, über Inszenierungen und schicke Anzugfotos: "Da kriech ich das kalte Kotzen." Auf der SPD-Liste für den Essener Stadtrat stünden überwiegend Leute, "die noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet haben, wie der Kevin Kühnert in Berlin". Sondern meist für Abgeordnete oder SPD-nahe Institutionen tätig gewesen sind. "Ich war 30 Jahre unter Tage und habe 30 Jahre Menschen geführt."

Jörg Sartor steigt wieder in seinen Wagen, startet den Motor, es geht zu den Wurzeln seines Lebens – und vieler Probleme in Essen. Über seine Erfahrungen mit dem Strukturwandel hat er ein Buch geschrieben ,,Schicht im Schacht". Viel optimistischer ist auch die gemeinsame Tour durch den Norden der 590000-Einwohner-Stadt nicht. "Das ist hier ist der Libanon von Altenessen", sagt Sartor, der sich jetzt in Rage redet. Er regt sich über die Schrottimmobilien auf, an denen er vorbeikommt, über Müllberge in den Hinterhöfen und kaputte Fenster.

Immer seien die Radwege zugeparkt, die Polizei mache nichts, "wir haben ja hier auch den Remmo-Clan, den Sie in Berlin gut kennen". Ende Juli seien 750 Leute zur Beerdigung des Vaters von Clan-Mitglied "Pumpgun Bilal" gekommen, ohne Maske, ohne Abstand. Nichts habe die Stadt gemacht, sagt Sartor, der Staat kapituliere – aber bei anderen Beerdigungen hätten wegen Corona noch nicht einmal die Angehörigen dabei sein dürfen.

Das Problem sei das gleiche wie in jeder größeren Stadt in Deutschland: "Es gibt Viertel, wo der Anteil der ausländischen Bevölkerung exorbitant hoch ist. Das wissen die Politiker seit zig Jahren und keiner kriecht es auf die Kette." Aber wenn die Akzeptanz für ein faires und gerechtes Miteinander einmal weg sei, komme das nicht wieder.

Sartor will eine Quotenregelung für Kitas und Grundschulen im Essener Norden, es könne nicht sein, dass in manchen Schulen 90 Prozent der Kinder kein Deutsch sprechen. Der Sozialhilfedezernent habe mal gesagt, er könne ja nicht jeden Tag 10000 Kinder mit Bussen aus dem Essener Norden in den Süden karren. ,,Da hat er Recht. Aber man kann 50 Lehrer aus dem Essener Süden in den Essener Norden bringen", sagt Sartor. ,,Da wo Problemschulen sind, müssen sofort mehr Lehrer hin."

Sonst kippe etwas, sagt Sartor, Stichwort AfD. "Hier leben wir seit 60 Jahren mit vielen Ausländern: Türken, Italienern, aber es gab früher eine Durchmischung. Die kamen nach der Schicht mit in die Kneipe, sie wurden integriert und wollten sich integrieren. Ich habe viele Freunde mit türkischen Wurzeln im Fußballverein, die sind Zollbeamte oder bei der Feuerwehr" erzählt Sartor.

Das Problem bei den Türken sei heute aber die dritte Generation, die drifte etwas ab, plötzlich würden auch junge Mädchen wieder Kopftuch tragen. Sartor macht die hohe Anzahl der Moscheen dafür verantwortlich und den Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die SPD platziere jetzt extra einen mit Migrationshintergrund weit vorne auf der Kommunalwahlliste, um diese Leute zu gewinnen. Den kenne aber hier bisher kaum einer. Ein heftiger Vorwurf.

Dieser Mann ist Caner Aver. Bei einem späteren Telefonat betont er, er leite in der SPD Essen bereits seit Jahren die AG Migration und Vielfalt, stehe mit verschiedenen Politikern in regelmäßigem Austausch "und habe darüber hinaus ehrenamtlich in vielen Vereinen, auch bundesweit, Verantwortung übernommen". Der 45-Jährige arbeitet am Zentrum für Türkeistudien der Universität Essen-Duisburg.

Avers Rezept gegen Resignation, Pauschalurteile und verhärtete Fronten? "Der Anteil von Migranten in Parlamenten ist noch viel zu gering", sagt Aver. Auch er will eine bessere Durchmischung. "Wir brauchen mehr attraktiven Wohnraum im Essener Norden und müssen gleichzeitig verstärkt auf die Bezahlbarkeit der Wohnungen achten." Und es brauche mehr Kitas – darunter auch bilinguale – am besten kostenlos.

Aber er kandidiert in Rüttenscheid, einer besseren Gegend. Die Arm-Reich-Kluft verläuft quer durch die Stadt, zwischen Nord und Süd. Auf die Frage, wie er von der AfD Wähler zurückgewinnen wolle, sagt Aver: "Vertrauen gewinnt man nur mit Ehrlichkeit. Wir waren in den letzten Jahren permanent im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und haben uns jede Meinung, jede Problemschilderung angehört – auch wenn sie unbequem waren." An der Umsetzung der Versprechen lasse er sich nun messen.

Jörg Sartor zeigt auf die Fassaden an der Hauptstraße in Altenessen. "Da war ein Metzger, da ein Möbelhaus, da ein Goldgeschäft, da drüben ein Schuhgeschäft. Gibt's heute kein einziges mehr von." Stattdessen viele Ketten. ,,Früher hat das Ruhrgebiet von der Kneipe gelebt, da war Leben in der Bude." Nur die Glückauf-Apotheke erinnert hier noch an die goldene Zeit.

Sartor ist ein Anpacker, aber wie hier ein Aufbruch mit neuen Chancen aussehen könnte, weiß er auch nicht so recht. ,,Das ganze Miteinander ist in den letzten zehn Jahren extrem kaputt gegangen." Es geht durch die nächste Straße, in der er mal wieder die Namen der Kneipen aufzählt, die es hier nicht mehr gibt. Er kommt auf 15 Stück. Sartor seufzt. "Wat wech is, is wech."


Aus: "Warum Jörg Sartor die SPD aufgegeben hat" Georg Ismar (09.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/nrw-kommunalwahl-warum-joerg-sartor-die-spd-aufgegeben-hat/26168768.html
#1870
Erweiterter Machtdiskurs (Politik) / [SPD (Politik)... ]
September 10, 2020, 09:31:05 AM
Quote[...] In Essen, einer einstigen Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie, liegt die SPD in einer aktuellen WDR-Umfrage für die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag nur noch bei 19 Prozent, nach 34 Prozent bei der Kommunalwahl 2014. 1975 holte man hier noch knapp 55 Prozent und regierte jahrzehntelang.

... Letztlich ist Essen ein Spiegelbild für die Zerrissenheit gerade der Sozialdemokraten. Auf der einen Seite eher konservative Pragmatiker, die das Kippen von Stadtteilen wie Altenessen und neue AfD-Hochburgen vermeiden wollen. Auf der anderen Seite Funktionäre, die sich nach Links orientieren und die Grünen zu kopieren versuchen. ... vor allem der Umgang mit den ankommenden Flüchtlingen und die Ghettobildung in Stadtteilen wie Altenessen stellte und stellt die Essener SPD vor Zerreißproben.

... So wie damals bei der Tafel-Debatte [https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-aufnahmestopp-fuer-auslaender-die-essener-tafel-will-wieder-allen-helfen/21058372.html]vermisst Sartor gerade bei der SPD ein Sich-Ehrlichmachen und die Auseinandersetzung mit realen Problemen. Bei der Bundestagswahl erzielte die AfD im Essener Norden mancherorts bereits 23 Prozent – er betont, ein Gegner der Partei zu sein, die auch viele frühere SPD-Wähler gewonnen hat.

Der stämmige Tafel-Chef glaubt, dass die SPD nicht mehr nah genug bei den Menschen ist. Den Kassierer, der von Tür zu Tür ging, die Mitgliedsbeiträge kassierte und wusste, wo der Schuh drückt, gibt es nicht mehr. Corona und Parteipolitik im Netz machen es nicht einfacher. Die Kneipe als Ort der Begegnung, der Stammtisch, kaum noch existent in Essen – ein Problem nicht nur hier.

Sartor führt durch den kachelgefliesten großen Raum im Erdgeschoss des Wasserturms, wo die Helfer Toastpakete, Milch, Käse, Bananen, Tomaten und Äpfel für die Kunden sortieren, in Corona-Zeiten gibt es feste Zeitfenster, ab halb eins geht es los. Draußen warten schon lange vor dem Einlass vor allem ältere Mitbürger, gestützt auf Rollatoren.

Etwa 40 Prozent der Sozialhilfeempfänger in Essen sind Ausländer. Ziel der Tafel war es, bei den Tafelbesuchern eine ähnliche Quote zu erreichen. Das ist gelungen. "Das ist der Vorteil dieses Riesentheaters gewesen, alle haben verstanden, dass es anders nicht mehr geht." Das Miteinander sei jetzt viel besser. 1800 Plätze gibt es heute, wegen Corona kommen aber aktuell nur rund 1600 Kunden regelmäßig zur Lebensmittelabholung vorbei, wird es wieder mal knapp, werden bevorzugt Alleinstehende ab 50, Alleinerziehende oder Familien mit kleinen Kindern neu aufgenommen.

Der SPD-OB-Kandidat in Essen ist Geschäftsführer des AWO Kreisverbands, Oliver Kern ist gelernter Erzieher, Gesundheits- und Sozialökonom. Sartor regt sich über ihn auf, über Inszenierungen und schicke Anzugfotos: "Da kriech ich das kalte Kotzen." Auf der SPD-Liste für den Essener Stadtrat stünden überwiegend Leute, "die noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet haben, wie der Kevin Kühnert in Berlin". Sondern meist für Abgeordnete oder SPD-nahe Institutionen tätig gewesen sind. "Ich war 30 Jahre unter Tage und habe 30 Jahre Menschen geführt."

Jörg Sartor steigt wieder in seinen Wagen, startet den Motor, es geht zu den Wurzeln seines Lebens – und vieler Probleme in Essen. Über seine Erfahrungen mit dem Strukturwandel hat er ein Buch geschrieben ,,Schicht im Schacht". Viel optimistischer ist auch die gemeinsame Tour durch den Norden der 590000-Einwohner-Stadt nicht. "Das ist hier ist der Libanon von Altenessen", sagt Sartor, der sich jetzt in Rage redet. Er regt sich über die Schrottimmobilien auf, an denen er vorbeikommt, über Müllberge in den Hinterhöfen und kaputte Fenster.

Immer seien die Radwege zugeparkt, die Polizei mache nichts, "wir haben ja hier auch den Remmo-Clan, den Sie in Berlin gut kennen". Ende Juli seien 750 Leute zur Beerdigung des Vaters von Clan-Mitglied "Pumpgun Bilal" gekommen, ohne Maske, ohne Abstand. Nichts habe die Stadt gemacht, sagt Sartor, der Staat kapituliere – aber bei anderen Beerdigungen hätten wegen Corona noch nicht einmal die Angehörigen dabei sein dürfen.

Das Problem sei das gleiche wie in jeder größeren Stadt in Deutschland: "Es gibt Viertel, wo der Anteil der ausländischen Bevölkerung exorbitant hoch ist. Das wissen die Politiker seit zig Jahren und keiner kriecht es auf die Kette." Aber wenn die Akzeptanz für ein faires und gerechtes Miteinander einmal weg sei, komme das nicht wieder.

Sartor will eine Quotenregelung für Kitas und Grundschulen im Essener Norden, es könne nicht sein, dass in manchen Schulen 90 Prozent der Kinder kein Deutsch sprechen. Der Sozialhilfedezernent habe mal gesagt, er könne ja nicht jeden Tag 10000 Kinder mit Bussen aus dem Essener Norden in den Süden karren. ,,Da hat er Recht. Aber man kann 50 Lehrer aus dem Essener Süden in den Essener Norden bringen", sagt Sartor. ,,Da wo Problemschulen sind, müssen sofort mehr Lehrer hin."

Sonst kippe etwas, sagt Sartor, Stichwort AfD. "Hier leben wir seit 60 Jahren mit vielen Ausländern: Türken, Italienern, aber es gab früher eine Durchmischung. Die kamen nach der Schicht mit in die Kneipe, sie wurden integriert und wollten sich integrieren. Ich habe viele Freunde mit türkischen Wurzeln im Fußballverein, die sind Zollbeamte oder bei der Feuerwehr" erzählt Sartor.

Das Problem bei den Türken sei heute aber die dritte Generation, die drifte etwas ab, plötzlich würden auch junge Mädchen wieder Kopftuch tragen. Sartor macht die hohe Anzahl der Moscheen dafür verantwortlich und den Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die SPD platziere jetzt extra einen mit Migrationshintergrund weit vorne auf der Kommunalwahlliste, um diese Leute zu gewinnen. Den kenne aber hier bisher kaum einer. Ein heftiger Vorwurf.

Dieser Mann ist Caner Aver. Bei einem späteren Telefonat betont er, er leite in der SPD Essen bereits seit Jahren die AG Migration und Vielfalt, stehe mit verschiedenen Politikern in regelmäßigem Austausch "und habe darüber hinaus ehrenamtlich in vielen Vereinen, auch bundesweit, Verantwortung übernommen". Der 45-Jährige arbeitet am Zentrum für Türkeistudien der Universität Essen-Duisburg.

Avers Rezept gegen Resignation, Pauschalurteile und verhärtete Fronten? "Der Anteil von Migranten in Parlamenten ist noch viel zu gering", sagt Aver. Auch er will eine bessere Durchmischung. "Wir brauchen mehr attraktiven Wohnraum im Essener Norden und müssen gleichzeitig verstärkt auf die Bezahlbarkeit der Wohnungen achten." Und es brauche mehr Kitas – darunter auch bilinguale – am besten kostenlos.

Aber er kandidiert in Rüttenscheid, einer besseren Gegend. Die Arm-Reich-Kluft verläuft quer durch die Stadt, zwischen Nord und Süd. Auf die Frage, wie er von der AfD Wähler zurückgewinnen wolle, sagt Aver: "Vertrauen gewinnt man nur mit Ehrlichkeit. Wir waren in den letzten Jahren permanent im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und haben uns jede Meinung, jede Problemschilderung angehört – auch wenn sie unbequem waren." An der Umsetzung der Versprechen lasse er sich nun messen.

Jörg Sartor zeigt auf die Fassaden an der Hauptstraße in Altenessen. "Da war ein Metzger, da ein Möbelhaus, da ein Goldgeschäft, da drüben ein Schuhgeschäft. Gibt's heute kein einziges mehr von." Stattdessen viele Ketten. ,,Früher hat das Ruhrgebiet von der Kneipe gelebt, da war Leben in der Bude." Nur die Glückauf-Apotheke erinnert hier noch an die goldene Zeit.

Sartor ist ein Anpacker, aber wie hier ein Aufbruch mit neuen Chancen aussehen könnte, weiß er auch nicht so recht. ,,Das ganze Miteinander ist in den letzten zehn Jahren extrem kaputt gegangen." Es geht durch die nächste Straße, in der er mal wieder die Namen der Kneipen aufzählt, die es hier nicht mehr gibt. Er kommt auf 15 Stück. Sartor seufzt. "Wat wech is, is wech."


Aus: "Warum Jörg Sartor die SPD aufgegeben hat" Georg Ismar (09.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/nrw-kommunalwahl-warum-joerg-sartor-die-spd-aufgegeben-hat/26168768.html
#1871
QuoteDustin Hoffmann @dhbln

Ein kurzes Video über meine Eindrücke vom ersten #Assange-Verhandlungstag in London:
Assange Hearing Tag 1 (07.09.2020)
https://youtu.be/TKzXs6kXAac

8:51 PM · Sep 7, 2020


https://twitter.com/dhbln/status/1303043120540651522

Büroleiter von Martin Sonneborn (Die PARTEI) im Europäischen Parlament.
Im September 2020 als Prozessbeobachter im Verfahren um die Auslieferung von Julian Assange in London.
https://www.youtube.com/c/DustinHoffmann/playlists

#1872
Quote[...] Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Terrorverdachts gegen Linksextremisten, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), weitere Politiker sowie andere Prominente bedrohen. Mitglieder der Gruppierung ,,Revolutionäre Aktionszellen (RAZ)" hatten Seehofer Ende März eine kleine Flasche mit brennbarer Flüssigkeit sowie Grillanzünder und Streichhölzer geschickt. Im Mai ging beim Minister eine Reizstoffpatrone des Kalibers neun Millimeter ein. Darüber berichtete am Mittwoch zuerst der ,,Spiegel".

Sicherheitskreise bestätigten auf Anfrage des Tagesspiegels, dass die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Das bedeutet, dass die Anklagebehörde von einer Terrorgruppe mit mindestens drei Mitgliedern ausgeht. Die Drohungen der RAZ richten sich auch gegen Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und weitere 13 Landesinnenminister, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang und zuletzt im August gegen den Fleischfabrikanten Clemens Tönnies.

Schon vor mehreren Jahren hatte eine linksextreme Gruppierung mit dem Namen "Revolutionäre Aktionszellen" Politiker bedroht und kleinere Sprengstoffanschläge verübt. Damals führte die Bundesanwaltschaft ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Ermittler prüfen, welche Verbindungen es zwischen den alten RAZ und der heutigen Gruppe gibt.


Aus: "Linksextremisten bedrohen Seehofer, Kretschmann und Geisel" Frank Jansen (09.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/bundesanwaltschaft-ermittelt-wegen-terrorverdacht-linksextremisten-bedrohen-seehofer-kretschmann-und-geisel/26171974.html

#1873
Quote[...] In Frankreich verschärft sich die Corona-Lage weiter. Für den Dienstag meldeten die Behörden rund 6500 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, in den sieben Tagen davor waren es insgesamt rund 42.000 - rund sechs Mal so viele wie in Deutschland. Die Infektionszahlen steigen seit mehr als drei Wochen massiv an.

In der besonders betroffenen Hafenstadt Marseille berichten erste Krankenhäuser von vollständig belegten Intensivbetten. Von den 70 Betten für Covid-19-Kranke im Département Bouches-du-Rhône seien derzeit 70 belegt, teilten die Behörden in Marseille mit. Die Lage sei angespannt, aber nicht so dramatisch wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie, als im Département 270 Coronapatienten auf den Intensivstationen lagen. Aktuell sind in der Region 322 Betten generell für Intensivpatienten verfügbar.

Pro Tag werden derzeit in der Region rund 60 Menschen wegen einer Erkrankung mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert. Eine Behandlung auf der Intensivstation bedeutet das nicht automatisch. Als Reaktion auf die angespannte Lage wollen die Universitätskliniken in Marseille nun die Zahl der Intensivbetten erhöhen.

In ganz Frankreich wurden am Dienstag knapp 500 Menschen wegen einer Covid-19-Erkrankung in Krankenhäuser eingeliefert. Im Schnitt der vergangenen sieben Tage gab es täglich rund 300 Einweisungen. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur letzten Augustwoche. In dieser Zeit lag die Hospitalisierungsrate bei rund 200 Kranken pro Tag.

Aktuell befinden sich rund 540 Menschen in Frankreich wegen einer Corona-Infektion in intensivmedizinischer Betreuung, die Zahl war am Montag und Dienstag noch einmal deutlich gestiegen. Unklar ist, ob es sich nur um einen temporären Ausschlag oder schon um einen Trend handelt.

Zum Vergleich: In Deutschland werden aktuell 230 Patienten wegen Corona intensivmedizinisch betreut. In Deutschland haben die gestiegenen Fallzahlen bei den Infektionen bisher nicht zu einem Anstieg der Patientenzahlen in den Krankenhäusern oder Intensivstationen geführt.

Frankreich müsse wachsam bleiben, da in den nächsten zwei Wochen mehr Menschen auf Intensivstationen eingeliefert werden würden, sagte Gesundheitsminister Olivier Veran nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters am Samstag schon gewarnt. ,,Wir befinden uns nicht auf der gleichen Epidemiewelle wie im vergangenen Frühjahr. Wir sehen einen langsameren Trend, aber es ist einer, der uns alarmieren muss", sagte Veran.

In der vergangenen Woche seien täglich im Schnitt 55 Patienten auf Intensivstationen eingeliefert worden. Die aktuellen Zahlen der Krankenhauseinweisungen spiegelten Infektionen wider, die vor zwei Wochen erfolgt seien. ,,Es ist also offensichtlich, dass es in den nächsten 15 Tagen eine Zunahme geben wird, sie wird nicht massiv sein, aber es wird dennoch eine Zunahme der Anzahl schwerer Fälle und der Zahl der Krankenhauseinweisungen und Patienten auf den Intensivstationen geben", sagte Veran.

Genau diese Zunahmen scheint es nun zu geben.

Die Bilder aus Frankreich erschütterten im Frühjahr auch viele Menschen in Deutschland, die Angst vor einem ähnlichen Szenario wie im Nachbarland war groß. Zeitweise meldete Frankreich vierstellige Todeszahlen pro Tag. Die Kapazitäten der Intensivstationen waren erschöpft, Berichte über das Triage-Verfahren in Kliniken machten die Runde. Präsident Emmanuel Macron sprach von ,,Krieg".

Nach ersten Gegenmaßnahmen im Februar zog die Regierung Mitte März die Notbremse und beschloss einen der schärfsten Lockdowns in Europa inklusive Ausgangssperren. Der Höhepunkt der ersten Ansteckungswelle war in Frankreich dann bereits Anfang April erreicht.

Danach konnte die Ausbreitung des Erregers Sars-CoV-2 weitgehend effektiv eingedämmt werden. Ende Mai fiel die Zahl der Neuinfektionen im Schnitt unter die Marke von 500 Fällen pro Tag. Die Lage schien beherrschbar.

Allerdings ist die aktuelle Situation mit der im Frühjahr kaum zu vergleichen. Denn im März wurde wohl nur ein Bruchteil der tatsächlich Infizierten überhaupt entdeckt. Schätzungen des Pasteur Institutes könnte es zum Höhepunkt der Epidemie im März in Frankreich bis zu 250.000 tägliche Neuinfektionen gegeben haben – statt der damals höchstens rund 8000 Neuinfizierten pro Tag. Das würde auch die relativ hohe Zahl schwerer und tödlich verlaufender Covid-19-Fälle in den Wochen danach erklären.

Auch jetzt entgehen den Testlabors noch Infizierte, aber die Schätzungen liegen mit vermutlich 10.000 bis 15.000 Neuinfektionen pro Tag wesentlich näher an den tatsächlichen Diagnosen von rund 9000 täglichen Neuinfektionen.

Hinzu kommt: Wie die ,,New York Times" berichtete, sind rund 30 Prozent der Neuinfizierten in Frankreich in einer relativ jungen Altersgruppe: zwischen 15 und 44 Jahren. Bekannt ist, dass junge Infizierte seltener schwere Symptome entwickeln. Die Teile der Bevölkerung, die besonders anfällig für schwere Verläufe sind, sind besser geschützt als während der ersten Phase im Frühjahr, als sie etwa in Seniorenheimen fast schutzlos waren.

Ein Grund ist sicher die gestiegene Zahl der Tests. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden wurden binnen einer Woche mehr als eine Million Tests vorgenommen. Der Anteil der positiven Tests stieg innerhalb einer Woche von 4,0 auf 4,5 Prozent.

Zum Vergleich: In Deutschland ist die Positivrate trotz ebenfalls erheblich ausgeweiteter Untersuchungen auf 0,74 Prozent zurückgegangen. Doch der starke Anstieg der registrierten Fälle könne nicht allein mit der Ausweitung der Tests erklärt werden, hieß es am Samstag von den französischen Gesundheitsbehörden.

Dass sich viele Urlauber nach dem Ende der Ferien testen lassen, gilt als ein Grund. Aber auch zunehmende Nachlässigkeit bei den Hygiene- und Abstandsregeln wird diskutiert. Auch illegale Feste – beispielsweise eines mit bis zu 10.000 jungen Menschen auf einem Feld in Südfrankreich oder Pool-Partys an der Côte d'Azur – werden als Ursache vermutet.

Seit Mitte Mai wurden außerdem die Auflagen gelockert, das öffentliche Leben nahm wieder Fahrt auf. Treffen unter Freunden, in Cafés und Parks wurden wieder zur Normalität, die Schulen öffneten, nach und nach auch Kinos und Museen. Seit Mitte Juni sind Reisen vom und ins europäische Ausland wieder möglich.

Eine Maskenpflicht gab es lange nur im öffentlichen Nahverkehr. Erst seit einigen Wochen ist sie in Geschäften ebenso Pflicht, auch am Arbeitsplatz müssen seit Anfang des Monats Masken getragen werden. Paris, Marseille und andere Städte ordneten eine Maskenpflicht auch im Freien an – eine der Reaktionen auf die veränderte Lage.

Inzwischen gelten mehr als ein Viertel der französischen Verwaltungsbezirke als ,,rote Zonen". Die Einstufung ermöglicht es den Behörden, die Corona-Maßnahmen zu verschärfen. Massendemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gab es in Frankreich anders als in der Bundesrepublik bisher nicht.

Für die Region Provence-Alpes-Côte d'Azur am Mittelmeer wie auch für den Großraum Paris gilt eine Reisewarnung der Bundesregierung. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie auf ganz Frankreich ausgeweitet wird.


Aus: "Nun steigt auch die Zahl der Intensivpatienten im Nachbarland" Benjamin Reuter (09.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/6500-neuinfektionen-in-frankreich-nun-steigt-auch-die-zahl-der-intensivpatienten-im-nachbarland/26171528.html
#1874
Quote[...] Okan Kara sitzt auf einer Betontreppe, die in ein Institut der Hamburger Universität führt. In dem Gebäude gegenüber studiert er, links daneben liegt die Bar, in der er arbeitet. Er schirmt sein Handydisplay gegen die Sonne ab, liest alte Nachrichten von seiner Mutter. In der Kontaktzeile steht "Mama", dahinter ein rotes Herz. Im Nachrichtenfenster ziehen mit jedem Wisch Verschwörungstheorien vorbei. Dann, ganz am Ende, Beleidigungen und Vorwürfe. Vor Kurzem hat der 23-Jährige den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen. Um sich, seine Mutter und seine Tante zu schützen, möchte er hier anonym bleiben.

"In den Medien erscheinen die Hygiene-Demonstranten oft, als wären sie Spinner vom rechten Rand. Die breite Masse denkt: Wir sind die Vernünftigen, die anderen die verrückten Verschwörungstheoretiker, Aluhutträger, Eso-Freaks. Aber das sind nicht nur irgendwelche verstrahlten Grenzgänger. In meinem Fall ist es meine Mutter, es ist meine Tante – es geht hier um meine Familie. Hätte mir jemand zu Beginn der Pandemie gesagt, dass die beiden an Verschwörungstheorien glauben würden – ich hätte gelacht. Niemals, hätte ich gesagt.

Meine Mutter und ich waren immer ein gutes Team. Sie war alleinerziehend, ich ihr einziges Kind. Ich wuchs in Hamburg-Eimsbüttel auf, in einer kleinen Wohnung mit Garten. Sie ist gelernte Arzthelferin, eine stolze Frau, weltoffen, in ihrem Leben viel gereist. Ich weiß nicht genau, was meine Mutter früher gewählt hat, aber ich würde tippen: die Grünen oder die Linke. Vor Corona wurde bei uns zu Hause selten über Politik gesprochen. 

Meine Tante, die Schwester meiner Mutter, ist Ärztin, Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis in München. Sie hat keinen Partner, ist kinderlos und liebte mich dafür umso mehr. Wir drei verbrachten Geburtstage, Weihnachten und Ferien zusammen. Wenn ich heute Bilder von uns anschaue, wie wir an meinem Geburtstag lachend in der Küche stehen, meine Mutter mich umarmt und meine Tante in einem Topf rührt, dann frage ich mich: Wie konnte es nur soweit kommen?

Als die Bundesregierung im März den Lockdown beschlossen hatte, merkte ich, wie sich die Gespräche mit meiner Mutter und meiner Tante veränderten. Sie kritisierten, dass nur Menschen wie der Virologe Christian Drosten in Bezug auf die Pandemie zu Wort kämen und andere Meinungen diffamiert und zensiert würden.

Beide empfahlen mir immer wieder, mich doch auch mal mit "alternativen Medien" auseinanderzusetzen. Ende März sagte meine Tante dann zum ersten Mal, sie fühle sich durch den Lockdown in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt. Das sei nicht in Ordnung. Meine Mutter fand, die Regierung würde die Pandemie dramatisieren.

Das erste Video bekam ich kurz darauf von meiner Tante über Telegram zugeschickt. Zu sehen war ein angeblicher Arzt, der erklärt, warum Corona mit einer Grippewelle vergleichbar sei und die Maßnahmen der Regierung "maßlos und rechthaberisch" wären.

Ich dachte: Okay, schau ich mir mal an. Ende März war vieles noch unklar, die Unsicherheit war groß, auch bei mir. Ich wollte offen sein.

Schnell merkte ich jedoch, wie sehr das Video den Informationen, die ich durch andere Medien bekam, widersprach. Ich informierte mich regelmäßig über die Seite des Robert Koch-Instituts, ich las den Spiegel, die ZEIT, schaute tagesschau und ließ mir auf YouTube von jungen Wissenschaftlern erklären, wie dieses Virus funktioniert. Ich wusste, dass Covid-19 keine einfache Grippe ist und war überzeugt, die Maßnahmen der Regierung seien richtig.

Von meiner Tante bekam ich weitere Videos, in denen Menschen behaupteten, ein Geldadel habe sich dazu verschworen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die Videos begannen mit Rockefeller und endeten bei Bill Gates, einer Zwangsimpfung und einer Elite, die Kinder entführt. Manchmal bekam ich am Tag zwei bis drei solcher Videos.

Samstag, 21. März 2020
Tante Esra: "Wer Menschen so etwas (künftiger Impfstoff, Anmerkung d. Red.) injiziert, handelt im Sinne der dunklen Mächte! Die Impfung wird euch krank machen beziehungsweise umbringen. (...) Sie geben vor, Menschen vor einer tödlichen (frei erfundenen) Pandemie schützen zu wollen, während sie in Wahrheit die Bevölkerung mithilfe kontaminierter Impfstoffe reduzieren möchten."


Meine Tante schickte mir Videos, mit meiner Mutter diskutierte ich einmal die Woche am Telefon. Sie fragte immer: Und, was sagst du zu den Links von deiner Tante? Verstehst du uns? Sie klang gehetzt und gereizt. Ich machte mir Sorgen um sie und sagte ihr das auch. Aber davon wollte sie nichts hören. Meine Tante und meine Mutter telefonierten fast täglich und tauschten sich über ihre neuesten "Erkenntnisse" aus, wie sie es nannten. Ich konnte spüren, wie sie sich radikalisierten und gegenseitig anstachelten und fühlte mich dabei völlig hilflos.

Donnerstag, 26. März 2020
Tante Esra schickt ein Video mit dem Titel: "Adrenochrom & Anti-Aging: Weshalb so viele Kinder entführt und rituell ermordet werden".


Die Videos meiner Tante haben mir die Tür in eine Welt geöffnet, die mir Angst macht. Ich hatte damals Semesterferien und schaute mir alle ihre Videos an und mir wurde immer deutlicher bewusst: Sie driften ab. Erst war ich völlig geschockt, aber dann wechselte ich in einen Aktionsmodus. Ich versuchte, mich in die Argumentation der Verschwörungsvideos hineinzufuchsen: Wie funktioniert diese Manipulation? Ich dachte, wenn ich die Mechanismen verstehe, finde ich eine Möglichkeit sie zu durchbrechen und den beiden zu zeigen, wie sehr sie sich irren.

Die Videos arbeiteten alle mit einer hochemotionalisierten Sprache. Normale Bedenken, wie die Sorge um die eigene wirtschaftliche Existenz, wurden benutzt und mit Unwahrheiten verknüpft. Die Videos waren teilweise so diffus, dass man nicht ein klares Argument erkennen konnte, die Aussagen blieben immer vage und ließen dadurch viel Platz für Interpretation. All das machte es für mich wahnsinnig schwierig, einen festen Punkt für ein Gegenargument zu finden.

Heimlich hoffte ich, das sei nur ein Phase, ein Missverständnis, in ein paar Tagen wäre es ihnen peinlich und sie würden sagen: Stimmt, du hast recht. Das ist ja alles völlig absurd.

Stundenlang surfte ich im Internet, nahm jede noch so winzige Behauptung eines Videos auseinander, suchte vertrauenswürdige Quellen heraus, die das Gegenteil bewiesen. Ich wurde akribisch, schrieb ihnen seitenlange Nachrichten zurück, in denen ich ihnen erklärte, warum Bill Gates zwar Geld in die WHO stecke, es aber nicht realistisch sei, dass er mit einem Mikrochip – verabreicht durch eine Impfung – Menschen versklaven oder töten wolle.

Ich schickte ihnen meine Faktenchecks. Statt einer Antwort bekam ich einfach ein neues Video zurück. Mit keiner Silbe gingen sie auf meine Argumente ein. Es fühlte sich an, als würden sie ein Spiel mit mir spielen, aber nur ich hielt mich an die Regeln. Argumente, Logik, Vernunft – all das zählte für die beiden offenbar nicht mehr.

Meine Tante ist Ärztin, sie hat ihr ganzes Leben ihrer Arbeit gewidmet. Wie sie an all das glauben kann, verstehe ich nicht. Diese Frau, die plötzlich das rechtspopulistische Magazin Compact als "seriöse wissenschaftliche Quelle" bezeichnet und im Wartezimmer ihrer Praxis auslegt, kommt mir vor wie eine Fremde.

Als Antwort auf die nächsten Videos schickte ich selbst welche. Ein Video von Mai Thi Nguyen-Kim und eines von MrWissen2go. Vielleicht würden sie Wissenschaftlerinnen und Experten eher glauben als mir.

https://www.youtube.com/watch?v=3z0gnXgK8Do

https://www.youtube.com/watch?v=-NLUWZqGpyc

Sonntag, 12. April 2020
Tante Esra: "Habe mir die Quellen angesehen und insbesondere diese Asiatin, die über die Phase zwei spricht. Wer ist schon "maiLab". Beide Speaker der obigen Videos sind von den Mainstream-Medien gesteuert. (...) falls du immer noch solche und derartige Inhalte für die Wahrheit halten solltest, dann kann ich dich nur noch bedauern."


Mainstream-Medien. Gesteuert. Irgendwann konnte ich nicht mehr schlafen. Tag und Nacht gingen mir die Videos durch den Kopf, die Sätze meiner Mutter und meiner Tante. Seit Wochen versuchte ich, mit ihnen zu diskutieren, doch ich drang nicht durch. Stattdessen wurde ich überschüttet mit immer neuen Videos. Am Telefon schrie meine Mutter mich mittlerweile an, wenn ich ihr widersprach. Ich versuchte, politische Themen zu meiden und nur noch über Alltägliches zu sprechen. Ich wollte einfach nur mit meiner Mutter reden, nicht mit der Verschwörungstheoretikerin. Ihre Enttäuschung über meine vermeintliche "Blindheit" ließ aber keinen Raum für andere Gesprächsthemen. Sie war vollkommen eingenommen, mich von ihren Theorien überzeugen zu müssen. Irgendwann eskalierte jedes unserer Gespräche.

Ich studiere Soziologie, mein Weltbild basiert auf der Idee, dass man mit Kommunikation fast alles lösen kann. Ich dachte: Ich muss nur besser argumentieren, mehr wissenschaftliche Quellen finden.

Meine Freunde, und besonders meine Freundin, waren in dieser Zeit für mich da. Sie waren genauso geschockt wie ich, viele von ihnen kannten meine Mutter und meine Tante. Ganze Abende diskutierten wir darüber, was ich noch tun könnte, aber uns fiel nicht mehr ein, als das, was ich ohnehin schon tat: dagegenhalten.

Donnerstag, 11. Juni 2020
Tante Esra: "Hallo, ich habe derzeit kein Interesse, mit dir zu telefonieren, da ich keinen Sinn darin sehe. Ich habe leider nicht das Gefühl, dass weder Mama noch ich dich erreichen. Alles, was wir dir gesendet haben, sollte als Denkanstoß zur Differenzierung der aktuellen nationalen und globalen Situation dienen. Ich habe nicht vor, dich von irgendetwas überzeugen zu müssen. Ich wünsche mir für dich, dass du eigenständig denkst und mit deinem Herzen handelst."


Ein paar Tage später begannen die beiden, mir plötzlich erklären zu wollen, dass Trump und Putin großartige Staatsmänner seien, obwohl sie die beiden vorher immer verurteilt hatten. Sie sagten, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung nur ein Zusammenschluss linker Faschos sei, die zu Unrecht Krawall machten und dass das Leid der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen egal sei, denn wichtiger wäre die Erkenntnis, dass sie Spielball der internationalen Politik seien, um unsere Gesellschaft zu spalten. Sie bauten ein linkes Feindbild auf und ich wurde ein Teil davon. Ihre Nachrichten wurden immer wirrer, man konnte ihre Wut förmlich rauslesen.

Sonntag, 14. Juni 2020
Mama: "Ein Mann lag im Koma, nur weil er auf eine Hygiene Demo ging und dort von 50 linken Faschos brutal zusammengeschlagen wurde. Mit eindeutiger Tötungsabsicht. Und der andere Dreck von BLM ist kein Stück besser. Siehe nur all die Drecksvideos mit dieser extremen Gewalt, das ist doch nicht normal. Macht ihr scheiß jungen Leute euch überhaupt über so was Gedanken. Alles bezahlte Söldner, Randalierer und Totschläger vonseiten der Elite."


Jetzt mischte sich auch noch rechtes Denken in ihre Argumente. Ich wurde wütend, das ging gegen meine innersten Werte. Ich versuchte trotzdem, weiter mit ihnen zu diskutieren, solche Aussagen konnte ich nicht stehen lassen. Doch statt auf mich einzugehen, beleidigten sie mich.

Sonntag, 14. Juni 2020
Mama: "Ich schäme mich, so etwas wie dich als Sohn zu haben, du bist mittlerweile echt das Allerletzte und ich verachte dich zutiefst für das, was du bist. Und so etwas studiert Soziologie und glaubt von sich, intellektuell zu sein ... einen Scheiß bist du, du hast noch nicht einmal Herzensbildung. Bist einfach ein selbstverliebter Egoist und Klugschwätzer, mehr nicht."


Es tut mir heute noch weh, das zu lesen. Das ist meine Mutter, die da schreibt. Egal wie aberwitzig die Videos und Aussagen meiner Mutter und Tante waren, ich habe ihnen kein einziges Mal vorgeworfen, lächerlich zu sein, weil sie an so einen Quatsch glaubten. Ich blieb immer fair, immer respektvoll. Ihre Thesen griff ich an, nie aber ihre Person. Und jetzt musste ich mir so etwas Verletzendes sagen lassen. Ich sah wie unsere Basis, dass wir eine Familie sind und uns lieben, langsam zerbrach.

Freitag, 26. Juni 2020
Tante Esra schickt ein Video von einem Mann, der sich Dawid Snowden nennt und von einem geplanten Völkermord der Bundesregierung durch eine Impfung spricht. Aufgrund von Überbevölkerung würde man die kommende Corona-Impfung dazu nutzen, die deutsche Bevölkerung zu minimieren und Menschen gezielt zu töten.


Das war zu viel. Erst beleidigte mich meine Mutter und dann ging es einfach weiter? Ich hätte mit einer Entschuldigung gerechnet, mit Einsicht, aber nicht mit einem neuen verdammten Video. Kurz darauf habe ich den Kontakt abgebrochen. Seither antworte ich ihnen einfach nicht mehr, weil ich keinen Sinn mehr darin sehe. Ich habe keine Worte mehr, mein Kopf ist leer. Das war's.

An schlechten Tagen fühlt es sich an, als wäre ich gescheitert, als hätte ich noch länger dranbleiben müssen. An guten Tagen weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich musste die Kommunikation beenden, weil es mich zu sehr verletzt hat und ich verstanden habe: All die Diskussionen, der Streit, meine Recherchen waren umsonst. Ich dringe nicht zu ihnen durch. Ich hatte mich die letzten Monate daran aufgerieben. Jetzt muss ich mich selbst schützen. Aber das kann gleichzeitig nicht für alle, nicht für die ganze Gesellschaft gelten.

Es muss möglich sein, als Gesellschaft im Gespräch mit Menschen zu bleiben, die drohen, in diesem Sumpf zu versinken. Niemand soll das erleben, was ich durchgemacht habe. Man muss die Sorgen und Ängste ergründen, die hinter diesem Verschwörungsglauben stehen, und man muss es schaffen, diese Menschen zurück in unsere Mitte zu holen, bevor es zu spät ist. Denn was ist die Alternative? Diese Menschen auszugrenzen und den Rechten zu überlassen?

Meine Tante will nun ihre Praxis aufgeben, das schrieb sie mir vor ein paar Wochen. Meine Mutter will ihre Krankenversicherung kündigen, sie will kein Arbeitslosengeld mehr beziehen und gemeinsam mit meiner Tante "aus dem System aussteigen". Was auch immer das heißt.

Oft habe ich mich gefragt: Warum meine Mutter? Warum meine Tante? Wieso sind die beiden so empfänglich für diese Verschwörungstheorien gewesen? Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Beide waren vorher weder besonders politisch, noch staatskritisch, noch esoterisch. Meine Mutter ist arbeitssuchend und ehrenamtlich tätig, meine Tante hat eine eigene Arztpraxis, sie haben unterschiedliche Lebenswelten und unterschiedliche Bildungswege hinter sich. Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben dieses Land immer respektiert, sich an Regeln und Gesetze gehalten, sich gegen nichts aufgelehnt. Meine Mutter ließ mich als Kind impfen – volles Programm. Sie war immer hilfsbereit, offen und zugewandt. Genau wie meine Tante.

Ich habe die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren und das Schlimmste ist: In ihrer Logik wollten sie mich eigentlich nur retten. Mir die Augen öffnen, mir klarmachen, wie die Welt wirklich ist. Dasselbe wollte ich auch, nur andersherum.



Aus: "Verschwörungstheorien: "Mama schrieb: Ich schäme mich, dich als Sohn zu haben""
Jakob Weber für ZEIT ONLINE - Generation Y, Protokoll: Sara Tomšić (9. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/campus/2020-09/verschwoerungstheorien-familie-mutter-radikalisierung-diskussionen-umgang/komplettansicht

QuoteOssilant #4

Hart.
Aber auch hier zeigt sich: der Bildungsweg ist kein Indiz dafür, wie anfällig jemand für solche Erzählungen ist.
Spätestens nach dem 29.08.2020, als zum dritten Mal innerhalb von sechs Monaten die Einführung der NWO verlegt wurde hätten die doch aber stutzig werden lassen sollen?


...

QuoteMichael Blume @BlumeEvolution

Auch zum 1.9. ist wieder 1 Endzeit-Datum von #QAnon & vieler sog. #Querdenker ohne Umwälzung abgelaufen. Genau deswegen muss schnell neue Erregung her, sonst zerfallen die Verschwörungsmythen. Hier ein Tweet einer Qultistin vom Mai. #Defender2020 #Apokalyptik #Putin #Trump

6:17 PM · Sep 7, 2020·Twitter Web App


https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1303004397140615171

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#1875
Quote[...] Freiwilligkeit statt Lockdown: Der schwedische Sonderweg in der Corona-Pandemie sorgt lange für Skepsis. Doch nun verkünden die Behörden einen Durchbruch: Die Rate der bestätigten Infektionen ist auf einem historischen Tiefstand, während andere Länder Europas vor der zweiten Welle zittern.

Schweden meldet einen Etappenerfolg in der Bewältigung der Corona-Pandemie: Die Quote der Positiv-Tests ist auf den niedrigsten Stand seit Ausbruch des Virus gefallen. In der vergangenen Woche wurden die Tests nach offiziellen Angaben auf den Rekordwert von mehr als 120.000 hochgefahren. Nur 1,3 Prozent fielen positiv aus. Im Frühjahr hatte das Niveau noch über Wochen um die 19 Prozent gelegen. Nach Ansicht mancher Experten zahlt sich nun die heimische Strategie aus, durch die sich die Ansteckungsrisiken mittlerweile verringert hätten.

Schweden fährt in der Corona-Krise einen eigenen Kurs, der auch im Ausland unter scharfer Beobachtung steht und mitunter heftige Kritik auslöst. Die Regierung hat auf einen Lockdown verzichtet und setzt stattdessen auf die Eigenverantwortung der Bürger sowie auf Abstandsregeln und ein gutes Hygieneverhalten. Die Idee dahinter ist, sich auf eine Verlangsamung der Virus-Ausbreitung zu konzentrieren, da sich der Krankheitserreger ohnehin nicht ausrotten lasse.

In Schweden sind bislang mehr als 5800 Menschen gestorben, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Die Pro-Kopf-Totenzahl liegt damit deutlich höher als in anderen nordeuropäischen Ländern. Sie ist zugleich aber niedriger als in Italien, Spanien und Großbritannien, wo es Lockdowns gab.

Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben das schwedische Modell als nachhaltig gelobt. Der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde, Johan Carlson, sagte, die heimischen Richtlinien seien einfach zu verstehen und für einen längeren Zeitraum gedacht. Die Bevölkerung habe sie inzwischen verinnerlicht. Das Land hat nun die geringste Ausbreitungsrate in Skandinavien. In Spanien und Frankreich ziehen die Positiv-Tests wieder an, nachdem die dortigen Lockdown-Maßnahmen beendet wurden.

"Unsere Strategie war konsequent und nachhaltig. Wir haben wahrscheinlich ein geringeres Ausbreitungsrisiko als andere Länder", sagte Epidemiologie-Professor Jonas Ludvigsson vom Karolinska Institutet. Schweden dürfte seinen Worten zufolge nun eine höhere Immunität in der Bevölkerung haben als die meisten anderen Länder. "Ich glaube, wir profitieren jetzt viel davon", betonte Ludvigsson.

Quelle: ntv.de, mau/rts


Aus: "Positiv-Quote niedrig wie nie Schweden feiert Etappensieg über das Virus" (Dienstag, 08. September 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/panorama/Schweden-feiert-Etappensieg-ueber-das-Virus-article22023814.html

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Quote[...] Schweden hat in den vergangenen zehn Tagen im Schnitt nur noch je einen Covid-19-Toten verzeichnet. Dies sagte der Direktor der staatlichen Gesundheitsbehörde FHM, Johan Carlson, bei einer Pressekonferenz. Auch die Zahl der Patienten auf Intensivstationen habe sich deutlich reduziert. Aktuell würden landesweit noch 13 Menschen intensivmedizinisch behandelt.

Auch die Zahl der Neuinfektionen bleibe im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in Europa inzwischen weiter auf einem niedrigen Niveau, obwohl mehr getestet werde. ,,In der Kalenderwoche 36 hatten wir fast 126.000 Tests, davon waren nur 1,2 Prozent positiv", sagte Carlson am Dienstag. Im Frühjahr hatte das Niveau noch über Wochen um die 19 Prozent gelegen.

Allerdings: Das Robert-Koch-Institut meldete am Mittwoch bei gut einer Million Tests in der Zeit vom 31. August bis zum 6. September eine Positivrate von 0,74 Prozent.

Die FHM – sozusagen das schwedische RKI – mit dem Staatsepidemiologen Anders Tegnell hatte sich in der Pandemie von Beginn gegen einen Lockdown ausgesprochen. Das Land mit seinen rund 10,2 Millionen Einwohnern fuhr einen moderaten Kurs und ließ beispielsweise Schulen bis zur 9. Klasse, Geschäfte und auch die Gastronomie geöffnet. Die Regierung setzte stattdessen auf die Eigenverantwortung der Bürger sowie auf Abstandsregeln und ein gutes Hygieneverhalten. Eine Maskenpflicht hält Tegnell bis heute für überflüssig.

Eine der Empfehlungen: Die Schweden sollten bei den geringsten Krankheitssymptomen zu Hause bleiben und nach Möglichkeit generell im Homeoffice arbeiten. Diese Empfehlung der FHM wurde bereits auf den Herbst ausgedehnt. Ein wirkliches Verbot gab und gibt es für den Besuch von Altenheimen – dies trat Anfang April in Kraft – zu spät, wie Kritiker monierten.

Die Strategie hinter dem international gern als ,,schwedischer Sonderweg" bezeichneten Kurs war und ist, sich auf eine Verlangsamung der Virus-Ausbreitung zu konzentrieren, da sich der Krankheitserreger ohnehin nicht ausrotten lasse, wie Tegnell immer wieder betonte.

,,Die Menschen haben ihr Leben ziemlich dramatisch verändert", sagte Ministerpräsident Stefan Löfven vergangene Woche nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Für eine endgültige Auswertung der Coronavirus-Krise sei es zudem zu früh, sagte Löfven. ,,Wir sind vielleicht noch mitten in der Pandemie."

Für ihren Ansatz wurden FHM und die rot-grüne Minderheitsregierung von Premier Stefan Löfven auch international heftig kritisiert – zumal das Land vergleichsweise hohe Fallzahlen verzeichnet.

Insgesamt gibt es Stand Mittwoch bisher 5842 Covid-19-Tote und 85.880 Infektionen – das sind 175 neue positive Tests mehr als am Vortag. Auf eine Million Einwohner berechnet liegt Schweden mit 573 Toten und 8402 Infektionen deutlich höher als die Nachbarländer Dänemark (108/3198) und Norwegen (50/2168) oder auch als Deutschland (113/3058). Diese Staaten waren alle in einen Lockdown gegangen.

Die Zahl der positiven Tests in Schweden liegt seit Ende August im Schnitt bei unter 250. Der deutliche Abfall der Kurve der Neuninfektionen seit Ende Juni sei ,,der Effekt der ergriffenen Maßnahmen, aber auch die Konsequenz aus der Spitze, die wir durch die vermehrten Tests in den Wochen vorher bekommen hatten", erklärte Tegnell gegenüber dem Tagesspiegel.

Die Zahl der Covid-19-Toten führen die Verantwortlichen in Schweden vor allem auf die hohe Sterberate unter Pflegebedürftigen zu Beginn der Coronavirus-Krise zurück. Die Todesrate in den Heimen sei ,,schrecklich", sagte der 64-Jährige. Offiziellen Angaben zufolge waren fast 80 Prozent der bisherigen Covid-19-Toten Pflegebedürftige.

,,Unser großes Versagen lag im Bereich der Langzeit- und Altenpflege. Die regionalen Ämter hätten besser vorbereitet sein müssen, dann hätte es weniger Tote gegeben", sagte Tegnell bereits vor Wochen. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission soll unter anderem dies untersuchen.

Zudem behauptete Tegnell schon in der Frühphase der Pandemie, die Zahl der Covid-19-Toten werde sich im Vergleich mit anderen Ländern im Verlauf der Pandemie angleichen. Ob sich diese These bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten.

Fakt ist, Schweden steht aktuell mit Blick auf das Infektionsgeschehen besser da als andere europäische Staaten wie zum Beispiel Frankreich, Spanien oder Italien. Diese Länder verordneten einen harten Lockdown. Nach Lockerungen werden die Auflagen dort inzwischen wieder deutlich verschärft, weil die Infektionszahlen drastisch ansteigen und von der Regierung in Paris auch wieder mehr schwere Krankheitsverläufe erwartet werden.

Tegnell hatte bereits vor zwei Wochen die Ansicht geäußert, angesichts der Entwicklung der vergangenen Wochen, brauche Schweden keine Wiederholung der Situation wie im Frühjahr zu befürchten. ,,Im Herbst werden wir es wohl mit sehr lokalen Ausbrüchen zu tun haben", sagte er.

Den lokalen Ausbrüchen solle mit einem klaren System für lokale Beschränkungen, Tests und Nachverfolgung der Infektionsketten begegnet werden. Eine flächendeckende Ausbreitung des Virus werde es nicht mehr geben. ,,Ich bin sicher, dass dabei die Immunität eine Rolle spielt, aber wie groß der Anteil ist, lässt sich zum heutigen Tag schwer beurteilen. Um dies zu analysieren, bedarf es mehr Zeit."

Tegnell war immer wieder vorgeworfen worden, für Schweden möglichst schnell die sogenannte Herdenimmunität angestrebt und damit bewusst Leben aufs Spiel gesetzt zu haben. Der Epidemiologe hatte mehrfach dementiert, dass dies Teil der FHM-Strategie sei.

Es gehe darum, dass Infektionsgeschehen so flach zu halten, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet werde. Wie in allen anderen Ländern klagte das medizinische Personal über extreme Belastung, die Intensivbetten waren in der Pandemie bisher allerdings nie alle belegt – auch weil die Kapazitäten ausgebaut wurden.

,,Unsere Strategie war konsequent und nachhaltig. Wir haben wahrscheinlich ein geringeres Ausbreitungsrisiko als andere Länder", bilanzierte nun auch der Epidemiologie-Professor Jonas Ludvigsson vom Karolinska Institutet in Stockholm. Schweden dürfte seinen Worten zufolge nun eine höhere Immunität in der Bevölkerung haben als die meisten anderen Länder. ,,Ich glaube, wir profitieren jetzt stark davon", betonte Ludvigsson.


Aus: "Schweden feiert Etappenerfolg in der Corona-Pandemie" Sven Lemkemeyer (09.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/weniger-infektionen-kaum-noch-tote-schweden-feiert-etappenerfolg-in-der-corona-pandemie/26170858.html

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Quote[...] Beinahe seit Beginn der Corona-Pandemie geistert der "Schwedische Sonderweg" durch die Medien und Stammtische. Während mit den steigenden Infektionszahlen in Europa ab März die Maßnahmen zur Viruseindämmung immer strikter wurden, ging Schweden einen ganz eigenen Weg: Die Behörden setzten auf die Freiwilligkeit der Menschen und umgingen so einen strikten Lockdown – zumindest bisher.

Denn nun denkt man auch in Schweden angesichts der erneut steigenden Infektionszahlen über einen Lockdown nach. Bereits am Montagabend könnten regionale Maßnahmen verkündet werden, sagte Johan Nojd, Leiter der Infektionskrankheiten-Abteilung in Uppsala, der britischen Zeitung "Telegraph" am Sonntag.

Am Montag tritt eine neue Regelung in Kraft, die es auch regionalen Gesundheitsbehörden erlaubt, Einschränkungen in ihren Regionen umzusetzen – in Absprache mit der nationalen Gesundheitsagentur. Zu den möglichen Maßnahmen zählen, dass Bürgerinnen und Bürger angewiesen werden können, Einkaufszentren, Museen, Bibliotheken und Schwimmbäder zu meiden. Weitere betroffene Orte können Sportstätten, Sportveranstaltungen und Konzerte sein. Auch die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel darf eingeschränkt werden, um Risikogruppen wie ältere Menschen zu schützen.

"Es ist eine Art Lockdown-Situation, aber ein lokaler Lockdown", sagte Nojd. Damit begegne man den wieder ansteigenden Infektionszahlen. In Uppsala sind die Zahlen in den vergangenen Wochen ums Zehnfache gestiegen. Im 14-Tage-Schnitt gab es in Schweden kumulativ rund 85 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, in Norwegen 37, in Dänemark 97 (Zahlen vom European Centre for Disease Prevention and Control). Bereits seit Anfang September steigen die Zahlen wieder an. Waren es Anfang September noch rund 200 Neuinfektionen täglich, sind es nun teils über 900 (Stand Ende vergangene Woche). Noch am Montag trifft sich Nojd mit dem nationalen Chefimmunologen Anders Tegnell, um mit ihm die möglichen Maßnahmen zu besprechen.

Die Lockdowns würden eine markante Abkehr von der bisherigen Strategie des Landes bedeuten. Während im Rest Europas ab März ein Land nach dem anderen per Ausgangssperren oder Lokalschließungen dichtmachte, blieben in Schweden die Betriebe, Lokale und Geschäfte offen. Das soziale Leben ging in vielen Bereichen weiter wie zuvor.

Diese Strategie wurde weltweit mit besonderem Interesse beobachtet. Chefepidemiologe Tegnell musste aber vor allem viel Kritik dafür einstecken. Denn der lockere Umgang hatte einen hohen Preis: Fast 6.000 Menschen sind bisher in dem Land an oder mit Covid-19 gestorben, das sind rund 58 pro 100.000 Einwohner – fast so viele wie im schwer betroffenen Italien (rund 60). Im benachbarten Finnland sind es lediglich sechs, in Österreich zehn (Zahlen von der John Hopkins Universität).

Tegnell selbst verteidigte die Strategie mithilfe des Arguments der Langzeitwirkung: Auf Dauer werde sich eine erreichte Herdenimmunität bezahlt machen. Allerdings gestand er Ende vergangener Woche ein, dass das Niveau der Herdenimmunität bei weitem nicht so hoch sei wie angenommen. Es gebe noch riesige Gruppen von Menschen, die noch nicht betroffen waren. (Anna Sawerthal, 19.10.2020)


Aus: "Schweden denkt nun doch über Lockdowns nach" Anna Sawerthal (19. Oktober 2020)
Quelle: https://www.derstandard.de/story/2000121026283/schweden-denkt-nun-doch-ueber-lockdowns-nach
#1876
Quote[...] Wiener Neustadt – Weil er im Oktober 2019 seine Frau und seine beiden Kinder getötet haben soll, ist ein nunmehr 32-Jähriger am Dienstag am Landesgericht Wiener Neustadt wegen dreifachen Mordes nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Mann wird außerdem in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingeliefert. Die Hauptfrage nach Mord wurden von den Geschworenen einstimmig bejaht.

Der österreichische Staatsbürger mit türkischen Wurzeln soll seine 29-jährige Partnerin am 27. Oktober 2019 im gemeinsamen Wohnhaus in Kottingbrunn (Bezirk Baden) mit vier Messerstichen in den Oberkörper umgebracht haben. Die zweijährige Tochter erlitt nach Angaben des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Wolfgang Denk zwei wuchtige Stiche mit demselben Küchenmesser mit einer 20,5 Zentimeter langen Klinge, der elf Monate alte Sohn starb an den Folgen eines mehrere Minuten andauernden Erstickungsversuchs. Nach Aussage des Beschuldigten war ein Streit, bei dem die Frau mit Scheidung gedroht hatte, Auslöser für die Tat. Der Mann bekannte sich am ersten Prozesstag in der Vorwoche schuldig.

Im Mittelpunkt des zweiten Verhandlungstages stand am Dienstag das psychiatrische Gutachten, das zwischen dem Sachverständigen Manfred Walzl und Verteidiger Wolfgang Blaschitz für längere Diskussionen sorgte. Walzl ortete beim Beschuldigten "eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten narzisstischen und dissozialen Anteilen" sowie eine "hegemoniale Männlichkeit". Hinzu sei im Laufe des Ermittlungsverfahrens ein ausgeprägtes Simulationsverhalten gekommen, vor allem deshalb, weil der 32-Jährige während der Tat Stimmen gehört haben will.

Woran sich Verteidiger Blaschitz vor allem störte, war die Gefährlichkeitsprognose für seinen Mandanten. Walzl befand, dass davon auszugehen sei, dass der Angeklagte "zu Tathandlungen der gleichen Art bis hin zum Mord innerhalb der Familie" neigen werde und empfahl daher eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Zwei von Blaschitz kurzerhand ins Treffen geführte Gegengutachten vermochten das Schwurgericht letztlich nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Walzl und die ihn unterstützende psychologische Expertin Anita Raiger hätten in ihrer Expertise nachvollziehbar die Gefährlichkeit des 32-Jährigen darstellen können, sagte die vorsitzende Richterin im Rahmen der Urteilsverkündung.

In Sachen Strafbemessung wurden das Geständnis und die Unbescholtenheit als mildernd gewertet. Als erschwerend erachtet wurden nach Angaben der vorsitzenden Richterin das Zusammentreffen von drei Verbrechen, die Verübung der Gewalttat gegenüber Kindern und der Ehefrau sowie das Verwenden einer Waffe. Erfolgs- und Handlungsunwert seien in dem Fall "so hoch wie in sonst kaum einem Strafverfahren" gewesen, betonte die Richterin.

Dem Vater seiner Frau muss der 32-Jährige 50.650 Euro bezahlen, der Mutter 45.000 Euro. Bruder und Schwester des Opfers erhalten je 10.000 Euro an Schmerzensgeld. Blaschitz meldete nach einer kurzen Unterredung mit seinem Mandanten Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung an, die Staatsanwältin verzichtete auf Rechtsmittel.

Im Zietraum 2014 bis 2019 kam es in Österreich zu einer Verdoppelung der Anzahl an jährlich ermordeten Frauen. Monatlich werden mittlerweile etwa 3 Frauen ermordet. Beim überwiegenden Teil der Frauenmorde bestand ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis (z.B. Partner oder Ex-Partner) zwischen Täter und Opfer. Im laufenden Jahr 2020 gab es laut Medienberichten bereits 16 Morde an Frauen (Stand: 6.8.2020). (APA, red, 8.9.2020)


Aus: "Lebenslang und Einweisung nach Mord an Frau und Kindern in Kottingbrunn" (8. September 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000119871538/lebenslang-und-einweisung-nach-mord-an-frau-und-kindern-in

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QuoteHasnain Kazim
@HasnainKazim

... Shaheen Baloch war eine Künstlerin, eine Malerin (die Gemälde, die zu sehen sind, hat sie gemalt). Shaheena war auch Journalistin, sie moderierte im Fernsehen. Vor fünf Monaten heiratete sie. Ihrem Mann gefiel nicht, dass seine Frau so erfolgreich ist...

4:26 PM · Sep 8, 2020·Twitter


https://twitter.com/HasnainKazim/status/1303338859862929409
#1877
Quote[...] In dem überfüllten griechischen Flüchtlingslager sind mehrere Brände ausgebrochen. Auch Wohncontainer brennen. Starke Winde fachen die Flammen an.

Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos steht nach dem Ausbruch mehrerer Brände fast vollständig in Flammen. In den frühen Morgenstunden brannte das Feuer weiter, angefacht von Winden mit bis zu 70 Kilometern pro Stunde. Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen hatten. Über Verletzte oder Tote gab es zunächst keine Informationen.

Vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen.

Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb vorerst unklar – die Angaben dazu gingen zunächst auseinander.

Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die "Bye-bye, Moria!" sangen. Die Flüchtlingshilfsorganisation Stand by Me Lesvos schrieb auf Twitter: "Alles brennt, die Menschen fliehen."

Viele der mehr als 12.000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben.

Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Corona-Problematik sei die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.

Das Flüchtlingslager Moria ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt lebten dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten – bei einer Kapazität von gerade mal 2.800 Plätzen.

Der Nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) forderte eine rasche Reaktion von Bund und EU. Die Länder hätten bereits Hilfe angeboten, der Bund müsse dabei die Koordination übernehmen. "Horst Seehofer und Heiko Maas sind bisher untätig geblieben. Das muss sich sofort ändern", sagte Stamp.  Anfang August hatte er zusammen mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das größte Flüchtlingslager Europas besucht und sich ein Bild von den Zuständen in dem überfüllten Camp gemacht.

Da Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne habe, trage es eine besondere Verantwortung, sagte Stamp: "Wenn die EU nicht in der Lage ist, wenige Tausend Migranten menschenwürdig unterzubringen, ist das eine Bankrotterklärung der europäischen Werteordnung."

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock twitterte: "Furchtbare Nachrichten aus Moria Im abgeriegelten Lager brennt es. 13.000 Menschen brauchen Schutz. Wir haben Platz."



Aus: "Griechenland: Flüchtlingslager Moria auf Lesbos steht in Flammen" (9. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-09/griechenland-fluechtlingslager-moria-lesbos-braende


"Flüchtlingslager auf Lesbos ausgebrannt:Die letzten Tage von Moria" Christian Jakob (9.9.2020)
Das Flüchtlingscamp Moria existiert nach einem Brand nicht mehr. Mehr als 12.000 Menschen waren dort 176 Tage wegen der Coronapandemie eingesperrt.
https://taz.de/Fluechtlingslager-auf-Lesbos-ausgebrannt/!5708028/


"Das Feuer in Moria" Wassilis Aswestopoulos (09. September 2020)
Knapp 13.000 Insassen des Flüchtlingslagers auf Lesbos irren nun obdachlos über die Insel ...
https://www.heise.de/tp/features/Das-Feuer-in-Moria-4889197.html

#1878
Quote[...] Einer Studie zufolge könnte der Lebensraum von bis zu einer Milliarde Menschen im Jahr 2050 bedroht sein. Eine Untersuchung des Institute for Economics and Peace prognostiziert, dass etliche Menschen dazu gedrängt werden, ihre Heimatländer wegen des Klimawandels, Kriegen und anderer Krisen verlassen zu müssen. 

Besonders bedrohte Hotspots sind demnach die afrikanische Sahelzone, weiter südlich liegende afrikanische Staaten wie Angola oder Madagaskar sowie der Nahe Osten von Syrien bis Pakistan. Die größte Bedrohung sehen die Forscherinnen und Forscher in Stürmen, Überflutungen sowie einer Wasser- und Lebensmittelknappheit. Bei ihren Berechnungen gehen sie davon aus, dass Naturkatastrophen mindestens mit gleicher Regelmäßigkeit auftreten wie in den vergangenen Jahrzehnten.

Anhand vieler verschiedener Faktoren listen die Forscherinnen 31 Länder, die sie als nicht widerstandsfähig genug einstufen, um die ökologischen und politischen Veränderungen der kommenden Jahrzehnte auszuhalten.

Das werde die Staaten zwar nicht vollständig unbewohnbar machen, jedoch würden etliche Menschen zum Umsiedeln gezwungen werden. Die Bevölkerung dieser Länder macht laut Angaben der Forscherinnen mehr als eine Milliarde der Weltbevölkerung aus.

Die Forscherinnen warnen deswegen vor einer massenhaften Migrationsbewegung, von der vor allem die europäischen Länder betroffen sein würden. So könnten etwa aus Pakistan, Iran oder Äthiopien Hunderte Millionen Menschen ihre Heimatländer verlassen, um Zuflucht in sichereren Regionen zu suchen.

Dabei sehen die Forscherinnen einen Zusammenhang zwischen politischen Konflikten und ökologischen Bedrohungen. "Es ist eine Art Teufelskreis. Durch Konflikte werden die natürlichen Ressourcen von Ländern zerstört – und die Knappheit wiederum führt dann zu weiteren Konflikten", sagte Autor Steve Killelea gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. So sei es etwa im Jemen der Fall.

Europa müsse sich der Bedrohung und der damit verbundenen Verantwortung bewusst werden, forderte Killelea. Regierungen müssten sich damit auseinandersetzen, wie sich die Widerstandsfähigkeit von Krisenstaaten stärken lasse. Insbesondere beim Thema Wasserknappheit gelte es, Unternehmen und Regierungen zu unterstützen.

Denn im Jahr 2015 habe man gesehen, "wie selbst eine relativ kleine Zahl an Migranten massive politische Unruhen und Entwicklungen auslösen können", sagte Killelea. Damals waren mehr als eine Million Flüchtlinge nach Europa, viele aus Syrien oder dem Irak, gekommen.


Aus: "Klimawandel: Forscher sehen Lebensraum von einer Milliarde Menschen bedroht" (9. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/wissen/2020-09/klimawandel-studie-europa-migration-2050-lebensraum

#1879
Quote[...] Lima – Gemessen an der Bevölkerungszahl sterben in keinem Flächenstaat der Erde so viele Menschen an der Lungenkrankheit COVID-19 wie in Peru. 89,99 Tote je 100.000 Einwohner registrierte das südamerikanische Land zuletzt. Damit liegt es vor Belgien, Andorra und Großbritannien weltweit an erster Stelle.

Nur der Kleinstaat San Marino in Italien kommt umgerechnet auf die Bevölkerungszahl auf noch mehr Tote – allerdings mit insgesamt gerade einmal 42 Opfern.

Bislang haben sich in Peru mehr als 652.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 28.000 Patienten sind an COVID-19 gestorben. In Südamerika ist nur das viel größere Brasilien in absoluten Zahlen stärker von der Pandemie betroffen.

Trotz großer Bemühungen ist es der peruanischen Regierung bislang nicht gelungen, die Infektionszahlen zu drücken. Zwar erließ sie gleich zu Beginn der Pandemie weitrei­chen­de Ausgangssperren, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen.

Allerdings können es sich in dem armen Land viele Menschen schlicht nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Rund 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Peru sind im infor­mell­en Sektor beschäftigt – das ist selbst für lateinamerikanische Verhältnisse sehr viel.


Aus: "Peru bei Sterblichkeit an COVID-19 weltweit an der Spitze" (Mittwoch, 2. September 2020)
Quelle: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/116162/Peru-bei-Sterblichkeit-an-COVID-19-weltweit-an-der-Spitze


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Quote[...] Als Reaktion auf die zunehmenden Corona-Infektionen in England werden dort Versammlungen mit mehr als sechs Menschen bis auf Weiteres untersagt. Die neue Obergrenze soll ab kommendem Montag gelten und betrifft sowohl Treffen in den eigenen vier Wänden als auch im öffentlichen Raum, wie die britische Regierung laut übereinstimmenden Medienberichten am Mittwoch offiziell verkünden wird. Bislang gilt hier eine Grenze von 30 Personen.

Ausnahmen werden den Berichten zufolge für Haushalte mit mehr als sechs Personen wie auch für Treffen mit beruflichem Hintergrund oder zu Ausbildungszwecken gelten, also etwa in Schulen. Auch Hochzeiten, Beerdigungen und bestimmte Sportarten sollen von den verschärften Regeln ausgenommen sein.

Die Zahl der Corona-Infektionen in Großbritannien stieg zuletzt wieder deutlich an. In den vergangenen Tagen gab es jeweils fast 3.000 bestätigte Neuinfektionen pro Tag, wie aus den offiziellen Zahlen der Regierung von Dienstag hervorgeht. Das ist der höchste Stand seit Ende Mai.


Aus: "Versammlungen mit mehr als sechs Menschen in England künftig verboten" (00:29 9. September 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/2020-07/corona-weltweit-pandemie-entwicklung-live?liveblog._id=urn:newsml:localhost:2020-09-09T00:29:22.505437:ad9dcf82-be74-4e83-a0a3-67a2b37a94ff__editorial | https://www.zeit.de/politik/2020-07/corona-weltweit-pandemie-entwicklung-live

#1880
Quote[...] Die Talkshows von ARD und ZDF bilden nach einer Studie mit ihrer Gästebesetzung die Realität des politischen Systems nur unzureichend ab. Das ergab eine Studie des Think-Tanks ,,Das Progressive Zentrum", die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Insbesondere die Wertschätzung der kommunalen und europäischen Ebene könne darunter leiten. Auffallend niedrig sei die Präsenz von Organisationen, die besonders hohes Vertrauen in der Gesellschaft genössen, beispielsweise Verbraucherschützern, Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften.

Die Studie mit dem Titel ,,Die Talkshow-Gesellschaft" untersuchte die Gästelisten und Themen von 1.208 Sendungen über einen Zeitraum von drei Jahren (März 2017 - März 2020), plus der Sendungen aus der Hochphase der Corona-Pandemie (04. März - 24. April 2020). Der Schwerpunkt der Analyse lag auf den ARD-Sendungen ,,Anne Will", ,,Hart aber fair" und ,,Maischberger" sowie der ZDF-Talkshow ,,Maybrit Illner", für punktuelle Vergleiche wurden außerdem ,,Markus Lanz" (ZDF) und die ,,Phoenix Runde" ausgewertet.

Zwei Drittel aller Gäste kamen der Untersuchung zufolge aus Politik und Medien, 8,8 Prozent aus der Wissenschaft, 6,4 Prozent aus der Wirtschaft und 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft. Politikerinnen und Politiker wurden vor allem auf Bundesebene eingeladen (70 Prozent), während der Anteil der europäischen und der kommunalen Ebene erheblich geringer ausfiel (7,3 und 2,4 Prozent). Insgesamt hatten 84,8 Prozent aller Politikerinnen und Politiker eine westdeutsche politische Biografie, 15,2 Prozent eine ostdeutsche.

Acht von zehn Gästen aus der Wirtschaft repräsentierten laut Studie die Unternehmerseite, Gewerkschaften und Verbraucherschutz waren selten präsent. Zwei Drittel der Gäste aus der organisierten Zivilgesellschaft waren Aktivistinnen und Aktivisten, Nichtregierungsorganisationen kamen kaum zu Wort. In der Corona-Zeit stieg der Anteil der Gäste aus der Wissenschaft auf 26,5 Prozent, aus dem Sozialbereich und der Bildung kamen zu Beginn der Krise nur jeweils 0,7 Prozent der Gäste.

Die Studien-Autoren Paulina Fröhlich und Johannes Hillje plädieren angesichts dieser Ergebnisse dafür, Vertrauen zu stärken, lösungsorientierter zu debattieren und den politischen Blickwinkel zu weiten. Die zuletzt bei den Corona-Demos spürbare Entfremdung mancher Menschen von Medien und Politik sei auch als ,,Krise der Repräsentation" zu verstehen.

,,Das Progressive Zentrum" ist nach eigener Darstellung ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank mit dem Ziel, neue Netzwerke progressiver Akteurinnen und Akteure unterschiedlicher Herkunft zu stiften und eine tatkräftige Politik für den ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt mehrheitsfähig zu machen. Die Organisation hat ihren Sitz in Berlin. epd


Aus: "Gästebesetzung von TV-Talkshows verzerrt Realität" (08.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/studie-zu-talkshows-gaestebesetzung-von-tv-talkshows-verzerrt-realitaet/26168388.html

Quotechelovek17 08.09.2020, 19:26 Uhr

Politische 'Talk-Shows' ... Nunja.

Letztlich geht es offenbar um Reichweite, hergestellt durch emotionalisierende Themen und mittels den Zuschauern bekannter PR-Profis. Statt um Lösungen.
Eine Art wöchentliches Gladiatorenschauspiel. Das sich dann mit den Federn der politischen Bildung schmückt.


QuoteKDN 08.09.2020, 16:21 Uhr

Es sind nicht nur immer die gleichen Gäste, es sind auch immer die gleichen Fragen, die gleichen Hintergründe, die gleichen Abläufe, die gleichen Übereinkünfte der Plaudernden. ...


Quotegesundermenschenverstand 08.09.2020, 16:15 Uhr

In der Regel transatlantisch neoliberal besetzt.
Also nicht "nur" unzureichend, sondern hochgradig einseitig rechtslastig.
Auch über die Talk- Shows hinaus.


QuoteHenrik1970 08.09.2020, 18:21 Uhr

Antwort auf den Beitrag von gesundermenschenverstand 08.09.2020, 16:15 Uhr
Ihre subjektive  Wahrnehmung finde ich interessant, da ich eher das Gegenteil gedacht habe. Selten sind Vertreter der AfD in den Talk-Shows, aber oft Linke, Grüne oder SPD-Mitglieder des linken Flügels (z.B. K. Kühnert).


Quotevielleser 08.09.2020, 15:19 Uhr

Talkshows

Guten Tag,
Nina Hagen hatte einen guten Auftritt, Nikel Pallat auch, aber das waren die wilden 70iger. ...


Quotejonnyrotten 08.09.2020, 17:08 Uhr

    Antwort auf den Beitrag von vielleser 08.09.2020, 15:19 Uhr
    Kinski haben Sie vergessen!!!
    "Ich versteh`die Frage nicht"........


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