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#1741
Quote[...] «Aufklärer», so nennen sie sich gern. Tatsächlich verstehen Verschwörungstheoretiker die Welt bis heute nach einem Modell, das in der Zeit der Aufklärung entwickelt wurde: Was geschieht, geschieht mit Absicht.

Manche Leute haben es gut. Denen ist nichts zu klein, ein Hinweis zu sein. Denen genügt ein Blick in ein Asterix-Heft, um zu merken, dass die Sache mit Corona stinkt. Dass die Seuche in Wahrheit keine Seuche ist, sondern versteckte biologische Kriegsführung. Und dass dahin­ter Leute stehen, die die Bevölkerung in Europa dezimieren wollen. Oder Leute, die mit dem Impfstoff Kasse machen wollen. Oder Leute, die den Ausnahmezustand nutzen wollen, um die Bürger gefügig zu machen, die Freiheit abzuschaffen, Donald Trump zu stürzen und eine «Neue Weltordnung» durchzusetzen.

Asterix also, Band 37, Asterix in Italien. Start zum «Grossen Transitalischen Wagenrennen» von Monza nach Neapel. In der Arena wird der grösste Wagenlenker der Antike angekündigt, aus zehntausend Kehlen ruft das Publikum den Namen des Champions, der stets eine grinsende goldene Maske trägt: «Coronavirus! Coronavirus! Coronavirus!»

Dabei ist der Band schon 2017 erschienen, lange vor der Pandemie. Und das heisst doch nichts anderes als: Die Krise muss geplant gewesen sein. «Ich konnt's kaum glauben, aber es wurde schon in Asterix angekündigt», erklärte im März auf Youtube Oliver Janich, ein «investigativer Journalist» in Deutschland, der seine über 150 000 Abonnenten indessen nicht mit brisan­ten Dokumenten bedient, sondern mit Verschwörungstheorien sowie rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Ansichten.

Auch im Milieu der Esoteriker gab es Erleuchtungen wegen Asterix. Leute, die sich sonst an den Maya-Kalender und die Zyklen von Saturn und Pluto halten, um die Gegenwart zu deuten, erkannten im Comic die «Indizien», nach denen es sich bei Covid-19 um eine «Testseuche» beziehungsweise eine «künstliche Biowaffe» handelt, geschaffen von Mächten, die die Unterwerfung der Menschheit planen. Wer diesen Plan sieht, der sieht aber noch mehr. «Finanz- & Wirtschaftskollaps, Einschränkung Bürgerrechte, Bargeld­abschaffung, Enteignung, Verstädterung, Verarmung, Verdummung, Überwachung, Chippung, Zwangsimpfungen» (blaupause.tv) – alles hängt mit allem zusammen, und in diesem grossen Ganzen bekommt auch der Name eines Wagenlenkers seine wahre Bedeutung, neben verdächtigen Vorgängen in einem Labor in Wuhan oder Ungereimtheiten in der offiziellen Statistik: «Coronavirus» war eine geheime Botschaft. Oder ein Versehen, mit dem sich die Drahtzieher der gegenwärtigen Ereignisse verraten haben.

Dass der Wagenlenker in der deutschen Ausgabe nicht Coronavirus heisst, sondern Cali­­­ga­­rius, dass man Coronaviren schon seit fünfzig Jahren kennt und auch so nennt – es änderte nichts. Sollte es ebenfalls ein Zufall sein, dass Coronavirus im Rennen mit verbotenen Manövern triumphiert? Dass die Show ein korrupter Staatsvertreter finanziert? Und trägt Coronavirus etwa keine Maske? Als Einziger?

2020 scheint diese Art Denken in der Gesellschaft angekommen zu sein. Die Pandemie habe eine «Flut an Verschwörungserzählungen» ausgelöst, diagnostiziert der Spiegel. Die «Lust auf Verschwörungstheorien» habe zugenommen, findet auch der Historiker Norbert Frei. Dass sie «unser Denken bestimmen», stellen die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Bürgerrechtlerin Katharina Nocun schon im Untertitel ihres Sachbuchs fest. Dass der Verschwörungsglaube in dieser Pandemie aufblüht, erklären sie damit, dass er den «Kontrollverlust» kompensieren und den Ungewissheiten eine eigene Version der Wahrheit entgegenhalten könne.

Zwar ist nicht jeder, der sich um seine Existenz oder um die Bürgerrechte sorgt, ein Verschwörungstheoretiker. Aber die «Corona-Rebellen» aller Couleur finden sich in einem tiefen Misstrauen vereint: in der Vorstellung, die Behörden hätten es auf die Freiheit der Bürger abgesehen und Wissenschaft und Medien brächten manches absichtlich nicht zur Sprache. Von hier aus ist es nicht weit zum Glauben an eine Wahrheit hinter den Kulissen. Bill Gates zum Beispiel, der mit Forschungsgeldern Regierungen gekauft und die WHO übernommen haben soll, um internationale Programme für Impfungen und Chip-Implantationen durchzusetzen. Endziel: Weltdiktatur.

Erleben wir also gerade den Durchbruch eines «Wissens», das die hergebrachten Standards von Rationalität ablöst? Endet der gesellschaftliche Minimalkonsens darüber, was als Wahrheit gilt? Oft hat man Verschwörungstheorien als Pathologien gedeutet, als ­Ausdruck einer Paranoia. Mittlerweile lässt sich die spezifische Art von Rationalität besser verstehen, die diesen Theorien eigen ist. Michael Butter, Tübinger Professor für amerikanische Kultur- und Literaturgeschichte sowie Leiter eines internationalen Forschungsprojekts zum Thema, hat ein Buch über die kulturelle Logik des Verschwörungsdenkens geschrieben, und dafür, dass sich die Erzählungen über ein Corona-Komplott so schnell verbreiteten, hat er eine zusätzliche Erklärung neben dem «Kontrollverlust»: Sie hätten, erklärte er in Interviews, an schon bestehende Ideen angedockt – an Feindbilder wie den Staat, die Industrie, das internationale Kapital, die liberalen Eliten, die Amerikaner, die Chinesen.

Eine Verschwörungstheorie kommt eben selten allein. Zugleich korrigiert der Kulturhistoriker den Eindruck, Corona habe Verschwörungstheorien einen Boom beschert: «Der Konspirationismus ist derzeit nicht einflussreicher als je zuvor.» Man sehe ihn lediglich besser, so Butter. Tatsächlich verbreiten Verschwörungstheoretiker ihre Schöpfungen im Online-Universum einfacher als in Zeiten, da sie noch mit Schreibmaschinen operieren mussten, mit Kopiergeräten, Vorträgen und Büchern aus Klein- und Kleinstverlagen. Zudem müssen sie in den sogenannten sozialen Medien nicht lange nach Kundschaft Ausschau halten: Die «Lügenpresse!»-Rufer sind schon da, und sie sind willens, ihre «alternativen Wahrheiten» laufend um die gerade neueste zu erweitern. Dazu kommt die puzzle­förmige «Informationsarchitektur» (Bernhard Pörksen) des Netzes, die für die Produktion von Verschwörungserzählungen wie geschaffen scheint: Hier lässt sich alles mit allem verlinken, jeder Zusam­men­hang durch einen neuen ersetzen. Schliesslich verschafft ihnen auch der politische Populismus eine Bühne. Doch da, wo sie in einer grösseren Öffentlichkeit auftauchten, dominiere weiterhin «nicht der Glaube an, sondern die Sorge über Verschwörungstheorien», schreibt Butter.

Dass es sie schon in der Antike gab, wie so vieles andere, ist keine grosse Überraschung. Entscheidend ist ein Unterschied zur Gegenwart: In Athen und Rom gehörten sie zur politischen Kultur, sie waren salonfähig. In Versammlungen und in Verhandlungen vor Gericht warfen die Redner ihren Gegnern regelmässig Komplotte und andere finstere Ränke vor. So kamen Athens Rat der Fünfhundert und Philipp II. von Makedonien in den Ruch, im Geheimen die Zerstörung der Demokratie und der Polis zu betreiben. Kein Geringerer als Marcus Tullius Cicero beschuldigte Gaius Verres, den Statthalter der Provinz Sizilien, Sklavenaufstände unterstützt zu haben, die nie stattgefunden hatten. Cicero war im Jahr 70 vor Christus Ankläger in einem Korruptions­prozess gegen Verres, der mit dessen Flucht ins Exil endete. Und damit, dass der Verschwörungstheoretiker Cicero fortan als der bedeutendste römische Redner galt und mit seinen fünfbändigen Reden gegen Verres Literaturgeschichte schrieb.

Das heisst nicht, dass es in der Geschichte keine wirklichen Verschwörungen gegeben hätte. Aber sie waren stets kleiner als die Gespenster der Verschwörungstheoretiker. Dass sich Dutzende Mitwisser an einem Mordkomplott beteiligten wie jenem, dem 44 vor Christus Julius Cäsar zum Opfer fiel, ist schon eine Ausnahme. Die Antike macht schliesslich auch klar, dass Verschwörungstheorien heute mitnichten wieder dort angekommen wären, wo sie damals waren: in der Mitte der Gesellschaft. Die längste Zeit in der Geschichte waren sie offiziell akzeptiert, «es war normal, an sie zu glauben» (Butter). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sie stigmatisiert und «aus dem öffentlichen Diskurs in Subkulturen verbannt».

Gewiss, es gibt Donald Trump und seine Neigung, jeden Einwand gegen seine Politik mit einem versteckten Plan feindlicher Mächte zu erklären. Aber gerade der heutige Mann im Weissen Haus macht vor, was sich geändert hat: Die meisten seiner Vorgänger stiessen mit Verschwörungstheorien kaum auf Widerspruch. «Von George Washington bis Dwight D. Eisenhower gibt es vermutlich keinen Präsidenten, der nicht an solche Theorien glaubte», schreibt Michael Butter. Tatsächlich wurden die USA geradezu aus dem Glauben an Verschwörungen geboren: Gründerväter wie Washington, Thomas Jefferson oder John Adams waren überzeugt, dass sich der britische König und seine Minister gegen die nordamerikanischen Kolonien verschworen hätten, um ihre Existenz mit Operationen hinter den Kulissen zu untergraben. Laut Butter war dieser Glaube «ein entscheidender Faktor auf dem Weg zur Amerikanischen Revolution».

Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 blühte in der jungen Republik dann die Furcht vor einer Intrige der Freimaurer und der Illuminaten; angeblich hatten sie schon die Revolution in Frankreich angezettelt und planten nun weitere Komplotte. Eine Frucht dieser Furcht waren die Alien and Sedition Acts von 1798, ein Paket von Gesetzen, die die Rechte von Ausländern beschnitten und subversive Kritik an der Regierung strafbar machten. Verschwörungstheorien funktionierten als Währung in der Politik, sie liessen sich in Macht ummünzen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs aus der Vorstellung, Europas katholische Mächte wollten die Werte der USA und ihre Institutionen zersetzen, sogar eine eigene Partei, die sich Native American Party nannte. Bis dahin in antikatholischen Geheimgesellschaften tätig und getrieben vom Glauben, eine päpstliche Armee werde an der Ostküste landen und im Landesinnern einen neuen Vatikan gründen, kämpften die Native Americans gegen die Einwanderung von Katholiken aus Deutschland und Irland. Sie erklärten sie zu Agenten des Papstes, wollten ihre Einbürgerung erschweren und ihre Zu­lassung zu politischen Ämtern ausschliessen, ­wobei zur Parteipolitik auch handfeste Gewalt gehörte. Das ist die soziale Leistung von Verschwörungstheorien: Sie erlauben es, Feinde zu identifizieren. Zugleich stiften sie ein Selbstverständnis; sie halten Gruppen zusammen und erheben sie über den Rest der Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Welt.

Wie staatstragend Verschwörungstheorien für die USA waren, zeigt die Republikanische Partei. Sie fand ihren Gründungsmythos in einem Komplott namens «Slave Power», einem angeblichen Geheimplan radikaler Befürworter der Sklaverei. 1858 beschuldigte ein republikanischer Politiker in einer seiner Reden die Spitzen des Staats persönlich – den damaligen Präsidenten und dessen Vorgänger sowie den obersten Richter –, eine riesenhafte Verschwörung anzuführen und sämtliche Krisen der letzten Jahre dirigiert zu haben, um ihr geheimes Ziel zu erreichen: überall in den Vereinigten Staaten die Sklaverei einzuführen. Der republikanische Redner hiess Abraham Lincoln, er wurde 1860 zum Präsidenten gewählt.

Verschwörungstheorien sind aber keine amerikanische Erfindung. Im 18. Jahrhundert kommen nicht nur Amerikas vermeintliche Feinde aus Europa: Auch der Konspirations­glaube ist ein Import aus der Alten Welt. Hier hat sich in der Zeit der Aufklärung ein Verständnis der Wirklichkeit entwickelt, das dem Verschwörungsdenken erst seine moderne Schlagkraft gibt. Es geht um die menschliche Handlungsfähigkeit – um die Frage, wer den Lauf der Dinge lenkt, wenn Gott und der Antichrist dafür je länger, je weniger infrage kommen.

Die Naturphilosophen haben bereits eine neue Physik entworfen, in der Ursache und Wirkung mechanisch verbunden sind: Das eine ergibt das andere, so ist die ganze Natur aus sich selbst heraus erklärbar. Nun, im 18. Jahrhundert, übertragen die Moralphilosophen dieses Modell auf die Gesellschaft und den Gang der Geschichte. «So zeigt sich», schreibt David Hume in seiner Untersuchung über den menschlichen ­Verstand von 1748, «dass die Verbindung zwischen Motiv und Handeln ebenso regelmässig und gleichförmig ist wie die zwischen Ursache und Wirkung in allen Gebieten der Natur.» Damit erklärt sich auch alles Elend auf der Welt. Es komme nicht aus «fernen Himmeln», so Constantin François Volney 1791: «Es sitzt im Menschen selber, er trägt es in den inneren Winkeln seines Herzens» (Die Ruinen oder Betrachtungen über die Umwälzungen der Reiche).

Das war damals ein bestechendes, «ein neuartiges Denken über Kausalität», nach dem Historiker Gordon Wood. Es schärfte den Verschwörungsglauben, und es liess ihn im 18. Jahrhundert boomen. Stellt man nämlich Intentionen an den Anfang einer jeden «Kette von Ursachen und Wirkungen in menschlichen Angelegenheiten», so Wood, dann kann von jedem Ereignis auf einen Willen oder einen Plan geschlossen werden, und das mit naturwissenschaftlicher Gewissheit und Genauigkeit. Wobei ein Ereignis die Intention auch dann verrät, wenn ein Urheber seine Urheberschaft verbergen will.

So etwas gab es im europäischen Mittelalter nicht. Hier war die Welt noch Gottes Werk und Teufels Beitrag. Das ist auch der Grund, warum man die Vorläufer verschwörungstheoretischen Denkens weniger im Mittelalter findet, sondern eher früher, in der Antike; trotz der mittelalterlichen Verfolgung von Hexen und Juden. Ihnen wurden durchaus geheime Pläne und Pakte vorgeworfen. Aber über allem standen Gott und sein Widersacher: Diese metaphysischen Mächte entschieden über den Gang der Welt, und man brauchte keine verschwörungstheoretische Be­weis­füh­rung, um das zu wissen.

Erledigte sich mit der neuartigen Mechanik von Ursache und Wirkung nun die Frage der Moral? Im Gegenteil: Ebenso «regelmässig und gleichförmig» (Hume), wie die Wirkung der Ursache entspringt, entspricht das Gute in der Welt einem guten Willen und das Übel einem üblen. Damit war es möglich, Gott aus dem Spiel zu halten und doch darauf zu bestehen, dass die Welt, wenn nicht gut, so doch wenigstens geordnet in der Frage von Gut und Böse sei. Die Zündkraft dieses Denkens zeigte sich umgehend in den grossen politischen Kämpfen jener Zeit: Aufklärer und Gegenaufklärer, Revolutionäre und Konterrevolutionäre beschuldigten sich gegenseitig, die Entwicklung zum Guten mit geheimen Agenden und Agenten zu hintertreiben.

Was geschieht, geschieht absichtlich – so verstehen Verschwörungstheoretiker die Welt bis heute. Die Möglichkeit, dass es in einer Gesellschaft zu Entwicklungen kommt, für die man keine Verantwortlichen findet, liegt diesem Denken fern; genau wie jene, dass menschliches Tun ungeplante Folgen haben kann. Oder dass Leute gegen ihren Willen handeln. Oder ohne Willen. Oder ohne Erfolg. «Menschen machen zwar ihre Geschichte selbst», schreibt der Historiker Dieter Groh, «aber das, was als Geschichte resultiert, ist nicht ihre Geschichte im Sinne dessen, was sie beabsichtigt haben.» Dass Verschwörungstheorien einfache Erklärungen für komplizierte Dinge bieten, hört man oft, aber das ist nur das eine. Das andere hat Groh bemerkt: «Ihre Logik, ihre Kohärenz und ihr Kausalnexus sind der Realität fast immer überlegen.» Der Historiker sieht das Irrationale dieses Denkens gerade darin, dass es von der Wirklichkeit derart viel Rationalität erwartet.

Aus diesem Grund können Verschwörungstheoretiker auch nicht akzeptieren, dass es manchmal nur sehr wenig braucht, um sehr viel anzurichten. Dass zum Beispiel die Kugel eines mässig intelligenten Nobodys den mächtigsten Mann der Welt umbringt, so wie in Dallas am 22. November 1963. Oder dass man nur einige Fluglektionen und ein Teppichmesser braucht, um einen Wolkenkratzer zu fällen, so wie in New York am 11. September 2001. Im Bild der Welt als Uhrwerk, in dem Ursache und Wirkung reibungsfrei ineinandergreifen und perfekt austarierte Proportionen bilden, ist so etwas nicht vorgesehen. Wenn sich die heutigen Verschwörungstheoretiker selber nicht als Verschwörungstheoretiker bezeichnen, sondern als «Querdenker», «Zweifler» oder eben «Aufklärer», dann zu Recht: Sie halten an einem Welt­verständ­nis der Aufklärung fest. Aber die Welt, die die Aufklärer damit verstanden, war jene des 18. Jahrhunderts.

Verschwörungstheorien seien Aberglaube ohne Gott, meinte der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper. Er prägte den Begriff «Verschwörungstheorie», wie er heute gebräuchlich ist, und zwar in seinem Buch Die offene ­Gesellschaft und ihre Feinde. Geschrieben in Ver­tei­­di­gung liberaler Werte gegen alte und neue Totalitarismen, erscheint es 1945. Aber auch nach dem Krieg regiert in den USA noch immer die Furcht vor einer Übernahme durch getarnte Feinde. Es geht um die kommunistische Unterwanderung des Regierungsapparats, und diese Verschwörungstheorien sind schon im Umlauf, als der republikanische Senator Joseph ­McCarthy 1950 die Bühne betritt: Sie liefern ihm die Nahrung für die berüchtigte Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Kommunisten, für seine ­Verfemungs- und Verhörkampagnen. Vor der Senatskommission, die er präsidiert, als wäre sie ein Gericht und er zugleich Ankläger und Richter, landen neben Staatsangestellten auch Wis­senschafter, Künstler, Journalisten und Immigranten; viele bezahlen den Verdacht der Spionage und der Subversion mit dem Ruin ihres Anse­hens, dem Verlust ihrer Stelle oder der Emigration.

Fünf Jahre später, 1955, wird McCarthy als Präsident seiner Kommission entmachtet. Er hat sich mit der Armee angelegt und sogar den Präsidenten, seinen Parteikollegen Dwight D. Eisenhower, als «verkappten Kommunisten» verdächtigt. Er hat seine Macht überschätzt und die Unterstützung der Politik und der Öffentlichkeit verloren. McCarthys Sturz ist aber auch ein Zeichen – dafür, dass sich das Klima für Verschwö­rungstheorien ändert. Konspirationismus gilt schon bald als minderwertiges Wissen, so dass es für staatliches Handeln nicht mehr taugt. ­Dahin­ter steht die Erfahrung mit Deutschland, wo das Phantasma der «jüdischen Weltverschwörung» in den Holocaust geführt hat. In den USA kommen die Anstrengungen der sozialwissenschaftlichen Forschung dazu. Zunächst motiviert von den totalitären Entwicklungen in Europa, dann auch von der Kommunistenjagd im eigenen Land, problematisieren die Sozialforscher das verschwörungstheoretische Denken. Und sie können diese Kritik einer breiten Öffentlichkeit vermitteln.

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs merkt man davon nicht viel. Es ist Ende Mai 1950, und in der DDR berichten die Zeitungen über einen «ungeheuerlichen verbrecherischen Anschlag». Schon seit Tagen sollen Bauern und Strassenwärtern Flugzeuge abseits der gewohnten Routen aufgefallen sein. Jeweils kurz darauf wimmelte es von Kartoffelkäfern auf den Äckern. Man kennt den Schädling, aber so früh im Jahr, so massenhaft und plötzlich hat man ihn noch nie gesehen. Einen halben Monat später wird die Wahrheit enthüllt. «Ausserordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen grosse Mengen Kartoffelkäfer ab», meldet das Neue Deutschland, das Zentralorgan der Staatspartei. Die amerikanischen «Imperialisten» und «Kriegstreiber» wollten die Ernten der Republik vernichten, verkündet ein anderes Blatt; darum hätten sie zu «Methoden bakteriologischer Kriegsführung» gegriffen.

Haben sie wirklich? Die Bevölkerung der DDR habe es geglaubt, erklären die Journalisten Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff in ihrer Recherche über die Kartoffelkäferplage von 1950. Das verbreitete Misstrauen gegenüber den USA habe sich noch verstärkt, als der Koreakrieg die amerikanische Skrupellosigkeit zu bestä­tigen schien. Real ist auf jeden Fall die Kampagne, die auf die Enthüllung folgt. Mit Plakaten und Broschüren rufen die Behörden zum «Kampf gegen die Pest aus den USA»: Die Bevölkerung soll den Bauern helfen, die Käfer und ihre Gelege von den Feldern zu holen. Denn die Plage ist real, und das «in einer Phase, in der die Versorgungslage schon denkbar schlecht war», so Keil und Kellerhoff. Dass dahinter hausgemachte Probleme standen, belegen interne Papiere aus dem Landwirtschaftsministerium der DDR. Die Beamten stellten fest, man habe das Kartoffelkäferproblem seit 1945 vernachlässigt. Der «Abwehrdienst» sei unorganisiert, und es fehle an Chemie.

Daher das Märchen mit den US-Flugzeugen. «Die Führung wollte wohl vom Versagen bei der Bekämpfung des Kartoffelkäfers ablenken und die Bevölkerung zugleich für das Sammeln der Schädlinge mobilisieren», schreiben Keil und Kellerhoff. Dazu kam die Chance, die USA in Verruf zu bringen. Nach den beiden Autoren war die Verschwörungstheorie aus dem Parteiapparat ein Erfolg – bei den Bürgern, aber auch bei Bertolt Brecht, der sie umgehend literarisch segnete, und zwar mit seinem Gedicht Für den Frieden: «Die Ami-Käfer fliegen / silbrig im Himmelszelt / Kartoffelkäfer liegen / in deutschem Feld.»

Noch wisse die Forschung wenig Genaues über den gesellschaftlichen Abstieg der Verschwörungstheorien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, merkt Michael Butter an. Sicher sei, dass diese Entwicklung überall in der westlichen Welt stattgefunden habe – aber «nicht im gleichen Mass» in der arabischen Welt und in Osteuropa. Dort ist dieses Denken nie ganz aus der Mode gekommen, und so griff man auch in Russland vor kurzem wieder in den alten Werkzeugkasten, nach dem Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Während es mancher im Westen für erwiesen hält, dass die Spur des Nervengifts in den Kreml führt, sprechen regierungsnahe russische Politiker und Medien von einer anderen, viel geheimeren Agenda: Vor seiner Abreise in den Westen sei Nawalny gesund gewesen, der Befund der Ärzte in Berlin sei politisch motiviert. Dahinter stünden womöglich die USA, weil sie die Fertigstellung der Pipeline «Nord Stream 2» durch die Ostsee verhindern wollten.

Verschwörungstheorien gibt es zwar auch im Westen noch, aber seit ihrem Abstieg sind sie nicht mehr die gleichen: Ihre Stossrichtung hat sich umgekehrt. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts waren sie in aller Regel von gesellschaftlichen Eliten vertreten worden, und sie hatten sich gegen fremde Mächte gerichtet, ebenso gegen Zuwanderer, Andersgläubige, Schwache, «vermeintliche Aufrührer von unten» (Butter). Fortan sollte es umgekehrt sein: Gruppen, die sich marginalisiert sahen, übernahmen das stigmatisierte Deutungsmuster, richteten es nach oben und unterstellten den Eliten finstere Ränke.

Darum sind es «höchste Stellen» in Staat, Justiz, Kirche oder Konzernen, die hinter dem Mord an John F. Kennedy oder dem 11. September stehen und verhindern wollen, dass wir die Wahrheit über die Kondensstreifen am Himmel er­fahren, die Mondlandung, das Impfen oder 5G. Es sind Brüssel und Berlin, die in den Augen rechtsextremer Verschwörungstheoretiker die Europäer ausrotten wollen, um hier fremde Kultu­ren anzusiedeln. Die christlichen Fundamentalisten um den Sektenprediger Ivo Sasek sehen die «globalistische Elite» sogar am Gotthard-Basistunnel in Aktion, bei der Einweihungsfeier im Sommer 2016, wo sie «unter dem «Deck­mantel der Kunst satanische Rituale gezielt gefördert» habe.

In der Hand von Regierungen, zumal demokratischen, ist ein solches Denken nicht mehr glaubwürdig. Das erfuhr der Bundesrat, als er in den 1960er Jahren eine Verschwörungstheorie für den Volksgebrauch entwickeln liess. Es geht um Zivilverteidigung, das berüchtigte rote Büchlein, das im Kalten Krieg den Widerstand gegen den Kommunismus stärken soll (NZZ ­Geschichte Nr. 23, Juli 2019). Doch als es im Oktober 1969 schliesslich in einer Auflage von 2,6 Millionen Exemplaren verteilt wird, eines für jeden Haushalt, ruft es vor allem Widerstand gegen den Bundesrat hervor.

Zivilverteidigung wird zum Skandal, weil diese Lehrschrift alles politische Denken links der Mitte einem Verdacht aussetzt: dem Feind im Osten zu dienen, der die Schweiz per Verschwörung vom Kurs abbringen und schliesslich unterwerfen will. Namentlich Intellektuelle und Künstler finden sich als mögliche Wühler und Konspirateure diffamiert, ebenso Gewerkschafter, Gastarbeiter, Feministinnen, Separatisten und Homosexuelle. Diese Verschwörungstheorie kommt von oben; dass damit 1969 kein Staat mehr zu machen ist, zeigen in jenem Herbst die Proteste in Politik und Medien. Und die Altpapiersammlungen, in denen das Büchlein reihenweise landet.

Im Osten geht die staatliche Fabrikation von Verschwörungstheorien dagegen weiter. Mitte der 1980er Jahre bringt womöglich der KGB eine Lüge in Umlauf, die sich als ebenso langlebig wie folgenschwer erweisen wird. Sie handelt von Aids, und sie besagt, dass das Pentagon die Seuche losgelassen habe. Auf der Suche nach biologischen Kampfstoffen hätten amerikanische Militärs das Virus in Afrika entdeckt, in die USA gebracht und freigesetzt. HIV als Geheimwaffe des Westens – diese Verschwörungserzählung führte dazu, dass Aids auch noch im postsowjetischen Russland als «kapitalistische Krankheit» verstanden und, wo sie die eigenen Leute betraf, verschwiegen wurde. Die Zahl neuer Ansteckungen in Russland und in der Ukraine ist bis heute aussergewöhnlich hoch.

Wie diese Desinformation verbreitet wurde, illustrieren die Geschehnisse auf der Redaktion der Westberliner TAZ im Februar 1987. Damals bekam die Zeitung ein Interview mit einem Ostberliner Biologen angeboten und gab ihm eine ganze Doppelseite Platz für eine weitere Version des Biowaffenmärchens: Das HI-Virus sei nicht in Afrika gefunden, sondern im US-Militärlabor Fort Detrick gentechnisch produziert worden – durch die Kombination zweier bekannter Viren. Zur Therapie empfahl der Experte lediglich hohe Dosen Aspirin. Mehrere Blätter in der BRD hatten das Interview schon abgelehnt. Die TAZ, die die Verschwörungstheorie schliesslich in die bundesdeutsche Öffentlichkeit brachte und heute zu ihrer «Schuld an der Verbreitung von Fake-News» steht, erklärt sich deren «Plausibilität» mit dem damaligen Feindbild: Das «Unbehagen an den USA schlechthin» sei zur Zeit des Kalten Kriegs in alternativen und linken Kreisen verbreitet gewesen. Man mag derzeit einen anderen Eindruck bekommen, aber Verschwörungstheorien verfangen nicht nur rechts.

Gefährden sie die Demokratie? Die Gesundheit auf jeden Fall, wie Aids im Osten und jetzt auch Covid-19 zeigen: Wer an eine «Corona-Lüge» glaubt, steckt sich und andere eher an. «Eine gemeinschaftliche Reaktion auf eine Herausforderung setzt voraus, dass man sich als Gemeinschaft begreift und bereit ist, Dinge zu tun oder zu lassen, die ganz überwiegend anderen helfen», erklärt der Medizinhistoriker Christoph Gradmann (NZZ Geschichte Nr. 29, Juli 2020).

Genau daher rührt auch Michael Butters Sorge. Selbst wenn wir gerade keine Renaissance der Verschwörungstheorien erleben: Sie seien ein besonders auffälliges Symptom der «Fragmentierung der Gesellschaft». Die verläuft nach Butter weniger entlang ideologischer Linien, sondern entlang unterschiedlicher Annahmen darüber, wie Geschichte und Gesellschaft funktionieren. Kaum jemand wird darüber klagen, dass man sich im Westen die Welt gemeinhin nicht mehr mit Komplotten erklärt. Dass dieses Denken in Subkulturen verdrängt wurde, hat aber zugleich schon früh zur Bildung jener problematischen «Teilöffentlichkeiten» beigetragen, die sich im digitalen Zeitalter erst recht vermehren. «Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen können, was wahr ist», schreibt Butter, «können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern.»

Wahr ist wenigstens, und zwar für alle, die den Asterix-Band zu Ende lesen: Coronavirus verliert, Obelix gewinnt. 


Aus: "Die Abschaffung des Zufalls" Daniel Di Falco (01.10.2020)
Quelle: https://www.nzz.ch/geschichte/die-abschaffung-des-zufalls-ld.1576709
#1742
Quote[...] Donnerstag, 3. September 2020 - Was tun, wenn die Nachbarin Alu-Hut trägt?

Inzwischen hat unsereiner nicht mehr so eine Angst vor dem Virus (und dem in meinem Fall vorhersehbaren, unmittelbar Einsetzen schrecklichen Siechtums), sondern vor Aluhut-Trägern in der näheren Nachbarschaft.

So gesehen lebe ich seit neuestem in der Gefahrenzone einer durchgeknallten Eiferin, formerly known as tapfere Drogeriekassiererin, Ehefrau und mehrfache Mutter, proper und hübsch, pausenlos plappernd, oft auch schreiend (sehr dynamisches Eheleben halt - daran muss ja nix Schlechtes sein; ich glaub, die haben täglich Versöhnungssex) - anyway, dieses eigentlich sonnige Gemüt klärte mich vor einigen Tagen gründlich auf.

Über die Machenschaften von Merkel und wie froh wir alle sein können, dass wir Trump haben, denn der sorgt dafür, dass die ganze Schlechtigkeit auf der Welt verschwindet, "Weißt du, der Jonny Depp, der ist jetzt im Gefängnis und Mariah Carey hat ihre Mutter wegen sexuellen Missbrauchs angezeit, die ist jetzt auch im Gefängnis, das ist alles wegen Trump, dass das jetzt alles ans Licht kommt, endlich!" Und weiter: "Am 30.8. ist der zweite Lockdown, das sag ich dir, stand auch in der FAZ, weltweit, die wollen uns fertig machen und im Herbst, da haben wir Plündeurngen und kriegsähnliche Zustände auf den Straßen, das sag ich dir, du weißt ja nicht, was ich alles weiß, du musst auf jeden Fall Vorräte anlegen, musst du unbedingt, das wird Krieg auf den Straßen geben, das sag ich dir. Ich weiß jetzt, was los ist."

Ich höre ihr zu und sage nur, man läuft nicht mit Nazis. Sobald Nazis neben einem herlaufen, hat man sich zu entfernen.

Dass ich sie damit nicht erreiche ist klar, denn inzischen ist sie verrückt geworden und wie es für Verrückte üblich ist, hält sie mich für verrückt, weil ich das nicht auch alles sehe, Gates und die Kinder unter der Erde, aus derem Blut sich Hillary Clinton ... ach, ich will diesen Scheiß hier gar nicht wiederholen.

Selbst von mir einstmals als klare Köpfe geschätzte Blogger, sind unterdessen komplett übergeschnappt und fühlen sich verfolgt von der Maskenpflicht; wähnen sich in einer Diktatur, obwohl sie ja, wo sie gehen und stehen, ihren Schwachsinn absondern dürfen, was sag ich: schreien dürfen "TRUMP IST IN BERLIN WIR HABEN GEWONNEN" - ich bin erstaunt, wie schnell hier alles kippt. Das Klima, das Virus, die Wirtschaft, vor allem aber: die Bekloppten.

Da wird's später mal haufenweise Dissertationen drüber geben.

...


Aus: "Was tun, wenn die Nachbarin Alu-Hut trägt?" Eingestellt von Annika  (Donnerstag, 3. September 2020)
Quelle: https://annikahansen7.blogspot.com/2020/09/was-tun-wenn-die-nachbarin-alu-hut-tragt.html

QuoteDrSchwein3. September 2020 um 06:13

Wenn es nicht so gruselig wäre, wäre es eventuell lustig.


QuoteAnnika4. September 2020 um 14:14

Wenn sich das ein Autor ausgedacht hätte... kein Verlag hätte das Manuskript genommen. Und jetzt erleben wir den Irrsinn alle live.


QuotePantoufle3. September 2020 um 14:56

»die haben täglich Versöhnungssex«
Was könnte es Schöneres geben, zumal die »Krise« dafür ein weit großzügigeres Timing ermöglicht. Hat eben alles seine Vor - und Nachteile.

Zu den Nachteilen gehört ganz klar, daß sich zuviel Zeit für die Youtube-Universität findet. Was dabei noch erschreckender ist als Blogs, die von einer Sekunde auf die andere beschlossen haben, daß es ganz gut auch ohne Gehirn funktioniert, ist das dazugehörige Kommentariat. Dort findet eine soziologisch nicht uninteressante Selbstverblödung statt, in einer Geschwindigkeit und Restlosigkeit, die wirklich überrascht. Daß es nicht gesund ist, ausschließlich in einem Umfeld zu leben, in dem alle einer Meinung sind, ist bekannt – aber die Vollständigkeit, mit der die reale Welt komplett ausgeblendet wird, ist doch erstaunlich. Und macht Angst: Es könnte sich ja auch mal um eine »ernsthafte« Krankheit handeln: Pest, Cholera oder Niesschnupfen, bei denen tatsächlich ein Lockdown erforderlich wäre (den es hier nie gegeben hat.) Wo allabentlich die Pestumzüge das Straßenbild auflockern und die Leichen nur noch vor die Tür gelegt werden.
Wie dünn die Tünche der Kultur ist, kann man im Moment wenigstens erahnen. Einer ernsthaften Belastungsprobe ist sie keinesfalls gewachsen.

Von den verpassten Vorteilen: Warum haben die Covidioten in Berlin nicht die Chance genutzt, einen genesenen Coronapatienten auf eine der so zahlreich vorhandenen Bühnen zu bitten und von seinen Erfahrungen zu berichten? Da es sich ja nur um eine harmlose Grippe handelt...


QuotePantoufle4. September 2020 um 18:49

Moin Annika

Ach, gräm Dich nicht! Bekloppte gibt's hier ebenso. Mein Nachbar hat mich heute besucht. Biobauer der allerersten Stunde und so grün wie die Raupe des Schwalbenschwanzes (Papilio machaon). Also Grün-Schwarz-Gelb. Und nebenbei aus Hobby und Leidenschaft zuverlässiger Verbreiter und Zuträger jeder (neuen) Verschwörungstheorie. Oder so halbwegs neu. Von Corona hat er jetzt auch gehört und sich unter sorgfältiger Umgehung jeglicher Systemmedien gleich alternativ informiert. Sollte ich auch mal machen, echt jetzt! Da gäbe es einen gewissen Professor Doktor Bhakdi, der wäre praktisch die unterdrückte Information in Person und hätte ganz nebenbei die Hygiene in Deutschland ganz alleine erfunden.

Und dann wurde ich informiert wie ein Globuli und war auch ehrlich überrascht, was der alles rausbekommen hat. Eigentlich wollte er mich ja eigentlich nur zu seinem Geburtstag nächstes Wochenende einladen, aber bis dahin muß ich das Buch lesen, was er sich gekauft hat. Da steht das alles drin und wie ich erfahren mußte, hatte er es schon alles auswendig gelernt. Dieser Avanger war mir bis hierher vollkommen entgangen, obwohl ich doch alle Marvel-Verfilmungen gesehen habe! Herr Nachbar redete sich langsam aber sicher dermaßen in Rage, daß er selbst den 1,5m Sicherheitsabstand vergaß (Hypochonder, der er seit Geburt an ist) – soweit geht die Liebe zur Literatur dann doch nicht.
Doktor Bhakdi wäre gar nicht mit ihm zufrieden gewesen, den blauen Äderchen, die im Gesicht zu platzen drohten, den fahrigen Bewegungen und dem Bluthochdruck! Es gibt ja auch noch andere Todesarten als Corona.

Und dann fiel er, der Name! Bill Gates! Macht jetzt neuerdings auch in Hardware... Mikro-winzig-Chips, die sind besser als jedes GPS! Die bekommt jeder mit der Zwangsimpfung verpasst. »Warte, ich habs auf meinem Handy... blätter, such,such...«. GPS made by Android. Wie werde ich den wieder los?
Ach, lieber Nachbar: Dann mach Deine geheimen Einkäufe (Biobrause, Biolack, Bioautoreifen) einfach direkt nach dem Aufstehen, da aktualisiert sich das Betriebssystem des Chips noch eine halbe Stunde, um danach nicht mehr zu starten. Auf bestimmte Dinge ist bei Bill Gates immer noch Verlaß.

Die Bekloppten sind gerade überall, statistisch gleich verteilt, aber die Statistik gibt eben nicht auf alles eine Antwort. Die Haufenbildung um einen selber herum, die Lautstärke und die Unentrinnbarkeit ihrer Auftritte. Gäbe es eine Hauptstadt, so könnte man sie ganz einfach isolieren und unter Quarantäne... * duckundwech!


QuoteHedi15. September 2020 um 13:34

ich sah vor wochen neulich auch, wie ein ehemaliger Schulkamerad von mir zur Demo in Berlin aufrief und mich gerne zu einem persönlichen Gespräch einladen wollte, weil ich ob soviel Unvernunft und Rücksichtslosigkeit schier fassungslos war - abgesehen von den Verbrüderungen mit jedwedem braunen Coleur....ich habe abgelehnt und ihn bei FB zumindest auf lautlos gestellt, damit ich seine kruden Thesen nicht mehr lesen muss. Eine andere ehemalige Klassenkameraden ist große Anhängerin derselben Theorien und mich macht ihre damit einhergehende Unvernunft, die dann wieder uns alle angeht, doch fast sprachlos. ... Es ist wirklich bemerkenswert wie Leute das letzte bißchen Hirn verlieren zu scheinen....


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Quote[...] «Aufklärer», so nennen sie sich gern. Tatsächlich verstehen Verschwörungstheoretiker die Welt bis heute nach einem Modell, das in der Zeit der Aufklärung entwickelt wurde: Was geschieht, geschieht mit Absicht.

Manche Leute haben es gut. Denen ist nichts zu klein, ein Hinweis zu sein. Denen genügt ein Blick in ein Asterix-Heft, um zu merken, dass die Sache mit Corona stinkt. Dass die Seuche in Wahrheit keine Seuche ist, sondern versteckte biologische Kriegsführung. Und dass dahin­ter Leute stehen, die die Bevölkerung in Europa dezimieren wollen. Oder Leute, die mit dem Impfstoff Kasse machen wollen. Oder Leute, die den Ausnahmezustand nutzen wollen, um die Bürger gefügig zu machen, die Freiheit abzuschaffen, Donald Trump zu stürzen und eine «Neue Weltordnung» durchzusetzen.

Asterix also, Band 37, Asterix in Italien. Start zum «Grossen Transitalischen Wagenrennen» von Monza nach Neapel. In der Arena wird der grösste Wagenlenker der Antike angekündigt, aus zehntausend Kehlen ruft das Publikum den Namen des Champions, der stets eine grinsende goldene Maske trägt: «Coronavirus! Coronavirus! Coronavirus!»

Dabei ist der Band schon 2017 erschienen, lange vor der Pandemie. Und das heisst doch nichts anderes als: Die Krise muss geplant gewesen sein. «Ich konnt's kaum glauben, aber es wurde schon in Asterix angekündigt», erklärte im März auf Youtube Oliver Janich, ein «investigativer Journalist» in Deutschland, der seine über 150 000 Abonnenten indessen nicht mit brisan­ten Dokumenten bedient, sondern mit Verschwörungstheorien sowie rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Ansichten.

Auch im Milieu der Esoteriker gab es Erleuchtungen wegen Asterix. Leute, die sich sonst an den Maya-Kalender und die Zyklen von Saturn und Pluto halten, um die Gegenwart zu deuten, erkannten im Comic die «Indizien», nach denen es sich bei Covid-19 um eine «Testseuche» beziehungsweise eine «künstliche Biowaffe» handelt, geschaffen von Mächten, die die Unterwerfung der Menschheit planen. Wer diesen Plan sieht, der sieht aber noch mehr. «Finanz- & Wirtschaftskollaps, Einschränkung Bürgerrechte, Bargeld­abschaffung, Enteignung, Verstädterung, Verarmung, Verdummung, Überwachung, Chippung, Zwangsimpfungen» (blaupause.tv) – alles hängt mit allem zusammen, und in diesem grossen Ganzen bekommt auch der Name eines Wagenlenkers seine wahre Bedeutung, neben verdächtigen Vorgängen in einem Labor in Wuhan oder Ungereimtheiten in der offiziellen Statistik: «Coronavirus» war eine geheime Botschaft. Oder ein Versehen, mit dem sich die Drahtzieher der gegenwärtigen Ereignisse verraten haben.

Dass der Wagenlenker in der deutschen Ausgabe nicht Coronavirus heisst, sondern Cali­­­ga­­rius, dass man Coronaviren schon seit fünfzig Jahren kennt und auch so nennt – es änderte nichts. Sollte es ebenfalls ein Zufall sein, dass Coronavirus im Rennen mit verbotenen Manövern triumphiert? Dass die Show ein korrupter Staatsvertreter finanziert? Und trägt Coronavirus etwa keine Maske? Als Einziger?

2020 scheint diese Art Denken in der Gesellschaft angekommen zu sein. Die Pandemie habe eine «Flut an Verschwörungserzählungen» ausgelöst, diagnostiziert der Spiegel. Die «Lust auf Verschwörungstheorien» habe zugenommen, findet auch der Historiker Norbert Frei. Dass sie «unser Denken bestimmen», stellen die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Bürgerrechtlerin Katharina Nocun schon im Untertitel ihres Sachbuchs fest. Dass der Verschwörungsglaube in dieser Pandemie aufblüht, erklären sie damit, dass er den «Kontrollverlust» kompensieren und den Ungewissheiten eine eigene Version der Wahrheit entgegenhalten könne.

Zwar ist nicht jeder, der sich um seine Existenz oder um die Bürgerrechte sorgt, ein Verschwörungstheoretiker. Aber die «Corona-Rebellen» aller Couleur finden sich in einem tiefen Misstrauen vereint: in der Vorstellung, die Behörden hätten es auf die Freiheit der Bürger abgesehen und Wissenschaft und Medien brächten manches absichtlich nicht zur Sprache. Von hier aus ist es nicht weit zum Glauben an eine Wahrheit hinter den Kulissen. Bill Gates zum Beispiel, der mit Forschungsgeldern Regierungen gekauft und die WHO übernommen haben soll, um internationale Programme für Impfungen und Chip-Implantationen durchzusetzen. Endziel: Weltdiktatur.

Erleben wir also gerade den Durchbruch eines «Wissens», das die hergebrachten Standards von Rationalität ablöst? Endet der gesellschaftliche Minimalkonsens darüber, was als Wahrheit gilt? Oft hat man Verschwörungstheorien als Pathologien gedeutet, als ­Ausdruck einer Paranoia. Mittlerweile lässt sich die spezifische Art von Rationalität besser verstehen, die diesen Theorien eigen ist. Michael Butter, Tübinger Professor für amerikanische Kultur- und Literaturgeschichte sowie Leiter eines internationalen Forschungsprojekts zum Thema, hat ein Buch über die kulturelle Logik des Verschwörungsdenkens geschrieben, und dafür, dass sich die Erzählungen über ein Corona-Komplott so schnell verbreiteten, hat er eine zusätzliche Erklärung neben dem «Kontrollverlust»: Sie hätten, erklärte er in Interviews, an schon bestehende Ideen angedockt – an Feindbilder wie den Staat, die Industrie, das internationale Kapital, die liberalen Eliten, die Amerikaner, die Chinesen.

Eine Verschwörungstheorie kommt eben selten allein. Zugleich korrigiert der Kulturhistoriker den Eindruck, Corona habe Verschwörungstheorien einen Boom beschert: «Der Konspirationismus ist derzeit nicht einflussreicher als je zuvor.» Man sehe ihn lediglich besser, so Butter. Tatsächlich verbreiten Verschwörungstheoretiker ihre Schöpfungen im Online-Universum einfacher als in Zeiten, da sie noch mit Schreibmaschinen operieren mussten, mit Kopiergeräten, Vorträgen und Büchern aus Klein- und Kleinstverlagen. Zudem müssen sie in den sogenannten sozialen Medien nicht lange nach Kundschaft Ausschau halten: Die «Lügenpresse!»-Rufer sind schon da, und sie sind willens, ihre «alternativen Wahrheiten» laufend um die gerade neueste zu erweitern. Dazu kommt die puzzle­förmige «Informationsarchitektur» (Bernhard Pörksen) des Netzes, die für die Produktion von Verschwörungserzählungen wie geschaffen scheint: Hier lässt sich alles mit allem verlinken, jeder Zusam­men­hang durch einen neuen ersetzen. Schliesslich verschafft ihnen auch der politische Populismus eine Bühne. Doch da, wo sie in einer grösseren Öffentlichkeit auftauchten, dominiere weiterhin «nicht der Glaube an, sondern die Sorge über Verschwörungstheorien», schreibt Butter.

Dass es sie schon in der Antike gab, wie so vieles andere, ist keine grosse Überraschung. Entscheidend ist ein Unterschied zur Gegenwart: In Athen und Rom gehörten sie zur politischen Kultur, sie waren salonfähig. In Versammlungen und in Verhandlungen vor Gericht warfen die Redner ihren Gegnern regelmässig Komplotte und andere finstere Ränke vor. So kamen Athens Rat der Fünfhundert und Philipp II. von Makedonien in den Ruch, im Geheimen die Zerstörung der Demokratie und der Polis zu betreiben. Kein Geringerer als Marcus Tullius Cicero beschuldigte Gaius Verres, den Statthalter der Provinz Sizilien, Sklavenaufstände unterstützt zu haben, die nie stattgefunden hatten. Cicero war im Jahr 70 vor Christus Ankläger in einem Korruptions­prozess gegen Verres, der mit dessen Flucht ins Exil endete. Und damit, dass der Verschwörungstheoretiker Cicero fortan als der bedeutendste römische Redner galt und mit seinen fünfbändigen Reden gegen Verres Literaturgeschichte schrieb.

Das heisst nicht, dass es in der Geschichte keine wirklichen Verschwörungen gegeben hätte. Aber sie waren stets kleiner als die Gespenster der Verschwörungstheoretiker. Dass sich Dutzende Mitwisser an einem Mordkomplott beteiligten wie jenem, dem 44 vor Christus Julius Cäsar zum Opfer fiel, ist schon eine Ausnahme. Die Antike macht schliesslich auch klar, dass Verschwörungstheorien heute mitnichten wieder dort angekommen wären, wo sie damals waren: in der Mitte der Gesellschaft. Die längste Zeit in der Geschichte waren sie offiziell akzeptiert, «es war normal, an sie zu glauben» (Butter). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sie stigmatisiert und «aus dem öffentlichen Diskurs in Subkulturen verbannt».

Gewiss, es gibt Donald Trump und seine Neigung, jeden Einwand gegen seine Politik mit einem versteckten Plan feindlicher Mächte zu erklären. Aber gerade der heutige Mann im Weissen Haus macht vor, was sich geändert hat: Die meisten seiner Vorgänger stiessen mit Verschwörungstheorien kaum auf Widerspruch. «Von George Washington bis Dwight D. Eisenhower gibt es vermutlich keinen Präsidenten, der nicht an solche Theorien glaubte», schreibt Michael Butter. Tatsächlich wurden die USA geradezu aus dem Glauben an Verschwörungen geboren: Gründerväter wie Washington, Thomas Jefferson oder John Adams waren überzeugt, dass sich der britische König und seine Minister gegen die nordamerikanischen Kolonien verschworen hätten, um ihre Existenz mit Operationen hinter den Kulissen zu untergraben. Laut Butter war dieser Glaube «ein entscheidender Faktor auf dem Weg zur Amerikanischen Revolution».

Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 blühte in der jungen Republik dann die Furcht vor einer Intrige der Freimaurer und der Illuminaten; angeblich hatten sie schon die Revolution in Frankreich angezettelt und planten nun weitere Komplotte. Eine Frucht dieser Furcht waren die Alien and Sedition Acts von 1798, ein Paket von Gesetzen, die die Rechte von Ausländern beschnitten und subversive Kritik an der Regierung strafbar machten. Verschwörungstheorien funktionierten als Währung in der Politik, sie liessen sich in Macht ummünzen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs aus der Vorstellung, Europas katholische Mächte wollten die Werte der USA und ihre Institutionen zersetzen, sogar eine eigene Partei, die sich Native American Party nannte. Bis dahin in antikatholischen Geheimgesellschaften tätig und getrieben vom Glauben, eine päpstliche Armee werde an der Ostküste landen und im Landesinnern einen neuen Vatikan gründen, kämpften die Native Americans gegen die Einwanderung von Katholiken aus Deutschland und Irland. Sie erklärten sie zu Agenten des Papstes, wollten ihre Einbürgerung erschweren und ihre Zu­lassung zu politischen Ämtern ausschliessen, ­wobei zur Parteipolitik auch handfeste Gewalt gehörte. Das ist die soziale Leistung von Verschwörungstheorien: Sie erlauben es, Feinde zu identifizieren. Zugleich stiften sie ein Selbstverständnis; sie halten Gruppen zusammen und erheben sie über den Rest der Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Welt.

Wie staatstragend Verschwörungstheorien für die USA waren, zeigt die Republikanische Partei. Sie fand ihren Gründungsmythos in einem Komplott namens «Slave Power», einem angeblichen Geheimplan radikaler Befürworter der Sklaverei. 1858 beschuldigte ein republikanischer Politiker in einer seiner Reden die Spitzen des Staats persönlich – den damaligen Präsidenten und dessen Vorgänger sowie den obersten Richter –, eine riesenhafte Verschwörung anzuführen und sämtliche Krisen der letzten Jahre dirigiert zu haben, um ihr geheimes Ziel zu erreichen: überall in den Vereinigten Staaten die Sklaverei einzuführen. Der republikanische Redner hiess Abraham Lincoln, er wurde 1860 zum Präsidenten gewählt.

Verschwörungstheorien sind aber keine amerikanische Erfindung. Im 18. Jahrhundert kommen nicht nur Amerikas vermeintliche Feinde aus Europa: Auch der Konspirations­glaube ist ein Import aus der Alten Welt. Hier hat sich in der Zeit der Aufklärung ein Verständnis der Wirklichkeit entwickelt, das dem Verschwörungsdenken erst seine moderne Schlagkraft gibt. Es geht um die menschliche Handlungsfähigkeit – um die Frage, wer den Lauf der Dinge lenkt, wenn Gott und der Antichrist dafür je länger, je weniger infrage kommen.

Die Naturphilosophen haben bereits eine neue Physik entworfen, in der Ursache und Wirkung mechanisch verbunden sind: Das eine ergibt das andere, so ist die ganze Natur aus sich selbst heraus erklärbar. Nun, im 18. Jahrhundert, übertragen die Moralphilosophen dieses Modell auf die Gesellschaft und den Gang der Geschichte. «So zeigt sich», schreibt David Hume in seiner Untersuchung über den menschlichen ­Verstand von 1748, «dass die Verbindung zwischen Motiv und Handeln ebenso regelmässig und gleichförmig ist wie die zwischen Ursache und Wirkung in allen Gebieten der Natur.» Damit erklärt sich auch alles Elend auf der Welt. Es komme nicht aus «fernen Himmeln», so Constantin François Volney 1791: «Es sitzt im Menschen selber, er trägt es in den inneren Winkeln seines Herzens» (Die Ruinen oder Betrachtungen über die Umwälzungen der Reiche).

Das war damals ein bestechendes, «ein neuartiges Denken über Kausalität», nach dem Historiker Gordon Wood. Es schärfte den Verschwörungsglauben, und es liess ihn im 18. Jahrhundert boomen. Stellt man nämlich Intentionen an den Anfang einer jeden «Kette von Ursachen und Wirkungen in menschlichen Angelegenheiten», so Wood, dann kann von jedem Ereignis auf einen Willen oder einen Plan geschlossen werden, und das mit naturwissenschaftlicher Gewissheit und Genauigkeit. Wobei ein Ereignis die Intention auch dann verrät, wenn ein Urheber seine Urheberschaft verbergen will.

So etwas gab es im europäischen Mittelalter nicht. Hier war die Welt noch Gottes Werk und Teufels Beitrag. Das ist auch der Grund, warum man die Vorläufer verschwörungstheoretischen Denkens weniger im Mittelalter findet, sondern eher früher, in der Antike; trotz der mittelalterlichen Verfolgung von Hexen und Juden. Ihnen wurden durchaus geheime Pläne und Pakte vorgeworfen. Aber über allem standen Gott und sein Widersacher: Diese metaphysischen Mächte entschieden über den Gang der Welt, und man brauchte keine verschwörungstheoretische Be­weis­füh­rung, um das zu wissen.

Erledigte sich mit der neuartigen Mechanik von Ursache und Wirkung nun die Frage der Moral? Im Gegenteil: Ebenso «regelmässig und gleichförmig» (Hume), wie die Wirkung der Ursache entspringt, entspricht das Gute in der Welt einem guten Willen und das Übel einem üblen. Damit war es möglich, Gott aus dem Spiel zu halten und doch darauf zu bestehen, dass die Welt, wenn nicht gut, so doch wenigstens geordnet in der Frage von Gut und Böse sei. Die Zündkraft dieses Denkens zeigte sich umgehend in den grossen politischen Kämpfen jener Zeit: Aufklärer und Gegenaufklärer, Revolutionäre und Konterrevolutionäre beschuldigten sich gegenseitig, die Entwicklung zum Guten mit geheimen Agenden und Agenten zu hintertreiben.

Was geschieht, geschieht absichtlich – so verstehen Verschwörungstheoretiker die Welt bis heute. Die Möglichkeit, dass es in einer Gesellschaft zu Entwicklungen kommt, für die man keine Verantwortlichen findet, liegt diesem Denken fern; genau wie jene, dass menschliches Tun ungeplante Folgen haben kann. Oder dass Leute gegen ihren Willen handeln. Oder ohne Willen. Oder ohne Erfolg. «Menschen machen zwar ihre Geschichte selbst», schreibt der Historiker Dieter Groh, «aber das, was als Geschichte resultiert, ist nicht ihre Geschichte im Sinne dessen, was sie beabsichtigt haben.» Dass Verschwörungstheorien einfache Erklärungen für komplizierte Dinge bieten, hört man oft, aber das ist nur das eine. Das andere hat Groh bemerkt: «Ihre Logik, ihre Kohärenz und ihr Kausalnexus sind der Realität fast immer überlegen.» Der Historiker sieht das Irrationale dieses Denkens gerade darin, dass es von der Wirklichkeit derart viel Rationalität erwartet.

Aus diesem Grund können Verschwörungstheoretiker auch nicht akzeptieren, dass es manchmal nur sehr wenig braucht, um sehr viel anzurichten. Dass zum Beispiel die Kugel eines mässig intelligenten Nobodys den mächtigsten Mann der Welt umbringt, so wie in Dallas am 22. November 1963. Oder dass man nur einige Fluglektionen und ein Teppichmesser braucht, um einen Wolkenkratzer zu fällen, so wie in New York am 11. September 2001. Im Bild der Welt als Uhrwerk, in dem Ursache und Wirkung reibungsfrei ineinandergreifen und perfekt austarierte Proportionen bilden, ist so etwas nicht vorgesehen. Wenn sich die heutigen Verschwörungstheoretiker selber nicht als Verschwörungstheoretiker bezeichnen, sondern als «Querdenker», «Zweifler» oder eben «Aufklärer», dann zu Recht: Sie halten an einem Welt­verständ­nis der Aufklärung fest. Aber die Welt, die die Aufklärer damit verstanden, war jene des 18. Jahrhunderts.

Verschwörungstheorien seien Aberglaube ohne Gott, meinte der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper. Er prägte den Begriff «Verschwörungstheorie», wie er heute gebräuchlich ist, und zwar in seinem Buch Die offene ­Gesellschaft und ihre Feinde. Geschrieben in Ver­tei­­di­gung liberaler Werte gegen alte und neue Totalitarismen, erscheint es 1945. Aber auch nach dem Krieg regiert in den USA noch immer die Furcht vor einer Übernahme durch getarnte Feinde. Es geht um die kommunistische Unterwanderung des Regierungsapparats, und diese Verschwörungstheorien sind schon im Umlauf, als der republikanische Senator Joseph ­McCarthy 1950 die Bühne betritt: Sie liefern ihm die Nahrung für die berüchtigte Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Kommunisten, für seine ­Verfemungs- und Verhörkampagnen. Vor der Senatskommission, die er präsidiert, als wäre sie ein Gericht und er zugleich Ankläger und Richter, landen neben Staatsangestellten auch Wis­senschafter, Künstler, Journalisten und Immigranten; viele bezahlen den Verdacht der Spionage und der Subversion mit dem Ruin ihres Anse­hens, dem Verlust ihrer Stelle oder der Emigration.

Fünf Jahre später, 1955, wird McCarthy als Präsident seiner Kommission entmachtet. Er hat sich mit der Armee angelegt und sogar den Präsidenten, seinen Parteikollegen Dwight D. Eisenhower, als «verkappten Kommunisten» verdächtigt. Er hat seine Macht überschätzt und die Unterstützung der Politik und der Öffentlichkeit verloren. McCarthys Sturz ist aber auch ein Zeichen – dafür, dass sich das Klima für Verschwö­rungstheorien ändert. Konspirationismus gilt schon bald als minderwertiges Wissen, so dass es für staatliches Handeln nicht mehr taugt. ­Dahin­ter steht die Erfahrung mit Deutschland, wo das Phantasma der «jüdischen Weltverschwörung» in den Holocaust geführt hat. In den USA kommen die Anstrengungen der sozialwissenschaftlichen Forschung dazu. Zunächst motiviert von den totalitären Entwicklungen in Europa, dann auch von der Kommunistenjagd im eigenen Land, problematisieren die Sozialforscher das verschwörungstheoretische Denken. Und sie können diese Kritik einer breiten Öffentlichkeit vermitteln.

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs merkt man davon nicht viel. Es ist Ende Mai 1950, und in der DDR berichten die Zeitungen über einen «ungeheuerlichen verbrecherischen Anschlag». Schon seit Tagen sollen Bauern und Strassenwärtern Flugzeuge abseits der gewohnten Routen aufgefallen sein. Jeweils kurz darauf wimmelte es von Kartoffelkäfern auf den Äckern. Man kennt den Schädling, aber so früh im Jahr, so massenhaft und plötzlich hat man ihn noch nie gesehen. Einen halben Monat später wird die Wahrheit enthüllt. «Ausserordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen grosse Mengen Kartoffelkäfer ab», meldet das Neue Deutschland, das Zentralorgan der Staatspartei. Die amerikanischen «Imperialisten» und «Kriegstreiber» wollten die Ernten der Republik vernichten, verkündet ein anderes Blatt; darum hätten sie zu «Methoden bakteriologischer Kriegsführung» gegriffen.

Haben sie wirklich? Die Bevölkerung der DDR habe es geglaubt, erklären die Journalisten Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff in ihrer Recherche über die Kartoffelkäferplage von 1950. Das verbreitete Misstrauen gegenüber den USA habe sich noch verstärkt, als der Koreakrieg die amerikanische Skrupellosigkeit zu bestä­tigen schien. Real ist auf jeden Fall die Kampagne, die auf die Enthüllung folgt. Mit Plakaten und Broschüren rufen die Behörden zum «Kampf gegen die Pest aus den USA»: Die Bevölkerung soll den Bauern helfen, die Käfer und ihre Gelege von den Feldern zu holen. Denn die Plage ist real, und das «in einer Phase, in der die Versorgungslage schon denkbar schlecht war», so Keil und Kellerhoff. Dass dahinter hausgemachte Probleme standen, belegen interne Papiere aus dem Landwirtschaftsministerium der DDR. Die Beamten stellten fest, man habe das Kartoffelkäferproblem seit 1945 vernachlässigt. Der «Abwehrdienst» sei unorganisiert, und es fehle an Chemie.

Daher das Märchen mit den US-Flugzeugen. «Die Führung wollte wohl vom Versagen bei der Bekämpfung des Kartoffelkäfers ablenken und die Bevölkerung zugleich für das Sammeln der Schädlinge mobilisieren», schreiben Keil und Kellerhoff. Dazu kam die Chance, die USA in Verruf zu bringen. Nach den beiden Autoren war die Verschwörungstheorie aus dem Parteiapparat ein Erfolg – bei den Bürgern, aber auch bei Bertolt Brecht, der sie umgehend literarisch segnete, und zwar mit seinem Gedicht Für den Frieden: «Die Ami-Käfer fliegen / silbrig im Himmelszelt / Kartoffelkäfer liegen / in deutschem Feld.»

Noch wisse die Forschung wenig Genaues über den gesellschaftlichen Abstieg der Verschwörungstheorien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, merkt Michael Butter an. Sicher sei, dass diese Entwicklung überall in der westlichen Welt stattgefunden habe – aber «nicht im gleichen Mass» in der arabischen Welt und in Osteuropa. Dort ist dieses Denken nie ganz aus der Mode gekommen, und so griff man auch in Russland vor kurzem wieder in den alten Werkzeugkasten, nach dem Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Während es mancher im Westen für erwiesen hält, dass die Spur des Nervengifts in den Kreml führt, sprechen regierungsnahe russische Politiker und Medien von einer anderen, viel geheimeren Agenda: Vor seiner Abreise in den Westen sei Nawalny gesund gewesen, der Befund der Ärzte in Berlin sei politisch motiviert. Dahinter stünden womöglich die USA, weil sie die Fertigstellung der Pipeline «Nord Stream 2» durch die Ostsee verhindern wollten.

Verschwörungstheorien gibt es zwar auch im Westen noch, aber seit ihrem Abstieg sind sie nicht mehr die gleichen: Ihre Stossrichtung hat sich umgekehrt. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts waren sie in aller Regel von gesellschaftlichen Eliten vertreten worden, und sie hatten sich gegen fremde Mächte gerichtet, ebenso gegen Zuwanderer, Andersgläubige, Schwache, «vermeintliche Aufrührer von unten» (Butter). Fortan sollte es umgekehrt sein: Gruppen, die sich marginalisiert sahen, übernahmen das stigmatisierte Deutungsmuster, richteten es nach oben und unterstellten den Eliten finstere Ränke.

Darum sind es «höchste Stellen» in Staat, Justiz, Kirche oder Konzernen, die hinter dem Mord an John F. Kennedy oder dem 11. September stehen und verhindern wollen, dass wir die Wahrheit über die Kondensstreifen am Himmel er­fahren, die Mondlandung, das Impfen oder 5G. Es sind Brüssel und Berlin, die in den Augen rechtsextremer Verschwörungstheoretiker die Europäer ausrotten wollen, um hier fremde Kultu­ren anzusiedeln. Die christlichen Fundamentalisten um den Sektenprediger Ivo Sasek sehen die «globalistische Elite» sogar am Gotthard-Basistunnel in Aktion, bei der Einweihungsfeier im Sommer 2016, wo sie «unter dem «Deck­mantel der Kunst satanische Rituale gezielt gefördert» habe.

In der Hand von Regierungen, zumal demokratischen, ist ein solches Denken nicht mehr glaubwürdig. Das erfuhr der Bundesrat, als er in den 1960er Jahren eine Verschwörungstheorie für den Volksgebrauch entwickeln liess. Es geht um Zivilverteidigung, das berüchtigte rote Büchlein, das im Kalten Krieg den Widerstand gegen den Kommunismus stärken soll (NZZ ­Geschichte Nr. 23, Juli 2019). Doch als es im Oktober 1969 schliesslich in einer Auflage von 2,6 Millionen Exemplaren verteilt wird, eines für jeden Haushalt, ruft es vor allem Widerstand gegen den Bundesrat hervor.

Zivilverteidigung wird zum Skandal, weil diese Lehrschrift alles politische Denken links der Mitte einem Verdacht aussetzt: dem Feind im Osten zu dienen, der die Schweiz per Verschwörung vom Kurs abbringen und schliesslich unterwerfen will. Namentlich Intellektuelle und Künstler finden sich als mögliche Wühler und Konspirateure diffamiert, ebenso Gewerkschafter, Gastarbeiter, Feministinnen, Separatisten und Homosexuelle. Diese Verschwörungstheorie kommt von oben; dass damit 1969 kein Staat mehr zu machen ist, zeigen in jenem Herbst die Proteste in Politik und Medien. Und die Altpapiersammlungen, in denen das Büchlein reihenweise landet.

Im Osten geht die staatliche Fabrikation von Verschwörungstheorien dagegen weiter. Mitte der 1980er Jahre bringt womöglich der KGB eine Lüge in Umlauf, die sich als ebenso langlebig wie folgenschwer erweisen wird. Sie handelt von Aids, und sie besagt, dass das Pentagon die Seuche losgelassen habe. Auf der Suche nach biologischen Kampfstoffen hätten amerikanische Militärs das Virus in Afrika entdeckt, in die USA gebracht und freigesetzt. HIV als Geheimwaffe des Westens – diese Verschwörungserzählung führte dazu, dass Aids auch noch im postsowjetischen Russland als «kapitalistische Krankheit» verstanden und, wo sie die eigenen Leute betraf, verschwiegen wurde. Die Zahl neuer Ansteckungen in Russland und in der Ukraine ist bis heute aussergewöhnlich hoch.

Wie diese Desinformation verbreitet wurde, illustrieren die Geschehnisse auf der Redaktion der Westberliner TAZ im Februar 1987. Damals bekam die Zeitung ein Interview mit einem Ostberliner Biologen angeboten und gab ihm eine ganze Doppelseite Platz für eine weitere Version des Biowaffenmärchens: Das HI-Virus sei nicht in Afrika gefunden, sondern im US-Militärlabor Fort Detrick gentechnisch produziert worden – durch die Kombination zweier bekannter Viren. Zur Therapie empfahl der Experte lediglich hohe Dosen Aspirin. Mehrere Blätter in der BRD hatten das Interview schon abgelehnt. Die TAZ, die die Verschwörungstheorie schliesslich in die bundesdeutsche Öffentlichkeit brachte und heute zu ihrer «Schuld an der Verbreitung von Fake-News» steht, erklärt sich deren «Plausibilität» mit dem damaligen Feindbild: Das «Unbehagen an den USA schlechthin» sei zur Zeit des Kalten Kriegs in alternativen und linken Kreisen verbreitet gewesen. Man mag derzeit einen anderen Eindruck bekommen, aber Verschwörungstheorien verfangen nicht nur rechts.

Gefährden sie die Demokratie? Die Gesundheit auf jeden Fall, wie Aids im Osten und jetzt auch Covid-19 zeigen: Wer an eine «Corona-Lüge» glaubt, steckt sich und andere eher an. «Eine gemeinschaftliche Reaktion auf eine Herausforderung setzt voraus, dass man sich als Gemeinschaft begreift und bereit ist, Dinge zu tun oder zu lassen, die ganz überwiegend anderen helfen», erklärt der Medizinhistoriker Christoph Gradmann (NZZ Geschichte Nr. 29, Juli 2020).

Genau daher rührt auch Michael Butters Sorge. Selbst wenn wir gerade keine Renaissance der Verschwörungstheorien erleben: Sie seien ein besonders auffälliges Symptom der «Fragmentierung der Gesellschaft». Die verläuft nach Butter weniger entlang ideologischer Linien, sondern entlang unterschiedlicher Annahmen darüber, wie Geschichte und Gesellschaft funktionieren. Kaum jemand wird darüber klagen, dass man sich im Westen die Welt gemeinhin nicht mehr mit Komplotten erklärt. Dass dieses Denken in Subkulturen verdrängt wurde, hat aber zugleich schon früh zur Bildung jener problematischen «Teilöffentlichkeiten» beigetragen, die sich im digitalen Zeitalter erst recht vermehren. «Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen können, was wahr ist», schreibt Butter, «können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern.»

Wahr ist wenigstens, und zwar für alle, die den Asterix-Band zu Ende lesen: Coronavirus verliert, Obelix gewinnt. 


Aus: "Die Abschaffung des Zufalls" Daniel Di Falco (01.10.2020)
Quelle: https://www.nzz.ch/geschichte/die-abschaffung-des-zufalls-ld.1576709
#1743
Quote[...] Vor 50 Jahren Auf dem Laufsteg wird er als Lieblingskind der Mode gefeiert, Boutiquen und gutbürgerliche Bekleidungshäuser räumen ihm bereitwillig Platz in der Vitrine ein. Und auch im modischen Straßenbild bedeutet er längst eine Selbstverständlichkeit. Im Büro, am Arbeitsplatz aber ist der Hosenanzug als ,,korrekte Kleidung" noch umstritten, um nicht zu sagen, verpönt. Während Miniröcke den durchaus wohlwollenden Blick vieler Chefs ernten, sind die durch lange Hosen züchtig bedeckten Beine – sofern sie überhaupt im Büro aufmarschieren – auch im Jahr 1970 bei einigen Firmen Stein des Anstoßes. Für das Mißfallen, das Hosen an Damenbeinen bei Personalchefs offenbar auch im Zeitalter der Frauenemanzipation manchmal noch erregen können, gibt es ein verblüffendes Beispiel: Vor kurzem wurde bei einer Bremer Filiale einer Weltfirma eine Kontoristin entlassen. Der Kündigungsgrund: eine rote lange Hose und die Weigerung der Trägerin, in Zukunft auf diese ,,nicht passende Aufmachung" zu verzichten. (30./31. Mai 1970)   

Hintergrund Man mag es kaum für möglich halten, aber das Thema Hosenanzug rief im Frühjahr 1970 einen handfesten Skandal hervor. Dafür sorgte eine gebürtige Bremerin, die frisch gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete Lenelotte von Bothmer (1915-1997) aus Isernhagen bei Hannover. Bis dahin hatte es noch keine Frau gewagt, das Parlament in Hosen statt mit Rock zu betreten und damit gegen die ungeschriebene Kleiderordnung zu verstoßen.

Doch als der damalige Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) kundtat, er werde keiner Frau erlauben, mit Hosen im Plenum zu erscheinen und erst recht nicht, in einer solchen Aufmachung auch noch das Wort zu ergreifen, stachelte das den Widerstand einer kleinen Gruppe gewählter Volksvertreterinnen an. Dabei konnte die Sozialdemokratin keineswegs als junge Wilde durchgehen, im Gegenteil: Die damals 54-Jährige musste sich ihren beigen Hosenanzug extra kaufen, eigentlich bevorzugte sie den Rock. Aber die patriarchalische Haltung Jaegers entfachte nun einmal ihren Zorn, es ging ums Prinzip.

Als Lenelotte von Bothmer sich im April 1970 erstmals in Hosen im Bundestag blicken ließ, ging ein Raunen durch die Reihen, etliche Stimmen fürchteten um die Würde des Hohen Hauses. Dass sie bei dieser Gelegenheit noch nicht einmal eine Rede hielt, spielte keine Rolle. Ein mächtiges Rauschen durchzog den medialen Blätterwald, alarmierte Bürger ergingen sich in wüsten Beschimpfungen. ,,Armes Deutschland, so tief bist du gesunken mit den roten Parteiweibern", hieß es in einer anonymen Zuschrift. Freilich beruhigten sich die Gemüter auch bald wieder. Entgegen gern kolportierter Ansicht tobte der Saal keineswegs, als die unerschrockene Politikern am 14. Oktober 1970 ihr Rededebüt im Hosenanzug gab. Das Protokoll vermerkt nur einen einzigen, vergleichsweise harmlosen Zwischenruf des CDU-Abgeordneten Berthold Martin: ,,Die erste Hose am Pult!"

Bereits in den 1930er-Jahren hatten Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich einen Hosenanzug getragen. In breiteren Schichten setzte sich die Kombination aus Jacke und Hose aber erst in den 1960er-Jahren durch, ironischerweise erregten die doch eigentlich untadeligen Hosenanzüge fast noch mehr gesellschaftlichen Disput als die zeitgleich aufkommenden Miniröcke. Das Beispiel der angefeindeten Bremer Kontoristin zeigt, wie schwer sich manche Firmen taten, den Hosenanzug als Alternative zum Rock zu akzeptieren. Dazu der WESER-KURIER: ,,Was im Bonner Bundestag möglich ist, sollte in einem Bremer Büro eigentlich nicht unmöglich sein." Inzwischen sind Hosenanzüge längst salonfähig, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sogar eine ausgesprochene Vorliebe dafür.

Aus: "Vor 50 Jahren - ,,Der Kündigungsgrund: eine rote lange Hose"" Frank Hethey (30.05.2020)
Quelle: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-der-kuendigungsgrund-eine-rote-lange-hose-_arid,1915827.html

#1744
Mundkommunion bedeutet, dass die Hostie bei der Sakramentalen Kommunion vom Kommunionspender auf die Zunge des Kommunikanten gelegt wird. Dieser Ritus ist als der überlieferte anzusehen. Der Apostolische Stuhl hält in der ganzen Kirche an der überlieferten Art der Mundkommunion fest, erteilt aber seit 1969 den Bischofskonferenzen auf ein entsprechendes Gesuch hin und unter bestimmten Bedingungen die Erlaubnis, die Kommunion in der Weise zu spenden, dass den Gläubigen die Hostie in die Hand gelegt wird.
http://www.kathpedia.de/index.php?title=Mundkommunion

Hostie (lat.: hostia=Opfergabe, Opfertier; Schlachtopfer; griech.: προσφορά) ist das zum eucharistischen Opfer der Heiligen Messe dienende Brot. Nach der heiligen Wandlung der Hostie spricht man von der "heiligen Hostie" oder dem "heiligen Brot".
http://www.kathpedia.de/index.php?title=Hostie


Quote[...] Das Bistum Eichstätt hat seine Corona-Richtlinien für das kirchliche Leben gelockert. So sind jetzt unter Auflagen wieder das Auslegen von Gebet- und Gesangbüchern sowie die Mundkommunion erlaubt, wie die Diözese am Mittwoch mitteilte. Empfohlen werde aber weiterhin die Handkommunion. Sollte es beim Spenden der Mundkommunion zu einer Berührung kommen, müsse die liturgische Handlung sofort zum Waschen oder Desinfizieren der Hände unterbrochen werden. Ab sofort wieder zulässig seien überdies ein erweiterter Ministrantendienst sowie die Kollekte in Gottesdiensten - wenn auch nicht durch Weiterreichen des Korbes oder Klingelbeutels.

Auch das Erzbistum Paderborn hatte zuletzt die Spendung der Mundkommunion unter strengen Vorgaben wieder erlaubt. Auf den "dezidierten Wunsch" von Gläubigen hin, auch solchen, die die Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus besuchen, habe man diese Corona-Regelung gelockert, erklärte das Erzbistum auf Anfrage von katholisch.de. Es seien mehrere ärztliche Gutachten vorlegt worden, die belegen würden, dass von der Mundkommunion kein höheres Infektionsrisiko ausgeht als von der Handkommunion. Die Mundkommunion werde jedoch eine Ausnahme bleiben und nun nicht zur Regel werden, hieß es.

Zudem wies das Erzbistum darauf hin, dass es nicht die einzige Diözese in Nordrhein-Westfalen sei, die die Mundkommunion unter Auflagen wieder erlaubt habe. Diese Änderung sei auf einer gemeinsamen Konferenz der Generalvikare der Bistümer auf dem Gebiet des Bundeslandes beschlossen worden. Zuvor hatte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode bei einer Pressekonferenz im Rahmen der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) noch gesagt, er sehe keine Möglichkeit, "bald wieder Wasser in die Weihwasserbecken zu füllen oder die Mundkommunion zu reichen". (tmg/KNA)


Aus: "Rückkehr zur Mundkommunion: Bistum Eichstätt entschärft Corona-Regeln" (15.10.2020)
Quelle: https://www.katholisch.de/artikel/27226-rueckkehr-zur-mundkommunion-bistum-eichstaett-entschaerft-corona-regeln

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Quote[...] In der Schweiz hat offenbar ein Jodel-Musical zu einem massiven Anstieg von Corona-Neuinfektionen geführt. Rund 600 Personen hatten Ende September die beiden Aufführungen in einer Mehrzweckhalle im ländlichen Kanton Schwyz besucht. Das Publikum war aufgerufen, Abstand zu halten; das Tragen einer Schutzmaske war jedoch nicht vorgeschrieben. Der Kanton gehört mittlerweile mit mehr als 1230 Coronavirus-Fällen zu einem der Hotspots in Europa. Übers Wochenende hatten sich die Fallzahlen drastisch erhöht. Zuletzt wurden 119 neue Fälle binnen eines Tages gemeldet. Das Auswärtige Amt hat eine Reisewarnung für den Kanton ausgesprochen.

Das Virus verbreitete sich offenbar von der Bühne aus. "Wir haben neun Tage nach den Aufführungen erfahren, dass sich mehrere Personen der Gruppe angesteckt haben", sagte der Organisator Beat Hegner dem öffentlich-rechtlichen Sender RTS. Allein am Mittwoch wurden 94 Personen positiv getestet, doppelt so viele wie am Vortag. Am Donnerstag waren es dann 119 neue Fälle. "Die Explosion der Fallzahlen in Schwyz ist eine der schlimmsten in ganz Europa", erklärte Chefarzt Reto Nueesch, der die Innere Medizin im Spital Schwyz leitet, in einem bei Youtube veröffentlichten Video. 

Das überlastete Kantonskrankenhaus bat bereits die Menschen, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Versammlungen zu vermeiden. "Es gibt eine extrem hohe Rate positiver Tests", sagte Krankenhausdirektorin Franziska Foellmi. 30 bis 40 Prozent der Ergebnisse sollen positiv sein. 

Die Kantonsbehörden zwar die Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus verstärkt, eine generelle Maskenpflicht in Geschäften und bei Veranstaltungen mit bis zu 50 Teilnehmern besteht aber nach wie vor nicht. Nur dort, wo der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann, müssen Besucher ab Freitag eine Maske tragen. Statt strenge Vorschriften zu erlassen, appelliert der Regierungsrat an die Eigenverantwortung der Bevölkerung. 

Jodeln gehört zu einer der Traditionen im Schweizer Alpenraum. Seit dem 19. Jahrhundert gilt das Jodeln unter anderem zusammen mit dem Bogenschießen als einer der Bausteine der gemeinsamen Identität zwischen den kulturell unterschiedlichen Regionen der Schweiz. Der uralte Gesangsstil wird außerdem im österreichischen Tirol sowie in Bergregionen Deutschlands praktiziert.

Quelle: ntv.de, ino/AFP


Aus: "Superspreader auf der Bühne: Jodelkonzert machte Schwyz zum Hotspot" (Freitag, 16. Oktober 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/panorama/Jodelkonzert-machte-Schwyz-zum-Hotspot-article22104696.html
#1745
Quote[...] Ich habe für Reporter ohne Grenzen (RSF) viele offenkundige Schauprozesse beobachtet – etwa in der Türkei, einem Land, das eine Hexenjagd auf unabhängige Journalist*innen veranstaltet. Bei diesen Willkürprozessen ist es üblich, dass RSF – auch unter Coronabedingungen – als internationaler Prozessbeobachter garantierten Zugang von den türkischen Justizbehörden erhält.

Anders beim Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange im Mutterland der Demokratie, in Großbritannien, das RSF als einzige NGO in den vergangenen Wochen beobachtet hat. Wir haben uns um eine Sitzplatzgarantie bemüht, diese und auch ein Videozugang wurden uns explizit von den britischen Behörden verwehrt. Dennoch erhielt RSF durch allmorgendliches Anstehen an fast allen Verhandlungstagen Zugang zu den nur sechs Plätzen auf der öffentlichen Tribüne in einem Nebensaal des Gerichtssaals.

Über Gründe kann man nur spekulieren. Fest steht aber: Großbritannien verletzt auf eklatante Weise seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, denen zufolge eine öffentliche Beobachtung von Verfahren sichergestellt werden muss.

Verhandelt wurde in London darüber, ob Julian Assange von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden soll, wo ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen. Ich war schockiert, was ich als Beobachter im Gerichtssaal gesehen habe. Die Vernehmung von 47 Zeug*innen hat einmal mehr deutlich gemacht, dass Assange wegen seiner Arbeit als Wikileaks-Gründer und Herausgeber angeklagt wurde und dass das Verfahren gegen ihn politisch motiviert ist: Er hat Geheimdokumente veröffentlicht, die journalistische Berichte über US-Kriegsverbrechen ermöglicht haben.

Angesichts seines durch die Untersuchungs-Isolationshaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis lebensbedrohlichen Gesundheitszustands ist die Frage, ob er ausgeliefert wird oder nicht, keine politische Frage mehr, sondern eine humanitäre, von Leben und Tod. Großbritannien muss Assange sofort freilassen und die USA müssen alle Vorwürfe gegen ihn fallen lassen.


Aus: "Auslieferungsverfahren Julian Assange: Leben oder Tod" Gastkommentar von Christian Mihr (15. 10. 2020)
Quelle: https://taz.de/Auslieferungsverfahren-Julian-Assange/!5717554/

QuoteRolf B.
heute, 10:49

Am Beispiel Julian Assange kann die geradezu unerträgliche Doppelmoral transatlantisch orientierter Staaten aufgezeigt werden. Wenn es um Propaganda gegen Russland geht, ist auch ein rechtsnationalistischer russischer Korruptionsbekämpfer gerade recht. Jemand wie Julian Assange, der Verbrechen der US Regierung aufgedeckt hat, wird in Europa wie ein Verbrecher behandelt. Man denke an die gefakten Vergewaltigungsvorwürfe. Und jetzt sitzt Julian Assange im "englischen Guantanamo".

Kein Land in Europa setzt sich für ihn ein. ... Wo sind die Grünen im Kampf um Menschenrechte? Und was sagt unser toller Außenminister dazu? Sanktionen gegen GB? Harte Ansprache an die USA? Oder dröhnendes Schweigen?


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#1746
Quote[...] Bund und Länder haben am Mittwoch um eine Einigung auf schärfere Kontaktbeschränkungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus gerungen. Bei einem Treffen im Kanzleramt, das seit langer Zeit erstmals wieder als Präsenzveranstaltung und nicht als Videokonferenz stattfand, besprachen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder, wie auf die steigenden Infektionszahlen zu reagieren ist.

Offenkundig war die Kanzlerin mit dem Verlauf der Beratungen und den geplanten Beschlüssen unzufrieden, weil sie diese für unzureichend hielt. ,,Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden", sagte Merkel nach übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern am Mittwochabend während der Sitzung. Mit den nun festgelegten Maßnahmen würden Bund und Länder ,,in zwei Wochen eben wieder hier" sitzen. ,,Es reicht einfach nicht, was wir hier machen." Die Grundstimmung sei, dass sich jedes Land ein kleines Schlupfloch suche. ,,Das ist das, was mich bekümmert. Und die Liste der Gesundheitsämter, die es nicht schaffen, wird immer länger." Doch Merkel stieß mit ihrer härteren Linie auf Widerstand bei den Ländern.

Da sich private und öffentliche Feiern als die wichtigsten Treiber der Infektion erwiesen haben und sie in den kalten Herbst- und Wintermonaten ausschließlich in Innenräumen mit hohem Ansteckungsrisiko stattfinden können, sind sie von den härtesten Einschränkungen betroffen. In Regionen mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche sollen private Feiern künftig generell auf maximal zehn Teilnehmer und zwei Haushalte begrenzt werden. Bleibt der Wert der Neuinfektionen über zehn Tage so hoch, dürfen sich nur noch maximal fünf Personen aus zwei Hausständen zu privaten Feiern treffen. Diese Bestimmung wird sich am schwersten kontrollieren lassen. Für die Sperrstunde für die Gastronomie um 23 Uhr, die ebenfalls bei einer Inzidenz von 50 pro 100.000 eingeführt werden soll, gilt das nicht.

Zu dem unter den Ländern so umstrittenen Beherbergungsverbot für Personen aus Hotspot-Regionen haben Bund und Länder keine einheitliche Linie gefunden. Allerdings soll die Wirksamkeit des Beherbergungsverbots überprüft und erst am 8. November, am Ende der Herbstferien, darüber entschieden werden. Im Beschluss wird eindringlich dazu aufgefordert, ,,nicht erforderliche innerdeutsche Reisen" in Gebiete mit einer Zahl von Neuinfektionen oberhalb der 50-Personen-Marke oder Reisen aus solchen Gebieten zu unterlassen. Dem Vernehmen nach wollen Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hamburg zunächst bei der Regelung bleiben, dagegen soll sie in Sachsen und im Saarland schon bald fallen. Wie Bayern verfahren wird, ist noch offen und soll am Donnerstag in einer Kabinettssitzung entschieden werden. Vorläufig hält also die Mehrheit der Länder an ihrem Beherbungsverbot fest. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte bei den Beratungen entschieden für die Abschaffung des Verbots gekämpft. Doch der unüberwindliche Widerstand Mecklenburg-Vorpommerns hatte sich schon vor dem Treffen abgezeichnet.

Zu Beginn des Treffens hatte der Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Michael Meyer-Hermann, anderthalb Stunden mit der Runde diskutiert. Er warnte Bund und Länder dringend vor einem Kontrollverlust bei den Infektionen. ,,Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwölf, um das Schiff noch zu drehen", sagte er im Kanzleramt. Deutschland stehe an der Schwelle zu einem exponentiellen Wachstum. Zur Verdeutlichung zeigte der Wissenschaftler eine Simulation, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln könnte, sollte die Politik jetzt nicht sehr entschieden gegensteuern. Meyer-Hermann schlug offenbar auch ein Ausreiseverbot für Menschen aus Risikogebieten vor, das bei den Teilnehmern aber auf große Skepsis stieß.

,,Wir sind heute einen erheblichen Schritt vorangekommen, aber ob das reicht, ist offen", sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am späten Abend. Es gebe einheitlichere und transparentere Regeln. Mehr Maske, weniger Alkohol und weniger Feiern sei der Dreiklang, der wichtig sei. Deutschland sei einem zweiten Lockdown viel näher, als es das wahrhaben wolle. Sollte es jedoch zu einem zweiten Lockdown kommen, werde das erhebliche Folgen für Wirtschaft, Bildungsverläufe und das soziale Leben haben, warnte Söder. ,,Es steht unglaublich viel auf dem Spiel und wir brauchen einen langen Atem", sagte der Ministerpräsident und appellierte an die Solidarität aller.


Aus: "Corona-Gipfel im Kanzleramt : Darauf haben sich Bund und Länder geeinigt" Eckart Lohse und Heike Schmoll (14.10.2020)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/corona-gipfel-darauf-haben-sich-bund-und-laender-geeinigt-17002193.html

QuoteBund und Länder verschärfen den Kurs

    Peter Josef Zilger (PZ69), 15.10.2020 - 10:45

Auch nach etlichen Monaten sind sich Wissenschaftler über die Verbreitungswege und die Gefährlichkeit des Corona-Virus keineswegs einig. Das ist absolut kein Vorwurf an Wissenschaftler, dies liegt bei komplexen Themen in der Natur der Sache.
In Anbetracht dessen würde ich mir allerdings wünschen, das unsere Regierung ihren Ton ändert. Maßnahmen sollten nicht von oben herab und im Befehlston quasi per Dekret verkündet werden.
Angebracht wäre es, zu sagen: nach dem, was wir zum heutigen Tage wissen, empfehlen wir . . .
Uns natürlich sollten alle Entscheidungen im Parlament getroffen werden und nicht in selbsternannten Krisenkabinetten.


QuoteTV-Format Big Brother als Corona-Variante als Lösungsansatz?

    Thomas Bernigau (Tbernigau), 15.10.2020 - 10:05

Warum sind so viele Bürger so zurückhaltend, wenn die Grundregeln Abstand, Mund- Nasenschutz und Handhygiene angezeigt sind?

Weil zu wenige Mitbürger aus eigener Wahrnehmung mitbekommen, dass Menschen an Covid 19 erkranken und die Auswirkungen eines schwereren Krankheitsverlauf selbst beobachten konnten?

Kann man ändern: Eine TV-Variante des Big Brother-Hauses live übertragen aus einer Corona-Intensivstation - selbstverständlich mit Zustimmung der Patienten. Und für unsere jungendlicheren Mitbürger: eine Internet-Bloc-Variante. Findet sich bestimmt jemand.

Ich verzichte selbstverständlich auf mein Copy Right für diese Idee - man muss auch mal etwas für die Gemeinschaft selbstlos tun .... Oder doch ausnahmslose Maskenpflicht bei auch noch so kurzzeitigen Begegnungen mit einem Dritten unter 2 Meter verbunden mit der Androhung einer Geldbuße, die selbst bei einer sporadischen Überwachung abschreckt?


QuoteWarum gibt es Raucher?

    Christian Haggert (Bankenriese), 15.10.2020 - 11:41

Die schreckt doch auch die Bildchen auf den Packungen ab.
Und Rauchen, sowie die Werbung dafür sind weiterhin erlaubt.
Wir könnten auch Live-Bilder von kenternen Schiffen im Mittelmeer zeigen und dennoch weigern sich die Menschen Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Liste kann man endlos weiterführen.
Also was soll ihr komischer Vorschlag gerade jetzt bei Covid-19 bezwecken?


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#1747
Quote[...] Weil sich das Coronavirus immer schneller auf Dänemarks Nerzfarmen ausbreitet und dabei auch Menschen gefährdet, steht der weltweit größte Anbieter von Pelzen der kleinen Raubtiere möglicherweise vor dem endgültigen Aus. Als in dieser Woche bekanntwurde, dass mehr als vier Millionen Tiere auf bisher 89 Farmen mit Covid-19-Infektionen sofort getötet werden müssen, beklagten Branchensprecher, dass dann schon nicht mehr genügend Zuchttiere für das Auffüllen der Bestände vorhanden seien.

Tierschützer in aller Welt verlangen seit langem ein komplettes Verbot dieser Massenzucht in engen Käfigen. Dabei hilft nun Corona. ,,Menschen stecken Nerze an und dann wieder umgekehrt", erklärt der zuständige Spezialist Anders Fomsgaard dem Internetmagazin Nordtinget.dk und fasst die vielen noch ungeklärten Fragen vor allem über schon mutierte Viren in dem Satz zusammen: ,,Mir erscheint das Risiko sehr hoch, dass wir es hier mit einer Art Virusfabrik zu tun haben."

Die Entscheidung, dass nun auch die Tiere auf virenfreien Farmen in einem Umkreis von bis zu acht Kilometern getötet werden müssen, kommt reichlich spät. Während beim europäischen Hauptkonkurrenten Niederlande wegen der Corona-Ausbreitung kurz nach der Schließung von 17 Farmen auch gleich das endgültige Verbot dieser Pelztierzucht beschlossen wurde, ging die Regierung in Kopenhagen im selben Monat Juni den umgekehrten Weg. Die Bestimmung zur Tötung von Beständen infizierter Farmen wurde wieder aufgehoben.

,,Nerze sind die Existenzgrundlage vieler Menschen und bei uns eine relativ große Industrie. Diese Sache hat viele Facetten", zitierte Nordtinget.dk einen Sprecher der Gesundheitsbehörden. Erstaunliche Worte aus Kopenhagen, wo die Regierung keine Gelegenheit auslässt, sich für die Erfolge ihres meist schnellen, harten Eingreifens gegen Corona-Gefahren zu loben.

Vor allem chinesische Zahlungsbereitschaft für hochklassige Pelze hat dem kleinen Dänemark 2019 umgerechnet 1,7 Milliarden Euro Exporterlöse mit 40 Millionen verkauften Nerzfellen eingebracht. Dass immer mehr Staaten wie Belgien, Großbritannien, Norwegen, Frankreich und Österreich diese Zucht neben der anderer Tiere ausschließlich der Pelze wegen verboten haben, hat in Kopenhagen offenbar wenig Eindruck gemacht. In Deutschland haben vor drei Jahren ohne Verbot die letzten Nerzfarmen dichtgemacht. Weil auch in Polen, dem zweiten europäischen Hauptkonkurrenten nach den Niederlanden, demnächst ganz Schluss sein wird, hat sich die dänische Branche mit 1100 Farmen wohl Hoffnung auf steigende Absatzzahlen gemacht – nachdem zuletzt Verkäufe wie auch Stückpreise kräftig gefallen waren und viele der dänischen Züchter schon vor Corona in akuten Schwierigkeiten steckten.

Die Niederlande setzen die Nerzzucht aus und schließen die Zuchtfarmen final bis Jahresende. Im Mai wurde nachgewiesen, dass das COVID19 Virus vom Nerz auf den Menschen übertragen werden kann.

Die allein regierenden Sozialdemokraten wehren sich mit Händen und Füßen gegen das vom linken Parlamentsflügel geforderte Zuchtverbot. Parteisprecher Bjarne Laustsen meint: ,,Unsere Produktion wird vom Verbraucher bestimmt. Wir produzieren eben die Waren, die Kunden kaufen wollen."

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Aus: ",,Virus-Fabriken": Corona wütet auf Nerzfarmen in Dänemark" Thomas Borchert (15.10.2020)
Quelle: https://www.fr.de/wirtschaft/corona-wuetet-auf-nerzfarmen-90069725.html
#1748
Quote[...] Anna Pawlowna hat es geschafft. Die 71-jährige Rentnerin lag zehn Tage mit hohem Fieber und Lungenentzündung in einem Moskauer Krankenhaus. Es gelang den Ärzten, sie mit Antibiotika-Spritzen zu kurieren. Aber Anna Pawlowna sagt, das Coronavirus breite sich schnell aus. ,,Als ich eingeliefert wurde, herrschte in der Station noch Leere. Bei meiner Entlassung waren alle Betten voll, die ersten Patienten lagen schon im Flur."

Die zweite Welle der Covid-19-Pandemie droht auch in Russland zum Tsunami zu geraten. Nach Angaben der Behörden stieg die Zahl der Neuinfizierten gestern auf die Rekordzahl von 14 231, deutlich über die Höchstmarke der ersten Welle von knapp 11 700 am 11. Mai. Anfang September hatte sie noch bei 4700 gelegen. Laut dem staatlichen Epidemiologen Alexander Gorjelow werden diese Zahlen noch 20 Tage ansteigen. Ein wesentlicher Rückgang der täglichen Infektionen werde erst im Februar oder März zu erwarten sein.

Offiziell starben gestern 239 Russen an Covid-19, mehr waren es nur am Vortag, als 244 Patienten dem Virus erlagen. Viele Statistiker und Mediziner behaupten, die tatsächlichen Zahlen seien mindestens doppelt so hoch. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind 90 Prozent der Krankenhausbetten belegt. Anastasia Wassiljewa, Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Aljans Wratschej, twittert, tatsächlich seien es schon 200 Prozent. Ein Arzt aus der Region Krasnodar sagte der Internetzeitung meduza.io, jeder Kollege in seiner Abteilung müsse 45 Kranke statt der Norm von 20 Patienten behandeln. Die Leute warteten in der Notaufnahme drei bis vier Stunden, weil nur ein Computertomograph da sei. ,,Die Intensivstation ist voll, die Leichenhalle auch."

Das Virus trifft vor allem Ärzte und Pfleger. Auf einer ,,Liste des Gedenkens", die ihre Kollegen im Internet führen, sind schon 733 tote Mediziner aufgeführt. Das sind mehr als doppelt so viele Corona-Opfer, wie Finnland insgesamt zu beklagen hat.

Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin äußerte angesichts von täglich über 1200 hospitalisierten und fast 5000 neuen Covid-19-Patienten in der Hauptstadt ,,gewaltige Besorgnis". Aber während im Frühjahr in Moskau und anderen russischen Regionen ein strenger Lockdown und teilweises Ausgehverbot herrschte, begnügen sich die Behörden bisher mit Einzelmaßnahmen. Der Kreml ernannte Ex-Premierminister Dmitri Medwedew zum Leiter einer neuen Kommission zur Bekämpfung von Viruserkrankungen. Der schon existierende operative Stab zum Kampf gegen Covid-19 rief die Russen auf, keine öffentlichen Plätze aufzusuchen. Und die Herbstferien der Moskauer Schulen wurden um eine Woche verlängert. Danach sollen alle Schüler ab der sechsten Klasse zwei weitere Wochen Fernunterricht bekommen.

Bars, Fitnessstudios und Kirchen bleiben geöffnet und werden gut besucht. In der Moskauer U-Bahn trägt auch in Stoßzeiten kaum die Hälfte der Passagiere die vorgeschriebenen Masken. Aber die Staatsmacht will offenbar einen neuen Lockdown und dessen wirtschaftlichen Folgen vermeiden.

Ihre Medien berichten hoffnungsvoll von den zwei inzwischen in Russland entwickelten Covid-19-Impfstoffen, die allerdings die obligatorischen Massentests noch nicht durchlaufen haben. Industrieminister Denis Manturow kündigte an, im Dezember würde man die ersten 1,5 Millionen Impfdosen auf den Markt bringen. ,,Ein paar Monate", sagte Sobjanin, ,,müssen wir noch aushalten."

Anna Pawlowna sitzt auf ihrer Datscha in einem Dorf südlich von Moskau ihre zweiwöchige Quarantäne ab. Sie hat Probleme mit dem Magen und fühlt sich schwach. Aber jetzt sind auch hier viele Leute krank geworden. Im Nachbarhaus hätten alle das Virus, sogar die Kinder. Am schlechtesten ginge es der Mutter, einer Krankenschwester, sagt die Rentnerin. ,,Und wissen Sie, die offiziellen Zahlen stimmen nicht. Selbst mir haben sie in der Klinik kein Covid-19 diagnostiziert."


Aus: ",,Die Leichenhalle ist voll"" Stefan Scholl (14.10.2020)
Quelle: https://www.fr.de/politik/die-leichenhalle-ist-voll-90069922.html
#1749
Quote[...] Ein hässliches Wort kehrt nach Frankreich zurück – ,,couvre-feu", zu Deutsch: Sperrstunde. Der Begriff weckt in Paris ungute Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, als das deutsche Naziregime die französische Hauptstadt besetzt hatte. Und dann galt die Ausgangssperre auch schon in diesem März in der Elsässerstadt Mulhouse, einer der schlimmsten Brutstätten der ersten Coronawelle.

Jetzt dürfte Paris an der Reihe sein: Präsident Emmanuel Macron wollte am Mittwochabend über die wichtigsten Fernsehkanäle seines Landes eine Ausgangssperre von 20 Uhr abends bis fünf Uhr morgens ankündigen, wie es aus Regierungskreisen verlautete. Weitere Auflagen betreffen wohl die Einschränkung von Privat- und Familienanlässen. Welche Regeln jetzt genau umgesetzt werden sollen, war bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht bekannt. Der Gesundheitsnotstand wird von diesem Samstag an wieder eingeführt, wie die Regierung am Mittwoch einer Kabinettssitzung mitteilte.

Die Staatsführung sieht sich zu den Ausgangssperren – dem ,,Elektroschock", so ein Elysée-Berater – gezwungen, um nicht schon bald einen vollständigen Lockdown anordnen zu müssen. Die Ansteckungszahlen nehmen in Frankreich um rund 15 000 Fälle pro Tag zu. In Paris sind wieder 1500 Covid-Patienten im Krankenhaus, 500 müssen beatmet werden. Ende des Monats sollen die Krankenhausbetten im Raum Paris erstmals seit April wieder voll ausgelastet sein.

Macrons Angst ist die von ganz Frankreich: Ein neuer Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen auch tagsüber könnte diesmal die gesamte Landeswirtschaft abwürgen. Einzelne Branchen wie die Luftfahrt oder der Tourismus haben bereits über 50 Milliarden Euro verloren und liegen am Boden. 800 000 Arbeitnehmer haben ihren Job verloren.

Und allzu schnell dürfte die zweite Welle nicht verebben: Am Mittwoch wurde die größte Agrarmesse Frankreichs abgesagt, was vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil sie erst für Februar und März des nächsten Jahres in Paris geplant war. Offensichtlich nehmen die Organisatoren an, dass die Corona-Krise auch noch im nächsten Frühjahr grassieren wird.

Da eine weitere Ausbreitung des Virus einen Lockdown und damit einen Kollaps der Wirtschaft unvermeidbar machen würde, muss die Regierung das Freizeit- und Familienleben drastisch einschränken. Der ,,couvre-feu" trifft vor allem ausgehfreudige Jugendliche in den Großstädten. Sie gelten, ohne dass dies Macron direkt so ausdrückt, als Hauptverbreiter des Virus. Auch Premierminister Jean Castex hütet sich, Klartext zu sprechen: Nach Fernsehbildern aus Pariser Bars und Partys, in denen schutzlos gefeiert wurde, erklärte er in einer internen Sitzung, ,,eine gewisse Kategorie von Franzosen" halte sich offensichtlich für ,,unbesiegbar".

Jugend- und Studentenverbände protestierten gegen die ,,Stigmatisierung" ganzer Altersgruppen und sagten, einmal mehr seien es die Jugendlichen, deren Freiheit am stärksten beeinträchtigt werde. Dabei müssten sie ohnehin die Folgekosten der Corona-Krise in den kommenden Jahrzehnten berappen. Widerstand kommt auch von der Gastronomie. Hotelbedienstete und Köche blockierten am Dienstag die Pariser Ringautobahn, um zusätzliche Staatshilfen über die Kurzarbeitszuschüsse hinaus zu erwirken. Macron wird ihnen zweifellos entgegenkommen müssen. Er kann nicht gut behaupten, er tue alles für die Weiterexistenz der Wirtschaft des Landes, wenn er zugleich die Hotel- und Restaurantbranche im Regen stehen lässt.

Für Macron geht es allerdings nicht nur um die Rettung der französischen Wirtschaft, sondern auch seiner selbst. Der Präsident verliert in den Umfragen an Boden, weil er unfähig war, nach dem schlechten Krisenmanagement der ersten Welle wenigstens die Ankunft der zweiten einzugrenzen. Schuld ist allerdings nicht nur der sprunghafte Corona-Kurs des Präsidenten, der die Schraube anzieht, sie wieder loslässt, um nun wieder durchzugreifen. In Frankreich mangelt es auch dramatisch an der Koordination zwischen lokalen und nationalen Instanzen. (mit dpa)


Aus: "Ausgangssperren sollen Frankreich retten" Stefan Brändle (14.10.2020)
Quelle: https://www.fr.de/politik/ausgangssperren-sollen-frankreich-retten-90070175.html
#1750
Quote[...] Belfast/London - Im britischen Landesteil Nordirland werden die Corona-Maßnahmen deutlich verschärft. Die Pubs und Restaurants müssen vier Wochen lang geschlossen bleiben. Die Gaststätten dürfen ihre Speisen und Getränke nur außer Haus anbieten Auch die Schulen werden für die kommenden beiden Wochen dicht gemacht. Das berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa).

Die Ausbreitung des Coronavirus müsse gebremst werden, sagte die nordirische Regierungschefin Arlene Foster am heutigen Mittwoch, 14. Oktober, in Belfast. Besonders viele Corona-Infektionen gibt es derzeit in der Stadt Derry und Umgebung. Dort leben viele Menschen an der Grenze zum EU-Staat Irland.

Auch andere Regionen in Großbritannien sind stark durch die Corona-Pandemie gebeutelt. Das betrifft besonders den Norden Englands, Schottland und Teile von Wales. Auch in den Midlands und im Großraum London steigen die Zahlen schnell an, wie die Tagesschau berichtet. Es droht eine Überlastung der Kliniken.

Jeder Landesteil Großbritanniens mit seinen insgesamt fast 67 Millionen Einwohnern entscheidet selbst über eigenen Maßnahmen in der Corona-Krise. In England gilt seit dem heutigen Mittwoch, 14. Oktober, ein dreistufiges System, das die Maßnahmen nach dem Risikograd - mittel, hoch oder sehr hoch - einstuft. Damit will Premierminister Boris Johnson die Kriterien vereinheitlichen. Die Zahl der Infektionen habe sich in den vergangenen drei Wochen vervierfacht, sagte Johnson im Unterhaus. ,,Wir haben jetzt schon mehr Covid-19-Fälle in unseren Krankenhäusern als im März, als wir in den Lockdown gingen. Und auch die Zahl der Todesfälle steigt."

Der Großteil von England befindet sich aktuell auf der ersten Warnstufe, die mittlere Gefahr signalisiert. In den betroffenen Gebieten gilt weiterhin eine Sperrstunde ab 22 Uhr. Es dürfen sich maximal sechs Personen privat treffen. In Regionen, in denen Stufe zwei in Kraft tritt, sind Zusammenkünfte von Mitgliedern eines Haushalts in geschlossenen Räumen verboten. Erreicht ein englisches Gebiet die dritte Warnstufe, müssen dort alle Pubs und Bars schließen. Mitglieder aus mehreren Haushalten dürfen sich auch nicht mehr draußen treffen.

Stufe drei soll in Gebieten Englands angewandt werden, in denen sich das Coronavirus momentan besonders schnell verbreitet und das Gesundheitssystem schon unter Druck geraten ist. Das gilt beispielsweise für die Stadt Liverpool. Dort liegt die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen bei 600 pro 100.000 Einwohner. ,,Liverpool wird am Mittwoch in die Stufe drei gehen", so Johnson. ,,Dort werden neben Pubs und Bars auch Freizeitzentren, Wettbüros und Spielhallen geschlossen."

Kritiker bezeichnen das Vorgehen von Premierminister Johnson als unzureichend. Das wissenschaftliche Beratergremium Sage hatte der Regierung schon vor Wochen einen landesweiten Lockdown empfohlen. Diesen lehnt Premierminister Johnson bisher aber ab.

In Großbritannien sind am Dienstag, 13. Oktober, mehr als 17.000 neue Ansteckungen innerhalb von 24 Stunden gemeldet worden. Die Zahl der Todesfälle, die auf das Corona-Virus zurückzuführen sind, lag mit 143 so hoch wie zuletzt im Juni. Insgesamt haben sich in Großbritannien bisher über 635.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Rund 43.000 Betroffene sind gestorben.

Auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern steigen die Corona-Zahlen. Grenzwerte werden immer wieder überschritten. Die zweite Welle scheint in Europa angekommen zu sein. Viele Regionen gelten mittlerweile als Risikogebiete. (Tobias Ketter)

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Aus: "Nordirland und England verschärfen Corona-Maßnahmen" (14.10.2020)
Quelle: https://www.fr.de/politik/corona-grossbritannien-england-nordirland-lockdown-boris-johnson-schule-liverpool-sperrstunde-90070010.html
#1751
Quote[...] Die wirre Welt der Verschwörungstheoretiker nimmt "Am Schauplatz" am Donnerstag, dem 15. Oktober unter die Lupe. Die ORF-Journalistin Nora Zoglauer hat dazu monatelang die Szene der Corona-Skeptiker begleitet. Das verspricht nicht nur schöne Bilder.

Dabei ist diese Szene nicht nur wirr, sondern in jeder Hinsicht facettenreich. Die Stiftung Gurutest fasst ihre eigenen Beobachtungen von den Einpeitschern, Ausplauderern, Schuldzuweisern und Selbstdarstellern zusammen. Wir öffnen die auffälligsten Schubladen.

Florian Ortner ist der Einpeitscher der wöchentlich stattfindenden Demos in Linz. Er weiß, dass die Familie Rothschild die Zügel der Welt ganz fest in der Hand hält [https://www.youtube.com/watch?v=k-5xPxQoQHY&feature=emb_logo] und traut sich das auch zu sagen. Auf der Bühne liest er so gut wie alles vor, was man ihm in die Hand gibt - sofern es in das Weltbild einer bösen, elitären Verschwörung gegen das gemeine Volk passt. Am 19. Juni trug Ortner ein bizarres Pamphlet vor. Den Zettel hatte er einen Tag vorher zugespielt bekommen - von "hochrangigen Klinikärzten" aus ganz Österreich, die zum Thema Impfen nicht mehr schweigen wollen und die demnächst eine Whistleblower-Webseite mit tausenden unterdrückten Studien zu den fatalen Schäden von Impfungen veröffentlichen würden. Die Botschaften, die Ortner abliest, triefen vor Pathos, der Fake ist durchschaubar wie das Glas in der Auslage des Nespresso-Flaghsipstores um die Ecke [https://www.youtube.com/watch?v=WBe24FTnhDo&feature=youtu.be&t=388].

Ortner liest mit erregtem Timbre Sätze wie diese: "Naturferne und verirrte Forschung hat die Herrschaft über die edle Wissenschaft der Heilkunde gewonnen. Wir werden die Deutungshoheit zurückerobern." Oder: "Impfungen und Chips sind nur ein Teil der Matrix der dunklen Mächte. Wir müssen auch die anderen aufdecken." Die Menge johlt, als Ortner schließt: "Tragt die Botschaft in die Welt: UnVaxxed Souls Matter – Ärzte gegen Impfterror."

Der Haken an der Geschichte: Das angebliche Statement angeblicher Ärzte ist chiffriert, die Anfangsbuchstaben der 17 Absätze des Kasperl-Apells ergeben den Satz: "Nichts davon stimmt." Da hat Ortner und seiner Linzer Stehgreifbühne wohl jemand einen Streich gespielt. 

Die rechtsextremen Identitären [https://www.derstandard.at/story/2000117342095/corona-demos-identitaere-impf-taliban-macht-stimmung] haben von den ersten Demos der Verwirrten an Gesichtsbäder genommen, diskret, aber doch erkennbar. Die eher ungelenken Akteure der rechten Staatsverweigerszene erhalten schon mal aus Deutschland Unterstützung. Ende August fand in Berlin ein Sturm eines rechten Mobs auf den Reichstag statt, die schwarz-weiß-roten Fahnen der Szene verstörten das Land.

Am 5. September klärt der Deutsche Franz Radon in Wien bei der Kundgebung im Resselpark auf, dass die Symbolik leider missverstanden werde. Radon schwärmt vom deutschen Kaiserreich, von Otto von Bismarck, der den "Vatikan rausgeschmissen hat aus dem deutschen Reich" und klärt die verdutzte, aber überschaubare Menge auf: "Nur mit dem Kaiserreich werden wir Frieden bekommen." [https://youtu.be/iWsy7Mutbyw?t=157]

Vom aktuellen Interregnum in Deutschland hält Radon nicht sonderlich viel. Bei einem Aufmarsch in Berlin sagt Radon: "Wir werden von pädophilen Satanisten regiert, von Freimaurern, Jesuiten, von khasarischen Zionisten."

Einen Auftritt in Wien hatte auch der Jurist Lucas Tuma. Dessen Vita führt unter anderem zur "Wiener Akademischen Ferialverbindung Reich". Thuma war deren Vorsitzender, Gottfried Küssel begnügte sich mit der Rolle als Kassier und Schriftführer. Der Verein, dessen Logo ein Wappen mit einem kaum kaschierten Hakenkreuz schmückte, veranstaltete einst Vorträge für "Reichsbrüder" zu spannenden Themen: "Das Verbotsgesetz – ein österreichisches Paradoxon" oder "Die Zersetzer - wer vernichtet Volk und Land". So ein Redner ist natürlich gefragt, um vor einem Faschismus zu warnen, der langsam über eine Mund- und Nasenschutz-Pflicht installiert wird. Thuma beklagt, dass der Verfassungsgerichtshof ein "Freizeitgerichtshof mit Nebenerwerbsrichtern" sei und appelliert an zivilen Widerstand gegen die Regierung. Dazu hat er seit seiner Zeit bei der VAPO (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition) vermutlich konkrete Vorstellungen.

Weniger ideologisch motiviert sind die Auftritte mancher Ärzte bei den Demos. Der Mediziner Peer Eifler aus Bad Aussee tingelte zu mancher Veranstaltung und rührte dabei auch ein wenig die Werbetrommel in eigener Sache. Im Frühjahr machte er aus der Not der Maskenpflicht eine Tugend und begann Blanko-Atteste zu verkaufen. Die sollten dem Inhaber des Attests bescheinigen, aus körperlichen oder psychischen Gründen keinen Mund- und Nasenschutz tragen zu können. Auf eine Anamnese oder Untersuchung verzichtete der Arzt. Eifler bewarb die Blanko-Atteste keck auf seiner Facebook-Seite. Abgesehen von der rechten Krawallpostille "Wochenblick", die Eifler zum Don Quichote der Covidioten zu stilisieren versucht, hielt sich die Begeisterung für Eiflers Einsatz gegen die furchtbaren Masken in Grenzen. Anfang Oktober entzog die Ärztekammer Eifler die Approbation. Eifler ordiniert nun als "Energetiker", Atteste darf er nicht mehr ausstellen. Im Umlauf sind sie aber weiterhin: Bei der Wahl in Wien am Sonntag wollte sich eine Beisitzerin der FPÖ mit dem Pseudo-Attest Eiflers maskenlosen Zugang zum Wahllokal verschaffen.

Lediglich die Anstellung in der Grazer Universitätsklinik verloren hat die Ärztin Konstantina Rösch. "Jeder, der behauptet, dass diese Masken vor irgendetwas schützen, der lügt", behauptete Rösch am 1. Juli in Wien auf der Bühne der "Initiative für evidenzbasierte Coronainformationen". Eine harsche Ermahnung der Klinikleitung ließ die Ärztin kalt, sie zog munter weiter mit der Karawane der Corona-Skeptiker, bis es der Klink reichte.

In Stellung gebracht hat sich die rege Szene der Impfgegner. Kaum eine Kundgebung vergeht, ohne dass Franziska Loibner oder Claudia Millwisch die Agenda unter das Volk bringen. Die beiden Aktivistinnen sind für den Verein AEGIS aktiv, der ersten Adresse der Seuchenfreunde Österreichs. Welch Geistes Kind der Verein Aegis ist, verraten derlei Aussagen: "Die Masernimpfung schützt nicht, sondern kann schwere Krankheiten nach sich ziehen."

Die selbsternannte Virologin Eva Schuhmacher räumt bei einer Kundgebung in Wien gleich mit einem Irrtum auf, dem wir seit Generationen arglos und ahnungslos aufsitzen: "Die Lüge begann im 19. Jahrhundert. Louis Pasteur und Robert Koch haben einfach behauptet, dass Viren krank machen und ansteckend sind." Schuhmacher mit erregter Stimme: "Es gibt keine Beweise dafür, dass Viren ansteckend sind." Das Publikum applaudiert laut.   

In Linz rührt am 30. Mai Björn Eybl die Werbetrommel für den "Studienkreis 5 Biologische Naturgesetze". Das klingt harmlos, hinter dem Begriff versteckt sich allerdings die "Germanische Neue Heilkunde" des vor drei Jahren verstorbenen Gurus Ryke Gerd Hamer. Dessen "Lehre" in einem Satz: Die Juden wenden die Germanische Heilkunde längst an, das verheimlichen sie aber und an den anderen Völkern verüben sie mit Chemotherapien und Impfungen einen Holocaust. In Linz redet Eybl, der bei den olympischen Spielen in Los Angeles im Jahr 1984 als Windsurfer an den Start ging, mit der Politik Tacheles: "Die Spaltung in rechts und links ist vorbei (...) Wir sind eine Einheit und Menschenbrüder" und beschwört, dass das Spiel der Eliten, "dass die seit tausenden Jahren spielen", vorbei sei. An wen Eybl dabei denkt? An Pharao Ramses oder König Nebukadnezar? Diese Chiffren sind immer sehr schwer zu lösen.

Steve Whybrow (aka Whyborowa) ist vermutlich der Redner mit dem meisten Auftritten auf den Corona-Bühnen des Landes. Er hat ein Steckenpferd: das 5G-Netz. Und er hat jede Menge Zeit in die Forschung zu dem Thema gesteckt und schafft es bei seinen Auftritten stets, den neuen, teuflischen Mobilfunkstandard, die böse Maskenpflicht und die vermeintliche Corona-Epidemie unter einen Hut zu bekommen.

Am 18. September schwadroniert Whybrow in Linz über die "perverse Kabale, von der ein Genozid ausgeht". Die Kabale stehe an Spitze eines pyramidalen Systems, der Genozid erfolge mit dem "Mikrowellensystem" 5G. Whybrow bringt Bilderberger, die UN, die trilaterale Kommission, die EU in einem Satz unter, das pyramidale System reiche hinunter bis in die Bezirke und Gemeinden. Doch Whybrow durchschaut die Perfidie: "Der Trick von dem ganzen System ist, dass wir die Verantwortung für den Genozid an unserer eigenen Spezies übernehmen." Wenn man die Pyramide umdrehe, dann hat man das Symbol des Staates Israel. So einen wie Whybrow kann die teuflische Elite mit seinen Symbolen nicht so leicht täuschen. Der Forscher und "investigative Journalist" bringt die Sache in einer messerscharfen Analyse auf den Punkt: "Die Souveränitätspyramide nach unten, das hängt auch mit Elektromagentismus zusammen (...) Wir sind eletromagentische Wesen. Das ist der Grund dafür, dass man Magnetismus nicht studieren kann. (...) Das will die Elite nicht, dass wir das herausfinden." [https://youtu.be/Ys8ukJl4xaY]

Diese Worte lasen uns etwas ratlos zurück. Die Stiftung Gurutest rät: Hände waschen, Abstand halten, Fetzerl vor Mund und Nase und wenn dann noch Zeit und Luft bleibt: Der Elite zum Trotze Magnetismus studieren! (Christian Kreil, 14.10.2020)


Aus: "Stiftung Gurutest - Rechts, radikal, wirr und ein wenig naiv: Bilanz nach einem halben Jahr Corona-Demos"Christian Kreil (14. Oktober 2020)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000120813535/rechts-radikal-wirr-und-ein-wenig-naiv-bilanz-nach-einem

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Ojom

Bad faith Journalismus

Warum konzentriert sich der Standard seit Monaten nur auf die Verunglimpfung der fragwürdigsten Corona-Maßnahmenkritiker?
Wieso gibt es so gut wie keinen Artikel und Auseinandersetzung mit inhaltlich seriösen Kritikern und deren Argumente?
Mir fehlt hier seit Monaten eine kritische Diskussion die von unterschiedlichen und gegebenenfalls konträren Positionen intelligent und sachlich geführt wird.


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Ausgeflippter Lodenfreak

Es ist ein beliebter Fehler, dass das immer mit politisch rechts gleichgesetzt wird. Ja, rechte politische Gruppen sind die einzigen, die dort versuchen Stimmen zu fangen und sind auffällig da sie eben als Gruppen auftreten, aber gerade die Esoteriker- u Energeitikerszene ist eben nicht mehrheitlich rechts verortet. Esoterik kommt wenn sie extrem betreiben wird, immer wieder sehr leicht zu Rassismus, Sozialdarwinismus und Antisemitismus, aber weder sind das Dinge die immer zu rechts gehören, noch sind sie auf die Rechten beschränkt. An allen politischen Rändern findet man das. Auch Kommunisten können Antisemiten sein, linke Tierschützer Sozialdarwinisten und Hippie-Esoteriker Rassisten. Allen das Label rechts umzuhängen ist schlicht falsch.


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Christian Kreil

Esoteriker und Energetiker sind tatsächlich nicht links oder rechts, sondern schlichtweg geradeaus gegen einen Baum mit einem sehr harten Stamm gerannt.
In der Regel streift der Esoteriker, sobald es irgendwo politisch wird, rechts an, sie schreiben es ja eh selbst, Hippies als Rassisten und Antisemiten etc.

Mir ist jedenfalls noch keiner untergekommen, der irgendwas ausgependelt hat und danach an die internationale Solidarität appelliert hat.


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Ausgeflippter Lodenfreak

Am besten lassen sich die Corona-Leugner politisch als Alternative einordnen. Staatsverweigerer sind z.B. Rechtsalternative. Aber es gibt natürlich auch jede Menge linksalternative Esoteriker, die Nationen und den Kapitalismus ablehnen und gesellschaftlich progressiv denken, nur halt völlig durchgeknallt.

Sozialdarwinismus, Rassismus und Antisemitismus sind auch eben nicht spezifisch rechts. Antisemitismus gibt es aus rassistischen, religiösen und politischen Gründen und dass Marx auch Antisemit war, zeigt das ja auch. Gerade beim Antisemitismus treffen sich links und rechts am Rand und der "internationale = jüdische Spekulant" ist ein gemeinsames Feindbild, genauso wie Israel.




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mukti

Nur weil die Corona-Krise mit Ihrer medialen Dauerpräsenz offensichtlich viele verwirrte Menschen aufgescheucht hat, bedeutet das nicht, dass die Maßnahmen vom Lockdown bis zur überdimensionale Vorbestellung von noch nicht zugelassenen Impfstoffen verhältnismäßig ist.
Lieber Standard es gibt auch Menschen ohne rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Hintergrund die die angesprochenen Maßnahmen kritisch hinterfragen.


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friedfrieda

Die Coronidioten sind die einzigen die in der Krise profitieren. Durch Buchverkäufe und nutzlosem Pulverlverkauf. Und die Fangemeinde jubelt über die selsbtlosen Geldmacherei!


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Antonia S

ich bin ein bissl verwundert, dass ich von meinen schwurbelnden impfgegnern so gar nix über trumps impfphantasien höre. für die muss doch eine welt zusammenbrechen, wenn sie mitkriegen, dass er mit hilfe des militärs die leute impfen will


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Carl Sberg

Maßnahmen-Kritiker

Es gibt ,,die" Kritiker nicht. Es gibt welche, die bestimmte Maßnahmen für überzogen, sinnlos, nicht zielführend ec. halten bestimmte Maßnahmen aber durchaus sinnvoll. Ich vermute, das sind die meisten. Es gibt die, die der Ansicht sind, COVID-19 gibt es, es wäre aber nicht wesentlich gefährlicher als Influenza und sämtliche Maßnahmen aufheben wollen. (in der Gruppe beginnen bereits Vermutungen über Komplotte)
Und dann solche, die meinen weder Virus noch Erkrankte sind echt, und alle (!!!!) die damit zu tun haben wären gekauft.

Das sind dann schon besondere Gehirnathleten...


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Nepukadnezar

Kennen sie jemanden der letzten Kategorie persönlich ?


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Carl Sberg

Ja

Der ist voll auf der 5G, Bill Gates, NWO Welle. Das war er aber vor COVID auch schon. Also Haarp mit Wettermacher, Impfen ist sowieso nur Mind-Control, NATO will Russland angreifen (der Krieg steht seit 6 Jahren unmittelbar bevor) usw.


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Crowe

Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Es ist kompliziert, noch viel komplizierter ist die menschliche Psyche und genauso kompliziert sind die Folgen, die mit Corona und den verhängten Maßnahmen einhergehen.

Kann ich damit argumentieren, dass ich jeden alten Menschen retten möchte, gleichzeitig aber ignorieren, dass sehr strikte Maßnahmen Existenzen vernichten (v.a. in den armen Teilen der Welt)?

Ich bin mit Sicherheit kein Verschwörungstheoretiker und begrüße Maßnahmen wie die Maskenpflicht. Was ich nicht befürworte: Lockdowns weil man 5 Monate geschlafen hat, Maßnahmen wie frühere Sperrstunden, die das Problem nur in den Privatbereich verlagern und einseitige Berichterstattung.


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Wer nicht mitschwimmt, ist ein Leugner!

Natürlich sind Viren infektiös.
Natürlich gibt es Covid19.
Natürlich erkranken manche schwerer, manche sehr schwer.
Nur: Was daran ist so neu, dass man plötzlich zur Pandemie ausruft?


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ZoppoTrump

Vielleicht die Tatsache, dass weltweit bis dato knapp 1,1 Millionen Menschen weltweit damit gestorben sind?

Klar, wirklich neu ist das nicht, im Vergleich zur Spanischen Grippe stehen wir noch ganz gut da - aber schon jetzt gehoert Corona mit der Anzahl der Toten schon zu den zwei, drei schlimmsten Pandemien der letzten 100 Jahre ... und ein Ende ist erst mal nicht in Sicht, die Zahlen gehen allerorts hoch, man wird sehen, ob Corona sich zwischen Asien-Grippe und Hongkong-Grippe einordnet, oder ob die Asien-Grippe ein- bzw. ueberholt wird.


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Seite 3 der Medaille

Fragen Sie das bitte Ärzte, wo auch immer auf der Welt, die wegen Covid bereits gezwungen waren eine Triage durchführen zu müssen.


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#1752
Quote[...] Der Münchner Spionagesoftware-Hersteller FinFisher steht im Verdacht, illegal Software ins Ausland geliefert zu haben. Die Staatsanwaltschaft München hat deswegen nach eigenen Angaben die Büros des Software-Herstellers durchsucht.

FinFisher programmiert unter anderem Trojaner-Software zum Ausspähen von Computern und Handys. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit auch das Bundeskriminalamt beliefert.

Laut Staatsanwaltschaft wurden in der vergangenen Woche insgesamt 15 Büros und Wohnungen rund um München und ein Unternehmen aus der Unternehmensgruppe in Rumänien durchsucht. Es bestehe der Verdacht, "dass Software ohne die erforderliche Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeführt worden sein könnte". Nun werde wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz gegen unbenannte Manager des Unternehmens ermittelt.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) wirft FinFisher vor, Spionage-Software ohne Genehmigung an die Türkei verkauft zu haben. Die GFF hatte deswegen Strafanzeige erstattet. "Deutsche Unternehmen dürfen sich nicht zu Handlangern repressiver Regime machen", sagte Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. FinFisher selbst äußerte sich auf Anfrage nicht.

Bereits im Mai 2018 hatte der Rechercheverbund von NDR, Westdeutscher Rundfunk und Süddeutscher Zeitung darüber berichtet, dass deutsche Spähsoftware gegen Anhängerinnen und Anhänger der größten türkischen Oppositionspartei CHP verwendet worden sei. Laut GFF soll die Software Finspy auf einer türkischen Website eingesetzt worden sein, die als Mobilisierungsforum für die Oppositionsbewegung getarnt war. 


Aus: "Razzia bei Münchner BKA-Trojanerlieferant" (14. Oktober 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/digital/2020-10/finfisher-spionagesoftware-firma-razzia-illegale-exporte-muenchen-staatsanwaltschaft

QuoteF. Wagner #3

"Sie soll in der Türkei gegen Oppositionelle eingesetzt worden sein."

Äh...
Dafür ist die Software doch da...
Die gelieferten deutschen Waffen werden ebenfalls gegen Oppositionelle eingesetzt.
Irre ich?


QuotePharmaschinken #4

"Sie soll in der Türkei gegen Oppositionelle eingesetzt worden sein."

Na sowas aber auch. Und gegen wen setzt das BKA solche Software ein?
Klar, gegen Kriminelle. Nur würde das die Türkei auch behaupten.


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#1753
Quote[...] Der Fall kündet offenbar von extremistischer Verbissenheit in der Stadt. Diesen Donnerstag beginnt in Berlin am Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen einen mutmaßlichen Brandstifter aus der linken Szene, der den Wagen eines mutmaßlichen Brandstifters aus der rechten Szene angezündet haben soll. Schauplatz des Geschehens war Neukölln. Der Bezirk leidet seit Jahren unter extremistischer Gewalt, meist sind Neonazis die Täter. Einer der mutmaßlichen Hauptakteure, der Rechtsextremist und ehemalige AfD-Politiker Tilo P., wurde jedoch im vergangenen Jahr selbst getroffen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem mutmaßlichen Linken Ulrich O. vor, am 30. Januar 2019 in Gropiusstadt das Fahrzeug von Tilo P. in Brand gesteckt zu haben. Der Anschlag, bei dem der Wagen schwer beschädigt wurde, war möglicherweise ein Racheakt der linken Szene. Die Staatsanwaltschaft vermutet ,,ein linksextremistisches Motiv".

Tilo P. wird von den Sicherheitsbehörden wie auch von Linken verdächtigt, gemeinsam mit den Neonazis Sebastian T. und Julian B. seit 2016 in Neukölln mehr als 70 Angriffe auf linke Ziele verübt zu haben, darunter 23 Brandstiftungen. Mehrmals gingen Fahrzeuge linker Nazigegner in Flammen auf. Sicherheitskreise sagen, die Attacke auf den Wagen von Tilo P. ,,war eine Retourkutsche".

In der Anklage wird dem 41-jährigen Ulrich O. neben Brandstiftung auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte Körperverletzung vorgeworfen.

Was sich am späten Abend des 30. Januar 2019 in der Gropiusstadt abspielte, war offenbar heftig. Zivilfahnder der Polizei beobachteten, wie drei Männer auf Fahrrädern an einem Wagen hielten. Einer bückte sich, dann fuhren die drei eilig weg. Die Polizisten verfolgten die Männer und stellten einen – Ulrich O. Unterdessen brannte der Wagen von Tilo P.

Die Beamten nahmen Ulrich O. vorläufig fest. Der Tatverdächtige soll sich heftig gewehrt haben. Folglich ist in der Anklage auch von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte die Rede. Die mutmaßlichen Mittäter sind bis heute unbekannt.

Die AfD schlachtete die Geschichte aus, obwohl Tilo P. selbst kein harmloser Mensch zu sein scheint. Der Tagesspiegel hatte im Februar 2019 geschrieben, dass Ulrich O. früher für die Amadeu Antonio Stiftung tätig war. Sie setzt sich intensiv mit Rechtsextremismus auseinander und ist dem Nazi-Spektrum verhasst.

Die AfD forderte nach dem Brandanschlag, der Stiftung die öffentlichen Gelder zu entziehen. Die Stiftung hingegen verurteilte den Anschlag und betonte, Ulrich O. sei nur bis 2016 für sie tätig gewesen und lediglich auf Honorarbasis.

Unterdessen bleibt offen, wann der Prozess gegen Tilo P. und Sebastian T. wegen mutmaßlicher Nazischmierereien fortgesetzt wird. Das Amtsgericht Tiergarten setzte Ende August die Hauptverhandlung am ersten Tag aus, weil Polizisten nur beschränkt aussagen durften.

Einen neuen Termin gebe es noch nicht, hieß es am Mittwoch in der Justiz. Tilo P. und Sebastian T. sollen im August 2017 in Neukölln Parolen gesprüht haben, mit denen der NS-Politiker Rudolf Heß als Märtyrer glorifiziert wurde.


Aus: "Prozess gegen mutmaßlichen linken Brandstifter beginnt" Frank Jansen (15.10.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/anschlag-in-neukoelln-war-moeglicherweise-racheakt-prozess-gegen-mutmasslichen-linken-brandstifter-beginnt/26273674.html


#1754
Quote[...] Was die Verwaltungsrichter von Bayern bis Schleswig-Holstein schon hinter sich haben, ist nun auch in Berlin geschehen: Das erste Eilverfahren von Eltern gegen die Maskenpflicht ihres Kindes ist zugunsten des Landes Berlin ausgegangen. Der entsprechende Beschluss liegt dem Tagesspiegel vor.

Die Familie, die noch Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht einlegen kann, hatte medizinische Motive für die Ablehnung der Maske angeführt, es gleichzeitig aber abgelehnt, ein belastbares ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht beizubringen.

Die Familie hatte argumentiert, dass ein Attest mit Angabe der Diagnose gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht oder gar gegen den Datenschutz verstoße. Das ließen die Richter mit Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht der Schulleitung nicht gelten, ist in der Entscheidung vom 6. Oktober zu lesen.

Überdies diene die Maske ,,dem legitimen Zweck", die Weiterverbreitung des Coronavirus angesichts steigender Fallzahlen in Deutschland ,,und insbesondere in Berlin" einzudämmen und die Gefahr einer unkontrollierten Infektionsausbreitung ,,mit der Erkrankung einer Vielzahl von Menschen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen sowie eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden".

Die Richter machten daher deutlich, dass sich die Schulleitungen nicht mit einer beliebigen ärztlichen Bescheinigung zufrieden geben müsse. Im konkreten Fall hatten die Eltern die Bescheinigung einer Ärztin ,,für Ganzheitliche Medizin und Homöopathie" sowie ,,Expertin für Biologische Medizin" der Universität Mailand beigebracht.

Diesem Attest konnten aber weder Angaben zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Schülers entnommen werden ,,noch überhaupt ein hinreichender Bezug zu den Antragstellern". Dass sich weitere Maskengegner durch diesen Beschluss vom Gang zum Verwaltungsgericht abhalten lassen werden, scheint zurzeit wenig wahrscheinlich.

Vielmehr formiert sich über die sozialen Medien auch in Berlin Widerstand gegen Sicherheitsvorkehrungen an Schulen und insbesondere gegen den Mund-Nasen-Schutz: Ausdrücklich wird Beratung oder finanzielle Unterstützung für den Fall angeboten, dass Eltern klagen wollen.

Nachdem bundesweit seit Monaten die Protestplattform ,,Eltern stehen auf" mit den Zielen ,,Maskenfrei" und ,,Abstandsfrei" nach eigenen Angaben 30.000 Gleichgesinnte gewonnen hat, ist jüngst noch die Plattform ,,Schulen stehen auf" entstanden.

Auf der Website ,,Schulen stehen auf" präsentiert sich eine ,,Berliner Gruppe" mit Foto. Zwei der zehn abgebildeten Vertreter erscheinen namentlich, darunter die Gründerin, die sich als Therapeutin, Heilpädagogin und ,,alternative Bestatterin" vorstellt.

In der Selbstbeschreibung heißt es: ,,Wir sind Eltern aus ganz Deutschland, die sich große Sorgen um die langfristige körperliche, psychische und seelische Unversehrtheit der Kinder aufgrund der Corona-Maßnahmen an den Schulen und deren Zukunft machen."

Verlinkt sind auf der Seite mehrere Stellungnahmen gegen die Corona-Maßnahmen, darunter ein 14-seitiger ,,offener Brief von Reinickendorfer Müttern, Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen, Therapeutinnen und Pädagoginnen".

Zu den Protestmitteln der Kritiker staatlicher Eindämmungsmaßnahmen an Schulen gehören Plakate, auf denen traurig aussehende Kinder mit Masken abgebildet sind: ,,Woran erkenne ich, dass es meinem Freund mit Maske nicht gut geht?", wird in der Überschrift gefragt. Sieben mögliche Antworten stehen parat, darunter etwa: ,,Er/Sie torkelt beim Gehen oder Aufstehen", ,,Er/Sie hat Kopfschmerzen" oder ,,Er/Sie hat komisches Rauschen in den Ohren".

Eines dieser Plakate, deren Vorlage man sich bei ,,Eltern stehen auf" von der Website herunterladen kann, tauchte vor den Herbstferien in einer Steglitz-Zehlendorfer Grundschule auf: Eltern hätten versucht es aufzuhängen, berichtet die Schulleiterin.

Vorangegangen war ihre Ankündigung, nach den Ferien eine strengere Maskenpflicht einzuführen. Der Vorfall mit dem Plakat war nicht die einzige Reaktion.

Die Leiterin erhielt auch ein teils beleidigendes, teils bedrohliches anonymes Schreiben. Darin heißt es kryptisch, ,,dass Ihr sadistisches Verhalten, das so scheinbesorgt daherkommt, bis ins Detail dokumentiert wird". Es werde ,,eine Zeit danach geben und dann gnade Ihnen Gott".

,,Dieses Schreiben ist nach Auskunft der Schulaufsicht bisher ein Einzelfall. Es ist der Schulaufsicht bekannt und man wird nach Rücksprache mit der Schulleitung wohl auch eine Strafanzeige stellen", erklärte ein Sprecher der Bildungsverwaltung.

Ansonsten gebe es aber ,,derzeit insgesamt wenig Unruhe an den Schulen". Im Übrigen gelte keine ,,Maskenpflicht" im Unterricht. Schulen könnten nur eine ,,Selbstverpflichtung mit empfehlendem Charakter" beschließen.

Wie berichtet, ist eine Maskenpflicht erst dann im Unterricht der Grundschulen geplant, wenn es ein ,,hohes Infektionsgeschehen im Bezirk" gibt. Das entspräche der höchsten Gefahrenstufe im Stufenplan der Bildungsverwaltung.


Aus: "Berliner Eltern scheitern mit Klage gegen Maskenpflicht ihres Kindes" Susanne Vieth-Entus (15.10.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/kritik-an-corona-massnahmen-an-schulen-berliner-eltern-scheitern-mit-klage-gegen-maskenpflicht-ihres-kindes/26275394.html

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Quote[...] Vergangenen Freitag meldete das Bezirksamt insgesamt mindestens 92 Corona-Fälle an 31 Neuköllner Schulen – das entspricht mehr als einer Verdopplung im Vergleich zur Vorwoche und fast der Hälfte der Schulen im Bezirk (60 öffentliche, fünf private). Damit spiegeln sich die steigenden Infektionszahlen im Bezirk auch an den Schulen wieder. Neben dem Ernst-Abbe-Gymnasium hat mittlerweile auch der Campus Rütli alle Schüler*innen der Mittel- und Oberstufe wieder zurück ins Homeoffice geschickt. Positiv getestet waren Stand Freitag 79 Schüler*innen und 13 Mitarbeiter*innen der Schulen, insgesamt 100 Lerngruppen und 1.854 Schüler*innen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in angeordneter Quarantäne. Zum Vergleich: Stand September 2019 besuchten 29.303 Schüler*innen eine Neuköllner Schule, aktuell befindet sich also rund sechs Prozent der Schüler*innen in Quarantäne. Besonders betroffen sind neben dem Campus Rütli (21 positiv getestete Schüler*innen, zwei positiv getestete Mitarbeiter*innen) und dem Ernst-Abbe-Gymnasium (neun Schüler*innen) die Richardgrundschule (fünf Fälle), die Clay-Schule (sechs) und das Hannah-Arendt-Gymnasium (vier Schüler*innen, eine Lehrkraft).

,,Die stark steigenden Infektionszahlen haben uns vor große Herausforderungen gestellt", sagte Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD). Der guten Zusammenarbeit zwischen Schulen, Eltern, Schulaufsicht, Schul- und Gesundheitsamt sei zu verdanken, dass nicht noch mehr Schulen geschlossen werden mussten. ,,Der Schulbeirat Corona Neukölln, der sich in dieser Woche konstituiert hat, wird dabei eine gute Unterstützung sein. In ihm kommen Bezirksamt, Schulaufsicht, Schulen und Schulgremien zu einem regelmäßigen Austausch zusammen", sagte Korte weiter. Durch die Herbstferien gäbe es nun eine ,,dringend benötigte Atempause", sagte Korte und appellierte an Schüler*innen und Lehrkräfte, sich an die Corona-Regeln zu halten.

Um die Arbeit des Gesundheitsamtes zu erleichtern, hat das Bezirksamt derweil vergangene Woche eine neue sogenannte ,,Allgemeinverfügung" erlassen (hier zum Nachlesen). Demnach ordnet zwar nach wie vor ausschließlich das Gesundheitsamt eine Quarantäne von Kontaktpersonen Corona-Infizierter an, allerdings können nun auch ,,qualifizierte Dritte" über die Quarantäne infomieren. Das bedeutet, dass etwa die Schulleitung die Schüler*innen einer bestimmten Klasse über die Quarantäne informieren kann. Die Betroffenen müssen sich dann sofort in die häusliche Isolation begeben. So sollen Meldewege verkürzt und auch verhindert werden, dass Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten informiert werden, hieß es.

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Aus: "Zahl der Corona-Fälle an Neuköllner Schulen steigt weiter drastisch - auch Rütli-Schule schickt Schüler*innen ins Homeoffice" Madlen Haarbach (14.10.2020)
Quelle: https://leute.tagesspiegel.de/neukoelln/macher/2020/10/14/144002/zahl-der-corona-faelle-an-neukoellner-schulen-steigt-weiter-drastisch-auch-ruetli-schule-schickt-schuelerinnen-ins-homeoffice/
#1755
",,Gangsterhafte Verschwörung" gegen Wikileaks: Der Aufklärer Assange als Unperson" (11.09.2020)
Was immer man Assange vorwerfen mag und wie auch immer man zu ihm steht, so gilt doch: der demokratische Rechtsstaat unterscheidet sich im Kern von autoritären und diktatorischen Regimen dadurch, dass er ohne Ansehen der Person jedem Beschuldigten oder Angeklagten eine angemessene Verteidigung ermöglicht, um auf diese Weise ein faires Verfahren zu sichern und darauf aufbauend ein mit dem Gesetz in Einklang stehendes Urteil zu fällen. Melzers Berichte sind beeindruckende Dokumente dafür, dass exakt dies im Fall von Julian Assange nicht der Fall ist. ... Wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, darf es in unseren Demokratien keine doppelten Standards geben. Es geht hier nicht allein um Assange, sondern um die Glaubwürdigkeit dessen, was wir häufig ,,die westlichen Werte" nennen. Es geht um die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit. ...
https://www.tagesspiegel.de/politik/gangsterhafte-verschwoerung-gegen-wikileaks-der-aufklaerer-assange-als-unperson/26176240.html

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U.S.: Sean Hannity: WikiLeaks 'Never Printed a Single Thing Proven Untrue in 12 Years,' Much Better Than 'Fake News Media'
By David Brennan On 4/12/19 at 4:35 AM EDT
https://www.newsweek.com/sean-hannity-julian-assange-wikileaks-arrested-fake-news-russia-hacking-dnc-1394166

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"Völker der Welt, hört endlich zu: Julian Assange ist ein politischer Gefangener!" Milosz Matuschek (11.10.2020)
Der Fall Julian Assange ist kein Prozess. Er ist ein Fuck-up. Wenn Assange an die USA ausgeliefert wird, ist der investigative Journalismus tot. Eine Wutrede. ... Im 21. Jahrhundert nach Renaissance, Humanismus und Aufklärung und in Zeiten des Internets ist der Bürger des Westens immer noch nur ein Glaubender, der sich viel zu oft auf kolportierte Trugbilder stützt. Das ist die schmerzvolle Botschaft von Julian Assange: Wir haben keinen blassen Schimmer von der Realität in ihrem ganzen Ausmaß. Das Urteil wird am 4. Januar 2021 verkündet, der Prozess könnte dann vor höheren Instanzen weitergeführt werden. Auch dank dieses Prozesses öffnet sich der Schleier um die Realität täglich mehr. ...
https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/julian-assange-ist-ein-politischer-gefangener-li.110110
#1756
"Reporter ohne Grenzen fordern umgehende Freilassung von Wikileaks-Gründer Assange" (13.10.2020)
Angesichts des umstrittenen Auslieferungsverfahrens gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange in Großbritannien hat die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) dessen umgehende Freilassung gefordert. "Für uns ist klar, dass er wegen seiner Beiträge zu journalistischer Berichterstattung angeklagt wurde und dass das Verfahren gegen ihn rein politisch motiviert ist", erklärte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr am Dienstag. Deshalb fordere die Organisation die Aufhebung der Anklage und Assanges Freilassung. ...
https://www.wochenblatt.de/news-stream/deutschland-welt/artikel/340746/reporter-ohne-grenzen-fordern-umgehende-freilassung-von-wikileaks-gruender-assange

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Exclusive Interview: Lauri Love on Julian Assange's Extradition Hearings - Part 1 (Premiered Oct 9, 2020)
https://youtu.be/rHW_S5z-cWI | https://de.wikipedia.org/wiki/Lauri_Love

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"Julian Assange Case: A Danger to Press Freedom Worldwide" (Premiered Oct 8, 2020)
In this video we discuss the conclusion of Julian Assange's extradition hearing and provide an overview of what took place throughout the four week court proceedings. We explain the main points presented in the court including Assange's health and his mistreatment as well as the political nature of the case.
Including statements from Pentagon Papers whistleblower Daniel Ellsberg, Julian Assange's fiance Stella Moris and others.
Credit: Juan Passarelli & Diego Alvarez
Credit: Kevin Gosztola of Shadowproof.
Gosztola's full interview with Daniel Ellsberg can be found here https://www.youtube.com/watch?v=neP0z2oSInk
https://youtu.be/5-5rspoIVto
#1757
Quote[...] Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.09.2013 ...  "Elterliche Selbstmythologisierungen", so Schreiber, "sind nur schwer zu durchbrechen." ...


Zu: "Susan Sontag - Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke, Tagebücher 1964-1980"
Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/susan-sontag/ich-schreibe-um-herauszufinden-was-ich-denke.html
#1758
Quote[...] Knut Wenzel ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt.

Der Weg zum melancholischen Gott: Der Gottesgedanke in Zeiten der Pandemie.

Dass die Kirchen den Lockdown willig in ein komplettes Einstellen ihrer liturgischen Tätigkeit ummünzten, war ein zentrales Organversagen. Als dann in Streaming-Gottesdiensten Priester vor starrer Kamera allein vor sich hin zelebrierten, schien die ,,Liturgie" des Freud'schen Witzes am Werk, der zufolge im Unabsichtlichen das Wahre sich verrät; hier: die online-Auferstehung der Kirchen im Bild ihres notorischen und nun auch offenkundig absurden Klerikalismus. Der Papst zur Osternacht allein im Petersdom – braucht es mehr als solch ein niederschmetterndes Bild? Wäre damit das Zentralversagen nicht schon empörend genug, wurde es auch noch zur Farce, als sich die Großkirchen ausgerechnet von evangelikalen und rechtskatholischen Gemeinden die Zentralität der liturgischen Feier für das kirchliche Selbstverständnis vorführen lassen mussten.

Wären da nicht die vielen Pfarrgemeinden, die vor allem während der Karwoche und den Ostertagen vielgestaltige Weisen ersonnen und praktiziert haben, Orte und Zeiten der wenigstens symbolischen Berührung des in der Liturgie gefeierten Geheimnisses zu schaffen. Und hätte sich nicht im Malstrom der Pandemie, der ganze Gesellschaften in seinen Bann zog und abertausende Menschen verschlang und der sich mit rasender Geschwindigkeit noch immer weiter dreht – hätte sich hier nicht an der Stelle des Zentralversagens der Kirchen ein Vakuum aufgetan, als formte sich ein stummes Verlangen, eine schweigende Erwartung: dass die Pandemie in den Horizont Gottes gerückt werden würde. Nicht dass in Zeiten der Not eine säkulare Gesellschaft wieder fromm werden würde. Doch auch sie mag das ihr vielleicht selbst nicht erklärliche – und dennoch legitime – Bedürfnis entwickeln, eine große Katastrophe in einem umfassenden, einem umfassenderen Zusammenhang zu sehen.

Schnell zeigt sich dann freilich, dass der Gottesgedanke – der je umfassendere Zusammenhang – keine Beruhigung bereithält. So, wie er im Bedeutungsfeld zwischen Jerusalem und Athen entwickelt worden ist, handelt es sich um einen Reflexionsbegriff: mit jeder Beanspruchung Gottes im Zusammenhang einer existentiellen menschlichen Not fragt sich von neuem, wer dieser Gott eigentlich sei: Wer ist Gott, angesichts eines pandemisch gewordenen Leids?

Das Dilemma der Theodizee besteht darin, dass sie voraussetzen muss, was doch zu verteidigen sie aufgeboten wird: dass die Gottesannahme noch irgendeine Bedeutung hat, dass noch eine signifikante Anzahl Menschen meint, ohne die Gottesannahme keine Aussicht auf einen umfassenden Begriff ihrer – der? – Wirklichkeit zu haben. Selbst wenn dies, eine integrale Erfassung der Welt, faktisch nicht durchführbar ist, macht es, was die Gottesfrage angeht, genau den Unterschied aus, ob für eine vollständige Beschreibung der Wirklichkeit – sei dies nun realisierbar oder nicht – die Gottesannahme für prinzipiell notwendig erachtet wird oder nicht. Diese Alternative gibt es aber erst neuzeitlich, weswegen bei aller Familienähnlichkeit Theodizee streng genommen erst mit Leibniz, Anfang des 18. Jahrhunderts, da ist und nicht schon bei Hiob. Immerhin kommt es im Buch Hiob (500–100 v. Chr.) am Ende zu einer entscheidenden Konfrontation zwischen der Klage führenden Titelfigur und Gott selbst. Wir Bewohner der Doppelepoche von Neuzeit und Moderne hingegen werden die ,,Rechtfertigung Gottes" – denn das bedeutet Theodizee – voraussichtlich unter uns, ohne göttliche Intervention, aushandeln müssen.

Die Redlichkeit verlangt das Eingeständnis, dass eine unbefangene theologische Erörterung der Gottesfrage in einer säkularen Öffentlichkeit sich nicht (mehr) von selbst verstehen kann, weil sie die säkular keineswegs mehr durchgängig geteilte Überzeugung voraussetzt: God matters. Für die Theologie muss daraus folgen, die säkulare Öffentlichkeit nicht als Publikum der eigenen Selbstinszenierung zu beanspruchen, sondern einen Beitrag zu ihrer Selbstverständigung zu erbringen. Eine theologische Diskretion sowohl gegenüber den in der Pandemie Leidenden als auch gegenüber Gott verbietet es zudem, das zu tun, was religiöse Verkündigung oft und oft getan hat: die Krise zu nutzen, um den Gottesgedanken zu promoten, in der Regel als Demütigung der Menschen in ihrer Selbstachtung. Als wären persönliches Leid, suspendierte Grundrechte, soziale Torsionen und globale ökonomische Zusammenbrüche nicht für sich genug: wozu dem noch den Vorwurf der Schuld aufbürden, für die all das an Leid und Not Strafe wäre, göttlich verhängt? Die Rationalisierung von Leid als Strafe für Schuld verfängt längst nicht mehr: seit dem Buch Hiob . Stattdessen bricht sich das Bewusstsein eines unausgleichbaren Spalts zwischen Moralität und Lebensglück Bahn: die Klage des Psalmisten, dass es dem Frevler gut geht und dem Frommen schlecht (Ps 73), legt eine Spur bis hinauf zu Immanuel Kants Postulat der Existenz Gottes; diesem allein wäre solch unmöglicher Ausgleich zuzutrauen (,,Kritik der praktischen Vernunft").

Es ist verführerisch, auf die Theodizee-Frage – wie kommt das Übel in die Welt, wie kann es nicht zu rechtfertigendes Leid geben, wenn Gott doch sowohl gut als auch allmächtig ist – zu antworten, indem die Zuschreibung von Allmacht gestrichen wird. Übrig bliebe ein Gott, der gut ist – und schwach. Das lässt ihn sympathisch erscheinen; ein solcher Gott erweckt Mitleid – aber verdient er religiöse Anbetung? Auch wird so die Theodizee-Frage eigentlich nicht beantwortet; sie wird nur um eine ihrer Grundbestimmungen gekürzt.

Religiöser Glaube in theistischer Prägung gründet sich auf einen handlungsfähigen Gott; solcher Glaube kann sich nicht entzünden, wenn es von vornherein ausgeschlossen ist, dass Gott antwortet, eingreift, hilft. Die alt- und anders bekannte Frage ,,Wozu beten?" stellt sich hier mit radikaler Schärfe. Auch wäre Kants Gottespostulat sinnlos: ein sympathisch schwacher Gott kann die Kluft zwischen Moralität und Lebensglück nicht schließen. Der theistische Gottesgedanke rechnet mit einem handlungsfähigen Gott. Der Monotheismus war in der Geschichte seiner Herausschälung von dem Interesse angetrieben, die Handlungsfähigkeit Gottes absolut zu denken: über alle Bedingtheit hinaus – ist sie Allmacht.

Das Konzept von einem allmächtigen Gott denkt ihn als allen Bedingungen vorausgehend. Damit wird nicht nur Gott als unbedingt gedacht, sondern zugleich alle Wirklichkeit, die Gesamtheit dessen, was ist – das ,,Sein" – relativiert. Die Sorge um den unverkürzten biblisch-jüdischen Gottesgedanken hat deswegen Emmanuel Levinas zu der Formulierung gebracht: ,,Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht".

In ihrem Bedeutungskern ist die Theodizee-Frage intellektueller Ausdruck der Empörung über die Realität des ungerechtem Leids. Die Allmacht Gottes bedeutet auch dessen prinzipielle Relativierung. Wer sie streicht, überlässt dem Unheil das letzte Wort. Eine Theologie des nur schwachen Gottes handelt sich ungewollt etwas Unfrommes ein.

Wie also die Theodizee denken? – Nicht zu Ende jedenfalls. Aporie – Weglosigkeit – ist das Bild für ein Denken, das zu keinem Ende kommt und doch gedacht werden muss. Heinz Robert Schlette hat vor langem schon die Nähe zwischen religiöser Glaubensoption und aporetischem Denken herausgestellt (,,Aporie und Glaube", 1970). Hier drei Denkweisen im Modus des Aporetischen, die einer säkularen Öffentlichkeit, die der Theologie Rederecht einräumt, sicher die letzte Antwort vorenthalten müssen:

Paul Ricœur ist öfter auf das Buch Hiob zurückgekommen, manchmal in knappen, verdichteten Passagen. Seine Interpretation in aller Kürze: In der das Buch abschließenden Konfrontation Hiobs mit Gott wird dem Gehalt seiner Klage Recht gegeben: sein Leid ist grundlos, ungerecht. Die eigentliche Hiob-Frage – ,,Warum ...?" – bleibt ohne Antwort. Gottes Vorwurf gegen Hiob zielt auf die Dimension seiner Klage: Indem Hiob Gott um sein Leid verklagt, totalisiert er es. Indem er sein Leid in die Proportion Gottes versetzt, lässt er es zur letztbestimmenden Macht über seine Existenz werden. Dass von irgendwoher und unausrechenbar doch noch ein Lichtstrahl des Sinns in das Dunkel der Sinnlosigkeit fällt, against all odds, ist für die absolut gewordene Klage keine Möglichkeit mehr. Die Klage muss sich aus sich selbst begrenzen; ist sie die Artikulation der Unerträglichkeit des Leids, muss sie der Möglichkeit des Einbruchs eines rettenden Sinns Raum lassen.

An Gott zu glauben wird durch die Erfahrung sinnlosen Leids zugleich unmöglich und notwendig. Unmöglich wird die Unterstellung eines immer schon gegebenen Sinns; notwendig wird die Offenheit für einen vielleicht, wer weiß, doch noch sich einstellenden Sinn. Die Situation Hiobs, über den Sinn seines Leids keinen Aufschluss zu haben, kehrt in den Schriften der frühen Christen wieder: Unrechtes Leid, das nicht abgewendet werden kann, zu ertragen, eine Last mithin zu tragen, die eigentlich zu schwer ist, nennt der erste Petrusbrief ,,Gnade" (1Petr 2,19). Norbert Brox hat den Text in seinem exegetischen Kommentar (1979) durchgängig von einer ,,Logik der Gnade" getragen gesehen.

Der biblische Gott durchläuft eine Geschichte der Transformationen; der aus Gerechtigkeit strafende, aus Liebe zürnende wird zu einem melancholischen Gott, der kein Unheil, nicht Sintflut noch Plagen, über die Menschen bringt, dem nur noch bleibt, das Unheil, das die Menschen selber über sich und die Welt bringen, zu bezeugen und gewissermaßen notariell festzuhalten (vgl. Jeremia 7,11). Was ihn melancholisch werden lässt? – Dass er sich vorbehaltlos auf seine Schöpfung – und das heißt zunächst auf die Menschen in ihr – eingelassen hat. Er bestimmt seine Allmacht zu unbedingter Liebe. ,,Bad Case Of Loving You": kein Psalm, nur ein Pop-Song (Moon Martin, 1978), der aber den Kern dieser Menschenliebe Gottes trifft.

Mit einem Amalgam aus mystischem Paradox und der Nonchalance des Pop könnte sie als mighty surrender bezeichnet werden: jene machtvolle Selbstübergabe, mit der Gott sich zum Sklaven erniedrigt, indem er den Tod des Menschen Jesus mitstirbt (vgl. Paulus an die Philipper 2,6–8). Der Gott Jesu ist nicht schwach. Doch am Kreuz, Werkzeug und Zeichen menschlicher Zerstörungsmacht, bestimmt er seine Macht zu einer negativistischen Präsenz. Edward Schillebeeckx hat dies in einer Theologie der ,,wehrlosen Übermacht Gottes" entfaltet (1987). Ein die menschliche Vernichtungsmacht machtvoll besiegender Gott würde sie dadurch nur bestätigen; der wehrlose Gott lässt sie ins Leere laufen und entwaffnet sie so. Gottes Allmacht präsentiert sich am Kreuz als De-Legitimation aller Macht.

Am Ende gilt aber: Keiner Theorie, und sei sie noch so ausgefuchst, kann dieser Gott passgerecht eingefügt werden – wenn anders er nicht komplett verfehlt werden soll. Das hat Martin Luther durch den Gedanken vom Deus absconditus, dem verborgenen Gott, der Theologie mit scharfem Strich eingezeichnet (1525). In der Folge ist dies dunkel ausgemalt worden, bis zur Abgründigkeit Gottes. Diese als absolute Unverfügbarkeit Gottes aufzufassen, entspräche der vorhin genannten theologischen Diskretion besser, als aus ihr doch wieder das Drohbild eines pandemischen Vergeltungsgottes heraufzubeschwören. Auch in seiner Selbst-Offenbarung bleibt Gott Geheimnis (Karl Rahner, 1959) – wie schlussendlich jeder Mensch auch.

Ist die Liturgie nicht, gerade als Ritual, jene entlastende Begegnung von Mensch und Gott, die beiden wie ein zwangloses Gespräch ihr Geheimnis belässt?


Aus: "Das schwache Licht der Transzendenz" Knut Wenzel (17.08.2020)
Quelle: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/das-schwache-licht-der-transzendenz-90025075.html

QuoteAlexander Lammer (08/2020)

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Mich gruselt und fasziniert gleichzeitig, mit welchem geistigen Eiertanz von gläubigen Menschen versucht wird, das Unglaubliche dem gesunden Menschenverstand und den üblichen Kategorien einer Überprüfung zu entziehen.

Der obige Artikel gipfelt in dem grotesken und absurden Satz: ,,[D]er aus Gerechtigkeit strafende, aus Liebe zürnende wird zu einem melancholischen Gott."

Und Herr Wenzel fordert tatsächlich die Anbetung dieses Geistes, obwohl er zugibt, dass er diesen Geist weder versteht noch die aufgezeigten Widersprüchlichkeiten erklären kann. Fast wie ein trotziges Kind, das auf den Boden stampft und schreit: ,,Menno, ich will es aber trotzdem!" Nun ist Herr Wetzel aber kein trotziges Kind, lässt sich aber von Fakten, bei denen man an Grenzen stößt, offensichtlich nicht beeindrucken und will mit dem Kopf durch die Wand, um nicht umdenken und wahrscheinlichere Lösungen in Erwägung ziehen zu müssen. Zurück zum zitierten Satz. Der Schöpfergott der Bibel ist ein zorniger und absoluter Wüterich, der auf keinen Fall eine eigene Meinung oder freie Entfaltung erlaubt, sondern in diesen Fällen mal kurz die Menschheit auslöscht (Sintflut), um ein paar Jahre später seinen Sohn auf die Erde zu schicken, um ihn grausamst zu Tode foltern zu lassen. Damit lässt er ihn für die von ihm selbst verpfuschte Schöpfung büßen, um angeblich die Menschheit dadurch zu retten. Hätte er das nicht einfacher haben können, indem er die Schöpfung einfach ,,richtig" macht? Gleiches gilt natürlich für Krankheiten und anderes Leid (Waren Sie schon einmal in einem Hospiz für Kinder... ?).

Ich sagte ja bereits: grotesk und absurd. Außerdem finde ich es mit der Würde des Menschen nicht zu vereinbaren, das komplette eigene Leben nach einem unbewiesenen bzw. unbeweisbaren Gott und dessen noch viel unergründlicherem ,,Willen" auszurichten. Wo ist da der Unterschied zur Zahnfee oder dem Osterhasen? Was genau (welche Fakten) machen denn deren Existenz unwahrscheinlicher als die eines Gottes? Na ja, es wird wohl das Versprechen der Unsterblichkeit sein, die die Anbetung des göttlichen Geistes so verlockend macht und über die Maßen unkritisch werden lässt.

Man könnte allerdings auch Ockhams Rasiermesser anwenden und die einfachste und damit wahrscheinlichste Variante wählen: Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es keine Geister und Götter. Zu dieser Erkenntnis bräuchte man allerdings den Mut, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und es ohne fertiges ,,Rezept" und ,,Gelinggarantie" (also auch ohne ,,ewiges Leben") versuchen zu leben. Die Orientierung an eigenen Bedürfnissen und dem Abgleich und der Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mitmenschen scheint mir vernünftig und zielführend zu sein. Wenn die christliche Religion ohnehin auf Nächstenliebe hinauslaufen soll (warum diskriminiert die Kath. Kirche seit Anbeginn dann eigentlich Frauen und Homosexuelle?), dann kann ich den Blick doch gleich auf den Menschen wenden, ohne den Umweg über einen Geist, DESSEN Willen ich angeblich erfüllen soll. Das wäre dann auch intellektuell redlich und die Würde des/der Menschen wäre hergestellt, weil ich mich nicht an unrealistischen Wunschträumen, sondern an Fakten und humanitären Prinzipien orientiere.


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#1759
Quote[...] Für den Pariser Notarzt Philippe Juvin kann es in der Corona-Krise nur eine europäische Lösung geben. Vielleicht beim nächsten Mal: "In so einem Katastrophenfall brauchen wir künftig eine europäische Plattform, auf der wir unsere Fachkräfte, unsere Medikamente und Intensivbetten austauschen können", sagt er. Einen Intensivmediziner auszubilden koste 15 Jahre, diese Zeit hätte kein Staat in einem Notfall. Deshalb sollten nun alle 26 EU-Länder zusammensitzen und diese, wie Juvin es nennt, "Gesundheitsreserve" beschließen: "Wir müssen komplett neu denken." Der Konservative ist Bürgermeister in einem westlichen Pariser Vorort und leitet zugleich die Notaufnahme im Hôpital Georges-Pompidou in Paris, einem der modernsten Krankenhäuser Frankreichs mit 5.000 Betten. Aber auch dort wird das Personal knapp.

"Die große Tragik der Corona-Krise ist doch: Wir haben nicht gelernt, Neues zu denken. Diese Reserve wäre eine europäische Revolution zum Guten", sagt Juvin. Tatsächlich scheint Frankreich bald darauf angewiesen zu sein, Hilfe aus anderen Ländern in Anspruch zu nehmen. Das Nachbarland hat zurzeit eine der höchsten Zahlen an Neuinfektionen, sie schwankt meist zwischen 15.000 und 27.000 Fällen am Tag, auch die Krankenhausbetten füllen sich. Zugleich hat es Frankreich versäumt, in der Corona-Atempause im Sommer mehr Ärztinnen und Pfleger in den Krankenhäusern einzustellen – oder den Job zumindest so attraktiv zu machen, dass alle Angestellten bleiben wollen.

Grundsätzlich können in Frankreich nur halb so viele Patienten auf den Intensivstationen versorgt werden wie in Deutschland. Bereits im Frühjahr wurden Dutzende Patienten aus Nordfrankreich nach Deutschland transportiert und dort behandelt, schon damals fehlte es an Plätzen auf der Intensivstation und Fachkräften, die sich um sie hätten kümmern können. Dann gingen die Zahlen nach unten und nach wochenlangem allabendlichen Applaus für Ärztinnen und Pfleger legte Gesundheitsminister Olivier Véran ein Gesetz vor, das den Pflegekräften ein höheres Gehalt versprach. Mehr Leute einzustellen gehörte aber nicht zu dem Plan, ebenso wenig wie ein Krankenhaus, das sein Budget flexibel nach den Bedürfnissen der Kranken ausrichtet und nicht an einem Finanzierungsplan, wie es die Gewerkschaften forderten.

Die Enttäuschung über die Reform ist groß – und diese Enttäuschung könnte sogar bald für Patienten gefährlich werden. Laut einer Umfrage unter französischen Pflegekräften geben 40 Prozent von ihnen an, den Beruf wechseln zu wollen, weil sie zu erschöpft seien. "Wir sind ständig unterbesetzt", sagt François His vom Universitätskrankenhaus im nordfranzösischen Rouen. Dort streiken vier von fünf Beschäftigten, um gegen ihre "Auszehrung" zu protestieren. "Warum ist seit der ersten Welle nichts passiert?", fragt auch His. Die aktuelle Situation sei sogar noch alarmierender als im März, weil all die im Frühjahr nicht behandelten Patienten nun dringend versorgt werden müssten. Er und seine Kolleginnen müssten ihre Urlaubstage verschieben, fortbilden könnten sie sich nicht mehr. "Heute muss sich eine Krankenschwester um drei Patienten auf der Intensivstation kümmern, es dürften eigentlich nur 2,5 sein", sagt His.

Tatsächlich haben in Frankreich Ärztinnen, Pfleger und Krankenschwestern schon lange vor Corona gestreikt und demonstriert, um mehr Personal zu fordern und zu verhindern, dass immer mehr Betten in den Krankenhäusern abgeschafft werden. Ohne Erfolg.

Die Regierung sendet seit Beginn der Pandemie widersprüchliche Informationen. Noch im Mai, am Tag als der monatelange Lockdown beendet wurde, verkündete sie, Masken zu tragen sei für die breite Öffentlichkeit nicht sinnvoll. Als im Sommer die Zahlen stiegen, wurde die Maske über Nacht zur Pflicht, erst in den Supermärkten, schließlich in den weiterführenden Schulen und nun sogar in den meisten Großstädten an der frischen Luft. Als die Zahlen nach dem Ferienende sprunghaft anstiegen, wurden aus drei Risikokategorien plötzlich fünf – und die "Hochrisikozone" Marseille musste ihre Restaurants schließen, während sie in der Hauptstadt trotz gleich hoher Zahlen offen blieben.

Juvin ist "schockiert" darüber, wie wenig sich die Regierung von Präsident Emmanuel Macron auf die zweite Welle in Frankreich vorbereitet hat. "Es gab von Anfang an keine Strategie, deshalb glauben die Menschen ihrer eigenen Regierung nicht", sagt der Mediziner. Zuletzt hatte sie entschieden, in Städten mit besonders hohen Infektionszahlen und vielen belegten Krankenhausbetten Bars komplett zu schließen und die Restaurants spätestens um 22 Uhr. "Das ergibt keinen Sinn", sagt Juvin. "Die Menschen werden sich dann privat treffen – ohne Maske. In der Öffentlichkeit werden Regeln eingehalten." Auch die wahllose Testung aller Menschen, die Frankreich seit Monaten anbietet, findet in seinen Augen keine Gnade. "Das führt nur dazu, dass die wirklich Kranken lange auf ihr Testergebnis warten müssen, und ergibt keinen Sinn."

Auch zum Thema Lockdown ändert sich die Strategie monatlich. Im Frühjahr verhängte Macron eine der strengsten Ausgangssperren Europas, im Sommer schloss er weitere Lockdowns aus. Nun sagte sein Premierminister Jean Castex in einem Radio-Interview, ein erneuter Lockdown sei zu vermeiden, aber nicht gänzlich auszuschließen.

Und auch er scheint, wie die Mehrheit der Franzosen, nicht an die Maßnahmen der Regierung zu glauben. Castex räumte ein, die Corona-App StopCovid nicht auf seinem Handy installiert zu haben. Im Interview nannte er sie fälschlicherweise "TeleCovid". Für Krankenhauschef Juvin hat die Regierung offenbar damit gerechnet, dass Corona mit dem Sommer "von selbst" aussterbe. Wieder stehe sie so ungläubig vor den steigenden Zahlen wie Anfang März. "Nun schiebt sie den Bürgern die Schuld zu", sagt Juvin.

Ein erneuter Lockdown aber wäre das Versagen der Regierung. Am Mittwoch wird Macron wieder eine Fernsehansprache zu Corona halten. Ihr Inhalt ist so unvorhersehbar wie die Strategie seiner Regierung.


Aus: "Was Frankreich versäumt hat" Eine Analyse von Annika Joeres, Nizza (13. Oktober 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-10/corona-strategie-frankreich-krankenhaeuser-philippe-juvin/

QuotePhysikerin100 #50

Es ist schon aergerlich genug, dass den Medien hier in Frankreich nichts anderes einfaellt als auf die Regierung zu schimpfen, muss die Zeit das denn auch noch tun? Koennte man nicht einen etwas ausgewogeneren Artikel schreiben, beruhend auf mehr als der Meinung eines einzelenen Mediziners, der auch noch politisch in der Opposition gegenueber LRM steht, was im Artikel nicht einmal thematisiert wird?

Im internationalen Vergleich steht die Regierung hier wirklich nicht schlecht da. Ich moechte mal sehen wie die deutsche Regierung die Lage in einer Stadt wie Paris handhaben wuerde, die 20 000 Leute pro Quadratkilometer zaehlt (Berlin hat 4000, Muenchen 5000 / km2). Was wirklich fehlt, ist die Eigenverantwortung der Menschen. Gehen Sie mal in ein Restaurant oder eine Bar hier in Frankreich. In den meisten sitzen die Leute immer noch dichtgedraengt, als ob sie noch nie vom Coronavirus gehoert haetten, quer durch alle Altersttufen hindurch, und die Barbesitzer fuehren sich auf als waere es das Ende der Welt wenn sie mal um 22h schliessen sollen (waehrend sie vom Staat alimentiert werden). Bei soviel Egoismus kann auch die Regierung die Lage nicht retten. Stattdessen diskutieren sie darueber ob der Premierminister eine App hat, die er nicht braucht, weil er ohnehin in einer Blase lebt, die er nie verlaesst. So kann das ja nichts werden.




QuotePierre L. #29

Ich bin Arzt in Frankreich und muss darauf hinweisen, dass einige Informationen in dem Artikel falsch sind. Es können in Frankreich ungefähr genauso viele Patienten invasiv beatmet werden wie in Deutschland. In Deutschland werden einfache Monitorbetten mit Sauerstoffmaske statistisch als Intensivbett gezählt - in Frankreich nicht. Es ist nicht möglich, innerhalb von 6 Monaten eine Pflegekraft intensivmedizinisch voll auszubilden. Tut man es trotzdem, wird am Patienten mehr Schaden angerichtet als Gutes. Im Frühjahr gab es in Frankreich ungefähr 7x soviele Kranke wie in Deutschland. Das haben Antikörperstudien ergeben. Unter diesen Umständen wäre auch das deutsche Gesundheitssystem in die Knie gegangen - aufgrund des ungünstigeren Pflegeschlüssels vermutlich extremer als in Frankreich. Also Vorsicht!


QuotePhysikerin100 #29.10

Ich lebe schon lange in Frankreich, und verfolge die Lage daher in Frankreich und Deutschland parellel, und mein Eindruck ist auch, dass die Reaktionen der Politik in beiden Laendern sehr aehnlich sind. Deutschland hatte bisher einfach weniger Faelle, dafuer aber deutlich mehr Chaos, da 16 Laenderregierungen zustaendig sind. Das mag per se gar kein Nachteil sein, da es mehr Flexibilitaet und vor allem Akzeptanz vor Ort mit sich bringt, aber es zeugt nur umso deutlicher, wie die Regierung in Paris derzeit als Suendenbock herhalten muss, um zu verschleiern, dass der Einzelne halt einfach keine Lust hat, sich selbstverantwortlich der Situation entsprechend zu verhalten. Das koennen durchaus Kleinigkeiten sein -- Maske tragen, im Supermarkt oder im Restaurant konsequent auf genug Abstand achten. Aber selbst das scheint fuer viele schon zu viel Aufwand zu sein. Dann braucht man sich auch ueber eine zweite Welle nicht zu wundern.


QuotePharmaschinken #57

"In den Kliniken wird gefragt: Warum ist seit der ersten Welle nichts passiert?"

Die Antwort ist einfach: Weil ihr einen neoliberalen Fundamentalisten gewählt habt.


Quoteebx1701 #64

Die Lage ist schon erheblich dramatischer, als in Deutschland.
Es gibt vielerorts Kapazitaetsprobleme, und man wird kaum mehr das Problem loswerden, indem man Pazienten aus einer Region in andere transferiert.
Damals sind massiv Patienten mit speziell ausgeruesteten TGVs oder Militaerflugzeugen aus der Region Grand-Est nach Limoges, Bordeaux, oder in die Bretagne oder Normandie verbracht worden, dazu wurden noch Patienten nach Deutschland in die Schweiz oder nach Luxemburg gebracht.
Nur waren damals halt nur die Kapazitaeten im Grand-Est an ihre Grenzen gelangt, und es gab diese Transfermoeglichkeiten.
Inzwischen sind fast alle Regionen betroffen, es gibt vielerorts Kapazitaetsprobleme, und es gibt auch nur noch wenige Orte, wohin man Patienten transferieren koennte.
Das ganze System geraet langsam an seine Grenzen, und die Kapazitaeten koennen nicht mehr kurzfristig hochgestockt werden.


QuoteEin Rheinländer #70

Ich wohne auch in Frankreich seid 7 Jahren.
Die Nation hat auf vielen Ebenen einen Reformstau: Altersversorgung, Gesundheitswesen, Zentralismus und die Kompetenzen zwischen Parlament und Präsident.
Es reicht nicht bei Unzufriedenheit auf die Straße zu gehen.
Die Coronalage hier ist katastrophal.
In den Cafés und Bars wird der Maskenzwang und die Abstände konsequent ignoriert. ...


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#1760
Quote[...] Zu:  Roman: Christian Kracht "Die Toten" (Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2016, ISBN 9783462045543, Gebunden, 224 Seiten)

Klappentext
"Die Toten sind unendlich einsame Geschöpfe, es gibt keinen Zusammenhalt unter ihnen, sie werden alleine geboren, sterben und werden auch alleine wiedergeboren." Christian Krachts "Die Toten" führt uns mitten hinein in die gleißenden, fiebrigen frühen dreißiger Jahre, als die Moderne, besonders die Filmkultur, ihre vorerst letzte Blüte erlebte. In Berlin, "dem Spleen einer unsicheren, verkrampften, labilen Nation", versucht ein Schweizer Filmregisseur, euphorisiert durch einen gewissen Siegfried Kracauer und eine gewisse Lotte Eisner, den ufa-Tycoon Alfred Hugenberg zur Finanzierung eines Films zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Dort, auf der anderen Seite des Globus, bereitet zur selben Zeit der geheimnisvolle Japaner Masahiko Amakasu ein Komplott gegen die internationale Allmacht des Hollywoodfilms vor.


Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.09.2016
Zum "raffinierten Realismus" adelt Moritz Baßler die kontrastreiche Prosa Christian Krachts, der komplex und doch süffig Fakten und Fiktion mische, den "Glauben ans Unechte" mit der Liebe zum obskuren Detail verbinde und dabei auch noch alle Gegenstimmen zu Wort kommen lasse. Für Baßler ist das große Kunst und vor allem ein Kontrapunkt zu dem, was er als den "banalen Realismus" der Nachkriegsliteratur brandmarkt. Wem dagegen der literaturgeschichtlich und popkulturell aufgeladene Plot um Nazis und Film, Japan und Seppuku in den dreißiger Jahren nicht geheuer ist, der verwechsele Literatur mit Identitätspolitik, bescheidet Baßler möglichen Verächtern. Kracht nämlich verweigere dem Wirklichen das Anrecht auf die Sprache, stellt der Kritiker klar, der dies auch "links-politisch-korrekten" oder "pegidesk-empörten" Lesern empfiehlt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.09.2016
Rezensent Philipp Theisohn hat Christian Krachts neuen Roman verstanden. Der Autor schafft das in der Literatur, was die Band Laibach in der Popmusik vermochte: eine Analyse der Selbstinszenierung des Totalitarismus'. Das ist radikal politisch, findet Theisohn, nicht literarisch-faschistisch. Das Risiko, das der Autor eingeht, indem er mit "ästhetisch-apathischem" Gestus vom Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme erzählt, scheint dem Rezensenten beachtlich. Doch indem Kracht mit Kracauer auf den Stummfilm und das stumme Grauen des aufziehenden Nazi-Terrors blickt, meint Theisohn, bringt er die Barbarei zum Sprechen.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 10.09.2016
Für den Autor und Kritiker Carl von Siemens ist dieser Roman vor allem vom Buddhismus und Hinduismus geprägt: Nichts ist wirklich. Und weil es für den Autor keine Gewissheiten gibt, oszilliert er ebenso wie seine Protagonisten, meint Siemens. Real sei nur das Leiden und der Schmerz. Deshalb finde Kracht auch jede Ästhetisierung der Gewalt fragwürdig und lote sie in seinem Roman bis an die Grenze aus, spüre dabei auch noch den kulturellen Unterschieden in der Darstellung von Gewalt nach. Ob es dem Rezensenten wirklich gefallen hat? Fasziniert und beeindruckt ist er auf jeden Fall.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.09.2016
Was für ein ärgerlicher Stuss, schimpft Rezensentin Sabine Vogel über Christian Krachts neuen Roman. Von wegen großer Stilist! Nichts als maniriert, meint sie. Die blutrünstige Geschichte um eine fiktive cinematografische Achse zwischen Berlin und Tokio im Jahr 1933, angeleiert von einem deutschen Regisseur, sagt ihr nichts oder nichts Sinnvolles. Und warum reitet der Autor so insistierend auf dem Deutschtum herum und lässt Lotte Eisner über den deutschen Wald raunen? Für Vogel ein Rätsel bzw. verquerer deutschnationaler Mythenmuff.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.09.2016
Warum bloß muss es immer ums ganz große Ganze gehen in einer Kracht-Kritik, fragt sich Rezensent Jens-Christian Rabe. Warum Christian Kracht wieder in allen Medien rumpost, ob er damit die Kritik eventuell aufs Glatteis führen möchte, ob der Autor durch und durch Popist oder doch bloß Pop-Literat ist und was all die rästelhaften Instagram-Fotos sollen? Symbolik? Unbedingt, unbedingt, ruft Rabe und rät dem Leser, lieber am besten zu oszillieren zwischen Ohrensesselgemütlichkeit und alerter Leserakribie, um doch noch Freude zu haben an diesem Buch, an seinen erzählerischen Kapriolen, seinem Herumeiern zwischen Historie und Klamauk und seinem prätentiösen Stil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.09.2016
Jan Wiele macht gleich klar, dass es bei dem neuen Roman von Christian Kracht für den Leser wiederum darum geht, Autor und Erzähler fein säuberlich voneinander zu trennen. Anderenfalls dürfte Kracht irrigerweise erneut als Gewaltverherrlicher dastehen, meint Wiele. Denn was der Autor in seiner neuen "Historien-Farce", die sich um den Clash von westlicher und japanischer Kultur im verhängnisvollen Jahr 1933 dreht und in der u. a. Chaplin, Heinz Rühmann, Lotte Eisner, ein diabolischer UFA-Boss und ein Schweizer Filmregisseur auftreten, an Gewaltszenen auffährt, reicht laut Wiele gut für mehrere Bücher. Oder Filme. Anspielungs- und fantasiereich und mittels einer reich überzuckerten Sprache setzt der Autor das um, erklärt Wiele weiter. Krachts Dandy-Stil könnte Kopfzerbrechen bereiten, meint er, doch zum Glück spricht ja nicht Kracht, sondern sein Erzähler.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.09.2016
"Jetzt will er's wirklich wissen!", jubelt Ijoma Mangold nach der Lektüre von Christian Krachts neuem Roman, den er als ganz "außerordentliches Kunstwerk" würdigt. Da ist zum einen die Sprache, "preziös und präzise", Eleganz mit Spielereien, weit weg vom Wirklichkeitswahn der Gegenwartsliteratur, schwärmt der Kritiker. Und dann die Handlung, kunstvoll und von virtuoser Exzentrik, so Mangold, der sich von Kracht mit ins Berlin, Tokio und Hollywood der dreißiger Jahre nehmen lässt und die parallele Eroberung von Welt und Kino durch den Nationalchauvinismus erlebt. Allein, wie Kracht Geschichte und Fiktion verknüpft, einen Kulturkampf imaginiert, in dem der Film über die Deutungshoheit der Bilder entscheidet, einmal mehr Mut zum Betreten von "vermintem Terrain" aufbringt, wenn er seine Figuren über die "Bedrohung des kulturell Eigenen" sinnieren lässt, ringt dem Rezensenten Anerkennung ab. Wenn Mangold schließlich noch die Beschreibungen von japanischen Interieurs liest, kann er nur noch rufen: Was für ein Wunder von einem Roman!

...


Aus: "Roman: Christian Kracht "Die Toten"" (2016)
Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/christian-kracht/die-toten.html